Warren musste auf direktem Weg zu Aryana gerannt sein. Denn kaum hatte Faye ihr Zelt erreicht und den Rucksack aufs Bett fallen lassen, stürmte ihre Schwester hinein und blieb mit riesigen Augen und einem fassungslosen Lächeln stehen. Und dann fiel sie ihr um den Hals und Faye war mehr als froh drum, die Tränen, welche sich sofort wieder aus den Kanälen drängten, auf die Freude dieses Wiedersehens schieben zu können. Sie umarmte Aryana mindestens genauso eng wie umgekehrt, während diese immer wieder fassungslose Sätze wie "du bist wieder da", "ich dachte, er würde dich für immer wegsperren" und gefühlt zweitausend Mal "es tut mir so leid" ausstiess. Faye brachte keine Worte ausser "ja" und "mir auch", an dem fetten Kloss in ihrem Hals vorbei. Das reichte aber auch vollkommen aus, für den Moment. Dann schob Aryana sie vorsichtig von sich und musterte ihre kleine Schwester, die sie nur tränenüberströmt anlächelte. Aber die Frage kam viel zu bald, die Frage, auf die Faye nicht antworten wollte. "Warum hat er das getan? Hast du... hast du mit ihm geredet? Er hat mir nichtmal zugehört gestern, ich hätte nie gedacht, dass er dich wirklich zurückbringt...", wollte Aryana ahnungslos wissen, strich ständig durch die dunklen Haare ihrer Schwester. "N-nein, ich weiss nicht... Gestern wollte ich mit ihm reden, aber er hat mir nicht zugehört und heute stand er plötzlich da um mich zu holen", log Faye leise vor sich hin und nur die Tränen in ihren Augen und ihre beiläufige Bewegung, mit der sie ebendieses Nass aus ihrem Gesicht strich, verbargen die Wahrheit. Und sie wusste, dass Aryana ihr glauben würde, weil sie es glauben wollte. Weil sie still hoffte, dass Warren ihr nur einen Schrecken hatte einjagen wollen und das eine Warnung gewesen sei. Und weil es wirklich logisch klang, was Faye sagte - wann hätte sie Warren denn umstimmen sollen? Gestern war dazu keine Zeit gewesen und heute war er ja schon bei ihr gewesen, um sie zu holen. Also hatte er genau das schon zuvor in Planung gehabt. Aryana glaubte ihr tatsächlich und die nächsten Stunden waren schlicht eine reine Tortur für die junge Brünette. Sie redete fast eine Stunde mit Aryana, was bedeutete, dass sie eine volle Stunde ihre Gefühle verdrängen musste um mit aller Kraft der Welt den Anschein zu erwecken, dass alles in Ordnung sei. Vor dem Menschen, der sie am besten kannte. Aber es gelang ihr tatsächlich, jedenfalls war sie sich dessen ziemlich sicher. Lag wohl nur daran, dass sie es Aryana zuliebe getan hatte, dass sie sich viel zu sehr vor dem Gesichtsausdruck und den Worten ihrer Schwester fürchtete, falls sie die Wahrheit jemals erfuhr. Als Aryana gegangen war, weil sie wenig überraschend eine Menge Arbeit auf hatte wegen dem Campwechsel, hatte Faye sich wieder aufs Bett gesetzt und mühsam, irgendwie die Fassung bewahrt. Und die Sekunden auf ihrer Uhr verstreichen sehen. Die Sekunden, die sie langsam und qualvoll diesem Abend näher brachten, den sie niemals erleben wollte. Sie ging nicht zum Abendessen, weil sie unmöglich was runterbekommen hätte. Und sie fürchtete sich davor, jemand anderes als ihre Schwester zu sehen. Hoffte einfach nur still, dass niemand sonst von ihrer Anwesenheit wusste - nicht vor Morgen, wo dies sowieso unweigerlich der Fall sein würde. Um 19:30 Uhr zog sie sich um. Um 19:40 Uhr brach der nächste Sturm über sie ein und liess sie heulend auf dem Bett einknicken. Um 19:58 Uhr schlich sie nach draussen. Bis zu den Büros. Weil sie wusste, was passierte, wenn sie nicht auftauchte. Und weil sie das niemals riskieren konnte. Warren riss die Tür auf, kaum sah er sie kommen, musste am Fenster gewartet haben, um so schnell an Ort und Stelle zu sein. Sie liess sich von ihm in sein Büro ziehen, ohne selber je die Kraft dazu gehabt zu haben, einen Fuss vor den anderen zu setzen. Es war eine Ewigkeit, eine grauenvolle, höllische Ewigkeit, die an ihr vorbeizog. Sie hasste sich mit jeder Sekunde mehr und jedes Mal, wenn er sie eine kleine Schlampe nannte, wusste sie, dass er Recht hatte. Sie hatte geweint, die ganze Zeit. Aber das war keine Überraschung, auch wenn Warren der Meinung war, dass sie für ihn ruhig auch mal lächeln könnte - nicht immer nur für ihren kleinen Lover. Als er sie fast punktgenau eine halbe Stunde später wieder aus seinem Büro entliess, war Faye zerstört und komplett fertig mit der Welt. Jede Faser ihres Körpers schmerzte, alles tat weh, aber ihre Seele war vollkommen taub. Sie stolperte aus der Tür, während der verschwitzte Mann hinter ihr in deren Rahmen trat. Und genau in dem Moment, kam Aryana herbei. Kein Zufall. Das war der einzige Gedanke, den Faye noch klar fassen konnte. Sorg dafür, dass deine Schwester dich sieht. Hatte sie natürlich nicht getan. Hatte er natürlich gewusst. Faye blickte sie nicht an, stürmte nahezu fluchtartig auf ihren schwachen, wackeligen Beinen an Aryana vorbei zu ihrem Zelt. Nur um noch vorher irgendwo in eine Ecke zu kotzen. Viel erbrach sie nicht, hatte ja nichts gegessen. Aber sie würgte trotzdem immer wieder, bis jegliche Galle ihren Magen verlassen hatte. Dann schleppte sie sich in ihrem Delirium weiter zum Zelt, sammelte mechanisch irgendwelche Sachen zusammen, um duschen zu gehen. Und sie verbrühte sich beinahe unter dem heissen Wasser, schrubbte die Haut ihres kompletten Körpers rot, ohne sich auch nur ein Bisschen sauberer zu fühlen. Fünfmal seifte sie sich ein, wusch die Haare, aber der Schmutz würde nie wieder von ihr abfallen. Weil. sie. eine. Schlampe. war. Sie wankte zurück zum Zelt. Setzte sich aufs Bett. Und weinte. Bis Aryana kam. Aber Faye konnte nicht mit ihrer Schwester reden, schob sie aus dem Zelt und flehte sie mühsam dazu an, einfach zu gehen, einfach nie wieder darüber zu reden. Damit das niemals geschehen war. Damit sie niemals so schmutzig war. Aryana setzte mindestens ein dutzend Mal zum Reden an, drängte sich wieder ins Zelt und wollte sie trösten, umarmen, ihr sagen, dass es nicht ihre Schuld war und es ihr leid tat, dass Warren der Teufel war und das niemals hätte tun dürfen, dass das eine Vergewaltigung war und Faye ihn anzeigen könnte, dass sie sie liebte und sich das niemals ändern würde. Aber Faye hörte sie nicht, weil ihr taubes Herz ihrer Schwester nicht glaubte. Und irgendwann gab sie auf. Aryana ging. Und Faye heulte wieder alleine weiter. Es war lange still. Ihr Schluchzen das einzige Geräusch, das zu hören war. Bis plötzlich vollkommen unerwartet jemand den Kopf in ihr Zelt steckte und Faye zusammenzuckte, den Mann hinter ihren Tränen anstarrte, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Victor. Hatte Aryana ihn hergeschickt?? Und was zur Hölle sollte sie ihm sagen?? "D-du... solltest... nicht... hier... sein", das Flüstern war kalt und leise. Und abweisend. Er durfte sie nicht sehen. Doch nicht jetzt. Und wenn er wüsste, warum, dann würde er sie nie wieder sehen wollen - zu Recht.
Sie war es wirklich. Faye war wirklich zurück und Warren hatte sie nicht einfach nur ein weiteres Mal bitterböse belogen. Aryana konnte ihr Glück kaum fassen, während sie ihre Schwester in den Armen wog und für einen winzigen Moment wirklich glaubte, die Welt könnte wieder ein Bisschen in Ordnung zurückfallen. Obwohl sie keine Zeit hatte, blieb die Brünette über eine Stunde lang bei Faye, hielt sie fast die ganze Zeit in den Armen, was doch relativ atypisch war, da sie sonst nicht unbedingt so nähebedürftig war. Aber gerade war das anders, denn gerade schwor sie sich eintausend Mal, sie nie wieder gehen zu lassen. Sie liess Faye dann erstmal auspacken und ankommen, während Aryana selber zurück an die Arbeit ging - mit sehr viel mehr Elan und Energie als zuvor. Sie schrieb alle Briefe fertig, las sich in die Position des neuen Camps ein und begann das zu planen, was die nächsten Wochen auf sie zukam. Und sie ging zu Warren, auch wenn sich so ziemlich alles in ihr dagegen sträubte. Nur sehr kurz und das 'Danke, dass du sie zurückgebracht hast', was sich über ihre Lippen rang, klang auch sehr förmlich. Aber es war gekommen. Sie war beim Abendessen etwas erstaunt, ihre Schwester nicht zu sehen, vor allem, weil Victor dort anzutreffen war. Allerdings war sie sich sicher, dass die Brünette die Mahlzeit schlicht vergessen hatte - wie so oft, wenn sie in irgendwas vertieft war. Nach dem Essen, machte Aryana sich erneut an die Arbeit. Immerhin hatte sie es heute Morgen und gestern Nachmittag zu absolut gar nichts gebracht, hatte also Einiges nachzuholen. Gegen 20:30 Uhr erhob sie sich aber schlussendlich von dem schweren Stuhl, um zu Warren zu gehen. Er hatte sie darum gebeten, noch kurz vorbei zu kommen. Aber als sie sah, wer wie ein Häufchen Elend das Büro des Chefs verliess, klappte Aryanas Kinnlade herunter und sie blieb wie angewurzelt stehen. Nein. Nein nein nein. Sie hatte gesagt, dass es nicht so war, Faye hatte daran festgehalten, dass sie nichts mit ihrer eigenen Rückkehr zu tun hatte. Aryana wollte ihrer Schwester sofort hinterher rennen, als diese sie erblickte und verschreckt floh. Aber ein paar Worte, die mit einem Lächeln in ihrem Rücken gesprochen wurden, liessen sie erneut innehalten. "Sei bloss lieb zu ihr, sie war ein gutes Mädchen", dröhnte Warrens Stimme in ihrem Kopf, obwohl er kaum laut gesprochen haben dürfte. Aryana konnte gar nicht so schnell denken, da war sie zu ihm herumgewirbelt, auf das Arschloch zugerannt und hatte ihm eine Ohrfeige verpasst, dass er kurz rückwärts taumelte. "Du Arschloch, du verdammtes Arschloch, was zur Hölle hast du getan?!", schrie sie ihn an, während sie wutentbrannt auf ihn einprügelte, während er nur lachte und die Hände hob, um sie halbherzig abzuwehren. "Egal was es war, das kam alles freiwillig, Aryana - deine Schwester ist intelligenter, was die Konfliktlösung betrifft, als du. Um Einiges lösungsorientierter auf jeden Fall", säuselte er, ehe er ihre Hände packte und sie böse anfunkelte. "Du bist jedenfalls nie mit einer solchen Idee gekommen, dummes Kind. Dabei wäre das so einfach gewesen. Sie hätte nie für deine Fehler bezahlt, wenn du sie selber bereinigt hättest. Aber das ist nicht deine Stärke, Aryana. Du zerstörst lieber andere. Lässt sie ausbaden, was du einbrockst. Denk mal drüber nach. Das ist nicht meine Schuld", zischte er ihr ins Ohr. Aryana wollte seine Worte nicht hören, wollte seine Nähe nicht spüren und sie wollte nicht wahrhaben, was sie gerade gesehen hatte. "Du Teufel, ich werde persönlich dafür sorgen, dass du in der Hölle schmorst, ich schwörs dir!", fauchte sie zurück, ehe ihr Knie mit voller Wucht zwischen seine Beine krachte, sie ihm vor die Füsse spuckte, bevor sie sich abwandte, um ihrer Schwester hinterher zu rennen. Und Faye wollte sie nicht sehen. Weil sie wusste, dass sie ohne ihre Schwester nicht gerade durch die Hölle gegangen wäre. Aryana weinte und Faye weinte und Aryana bat um Verzeihung und Faye wehrte sich gegen jede hilflose, verzweifelte Umarmung, wies jede Entschuldigung ab, bis Aryana zitternd das Zelt verliess, weil das alles war, worum Faye sie immer und immer wieder bat. Sie blieb vor dem Zelt stehen. Wusste nicht wohin mit ihrem eigenen, zerstörerischen Selbst. Bog nach Links ab, wandelte wie ein Schatten durch das Camp. Eine Ewigkeit. Wie ein Geist, ein verlorener, hilfloser, fassungsloser Geist. Alles. Ihre. Schuld. Sie würde ihn töten. Sie würde ihn leiden lassen. Und sie brauchte Hilfe. Ihre Schritte trugen sie zu einem Wachturm und sie stieg hinauf. Weil sie nicht wusste, wo sonst sie nach ihm suchen sollte. Weil es der einzige Ort war, von dem sie wusste, dass auch Mitch ihn manchmal aufsuchte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das, was sich da vor meinen Augen abspielte, war eindeutig nicht so, wie ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Erst einmal hatte ich nicht damit gerechnet, dass die junge Frau weinend in ihrem Bett saß, vollkommen aufgelöst, um nicht zu sagen verstört. Und dann kam noch die Art, wie sie ihre Worte aussprach, hinzu. Ich dachte sie würde sich freuen, wenn sie mich sah. Sich wieder an mich schmiegen, mich freudig umarmen. Aber Alles, was ich jetzt zu sehen und hören bekam, war pure Abweisung. So kühl und distanziert, wie ich es noch nie von ihr gehört hatte, weder mir gegenüber, noch gegenüber jemand anderem. Wie ich eigentlich gehofft hatte, es nie von ihr hören zu müssen. Ich war wirklich Niemand, der sich Anderen aufdrängte, ganz gleich ob es sich dabei um eine Geliebte, einen Freund, oder ein Familienmitglied handelte. Wenn man mir sagte, dass ich gehen sollte, dann tat ich das für gewöhnlich auch, weil es einfach Momente gab, in denen Menschen ihren Freiraum und ihre Ruhe benötigten. Aber ich konnte einfach nicht. Alles in mir sträubte sich dagegen Faye in diesem Zustand alleine hier sitzen und weinen zu lassen. Mein eigener Blick hatte innerhalb einer Sekunde von hoffnungsvoll zu besorgt gewechselt und ich schluckte hörbar. Ich hatte keine Ahnung was es war, aber da stimmte irgendwas so gar nicht. Wenn die junge Frau sonst am Boden gewesen war, hatte sie meine Nähe gesucht und jetzt war das absolute Gegenteil der Fall. Das passierte nicht in derartigem Ausmaß, nur weil sie sich vielleicht umentschieden und beschlossen hatte, das es besser so wäre. Ich kannte sie gut genug um zu wissen, dass Irgendwas passiert sein musste. Aber mit Aryana konnte es kaum etwas zu tun haben, hatte ich sie doch vorhin erst noch gesehen. Es ging ihr gut, sie war wohlauf. Es musste also andere Ursachen haben, nur welche? Je länger ich darüber nachdachte, desto größer wurde das Fragezeichen in meinem Kopf. Trotzdem trat ich nach dem Zögern mehrerer Sekunden ein, widersetzte mich ihrer Mischung aus Bitte und Feststellung. Noch während ich langsam, nach wie vor etwas zögerlich in ihre Richtung ging, schob ich die Frage ein, die mir gerade förmlich auf der Zunge brannte. "Was.. was ist los, Faye?", kamen mir die Worte nur stockend über die Lippen, kurz bevor ich bei ihr ankam, mich aber doch mit deutlich Abstand zu der jungen Frau auf die Bettkante setzte - ich wollte mich wie gesagt wirklich nicht aufdrängen, aber ich konnte nicht einfach so gehen, wo doch Alles in mir förmlich danach schrie, das kleine Häufchen Elend in meine Arme zu schließen und so lange nicht mehr loszulassen, bis die Tränen endlich versiegten. Ich versuchte verzweifelt Irgendwas aus ihren geröteten, verheulten Augen zu lesen. Aber sie stellten mich genauso vor ein Rätsel wie die abweisenden Worte der Brünetten, die so gar nicht mit ihrem Verhalten vor der Abreise zusammenpassten. Hatte ich Irgendwas falsch gemacht und war mir dessen nicht bewusst? Ich dachte auch in diese Richtung fieberhaft nach, kam aber wie zu erwarten war zu keinem Ergebnis.
Endlich Ruhe. Eine Sache, die mir den ganzen Tag noch nicht vergönnt gewesen war, weil doch ziemlich viel Trubel im Camp geherrscht hatte. Zwar eigentlich nur der übliche, aber wenn man immer wieder an zügig arbeitenden Leuten vorbeikam oder eben selber mit rausfuhr, dann war man doch dauerhaft ein bisschen auf Touren. Was mir lieber war, als den ganzen Tag nur rumzusitzen, weil der Arzt vielleicht der Meinung war, dass das besser wäre. War mir halt aber egal. So lange ich mehr oder weniger laufen konnte sah ich keinen Grund dafür, mich aus dem Dienst zurückzuhalten. Klar waren da ein oder zwei kleine Einschränkungen, aber das war okay, die wusste ich schon auszugleichen. War nicht meine erste Beinverletzung und im Endeffekt doch immer ähnlich. Jetzt wollte ich aber einfach die Ruhe an der kalten Luft genießen, den Tag entspannt ausklingen lassen, weil die Müdigkeit mich bis jetzt noch nicht eingeholt hatte. Mein Schlafpensum der letzten Nächte war ja ziemlich hoch gewesen, da war ich um diese Uhrzeit eher noch nicht müde. Weil es jetzt endlich auch im Camp ruhig war, nur noch die nächtlichen Wachposten ihren Pflichten des Wehrdiensts nachkommen mussten, suchte ich mir ein stilles Plätzchen. Eines, von dem ich dachte, dass mich da eigentlich Niemand nerven würde. Ich stand schon gut zehn Minuten an den Eckpfosten gelehnt da, zündete mir gerade die zweite Zigarette an. Und ja, ich fühlte mich irgendwie so, als müsste ich diesbezüglich was nachholen. Vielleicht war ich aber auch einfach nur froh drum, meine Nerven wieder damit beruhigen zu können und übertrieb es deswegen ein wenig. Aber ich sollte nicht allein bleiben. Kurz nachdem ich den zweiten Zug von der Kippe genommen hatte und den Rauch wieder aus meinen Lungen stieß, hörte ich Schritte auf der Leiter. Musste das jetzt wieder sein? Es war auch noch niemand Geringeres als der Sergeant selbst, der wenige Sekunden später den Kopf über die Kante streckte. Aryana war so mit am wenigsten die Person, die ich mit Ruhe verband. Nicht einmal weil ich sie per se nicht leiden konnte, das war ja nicht der Fall, aber unsere Gespräche tendierten bekanntlich von ganz allein dazu in eine eher unentspannte Richtung zu verlaufen. "Na, fängst du jetzt auch an zu rauchen?", begrüßte ich sie mit leicht sarkastischen Worten, wobei das an sich gar nicht mal böse klang, weil ich es auch gar nicht böse meinte. Nur war Schweigen in ihrer Gegenwart für gewöhnlich auch nicht angenehmer, als mal wieder ein Gespräch entgleisen zu lassen. Bei letzterem hatte ich wenigstens auch etwas zu tun, also warum nicht..
Und genau wie Aryana hörte er ihr nicht zu. Sie würde es an seiner Stelle auch nicht tun, was sie wüsste, wenn sie denken könnte. Aber das konnte sie nicht und somit war seine Anwesenheit einfach eine reine Tortour für die Brünette, die mit den Nerven und mit ihrem Leben gerade komplett am Ende war. Sie konnte ihn nicht anschauen, weil sie nicht sehen wollte, was sie mit ihm machte. Sie wollte die Besorgnis und den Schmerz in seinen Augen nicht sehen, den sie zwangsläufig auslöste, wenn sie so abweisend reagierte. Bis vor wenigen Stunden hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als wieder bei ihm und Aryana zu sein. Und jetzt, jetzt wo sie es könnte, wollte sie die beiden auf keinen Fall in ihrer Nähe haben. Weil sie sie so sehr enttäuscht hatte. Mit ihrer Dummheit und ihrer Verzweiflung, in der sie solche Scheisse gebaut hatte. Victor kam näher und Faye schlang die Arme enger um ihre Knie, drehte ihr Gesicht weg von ihm, damit er nicht aus ihren Augen lesen konnte, was sie getan hatte. Damit er den Dreck nicht auf ihrer Haut sah. Warrens Fingerabdrücke. Seinen Gestank, der an ihr klebte wie ein billiges Parfüm. "Es... es tut mir leid...! Es tut mir so leid...", schluchzte sie in einem Versuch, ihn wissen zu lassen, dass es nicht seine Schuld war. Aber es würde nicht reichen, nur weil es ihr leid tat, würde er niemals gehen. Darum fuhr sie nach einigen Sekunden fort, mit mühsam zusammengekratzten Worten, die sie in dieser Reihenfolge niemals an ihn hätte wenden wollen. Sie hatte sich das nicht gewünscht, weder für sich noch so viel weniger für ihn. Sie hatte geglaubt, dass sie diese Zeit gemeinsam überstanden, nach Hause zurückkehrten und irgendwann, irgendwie alles gut sein würde. Nur, dass sie sich diesen Traum heute ganz alleine zerstört hatte. In unerreichbare Ferne kapituliert, irgendwo, hinter einer Million Sternen. "Es hat nichts mit dir zu tun, ich... ich habe alles... kaputt gemacht! Ich kann das nicht mehr, es... geht nicht", die einzige Möglichkeit, ihn zum Gehen zu bringen, ohne ihm die Wahrheit zu sagen, war, ihn anzulügen und ihn glauben zu lassen, dass sie aus einem anderen Grund keine Zeit mehr mit ihm verbringen konnte. Das war ehrenlos. Das war schwach. Aber sie war schwach und sie war ehrenlos - und sie konnte nicht damit leben, dass Victor in ihr die dreckige Nutte sah, zu der sie sich immer wieder machte. Darum durfte er die Wahrheit nicht kennen. "Bitte... bitte... geh wieder", nuschelte sie schluchzend in ihre Hände, blickte weiterhin weg, weil sie ihn weiterhin nicht anschauen konnte, mit dem Wissen, ihm das gerade anzutun. Sie riss sie alle beide mit sich in den Abgrund - Aryana und Victor. Die beiden, die sie hatte beschützen wollen, die sie hatte behalten wollen. Ob sie doch besser einfach weggeblieben wäre..? Wieso kam ihr dieser Gedanke erst jetzt...
Sie hatte wirklich gehofft, dass der mühsame Aufstieg, der ihre Schulter wie auch ihren Rücken laut aufschreien liess, auf diesen Turm nicht umsonst gewesen war. Auch wenn sie die Schmerzen sehr gut ignorieren konnte, hinter all der Wut und der Sorge, die sie erfüllte. Oben angekommen stand er auch wirklich in der Ecke. Und rauchte. Ihr dunkler Blick glitt zu der Zigarette, dann wieder zu seinem Gesicht. Ob er ihr trotz ihrer Nicht-Freundschaft auch eine Kippe abdrücken würde? Mal schauen, das hatte Zeit. Viel mehr Zeit als anderes. "Vielleicht. Aber dafür bin ich nicht hier", antwortete sie, wobei allein die Tonlage ihrer Stimme den Ausdruck ihrer Augen so schwarz unterstrich, dass die Nacht um sie herum gleich zwanzig Grad kühler geworden zu sein schien. Die Mimik wie ein ausgehungertes Raubtier - ein Bisschen Wahnsinn, ein Bisschen Panik und sehr viel Entschlossenheit. "Ich brauche deine Hilfe", fiel sie umgehend mit der Tür ins Haus, lehnte sich an die Brüstung, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete Mitch so ein paar Augenblicke lang, musternd, kalkulierend. Als möchte sie gerade herausfinden, ob sie ihn brauchen könnte für diese Mission - ausgerechnet Mitch, obwohl sie ihm von so vielen eigentlich am wenigsten vertraute, nach allem, was sie über ihn erfahren hatte. Aber diese Sache war anders. Es gab viele, die Warren nicht mochten, die Warren vielleicht auch hassten. Aber sehr wenige von ihnen wollten an einer solch irrwitzigen, hochriskanten Aktion teilhaben, ihren Namen mit auf der Liste der Verräter sehen - und, wenns sehr dumm lief, dann dafür bezahlen. Sie war mehr als bereit, dieses Risiko einzugehen. Sie würde auf jeden Plan anspringen, der auch nur annähernd Rache an diesem Monster versprach. Er hatte ihre Familie zerstört, den kleinen Teil, den sie davon noch gehabt hatte. Zuerst ihren Bruder. Dann ihre Schwester. Und dabei immer wieder auch sie selbst. Aryana hatte die funkelnden Augen keine Sekunde von Mitch abgewandt, dem Mann, der gleich darüber entscheiden würde, ob ihr Plan eine Chance hatte oder sie wegen Hochverrat ins Gefängnis wanderte. "Ich werde ihn töten. Und ich will wissen, ob du bereit bist, mir zu helfen", es war weniger eine Frage, als eine Feststellung, die sie formulierte. Aber ihr stechender Blick saugte jede Reaktion auf, die als Antwort von ihm kam. Und sie wollte kein Nein akzeptieren, das sprach sie komplett lautlos sehr deutlich aus.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
( nimmt hier heute jemand seine Arbeit ganz besonders ernst? Ja, vielleicht. XD )
Ich war so perplex von sämtlichen ihrer Worten, dass ich wirklich nur Bahnhof verstand. Deshalb und weil sie mir nach wie vor nicht wirklich Inhalt gab, sich gekonnt davor drückte. Was tat ihr leid? Was konnte sie getan haben, das ich ihr übel nehmen konnte? Mir fiel um ganz ehrlich zu sein auf Anhieb keine einzige Sache dazu ein. Vielleicht weil der Schmerz, den sie mir mit diesen eigentlich simplen Worten gerade zufügte, mir die Fähigkeit nahm irgendwie klar zu denken. Ich drehte den Kopf wieder geradeaus, war leicht nach vorne gebeugt und hatte die Hände ineinander gefaltet, knetete mir die Finger dabei inzwischen so fest, dass die Knöchel weiß hervor traten. Mein Rücken hatte nie Ruhe gegeben die letzten zwei Tage über, aber seit heute Nachmittag war es besser gewesen. Das konnte ich mir jetzt auch getrost in die Haare schmieren, setzten mit der psychischen Instabilität sofort auch die Messer wieder an meinen Narben an, um sorgfältig ihre tiefen Linien zu ziehen. Für einen Moment lang schloss ich die Augen, versuchte irgendwie das Chaos in meinem Kopf zu beruhigen, was mir nur mäßig gelang. Das Einzige, was mir zu dieser missverständlichen Situation einfallen wollte, war die Tatsache, dass es irgendwas damit zu tun haben musste, dass sie wieder hierher zurück gekommen war. Ich glaubte aber wirklich nicht, dass sie ihre Verlustschmerz vor ihrer Rückkehr allzu gerne in einem anderen Kerl ertränkt hatte. Das klang absolut nicht nach Faye. "Das ist es also? So willst du's beenden?", setzte ich mit dünner Stimme erst nach etwas mehr als einer Minute zum reden an, drehte dann wieder den Kopf in ihre Richtung. Ich mahlte unbewusst mit dem Kiefer, wobei sich in meinen Augen eine Mischung aus blanker Enttäuschung, Schmerz und doch auch leichtem Ärger widerspiegelte. Das hatte ich nicht verdient. Ich hatte ihr Alles gegeben, was in meiner Macht gestanden hatte. War für sie da gewesen, mehr als das. Hatte hier eigentlich nur für sie gelebt, weil sie der einzige Lichtblick in diesem verdammt dunklen Kriegstunnel war. Hatte ihr situationsbedingt jede mir mögliche freie Minute geschenkt. Und sie strafte mich jetzt mit Unwissenheit? Konnte mir nicht einmal in die Augem sehen und mir sagen, was es eigentlich war, dass sie jetzt zu dieser Entscheidung zwang? Was es angeblich besser machen würde ohne, als mit ihr zu sein? "Du willst mich einfach so loswerden und kannst mir nicht mal sagen, warum? ... wow.", sagte ich mit jetzt wieder festerer, deutlich trockener Stimme. Dann stand ich auf. Nicht, um zu gehen, sondern weil ich den Schmerz - psychisch wie physisch - im Sitzen nicht mehr ertrug. Also machte ich innerhalb des Zeltes zwei, drei Schritte von dem Bett weg, strich mir übers Gesicht. Die Bewegung linderte die Schmerzen nicht, aber lenkte mich innerhalb minimal davon an. Hinderte mich gleichzeitig - zumindest für den Moment - daran, hier gefühlt Amok zu laufen. Nach diesen wenigen Schritten drehte ich mich aber wieder zu ihr um. Sie brauchte nicht zu denken, dass ich mich damit jetzt zufrieden gab. Nicht nach dem ganzen Schmerz, den ich dank ihrer Nicht-Anwesenheit der letzten Stunden auf mich genommen hatte, der auch noch so viel schlimmer werden würde, wenn sie bei ihrer Entscheidung blieb. Wenn das wirklich der Weg war, den die junge Frau jetzt einschlagen wollte, dann verdiente ich eine gottverdammte Erklärung dafür.
Woah, warum denn so knurrig? Offenbar war die Brünette so gar nicht zu Scherzen aufgelegt. Ganz toll, wollte ich doch eigentlich einfach nur gemütlich meine Zigaretten genießen. Mir die Lunge teeren, mich dem Tod näher bringen, der sowieso irgendwo hier hinter einer Ecke wartete und sich schelmisch ins Fäustchen lachte. Vielleicht sollte Aryana wirklich anfangen zu rauchen, womöglich wäre sie dann weniger gereizt. Soweit zumindest die Theorie. Trotz ihres ernsten Tonfalls, der mir schon früh verriet, dass sie nicht ohne Grund hier war, sich nicht ohne Intention zu mir bewegt hatte, kam das, was dann folgte, absolut plump und überraschend. Ich war ja schon bei dem "Hilfe brauchen" sofort skeptisch und sah sie über die Kippe hinweg mit hochgezogenen Augenbraue an, aber als die junge Frau mir dann verriet, weshalb sie hier war, verschluckte ich mich prompt an dem Rauch, den ich gerade friedlich aus der Zigarette zog. Es folgte ein kurzer Hustanfall, für dessen Beruhigung ich einige Sekunden benötigte, bevor ich mich wieder gefangen hatte. Schlug sie mir hier gerade ernsthaft die Mithilfe zu einem Attentat auf Warren vor? Ja, machte sie. Es hätte ein Scherz sein können, aber ihre Augen verrieten mir ohne jeglichen Zweifel, dass sie das ernst meinte. Wortwörtlich toternst. Ich wusste ja, dass wir beide das Arschloch absolut nicht ausstehen konnten... aber das hatte ich Aryana um ehrlich zu sein nicht zugetraut. Dass sie Verrat an Allem begang, wofür sie hier als Sergeant stand. Das war harter Tobak. Noch viel heftiger war es aber, dass sie das so leichtfertig sagte. Als eine absolut unumstößliche Tatsache hinstellte... Und ich glaubte ihr das. All die Wut und der Hass in ihren Augen machten mir deutlich klar, dass sie die indirekte Frage ernst gemeint hatte. Und erstere kamen sicher nicht aus dem Nichts. Ich wohnte nicht hinterm Mond und demnach wurde mir recht schnell bewusst, dass Irgendwas vorgefallen sein musste. Etwas, dass Aryana in den Wahnsinn trieb und das führte mich unweigerlich zu dem Schluss, dass ihr wundester Punkt - ihre Schwester natürlich - da ziemlich sicher irgendwie mit drin hing. Sie hatte mir vor Kurzem erst gesagt, dass Warrens Tod nichts ändern würde. Dass er nur von dem nächstbesten anderen Idioten ersetzt werden würde, wenn man ihn außer Gefecht setzte. Jetzt sah sie das auf einmal aber doch anders, die Rachegelüste schienen noch einen ziemlichen Sprung nach oben gemacht zu haben, sonst hätte sie ihre Meinung nicht so plötzlich geändert. "Also jetzt mal langsam..", fand ich wieder ins Gespräch, hielt aber noch einmal inne, um erst links und dann auch noch rechts über die Brütung zu schauen. Mithörer wären hochgradig unvorteilhaft. Erst, als ich sicher war, dass weit und breit Niemand in der Nähe war, wendete ich mich Aryana wieder zu, fuhr mir mit der rechten Hand durch die Haare. Abgeneigt war ich dem Ganzen ja nicht. Ich wusste schon lange, was dabei auf dem Spiel stand, war das schon so oft in meinem Kopf durchgegangen und immer zu dem Entschluss gekommen, dass es das Risiko absolut wert war. "Etwas mehr Hintergrundwissen für diesen... Sinneswandel wär nicht verkehrt, bevor ich mich hier für Irgendwas verpflichte.", redete ich langsam vor mich hin, hielt sie dabei mit meinem gewohnt nüchternen Blick fest. Dann schnippte ich beiläufig über die Brüstung hinweg die Asche der Zigarette ab, ohne aber den Blick abzuwenden. Ich glaubte nicht, dass sie mich hier verarschen wollte aber wenn doch, dann wollte ich das frühzeitig erkennen. Da war Blickkontakt das A und O.
Nein. Nein, so wollte sie es nicht beenden. Sie wollte es gar nicht beenden. Aber gab es denn überhaupt noch eine Möglichkeit, das zu retten, was sie gehabt hatten, bevor sie mit Warren diesen Deal eingegangen war?? Faye glaubte nicht daran und noch immer fürchtete sie sich zu sehr vor seiner Reaktion, als dass sie es ihm hätte sagen können. Seine Stimme klang verletzt und es schmerzte bis tief in die Überreste ihres tauben Herzens, ihn so zu hören. So enttäuscht von ihr. Genau so, wie sie es erwartet hatte. Auch seine weiteren Worte fühlten sich an wie ungeschliffene Dolche, deren Klingen sich in ihre kaputte Seele frassen. Und Faye strich verzweifelt über ihre Beine, begann wieder, mit ihren Nägeln die Haut an ihren zitternden Fingern zu malträtieren und aufzureissen, während sie in ihrer ganzen Hoffnungslosigkeit schluchzte und weinte und den Kopf schüttelte. Er stand auf, was sie automatisch damit assoziierte, dass er gehen wollte. Und das wiederum liess in ihr eine Art Erleichterung, viel mehr aber noch die blanke Panik aufsteigen, ihn hier und jetzt zu verlieren. Konnte sie das verkraften?? Was war ihre Wahl? Entweder er ging, oder sie sagte ihm die Wahrheit. Es war keine Frage, was er mehr verdiente - denn natürlich hatte er ein Recht darauf, zu hören, was sie getan hatte. Aber sie brachte die Worte nicht über ihre Lippen, wenn sie sie noch nicht mal in ihrem Kopf formulieren konnte. "N-nein, nein, w-will ich nicht... Ich will... dich nicht loswerden und... ich will... es nicht beenden", flüsterte sie stockend, blickte ihn aber weiterhin nicht an, sondern konzentriert auf ihre Finger. Sie hatte ihm vorhin gesagt, er sollte gehen. Und jetzt sagte sie, dass sie ihn nicht loswerden wollte. Aber was wollte sie dann?? Dass er sie nicht gerade heulend in diesem Zelt angetroffen hätte, das wollte sie. Damit sie morgen hätte tun können, als wäre nichts passiert. Weil ihr das bestimmt super gelungen wäre. Und dann hätte Victor nie was davon erfahren und es hätte sich zu den anderen dunklen Geheimnissen gesellt, welche sie nicht mit ihm teilen durfte, wenn sie sich in seinen Augen nicht zur Schlampe machen wollte. „Ich habe die... die zweit... grösste Sünde begangen.... nur um zurück zu kommen..! N-niemanden getötet - aber alles zerstört“, murmelte sie weiter, hob nun doch, sehr sehr kurz den Blick, um ihn anzuschauen. Ihm die Chance zu geben, die Wahrheit zu erkennen, die sie trotz allem nicht aussprechen konnte. Das Schlimmste wäre gewesen, wenn sie jemanden getötet hätte. Das hatte sie, wie sie ihm gerade mitgeteilt hatte, nicht getan. Also, Victor, was könnte sie getan haben, das sie in ihren wie auch in seinen Augen zu einer schrecklichen Sünderin machen würde? "Ich... w-wollte nicht, Victor...! Aber es war... es schien wie die... die Einzige Möglichkeit, ihn... ihn dazu zu bringen... m-mich wieder...", versuchte sie zu erklären, was sie nicht in Worte fassen konnte, brach aber mitten im Satz wieder ab, weil sie glaubte, sonst gleich wieder kotzen zu müssen. So drängte sie das Schluchzen zurück, klammerte sich erneut an ihre Beine und vergrub ihr Gesicht an ihren Knien, wartete darauf, dass er begriff und ihre Strafe über sie einbrechen liess. Seine bodenlose Enttäuschung in dem Moment, in dem ihm klar wurde, was für ein ekliges Wesen sie wirklich war.
Er hustete. Gute Reaktion. Aber nachdem er gehustet hatte, wirkte er immerhin nicht mehr so geschockt, wie sie ihn nicht brauchen konnte. Und er sah auch nicht so aus, als möchte er direkt zu einem Nein ansetzen. Das war alles, worauf sie im Moment gehofft hatte. Aber natürlich folgte auch kein Ja. Und stattdessen forderte er Wissen, Wissen über das, was vorgefallen war. Und das konnte sie ihm doch nicht sagen. "Etwas mit meiner Schwester. Er hat etwas getan, was er niemals hätte tun dürfen", erwiderte sie mit so wenig Information, wie nur irgendwie möglich. Sie konnte keine Details nennen, wenn sie nicht automatisch Faye in den Dreck ziehen wollte. Und Faye würde ihr das nicht verzeihen. Denn alles, was sie von ihr wollte, war, dass sie jetzt nicht über das sprach, was passiert war. Sie hatte sie sogar ausdrücklich darum gebeten, es einfach zu vergessen und nie wieder zu erwähnen. Klar. Kein Problem. Sie würde ihren Alltag weiterleben, sie würde weiterhin jeden Tag mit Warren an einem Tisch sitzen, mit ihm Geschäfte machen, als wäre es das Normalste der Welt. Sie würde einfach so tun, als wäre nichts geschehen. Bis es wieder passierte. "Es spielt auch gar keine Rolle, was er getan hat. Sein Tod ist schon lange überfällig - zu viele haben ihr Leben schon seinetwegen verloren. Er muss sterben", redete sie weiter, in der leisen Hoffnung, ihm die Neugier so direkt auszutreiben. Ihm klar zu machen, dass sie die Wahrheit nicht aussprechen würde. Und er stimmte ihr mit Sicherheit zu. Warren sollte schon lange tot sein, es war beinahe untragbar, wie unzuverlässig Karma sich bei ihm zeigte. Wurde also Zeit - und wenn sonst keiner hinschaute, würde eben sie das tun. Sie hielt seinem Blick problemlos stand, denn Aryana hatte nichts zu verbergen, was ihre Absichten betraf. Sie meinte jedes Wort todernst. Und das sagten nicht nur ihre Worte sondern ihr ganzes Wesen. Warren würde damit nicht durchkommen. Nie nie nie wieder. Nicht nach heute. Er wusste, dass er den Bogen überspannt hatte. Aber der alte Lieutenant traute ihr nichts zu. Und genau diese ständige Unterschätzung würde sie sich jetzt endlich zum Vorteil machen. Sie würde ihm zeigen, wozu sie fähig war und sie würde ihm zeigen, was er verdient hatte. Vielleicht würde es nichts helfen, vielleicht würde er durch einen ähnlichen Deppen ersetzt werden. Aber seit sie denken konnte, versuchte Aryana ihre Schwester zu beschützen. Irgendwie. Auch wenn sie den grössten Fehler damit gemacht hatte, zuzulassen, dass Faye überhaupt hierher kam. Doch das war passiert und jetzt galt es, sie aus den Klauen dieses Scheusals, dieses Teufels zu retten, der sonst nie damit aufhören würde, ihr gierig alles Leben aus den Adern zu saugen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Für mich klang es aber sehr stark danach. Wenn sie mich nicht loswerden wollte, warum behandelte sie mich dann gerade wie ein dummes, naives Kind, dass die Wahrheit nicht verkraften könnte? Gut, zugegeben... ich wusste nicht, ob ich Letzteres konnte, denn es war mir ja schließlich nicht neu, dass meine Seele im Verarbeiten und Hinnehmen von Erlebnissen nicht die allerbeste Ausstattung zu haben schien. Dass ich traumatische Ereignisse lieber über Jahre hinweg immer wieder mit mir herumschleppte, statt sie endlich loszulassen. Es wäre nicht die erste Trennung, die ich hinter mich hätte bringen müssen. Aber sie wäre nicht ansatzweise mit den vorherigen vergleichbar, bei denen ich psychisch noch wohlauf gewesen war - bis auf die Trennung meiner letzten Exfreundin, aber damit hatte ich trotzdem abschließen können, weil ich sie und ihre Entscheidung verstanden hatte. Wusste, welche Bürde ich ganz einfach für sie gewesen war. Aber mit Faye hier war das ganz anders. Ich war unter ihrer Nähe wieder aufgeblüht, hatte ein paar kleine Scherben meines früheren Selbst wieder aufgelesen und ganz langsam, vorsichtig wieder aneinander kleben können. Nur, damit sie das Alles jetzt nahm und mit ihren Worten wieder zerspringen ließ? Ich seufzte tief. Verletzt, aber doch auch ein Stück weit genervt. Was wollte sie denn jetzt? Dass ich ging oder dass ich blieb? Diese Unschlüssigkeit ihrerseits ließ mich weiter im Innenraum des Zelts hin und her tigern. Ihr nächsten Worte lieferten mir zum ersten Mal ein paar Ansätze, mit denen ich womöglich etwas anfangen konnte. Wieder nannte Faye mir nicht eindeutig, was sie getan hatte, um uns zu zerstören. Aber die Tatsache, dass sie es nicht einmal aussprechen konnte, lenkte mich dann doch zielstrebig in die Richtung einer Antwort. Auch die stammeligen Worte, bei denen sie Warrens Namen nicht in den Mund nahm, sagten mehr als genug. Als diese Erkenntnis in meinem Kopf eintraf, wusste ich gar nicht mehr, wonach mir eigentlich zu Mute war. Zum einen wollte ich unfassbar gerne das Abendessen Adieu sagen lassen, weil mir allein bei dem Gedanken daran, den ich sehr schnell im Keim zu ersticken versuchte, kotzübel wurde. Dann war da wieder ein Anflug von Wut. Zwar vermittelte mir die junge Frau hier, dass sie es nicht gewollt hatte, dass sie es quasi als letzten Ausweg zurück gesehen hatte... und eigentlich war das angesichts ihrer Verfassung - die ihren Worten mehr Wahrheit einhauchten - auch wirklich schon Strafe genug für die Brünette. Aber Niemand hätte mir weiß machen können, dass ich es deswegen in Ordnung finden musste, dass sie dieses Ekelpaket von Lieutenant an sich heran gelassen hatte. Letzteres war aber auch der Grund, weshalb sie meine Wut vermutlich weniger gegen Faye selbst und viel mehr gegen Warren richtete. Wie konnte man so tief sinken, die Hilflosigkeit einer Frau derart auszunutzen? Sich am Ende noch daran aufgeilen, sie damit zu quälen? Ekelhaft und Abschaum waren schon gar keine Worte mehr dafür. Auch die Enttäuschung, die ich der Brünetten gegenüber empfunden hatte, wechselte ein wenig. Ich war weiterhin alles Andere als begeistert von ihrer Tat und es würde sicher seine Zeit brauchen, bis ich das halbwegs sorglos vergessen konnte - falls ich das überhaupt konnte. Aber die zwei oder drei Minuten, in denen ich mich gerade schweigend mit einem Arm an dem mittleren Zeltpfosten stützte, machten mir klar, dass ich mehr davon enttäuscht war, dass sie tatsächlich dachte, dass ich sie wegen einer reinen Verzweiflungstat einfach so von mir wegstoßen würde, als von ihrer Tat selbst. Wieder bildete sich in meinem Kopf ein heilloses Chaos, das sich nur schwer sortieren und noch weniger in Worte fassen ließ. "Das...", setzte ich einmal an, als ich mich langsam wieder mehr aufrichtete, hielt aber noch einmal inne. "...wie kannst du glauben, dass ich dich deswegen... hassen würde?", fing ich an, etwas ziel- und planlos vor mich her zu reden. "Ich will nicht sagen, dass... dass ich mich.. drüber freue..", nein, das Gegenteil war der Fall. Aber ich hasste sie nicht dafür, tat ich einfach nicht, konnte es nicht. Weil ich ganz einfach wusste, dass ihre Schwester ihr heilig war. Der einzige Grund, warum sie überhaupt hier war. "..aber ich werd' dich nicht für Etwas verurteilen, das... du ganz offensichtlich aus... reiner Verzweifelung getan hast.", schloss ich mein Gestammel schließlich ab, fuhr mir durch die Haare, ging mit dem Rücken zu ihr wieder ein paar Schritte, drehte mich erst dann um und steuerte langsam wieder die Richtung der jungen Frau.
Das eigentlich sowieso Offensichtliche war also tatsächlich der Fall, ja. Aryana äußerem Erscheinungsbild nach ging es ihr ja auch gut, mit ihr selbst hatte es nur unwahrscheinlich zusammenhängen können. Also war es Faye, die er in irgendeiner Art und Weise malträtiert hatte, die Aryana nicht wieder ruhig schlafen lassen würde. Meine Neugier war aber doch sehr enttäuscht, dass sie mir dazu im Prinzip keinen Inhalt gab. Mir nicht sagte, was ich wissen wollte. Der Tonfall der jungen Frau machte mir auch ziemlich deutlich klar, dass ich womöglich nicht weiter nachhaken sollte, aber es war doch nunmal das, was ich so unfassbar gerne wollte. Ich hätte ja sagen können, dass ich nicht einwilligen würde, wenn sie mir nicht ganz einfach vorher sagte, was eigentlich Sache war... aber ich hatte das ungute Gefühl, dass sie mich dann sehr gerne prompt in der Luft zerreißen würde. Dass das jetzt eindeutig nicht die Art von Fragerei und Forderung war, die Aryanas augenscheinlich sehr aufgekratzte, fertige Nerven brauchten. Also blieb mir nur Spekulation und Nachforschung, aber letztere dürfte sich auch schwierig gestalten, würden die beiden Schwestern doch sicher tunlichst vermeiden, dass auch nur Irgendjemand von der ganzen Sache Wind bekam. Also war nur noch Spekulation übrig, die meine schier endlose Neugier aber nur selten befriedigen konnte. Ein paar "Vielleichts" brachten mir kein Wissen ein, konnte ich mir im Prinzip also sicher gleich sparen. Aber ich würde es schon noch rausfinden und wenns erst in ein paar Monaten war. Es gab immer Mittel und Wege. Nach dem noch einige Sekunden lang einhaltenden Blickwechsel, den keiner vorerst einstellen zu wollen schien, zuckte ich letztendlich mit den Schultern. "Scheiß' drauf... warum nicht.", erwiderte ich schließlich, lehnte mich erst dann wieder wirklich gegen den Pfosten, der hier oben mein bester Freund gewesen war. Verschränkte die Arme vor der Brust, nahm dann noch einen weiteren Zug aus der Kippe, die inzwischen wohl mehr sinnlos vor sich hin brannte, als wirklich geraucht zu werden, was schlicht daran lag, dass mein Hirn seine volle Aufmerksamkeit auf seine eigenen Gedanken lenkte und der Glimmstängel dabei außen vor blieb. "Sofern du dir sicher bist, es dir bis morgen nicht wieder anders überlegt zu haben..", murmelte ich hinter dem Rauch noch ein paar Worte vor mich hin, die für mich von Bedeutung waren. Wenn ich etwas hasste, dann waren es Kurzschlussreaktionen, bei denen man einige Stunden später doch lieber ganz schnell wieder zurückrudern und die Dinge ungeschehen machen wollte. Wenn sie von mir hier ein Ja einforderte, wollte ich auch eins. "Bist du jetzt nur hier, um dich zu vergewissern, dass ich mitmache, oder... sind da schon Ansätze vorhanden?", hakte ich doch ziemlich interessiert weiter nach, die kühlen Augen weiterhin auf die junge Frau gerichtet, wenn auch mein Blick jetzt nicht mehr ganz so stechend war wie vorher. Sie müsste schon eine extrem gute Schauspielerin sein, um das Ganze hier nicht ernst zu meinen, also gab mein Hirn vorerst mal zumindest einen Hauch von Entwarnung.
Faye wagte kaum mehr zu atmen, während er langsam zu begreifen schien, was passiert war. Welchen Preis sie gezahlt hatte, um zurück zu kommen. Welche hässliche Tat sie begangen hatte. Sie hatte ihr Gesicht weiterhin in ihren Händen begraben, versuchte, sich vor ihm und seinem Urteil zu verstecken, das sie sehr bald einholen würde. Und es dauerte Einige lange Minuten, bis er verstanden hatte – und dann nochmal eine schmerzvolle Ewigkeit, bis er überhaupt im Stande war, etwas dazu zu sagen. Mittlerweile zitterte ihr ganzer Körper und sie konnte nicht weiter still sitzen, hob den Kopf, um ihn voller Angst anzuschauen, weil sie endlich wissen musste, was sie angerichtet hatte. Sie biss auf ihrer Unterlippe herum und rieb sich immer wieder über die angewinkelten Schienbeine, als er plötzlich zu einer Antwort ansetzte und sie damit absolut perplex inne halten liess. Wie sie glauben könnte, er würde sie deswegen hassen? Was? „W-weil es… weil es schrecklich ist?!“, stiess sie aus, als wäre das die logischste Antwort darauf. Weil sie sich selbst dafür hasste. „Ich hätte das nicht tun müssen, verstehst du? Ich hätte nicht… so tief sinken müssen“, fügte sie immer leiser werdend an, während ihr Blick auch schon wieder ins Nichts abdriftete. Verloren irgendwo hängen blieb, während sie nun wieder in ständiger Bewegung ihre Fingernägel über den Stoff ihrer Hosenbeine kratzen liess. Victor sicherte ihr wenig später zu, dass er sie dafür nicht nur nicht hasste, sondern auch nicht verurteilte. Was zu einer verständnislosen Falte auf ihrer Stirn führte, als sie zögerlich wieder zu ihm blickte, die noch immer tropfenden Augen voller Fragezeichen und Reue und Scham. „Es… es tut mir so leid… Victor… ich wollte dir das nicht antun…! Ich wollte das alles nicht kaputt machen! Aber er hat mir so klar gesagt, dass ich sonst nicht mehr zurück kann… Und ich hatte solche Angst um euch, ich hatte solche Angst, euch nie wieder zu sehen! Ich hatte solche Angst, dass euch was zustösst! Und ich kann doch nicht alleine sein...“, begann sie mit der nächsten Entschuldigung, die nichts mehr retten würde. Sie wusste, dass sie sich eigentlich nicht zu erklären brauchte. Weil ihm längst klar sein dürfte, dass sie sich nicht aus Spass zu Warrens Nutte gemacht hatte. Und wahrscheinlich erklärte sie es auch nicht ihm sondern viel mehr sich selber. Er hasste sie ja seinen eigenen Worten zufolge auch nicht. Und damit war er Faye einen sehr grossen Schritt voraus, wenn es darum ging, ihr den heutigen Abend zu verzeihen.
Er schien es sich nochmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen. Und das war auch gut so, sie konnte kein Weichei gebrauchen, das einfach mal zusagte, nur um dann auf halbem Weg den Schwanz einzuziehen. Nicht, dass sie Mitch unbedingt in diese Schublade stecken würde - dann hätte sie ihn gar nicht erst gefragt - aber man wusste nie. Auch war sie froh, dass er den Blickkontakt weiter aufrecht erhielt, ihr somit deutlich zeigte, dass auch er hier nichts zu verstecken hatte. Könnte ja auch gut sein, dass er genau wie Warren einfach nur ihren Untergang sehen wollte und darum zustimmte, um ihr später in den Rücken zu fallen und sie zu verraten. Aber danach sah es gerade nicht aus. Und wenn er sehr gut schauspielerte, dann bitte. Sie hatte ihm sowieso schon zu viel anvertraut, er hatte eh schon genug gegen sie in der Hand. Da spielte das hier doch gar keine Rolle mehr. Offenbar schien Mitch aber ähnliche Gedanken zu hegen, weshalb umgehend ein paar weitere Worte aus seiner Richtung kamen. "Ich bin nicht der Typ Mensch, der es sich oft anders überlegt. Und das wird sich bei dieser Aufgabe ganz sicher auch nicht ändern", festigte Aryana ihren Standpunkt, versprach ihm damit, diese Mission zu Ende zu führen. Nicht vorher zu stoppen, als dass Warren die Luft dieser Erde nicht weiter verpestete. Als er fortfuhr, atmete sie wohl das erste Mal seit dem Zusammentreffen mit Faye und Warren wieder tief durch. Sie blickte ihn nachdenklich an, wandte sich dann ab, um sich ebenfalls an die Brüstung zu lehnen und draussen die neue Umgebung zu überschauen. "Ich weiss es noch nicht. Ich sehe seinen Tod in tausend Variationen vor mir. Am liebsten würde ich ihn zuerst sehr lange leiden lassen, um diesem Abschaum das Sterben nicht auch noch leicht zu machen. Aber ich schätze, das liegt nicht drin, wenn das alles wie ein Unfall aussehen muss", gab sie alles, was sie bis jetzt an Plänen hatte, Preis. Und das war offensichtlich noch nicht viel. Würde aber schon noch kommen, darüber machte sie sich keine Sorgen. Vielleicht hatte sie noch nie einen Mord geplant, schon gar keinen, der niemals als Mord zu erkennen sein sollte. Aber es gab für alles ein erstes Mal und sie würden das schaffen, da war sie sich sicher. Denn wie gesagt - sie hatte nicht vor, es sich auf einmal anders zu überlegen und eher wieder zur Ruhe zu kommen, als dass der Mann, der ihre Familie zerriss, sechs Fuss unter der Erde lag. Auch wenn er kein Grab verdiente. "Wie siehts bei dir aus, Mitch? Schon jemals einen Mord geplant?", fragte sie leise, drehte den Kopf in seine Richtung, um ihn mit einer gehobenen Augenbraue zu mustern. Diese Frage zog wohl zwingend ein Nein nach sich, denn selbst wenn da was gewesen wäre, würde er ihr bestimmt nichts davon beichten. Auch wenn er könnte - denn mittlerweile waren sie beide so weit, dass sie einander für nichts mehr verpfeifen konnten, ohne selber einen sehr gefährlichen Schritt auf hauchdünnem Eis zu gehen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja, das war es. Es war schrecklich... allein darüber nachzudenken war es eigentlich schon. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass Warren Faye auch nicht wirklich viel Zeit oder Möglichkeiten dazu gegeben hatte, es sich erst zu überlegen. Vielleicht hätte die junge Frau sich anders entschieden, wenn sie mehr Zeit gehabt hätte. Vielleicht aber auch nicht. Wie sie selbst schon sagte hätte sie sich nicht dazu herablassen müssen... aber ich wusste wohl selbst auch am besten, was Angst in einem Menschen Alles auslösen konnte. Wozu sie einen treiben konnte, wenn man schlicht keine brauchbaren Auswege aus der eigenen Misere mehr sah. Wenn pure Verzweiflung mit der Angst einher zog, dann war ein sehr hoher prozentualer Anteil der Menschheit nicht mehr fähig, rationale Entscheidungen zu treffen oder überhaupt allgemein noch klar zu denken. Faye schilderte mir hier unter all ihren Tränen auch sehr deutlich, dass es eben genau jene Angst war, die sie so lange verfolgt hatte, bis sie schlicht eingeknickt war und nachgegeben hatte. Sich auf einen Deal einließ, der absolut nichts Gutes verheißen konnte, nur um das eine Ziel zu erreichen, dass wohl auch so ziemlich ihr einziges überhaupt hier war. Das kleine bisschen an Familie festzuhalten, das sie noch hatte. Ich versuchte hier einfach nur bestmöglich, die Geschichte irgendwie sachlich für mich begreiflich zu machen, damit ich nicht durchdrehte. Zwar gab ich mir wirklich Mühe, Faye zu Liebe nach außen hin ruhig zu wirken, aber in mir tobte weiterhin ein Sturm aus Gedanken und Gefühlen, der sich so schnell nicht bändigen oder gar sortieren lassen würde. Wieder setzte ich mich auf die Kante des Betts, dieses Mal aber doch mit so viel wie irgendwie möglichem Abstand und einem erschöpften Seufzen, nach dem ich mein Gesicht in meine Hände bettete, weil mich die Situation ganz einfach völlig fertig machte. Nur, weil ich mir Mühe damit gab, hier nicht am Rad zu drehen, hieß das noch nicht, dass ich jetzt gern auf Kuschelkurs gehen würde. Eine sich merkwürdig anfühlende Distanz war gerade eher das, was ich bevorzugte. Ich wusste nicht, wann sie das getan hatte. Wie lang es her war, dass seine Finger an ihrem Körper gelegen hatten, von dem ich ursprünglich gedacht hatte, dass er ganz mein war. Aber es konnte schlicht noch nicht lange genug her sein, um sich dabei wohlfühlen zu können, sie nahe bei mir zu haben. Ich hob den Kopf langsam wieder an, drehte ihn mühsam in Fayes Richtung. "Es ist... ist schon okay.", nein, war es nicht. Aber sie war zu fertig mit den Nerven, als dass ich ihr jetzt wortwörtlich all meine Gedanken mitteilen wollte. "Versteh' mich nicht falsch... ich... werd' schon ein bisschen Zeit brauchen, das.. das alles zu verarbeiten..", murmelte ich jetzt nur noch vor mich hin, wendete auch den Blick wieder von ihr ab, sah stattdessen auf den kahlen Boden vor meinen Füßen. Wie viel Zeit das war, konnte ich nicht sagen. Wusste ich selbst nicht, würden mir vermutlich erst die folgenden Tage verraten. "Aber ich... ich will dich nicht verlieren, Faye..", fuhr ich noch leiser als zuvor fort, schloss wieder die Augen, während sich ein leichter Kloß in meinem Hals bildete. "..erst recht nicht, nur, weil dieses... Arschloch", eigentlich schwebten mir eine Milliarde anderer, wesentlich schlimmerer Beleidigungen für ihn vor, aber ich wollte meinem Ärger nicht zu viel Raum geben, noch vor einer Frau derart ausschweifen - ich hatte schließlich Manieren beigebracht bekommen. "deine Angst so schamlos ausgenutzt hat.", beendete ich meinen Satz, schluckte tonlos, während meine Hände ein klein wenig zu zittern begannen, weil mein Körper all die geballten Emotionen langsam nicht mehr ertragen konnte. Der Hass, den ich gegenüber dem Lieutenant empfand, schien auch sekündlich zu steigen. Mal ganz davon abgesehen, dass er sich damit im Rahmen der Army-Verfassung selbst strafbar machte, war das auch verdammt nochmal Vergewaltigung. Niemand auf diesem Planeten würde ungeschoren davon kommen, wenn er der Frau, in die ich mich ganz offensichtlich verliebt hatte, auch nur ein Haar krümmte. Auch, wenn sie meinen Gefühlen mit dieser Sache einen Dämpfer verpasst hatte... auslöschen konnte die Brünette sie damit nicht.
Sehr gut. Das war so ziemlich Alles, was ich jetzt von der jungen Frau hatte hören wollen. Dass sie mir diese Frage nicht leichtfertig gestellt hatte, sondern viel mehr fest entschlossen war, das Ganze ohne zu große Umwege in die Tat umzusetzen. Eine vernünftige Person hätte Aryana vermutlich den Vogel gezeigt und es ganz einfach gelassen, in diese irrwitzige Aktion mit einzusteigen, weil es doch ziemlicher Wahnsinn war. Wir standen hier mehr oder weniger entspannt auf dem Wachposten einer Militärbasis und unterhielten und darüber, dass der Lieutenant so absolut unbrauchbar und ekelhaft war, dass er ganz einfach sterben musste. Als gäbe es dafür keine anderen Lösungen. Gäbe es sicher, man könnte ihm ganz bestimmt auch anderweitig eine geplante Falle stellen, ihn überführen und in den Knast wandern lassen. Aber mir persönlich reichte das schon lange nicht mehr. Mir würde nicht eine einzige Person einfallen, auf die ich in meinem Leben derartigen Hass entwickelt hatte. Natürlich hatte es vor meiner Zeit in der Army auch schon Leute gegeben, mit denen ich nicht klar gekommen war, die ich gehasst hatte. Das Problem hatte sich früher oder später aber meistens selbst erledigt, indem sie sich von allein von mir distanziert hatten oder eben umgekehrt. Hier innerhalb des Camps war das nicht möglich. Warren schwang sein Zepter ohne Rücksicht auf Verluste, spielte sich auf wie der König der Welt und riss dabei Alle mit in den Abgrund. Mich und auch Aryana schädigte er damit mehr als Andere, aber das war schon lange nicht mehr relevant. Er musste ein für allemal gestoppt werden. "Gut, was Anderes wollte ich gar nicht hören.", bestätigte ich nickend meinen Gedanken und lauschte auch ihren folgenden Worten aufmerksam. Präzise Vorstellungen schien sie noch nicht zu haben, war aber in meinen Augen jetzt auch noch nicht zu relevant. Die Brünette war noch viel zu aufgekratzt, um überhaupt wirklich klar darüber nachdenken zu können. Die Tatsache, dass wir das Ganze eben auch so gestalten mussten, dass es uns Niemand nachweisen konnte, machte es nicht wirklich einfacher. Ihre Gegenfrage ließ mich noch ein paar Sekunden mehr inne halten, über eine geeignete Antwort nachdenken, was ich aber gezielt mit einem ausgiebigen Zug an der Zigarette tarnte. Ja, hatte ich. Warren mal außen vor gelassen hatte ich da aber - soweit ich mich an diese Zeit noch entsinnen konnte - eigentlich immer unter Drogeneinfluss gestanden, weswegen das Ganze weder in irgendeiner Weise verwertbar, noch ausgeführt worden war. "Was Warren angeht - klar, sicher..." erwiderte ich nach dem Entlassen des Rauchs aus meiner Lunge mit einem Schulterzucken, dass wohl deutlich aufzeigte, wie gewissenlos ich darüber schon oft nachgedacht hatte, es auch immernoch regelmäßig tat. "...ist an sich für mich als Sniper auch nicht zu schwer Jemanden umzubringen, ohne dabei auch nur ansatzweise nah dran zu sein. Aber die Umsetzung ist bei sämtlichen Gedanken in der Richtung am Allein sein gescheitert - und dem nicht-vorhanden-sein einer unregistrierten Waffe.", redete ich einfach so vor mich hin, als wäre es das normalste auf diesem Planeten, Mordpläne zu schmieden. Aber gut, mir war inzwischen selbst bewusst, dass ich in mancher Hinsicht schon lange nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Konnte ich aber gut damit leben und Aryana zumindest bis zu diesem Grad vermutlich auch.
Natürlich entging ihr nicht, wie viel mehr Abstand er jetzt, wo er über die Tatsachen Bescheid wusste, zu ihr hielt. Und natürlich konnte sie ihm das kaum verübeln, hatte vollstes Verständnis dafür, weil sie sich selber ebenso sehr vor sich und ihrem besudelten Körper ekelte. Das hiess aber noch lange nicht, dass es sie nicht verletzte, sie noch mehr knickte, falls das noch möglich war. Auch wenn es ihr kaum anzumerken war - heulen tat sie ja eh schon die ganze Zeit und zittern auch und sich abwechselnd die Finger blutig kratzen und die Beine reiben auch. Er blickte sie an, sie wusste es. Und sie brauchte ein weiteres Mal all ihre noch verfügbare Kraft, um den Kopf ebenfalls in seine Richtung zu drehen, ihre Augen scheu und unsicher die seinen finden zu lassen. Es war okay? Nein. Es war vieles, aber bestimmt nicht okay. Das wussten sie beide und daran konnten sie nichts mehr ändern. Auch wenn Faye fast alles dafür geben würde, die letzten Stunden ungeschehen zu machen oder die Wahrheit zumindest nicht bis zu Victor durchdringen zu lassen. "Ich... ich weiss... ich... ich erwarte auch nicht, dass du... so tust, als... als wär' nichts passiert... als wäre alles wie zuvor...", stammelte sie vor sich hin, unterbrochen von erbärmlichen Schluchzer und tonlosen Pausen, in denen sie nicht mehr wusste, wie ihre Zunge die Worte formulieren sollte. Er redete weiter und alles was er sagte, bekräftigte nur wieder ihr Wissen, dass er schlicht zu gut für sie war. Viel mehr, als sie verdiente. Nicht nur, dass er gerade bei ihr blieb und nicht einfach verschwand, obwohl das die Einzige logische Reaktion auf ihre Taten gewesen wäre. Nein, er beteuerte auch noch ein weiteres Mal, sie trotz allem, egal was passiert war, nicht verlieren zu wollen. Und sie wusste nicht mehr, was sie darauf noch sagen sollte, ausser einem erstickten: "Ich... will dich... auch... nicht verlieren.". Er zitterte, sie sah es durch den Tränenschleier hindurch, als sie in seine Richtung sah. Er zitterte, weil er nicht mit diesem Abend klar kam. Genau wie sie. Victor brauchte ihr nicht vorzugaukeln, dass irgendwas okay sei. Sie wusste ganz genau, was vorgefallen war. Sie wusste, was der Lieutenant mit ihr gemacht hatte. Sie wusste, wo seine Hände ihre Haut berührt hatten. Wo seine feuchten Lippen gelegen hatten. Wo ihre Haut gebrannt und ihre Seele zerbrochen war. Und sein Stöhnen dröhnte noch immer in Fayes Ohren, auf die sie nun ihre zitternden Hände presste, in einem verzweifelten Versuch, die Bilder und Geräusche aus ihrem Kopf zu sperren. Sie wiegte ihren Oberkörper vor und zurück, die Augen weit aufgerissen, damit möglichst viel Licht die Dunkelheit dahinter vertrieb, während sie ihren Kopf festhielt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder soweit im Griff hatte, dass sie den Mund aufmachen konnte, ohne zu schreien. "D-du... musst nicht... hier... bleiben... Victor... W-wenn du Zeit brauchst...", sagte sie, ziemlich schlecht verständlich, weil sie jedes Wort so angestrengt hervorsuchen musste. Sie wollte nicht, dass er sich jetzt auch noch verpflichtet dazu fühlte, in ihrer Nähe zu sein - während sich alles in ihm dagegen sträuben musste, sie überhaupt anzuschauen. Vielleicht wäre frische Luft besser für ihn. Oder Abstand - mehr als dieses Bett bieten konnte. Sie war nicht hierher gekommen für Abstand. Aber gerade schien das wie die einzige Lösung, zumindest vorübergehend.
Ja, sie auch nicht. Denn alles andere als ein Ja wäre problematisch geworden - für beide Seiten, aber eher noch für sie. Oh wie sehr Warren sich jetzt an der Botschaft freuen würde, dass die irre kleine Aryana ein Attentat auf ihn plante. Dass er einen mehr als guten Grund dafür hatte, sie aus dem Weg räumen zu wollen. Dass sie sofort nach Hause sollte, ins Gefängnis oder zumindest in eine psychiatrische Hochsicherheitsklinik mit Ausbruchsicherung für instabile Wracks wie sie. Aber diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun, niemals. Und Mitch klang mittlerweile doch gut begeistert von ihrer Idee. Nicht begeistert im Sinne von er hüpfte fröhlich herum und fragte, wann sie den alten Sack denn endlich umlegen würden. Aber begeistert im Sinne von mit Geist und Körper anwesend und bereit, wirklich etwas zu tun. Er hatte also ebenfalls schon darüber nachgedacht, wie es wäre, den Lieutenant ein für alle Mal aus dem Weg zu schaffen. Und ja, für einen Sniper seiner Klasse tat sich diesbezüglich noch ein weitaus simplerer Pfad zum Ziel auf. Aryana nickte langsam. "Ja, das wäre durchaus ein Plan. Wenn auch ein sehr schmerzloser, einfacher Tod für ein Arschloch seiner Klasse. Ich fänds schön, wenn er sein eigenes Gift schmecken könnte. Wenn er rausfahren müsste, lebensbedrohlich angeschossen würde und keiner da wäre, um ihn zu retten. Ich möchte zuschauen, wie das Leben langsam aus seinen hässlichen Augen weicht, während ihm plötzlich klar wird, dass er nicht bereit zum Sterben ist. Dass er seine Soldaten, die ihm ihr Leben anvertrauen, immer wieder so in den Tod geschickt hatte. Und dass es nichts mehr gab, das er tun könnte, um dieses Leid wieder gut zu machen. Dass er gleich in der Hölle dafür schmoren würde. Bis in alle verdammte Ewigkeit", träumte sie vor sich hin. Nicht unbedingt die Träume eines kleinen Mädchens. Aber da war in Ordnung, sie war ja auch längst kein Solches mehr. "Oder Gift - Gift fände ich auch sehr schön. Etwas, das keine Spuren hinterlässt aber sehr langsam wirkt. Wir könnten ihm etwas ins Essen mischen, immer nur in geringen Dosen, sodass es seinen grausamen Körper von innen her auffrisst, bis er endlich stirbt. Oh - oder wir setzen ihn aus. Offiziell ist er bei einem Angriff in die Hände des Feindes gefallen. Wir setzen ihn aus und lassen den IS den Rest machen, bis irgendwo ein Video seiner Enthauptung auftaucht. Und rate mal, wessen Herz beim Zuschauen kein Einziges Mal zittern wird...", sie sprach so viele irre Fantasien aus, dass wohl auch Mitch nächstens an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifeln dürfte. Aber Aryana merkte es kaum. Denn es waren Hypothesen, die schon lange in ihrem Kopf wohnten, die sie nur nie mit jemandem geteilt hatte. Und es schien fast so, als könnte sie jetzt, wo der junge Mann sowieso über ihre dunklen Absichten Bescheid wusste, auch einfach alles aussprechen und mit ihm teilen. Auch wenn sie kein Gift und keinen Draht zum IS hatten. Und ihn innerhalb dieser Mauern zu erschiessen, sofort jedem als Attentat offenliegen würde.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Wenigstens damit schienen wir uns immernoch einig zu sein. Ich wusste ja auch, dass sie das nicht getan hatte, um mich krampfhaft von sich wegzuschieben oder mir mutwillig weh zu tun... aber letzteres war eben trotzdem der Fall. Ich hätte nicht einmal mehr sagen können, was mehr weh tat. Die Messer in meinem Rücken, oder das, welches unbarmherzig in meinem Herzen herumstocherte. Sich ganz gemütlich um die eigene Achse drehte, damit der Schaden auch ja schwerwiegend war. So schnell nicht wieder gehen würde, ebenso wie der Streifschuss an meinem Arm, einfach Zeit brauchen würde. Wenigstens durfte ich ab morgen offiziell wieder ein bisschen trainieren... natürlich nicht ans Limit gehen, aber die Fäden waren gezogen und die Narbe sah gut aus. Soweit stabil, dass sie ein wenig Belastung wieder handhaben konnte. Ob der Arm dabei weh tat war ein komplett anderes Bier, aber schlimmer als der Rücken konnte es nicht sein und mein Kopf würde es mir so oder so danken, wenn er endlich wieder richtig Luft zum Atmen bekam. Gerade jetzt, wo Faye das Training nicht ersetzen konnte, weil etwas zwischen uns stand. Ich war mir ehrlich nicht sicher, was besser war. Mich in ihrer Nähe unwohl zu fühlen oder ein schlechtes Gewissen zu haben, weil ich sie in diesem Zustand sich selbst überließ. Es war beides scheiße. Noch dazu drängte sich meinem Hirn jetzt eine Frage auf. Eine Frage, deren Antwort meine Sicht auf die Dinge sowohl positiv, als auch negativ beeinflussen konnte. Eigentlich wollte ich sie Faye nicht stellen. Zum einen, weil ich die Antwort vielleicht gar nicht wissen wollte und zum Anderen, weil ich ihr nicht noch eins reinwürgen wollte, wo sie ohnehin schon vollkommen am Ende war. Aber ich konnte nicht anders. Wusste, dass ich spätestens wenn es mir keine Ruhe mehr ließ, sowieso fragen würde. "Ich hab nur... noch eine Frage...", setzte ich nach wie vor murmelnd, unsicher zu der unangenehmen Frage an. "Kam das... schon öfter vor?", forderte ich die Wahrheit ein, die mir irgendwo ganz einfach zustand. Ich wollte die Dinge besser einordnen können, weshalb ich daraufhin auch noch spezifischer wurde. "Und falls ja... nur bei ihm, oder..?", wollte ich wenn, dann auch die ganze Wahrheit wissen. Noch während dieser Worte fing ich wieder an, sehr unruhig mit dem rechten Bein zu wippen, so wie auch schon am Nachmittag. Nur mit dem Unterschied, dass das jetzt nicht der Vorfreude galt, sondern der unterbewussten Beruhigung meiner Nerven, was aber sowieso nur wenig bis gar nicht funktionierte. Faye brauchte mir keine Zahlen oder Namen zu nennen, das wollte ich gar nicht. Aber grobe Anhaltspunkte wären schon nett. Wenn sie mir nicht sofort darauf antworten wollte, weil sie psychisch dazu gerade nicht in der Lage war, konnte ich auch noch warten - zwar ungern, aber das würde ich irgendwie schon auch noch verkraften. Andererseits wäre eine nicht sofortige Antwort ein triftiger Anlass zu glauben, dass sie diese Frage mit einem Ja beantworten musste. Demnach wäre das eigentlich auch schon Antwort genug... Langsam drehte ich den Kopf wieder in die Richtung der jungen Frau, obwohl selbst das einfach nur anstrengend für mich war. Hatte ich nicht schon genug Schmerzen? Musste mir jetzt unbedingt auch noch der bloße Blick in ihre Augen schwer fallen? Eine Sache, die ich sonst so unheimlich genossen hatte? Ich hoffte, betete gedanklich wirklich darum, dass es auch wieder so werden würde. Dass der Stein, den sie uns damit zwangsweise in den gemeinsamen Weg gelegt hatte, nicht zu groß war, um drüber zu steigen. Dass ich es verarbeiten und hinter mir lassen konnte, ohne dass unsere zukünftige gemeinsame Zeit immer drunter leiden würde.
Schmerzlos? Naja, nicht zwingend. Schrieb mir ja keiner vor, dass sein Kopf oder seine Brust gleich mein erstes Ziel sein musste. Mir würden diverse andere Körperstellen einfallen, die ihn nicht sofort ins Jenseits befördern, sondern ihm den qualvollen Weg des Verblutens einbringen würden. Unter Schmerzen, die selbst das gute Adrenalin nicht betäuben können würde. Immer in dem Wissen, dass irgendwo in sicherer Ferne ganz gewissenhaft mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen sein persönlicher Henker dabei zusah... War ich ein Psychopath? Ein bisschen vielleicht. Juckte mich das? Schon lange nicht mehr. Angesichts der detaillierten Fantasien, die Aryana mir dann lieferte, glaubte ich auch hundertprozentig zu wissen, dass sie mindestens genauso sehr wie ich nicht mehr ganz dicht war. Sadistisch war ja schon fast kein Ausdruck mehr dafür. Aber tatsächlich machte sie sich mir damit nur sympathischer, ganz gleich wie absurd das auch klang. Einfach weil sie nicht gewillt war, ihn ohne vorheriges Leid zu sterben zu lassen. Denn es war das, was er mehr als nur verdiente. Dass die Rechnung so beglichen wurde, dass er endlich merkte, wie gepeinigt die gesamte Mannschaft unter ihm leiden und ein viel zu großer Anteil davon auch sterben musste. Wer brauchte schon Karma, wenn man die Dinge auch einfach selbst in die Hand nehmen konnte? "Schreibt mir ja Niemand vor, dass ich auf seinen Kopf zielen muss.", ergänzte ich diesbezüglich doch mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, kurz bevor ich den letzten Zug der Kippe nahm und sie dann ganz vorbildlich an der Brüstung ausdrückte. Es amüsierte mich ja schon ein bisschen, wie einfallsreich Aryana war, was das anging. Gutheißen sollte man das wohl eigentlich nicht, aber.. ja, ich fands gut. Ohne Zweifel. Das würde mir vermutlich auch den Rest meines Lebens Keiner mehr austreiben können. Es gab einfach Fälle, in denen Selbstjustiz absolut gerechtfertigt war. Er sollte durch die Hände von Leuten, die unter ihm gelitten hatten, draufgehen. Nicht in irgendeiner Zelle verrotten und dadurch dem Tod entrinnen. Nein, so einfach durfte es ihm nicht gemacht werden. "Ich seh schon.. an Kreativität wirds uns vermutlich eher nicht mangeln. Find ich gut.", meinte ich, wendete den Blick dann für einen Moment lang in die Ferne, in der sich Nichts außer Dunkelheit und ganz weit weg die Lichter einer Kleinstadt abzeichneten. Es konnte nicht die Silhouette der Stadt sein, in der wir die Mission ausgeführt hatten, aber sie weckte trotzdem ein paar Erinnerungen... und damit auch wieder Gründe, dem Lieutenant unbedingt das Licht ausknipsen zu müssen. Die 18 Toten würden uns da ganz sicher auch zustimmen, wenn sie noch könnten. Wenn er sie nicht umgebracht hätte, wie die vielen Anderen zuvor auch schon. Noch eine letzte Zigarette? Klang mir sehr sympathisch. Ab morgen konnte ich ja wieder zu der normalen Dosis zurück rudern, auch wenn mir das wie eigentlich immer vermutlich schwer fallen würde. Nur eine Zigarette am Tag war für einen ehemaligen Kettenraucher schlicht anstrengend. Trotz den Kontras zog ich noch einmal die Schachtel aus meiner Hosentasche, nahm die schon dritte Kippe für heute heraus. Mit eben dieser zwischen den Lippen, hielt ich Aryana so halb die Schachtel entgegen. "Sicher, dass du keine willst? Letzte Chance.", nuschelte ich hinter dem Lungenkrebs fördernden Stängel hervor, den Blick dabei wieder auf ihre dunklen Augen richtend. Mehr der Höflichleit halber und weniger, weil ich glaubte, dass sie wirklich eine nehmen würde. Warum sollte sie auch, sie rauchte schließlich nicht und damit anzufangen war grundsätzlich keine gute Idee.
Sie hatte schon halb damit gerechnet, dass er aufstand und ging. so wie ihre Schwester, nachdem sie sie lange genug verscheucht und rausgeschoben hatte. Aber Victor wollte nicht gehen - nicht, bevor er ihr eine so unglaublich ungeschickte Frage gestellt hatte, die mit einem Schlag ihre Hoffnung darauf, dass er sie irgendwann vielleicht nicht mehr als die Schlampe sah, die sie war, zerschmetterte. Vielleicht wäre es besser, ihm endlich die ganze Wahrheit zu erzählen, die sie schon so lange mit sich herumtrug und die stets wie ein dunkler Geist in ihrem Hinterkopf gehangen hatte. Aber würde er das verkraften? Jetzt, wo er sich sowieso schon vor ihr ekelte? Was würde er bloss von ihr denken müssen! Und wieso? Wieso musste er jetzt fragen, jetzt, wo sie ihn schon so weit von sich gestossen hatte, jetzt, wo er ein Ja auf diese Frage niemals rational aufnehmen würde? Sie hörte die stille Bitte in seinen Worten so laut, den viel zu starken Wunsch, dass sie einfach ein simples 'Nein' erwiderte. Aber sie konnte nicht. Denn lügen war nicht ihre Stärke und er würde sowieso merken, das es nicht stimmte. Dann wüsste er die Wahrheit UND dass sie schlicht nicht dazu stehen konnte. Faye hatte sich von ihm angewandt, um mittlerweile in ziemlich panischer Verzweiflung die Leere dieses Raumes zu betrachten. "J-ja...", rang sie sich ihre Wahrheit kaum hörbar ab, in ihren Worten steckte all die Angst und vor allem Scham gegenüber dem, was er nun zwingend wusste. Sie hatte es nie jemandem erzählen wollen. Nichtmal Aryana hatte eine Ahnung von Wegen, die Faye gegangen war, um endlich wieder bei ihr zu sein. "E-es... gab... keine Optionen... du kannst.... nicht.... zur Army und wünschen... wo du platziert wirst... K-keine... tragische Geschichte... auftischen, um zu... zu deiner Schwester zu kommen... Nicht einfach... ein Bisschen betteln... und ich hatte... kein Geld... Aber der... der Einzige Grund... warum ich zur Army gegangen bin... war Aryana... Und der Einzige Weg... zu ihr zu kommen... schien das zu sein", ihre Stimme klang gebrochen, während sie ihm mühevoll beichtete, was er nicht hören wollte und sie nicht aussprechen wollte. Aber sie war noch nicht fertig, auch wenn nichts, was sie sagte, die Tatsachen irgendwie tragbarer machte. "A-aber... da war niemand... da war niemand, den das... gestört hätte... ausser mir... da war keiner sonst, den ich damit betrogen habe... Ich... ich hatte keinen... Freund... und n-nichts... Ähnliches", und das war doch ein sehr grosser Unterschied zu jetzt. Nicht, dass es den Moment unbedingt einfacher gemacht hätte. Aber hätte sie einen Freund gehabt, wäre sie nicht mit fremden Männer ins Bett gestiegen, um zu ihrer Schwester zu kommen. So ehrenlos war sie damals noch nicht gewesen. Glaubte sie. "E-es... es waren... D-Drei...", stiess sie dann noch die Antwort auf seine zweite Frage aus, rang mühsam nach Luft, weil die ganze Wahrheit sie langsam zerquetschte. Weil sie mit jeder Antwort alles noch schlimmer machte... Sie war noch tiefer in sich zusammen gesunken, falls das denn irgendwie möglich war. Hoffnungslos, gebrochen und voller Panik, sich damit für immer der Einsamkeit verschrieben zu haben, weil kleine Huren die Liebe nicht verdienten. Drei Männer, an die sie nicht denken wollte. Drei Männer, die sie in so kurzer Zeit so auf den Boden gebracht hatten. Drei Männer, die jetzt alles zu zerstören drohten, was sie hier gefunden hatte. Und sie war selber schuld, weil sie eingewilligt hatte. Weil sie das nicht hätte tun müssen. Weil niemand sie wirklich dazu gezwungen hatte. Weil sie auch zu Hause auf Aryana hätte warten können - zumindest theoretisch. Vom Gefühl her hätte sie keinen Tag länger von ihr getrennt bleiben können.
Das mochte stimmen. Aber wenn er das Arschloch erschoss und dies nicht sehr schnell passierte, stiegen die Chancen, dass Warren noch jemanden fand, der ihm half. Dass er um Hilfe rief und jemand die Pflicht, Verletzte zu bergen, wahrnehmen würde. Selbst bei ihm. Es müsste weit draussen passieren, irgendwo, wo keiner was mitbekam und niemand seine Schreie hören würde. Wobei hierbei wieder galt: Sie brauchten ein wasserfestes Alibi, um ihn als einzigen Toten zurück zu bringen. Ausgerechnet ihn. Und sie bräuchten eine unglaublich gute Idee, ihn überhaupt erst aus seinen sicheren Vier Mauern zu locken. Schwierig... „Stimmt... Aber wenn dus darauf ansetzt, möchte ich auch einen Schuss frei haben. Oder zwei - oder drei“, nannte sie mit einem kleinen Lächeln direkt ihre Bedingung. Allgemein würde sie Warren am liebsten selber töten. Aber je nach dem wozu sie sich letztendlich entschieden, spielte das dann auch keine Rolle mehr, Hauptsache er starb - bald und grausam. Mit seiner Vermutung, was ihre Kreativität anging, lag Mitch ziemlich sicher richtig. Auch wenn die interessantesten Ansätze wohl gleichzeitig die risikoreichsten und womöglich auch einfach unrealistischsten darstellten dürften. Die Vorstellung allein war trotzdem wirklich schön, entspannte ihre strapazierten Nerven ein winziges Bisschen. Als er sich den nächsten Glimmstängel zwischen die Lippen klemmte, wanderte ihr Blick zurück zu ihm. Normalerweise rauchte er nicht so viel - soweit sie sich erinnern konnte, jedenfalls. Aber sie würde ihm sicher keinen Spiegel vorhalten, es war schon schwer genug, hier überhaupt an Zigaretten zu kommen, wenn man welche brauchte oder haben wollte. Zudem zerrte dieser Krieg bei allen an den Nerven, sie fand die Sucht somit durchaus verständlich. Dann bot er ihr tatsächlich, wohl zum ersten Mal überhaupt, auch eine Kippe an. Sie hätte jedes Mal abgelehnt, bis jetzt. Hatte in ihrem Leben tatsächlich erst eine Zigarette geraucht - und nichtmal da die Ganze, weils logischerweise in den Lungen brannte, wenn man sich so ungeschickt anstellte wie sie mit Siebzehn. Nun aber streckte sie tatsächlich die Hand aus, um sein kleines Geschenk anzunehmen und es sich auch direkt von ihm anzünden zu lassen. Sie hatte nicht vor, mit dem Rauchen anzufangen. Aber nach den letzten zwei - drei - Tagen, wäre ihr alles Recht, was sie wenigstens einmal wieder runterkommen liess. „Danke“, nuschelte sie, als sie bereits dabei war, sich die Zigaretten zwischen die Lippen zu stecken. „Meine Erste seit acht Jahren“, meinte sie mit dem Anflug eines Grinsens auf dem Gesicht. Wie viel sich geändert hatte seit da... seit sie mit ihren Freunden im Schatten des Schulhauses gestanden und den Glimmstängel in ihrer Mitte seine Runden gedreht hatte. „Wie denkst du, locken wir das Arschloch am Einfachsten aus seiner Festung..?“, fragte sie nachdenklich, während sie sich wieder über die Brüstung lehnte und das Land überblickte. Denn entweder lockten sie Warren raus oder es durfte nicht wie Mord aussehen. Wenn es nicht wie Mord aussehen durfte, musste es Gift sein. Und Gift hatten sie hier sehr begrenzt zur Verfügung - sicherlich aber keines, welches sich nicht sehr einfach nachweisen liess.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Noch im selben Atemzug, in dem ich das J über ihre Lippen kriechen hörte, wünschte ich mir schon einfach nicht gefragt zu haben. Für den Augenblick machte es überhaupt keinen Unterschied, ob es nur Warren oder noch mehr gewesen waren. So oder so zerstörte es gefühlt bis ins letzte Ecke jedes kleinste bisschen von dem Bild, das ich bis jetzt von Faye gehabt hatte. Ich hatte sie nicht für ein Unschuldslamm gehalten oder dergleichen, wäre es doch viel mehr schon fast komisch gewesen, wenn sie mit einem Aussehen wie diesem bis zu unserer Zusammenkunft noch Jungfrau gewesen wäre. Aber ich hatte sie nie... dafür gehalten. Für eine Frau, die gezielt ihren Körper verkaufte, nur um dadurch Vorteile zu erlangen. Ich glaubte nicht einmal, dass sie es gern getan hatte - immerhin sah ich hier gerade deutlich genug, was nur ein einziges Mal in ihr anrichtete. Aber sie hatte es trotzdem getan. Obwohl sie sich dabei - zu recht - schlecht fühlte, spätestens beim zweiten Mal hätte wissen müssen, was sie sich damit antat... was sie damit aus sich machte. Die Erkenntnis darüber schien mich förmlich zu zerreißen und mir wurde so schwindelig, sodass ich die Augen von ganz allein wieder schloss, mit dem Bein innehielt und einfach nur versuchte, das Drehen in meinem Kopf zu stoppen. Ich legte den dröhnenden Schädel wieder in die Hände und verharrte auch einige Sekunden einfach so. Vollkommen sprachlos von dem, was sie mir erzählt hatte. Dass sie damit bisher noch Niemanden betrogen hatte interessierte mich gelinde gesagt wirklich wenig. Ganz einfach deshalb, weil sie mich betrogen hatte. Warum hatte ich eigentlich immer und immer wieder im Leben das Glück, auf Menschen zu treffen, die meine Gefühle nahmen und Freudentänze darauf ausführten? Darauf herumsprangen, als könnte ich damit leben, es verkraften? Dabei war ich im Umkreis von vielen Kilometern der wahrscheinlich anfälligste Mensch dafür, daran letztendlich noch ganz zu zerbrechen. Es wäre wohl zu schön gewesen um wahr zu sein, wenn die Beziehung zu Faye für immer so sorglos weitergelaufen wäre und ich wünschte mir gerade wirklich, niemals damit angefangen zu haben. Zwar hätte mir das auch die schönen Momente mit ihr erspart, aber ich hätte jetzt nicht hier gesessen und dabei zugesehen, wie die Welt um mich herum wieder vollkommen aus den Fugen geriet. Mal ganz davon abgesehen, dass die junge Frau mein bis jetzt schier grenzenloses Vertrauen in sie damit vollkommen erschütterte. Ich tendierte schon mein Leben lang dazu, Menschen von vornherein mein Vertrauen zu schenken und obwohl ich schon oft damit enttäuscht worden war, tat ich es immer wieder. Auch das, was die Brünette mir damit gerade antat, würde vermutlich Nichts mehr daran ändern... aber ich kam an einem Punkt an, an dem ihre Anwesenheit einfach nur noch eine Tortur für mich war. Ich wusste nicht einmal mehr, ob ich lieber Alles raus schreien, oder doch einfach nur heulen sollte. Mir war inzwischen wirklich nach beidem zu Mute. "Tu.. tut mir leid.", waren nach bestimmt gut zwei Minuten voller erdrückendem Schweigen Alles, was ich letztendlich dazu sagte. Ganz einfach deshalb, weil ich Nichts darauf zu sagen wusste. Weil es Nichts auf diesem Planeten gab, womit ich es Faye oder mir selbst hätte schön reden können, wo es doch nichts Anderes als nur hässlich war. Die Entschuldigung war einzig und allein darauf bezogen, dass ich jetzt ohne einen Blick in die Richtung der jungen Frau aufstand, um das Weite zu suchen. Weil mich die nur dünnen Blachen des Zelts zu erdrücken drohten, mir Stück für Stück mehr den Atem fernblieben ließen. Ich hielt am Eingang des Zelts noch einmal inne, drehte mich aber nicht um. "Soll ich... irgendwem Bescheid sagen?", bot ich ihr - ausnahmsweise nur der Höflichkeit halber - an, Irgendwem ein Memo zukommen zu lassen, falls sie nicht allein sein wollte. Mich durch jemand anderen ersetzen zu lassen, sollte sie die Stille im Zelt nicht ertragen können. Mein gesamter Körper stand vollkommen unter Strom, fing wieder an zu zittern und auch der Schwindel setzte wieder ein, weshalb ich mit der rechten Hand den Pfosten am Eingang umfasste, bevor ich in irgendeine Richtung kippen konnte.
Oder vier... oder fünf... es gab nicht genug Kugeln, um Warrens Schuld angemessen zu vergleichen, würde ich sagen. "Damit könnte ich vermutlich sogar leben.", sagte ich hinter der Zigarette hervor grinsend, kurz bevor sie zugriff, ihre Hand zu der Schachtel in der meinen bewegte. Aryana nahm tatsächlich eine meiner eigentlich mühsam rationierten Zigaretten, brachte mich dem Punkt, an dem ich wieder eine neue Schachtel organisieren musste, damit ein Stück näher. Naja, egal. Das Risiko war ich mit dem Angebot wohl nur unbewusst eingegangen. Jedenfalls hob ich das Zippo an, um erst ihre und dann auch meine Zigarette anzuzünden. Wieso sollte sie selbst auch ein Feuerzeug mit sich herumtragen, wenn sie nicht rauchte? Sie brauchte hier sonst keins. Es war ja auch sage und schreibe Acht Jahre her, dass sie schon einmal geraucht hatte. Ich wusste um ehrlich zu sein nicht, wie alt sie auf den Punkt genau war - interessierte mich jetzt auch nicht so brennend, war ja nicht weiter relevant -, aber das dürfte wohl, wenn ich sie in etwa richtig einschätzte, auch noch vor ihrer College-Zeit gewesen sein. Es probierte wohl jeder in seiner Jugend irgendwann mal die süße Sünde aus, etwas Verbotenes wie Zigaretten rauchen zu tun. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich mit 15 angefangen. Stolz war ich darauf nicht, wäre eigentlich sogar froh darum, wenn ich nie damit angefangen hätte, würde es meiner Lunge und meinen Arterien doch so Einiges ersparen. Ich würde schon noch aufhören irgendwann... Warrens Tod wäre ein hervorragender Zeitpunkt für die letzte genüssliche, triumphale Zigarette. Der Gedanke daran war wirklich nett, wäre vermutlich aber kaum umsetzbar. "Nur, um das klarzustellen - ich hab dir die Zigarette nicht aufgedrängt. So für den Fall, dass du später einen Sündenbock suchen solltest.", schob ich sarkastisch ein, war selbst davon überrascht, dass Aryanas Anwesenheit mir tatsächlich auch einmal gute Laune bescherte. War glaube ich tatsächlich das erste Mal, dass das in dieser Form vor kam... und das auch noch wegen der Tatsache, dass wir es uns zum Ziel gesetzt hatten, den Lieutenant aus eigener Hand zu beseitigen. Schon sehr grotesk. Ihre folgende Frage ließ mich allerdings wieder einen Moment lang schweigen und nachdenken, während mein Blick unbewusst auf den Boden zu meinen Füßen absank. Es war vermutlich für jeden von uns beiden außerordentlich schwer, Warren dazu zu bewegen, seinen fetten Arsch außerhalb der Mauern dieses Camps zu verfrachten. Denn soweit ich das sehen konnte, hatte er keinen Grund dazu, einem von uns auch nur ein winziges kleines bisschen zu vertrauen. Er wusste sehr gut, wie wenig ich ihn leiden konnte und das ich einen Scheißdreck von ihm hielt - bei Aryana war genau das Gleiche der Fall, nur mit dem Unterschied, dass sie minimal was zu sagen hatte, was ihn gewöhnlich ja aber auch nicht die Bohne interessierte. "Wird vermutlich schwierig... er kann ja weder dich, noch mich leiden. Geschweige denn, dass er einem von uns auch nur ein bisschen über den Weg traut. Schauspielerisches Talent allein reicht da vermutlich nicht...", stellte ich fest, dass mir auf Anhieb kein sinnvoller oder gar ausgefeilter Plan dazu einfallen wollte. Aber es war auch spät, der Tag lang gewesen. Richtig ernsthafte Gedanken dazu machen konnte ich mir demnach heute wahrscheinlich sowieso nicht mehr.
Warum. Warum hatte sie nach allem, was sie getan hatte, geglaubt, Victor könnte sie wirklich lieben? Trotz allem? Warum war sie auf die naive Vorstellung einer unbeschwerten Zukunft reingefallen - mit einer Vergangenheit wie ihrer? Sie war selber schuld, dass es sie zerriss, selber schuld, dass sie weinte, selber schuld, dass sie langsam zerbrach und selber schuld, wenn sie die Liebe, die sie so nötig hatte, nie wieder erlebte. Sie hatte es gewusst, schon beim ersten Mal. Es war nicht ihre Idee gewesen - natürlich nicht. Aber schon Rogers hatte ihr damals nicht unbedingt Optionen geboten. Entweder Sex - oder sie wurde nach Asien geschickt. Das erste Mal hatte sie immerhin eine Woche Bedenkzeit gehabt. Auch wenn es das nicht einfacher gemacht hatte. Sie hatte es schliesslich getan, geglaubt, dass es das dann gewesen war. Eine ganze Woche hatte sie daraufhin nur gekotzt und geheult und sich abartig und scheusslich gefühlt. Dann war es weiter gegangen. Weil Rogers gar nicht die Kompetenz gehabt hatte, sie direkt zu ihrer Schwester zu bringen - obwohl er es versprochen hatte. Sie war mit ihrer Bitte bei Miller gestrandet und Rogers musste ihm irgendwas gesagt haben, jedenfalls folgten die exakt gleichen zwei Optionen wie beim ersten Mal. Aber wenn sie diesmal Asien gewählt hätte, wären die Qualen des ersten Males alle umsonst gewesen. So tat sie es wieder, obwohl sie sich dafür immer mehr hasste, obwohl sie es durch und durch hässlich fand, obwohl sie sich vor sich selber ekelte. Und wieder kotzte und heulte sie eine Woche lang. Aber sie glaubte, es damit geschafft zu haben. Weil sie ihre definitive Platzierung bekam und die im gleichen Camp war, in dem Aryana stationiert war. Sie hatte geglaubt, dass es sich vielleicht doch irgendwie auszahlte, dass sie immerhin endlich wieder bei ihrer Schwester sein konnte. Als sie aus dem Auto gestiegen war, um den Fuss in ihr fremdes Zuhause zu setzen, hatte es noch genau zwei Tage gedauert, bis Warren sie zu sich bestellt hatte. Wie eine billige Hure, die nur hergekommen war, um seine Bedürfnisse zu stillen. Sie hatte Nein gesagt. Aber er hielt daran fest, dass er seinen Anteil bezahlt haben wollte, weil sie die Platzierung ohne ihn niemals bekommen hätte. Sie hatte wieder nein gesagt. Er meinte, dass jemand dafür aufkommen müsse und wenn sie es nicht wollte, würde er dafür sorgen, dass ihre Schwester es tat. Dann war sie eingeknickt. Und es war das Dritte Mal passiert. Und sie kotzte und weinte wieder. Aber nur in der Nacht. Denn Aryana durfte das nie erfahren. Niemand durfte es je wissen. Jetzt war es doch passiert. Und Victor war der Inbegriff dessen, was sie so panisch gefürchtet hatte. Denn sie hatte ihn damit kaputt gemacht. Sie hatte sein Bild von ihr vollkommen zerstört. Sie hatte ihn wissen lassen, dass er auf eine Schlampe reingefallen war. Eine kleine, dreckige Hure. Sie hatte sein Herz herausgerissen und war darauf herumgetrampelt, als wäre es ihr egal. Und er stand auf und ging zum Ausgang. Faye schnappte tonlos nach Luft, könnte nichts sagen, wenn sie es versuchen würde. Könnte nichts tun, wenn sie wissen würde, was zu tun wäre. Er schaute sie nicht an, entschuldigte sich und fragte, ob sie jemanden brauchte. Nein, nein bestimmt nicht. Aryana hatte sie weggeschickt und wen sollte sie denn sonst sehen wollen? Wen sollte sie als nächstes mit ihrer Ignoranz zerstören? Wer sollte als nächstes erfahren, was sie wirklich war? Niemand. Sie schüttelte den Kopf. Was er nicht sehen konnte, weil er nicht in ihre Richtung blickte. "Es... es tut... mir so leid... Victor! Ich hab... immer... gedacht, dass... dass ich die... Einzige bleiben... würde... die darunter... kaputt... geht... Ich w-wollte dir... nie, nie... nie weh tun...", gab sie erstickt von sich, versuchte mit aller Kraft, wenigstens ein Bisschen seines Schmerzes zu lindern, was sinnlos war. Aber sie konnte nicht denken... Nur versuchen. "Ich... hätte es dir... sagen... müssen... es tut mir leid...", aber wie? Wie, hätte sie es ihm sagen sollen, wenn sie es nichtmal heute wirklich geschafft hatte? Wie, wenn sie sich so sehr vor dieser Reaktion gefürchtet hatte, die nun eingetroffen war? Wie, wenn sie sich so schämte? Wie, wenn sie Angst vor der Einsamkeit hatte? Wie, wenn er und Aryana alles waren, woran sie sich klammerte? Wie, wenn sie alles waren, was sie nicht hatte verlieren wollen...? Faye sagte nichts mehr, weil es nichts mehr zu retten gab. Sie sank auf dem Bett zusammen, weil ihre Energiereserven ein definitives Ende erreicht hatten. Sie konnte nur noch weinen und sich hassen und wissen, dass sie heute mindestens genau so viel zerstört wie zurückbekommen hatte. Aber wahrscheinlich war das, was sie zerstört hatte, auch genau das, was sie vorher gewonnen hatte. Welch bitterböse Ironie.
Aryana musste Lächeln, als sie sah, dass er der Zigarette fast schon reumütig hinterher schaute. Sich wohl sofort fragte, warum er ein solch kostbares Gut ausgerechnet an sie verschwendet hatte. "Mach dir keine Sorgen kleiner Nikotinjunkie, ich besorg dir eine Neue", beruhigte sie ihn umgehend mit leichtem Sarkasmus, ehe sie an dem Glimmstängel zog und den Rauch ihre Lungen verpesten liess, während das Gift sich langsam in ihre Adern absetzen würde. Auch seine Worte liessen die Brünette grinsen und sie hob sachte die Schultern. "Das werd ich mir zum passenden Zeitpunkt gerne nochmal überlegen", erwiderte Aryana, auch wenn sie wirklich nicht vorhatte, wegen dieser einen Kippe jetzt plötzlich Raucherin zu werden. Nene, dafür hing sie zu sehr an ihrem Leben, ihrer Lunge und dem Gefühl, atmen zu können. Nur, dass sie dieses Gefühl die letzten Tage halt sowieso schon vermisst hatte und die Zigarette jetzt irgendwie gar keine Rolle mehr spielte. Seine Antwort auf ihre Frage klang in etwa so wie ihr eigener, bisher nicht vorhandener Plan. "Stimmt. Werden wir uns also noch gut was ausdenken müssen...", nickte sie vor sich hin. Aber das würden sie zusammen hinkriegen, dessen war sie sich absolut sicher. Es gab immer einen Weg, wenn man ihn wirklich finden wollte und Aryana würde nicht eher aufgeben, als dass Warren tot war. Allein dieser Gedanke liess ihr Herz höher schlagen und das war absolut keine Übertreibung. Die Klarheit, das alte Scheusal nicht mehr lange sehen und erleben zu müssen, beruhigte sie und ihre Nerven. Natürlich konnte es ihr kaum schnell genug gehen. Aber für den perfekten Plan war sie doch bereit, sich auch noch einen Moment zu gedulden. Solange Warren ihre Schwester nicht mehr anfasste. Denn falls das nochmal passierte - was sie zwar sicher nie nie wieder zulassen würde, aber leider konnte sie auch nicht immer überall sein - dann hätte sie sich nicht so gut im Griff wie heute. Dann würde sie ihn umbringen, und zwar auf der Stelle. Weil sie das auch heute schon nur sehr knapp nicht getan hatte, alles in ihr nach seinem Blut getrachtet hatte. Dieses Ekelpaket. Diese wertlose Seele. Dieser schlaffe Geist. Dieser unbrauchbarste, verabscheuenswürdigste Mensch, den sie kannte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Davon konnte ich mir jetzt auch Nichts kaufen. Ich wusste, dass sie ihre Worte ernst meinte. Dass es Faye leid tat und sie mir nicht hatte weh tun wollen. Aber das hatte sie trotzdem und auch ihre Worte konnten das, was sie so mutwillig in mir zerstört hatte, jetzt nicht einfach mal eben so richten. Der Schaden war irreparabel. Nicht Alles davon, aber doch Vieles. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen, egal wie gern sie das gerade tun würde. Ich wusste nicht, ob sie Aryana von alledem erzählt hatte, aber es würde mich doch sehr wundern, wenn sie heute noch nicht bei ihrer Schwester gewesen und zumindest von diesem Teil des großen Ganzen Wind bekommen hatte. Hieß also, dass sie zwangsläufig auch mit darunter litt. Wie konnte Faye in der Hinsicht so unfassbar rücksichtslos sein, hatte sie mir bis jetzt doch eher immer das Gegenteil bewiesen? Ich wusste nicht mehr, was ich überhaupt noch von ihr denken oder halten sollte, je länger ich darüber nachdachte. Es wurde nur immer schlimmer und das Loch in meiner Brust von Sekunde zu Sekunde noch größer. Was ich mit am allerwenigsten verstand, war die Tatsache, dass sie damit nicht einfach zu mir gekommen war. Dass sie sich lieber selbst zerstörte, als mich unter Umständen mit rein zu ziehen. Alles wäre besser gewesen, als das, was sie getan hatte. Lieber würde ich mich selbst auf hauchdünnes Eis bewegen, als zuzulassen, dass dieser Hurensohn seine Finger an sie legte. Und es war unwahrscheinlich, dass das im anderen Camp passiert war. Wo denn da? Er hatte da kein Büro oder andere private Räumlichkeiten. Auf dem Weg hierher konnte wohl auch kaum sein, immerhin setzte er nie auch nur einen einzigen Fuß allein hinter die Tore. Klar, er könnte so weit gehen, dass er darauf scheißen und die Anderen zum Schweigen zwingen würde, aber kein normaler Mensch sah bei einer Vergewaltigung zu, ohne einzugreifen. Dazu musste man entweder genauso korrupt oder unfassbar feige sein - letzteres waren die wenigsten Soldaten, sonst wären sie schließlich nicht hier, wo der Tod nur darauf wartete sie in seine Arme zu schließen. Also ja - sie hätte mir davon erzählen sollen. Sowohl von den Malen davor, als auch von... heute. Ich drehte den Kopf etwas zur Seite. Aber nicht um sie anzusehen, denn das tat weiterhin einfach nur weh. Genauso wie all ihre Worte, die immer mehr nach Betrug und Verrat zu klingen schienen, obwohl sie einfach nur versuchte, es irgendwie besser oder erträglicher zu machen. Ich hatte den Kopf nur gedreht, damit sie mich besser verstehen konnte, ich nicht von ihr wegredete. "Ich versteh' nicht... warum du nicht... zu mir gekommen bist. Alles... einfach absolut Alles wäre besser gewesen... besser als das hier.", erwiderte ich darauf nur noch mit bebendem Atem, stockender Stimme, bevor ich mich gänzlich abwandte und ohne noch länger zu warten das Zelt verließ. Ich hielt es nicht mehr aus und ihre Antwort kannte ich sowieso schon, im Grunde war sie mir in diesem Moment ohnehin vollkommen gleichgültig. Lieber wäre ich wegen Erpressung oder schwerer Körperverletzung - so schwer, dass er mindestens kastriert und gehunfähig wurde, bevorzugt einfach ab dem Kopf querschnittsgelähmt war, damit er Nichts mehr von seinem erbärmlichen Leben hatte - in den Knast gewandert oder zumindest auf Bewährung mit hoher Geldstrafe aus der Army geflogen, als das, was passiert war, geschehen zu lassen. Faye konnte sich noch hundert Mal entschuldigen und es würde trotzdem Nichts daran ändern, wie absolut beschissen und am Ende ich mich fühlte. Wie enttäuscht ich war, wie verletzt, wie verloren... Nicht mal ansatzweise wusste ich, wohin mich meine Füße eigentlich tragen sollten, während ich wie gelähmt und von den Rückenschmerzen gequält einen Fuß vor den Anderen setzte. Ich brauchte nicht ins Zelt zu gehen. Die Anderen würden womöglich aufwachen und schlafen konnte ich sowieso nicht. Jetzt noch so viel weniger als schon die letzten Tage über.
Ich würde ja verneinen... aber Nikotinjunkie war ein Wort, das mich zum jetzigen Zeitpunkt wohl ziemlich gut beschrieb. Immerhin hatte ich schon lange Zeit nicht mehr so viele Kippen hintereinander zu mir genommen. "Nah, lieber nicht... Meine Lunge wird's dir danken.", antwortete ich ebenso sarkastisch zwischen den recht ausgiebigen Zügen, bevor Aryana auch schon zu weiteren Worten ansetzte, die sie wohl ebenso wenig ernst meinte. Würde mich aber auch wundern, wenn es anders wäre. Nur wegen einer Zigarette - die ihr nicht einmal im Ansatz schmecken dürfte, so als Nichtraucher - wurde man nicht gleich abhängig. War auch besser so, weil ich sonst sicher schon den einen oder anderen guten Freund mit der Sucht angesteckt hätte. Dafür hätte sogar ich mich ein bisschen schlecht fühlen müssen. Schließlich wollte ich die paar wenigen Leute, die ich auf diesem Planeten tatsächlich leiden konnte, nicht mit Lungenkrebs ins Jenseits befördern. Wäre schön blöd. Jedenfalls schnaubte ich auf diese Worte hin nur leicht, schüttelte kaum sichtbar den Kopf, wobei meine Mundwinkel aber weiterhin leicht angewinkelt blieben. Es war einfach eine schöne Botschaft, die Cooper mir am heutigen Abend hier überbracht hatte, welche mir die Laune gleich ein wenig in die Höhe schnellen ließ. Weniger schön war natürlich, dass die ganze Mordgeschichte lange nicht so einfach werden würde, wie sie im ersten Moment klang. Denn wir waren uns wohl einig dabei, dass die Sache durchaus einige Tücken barg, die allesamt irgendwie umgangen werden mussten, wenn wir nicht hinter Gittern landen wollten. Alle eventuell möglichen Zwischenfälle mussten noch dazu auch abgedeckt werden, so gut es ging. Man konnte aber leider nicht sämtliche vielleicht eintretenden Fälle finden und vermeiden, das war schlicht nicht möglich, wenn es sich um Menschen handelte, die die Variablen darstellten. Denn ich wusste nur zu gut, wie unberechenbar die menschliche Spezies in vielerlei Hinsicht war - immerhin zählte ich in mancher Hinsicht selbst dazu. Zwar würde ich im Traum nicht auf die Idee kommen, Aryana in Hinsicht auf Warren auch nur ansatzweise an ihren Taten zu hindern oder sie gar zu verraten, das wirklich nicht. Aber... naja, da war halt immernoch die Geschichte mit dem Informationsfluss, der ein kleines bisschen in die falsche Richtung gegangen war. Allerdings war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis mich das auch einholen würde, jetzt, wo ich keine Infos mehr lieferte. "Kriegen wir schon irgendwie hin.", erwiderte ich auf die letzten Worte des Sergeants, zuckte ein wenig mit den Schultern. Ich war vollkommen zu recht sehr zuversichtlich. Wenn die junge Frau nur ansatzweise so stur war, wie ich selbst, wenn ich mir ein Ziel setzte, dann konnte das nur auf Erfolg hinauslaufen.
Verstand er es wirklich nicht? Wann hätte sie denn zu ihm gehen sollen? Als sie hierher zurückgekommen war? In dem Moment hatte sie Warren doch schon alles versprochen gehabt, was danach kam. Er hatte ihr so deutlich klar gemacht, dass sie sonst wieder versetzt wurde und er hätte es getan. Wenn Victor eingegriffen hätte, dann wäre wiederum er versetzt worden. Oder sie beide - in unterschiedliche Camps. Oder er wäre ins Gefängnis gewandert - je nach dem, wie er seine Wut zum Ausdruck gebracht hätte und wie Warren darauf reagiert hätte. Jedenfalls hätte das nichts mehr gerettet. Ganz abgesehen davon, dass sie nicht wusste, wie sie Victor hätte erklären sollen, was sie dem Lieutenant versprochen hatte. Die gleiche Frage, mit der er sie jetzt ins definitive Out befördert hatte, hätte ihr auch in einem solchen Gespräch das Genick gebrochen. Denn es lag auf der Hand, dass Warren wohl nicht einfach so aus dem Nichts mit der Idee gekommen war, sie mit einer für sie so unentbehrlichen Gegenleistung für ein kleines Bisschen Spass zu 'begeistern'. Sie brauchte nicht zu einer Antwort anzusetzen, weil sie sowieso nicht mehr sprechen konnte. Victor war weg. Begleitet von einem kraftlos gehauchten "Es tut mir leid." Denn das war das Einzige, was sie ihm immer und immer wieder versprechen konnte. Ohne Erfolg oder Aussicht auf Vergebung. Aber es war alles, was er so unbedingt wissen musste. Dass sie das nicht gewollt hatte. Dass es ihr leid tat. Dass sie hoffte, er würde bald heilen - egal ob mit oder ohne sie, denn sie ertrug den Anblick seines Schmerzes nicht, von dem sie so genau wusste, dass sie ihn ausgelöst hatte. Faye hatte das Messer nicht gesucht, welches nur Augenblicke später, nachdem Victor das Zimmer verlassen hatte, in ihrer offenen Hand lag. Sie hatte die Klinge nicht aufgemacht. Sie malte die roten Muster nicht auf ihren Arm. Und doch betrachtete sie fasziniert, wie das Blut, welches aus den feinen Schnitten quoll, ihren Körper verliess. Sich einen besseren Ort suchte, um zu bleiben. Ein weniger schmutziges, verbrauchtes Zuhause. Sie wünschte, sie könnte das auch tun. Die Hülle einfach hier lassen, um woanders hinzugehen, neu anzufangen. In einem neuen Körper auf Victor zu treffen, für ihn das zu werden, was er verdiente und niemanden sonst mehr dazwischen kommen lassen. Nicht Warren. Nicht den Krieg. Nicht ihren Egoismus, ihre Angst und ihr Eigenes, dämliches Selbst. Nur stand ihr dieser Weg nicht offen. Und darum zeichnete das Messer weitere Striche, während ihr tauber Arm Schmerzsignale aussandte, die ihr als Einzige das Gefühl vermittelten, noch irgendwie am Leben zu sein. Nachdem sie erfolgreich die beiden Menschen so abgrundtief verletzt und anschliessend vertrieben hatte, die für sie bis jetzt das Leben ausgemacht hatten.
Sie zuckte mit den Schultern. Mal schauen, wie schwer solche Kippen wirklich zu kriegen waren. Allzu sehr anstrengen würde sie sich zur Begleichung dieser Rechnung nicht, aber naja, das Geld wäre ihr jedenfalls nicht zu schade und auf die eine Packung, die sie ihm spendieren würde, kams bei seinem Konsum kaum mehr an. Nicht, dass er extrem viel rauchte. Aber wenn er ein Pack mehr auf Vorrat hatte, steigerte das seine Rauchgewohnheiten ja kaum. Schonte nur seinen Geldbeuten ein ganz kleines Bisschen und mal ehrlich - diesen Gefallen konnte sie ihm ohne mit der Wimper zu zucken machen. Sie wusste ja eh nicht, wohin mit der ganzen Kohle, die sie hier verdiente und niemals ausgeben konnte, weil sie in diesen Camps gefangen war und nie nach Hause ging. Also alles ok. Tatsächlich teilte sie auch die Überzeugung, die in seinen nächsten Worten lag. Sie hatte nicht umsonst genau Mitch und keinen anderen um Hilfe gebeten. Hatte irgendwie gewusst, dass dieser Plan mit ihm zu einem besseren Ergebnis führen würde, als wenn sie ihn allein oder mit einem nicht zu Hundert Prozent des Mordes fähigen Soldaten durchgeführt hätte. Denn sie mochte sie fast alle, die Soldaten dieses Camps - zumindest die, die sie noch kannte. Aber viele waren zu nett, zu treu, vielleicht auch zu weich oder zu feige um einem Lieutenant das Licht auszuknipsen. Mitch gehörte da nicht dazu. Er war viel mehr ebenso begeistert dabei wie sie, voller Tatendrang und ohne einen Funken Zweifel am Erfolg ihres Vorhabens. Genau so, wie er eben sein sollte. "Ich bin mir sicher, das werden wir", bekräftigte sie seine Worte nun ebenfalls, während der Glimmstängel zwischen ihren Fingern immer weiter schrumpfte. Nein - besonders toll fand sie das Rauchen jetzt nicht. Aber ihre Angespanntheit und Nervosität legte sich. Vielleicht nur Einbildung - es war ihr grundsätzlich egal, denn es tat gut. Inzwischen war es auch wirklich spät geworden und ein Blick auf ihre Uhr liess Aryana auch wissen, dass Mitternacht längst vorbeigezogen war. Sie wusste nicht, ob sie nochmal nach Faye schauen sollte. Aber wahrscheinlich schon, weil sie sich schlicht viel zu viele Sorgen machte, als dass sie jetzt einfach schlafen gehen könnte. Aryana wandte sich wieder Mitch zu, nachdem sie den winzigen Stümmel der Zigarette an der Aussenseite der Brüstung definitiv ausgedrückt hatte. "Ich denke, es ist langsam Zeit, schlafen zu gehen... Die letzten Nächte waren anstrengend und sonst kann ich Morgen nicht mehr denken. Was unvorteilhaft wäre, jetzt, wo ich mir so viele Gedanken machen sollte", wieder umspielte ein Lächeln ihre Lippen, das nur er zu deuten wusste. Ein Bisschen Hoffnung. Ein Bisschen Glaube. Ein Bisschen Wahnsinn. Sie würden das schaffen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Wie erwartet verlief die Nacht sehr ernüchternd. Ich geisterte noch eine halbe Ewigkeit mit dröhnendem Schädel im Camp umher, ließ mich irgendwann an den Fuß der Mauer sinken, nur um mit vollkommen leerem Blick den Himmel anzustarren. Keine Ahnung wie lange ich letzten Endes dort so saß und einfach Nichts tat, außer viel zu vielen Gedanken nachzuhinken, die mir die Situation auch nicht angenehmer machten. Auch merkte ich nicht, dass ich dabei irgendwann doch noch einschlief. Nicht, weil ich plötzlich Ruhe fand, sondern weil mein vor sich hin vibrierender Körper am Ende der Fahnenstange ankam. Nicht mehr konnte und der Müdigkeit erlag, die mich schon seit Tagen vehement verfolgte und jetzt eingeholt hatte. Ich wachte auch erst wieder auf, als ich den morgendlichen Weckruf zu Ohren bekam. Gezwungenermaßen legte ich dann einen halben Sprint bis zum Zelt hin, um mich fertig zu machen und trotzdem noch pünktlich zu sein. Das waren die einzigen paar Minuten, in denen ich Dank der Hektik kurzzeitig einen freien Kopf hatte. Die folgenden zweieinhalb Wochen waren, wie zu erwarten gewesen war, die reinste Tortur. Immer gejagt von dem Pseudoschmerz in meinen Narben und dem immer schwerer werdenden Kopf, der sich einfach nicht ausschalten lassen wollte. Ganz gleich, wie viel ich trainierte oder ohne die Anwesenheit der Schmerz auslösenden Person auf Außeneinsätze unterwegs und damit beschäftigt war. Ich wollte Faye verzeihen... wollte ich wirklich, aber jedes Mal, wenn ich sie sah, versetzte mir das weiterhin unangenehme Stiche in der Brust, die ich einfach nicht zu beseitigen wusste. Ich vermisste sie. Ihre Nähe, die Gespräche mit ihr, den süßen Duft, der mir immer in die Nase gestiegen war, wenn sie sich an mich gelehnt hatte. Jede noch so winzige Kleinigkeit. Aber ich schaffte es einfach nicht, fand keinen Weg, die Geschichte ruhen zu lassen.. und das Alles, obwohl mir inzwischen wirklich bewusst war, dass es die junge Frau ebenso quälte wie mich. Ich sah es in ihren Blicken, ganz gleich wie kurz diese in der Regel ausfielen. Dass sie es bereute, dass sie mir nicht hatte weh tun wollen, alles, was sie mir schon bei ihrem Geständnis gebeichtet hatte. Aber ich fand den Schalter nicht, den ich umlegen musste, damit ich auch nur ansatzweise wieder auf die selbe Ebene mit ihr kommen konnte, auf der wir uns vorher bewegt hatten. Ich war doch relativ froh, dass ich mir auf der Hinfahrt zum Einsatz an diesem Nachmittag nicht den Wagen mit Faye teilen musste. Es war nicht mehr so anstrengend für mich wie noch vor zwei Wochen mich in ihrer Nähe aufzuhalten, aber komisch war es noch immer. Es musste etwa gegen 14.30 Uhr sein, der schlimmste Teil der Mittagshitze war damit schon vorüber gezogen. Trotzdem würde es mit dem anhaltenden Schlafmangel anstrengend werden, sämtliche Kräfte für den Brunnen zu mobilisieren, der unsere Mithilfe erforderte. Andererseits würde es mich vielleicht ein wenig ablenken, wenn ich mal keine Waffe in der Hand hatte, sondern mich anderweitig körperlich verausgaben konnte. Nur die Pistole würde weiter ihr Dasein in meinem Holster fristen, so wie sie es eben immer tat. Als der Wagen schließlich an der Baustelle hielt und ich mit den Anderen ausstieg, blendete mich sofort das grelle Licht der Sonne, die heute besonders unbarmherzig zu sein schien, weshalb ich die Mütze gleich noch ein wenig tiefer ins Gesicht zog. Der Bauleiter war schon vor Ort, erklärte uns erst einmal nur grob, was zu tun war. Für mich gab es wohl fast nichts Beruhigenderes, als eine gute alte Einweisung.
Wieder nickte ich ein wenig, weil sie schlicht Recht hatte. Wir brauchten den Schlaf, damit die Gehirnzellen ordnungsgemäß in Reih und Glied standen, um voll funktionsfähig zu sein. Deshalb verabschiedete ich mich nur noch mit einem zustimmenden "Ja... schlaf gut.", von Aryana, kurz bevor sie auch schon über die selbe Treppe verschwand, mit der sie hier rauf gekommen war. Ich rauchte nur noch die Zigarette zu Ende und machte mich dann ebenfalls auf den Heimweg - falls man das so nennen konnte -, um mir eine Mütze voll Schlaf abzuholen. Am folgenden Tag weigerten sich unser beider Gehirne noch ziemlich strikt dagegen, eine gute Lösung für unser Problemkind zu finden. Es war sogar noch schwieriger, als ich angenommen hatte, so wenig Spuren wie nur irgendwie möglich zu hinterlassen, gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, dass irgendeine Form von Fremdeinwirkung der Fall war. Doch schon einen Tag später wendete sich das Blatt sehr zu meinen Gunsten. Auf einem morgendlichen Außeneinsatz, bei dem ich mit zwei weiteren Soldaten als Wachposten auf einer Anhöhe hinter ein paar Felsen inmitten von nervigem Gestrüpp positioniert wurde, sagte uns dort ein Tierchen guten Morgen, von dem wir Alle reflexartig Abstand nahmen. Nicht, weil es beißen könnte und wir uns vor den Zähnen an sich fürchteten, nein. Sondern weil das Gift, dass einem dabei injiziert wurde, unbehandelt in mindestens 95% aller Fälle tödlich verlief. Selbst, wenn man es überleben sollte, war die Wahrscheinlichkeit auf schwere Folgeschäden in der Bissregion vermutlich ebenso hoch, wie der Tod selbst. Ich war demnach froh, dass das Tier lediglich das Weite suchte, statt sich mit uns anzulegen, aber trotzdem auch unfassbar dankbar für den Besuch. Denn die über einen Meter lange Schlange konnte der Schlüssel sein. Es war eine hochgradig giftige Viper. Eines der sehr wenigen Tiere, das in dieser kargen Landschaft überlebte und dabei eine unfassbar effiziente Todeswaffe mit sich herumschleppte. Natürlich kam ich mit dieser Idee sofort zu Aryana, als ich Zeit dazu hatte. Keinem von uns beiden fielen wirklich triftige Nebenwirkungen ein, die sich nicht irgendwie umgehen ließen, weswegen wir uns doch ziemlich schnell sicher damit waren, dass das die Art sein sollte, wie Warren seine letztem Minuten verbrachte. Sich unter Schmerzen windend, die kaum auszuhalten waren, während sich sein Körper schon innerlich zu zersetzen begann. Klang für mich nach einer sehr schönen gute-Nacht-Geschichte. Das einzige Problem stellte die Beschaffung des Gifts dar, aber auch dafür fanden wir eine brauchbare Lösung. Wenn die Army gerne Geld dazu benutzte, Leute zum Schweigen zu bringen, dann durften wir auch ohne schlechtes Gewissen - als hätte ich sowas in Hinsicht auf Warren überhaupt - einen Einheimischen bezahlen, der sich ein wenig besser mit den kleinen Tierchen auskannte und dazu bereit war, uns eines zu fangen. Der Mann Mitte Vierzig brauchte ein paar Tage dazu eine zu finden und dingfest zu machen. Ihr das Gift aus den Zähnen zu drücken, was in meinen eigentlich sehr tierlieben Augen tatsächlich ein wenig unangenehm für das kleine Ding aussah, war das leichtere Unterfangen. Er machte das zwei Mal im Abstand von etwas mehr als zwei Stunden, um möglichst viel von dem Gift an uns abliefern zu können. Sicher war sicher. Wenn wir ihn schon wirklich vergifteten, dann sollte er auch sehr sicher dabei abkratzen. Aryana kümmerte sich derweil darum ein Dokument zu beschaffen, das uns eine ziemlich gute Chance gab Warren aus der sicheren Zone zu locken. Eines, das ihm Verhandlungen mit den Einheimischen, die doch immer wieder ganz gern gegen uns spielten, weil sie uns schlicht nicht in ihrem Land haben wollten, einbrachte. Angeblich. Fand der alte Fettsack natürlich gut und freute sich wie ein Schneekönig, als er die Zeilen laß - soweit zumindest der Bericht der Brünetten dazu, ich hatte ja offiziell keinen Einblick auf den politischen Kram. Er tappte uns damit noch leichter in die Falle, als ich gehofft hatte. Heute war endlich der lang herbei gesehnte Tag gekommen, an dem ich das Arschloch loswerden würde. Nicht nur ich, nicht nur Aryana, sondern die gesamte Kompanie. Ich musste ein vorfreudiges Grinsen wirklich unterdrücken, um die Seriösität zu wahren, als er neben Cooper auf mich zukam. Ich stand schon an die Fahrertür des vorbereiteten Wagens gelehnt da, wartete nur noch auf die beiden. Ich sollte mehr oder minder offiziell nur zum Schutz mitkommen. Hatte Warren nur zähneknirschend akzeptiert, aber natürlich ausgerechnet heute waren schon alle anderen Soldaten verplant. Sei es nun als Wachposten für das Camp, auf Kontrollfahrten, beim neu Ausrüsten unseres alten Camps (ich bin mal so frei, die Spezialeinheit zu genehmigen x'D) oder bei der Geschichte mit dem Brunnen. Alle weg, wie schaaaade.
Die nächsten Tage, Wochen, waren ganz einfach nur der Horror. Faye stellte jeden Tag mehr in Frage, überhaupt irgendwas richtig gemacht zu haben in ihrem Leben und sie zweifelte jedes Detail ihrer Entscheidung, zur Army gegangen zu sein, an. Es war die Dümmste Idee ihres Lebens gewesen, das war ihr inzwischen mehr als klar. Aber trotzdem konnte sie nicht sagen, es rückgängig machen zu wollen - denn was sollte sie denn sonst tun? Alleine zu Hause weitere Tage, Monate, Jahre auf Aryana warten? War das wirklich eine Option? Nein, auch nicht. Und es hatte keinen anderen Weg gegeben, um hierher zu kommen, als den, den sie gegangen war. Den, der sie kaputtgemacht hatte. Und der sie nun alles hatte verlieren lassen, was sie hier gefunden hatte. Es war die reinste Tortur, Victor jeden Tag zu sehen. Denn manchmal, viel zu oft, verfing sich ihr Blick ganz von selbst in seiner Richtung, blieb voller Sehnsucht und Reue und Schuldbewusstsein an dem jungen Mann hängen. Nur um dann schnell wieder zu Boden zu wandern, sobald er sie bemerkte. Sie vermisste ihn und alles, was ihn für sie ausgemacht hatte. Seine Ruhe, seine Worte, seine Berührungen, seine Gegenwart. Aber es gab nichts, was sie tun konnte, um ihn zurück zu bekommen. Alles, was ihr übrig blieb, war, seine Grenzen zu respektieren, während sie nächtelang wach auf ihrem einsamen Bett lag und sich alleine fühlte, während sie sich hasste, sich eklig fühlte. Und weinte. Und kotzte. Und weinte. Aryana war jeden Abend bei ihr. Setzte sich zu ihr aufs Bett, ging einige Runden durchs Camp mit ihr oder sorgte schlicht mit ihrer blossen Anwesenheit dafür, dass Faye nicht in ihrer bedrückenden Einsamkeit versank. Aryana war nicht der Typ Mensch der grossen Worte und sehr oft hatte sie keinen Einzigen tröstenden Spruch an Lager. Sie hatte zweifellos mitbekommen, was mit Victor passiert war, äusserte sich aber kaum je zum Thema, weil sie kaum wusste, was sie dazu sagen sollte. Aber Faye war froh, dass sie hier war, obwohl auch ihrer Schwester, egal wie gut diese ihre Gefühle zu verstecken wusste, deutlich anzumerken war, wie sehr Fayes Fehlentscheide sie mitnahmen. Trotzdem war sie froh, immerhin einen Menschen noch nicht von ihrer Seite vertrieben zu haben. Es half ihr dabei, nicht zu oft plötzlich die kühle Last des Messers in ihrer Hand zu wiegen, um frische Muster auf ihren Arm zu zeichnen. Und doch tat sie es immer wieder. Obwohl sie es vorher nie gemacht hatte. Schon so viele Tiefpunkte in ihrem Leben erreicht hatte, ohne dabei je so tief gesunken zu sein. Denn noch nie hatte sie sich so sehr selber für ihr Leid verantwortlich machen müssen, wie diesmal. Noch nie hatte der psychische Druck einer Umgebung so schwer auf ihren Schultern gelastet. Noch nie hatte sie jemanden, der ihr so wichtig geworden war, nur verloren, weil sie selber so falsch gehandelt hatte. Und da war auch noch was anderes, wer anderes, dessen Anwesenheit sie jeden Tag langsam auffrass. Warren liess sich gegen aussen nichts anmerken, natürlich, aber wenn keiner es sah, schienen seine Blicke sie förmlich auszuziehen. Sie wusste, dass er es nur tat, um sie zu verunsichern, weil er sich einen Spass aus ihrer Panik machte. Aber es machte sie kaputt, zu wissen, dass er sie immer als seine kleine Schlampe sehnen würde. Dass er wusste, was sich unter ihren Kleidern verbarg, auch wenn sie es ihm freiwillig gezeigt hatte. Ihr war dank ihm, seinen Blicken und diesen Erinnerungen so oft so schlecht, dass sie seit zweieinhalb Wochen kaum mehr anständig essen konnte, dass sie andauernd kotzte, vor allem nachts. Und er machte einfach weiter. sah sich voller Genugtuung mit an, wie Victor sich so offensichtlich von ihr distanziert hatte und sie vollkommen neben sich stand - ohne Aussicht auf Besserung. Der Auftrag mit dem Brunnen hatte eigentlich nicht so schlecht geklungen. Alles, was ein Bisschen Ablenkung aber höchstwahrscheinlich keine Toten versprach, war eine gute Idee. Bis sie gehört hatte, dass Victor mit von Partie sein würde, jedenfalls. Ab da hatte es eher wenige noch nach Ablenkung geklungen, sondern eher nach einer weiteren Prozedur, die sie heute Abend vollkommen ausgelaugt und kaputt unter die Decke kriechen lassen würde. Sie waren in zwei Autos hergefahren - also zu Acht - und erreichten die kleine Baustelle am Rand des Dorfes nach etwa zwanzig Minuten Fahrzeit. Nachdem der Mann, der sich kurzum als Bauführer vorgestellt hatte, ihnen erklärt hatte, was sie tun sollten, machten sie sich umgehend an die Arbeit. Es klang harmlos, wenn auch anstrengend, hier nach Wasser zu bohren, weshalb die meisten die Sache wohl auch relativ entspannt angingen. Würde Faye auch tun, wenn sie sich beim Graben des Schachtes und Installieren der Pumpe nicht die ganze Zeit so zwingen müsste, nicht in die eine Richtung zu schauen, in die ihre Augen immer wieder ziehen wollten. Wann würde das denn endlich aufhören? Wie lange konnte es denn dauern, über einen Menschen hinweg zu kommen? Einzusehen, dass sie ihn verloren hatte und es nichts gab, was sie tun könnte, um ihn zurück zu gewinnen?
Es hatte ihr wirklich kaum schnell genug gehen können. Jeder Tag mit diesem ehrenlosen Bastard war die reinste Qual für die junge Brünette und es fiel ihr verdammt schwer, ihn nicht die ganze Zeit finster anzublinzeln und ihn nicht jedes Mal, wenn sie ihn erblickte, anzufallen und zu verprügeln, wie er es verdiente. Sie sah, was er mit ihrer Schwester gemacht hatte und bei jeder weiteren heissen Träne auf Fayes Wangen, schwor sie sich Rache - die lange hinfällige Vergeltung für einen Teufel wie diesen. Sie bereute es keine Sekunde, Mitch um Hilfe gebeten zu haben. Erstens, weil die ganze Mission für eine Person alleine kaum durchführbar gewesen wäre - zumindest nicht so sicher wie sie nun aussah - und zweitens, weil ihr die Idee möglicherweise nie gekommen wäre, welche er ihr wenige Tage später mit funkelnden Augen offenlegte. Tod infolge von Viperngift. Wie viel perfekter könnte ein Mord einer solchen menschlichen Schlange denn ausfallen?! Natürlich hatten auch ihre Augen sofort begeistert aufgeleuchtet, voller Entzückung bei der perversen Vorstellung, wie Warren langsam verreckte, während ihm klar wurde, dass er endlich, endlich!, den lange hinfälligen Preis für seine Gräueltaten bezahlte. Es dauerte noch ein paar weitere Tage, bis sie auch einen Plan hatten, wie sie ihn dazu brachten, sein kleines, sicheres Schloss zu verlassen. Dann mussten sie noch das Gift und die offizielle Einladung zum Gespräch mit dem Stadtrat für den Chef dieses Camps organisieren. Was sie so ganz nebenbei auch hingekriegt hatten, bei einer kleinen Mission in der Stadt. Aryana hatte den Brief nach Hause gebracht und ihn Warren vorgeworfen, so getan, als würde es sie sehr stören, ihm ein solches Papier gönnen zu müssen. Und er war ihr so leicht, so unglaublich naiv auf den Leim gegangen. Bei jedem anderen hätte man sich wohl minimal Sorgen drum machen müssen, dass er die Einladung mit der Führung anderer Camps teilte. Nicht aber bei Warren, der den Ruhm solcher Verhandlungen nur allzu gerne für sich behalten würde, um dann mit den Ergebnissen zu prahlen. Die es genauso wenig geben würde, wie ein Gespräch mit dem Stadtrat. Oder das Erleben des heutigen Abends für diesen meistgehassten Menschen, den es in Aryanas Leben je gegeben hatte. Nun war der grosse Tag jedenfalls gekommen und während alle anderen anderweitig beschäftigt waren, ging Aryana im Stechschritt neben dem Fettsack her zum Auto, an dessen Tür Mitch bereits wartete. Sie grüsste diesen mit dem offiziell distanzierten, knappen Nicken, ehe sie ihren Arsch kurzum auf den Rücksitz des Wagens schwang. Hinter Warren, damit er gar nicht erst auf die Idee kam, während der Fahrt einen Blick auf sie zu werfen. Sie liess Mitch anfahren, das Camp verlassen und die Strasse finden, die sie zu Beginn ganz nach Plan in Richtung Stadt führte. Warren redete irgendwas vor sich hin, von wegen entspannend und schön und blahblah, Aryana blendete seine penetrante, verhasste Stimme sehr erfolgreich aus, während sie hinter seinem Rücken konzentriert dabei war, mit ruhigen Händen das Gift aus der Ampulle in die Spritze zu ziehen. Als sie fertig war, blickte sie wieder nach draussen, schaute sich vorsichtig in der ganzen Umgebung um, bis sie sicher war, dass sie weit und breit alleine waren. "Ich denke nur, sie sollten diese Chance jetzt nicht vermasseln, Lieutenant. Wenn sie Ihren Ruf nach allem, was passiert ist, noch retten möchten, ist das der wohl beste Weg das zu tun. Also geben Sie sich ein Bisschen Mühe und machen Sie ein einziges Mal ihren Job richtig", fiel sie dem Schwachkopf ins Wort, was zugleich das Zeichen für Mitch war, dass die Zeit ihrer Meinung nach gekommen war. Und ja, solche Worte hatte sie ihm in ihrem Leben noch nie vor die Füsse gespuckt, weil sie dazu schlicht zu respektvoll war - meistens. Ausser vor zweienhalb Wochen und heute. Jetzt brauchte Mitch nur noch an der richtigen Stelle einen klitzekleinen Motorschaden zu simulieren und es wäre endlich soweit. Er würde endlich bezahlen. Er würde endlich sterben. Sie würde sein Gesicht nie wieder sehen müssen. Seine nervige. dämliche. Stimme. nie. wieder. hören.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Die Arbeit war an sich sehr simpel. Sechs von uns sollten dabei helfen die überflüssige Erde, die durch das Bohren entstand, abzutransportieren und einige Meter weiter einen Haufen daraus zu machen, damit das Zeug nicht im Weg war. Der Rest des Trupps war für das Sichern der Umgebung da. Zwar sollte der IS selbst kaum einen Grund dazu haben, uns hier am Graben eines Brunnens zu hindern, aber es gab ja auch den einen oder anderen Einheimischen, der wenig begeistert von uns war. Gerade in den kleineren Dörfern war das noch öfter der Fall, als in den Städten. Bei letzteren waren die Menschen meist eher dankbar dafür, dass wir ihnen mit Patrouillen halbwegs sichere Bereiche frei hielten, die damit nicht vom IS überrannt werden konnten. Aber die Dörfer waren seltener auf unsere Hilfe angewiesen und die Einwohner demnach skeptisch, inwiefern die amerikanische Armee einen Nutzen - und nicht nur Tote - mit sich brachte. Ich beteiligte mich mit entsprechenden Arbeitshandschuhen daran, mittels der Schubkarren und Schaufeln die Erde bei Seite zu schaffen, machte mir dabei gerne die antrainierten Muskeln zu Nutze - für Irgendwas mussten sie ja gut sein -, während sich ein Techniker selbst um das Bedienen des Bohrers kümmerte. Ich mied Fayes Augen dabei ganz bewusst, wobei ich mich dennoch nur schwer auf diese eigentlich einfache Arbeit konzentrieren konnte. Zwangsweise kamen wir immer mal wieder aneinander vorbei und jedes einzelne Mal war es pure Kunst, was das in mir auslöste. Einerseits vermisste ich eben genau diese Nähe, andererseits war sie mir aber doch auch wieder zu nah, um mich dabei wohlzufühlen, hatte sie mir doch einfach zu weh getan, als das ich es mal einfach eben so wieder über Bord werfen und vergessen konnte. Wahrscheinlich würde es noch eine halbe Ewigkeit dauern, bis ich mich ihr gegenüber wieder normal verhalten konnte, sei es nun rein platonische Freundschaft oder gar wieder mehr. Ich kam erst aus diesem niemals endenden Gedankenstrudel heraus, als ich hinter mir lauter werdende Stimmen vernahm. Erst einer, dann aber sogar zwei der einheimischen Mithelfer, fingen an mit einem der Wache schiebenden Soldaten zu diskutieren. Brian, wie mir bewusst wurde, als einer von ihnen ihn an der Schulter anstieß und seinen Kopf dabei leicht nach hinten und zur Seite drehte. Er blieb weiterhin ruhig, wenn auch mit sich für ihn ungewöhnlich anhörender, ernster und auch mahnender Stimmlage. Davon ließen die beiden sich aber kaum beeindrucken, was - man munkelt - vielleicht an dem jungen Gesicht des Dunkelblonden Soldaten hatte liegen können. Fast Alle hatten inzwischen ihre Blicke in diese Richtung gewendet. Mich eingeschlossen, was mir auffallen ließ, dass Faye sich durch ihre Arbeit unweigerlich näher in deren Richtung bewegte. Trotz all dem Schmerz und dem Leid der letzten beiden Wochen löste das meinen Beschützerinstinkt aus, ließ sämtliche meiner Alarmglocken klingeln, während sich meine Augen unweigerlich weiteten, um die Situation noch besser unter die Lupe zu nehmen und zu analysieren. Was machte sie da? War sie wahnsinnig? Sie konnte sich nicht einfach so weiter in diese Richtung bewegen, was dachte Faye sich bloß dabei?!
Ich war ja fast ein bisschen nervös. Aber nicht, weil ich mit Aryana auf dem besten Weg dazu war einen Mord zu begehen und vielleicht unsicher damit war, nein. Sondern viel mehr, weil ich von Minute zu Minute euphorischer wurde. In voller Vorfreude darauf, was jetzt gleich passieren würde. Fast schon wie ein kleines Kind, das sich an Heiligabend auf seine Geschenke freute. Ich würde meines - zum Glück nur im übertragenen Sinne - gleich auspacken. Warrens Gerede ging mir zum rechten Ohr hinein und durch das andere gleich wieder hinaus. Er redete genauso viel Bullshit wie sonst auch, war meiner Aufmerksamkeit nur gerade so viel wert, dass ich im Ernstfall sofort merken würde, wenn er irgendeine Art von Verdacht hegte. Tat er aber nicht. Auch nicht, als Aryana mir das vereinbarte Zeichen gab und sein Kopf auf ihre Worte hin innerhalb weniger Sekunden hochrot anlief. Daraufhin folgte wütendes, vollkommen entsetztes Fluchen. Als würde Aryana Irgendwas sagen, was nicht der Fall wäre... witzig. Es dauerte aber gar nicht lange, bis er wieder inne hielt, weil ich das Auto gekonnt mit der Kupplung stottern ließ. Natürlich ließ ich es nicht sofort ausgehen, weil es sonst doch sehr nach einfach nur abgewürgt klingen würde. "Kannst du nicht Auto fahren?!", knurrte er dann in meine Richtung, woraufhin ich ihm zu gerne meinen Ellebogen ins Gesicht gerammt hätte. Aber ich blieb recht ruhig, Alles nur des Planes wegen. "Irgendwas stimmt da nicht.", erwiderte ich nur leicht gereizt. Würde ich in vollkommen ruhigem Tonfall antworten, wäre das für mich nämlich auch verdächtig, absolut nicht typgerecht. Wenige Sekunden später war das Auto dann, nachdem wir stetig langsamer geworden waren, ruckartig ganz aus und ich lenkte es mit den letzten Zügen auf den nicht vorhandenen Seitenstreife. Zog dort die Handbremse, weil natürlich auch die Bremsverstärkung des Pedals aussetzte. "Ich seh' nach.", seufzte ich und zog den Hebel der Motorhaube am Fußraum, bevor ich ausstieg. "Als ob du Versager das hinkriegst..!", hörte ich es noch hinter mir, als ich mit den Füßen auf dem sandigen Boden ankam. Weil Warren in seiner ganzen Art so unheimlich berechenbar war, war auch das eingeplant. Obwohl er selbst vermutlich nicht mal das Nachfüllen von Öl sachgemäß hinbekam, war er natürlich viel zu eitel, um mir diese Aufgabe zu überlassen. Viel zu besserwisserisch - ohne dabei aber wirklich Recht zu haben, versteht sich. Nachdem ich die Haube hochgezogen hatte fand sich der Lieutenant neben mir ein, warf verärgert einen Blick auf das Innenleben des Fahrzeugs, fummelte an irgendwelchen Leitungen herum, die absolut Nichts bewirken würden. Weder jetzt, noch im Ernstfall. Ich trat einen Schritt zurück, ließ ihm damit den Platz, den er sowieso haben wollte, und warf dann einen Blick zu Aryana, die inzwischen ebenfalls ausgestiegen war. Quasi als Vergewisserung, dass sie so weit war und allein ihr Blick verriet mir deutlich, dass sie mehr als bereit war. Also los. Zuerst löste ich den Verschluss des Holsters an meinem rechten Oberschenkel. Mit einem Griff auf Kopfhöhe riss ich mit der linken Hand dann an dem Kabel, das mit dem Funklautsprecher in seinem Ohr verbunden war, um im Voraus die Möglichkeit auszuschließen, dass er auf dumme Ideen kam. Auf den Lautsprecher folgte sofort ein gezielter Tritt in die rechte Kniekehle, wegen dem er gezwungenermaßen mit einem erschreckten Ausruf nach vorne wegsackte. Dabei knallte er unweigerlich mit dem Oberkörper an die Front des Wagens, was aber nicht tragisch war. Warren war nach dem Biss der Schmerzen wegen eben hingefallen, bevor wir Irgendwas gemerkt hatten und ihn auffangen hätten können. Damit waren ein oder zwei blaue Flecke ganz einfach zu erklären. Noch im selben Atemzug griff ich mit der rechten Hand nach der Pistole und hielt sie ihm ohne zu zögern an den Kopf - noch konnte er ja nicht wissen, dass ich nicht schießen würde, war also ein brauchbares Mittel, um ihn dazu zu kriegen, still zu halten. "Oh ja, du weißt ganz genau, was das ist. Also sei ein braver Junge und mach bloß keine Zicken.", zischte ich ihm nach vorn gebeugt ans rechte Ohr, während ich ihm mit der linken Hand am Genick das Gesicht an den Kühlergrill drückte. Ich brauchte nicht einmal was zu sagen, er hob die Hände zitternd von ganz allein. Plötzlich mucksmäuschenstill, weil er eine gottverdammte Pussy war, die wie auch immer überhaupt erst zu diesem Amt gekommen war. Ich verstand das bis heute nicht, würde mich Gott sei Dank aber auch schon sehr bald nicht mehr damit rumärgern müssen. Damit er bloß nicht auf den Gedanken kam, irgendeine Form von ausschweifender Bewegung zu machen, während Aryana an seinem Bein zu schaffen war, fand mein rechter Stiefel sich wieder kurz unterhalb seiner Kniekehle ein, drückte sein Bein auf den Boden. Tödlicher wäre das Gift natürlich am Hals, aber der Biss musste nachvollziehbar sein und außerdem spielte uns das sowieso in die Karten. Das Gift brauchte so länger, um seine volle Wirkung zu entfalten und sich in seinem Körper auszubreiten, er würde auf diese Weise also noch länger leiden müssen. Der Schmerz hingegen setzte trotzdem sofort ein, würde ihn von Minute zu Minute mehr den Verstand kosten. Hach, das Leben konnte so schön sein, wenn man einfach einen Scheiß auf Gesetze gab.
Zitat von Moni im Beitrag #218Ich würde meines- zum Glück nur im übertragenen Sinne - gleich auspacken.
-> ich feier den Satz. x'D _______
Die Schaufeln und Schubkarren waren schwer bei diesem harten, steinigen Boden. Aber es machte nichts. Je mehr sie sich anstrengen musste, umso weniger hatte sie Zeit, zu denken. Umso weniger hatte sie Zeit, ihn anzuschauen und das krampfhafte Abwenden seiner Blicke persönlich zu nehmen oder überhaupt zu beachten. Das war auf jeden Fall von Vorteil, sollte sie den Kopf doch besser bei der Sache haben, wie gleich darauf deutlich klar wurde. Zuerst war sie nicht mit Absicht in Brians Richtung gelaufen, hatte einfach versucht, ihre Arbeit zu machen und dabei gedanklich nicht zu weit in die gewohnt ungesunden Gegenden abzuschweifen. Dann hatte sie nach vorne geschaut, weil Brians Stimme sie zurück in die Realität befördert hatte. Und dann war ihr Blick auf das Messer gefallen, welches einer der beiden aufgebrachten Männer aus seiner Hose gezogen hatte und nun hinter seinem Rücken langsam öffnete. Brian konnte dies unmöglich sehen, weil der Zweite ihn gerade halb Arabisch, halb Englisch anfauchte, ihn somit gekonnt von der Gefahr ablenkte. Wenn sie ihn warnte, würde er niemals schnell genug verstehen, wo das Problem lag. Also ging sie näher, vorsichtig und ohne, dass die beiden Männer die immer wütender diskutierten, sie hinter sich bemerkten. Einen wirklichen Plan hatte sie nicht. Aber als ihr Blick kurz hilfesuchend umher schweifte, war auch klar, dass ausser ihr keiner die kleine aber tödliche Waffe sehen konnte. Weil die beiden der Baustelle zugewandt standen und keiner sonst gerade von dem Haufen des Aushubes zurückspazierte. Keiner ausser ihr, halt. War vielleicht dumm, näher zu gehen. Aber mit dummen Entscheidungen kannte sie sich ja bestens aus. Faye wollte gerade den Mund aufmachen, um etwas zu sagen, das die Aufmerksamkeit der Fremden auf sie gerichtet hätte, damit Brian die Gefahr erkannt und hätte ausweichen können. Da war es aber schon zu spät - der Mann riss sein Messer mit irgendeinem arabischen Ausruf hoch und Faye sprang mit einem Satz vor, um ihm von hinten in die Kniekehle zu kicken. Er knickte mit einem weiteren für sie unverständlichen Schrei ein, was dazu führte, dass sein Messer 'lediglich' eine unschöne Schneise in Brians linken Oberarm riss, während sein wütender Kollege sich sofort zu der jungen Brünette umgewandt hatte, die nun ihre Pistole gezogen hatte, um ihm den Lauf ebendieser gegen die Schläfe zu knallen. Somit dürfte der Mann immerhin kurzzeitig von dem Schlag und der daraus resultierenden Platzwunde abgelenkt sein, da sie natürlich kaum genug Schwung gehabt hatte, um ihn gleich mit einer vorübergehenden Ohnmacht auszuschalten. Gleich nach Nummer Zwei, war auch das ursprüngliche Problem mit dem Messer zu ihr herumgewirbelt. Und sie hatte nicht schnell genug reagieren können, was ziemlich plötzlich dazu führte, dass er sich auf sie stürzte und sie rückwärts in den Staub beförderte. Dort wurde Faye von einem stechenden Schmerz in ihrem linken Arm empfangen, der ihr unweigerlich einen Schrei entlockte. Die Klinge steckte in ihrem Fleisch, während der Mann weiter fluchte und schrie, über ihr kniete und ihren rechten Arm festhielt. Er zog das Messer unvorsichtig raus, was die Wunde automatisch weiter aufriss und einen weiteren Schrei seitens der Brünetten auslöste, die zappelte, als hätte sie nie gelernt zu kämpfen. Aber der Mann liess sich nicht beeindrucken, griff nach ihrer eigenen Pistole, die neben ihr in den Staub gefallen war, presste ihr den Lauf gegen die Brust und drückte die mittlerweile durchschnittlich panische Frau damit tiefer in den Boden, während er nun seinen Blick schweifen liess. Als möchte er sichergehen, dass jeder ihn sah. Dass keiner ihm etwas anhaben konnte, weil er sie sonst umbrachte. Oder vielleicht tat er es sowieso und checkte nur ab, dass alle zuschauten? Jedenfalls hatte Brian in der Bewegung inne gehalten, mit der er den Mann soeben von Faye hatte runterreissen wollen. Und auch sonst schienen alle für einen Moment still zu sein.
Oh es gab so vieles, was sie ihm gerne ins Gesicht geschrien hätte - da waren die paar Worte, die sie tatsächlich ausgespuckt hatte, ja schon fast harmlos. Nicht aber für Warren, der sich sowas leider nicht gewohnt war und sofort Rot sah. Süss. Aryana konnte das leichte Grinsen auf ihrem Gesicht nicht vermeiden, war aber auch egal, da er sie ja nicht sehen konnte. Wenig später starb dann leider auch schon das Auto. Gannnz unglücklich... Wieder fluchte Warren und wieder lächelte die Brünette stumm vor sich hin. Dummes Kind. Nichtmal jetzt schien er Eins und Eins zusammen zu zählen. Stieg stattdessen frischfröhlich mit aus, um sich den Motor anzuschauen. Haha. Als ob ein Fettsack wie er sowas schon mal von Nahem gesehen, geschweige denn repariert hatte. Aryana seufzte leise in sich hinein, wartete noch zwei Sekunden in dem Sitz, ehe sie sich ebenfalls nach draussen begab um - scheinbar die Ruhe in Person - zu den anderen zu stossen. Ihre Finger kribbelten. Ihr Herz klopfte fröhlich gegen ihre Rippen. Und ihre Nieren schütteten Adrenalin aus, als wäre es das Einzige, wovon sie lebte. Sie stand fast ein Bisschen tatenlos daneben und betrachtete mit wachsender Genugtuung, wie Mitch ihre ehemalige Respektperson dingfest machte. Als das eingetroffen war und der Lieutenant ihr einen Blick zuwarf, in dem eine Mischung aus Hass, plötzlicher Panik, Erkenntnis und Wut glänzte, schaute sie ihm das zweite Mal seit immer mit genau den Gefühlen, die sie für ihn übrig hatte, entgegen. Hass und Verachtung. Und Triumph - denn für ihn war das Spiel hier vorbei und er hatte verloren, egal wie lange er über ihr gestanden, sie zurückgedrängt und kaputt gemacht hatte. "Plötzlich nicht mehr so überlegen, hm?", raunte sie ihm kalt zu, während sie hinter ihrem Rücken den Deckel von der Spritze zog. "Ich weiss wirklich nicht, wie du darauf reinfallen konntest... Unterstreicht nur mal wieder deine eigene. verfickte. endlose. Dummheit", fuhr sie fort, kniete sich neben ihm auf den Boden, ohne, dass er bis jetzt die Chance gehabt hätte, zu ahnen, was kommen mochte. "Naja. Ist jetzt auch egal. Was ich sagen wollte ist...", sie rammte die Spritze ohne Warnung und durch die Hose in seine Haut, drückte langsam und vorsichtig das Gift in seine Blutbahnen. "Du hast verloren." Aryana hatte keinen Tropfen des kostbaren Saftes vergeudet, alles restlos in dem abscheulichen Körper dieses Monster versenkt. Sie setzte die Haube zurück auf die Spritze und steckte diese wieder ein, erhob sich, um den Staub von ihren Knien zu klopfen. Es war vollbracht. Er würde sterben. Er würde endlich sterben. Und in ihrem - vielleicht ein kleines Bisschen wahnsinnigen - Blick funkelte der Durst nach seinem Blut, der Hunger nach Rache. "Das ist für Julian. Für Faye. Für alle, die du getötet hast. Für alle, die unter dir gelitten haben. Für Mitch. Und es ist verdammt noch mal für mich. Weil du alles kaputt gemacht hast, was mir heilig war. Findest du es nicht auch so passend..? Du hast quasi dein eigenes Gift getrunken. Schlange", redete sie vor sich hin, ihre Worte triefend vor Verachtung und gleichzeitig so entspannt, als wäre eine tonnenschwere, erdrückende Last endlich von ihren Schultern genommen worden. Sie konnte ihm zuschauen, wie er langsam verreckte. Und alles, was sie dabei tun mussten, war dafür zu sorgen, dass er kein Funkgerät bekam und sonst keine allzu grosse Scheisse baute. Hatte er ja zu Lebzeiten lang genug gemacht.
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[dachte ich mir schon fast, deswegen hab ich ihn eingebaut! XD]
Ja, sie musste vollkommen den Verstand verloren haben... und es ging Alles so furchtbar schnell. Bevor ich auch nur Irgendwas hätte dagegen tun können, mischte Faye sich gekonnt in den Tumult mit ein. Es war ein von Weitem unübersichtlicher Kampf mit unfairen Mitteln. Mehr unbewusst, als dass ich mir klare Gedanken dazu gemacht hätte, war ich schon ein paar zügige Schritte in deren Richtung gegangen, einfach aus Instinkt. Es war den beiden vollkommen gleich, ob sie einem Mann oder einer Frau gegenüber standen, was die Situation schon sehr schnell klar werden ließ. Erst erwischte es Brian am Arm, der sich diesen einen Moment lang mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt, als die ersten Blutstropfen flossen. Ich konnte aus gut dreißig Metern Entfernung nur schwer sehen, wie tief die Wunde an sich war, aber es schien nicht zu tragisch zu sein. Nicht, dass er viel meiner Aufmerksamkeit gekriegt hätte, wäre es anders gewesen. Denn mein Blick ruhte fast ausschließlich auf Faye, die jetzt unter dem Messerstecher zu Boden ging. Der Schrei, der der Kehle der jungen Frau entwich, löste bei mir eiskalte Gänsehaut aus. Als ich das Messer auch noch in ihrem Fleisch stecken sah, konnte ich meine Gedanken auf absolut nichts Anderes mehr fokussieren. Es galt nur eins und das war, die junge, in dieser Position vollkommen wehrlose Frau so heil da raus zu kriegen, wie es jetzt noch irgendwie möglich war. Auf keinen Fall auch nur noch einen einzigen Kratzer mehr zuzulassen. Meine Hand wanderte unweigerlich zu der Pistole an meinem rechten Bein, wobei ich doch sehr schnell wieder inne hielt und die Hand deutlich sichtbar davon wegnahm, als das Arschloch seine Blicke in meine Richtung schweifen ließ, während er Faye ihre eigene Waffe an den zierlichen Körper hielt. Er musste woanders hinsehen und das zügig. Es war mir auch vollkommen egal, ob es moralisch vertretbar war, ihm einfach die Birne wegzuknallen. Niemand würde mich dafür wegsperren, dass ich einer Amerikanerin das Leben rettete, erst recht nicht, wenn der Moment für sie selbst so extrem aussichtslos und sie bereits verletzt war. Vielleicht gäbe es andere Lösungen für diese explosive Situation. Eine Möglichkeit, den Kerl wieder zur Ruhe zu bringen und ihn lebend herauskommen zu lassen - war für mich aber nicht relevant. Während der andere Wachposten die Hände ebenfalls schon lange von seinem Maschinengewehr genommen hatte und hob, warf ich einen Blick zu Brian. Es dauerte noch ein paar schier endlose Sekunden, bis seiner den meinen auffing und mich fragend ansah. Er musste irgendwie ganz vorsichtig wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, weil er der einzige war, der nicht ansatzweise in meiner Nähe oder Richtung stand und somit die Augen des Hauptproblems auf sich richten konnte, während der andere Typ noch benebelt von Fayes Schlag am Boden herumlag, sich den blutenden Kopf hielt. Ich machte eine kaum erkennbare, seitliche Kopfbewegung. Der Dunkelblonde deutete meinen Blick, nickte nicht wirklich sichtbar, blinzelte dabei aber einmal. Er hatte verstanden. Damit trat Brian zwei, drei Schritte zurück, was allein durch die Bewegung wieder die Augen des weiter arabisch fluchenden Kerls einnahm. Er fing an, wild mit der Pistole zwischen Brian und Faye hin und her zu zielen, vollkommen hysterisch, verlor damit ein wenig den Fokus. Meine erste und vermutlich einzige Chance. Noch im selben Moment griff ich nach meiner eigenen Pistole, während sonst scheinbar Niemand aktiv eingreifen wollte. Der Kerl bewegte den Kopf selbst glücklicherweise nur wenig bis gar nicht, drehte ihn lediglich hin und her, statt damit herum zu wippen. Meine Finger zitterten leicht als ich auf ihn zielte, bis ich einmal durchatmete - nicht lang angesichts des dringenden Handlungsbedarfs, aber tief genug, um damit die notwendige Ruhe in meine Hände zu leiten. Ich ließ den Atem entweichen, um keinerlei Anspannung in meinem Oberkörper zurückzulassen, bevor ich abdrückte. Durch den Schuss kippte der Körper des Einheimischen unweigerlich halb nach vorne und halb zur Seite, bedeckte damit einen Teil von Fayes Körper, als er leblos zum Liegen kam, die Pistole wieder in den Sand fiel. Ich selber setzte für die letzten - aber viel zu vielen! - Meter zum Sprint an, während Brian schon dabei war, die Leiche unter Schmerzen von der jungen Frau herunter zu ziehen und der Wachposten herbei geeilt kam, um den anderen Typen fest zu tackern. Es war mir auch vollkommen egal, wie das jetzt aussah. Ob Irgendjemand im Nachhinein sagen würde, ich hätte das nur getan, weil es sich dabei um die Brünette gehandelt hatte oder weiß Gott was in dieser Richtung. Je näher ich kam, desto deutlicher sichtbar wurde auch die Blutlache, die sich bereits unter ihrem Arm gebildet hatte, was mir sofort den nächsten Schock versetzte und mein Herz ein paar Schläge aussetzen ließ. Der Moment, in dem ich bei ihr ankam, mich zu ihr runter kniete, rauschte förmlich an meinem Kopf vorbei. Ließ ihn furchtbar leer werden, weil auch der Verband, mit dem ich notdürftig aus einem abgerissenen Stück Stoff meines Shirts Fayes Arm abband, so automatisch passierte. Weil es Routine, bei Weitem nicht der erste war. Aber wiederum das erste, was ich tun musste, um ein Verbluten durch die tiefe Stichwunde zu vermeiden. Genau diese Routine war es, die mich auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Faye konnte, so wie jeder Andere in dieser gottverdammten Hölle, jeden Tag sterben, wenn sie nur etwas Pech oder - so wie jetzt gerade - zu viel Mut besaß, nur um Andere zu retten. Und ich hatte Angst davor. Die Meter, die ich zu ihr hatte zurücklegen müssen, waren nur so von Angst durchtränkt gewesen. Angst davor, dass die Wunde sie, obwohl sie "nur" am Arm war, das Leben kosten könnte. Dass ich sie verlieren würde. Es zeigte mir deutlich, dass ich viel mehr Angst davor hatte, die junge Frau an irgendeinen wahnsinnigen Schützen oder Messerstecher zu verlieren, als davor, dass sie mich erneut verletzen könnte. Dass sie wieder eine Dummheit machen und erneut russisch Roulette mit meinem Herz spielen würde. Nichts konnte mir mehr weh tun, als den einzigen Hoffnungsschimmer in diesem Krieg plötzlich und völlig unvorbereitet zu verlieren. Ich hob vorsichtig ein wenig ihren Kopf, sah die junge Frau jetzt zum ersten Mal seit wirklich langer Zeit wieder richtig an. Aber nicht mit dem verletzten, verunsicherten Blick, den sie sonst immer geerntet hatte, sondern mit purer Besorgnis und Angst in den Augen. "Bist du wahnsinnig? Du kannst doch nicht einfach..!", waren die einzigen tonlosen Worte, die ich in dieser Situation irgendwie zu Stande bekam, als ich ihr mit der anderen Hand sachte über die Wange strich. Ich hielt den Blick noch für wenige Sekunden, bevor ich begann Faye vorsichtig aufzuhelfen, damit sie sich nicht mit dem blutverschmierten Arm dabei aufstützen musste. Sie musste hier weg. In Sicherheit. Zu einem Arzt, der ihre Wunde flicken konnte, bevor es zu spät war. Wo sie mir Niemand mehr einfach so entreißen konnte. Ja, Brian würde ich schon auch mit zurück ins Camp nehmen, aber ich müsste gewaltig lügen, um zu sagen, dass er dabei nur ansatzweise so viel Aufmerksamkeit wie die zierliche Brünette bekommen würde.
Mein Blick folgte dem Anzug der Spritze, als Aryana das Gift Stück für Stück in seinen Körper abdrückte. Mit jedem Milliliter der klaren Flüssigkeit wuchs die Genugtuung in meinem Kopf. Die glückliche Gewissheit, dass der Dreckskerl endlich das bekam, was er schon seit so langer Zeit verdient hatte. Sein Tod war Vieles, aber im Gegensatz zu dem der zahlreichen unter ihm gefallenen Soldaten, so absolut gar nicht sinnlos. Warren würde nie wieder die Möglichkeit dazu haben, auch nur einer winzig kleinen Fliege etwas zu Leide zu tun. Die blanke Todesangst, die schon bald in seinen Augen aufkam, ließ mich dann breit grinsen. Es dauerte nur wenige Sekunden, nachdem die Brünette das Gift in seine Adern gelassen hatte, bis der qualvolle Schmerz einsetzte und sehr schnell weiter an seinem Bein nach oben zu wandern begann. Der Lieutenant fing an, sich unter meinem Griff zu winden wie ein hilfloses, kleines Kind, das niemals auch nur im Ansatz eine Ausbildung bei der Armee gemacht hatte. Die Worte der jungen Frau hatten ihn zweifellos noch wütender gemacht, was er aber kaum mehr zum Ausdruck brachte. Alles, was darauf folgte, war nur ein unter dem Schmerz ersticktes "Damit werdet ihr niemals durchkommen..!", was seiner blanken Verzweiflung nur noch mehr Ausdruck verlieh und mich auflachen ließ. "Sind wir doch schon.", war vorerst Alles, was ich förmlich singend darauf erwiderte. Dann steckte ich die Waffe zurück ins Holster, weil ich sie sehr sicher nicht mehr brauchen würde. Ohne meinen Griff um seinen schwabbeligen Nacken zu lockern, beugte ich mich dann nach unten, um sein linkes Hosenbein nur minimal anzuheben, damit ich an das darunter liegende Messer kam. Denn ich wollte ein bisschen Spaß haben, musste vorher aber noch die Gefahrenquellen auslöschen. Waffe trug er keine bei sich, hatte sie beim Aussteigen auf dem Armaturenbrett liegen lassen, weil er eben schlichtweg dumm war. Ich nahm dann meinen Fuß von seiner oberen Wade, kurz bevor ich wieder nach dem Kabel des Funklautsprechers griff und ihn dann los ließ. Er machte sofort Anstalten sich vom Wagen abzuwenden und zu flüchten - was auch sonst, war und blieb er doch nicht mehr als ein feiges Arschloch. Warren versuchte aufzustehen, brach unter einem schmerzerfüllten Aufschrei sofort wieder ein und krabbelte anschließend wie ein fetter Käfer durch den Sand. Der Rest des Lautsprechers hing damit in meiner Hand, hatte es dem Gewicht des Idioten einfach nachgegeben und sich von ihm getrennt, als er wieder gefallen war. Ich ließ mir noch zwei Sekunden Zeit, wickelte dabei das Kabel um meine Hand - musste ja Alles seine Ordnung hier haben -, bevor ich anfing, ihm zu folgen. In aller Seelenruhe, weil er mit jeder Bewegung langsamer wurde. Klar, die gesteigerte Durchblutung beförderte das Gift nur immer schneller durch seinen Körper, machte er richtig vorbildlich hier. Unterstützte uns damit viel besser, als überhaupt nötig war und sorgte dafür, dass das Viperngift auch ja zügig zu seinen Organen transportiert wurde. Ich holte ihn ganz gemütlich gehend ein, ließ dabei das kleine Gerät in meine Hosentasche wandern und trat ihm dann ganz gekonnt in auf den oberen Rücken, was ihm den nächsten Aufschrei entlockte, die Luft aus seinen durch das Übergewicht sowieso schon beschränkten Lungen presste. Natürlich nicht so, dass er mir dabei ersticken würde, neeeeein, diesen Gefallen würde ich ihm nicht tun. "Na, wie ist das so? Jämmerlich unter Schmerzen zu verrecken und absolut Nichts dagegen machen zu können?", stellte ich ihm tief knurrend eine rein rhetorische Frage, während der Lieutenant kraftlos mit den Armen zu fuchteln begann, mein Standbein damit irgendwie beeinflussen wollte, was natürlich aber nicht mal ein bisschen funktionierte. Wenn er es überhaupt erwischte, war es mehr wie ein unsanftes Tätscheln am Stiefel, meilenweit von einem gezielten Schlag entfernt. "Jetzt weißt du endlich, was du den 1734 Soldaten angetan hast! Was sie auf sich genommen haben, nur, weil sie zu einem Hurensohn von Lieutenant wie dir nicht nein sagen dürfen!", knurrte ich weiter zu ihm runter, gab all dem Ärger und der Wut, die ich sonst zwangsweise vor ihm hatte verbergen und zurückhalten müssen, endlich Luft zum Atmen. "Und ich werde eigenhändig dafür sorgen, dass jeder, der bis heute auch nur einen Funken Respekt vor dir hatte, dich als das widerliche Stück Dreck in Erinnerung behält, das du bist. Dass jeder weiß, dass du nicht mehr als eine abartige kleine Made bist, die gerne mordet und vergewaltigt.", waren die vorerst letzten Worte, die er zu hören bekam. Denn ja, ich war doch zu neugierig geworden, um bloße Spekulation Alles sein zu lassen. Victor und Faye hatten sehr viel Abstand zueinander gehalten, sich gemieden, es hatte also mehr als vielleicht nur leicht handgreifliche Gründe, weshalb Aryana endgültig die Reißleine seines Lebens ziehen wollte, wenn Victor dadurch dermaßen "beleidigt" war. Ich wusste nicht, ob es auf Faye auch zutraf - musste ich auch nicht, um ihn deshalb nur noch mehr zu hassen und zu verachten -, aber ich hatte mich umgehört. Die wenigen Frauen unter den Soldaten gefragt, ob sie irgendwann vielleicht auch nur ansatzweise Etwas in dieser Richtung hatten über sich ergehen lassen müssen oder ob sie womöglich von einer anderen Freundin unschöne Dinge gehört hatten. Es waren sogar zwei. Leicht war es nicht gewesen, an diese Infos zu kommen, hatten doch alle darüber zu schweigen versucht. Aber früher oder später knickte jeder ein. Noch hatte ich keine Beweise, aber sämtliche Arbeits- und Büroräume auf Armeegeländen wurden - logischerweise, aber wieso sollte er daran auch denken als der Schwachkopf, der er nun einmal war - videoüberwacht. Nicht mit Ton natürlich, aber das würde auch kaum notwendig sein. Je nach Abteilung wurden Videos ein bis zwei Jahre aufbewahrt, für gewöhnlich nur eben nicht angesehen, wenn es keine Gründe dafür gab. Jetzt gab es die und Niemand würde Namen nennen oder selbst offiziell damit an die Öffentlichkeit gehen müssen, damit die Verdächtigungen ernst genommen und verfolgt wurden. Vergewaltigung war schließlich weit von einem kleinen Diebstahl oder Erpressung entfernt... und es würde kein Warren mehr da sein, der den Frauen das Leben bei dem leisesten Verdacht auf Petzen zur Hölle machen würde.