Wütend blies sich die Brünette eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, die tatsächlich die Frechheit hatte, sich aus ihrem perfekt geordneten Pferdeschwanz zu lösen. Sie kam gerade von einem Meeting mit Lieutenant Warren, ihrem direkten Vorgesetzten, der diesen Zug hier mit ihr führte, sowie einem externen Major, welcher mit den Neuankömmlingen zu ihnen gestossen war und für zwei Nächte bleiben würde, zurück. Es war die erste Lagebesprechung nach den Ereignissen des gestrigen Tages gewesen und die Ergebnisse waren frustrierend. Die Vermutungen und Gerüchte bezüglich Verräter waren zwar schon länger im Umlauf, aber wirklich glauben, hatte Aryana das alles nicht wollen. Es war einfach ein weiteres Problem in der ohnehin eher negativen Entwicklung, die dieser Krieg nach und nach nahm. Ein grosses und vor allem gefährliches Problem, welches sie nicht brauchen konnten. Zwölf Mann hatte der andere Trupp viel zu nah von diesem hier gestern verloren und es dürfte verdammt schwer werden, sie zurück zu holen - falls sie denn noch lebten. Das waren ganz genau zwölf zu viel! Zwölf Brüder, die ihre Schwestern vielleicht nie wieder sehen würden. Aber darüber wollte sie nicht nachdenken. Aryana verbannte die Haarsträhne mit einem energischen Handgriff für die nächsten zwei Minuten hinter ihr linkes Ohr und erteilte umgehend den Aufbruchsbefehl für zwölf Mann. Oder eher zwölf Mann und eine Frau, denn Faye würde mitfahren. Sie würde nach Möglichkeit keine Aktion mehr ohne Medical an Board starten, dazu war zu viel passiert die letzten Wochen. Das hier war zwar nur eine reine Kontrollfahrt, nichts Tragisches - hoffentlich. Aber man konnte nie wissen…
Dann führten ihre festen Schritte sie direkt zu den drei Neuankömmlingen, denen sie knapp und doch respektvoll zunickte. Wer sie war, brauchte die junge Frau erstmal nicht zu erklären, stand immerhin direkt auf ihrer rechten Brust. Und das Abzeichen erklärte auch, warum sie hier Befehle erteilte. „Ihr drei schliesst euch direkt euren Squads an - somit fahrt ihr selbstredend auch mit“, gab sie knapp bekannt, und bemühte sich nicht, ihre prüfende Musterung der neuen Soldaten in irgendeiner Art heimlich zu gestalten.



In den zehn Tagen, die sie bisher in diesem Land lebte, hatte sie vor allem Eins festgestellt. Es war heiss. Tagsüber jedenfalls, und im Kontrast dazu war es Nachts dann verdammt kalt. Nicht ihr Lieblingsklima. Aber angesichts der Dinge, die hier ihre Arbeit darstellten, war es wohl auch nicht nötig, zu erwähnen, dass das Wetter ihr kleinstes Problem war. Es war eigentlich nicht besonders viel passiert und sie hatte bis anhin erst einen ernsthaft Verletzten betreut, alles andere waren kleinere Leiden gewesen, die mit Medikamenten oder unkomplizierten Behandlungen behoben werden konnten. Natürlich war der Alltag insofern interessant, weil noch immer alles sehr neu und ungewohnt für die Amerikanerin war und weil sie sich trotz allem mitten in einem Kriegsgebiet befand. Aber es blieb ihr dabei doch eine Menge Zeit, über das nachzudenken, was sie abseits des Kampfes mitbekam. Und dort lag ihr Hauptfokus eindeutig bei einer einzigen, ganz bestimmten Person. Denn Faye gab es zwar nicht zu und liess sich auch nichts anmerken, aber weitaus mehr Sorgen als alle Wunden und Verletzungen der Welt, machte ihr wahrscheinlich auf ewig das Wohl ihrer Schwester. Es glich einem Wunder - einem für sie ziemlich teuren und riskanten Wunder - dass sie es genau in diesen Zug geschafft hatte, zu Aryana. Aber gleichzeitig führte es auch dazu, dass sie nicht mehr verschont blieb von jeglichem Wissen darüber, was ihre Schwester hier tat und zu was sie geworden war. Nunja, aber damit hätte sie rechnen müssen. Und sie sollte wohl dankbar sein, dass sie trotz den vollkommen ungeplanten Wegen, die sie hatte gehen müssen, um endlich wieder mit ihrer Familie vereint zu sein, immerhin noch immer das tun konnte, was sie beruflich immer gewollt hatte. Auf eine etwas andere Art, aber Rettung und Erste Hilfe, darin war sie sich treu geblieben.
Faye hatte die letzten Utensilien sorgsam kontrolliert und zurück in den Rucksack gepackt, welcher sie gleich wie immer begleiten würde. Eine Kontrollfahrt, wie so oft in den letzten Tagen. Fast schon Routine, falls sie sowas an diesem Ort jemals finden würde. Sie zog sich den Rest ihrer Uniform an, ehe der Rucksack schwungvoll seinen Platz an ihrem Rücken fand und sie zum Rest des guten Duzend Leute stapfte, welche die Ehre erteilt bekommen hatten, ebenfalls ein Weilchen durch die Wildnis zu rollen. Aryana war dabei. Und das war gut, denn wie sonst sollte Faye sie beschützen, als wenn sie immer in ihrer Nähe blieb? Immer, wenn sie dazu eingeteilt wurde, zumindest.

Und kaum hatte sie sich abgewandt und war zwei, drei Schritte in Richtung der Fahrzeuge gegangen, hörte sie hinter sich schon Warwick - sie war sich jedenfalls ziemlich sicher, dass er es war - der das Kommando übernahm. Nicht, dass er die Stellung dafür hätte, Neuankömmlinge anzumotzen oder so. Aber er machte es trotzdem und ihr entlockte das tatsächlich ein kaum sichtbares Zucken des rechten Augenwinkels. Konnte aber keiner sehen, da sie wie gesagt bereits am Gehen war. Sie mochte Warwick nicht. Er nahm sich zu wichtig und solche Leute wollte Aryana grundsätzlich gar nicht im Team. Sie gefährdeten nicht nur die Strukturen der Gruppe sondern auch jegliche Einsätze, denn eine Überschätzung der eigenen Kräfte konnte sehr böse enden. Zudem war ihr kaum je entgangen, dass er zu dem Teil ihres Zuges gehörte, der eindeutig ein Problem damit hatte, einer Frau unterstellt zu sein. Zwar absolut lächerlich, aber da stand sie gekonnt drüber. Niemand hier musste sie toll finden, solange ihre Befehle ernst genommen wurden.
Sie klemmte sich ohne weitere Diskussionen hinters Steuer eines Wagens und startete ohne Verzug den Motor. Normalerweise setzte sie sich lieber auf den Beifahrersitz, einfach, weil sie sich dabei besser auf die Umgebung konzentrierte konnte. Aber zwischendurch hatte sie doch auch mal wieder das Bedürfnis, ein Auto zu lenken, selber das Steuer in den Händen zu halten, und so war dem eben auch heute. Der Geländewagen passierte das Eingangstor und sie nickte auch den Männern am Tor kurz zu, bevor sie draussen das Tempo etwas beschleunigte, um mit dem vorderen Wagen auf Kurs zu bleiben. Sie für ihren Teil wäre ja sehr dankbar, wenn diese harmlose Kontrollfahrt genau das bleiben würde. Denn was sie jetzt am allerletzten brauchten, waren Feinde, die in ihre Gebiete eindrangen, während sie gerade dabei waren, sich neu zu formieren um endlich wieder einen Schritt nach vorne wagen zu können. Doch Aryana machte sich grundsätzlich nie irgendwelche falschen Hoffnungen. Hoffnung war eine Illusion, dieses Land die Hölle und ihre Feinde die Söhne des Teufels.



Faye hätte den Platz an der Frontscheibe neben ihrer Schwester ja bereitwillig einem Soldaten überlassen, weil sie genau wusste, dass es eigentlich nicht Ihrer war. Sie war nicht hier um zu kämpfen und auch wenn ihre Augen nicht weniger sahen als die eines Mannes, sollte sie den Prime-Seat für Beobachter auf einer Kontrollfahrt wohl nicht für sich beanspruchen. Aber da die beiden so schnell auf dem Rücksitz verschwunden waren, blieb ihr die Sitzplatzwahl erspart. Kaum waren die Türen zu, trat ihre Schwester schon aufs Gaspedal und Faye sank ein kleines Bisschen tiefer ins Leder. Nicht etwa entspannt oder so. Dazu lag ihr scharfer Blick, bei dem sich die üblichen zwei steilen Falten auf ihrer Stirn bildeten, noch immer viel zu wachsam auf der Umgebung. Jedes Mal, wenn sie die kleine Festung, die einem die Illusion der Sicherheit so prächtig vorgaukelte, verliess, spürte sie das Kribbeln im Bauch, die Aufregung im Kopf, das Adrenalin in ihren Venen rauschen. Sie mochte es nicht, nichts von all dem. Aber irgendwann würde sie sich sicher dran gewöhnen, ihre Schwester hatte es auch geschafft. Genau in deren Richtung wanderten die Augen der jungen Brünetten nun auch für einen kleinen, verstohlenen Augenblick. Denn es war genau das, was sie gewollt hatte - endlich wieder neben ihr zu sitzen. Und wenn sie die ganzen Umstände ausblendete, das Auto, in dem sie sassen, die Uniformen, die sie trugen, die Hitze, den Staub. Dann war das hier perfekt.
Schnell wandte sie sich wieder ab, bevor Faye sich in irgendwelchen trügerischen Tagträumen verlor. Ihr Blick ging für einen Moment zur Rückbank. Zu Rivera, der hinter Aryana sass und den sie damit überhaupt erst sehen konnte. Wieder überzog der Anflug eines Lächelns ihr Gesicht, ehe sie sich wieder den Fensterscheiben vor sich widmete. Das hatte sie sich noch nicht abgewöhnt, das kleine, höfliche Lächeln, das man zu Hause jedem Fremden schenkte, bloss weil man ihn ansah. Vielleicht würde es ihr auch bald aus dem Gesicht fallen, so wie den meisten anderen hier, die darauf jeweils nur verwirrt zurückschauen konnten. Aber sie war hierher gekommen, um für die Gesundheit des Zuges zu sorgen. Wenn sie niemals lächelten, wie sollten sie sich dann gesund fühlen? Sie war nicht naiv, sie wusste ganz genau, wie viel ein Lächeln kostete und wie schnell es verloren ging. Aber da sie den Preis kannte, kannte sie auch den Wert. Und der war höher.

Aryana war eigentlich gut beschäftigt mit Fahren und Aussicht geniessen. Zudem waren ihre Gedanken längst wieder zurück zu dem Meeting und den Worten des Majors gewandert, die ihr wohl erstmal keine Ruhe mehr lassen würden. Da sie aber wenn sie ehrlich war, hier und jetzt sowieso zu keiner Lösung kommen würde so ganz ohne Unterlagen und allem drum und dran, störte sie sich auch nicht daran, als Rivera - Victor - die Stille wenig später beendete. Tatsächlich entlockten seine Worte ihr sogar ein kleines Lächeln. Denn auch wenn die Brünette nun schon seit fünf Jahren bei der Army war und davon die letzten Zwei in diesem gottverdammten Krieg verbracht hatte, war sie längst nicht so abgebrüht wie der grösste Teil ihrer Mannschaft. Auch wenn sie das sehr gut für sich behalten konnte - ein Lächeln hier und da schadete ja keinem. Besonders dann nicht, wenn ihre Schwester dabei war, die sich ganz offensichtlich durchgehend Sorgen um sie machte. Aryana war nicht dumm, sie wusste schon, warum Faye hier war und sie hatte es ihr entsprechend mit allen Mitteln ausreden wollen. Aber sie hatte es nicht geschafft und jetzt setzte sie alles daran, das ganze Ausmass der Dunkelheit, die sich am Tag von Julians Tod in Aryanas Herz gekrallt hatte, vor ihrer Schwester zu verschleiern. Und wenn sie dazu öfter lächeln musste, so tun sollte, als wäre alles okay und sie vollkommen unbelastet, dann würde sie das tun. Gerade brauchte sie ja nicht mal was vorzuspielen. „Freut mich, Victor. Ich denke, bei der Arbeit bleiben wir einheitshalber beim Siezen, aber sonst: Ich bin Aryana“, sie für ihren Teil bestand kaum darauf, immer beim Nachnamen genannt zu werden. Aber auf dem Schlachtfeld wurde jeder gesiezt, was mit Victor wohl kaum anders sein würde. Wusste er aber sowieso schon, so wie sie die Akten gelesen hatte, war er nicht erst seit gestern bei der Army. „Und nein, kein Zufall sondern meine kleine Schwester, die dir jederzeit gerne ein Staubkorn aus dem Auge oder einen Splitter aus dem Finger pulen wird“, ihre Stimme war etwas sarkastisch unterlegt, als sie amüsiert in Richtung des Beifahrersitzes blinzelte, sich dann aber doch wieder vermehrt auf die Umgebung konzentrierte.


Sie fand es eigentlich ganz schön, dass er sich auch an einem Lächeln übte, anstatt sie einfach nur verwirrt anzuschauen. Das war schonmal eine positive und durchaus sympathische Reaktion, wenn man sie fragte. Faye brauchte sich anschliessend auch nicht mehr lange von der kargen, unheilvollen Gegend draussen unterhalten zu lassen, da die Stimme des Neulings kurz darauf ihre Aufmerksamkeit verlangte. Victor. Sie hätte sich schon vorher darüber informieren können, wie er zum vollen Namen hiess. Sie hätte auch lesen können, wie lange er schon bei der Army war, sein Alter, seine Funktion und wohl noch ein paar weitere Dinge. Aber Faye fand keinen Gefallen daran, den Steckbrief eines Fremden zu lesen, der davor keine Chance hatte, sich selber vorzustellen. Umso besser, wenn er dies nun direkt selber in die Hand nahm.
Nach Aryana, die für die Bemerkung zu ihrer Tätigkeit ein halbherziges Augenverdrehen erntete, beschloss auch Faye, sich vorzustellen. „Faye. Aber Staubkörner spülst du besser selber mit Wasser aus“, sie warf erneut einen, von verschmitzt gehobenen Mundwinkel begleiteten, Blick auf den Rücksitz, nickte Victor zu. „Ich bin erst seit zehn Tagen hier, ich weiss noch nicht, wie das geht“, fügte sie dann fast schon triefend ironisch hinzu. „Und was hat dich zu uns verschlagen? Deine Schwester hab ich jedenfalls noch nicht kennengelernt“, fragte Faye unverblümt weiter, mit ihrer noch nicht ganz dem Umfeld angepassten Offenheit. Wenn er das nicht sagen wollte, dann brauchte er ja nicht zu antworten. Ein relativ einfaches Spiel.

Einen Moment blieb das entspannte Lächeln noch auf ihrem Gesicht wie ein langsam verblassender Schatten, dann kehrte dort wieder die sehr fokussierte Konzentration ein, die man bei ihr doch meistens beobachten konnte. Die Erklärung, die Victor auf Fayes Frage hin gab, könnte sie innerlich wohl mit einem vollkommen zustimmenden ‘Amen’ unterschreiben. Äusserlich erntete er lediglich ein versonnenes Nicken. Dafür war sie immerhin das beste Beispiel. Sie hatte nie vorgehabt, in den Krieg zu ziehen, bis Julian diesen Plan bekannt gab. Und jetzt, wo sie hier war, konnte sie nicht mehr nach Hause, weil sie niemals wieder ruhig schlafen würde, bis sie sich sicher war, genau den Menschen in die Hölle geschickt zu haben, der ihren Bruder getötet hatte. Aber wie sie den jemals finden sollte, war eine Frage für sich. Genauso wie sie tief in sich ganz genau wusste, dass sie auch dann nicht ihren Frieden haben würde, wenn sie ihre Familie gerächt hatte. Das waren die Gedanken, die sie gerne verdrängte, so wie sie es auch jetzt wieder tat und immer wieder tun würde. Sie hatte nicht vor, auch nur ein Wort ihrer Geschichte mit den beiden Männer in diesem Auto zu teilen. Die wahre Motivation hinter ihrer verbissenen Art zu kämpfen, ging keinen was an und es gab sehr wenige Männer, die überhaupt davon wussten, dass Julian ihr Bruder gewesen war. Damals, als er noch hier war, war das kein Geheimnis gewesen. Aber über die letzten beiden Jahren hatten sich die Mannschaften im Camp gut erneuert und es waren kaum mehr Leute hier, die das Drama mitbekommen hatten. Und die wenigen, die es wussten, würden sich hüten, die Information weiter zu teilen, irgendwie ein falsches Licht auf die Motive und Absichten der jungen Brünetten zu werfen. Dafür hatten viele von ihnen ihr zu viel zu verdanken, denn Aryana war keine schlechte Anführerin. Auch wenn das bestimmte Leute noch immer anders sahen.
Sie überliess es also bereitwillig ihrer Schwester, das Gespräch weiter zu führen und schwieg vorerst eine Weile. Draussen war es ruhig. So wie eigentlich immer, wenn man sich nicht zu weit vor traute. Das Tempo war gleichbleibend mal etwas schneller und wieder etwas langsamer, je nach Terrain. Sehen tat man nichts. Nichts als Felsen, Wüste, Sand, Staub, halb vertrocknete Felder und Büsche, in der Ferne ein verlassenes, zerbombtes Dorf. Sie hatte vergessen, wie sich was anderes anfühlte. Frische Luft, Ozeanbrisen, Ein Wald nach Regen. Man vergass es so schnell, wenn man immerzu hier war..



Es war offensichtlich, dass er für einen Moment eigentlich lieber nicht geantwortet hätte. Und bei dem was dann kam, bereute sie auch fast ein Bisschen, die Frage überhaupt gestellt zu haben. Vier Jahre war er zu Hause gewesen, vier Jahre um zu heilen, zu vergessen, um wieder normal zu werden. Und dann kam er einfach zurück. Da lagen eine ganze Menge Untertreibungen und Geheimnisse hinter seinen Worten, die er wohl nicht teilen wollte, so viel war klar. Sie wollte nicht, dass ihre Schwester darauf nickte, als wäre sie schon in derselben Phase des Niemals-Wieder-Vom-Krieg-Loskommen. Schien so, als würde Faye sie zu Hause anbinden müssen, wenn sie sie erstmal wieder in die Heimat gezerrt hatte… „Das klingt nicht so schön…“, murmelte sie mehr zu sich selber, stellte vorsichtshalber auch keine weiteren Fragen mehr, deren Antworten er nicht formulieren und sie nicht hören wollte. Wobei auch seine Frage dann etwas zu viele Informationen für eine umfangreiche Antwort verlangte.
„Ja, ich bin ihr kürzlich nachgezogen, sobald ich meine Ausbildung und das Training bei der Army beendet hatte“, erklärte sie schliesslich einfach schlicht mit einem kleinen Lächeln, als wäre das alles, was es dazu zu sagen gab. Verschwieg komplett, warum Aryana hier war. Warum sie nicht nach Hause kam. Warum Faye sie nicht mehr hatte alleine lassen können. Warum sie in den Krieg gezogen war, obwohl der ewige Konflikt irgendwie das war, was dem harmoniebedürftigen Kind der Sonne am meisten fern lag. Das waren Geschichten, die man nicht einfach erzählte. Vielleicht wäre sie offen genug, sie mit Victor zu teilen, wenn sie ihn etwas besser kannte. Aber sicher nicht, wenn dabei noch Mitch hinter ihr sass, dem das ganze Gespräch ganz offensichtlich nicht zusagte und der zur Antwort bestenfalls mit den Augen rollen würde. Nichtmal sie würde einem solch desinteressierten Menschen irgendwas über sich erzählen wollen.
Eine Weile tauchte das Auto wieder in Stille, zumindest was die Gespräche anbelangte. Keiner schien irgendwelche weiteren Details teilen zu wollen, was irgendwie verständlich war in einem Auto voller mehr oder weniger fremden Leute. Vielleicht würde Mitch ja noch seinen Teil beisteuern. Nicht.

Es war heiss und es geschah nichts. Und beinahe hätte sogar Aryana sich ein Bisschen entspannt. Wenn da nicht diese wachsende Unruhe wäre, die ihr nach und nach weiter den Hals hoch kroch und ihr sagte, dass sie verdammt gut aufpassen musste. Sie griff nach dem Funkgerät, um bei den beiden anderen Fahrzeugen nachzufragen, ob irgendwem irgendwas aufgefallen war bis jetzt. Doch kam sie nicht mal dazu, die Sprechtaste des Gerätes zu drücken, da erklang plötzlich der unverkennbare Knall eines Schusses. Auch die Brünette konnte ein erschrockenes Zusammenzucken kaum vermeiden, ehe ihr Blick sofort die ganze Umgebung abtastete, während sie mit einem Funkspruch unvermittelt die Basis wissen liess, dass sie offenbar unter Beschuss standen, sich sofort auf den Weg zurück oder in Deckung machten. Aryana liess keine Sekunde vergehen, sondern fragte mit einem weiteren Funk direkt bei den anderen Wägen nach, ob alles okay war. Und noch war alles gut. Aber mit zwölf Mann in drei Geländewägen waren sie nicht für einen Gegenangriff gerüstet, besonders dann nicht, wenn sie keine Ahnung hatten, wer und wie viel ihre Gegner gerade waren. Und darum liess sie auch den Befehl zum Rückzug keinen Augenblick warten. Vielleicht war sie zu defensiv. Aber sie war sich doch ziemlich sicher, dass die meisten ihrer Männer es schätzten, wenn sie ihr Leben einmal zu oft verschonte statt es einmal zu oft aufs Spiel zu setzen. Und kaum setzten die drei Fahrzeuge zum Wenden an, was wirklich kaum Zeit in Anspruch nahm, schien irgendwer wirklich wütend zu werden und in wenigen Sekunden wurden die Kugeln unzählbar. Sie mussten sofort von der offenen Strasse runter und Aryana drückte aufs Gas, noch bevor der Wagen wirklich abgedreht war und während sie noch immer mit dem Funkgerät beschäftigt war, das nun fast ununterbrochen sprach und Befehle ihrerseits entgegen nahm. Noch vor den anderen beiden, erreichte ihr Wagen schliesslich eine Ansammlung von Felsen, von denen es hier eine ganze Menge gab und hinter denen sie für einige Minuten in Sicherheit sein sollten. Der zweite Wagen folgte. Der Dritte nicht. Verdammt. Sie waren nicht so weit von der Basis weg, es sollte nicht lange dauern, bis Hilfe hier war. Aber wenn das Auto da draussen stand und.. ach fuck! Ihre Fahrer bewiesen sonst immer A-Klasse, also sollte er sie bitte heute nicht enttäuschen!



Im einen Moment war dies eine harmlose Kontrollfahrt. Und im nächsten? Sie hatte keine Ahnung, was es jetzt war, aber harmlos bestimmt nicht mehr. Kaum war der erste Schuss erklungen, kam ein harsch gefauchtes „Runter!“, von ihrer Schwester, das keine Widerrede duldete und sich noch energischer wiederholte, als Faye nicht direkt die gewünschte Reaktion zeigte. Daraufhin zog die Brünette aber mit einem Blick voller undefinierbaren Gefühle den Kopf ein, machte sich so klein wie möglich, sodass sie von aussen nicht mehr sichtbar war. Sie wusste, dass es nichts brachte, wenn sie oben blieb. Sie war kein Schütze, wollte auch keiner werden. Aber hier unten zu sein und nichts zu sehen, fühlte sich auch nicht unbedingt sicherer an. Aryana riss den Wagen so grob herum, dass Faye gegen die Tür gepresst wurde, während sie die Augen zudrückte, das Adrenalin durch ihre Adern schiessen spürte. Bitte keine Verluste, bitte ein sang- und klangloser Rückzug, bitte bitte nichts Schlimmes. Sie hörte, dass Aryana den Plan von einem ursprünglichen sofortigen Rückzug ins Lager zu einem sofortigen Rückzug in die Deckung einiger Felsklötze änderte. Das gefiel ihr nicht, aber was wollte sie schon sagen. Sie hörte die Schüsse, die das Pochen ihres Herzens so laut übertönten. Sie hörte auch die nahenden Motorgeräusche. Die Strasse war zu gefährlich. Und hinter diesen Felsen wären sie auch nicht lange sicher. Aber das brauchte sie nicht auszusprechen.

Wieso waren die Reifen dieser Fahrzeuge noch immer so verdammte Schwachstellen?? Das war echt nicht normal, durfte doch wirklich nicht sein! Aryana fluchte - aber nur innerlich. Sie war nicht diejenige, die hier ihren Ärger breit machte, das passte eindeutig nicht zu ihrer Position. Stattdessen blieb sie ruhig, brauchte nur Sekunden, um die Lage abzuschätzen und dazu ihre Chancen, hier alle lebend rauszubekommen.
Sie hatte die Sprechtaste des Funkgerätes beinahe wieder gedrückt, da kam die kurze Frage vom Rücksitz und für einen kurzen Augenblick trafen ihre Augen die von Mitch. Sie nickte bestimmt, hatte er ihr doch gerade quasi die Worte aus dem Mund genommen. „Sofortiger Feuerschutz, ich will keine Verluste!“, war die ziemlich klare Anweisung die ihre Lippen verliess - sowohl an Mitch und Victor, als auch an den anderen Wagen, der neben ihrem vorerst in Deckung war. Auch Victor fand kurz den Weg in ihr Blickfeld und Aryana zog die Stirn in Falten, als sie sah, dass er zitterte. Irgendwas war nicht okay. Aber es war ausgeschlossen, dass er getroffen worden war und sie hatten wirklich keine Zeit, sich jetzt um etwas anderes als Notfälle zu kümmern. Sie unterliess es, ihm ihren Befehl ein zweites Mal zukommen zu lassen, da er offenbar dabei war, genau diesem Folge zu leisten, so wie er an der Waffe in seinen Fingern hantierte. Also wurden jegliche Diskussionen auf später verschoben und die Brünette richtete sich auf ihrem Sitz auf, um die Verriegelung auf ihrer Seite des Daches zu lösen, woraufhin sich eine kleine Luke auftat. „Du behältst die Rückseite im Auge und meldest dich sofort, wenn du irgendwas siehst. Und mach dich bereit für nachher“, wies sie Faye an, ehe sie auch schon den Kopf und die Waffe durch die Luke nach draussen steckte, zielte, schoss. Immer wieder. Es würde nur wenige Minuten dauern, bis Verstärkung hier war um sie alle wieder rauszuholen. Aber ein paar Minuten konnten lange dauern, wenn die Gegner immer weiter zu dem stillstehenden Fahrzeug vordrangen, hinter dem vier Männer kauerten, die nichts tun konnten, als ab und an zurück zu schiessen.


Faye hatte Aryana die ganze Zeit über beobachtete, während sie - den Kopf schon fast auf ihren Knien abgelegt - auf ihrem Sitz kauerte. Sie tastete nach ihrer Waffe, zog sie hervor, um das kalte Metall fest zu umklammern. Sie hatte damals im Training die Wahl gehabt zwischen einer und zwei Waffen. Aber sie war nicht hier zum kämpfen und sie wollte niemanden töten. Die Pistole diente einzig und allein der Selbstverteidigung und sie hatte sie seit dem Training kein einziges Mal mehr benutzt. Faye wollte nicht, dass sich das heute änderte, aber sie konnte sich hier auch nicht einfach verkriechen und hoffen, dass ihre Kollegen das selber lösten, während sie einfach nichts tat. Ihr Blick fiel auf Victor, den sie ziemlich gut im Augenwinkel hatte, direkt hinter Aryanas Sitz. Seine Finger zitterten stärker als ihre Eigenen. Er schwitzte, in seinen Augen glitzerte sowas wie Angst. Ein Anflug von Panik. Sie wollte fragen, was er hatte, ob er Hilfe brauchte. Sie wollte ihm sagen, dass er durchatmen sollte, dass es vorbei gehen würde und dass alles gut sein würde. Aber sowas tat man nicht, insbesondere dann nicht, wenn sie selber das am Wenigsten wusste. Und er würde ihr nicht glauben, hatte doch selber so viel mehr Erfahrung im Krieg als sie - Victor wusste sehr wohl, dass jetzt alles schief gehen konnte und sie rein theoretisch in wenigen Minuten alle tot sein könnten. Die Finger ihrer freien Hand streckten sich aus, während Mitch und Aryana schon damit beschäftigt waren, aus ihrer Deckung zu feuern. Faye erreichte nur sein Knie, er sass zu weit entfernt. Doch für einen kleinen Moment blieb ihre Hand liegen und sie blickte ihn an, sagte kein Wort aber wartete, bis er ihren Blick erwiderte. Nur so kurz, wie sie es sich erlauben konnte. Dann zog sie ihre Hand zurück, richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf die entgegengesetzte Seite des Kampfgeschehens, während sie ihren Rucksack zwischen ihren Beinen bereit machte. So, dass sie sofort nach draussen stürmen konnte, wenn die Gefahr soweit gebannt war - wie ihre Schwester es ihr befohlen hatte. Sie wusste ganz genau, welche Absicht Aryana damit verfolgte. Und das war weniger die Rückendeckung, die Faye ihr mit der Beobachtung des Landes bieten konnte, als die simple Tatsache, dass Aryana noch immer mit aller Kraft versuchte, die wahre Grausamkeit des Krieges vor den Augen der jungen Brünetten zu verbergen.

Zu ihrem Glück schienen ihre Gegner sich nicht besonders gut auf diesen Angriff vorbereitet zu haben. Oder sie verfolgten nicht das Ziel, hier möglichst viele Opfer zu erzielen. Denn so weit sie das beim Eintreffen der Verstärkung beurteilen konnte, hatten ihre Männer die Attacke allesamt überlebt - was die Angreifer nicht von sich behaupten konnten. Das war dann wohl ihr kleiner Triumph, falls es einen solchen überhaupt zu feiern gab. Die Tatsache, dass sie in einem Gebiet, welches eigentlich schon ziemlich lange unangefochten von ihnen besetzt wurde, überhaupt einen Hinterhalt erlebten, fand Aryana nämlich sehr beunruhigend. Noch dazu so nahe beim Camp.
Die Schüsse wurden über die nächsten Minuten weniger und irgendwann wurde es komplett still, bis auf die Bewegungen ihrer Kollegen. Auch Aryana zog sich von ihrer Position zurück, trat zu den Felsen, um von dort aus noch einmal die Hügel auf der anderen Seite der Strasse nach Bewegungen abzusuchen. Aber es war nichts mehr zu sehen. Sie würden wieder die komplette Gegend filzen müssen, um sicher zu gehen, dass sie hier alleine waren. Das wäre eine verdammt gefährliche Aktion, denn es war nicht auszuschliessen, dass dieser Angriff genau dem Ziel gedient hatte, sie in die Hügel zu locken. Und dort wartete dann ein Minenfeld oder ein Hinterhalt auf sie, wie das so oft vorkam. Nicht bei ihrem Zug, aber bei vielen anderen, verteilt übers ganze Kriegsgebiet. Aryanas guter Riecher und die eher vorsichtige Kriegsführung, die das Überleben ihrer Truppen als oberste Priorität verfolgte, bewahrten sie meistens sehr gut vor Verlusten. Auch wenn selbst sie schon Männer an Landminen und ähnliche Fallen verloren hatte, das liess sich einfach kaum vermeiden. Zur Hölle mit diesen hinterhältigen Staubschlucker..
Nachdem sie sich einen allgemeinen Überblick über die sich wieder beruhigende Lage geschaffen hatte, sorgte sie dafür, dass so rasch wie möglich das verschossene Rad des Wagens gewechselt wurde, während Faye bei dem einzigen Verletzten zugange war. Und als all das getan war, gab die Brünette unverzüglich das Kommando zum Rückzug. Sie wollte nicht in die Hügel, nicht jetzt. Dazu brauchte sie Fahrzeuge, die besser gegen Minen geschützt waren als diese Geländewägen. Ausserdem würde sie das zuerst mit dem Lieutenant besprechen. Sie schwang sich also wieder hinters Steuer ihres Wagens, in dem sich kurz darauf wieder alle ursprünglichen Insassen gefunden hatten, sodass sie das Gefährt direkt zurück auf die Strasse in Richtung Camp lenken konnte. Und dort würde sie sich wohl oder übel mal mit Victor unterhalten müssen, weil sie doch wissen wollte, was genau beim Angriff ihn so dermassen blockiert hatte. Sie fragte nicht jetzt, weil es die anderen nichts anging. Aber sowas konnte er kein zweites Mal bieten..


Als die Schüsse weniger geworden waren und langsam Ruhe einkehrte, hatte sie nicht weiter gezögert, sondern ebenfalls endlich ihren heissen Sitz verlassen. Nur kurz wanderte ihr Blick in alle Richtungen, ehe sie zu dem alleinstehenden Wagen sprintete, hinter dem sich noch immer die vier Soldaten befanden, die dort in Deckung lagen. Einer von ihnen - Brooks - sass auf dem Boden und presste mit zusammengebissenen Zähnen seine Handfläche auf eine Wunde am linken Oberarm, aus der das Blut zwischen seine Finger durch in den heissen Sand tropfte. Ein Streifschuss - wie sich sehr bald herausstellte - und nicht weiter schlimm. Aber schmerzhaft und im Sinne des Blutverlustes doch auch gefährlich. Faye beliess es vorerst dabei, die Wunde zu desinfizieren und fest zu verbinden, um die Blutung zu stoppen. Dann warf sie dem armen Kerlchen noch eine Pille gegen die Schmerzen ein und drängte ihn so lange zum Trinken, bis er mindestens einen halben Liter Wasser runtergeschüttet hatte. Als sie sich sicher war, dass er die Rückfahrt gut überlebte und sie mit dem Nähen etc. warten konnte, bis sie zurück auf der Basis waren, schaute sie sich auch noch die anderen drei Soldaten an, die aber allesamt unverletzt waren. Pünktlich zum Befehl ihrer Schwester trat auch Faye raschen Schrittes zurück zum Wagen, in dem sie bis hierher gekommen waren, stieg zurück auf ihren Sitz zog mit einem innerlichen Seufzen die Tür hinter sich zu. Sie hatte keinen Blick aufs Schlachtfeld geworfen, so wie sie es immer vermied, wenn nicht Gefahr bestand, dass einer ihrer eigenen Männer dort lag. Sie wollte nicht nachsehen, ob nicht doch noch einer der Gegner lebte, plötzlich die Hand hob oder röchelnd um Luft rang. Denn sie würde ihnen nicht helfen dürfen. Sie einfach liegen lassen, ginge gleichzeitig doch viel zu sehr gegen all ihre Prinzipien und vor allem gegen ihr viel zu ausgeprägtes Helfersyndrom. Also war es besser, wenn sie sie gar nicht erst sah, die Bilder sie niemals in ihren Träumen verfolgen konnten. Stattdessen ging ihr Blick nun erneut auf die Rückbank, beinahe verstohlen, während Aryana dabei war, den Wagen zurück auf die Strasse zu lenken. Sie wollte wissen, was mit Victor war. Und doch hatte sie den ausgeprägten Verdacht, dass er es ihr nicht freiwillig erzählen würde. Warum auch, er kannte sie immerhin gerade mal seit ein paar Stunden. Wer erzählte schon gerne nach so kurzer Zeit, warum er beim Klang von Schüssen auf einem Schlachtfeld plötzlich Panik schob. Obwohl er freiwillig genau dahin zurückgekehrt war...

Die Rückfahrt verlief wie erwartet problemlos, alles andere wäre auch irgendwie zu viel des Guten gewesen. Nicht, dass sich ihre Gegner dafür interessieren dürften, aber die dürften auch erstmal genug auf die Schnauze bekommen haben. Was waren die auch so dumm, genau dann anzugreifen, wenn sich ihnen durch die Felsen eine so nahe Deckungsmöglichkeit geboten hatte? Dämlich. Aber für einmal nicht ihr Problem.
Zurück im Camp stellte die Brünette den Wagen dort ab, wo die Mechaniker ihn später einem sicherheitsrelevanten Schnellcheck unterziehen konnten. Sie selber stieg unverzüglich aus und überliess es der Mannschaft selber, dies auch zu tun und dann ihren bekannten Aufgaben nachzugehen, bis was Neues anstand. Aryana schloss die Tür, nachdem sie ihre Ausrüstung hinter sich nach draussen gezogen hatte und liess sich genügend Zeit dabei, die Sachen zu ordnen und die Riemen des Rucksackes über ihre Schulter zu legen. Sie wusste genau, was die beiden Herren aus ihrem Wagen gerade erwarteten, der eine wie der andere. Aber Warwicks unschuldiges Summen regte sie auf und sie wollte ihm diese Genugtuung eigentlich gar nicht gönnen. „Du hast gut gezielt, Rivera, das hab ich nicht übersehen. Was den Rest anbelangt erwarte ich dich in zehn Minuten in meinem Büro“, liess sie den Neuling mit gesenkter Stimme fast schon widerwillig wissen, als sie sich an ihm vorbei nach hinten schob. In der leisen Hoffnung, Mitch hätte es über den Klang seines nervigen Summens gar nicht erst gehört. Als ob.
Nun fanden ihre Schritte erstmal den Lieutenant, dem sie sofortigen Bericht über alle Geschehnisse erstattete. Auch über ihren Verdacht, dass das Ganze nur die Vorschau eines Hinterhalts gewesen sein könnte. In einer Stunde wurde auch direkt wieder eines ihrer liebsten Meetings angesetzt - man musste die Zeit, die der Major noch hier war, immerhin ausnutzen. Nun aber war sie erstmal befreit um sich einem anderen Problem zu widmen, wofür sie ihrerseits im Büro verschwand. Dort angekommen warf sie erstmal die Jacke über den Stuhl, auf welchen sie sich gleich darauf in Shirt und Hose mit einem Seufzen fallen liess. Es war zu heiss in dieser Hölle. Wirklich. Zu heiss für so viele Probleme.


Faye hatte den Blick sehr bald wieder abgewandt, weil es offensichtlich war, dass Victor wusste, dass jeder von ihnen seinen Patzer mitbekommen hatte. Er tat ihr leid, auch wenn sie keine Ahnung davon hatte, wo das Problem wirklich lag. Aber mit Mitch hatte er nicht gerade einen verständnisvollen Mitstreiter erwischt und es wäre eine Schande, wenn der ihm jetzt deswegen den Start im Camp noch weiter erschweren würde. Es war sonst schon nicht schön, hierher zu kommen - soweit jedenfalls ihre Meinung. Dass Victor freiwillig hier war, liess sie dabei unbeachtet, tat nichts zur Sache.
Zurück im Lager stieg sie ohne weitere Worte aus, um sich mit Brooks zum Medizelt zu begeben. Sie reinigte die Wunde ein weiteres Mal, ehe sie alles nähte und ordentlich versorgte, um eine gute Heilung zu gewährleisten. Dürfte kein Problem sein und es war auch wiederum keine grosse Sache. Der junge Soldat verliess kaum zwanzig Minuten später das Zelt wieder und auch Faye war kurz darauf mit dem Aufräumen fertig. Sie sollte irgendwas trainieren, sich beschäftigt halten in den Zeiten, die sie zwischen den Einsätzen mit Nichtstun verbrachte. Weil sie sich sonst sofort in dunklen Gedankengängen verirrte, denen sie keinen Raum schenken wollte. Somit streifte sie abermals die Reihen der Zelte hinab, auf der Suche nach Ablenkung, Arbeit oder Training.

Es dauerte ziemlich exakt zehn Minuten, bis das Klopfen an ihrer Tür erklang. Pünktlichkeit kann er also. Und das war gut, unterstrich doch nur gleich nochmal ihre Annahme, dass der gute Herr diese ganze Scheisse hier durchaus ernst nah. Kaum hatte sie ihn zum Eintreten aufgefordert, stand - oder sass - Victor ihr auch schon gegenüber. Und ein weiteres Mal begrüsste sie ihn mit einem Nicken, liess ihren Blick einen Moment auf ihm ruhen. Allerdings zog sie das Schweigen keinesfalls in die Länge. Was wollte sie hier auch unnötig jedermanns Zeit verschwenden und sein Unwohlsein noch weiter steigern? Diese Krankheit hatte sie im Gegensatz zu vielen anderen Seargeants und Führungspersonen in der Army noch nicht. Hoffentlich nie. „Erklärst du mir, was im Auto passiert ist? Nach dem ersten Schuss, der wohl - wie ich jetzt mal annehme - der Auslöser dafür gewesen war“, kam Aryana direkt zum Punkt, sass entspannt auf ihrem Stuhl und schaute ihn offen an. Nicht verurteilend oder anklagend. Sie wollte einfach nur wissen, was passiert war und wo sein Problem lag. Denn es konnte nicht wieder passieren, egal ob sie Victor nun sympathisch oder nett fand - mit solchen Aktionen konnte er die Leben von all denen gefährden, die in dem Moment auf seine Reaktion vertrauten. Und das waren zu viele, das war ein zu grosses Risiko.



Zuerst hatte ihr Weg sie zu ihrem Zelt geführt, wo auch sie die Jacke und den grössten Teil ihrer Ausrüstung abgelegt hatte. Denn wie der Nachmittag so langsam fortschritt, wurde die Hitze doch stetig drückender. Nicht mehr so stechend wie am Mittag, aber es war einfach verdammt heiss und daran gabs leider nichts zu ändern.
Nach dem kleinen Abstecher zum Zelt war ihr tatsächlich eine etwas andere Idee gekommen, wie sie sich beschäftigt halten konnte. Eine kleine Intuition, welche sich wenig später bewahrheitete und der jungen Brünetten ein klitzekleines, spitzbübisches Lächeln auf die vollen Lippen zauberte. Warum überraschte sie das nicht. Warum hatten sie ihre Schritte genau hierhin getragen und warum hatte sie gewusst, dass sie dabei nicht die Einzige sein würde? „Na sowas, genau die Ecke, die ich auch immer zum Rauchen wähle. Schätze mal, du wirst dir direkt ne Neue suchen müssen. So… genau jetzt zum Beispiel“, gab sie sich sehr bald zu erkennen, löste sich aus dem Schatten eines Zeltes und schlenderte auf Mitch zu, welchen sie mit schräggelegtem Kopf musterte. Sie hatte noch knapp mitbekommen, was Aryana zu Victor gesagt hatte, wusste daher, dass die beiden genau jetzt im Büro neben ihnen sein dürften, um eine gewisse Problematik zu besprechen. Und Mitch enttäuschte sie in ihrer Einschätzung dabei leider so gar nicht. Lauschen.. Pfpf. Warum war er nicht einfach ein Bisschen netter und fragte Rivera später einfach selber? Ihr Blick fiel für einen Moment auf die Büros hinter ihm. Hatte er vorgehabt, das Ohr an die Wand zu legen, oder wie wollte er hier draussen überhaupt ein Wort verstehen von dem, was drinnen geredet wurde? Es dauerte einen Augenblick, bis sie innerlich eins und eins zusammengezählt hatte und auf die Lüftungsschächte gekommen war. Wie dumm...

Auf ihrer Stirn bildeten sich tiefe Falten, während er sprach und während er sich zumindest äusserlich relativ entspannt gab, krampften sich Aryanas Hände unter dem Tisch zu weissen Fäusten. 32..So viele! Oh wie sie diesen Krieg verabscheute, mit all seinen grausamen Seiten, die so viel kaputt machten, so viele junge Menschen nie wieder nach Hause entliessen. Sie nickte langsam, bedächtig. Und sie wusste, dass er es ziemlich sicher nicht hören wollte, weil er es bestimmt schon tausend Mal gehört hatte. „Das mit deinem Team tut mir leid“, meinte sie trotzdem, vollkommen ehrlich, wenn ihre Stimme auch etwas belegt klang, während sie ihn offen anblickte. Sie hatte noch nie so viele auf einmal verloren. Es waren immer Einzelne in ihren Reihen, die plötzlich nicht mehr da waren. Manchmal, in den schlimmsten Fällen, ein, zwei Squads aufs Mal. Aber mehr wie Vierzehn, die sie gekannt hatte, waren in den ganzen Jahren nie gemeinsam gegangen. Selbst zusammengerechnet waren es ‘erst’ 28 in fünf Jahren. Aber auch das waren 28 zu viel und sie würde fast alles darum geben, dass nie mehr auch nur ein Einziger mehr dazu kam. Darum war dieses Gespräch hier auch wichtig, die unterstrichene Sicherheit, dass all ihre Männer genau wussten, was sie hier taten.
„Mir ist schon klar, dass ich dir nicht zu sagen brauche, dass das nie wieder vorkommen darf… Aber bitte sorg dafür, dass es so ist. Und wenn du dich nicht gut fühlst, dann melde das, bevor jemand dich in seine Überlebensstrategie einbaut. Bevor es zu spät ist. Ich lasse die Sache gut sein - wenn du mir das versprichst.“ Es war nie besonders geschickt, jemanden so quasi zu einem Versprechen zu zwingen. Aber sie wollte, dass er sie Ernst nahm, sie wollte dieses Versprechen.



Sie hatte ja nicht von jetzt geredet. Auch wenn sie natürlich tatsächlich nicht rauchte, was sie so jetzt einfach stehen liess. Bei seiner nächsten Frage hob sie fast schon im Anflug irritiert die rechte Augenbraue, nicht ganz sicher, ob er das ernst gemeint hatte. „Äh, ja, eigentlich schon?? Vielleicht ist es nicht angenehmer für ihn, aber wenigstens kann er selber entscheiden, ob er es dir überhaupt sagen möchte?“, antwortete sie, wobei er wohl sehr gut heraushörte, dass diese Antwort für sie eigentlich viel zu logisch gewesen war.
Es missfiel ihr doch sehr, dass er einfach weiter lauschte, während sie daneben eigentlich gar nichts tat. Entsprechend interessierte es ihn nämlich auch nicht im Ansatz, ob sie jetzt wusste, dass er hier ein Privatgespräch abhörte oder nicht. Sie war einzig und allein froh darüber, weit genug von ihm entfernt zu stehen, dass sie im Gegensatz zu ihm kein Wort verstand. Was Mitch weiterredete ergab zwar im ersten Moment Sinn, ethisch und moralisch korrekt war es darum aber noch lange nicht. Er konnte ihr nicht erzählen, dass er aus teils so selbstlosen Gründen hier stand, wie er erzählte. Nein, in ihren Augen war er einfach nur eine Spur zu neugierig - im falschen Bereich. „Kannst du ihn das nicht einfach fragen und endlich aufhören, zu lauschen als wäre das vollkommen okay??“, nun trat sie doch zwei, drei Schritte auf ihn zu. Nicht etwa, um endlich mehr zu verstehen, sondern in der Hoffnung, dass ihm ein Bisschen klarer wurde, dass sie hier nicht vor ihm wieder verschwand und er sich somit mal vom Acker machen konnte. Er wusste immerhin bestimmt schon längst, das sie das ziemlich zweifellos ihrer Schwester erzählen würde. Wie viel Ärger wollte er den noch?