Faye stiess leicht beleidigt Luft zwischen denn geschlossenen Lippen aus. Wehrlose Frauen… Danke. „Idiot… Das ist ja beruhigend - aber willst du mir damit sagen, dass meine zehntausend Stunden, die ich vor und während der Ausbildung in Selbstverteidigungskursen verbracht habe, für rein gar nichts gut waren?“, nuschelte sie ins Kissen. Vielleicht hatte er Recht. Aber nur ein Bisschen, denn bei der Army lernte man doch eine Menge, mit dem Ziel, letztendlich auch als Frau nicht mehr wehrlos zu sein. Und sie hatte immer gut aufgepasst und geübt. Als er mit der Massage begann, schloss sie augenblicklich mit einem entspannten Lächeln die Augen, während sich zeitgleich eine zarte Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete. Nicht weiter verwunderlich, wenn man bedachte, dass es mittlerweile längst nicht mehr so heiss war - im Gegenteil, die Nächte hier tendierten dazu, ziemlich kalt zu werden. Ausserdem fühlten sich seine Berührungen auf ihrer Haut durchaus gut an. Er machte das auch nicht zum ersten Mal. Oder er war ein Naturtalent, beides möglich. „Also von mir aus… können wir das durchaus öfter machen“, murmelte sie nach einer Weile fast schon schläfrig vor sich hin. Was daran lag, dass sie im Moment ganz einfach so entspannt war, wie seit zwei Wochen nicht mehr. Und während ihr Körper die Massage genoss, schien ihrer Seele der Moment der Ruhe genauso gut zu bekommen. Sie sass hier Tag für Tag auf Nadeln und es waren Momente wie diese, in denen ihr erst so richtig bewusst wurde, wie angespannt und wach sie wirklich die ganze Zeit war. Konnte ja nicht gesund sein. Somit war Faye durchaus froh, auf die Idee mit der Massage gekommen zu sein. Und heute Gesellschaft des jungen Mannes bekommen zu haben, der vielleicht ein Bisschen anders tickte als all die anderen hier, mit denen sie noch nie eine ruhige Minute allein im Zelt verbracht hatte.
Nein, da hatte er recht. Es würde bis zum Ende ihres Lebens nicht angenehmer werden, da war sie sich leider sicher. Natürlich lernte man, damit umzugehen. Aber die Menschen starben trotzdem einen unnötigen Tod. Wegen einem unnötigen Krieg. Fernab von zu Hause, in einem Land, in dem sie doch alle nicht sein sollten. Und es gab so viele Gründe, warum sie trotzdem hier waren, warum sich jeder Einzelne mehr oder weniger dafür entschieden hatte, her zu kommen. Was wohl seine Gründe waren? Die Gründe eines Mannes, der nach ihrer Einschätzung das System, die Regierung, vielleicht überhaupt ihr ganzes Vaterland, doch eher verurteilend als patriotisch betrachtete? Ob das immer so gewesen war? Oder war er erst so geworden, nachdem er zu viel gesehen hatte? Sie wusste es nicht. Mitch war zwar schon lange hier, aber nicht von Anfang an in diesem Camp stationiert. Sie kannte ihn nicht besonders gut, was aber mit den meisten so war, da sie einen ziemlich gehemmten Bezug zu Freundschaften oder persönlichen Beziehungen hatte. Sowas war zu gefährlich hier. Es war wie gesagt so schon schlimm genug, jemanden zu verlieren, sie konnte sich emotional nicht an noch mehr Menschen binden. Schlimm genug, dass Faye hier war um den Frieden ihres abgekapselten Privatlebens zu stören… „Es wäre einfach an der Zeit, das dieses sinnlose Gemetzel ein Ende findet. Dieser Krieg hat schon vor einer ganzen Weile damit aufgehört, seinen Zweck zu erfüllen. Aber alle sind zu stur, um das einzusehen. Und wir können nicht nach Hause, bis jemand entschiedet, dass die Zeit dazu gekommen ist. Und dieser jemand sind nicht wir. Und darum werden wir wohl weiterhin Tag für Tag versuchen, den entscheidenden und finalen Schritt zu gehen, um einen Schlussstrich zu ziehen… Wer weiss, vielleicht haben wirs ja bald geschafft“, murmelte sie vor sich hin. Eher nicht so ganz überzeugt von der Hoffnung, die sich in ihren Worten versteckte. Das war eine kleine Illusion. Auch wenn die Lage sich im Moment eher zuspitzte als lichtete, würde zu Hause keiner der wichtigen Menschen auf die Idee kommen, die Notbremse zu ziehen, um sie alle aus der Scheisse zu holen. Dafür ging es um zu viel Geld, zu viel Macht, zu viel Ruhm. Aber nicht für sie. Für sie ging es nur darum, aus ihren Reihen so viele wie möglich wieder nach Hause zu bringen. Und gleichzeitig so viele Feinde wie möglich für die Verluste bezahlen zu lassen die sie niemals verkraften würden. Für die Wunden, die auf ewig in ihrem Herzen klafften. Für das unversiegbare Rinnsal an tiefrotem Blut, das auch in sechzig Jahren noch ihre Seele tränken würde. Falls sie da noch lebte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja gut, meine Worte waren vielleicht nicht ganz schlau gewählt gewesen. Ich war mir ziemlich sicher, dass Faye sich im Ernstfall bestimmt zu wehren wusste, aber wenn es wirklich auf die rein körperliche Gegenwehr ohne Hilfsmittel ankam... nein, dann könnte sie gegen mich vermutlich nicht allzu viel ausrichten. Sie müsste schon extrem flink und geschickt sein, um es mit einem Kerl von meiner Größe und meinem Trainingsstand aufnehmen zu können. Ich kratzte fast an den zwei Metern, sie war sicher so um die zwanzig Zentimeter kleiner als ich. Irgendwas um den Dreh jedenfalls, genau schätzen konnte ich sowas immer nicht. "Wehrlos war vielleicht ein bisschen das falsche Wort..." gestand ich schief grinsend ein, während ich die Massage fortsetzte. Verkehrt zu machen schien ich dabei Nichts, sonst hätte sich die Brünette sicher schon zu Wort gemeldet. "...mit der richtigen Technik und guten Reflexen lässt sich auch von dir was gegen 'nen Kerl wie mich ausrichten. Aber Glück bräuchtest du trotzdem ein bisschen, wenn du nicht insgeheim die weibliche Inkarnation von Hulk bist." fuhr ich vor, wurde gegen Ende hin eher sarkastisch. Die bildliche Vorstellung, die kurz darauf folgte, war mehr als seltsam, weshalb ich das Ganze auch schnell wieder verdrängte. Dann kamen noch ein paar weitere Worte seitens Faye, denen ich ausnahmslos zustimmen konnte. Es wäre wirklich angenehm, öfter mal den Rücken durchgeknetet zu bekommen und hey, wenn wir dabei immer so viel redeten, wie es heute der Fall war, würde das womöglich auch in einer ehrlichen Freundschaft resultieren. Es wäre gut für mich, wenn ich hier jemanden hätte, dem ich ab und an vielleicht den ganzen Mist aus meinem Schädel mitteilen konnte, um wieder besser Luft zu kriegen. Faye war auch sicher nicht der Typ Mensch, der sowas in die Welt hinaus posaunen würde. Klar, sicher wissen konnte ich das in der kurzen Zeit, die wir uns bis dato kannten, nicht. Meine Menschenkenntnis war aber in den meisten Fällen ziemlich gut, weshalb ich mich da nur zu gerne auf meinen Instinkt verließ. "Hätte ich absolut Nichts dagegen. Ich bezweifle nämlich, dass sich die Lage hier ab morgen absolut entspannen wird... so ab und zu eine Massage ist da Gold wert." stimmte ich auch wörtlich noch mit ein, nickte kaum sichtbar und eher unbewusst, nur für mich selbst.
Tatsächlich war ich da schon wieder ganz Aryanas Meinung. Zumindest überwiegend. Der Krieg hier war schon viel zu lange völlig sinnlos und sollte sein Ende so bald wie nur irgendwie möglich finden. Im Grunde genommen war mir auch vollkommen egal geworden, welche Seite nun das Ende setzte - deswegen ja meine Informationsweitergabe an die gegnerische Seite, einfach weil ich nicht das Gefühl hatte, dass wir anders noch auf einen grünen Zweig kommen würde. Das einzige, worin sich meine Aktion da eindeutig widersprach, war, dass ich ungern meine Kameraden sterben sah. Denn das hatte ich ernst gemeint, das stimmte so. Das Einzige, was mir nur noch mehr an den Nerven zerrte, war wohl der ganze Krieg hier an sich. Vermutlich war ich auch schon viel zu lange nicht mehr in der Heimat gewesen. Vielleicht würde ich das Alles auch anders sehen, hätte ich meine Freunde Zuhause mal wieder gesehen. Etwas Anderes gab es ja nicht, was in den USA auf mich wartete, das war das Einzige... und ich war inzwischen schon eine Ewigkeit im Ausland. Nicht immer am selben Ort stationiert gewesen, aber für mich machte das auch keinen großen Unterschied mehr. Überall starben Menschen, überall wurde geschossen, überall gabs das gleiche zu essen, überall passte mir irgendwas nicht in den Kram. "Da bin ich ganz bei dir.." stimmte ich der jungen Frau nickend zu, stützte mich dann mit den Unterarmen nach vorne auf die Knie, sah wieder ins Feuer, das mir so unfassbar ähnlich war. Nur schwer kontrollierbar, innerlich lodernd, brauchte nur einen Funken um entfacht zu werden. Dennoch hatten die Flammen und das Knistern des brennenden Holzes eine recht beruhigende Wirkung auf mich. "...was das angeht hast du also meine volle Unterstützung. Ich hab nicht mehr viel zu verlieren, schick' wenn nötig also lieber mich als wen anders ins Kreuzfeuer." redete ich leiser, irgendwie ein Stück weit in Gedanken abschweifend vor mich hin. Als ich mit letzteren langsam abschloss, fiel mir auf, dass meine Worte vielleicht etwas zu viel über mich verraten hatten. Unweigerlich kroch schon wieder das Verlangen nach Teer und Nikotin meinen Rachen hinauf.
Ja, so gefielen ihr seine Ausdrucksweise schon besser. Es war eine Sache, wenn er ihr nicht zutraute, gegen ihn im Ernstfall wirklich eine Chance zu haben. Denn ja, darüber brauchten sie sich kaum zu streiten. Aber gleich wehrlos... war dann doch Bisschen übertrieben. Seine Worte liessen das Sonnenkind dann aber doch schon wieder etwas lächeln. Hulk, hm? „Finds raus..“, meinte sie nur herausfordernd, wobei das abenteuerlustige Grinsen wieder deutlich im Klang ihrer Stimme lag. War natürlich nicht ganz ernst gemeint - aber die Vorstellung war lustig. Während er weiter ihre Muskeln knetete, liess Faye bereitwillig auch endlich die ganzen Gedanken gehen, die sie die letzten Wochen nie wirklich aus ihrem Gehirn hatte scheuchen können. All die Fragen und Ängste und Erinnerungen, all die negativen Gefühle - und davon gab es so viele - die sie mit diesem Teil ihres Lebens, mit der Entscheidung, der Army beizutreten, verband. Die Gewissheit, dass sie eigentlich nicht hier sein sollte. Es war plötzlich so leicht, das alles gehen zu lassen, sich vollkommen zu entspannen und all ihre Konzentration auf seine Hände zu richten. Doch, sie war sehr froh, dass er gleicher Meinung war. Denn ja, es sah im Moment nicht so aus, als hätten sie es bald leichter hier. Das war ein offenes Geheimnis, welches im Camp die Runde machte, auch vor der jungen Brünetten keinen Halt gemacht hatte. Vielleicht würde sie sich einfach mit der Zeit besser dran gewöhnen. Aber egal wie das hier weiter ging - etwas Ruhe und Ablenkung würde ihnen beiden ab und zu sicher gut tun. „Leider wohl kaum… Und da stimme ich dir absolut zu. So entspannt war ich seit ewig nicht mehr“, murmelte sie vor sich hin, drehte kurz etwas den Kopf zu ihm, um ihn selig anzulächeln. Es war schlicht zu viel Scheisse passiert in den letzten Wochen und Monaten, als dass sie jemals den Frieden mit sich selber gehabt hätte. Sie hatte viel Scheisse getan. Und ihr war viel Scheisse zugestossen. Wie das halt so war, als naive junge Frau in einer derart testosteronlastigen Männerwelt, wie sie die Army schlicht darstellte.
Wer hätte am Anfang dieses Abends (oder irgendwann davor) schon geglaubt, dass sie beide als so grundverschiedene Persönlichkeiten, jetzt plötzlich solche Gespräche führen würden? Nachdem er sie all die Monate über vorwiegend missbilligend betrachtet hatte, sie als Frau sowieso meistens mehr schlecht als recht ernst nehmen wollte? Natürlich wurden sie nicht gleich zu Freunden, bloss weil sie sich einmal gut verstanden. Aber es war einmal öfters als es gestern noch gewesen war und das sah sie durchaus als positive Wendung. Sie hatte den Blick mittlerweile ebenfalls wieder den Flammen des Feuers zugewandt, wobei er dies mit seinen nächsten Worten umgehend rückgängig machte. Ihre Augen streiften erneut seine markanten Gesichtszüge, als sich ihre Stirn nachdenklich in Falten legte. „Ich schicke keinen ins Kreuzfeuer…“, murmelte sie als leise Antwort, wobei sein letzter Satz sich immer wieder in ihren Gedanken wiederholte. Er hatte also nicht mehr viel zu verlieren. Wieso? Was hatte er denn schon alles verloren? Wieso bot er ihr hier tatsächlich gerade an, sich notfalls für andere zu opfern, deren Leben seiner Meinung nach wertvoller war als sein Eigenes? „Und wenn doch, dann geh ich selber“, schob sie mit fester Stimme nach. Hatte sie viel zu verlieren? Nein. Nur eine einzige Schwester war es, die ihr auf dieser Welt noch wirklich viel bedeutete. Sie wollte nicht, dass Faye die Scheisse ein zweites Mal durchmachen musste. Aber wenn es hart auf hart kam, würde Aryana es trotzdem tun. Lieber sich selber als Mitch, da konnte er sich noch so grossmütig zeigen. Wie sollte sie bitte sonst mit ihrem Gewissen leben können? Sie machte sich zu viele Gedanken, noch immer, nach all den Jahren. Es war wie eine Krankheit, die sie nicht los wurde. Eine anstrengende Krankheit noch dazu… Belastend, nervenraubend… Aber ändern konnte sie es nicht, weil es ein Teil ihrer Persönlichkeit war, der seit jeher so in Stein gehauen war. „Aber das Angebot ist ziemlich selbstlos… Du solltest dein Leben nicht einfach so hinten anstellen. Es gibt keinen Grund, dich vor jedem anderen hier aufzugeben“, das meinte sie ernst und sie hoffte, dass er ihr das glaubte. "Wann gehst du wieder nach Hause, Mitch? Wann warst du das letzte Mal da?“, ihr wurde erst dann bewusst, dass das ziemlich persönliche Fragen waren, die sie vielleicht nicht hätte stellen sollen. Aber Aryana war bekannt für zu viele Fragen. Und sie war sich auch bei diesem Gesprächspartner sehr sicher, dass er ihr bald mitteilen würde, falls er ihr darauf mit keiner Antwort dienen wollte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Wirklich? Mir war zwar irgendwo klar, dass das mehr ein Witz als ernst gemeint war, aber die junge Frau lag hier gerade absolut nicht in der passenden Position dafür, mir eine indirekte Herausforderung auszusprechen. Denn so, wie die Karten gerade in diesem Moment verteilte waren, hätte Faye nicht einmal im Traum auch nur ansatzweise eine Chance. Wenn ich es nicht wollte, könnte die Brünette sich nicht einmal unter mir umdrehen. Also doch, ja, in ihrer aktuellen Position war sie tatsächlich wehrlos, wenn ich mich dazu entscheiden würde, dass ich das wollte. Zu ihrem Glück war ich gerade aber nicht wirklich in der Stimmung dazu, ihr meine Kraft in irgendeiner Art und Weise zu demonstrieren. Nicht, dass ich nicht könnte, aber ich war für sowas jetzt gerade viel zu erschöpft. Mein Körper hatte zwar noch Kraftreserve im Überfluss, aber mein Kopf war müde von den Gedanken, die mich Tag für Tag aufs Neue quälten. Sehr zu meinem Leidwesen war mir das heute noch einmal bitter bewusst geworden. Ich versuchte, den Gedankenfluss in diese Richtung aber gleich wieder zu kappen, würde mir das doch nur die eigentlich gerade recht gute Laune ruinieren. "Ja, das werd' ich bestimmt auch irgendwann noch... wenn du mal nicht in der schon geschlagenen Position bist. Wir wollen dir ja zumindest den Hauch einer Chance übrig lassen." provozierte ich sie ein kleines bisschen, musste unbewusst leicht vor mich hin grinsen. Natürlich war der Gedanke unangebracht, aber ich fand Frauen, die sich zu behaupten wussten, durchaus attraktiv. Ich konnte mir nichts Langweiligeres vorstellen, als eine Frau an meiner Seite zu haben, die immer nur Ja und Amen sagte. Eine eigene Meinung des Gegenübers war wichtig für eine gesunde, nicht einseitige Beziehung. Auf ihre noch folgenden Worte hin nickte ich ihr zu und fing ihren Blick kurz auf, wobei das Grinsen schon wieder eher nur noch zu einem Lächeln geschrumpft war. "Freut mich, dass ich's scheinbar nicht verlernt hab über die Jahre." stellte ich fest, auch für mich selbst. "Wir sollten nur vermutlich weiter drauf achten, dass das so Niemand mitbekommt. Ich bin zwar erst seit heute hier, aber ist hier sicher nicht anders als in anderen Camps - man hat außerhalb der Einsätze nicht viel zu tun, also gibts immer Leute, die gerne Gerüchte in die Welt setzen." hängte ich einen Gedanken hinten dran und verlangsamte dabei unbewusst die Bewegungen meiner Finger.
Strategisch sinnvoll wäre es aber nicht, sich als einer der Köpfe der Organisation in den Kugelhagel zu schmeißen - oder Schlimmeres. Wurde sie dabei gefangen genommen, würde sie vermutlich erst gefoltert und letztendlich wegen mangelnder Informationsfreigabe exekutiert werden. Also absolut nicht schlau von ihr, auch wenn ich ihre Beweggründe was das anbelangte nachvollziehen konnte. Es klebte einem hier schon mehr als genug Blut an den Händen, da wollte man tunlichst verhindern, dass es noch mehr wurde. Es wäre nur ein weiteres Menschenleben, das Aryana auf dem Gewissen hätte - nicht, dass ich ausschließlich ihr die Schuld an so manchem Toten gab, sie befolgte ja wiederum auch nur Befehle und hatte auf Einsätzen nur einen begrenzten Spielraum, was Reaktionen auf unvorhersehbare Angriffe anging. Obwohl ich sehr weit davon entfernt war, mich mit der jungen Frau auf einer freundschaftlichen Ebene zu befinden, würde ich sie vermutlich instinktiv zur Seite schmeißen und die Kugel selbst kassieren, bevor ich ihren Tod riskierte. Ich mochte ja ein Verräter sein, aber solange ich bei besagtem Geschehnis mit von der Partie wäre, würde ich es ganz einfach aus Reflex tun. Ich war schon so lange bei der Army, dass ich es gar nicht anders könnte. Denn wenn wir mal ehrlich waren, bekam man während des Militärtrainings auch eine ziemliche Gehirnwäsche - bei manchen war die effektiver als bei anderen. "Sich als einer der führenden Köpfe der Truppe eine Kugel einzufangen würde hier vermutlich den Wenigsten einfallen." stellte ich fest und zog dabei unbewusst die rechte Augenbraue leicht nach oben. Auf Aryanas Frage hin zuckte ich mit den Schultern, musste in Gedanken selbst erst mal nachrechnen. Dabei fiel mir selbst auf, dass der Zeitraum recht schwammig war und ich gekonnte verdrängte, wie lange ich jetzt wo gewesen war. Vermutlich einfach deswegen, weil es für mich keine große Rolle mehr spielte. Ich sah keinen Grund darin, es meinem Gegenüber vorzuenthalten. Würde sie es wirklich unbedingt wissen wollen, könnte sie genauso gut einfach in meiner Akte nachsehen, also was soll's. "Müsste irgendwas zwischen dreieinhalb und vier Jahren her sein. Zwei Mal war ich zwar drei oder vier Tage zu Hause, als kurze Auszeit bei Einsatzwechseln.. aber hauptsächlich wegen den Jetlags, also hab ich da überwiegend geschlafen. Länger wollte ich aber auch nicht." erzählte ich also einfach gerade heraus, sah dabei wieder in die blaugrünen Augen der Brünetten neben mir.
Faye grinste schon wieder leicht, als sie seine Worte vernahm. „Äusserst gütig von dir, ich werde bereit sein“, teilte sie ihm ihr Einverständnis zu dieser Entscheidung mit. Ihr war zwar wie gesagt schon klar, dass ihre Chancen selbst dann eher schlecht standen, wenn sie auf einen Angriff vorbereitet wäre, aber trotzdem könnte es ein kleines Bisschen lustig werden. Sie mochte so kleine Herausforderungen, bewies sich selber auch gerne ab und zu, was sie konnte. Trieb sich an ihre Grenzen und darüber hinaus, weil das Gefühl, wenn sie was schaffte, das sie sich nicht zugetraut hätte, dann doch alle Mühe wert war. Zudem würde es ihr helfen, nicht zu bald aus der Übung zu kommen. Jetzt wo sie nicht mehr täglich trainierte, sondern am Ort des Geschehens angekommen war. Und das wäre zweifellos wichtig, wenn sie nicht plötzlich doch wieder zu „absolut wehrlos“ übergehen wollte. Als er weiterredete, schwieg sie dann doch einen Augenblick, um sich seine Worte erstmal selbst vor Augen zu führen. Ja, sie hatte sich tatsächlich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie das hier wohl aussah. Obwohl sie das vielleicht tun sollte, da sie beide kein Shirt mehr trugen, also eindeutig mehr Haut zeigten als im Normalfall. Wenn jetzt jemand ins Zelt platzte, würde das schon etwas merkwürdig aussehen. Und sie hatte ebenso wenig wie Victor das Bedürfnis, irgendwelche Gerüchte über sich und ihn zu verbreiten. Schon nur wegen Aryana nicht. Was die Leute so erzählten war eine Sache, aber ihre Schwester? Die dürfte kaum erfreut sein, wenn sie solche Neuigkeiten vernahm. Nicht die Wahrheit natürlich, denn in Wahrheit lief hier ja gar nichts, ausser einem entspannten Gespräch und einer Massage. Aber das wäre dann ja nicht die Geschichte, die die Runde machen würde, so viel war klar. „Ja… Damit könntest du durchaus Recht haben. Aber ich kanns gut für mich behalten, wenn das bedeutet, dass es nicht das letzte Mal war“, erwiderte sie kurzum lächelnd, hatte schon wieder die Augen geschlossen. Ausserdem - wem sollte sies denn auch erzählen? Und warum? Es war ein Moment zwischen ihnen beiden und sie hatte absolut kein Bedürfnis, diese Minuten mit jemand anderem als Victor zu teilen. Also brauchte er sich wirklich keine Sorgen darum zu machen. Letztendlich wäre es sowieso sie, die als Schlampe galt und höchstwahrscheinlich mehr zu verlieren hatte als er. Ausser mal wieder bei ihrer Schwester. Die würde Victor die Schuld geben und ihn von da an auf Herz und Nieren prüfen, ihn keinen Fehler mehr machen lassen, ohne ihn gleich des Landes zu verweisen. Nicht, dass das offiziell in ihrer Macht stand, aber sie würde einen Weg finden, es zu tun, daran zweifelte Faye keine Sekunde. Also lebten sie wohl beide mit einem ungefähr gleichwertigen Risiko. Aber das war okay, denn das Risiko fühlte sich verglichen mit dem, was dieser Moment ihnen zurückgab, doch tragbar an.
Aryana zuckte sachte mit den Schultern, als er ihre Aussage mit gewissen Bedenken quittierte. „Mag sein… Aber ich denke nicht, dass ich in dem Moment wirklich die Wahl hätte, was anderes zu tun. Manchmal wirkt der Tod wie eine verlockendere Alternative, als das Leben mit der Gewissheit, einen weiteren Menschen verloren zu haben, den man vielleicht hätte retten können, wäre man nur nicht so egoistisch gewesen. Einige von ihnen sind verheiratet. Haben Kinder… Ich nicht. Und ich möchte nicht diejenige sein, die später ihren Nachkommen erklären muss, dass sie sich hinter ihren Väter versteckt hat, welche dafür mit dem Leben bezahlt haben. Ausserdem würde die Army schnell jemanden finden, um mich zu ersetzen. Das tun sie immer“, erwiderte sie leise, blickte kurz zu ihm rüber. Doch auch danach war sie sich nicht sicher, ob er ihr das wirklich zutraute. Sie wusste nicht, was er von ihr dachte – abgesehen davon, dass sie keine Führungsperson darstellen sollte. Und somit konnte sie auch schlecht erkennen, wie ernst er sie nahm. Wenn jemand damals ihren Vater oder ihre Mutter hätte retten können, es aber nicht getan hätte, um selber lebend aus der Sache raus zu kommen, was hätte sie dann von diesem Menschen gehalten? Nichts. Dass er nicht an die drei kleinen Kinder dachte. Und sie würde sich auf ewig fragen, was gewesen wäre, wenn dieser Mensch nur nicht so verdammt egoistisch gewesen wäre. Als Mitch fortfuhr, war sie froh, wieder von diesen dunklen Gedankengängen abgelenkt zu werden. Seine Antwort entsprach ihren Erwartungen. Sie war sich ziemlich sicher gewesen, dass es ein paar Jahre her sein dürfte. Auch, dass er freiwillig hier blieb, nicht zurück wollte, passte in ihre Einschätzung. Aber es war nicht gut. Man sollte das zu Hause nicht aus den Augen verlieren. Das, was wartete. Das, was war und das was wieder werden könnte. Aber sie konnte ihm das schlecht predigen, wenn sie selber doch keinen Deut besser war. Sie hatte keinen Kontakt mehr mit alten Freunden. Sie hatte keinen Platz mehr, den sie als Zuhause bezeichnen würde. In einer Garage irgendwo dort, wo sie mal gelebt hatte, standen noch Kisten mit ihrem Namen drauf. Kisten voller Erinnerungen. Aber sie wollte sie nicht wieder sehen. Denn es waren Erinnerungen an Dinge, die sie niemals vergessen würde aber nie wieder haben konnte. Es würde nur weh tun, sie nur zerreissen und ihr nur wieder den endlosen Drang versetzen, sie alle zu töten. Alle, die diesen Krieg unterstützten. Alle, die ihre Leute abschlachteten. Und am allermeisten alle, die ihr ihren Bruder genommen hatten. „Wo ist denn dein Zuhause? Hier?“, fragte sie weiter, keine Spur von verurteilend oder kritisch. Nur neugierig.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja, ich war aber auch einfach ein gütiger Kerl. Nutzte für gewöhnlich nicht schamlos meine Kraft aus, sondern wartete doch lieber auf ansatzweise Chancengleichheit. Zwar würde Faye diese mir gegenüber sicher niemals haben, einfach wegen der körperlich sehr ungleich verteilten Attribute, aber ich konnte ihr ja wenigstens ein kleines bisschen entgegen kommen. "Solltest du auch. Frau hin oder her, halbe Sachen mach ich nicht." stellte ich klar, weil ich da ganz einfach nicht der Typ für war. Gut, vielleicht würde ich einen Gang runterschalten, sollte sie die erste Runde schnell verlieren und nach einer Revanche verlangen. Dann könnte ich mich womöglich dazu durchringen, ihre Chancen etwas anzuheben. Aber auch nur dann. Ich lauschte den folgenden Worten der jungen Frau aufmerksam und obwohl ich mir schon vorher ziemlich sicher gewesen war, dass ihr auch nicht gerade was daran lag das hier in die Welt hinauszuschreien, beruhigte mich ihre Antwort ein wenig. Wie bisher schon oft waren wir da einer Meinung und das schaffte gute Chancen dafür, dass wir geschickt genug mit der Geschichte umgehen würden, dass keiner davon Wind bekam. Deswegen war auch mein Gehör gerade ziemlich aufmerksam. Sollten sich Schritte nähern, wollte ich das früh genug hören, um ungebetene Gäste in dieser Situation hier noch verhindern zu können. Mein Shirt wäre ja schnell wieder angezogen, das wäre nicht das Problem. Würde einem aber halt auch Nichts mehr bringen, wenn es schon zu spät war, weshalb es absolut nicht verkehrt sein konnte, die Ohren offen zu halten. Die Stimmen, die ich vernehmen konnte, waren aber alle ziemlich weit weg, ergo vermutlich noch alle in der Nähe des Lagerfeuers. Nah schien niemand zu sein und wenn doch, dann hielt derjenigen scheinbar den Mund und bewegte sich nicht. Wegen meiner doch irgendwie immer vorhandenen Paranoia ließ ich meinen Blick einmal um den Rand des Zelts schweifen. Nicht, dass uns schon jemand beobachtete, so zwischen den Stoffenden des Zelts oder so. Das war natürlich aber nicht der Fall, weshalb ich meine paranoide Ader wieder beruhigen konnte und dennoch kurz mit der Massage inne hielt, weil mir langsam die Finger weh taten. "Ne, das letzte Mal wars sicher nicht... wir wissen wohl beide, dass mein Rücken gerne noch ein bisschen mehr von deinen Fingern profitieren möchte." antwortete ich während der kurzen Massagepause, knetete mir die eigenen Finger. "Entschuldigen sie die kurze Pause, Mylady, aber meine Finger sind außer Übung." entschuldigte ich mich hochtrabend scherzhaft, grinste noch immer etwas vor mich hin.
Da hatte Aryana wohl Recht. Ich war nicht der Typ Selbstmörder, dafür war ich viel zu stur und egoistisch. Aber sich für jemand Anderen zu opfern klang manchmal sicher etwas verlockend. Es war kein Geheimnis, dass so gut wie jedem Menschen militärische Aktivitäten - bei denen immer mal wieder unschöne Bilder zu Tage kamen, das ließ sich schlicht nicht verhindern in einem Krieg - nach einer Weile an der Psyche nagten. Nicht jeder mochte daran kaputt gehen, aber dennoch war das einer der Gründe dafür, einem jeden Soldaten nach spätestens einem Jahr die Möglichkeit zu geben, in der Heimat eine seelische Auszeit zu geben, in der er sich von dem Gesehenen erholen konnte. Es gab sicher auch Einige, die ihr Leid dann mit einem Therapeuten teilten. Mich würden vermutlich keine zehn Pferde zu einem dieser Seelenklempnern kriegen, hielt ich von den meisten Ärzten dieser Sorte absolut Nichts. Wenn man mich fragte, dann waren diese Typen zu mindestens neunzig Prozent nur an ihrem Profit interessiert und nicht ansatzweise an dem Leid ihrer Patienten. Wie gut also, dass ich nicht der Meinung war, dass ich deren Dienste jemals brauchen würde. "Ja, vermutlich.." antwortete ich auf Aryanas Worte nur noch, weil es dem wohl Nichts mehr hinzuzufügen gab. Meine Gedanken widmeten sich dann den nächsten Worten, die ihr über die Lippen kamen. Hm, wo war mein Zuhause? Hatte ich überhaupt eins? Es gab tatsächlich keinen Ort auf der Welt, den ich wirklich als mein Zuhause ansah, jetzt wo ich darüber nachdachte. Ich war wohl eher der Typ streunender Hund, der nicht wusste, wo er sich niederlassen sollte. Der keinen Ort fand, an dem er sich vollends wohlfühlte, wo er bleiben wollte. Auch die Army hier zehrten an meinen immer strapazierten Nerven, aber hier hatte ich wenigstens etwas zu tun. Mal vom Gitarre spielen abgesehen schien mir das das Einzige zu sein, in dem ich wirklich gut war, in dem ich einen Nutzen fand. Also war ich schlichtweg lieber hier als irgendwo in den USA, wo ich Nichts mit mir anzufangen wusste. "Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Aber hier fühl' ich mich wohler als in den Staaten, schätze ich." murmelte ich noch immer ziemlich nachdenklich vor mich hin.
Gut. Sie hasste es nämlich, wenn ein Mann glaubte, sie mit Samthandschuhen anfassen zu müssen, bloss weil sie kleiner war und logischerweise mit weniger Muskelmasse dienen konnte. Gerade im Training der Army war sowas einfach nur nervig gewesen. Wie sollte sie jemals für den Ernstfall bereit sein, wenn alle Männer immer taten, als würde sie zusammenklappen, wenn sie sie nur berührten?? Glaubten die wirklich, dass Gegner im Krieg sie erst mit Watte einpacken und dann erst töten würden? Nein. Aber das war jetzt irgendwie auch grad kein schöner Gedanke, wie ihr schnell bewusst wurde, als sie innerlich für sich selber den Kopf schüttelte. „Das ist gut. Vielleicht kannst du mir ja zwischendurch beim Training helfen, damit ich nicht alles vergesse, was ich gelernt habe“, gab sie ihre nicht ganz selbstlosen Gedankengänge bekannt. Wenn er nämlich weder der Typ war, der ihr nichts zutraute, noch der andere, der sie dann nur auslachte, wenn sie was nicht konnte, dann fände sie es tatsächlich toll, sich ab und an mit ihm zu messen und von ihm zu lernen. „Damit ich irgendwann so werden kann wie du“, fügte sie voller Bewunderung an, wobei ihr Grinsen wohl etwas zu deutlich die Ironie ihrer Worte verriet. Als er schliesslich seine Finger von ihrem Rücken nahm, hob sie den Kopf und richtete sich etwas auf, um sich halb zu ihm umdrehen zu können, ihn mit schiefgelegtem Kopf zu mustern. „Ich kann dir sonst auch deine Hände wieder weich massieren, dafür bin ich sicher vier Stunden in einer Vorlesung gehockt“, bot sie grinsend an, zuckte leicht mit den dunklen Augenbrauen. Handmassagen hatten eine ganz eigene Wirkung, die nicht zu unterschätzen war - wobei Faye ehrlicherweise zugeben musste, das Gelernte noch nie einem Praxistest unterzogen zu haben. Gut möglich, dass sie es also gar nicht wirklich konnte beziehungsweise nichts damit erreichte. Aber was spielte das auch für eine Rolle. Die meisten Leute schätzten Massagen am Rücken sowieso mehr. Sie selber inklusive.
Und sie bekam noch eine ehrliche Antwort, mit der sie nicht wirklich gerechnet hatte. Es waren nicht seine Worte, die sie erstaunten, sondern seine Ehrlichkeit. Dass er nicht einfach dicht machte. Sie hätte es an seiner Stelle wahrscheinlich getan. Aryana lebte gerne für sich selber, gab keine Schwäche zu und behielt Persönliches für sich. Hatte sicher auch damit zu tun, dass sie schnell gelernt hatte, dass Männer diese Offenheit gerne als Schwäche interpretierten und dann glaubten, sie beschützen und schonen zu müssen. Oder ihr keine Chancen mehr gaben, sie einfach als Behinderung im Team ansahen, bloss weil sie einen Teil ihrer selbst offenbart hatte. Sowas brachte sie nicht weiter, sie konnte nicht besser werden, wenn andere glaubten, sie in die hinteren Reihen stellen zu müssen. Ihre Augen vor der Wahrheit schützen zu müssen. Aryana war kein kleines Kind mehr, dass diese Bilder nicht ertrug. Jedenfalls tat sie gerne so, als würde es ihr nichts ausmachen oder als käme sie zumindest auf Dauer damit klar. Was nicht der Fall war. Aber das brauchte keiner zu wissen. Dass Mitch sich hier wohler fühlte als in ihrer Heimat, passte ziemlich gut zu seiner vorhergehenden Aussage, dass er nichts mehr zu verlieren hätte. Und wenn sie sich solche Gefühle eingestehen könnte, würde sie sagen, dass er ihr leid tat. Kein Mensch sollte diese Art von Einsamkeit verspüren. Von Rastlosigkeit und Heimatlosigkeit. Das wusste sie so genau, weil sie es selber spürte. Aber sie hatte immerhin noch einen einzigen Menschen, den sie nicht verloren hatte. Ihre dumme Schwester, die nicht verstanden hatte, warum sie niemals hätte hierher kommen sollen… Sie wollte gar nicht daran denken. Denn auch diese Gedanken hatte sie abgestellt, nachdem sie gemerkt hatte, dass sie es nicht mehr verhindern konnte. Der einzige Weg, Faye zum Daheimbleiben zu bringen, wäre gewesen, selber zurückzukehren. Und bis Aryana sich zu diesem Schritt durchgerungen hätte, hatte ihre Schwester sich längst bei der Army eingeschrieben und war auf dem Weg in die Hölle gewesen. So falsch. „Wenn man zu viele Jahre zu Hause verpasst, ist es normal, dass man am Ende nicht mehr weiss, wie sich Heimat anfühlt… Hab ich jedenfalls mal so gehört. Macht Sinn, wenn man bedenkt, dass das Leben all jener, die früher mal Heimat bedeutet haben, niemals stillsteht. Irgendwann passen die Teile nicht mehr zusammen. Und was will man zu Hause auch tun, nachdem man so lange bei der Army war…“, murmelte sie dem Feuer zu, dessen Flammen sich hell in ihren grossen Pupillen spiegelten. „Hast du gar keine Familie mehr?“
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das war gar keine so schlechte Idee. Jetzt gerade fielen mir was ihren Vorschlag anbelangte tatsächlich nur positive Effekte davon ein. Zum einen war ich dann weniger allein in meiner Freizeit hier, was allein schonmal gute Ablenkung für die unliebsamen Gedanken in meinem Kopf war. Noch dazu kam dann, dass Faye womöglich wirklich noch einiges von einem erfahrenen Soldaten in der Praxis lernen konnte. Ich hätte es zugegeben ungern, wenn ihr hier etwas passierte. Zwar hatte ich die Brünette noch nicht mit inniger Freundschaft ins Herz geschlossen, aber sie schien wirklich in Ordnung zu sein und ich würde ihr absolut nichts Schlechtes wünschen wollen. Auch deshalb Nicht, weil sie hier eine Schwester hatte. Es gäbe wohl nichts Schlimmeres als ein Familienmitglied vor den eigenen Augen schwer verletzt oder gar sterben zu sehen. Hofften wir also lieber Alle mal, dass der Krieg sich hier bald sehr positiv für uns entwickeln und sein Ende finden würde. Denn wenn ich auch ehrlich zu mir selbst war, würde ich wohl spätestens nach ein paar Monaten mal ein paar Tage Auszeit brauchen. Ich war noch weit davon entfernt in der Fassung zu sein, wieder schlimme Kriegsbilder ertragen zu können und sehr zu meinem Übel glaubte ich nicht, dass mir das erspart blieb, wenn es so weiter ging wie heute. Seufz. "Klar, gar kein Problem. Tut mir selbst sicher auch gut." stimmte ich dann jedenfalls auch noch wörtlich zu, wobei ich schon fast zu Antworten vergessen hatten. Dann drehte Fay sich wider erwarten ein wenig zu mir und sprach ebenso unerwartete Worte aus. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass mich irgendwer schonmal an den Händen massiert hatte. Das lag vermutlich aber auch ganz einfach daran, dass man bei dem Stichwort Massage wohl kaum an die Hände dachte. Für die meisten Leute war sicher der Rücken die erste Anlaufstelle, so wie eben auch bei uns beiden. Die Füße vielleicht auch, wenn man einen anstrengenden Tag mit viel Lauferei hinter sich hatte. Aber Hände? Nein, dachte ich nicht im Entferntesten daran. War aber sicher angenehm, wo die Innenflächen doch eher empfindlich waren und viele Nerven durch die Hände liefen, weil es eben des Menschens wichtigstes Körperteil zum Fühlen und Greifen von Dingen war. "Ich bin mir zwar fast sicher, dass die Wirkung spätestens morgen beim Bankdrücken wieder futsch ist... aber versuch' dein Glück." nahm ich das Angebot also ganz einfach an und hob mit einem Grinsen auf den Lippen die Hüfte an, damit Faye sich umpositionieren konnte.
Aha. Das hatte die junge Frau also mal so eben irgendwo gehört. Für mich klangen ihre Worte um ehrlich zu sein eher danach, als wüsste sie ein kleines bisschen, wie sich das anfühlte. Meine instinktive Neugier verlangte stark danach, genau diesen Gedanken laut auszusprechen und sie einfach danach zu fragen, ganz klein ob ich ihr damit auf die Füße trat oder nicht. Aber vielleicht konnte ich es irgendwie ein bisschen verpacken, ohne direkt eine Frage zu formulieren. Quasi so, dass sie mir nicht zwingend eine wörtliche Antwort darauf geben musste, es einfach ignorieren konnte. Aber ich war mir fast sicher, dass ich trotzdem irgendwas in ihrem Gesicht lesen könnte. Dass mir das womöglich sogar eindeutig Aufschluss darüber geben könnte, ob ich mit dieser Vermutung richtig lag oder eben nicht. Noch während ich darüber nachdachte, hatte mich auch schon dafür entschieden. "Klingt fast so, als wüsstest du, wie sich das anfühlt." formulierte ich meinen Gedanken so mild wie möglich, musterte ihre Reaktion darauf. Allerdings beschäftigte mich Aryanas nächste Frage dann doch mehr, als meine eigene indirekte. Ich hasste es im Grunde genommen schon, nur daran zu denken.. und sie fragte mich auch noch danach, erwartete, dass ich darüber sprach. Allerdings war das ein Punkt, an dem ich schon immer abblockte. Gar nicht erst darüber nachdachte, ob es vielleicht auch gar nicht so verkehrt wäre, mal mit jemandem darüber zu sprechen. Denn das tat ich nicht, hatte ich noch nie und würde ich vermutlich auch nie. Oder in sehr ferner Zukunft - so oder so war das hier weder der richtige Zeitpunkt, noch die richtige Person dafür. Ich kannte die Brünette nur so gut, wie ich sie kennen musste, um ihr Konfliktpotenzial für meine eigenen Operationen zu kennen. Demnach war das auch definitiv kein Thema, das ich mit ihr hätte besprechen wollen. "Nein, habe ich nicht. Ungefähr genauso wenig, wie ich den Drang verspüre, weiter darüber zu reden." antwortete ich ihr also nur sehr grob und doch auch leicht grummelnd, während mein Blick weiter vom Feuer angezogen wurde. Die Augenbrauen hatte ich unbewusst etwas tiefer ins Gesicht gezogen, die Stirn legte sich in leichte Falten. Das war der für mich typische Blick in so einer Situation, der ganz deutlich vermittelte, dass man es bereuen würde, weiter nachzuhaken.
Gut, dann hatte sie also spontan einen Lehrer gefunden. Das war wunderbar. Denn auch wenn sie gerade noch von ihrem tollen Training geplappert hatte, war Faye weit davon entfernt, sich im Kampf wirklich sicher zu fühlen. Klar, sie war auch nicht zum Kämpfen da. Sie hatte nicht die gleiche Ausbildung genossen, wie die anderen. Aber es konnte nicht schaden, wenn sie sich besser verteidigen könnte als bisher. Sowas konnte niemals falsch sein - nicht in ihrer Lage, in ihrem Leben. Sie war schliesslich nicht hierher gekommen, um zu sterben. Und auch wenn Training sie nie vor Bomben, Minen und Schüssen retten würde, war es trotzdem Training, das irgendwann, eines Tages, den Unterschied machen könnte. Sie war sich nicht ganz sicher gewesen, was Victor von ihrem nächsten Massageangebot halten würde - ob er es einfach belächeln und als Witz abtun oder tatsächlich annehmen würde. Doch er willigte ein und gab ihr kurz darauf die Freiheit, sich unter ihm zu bewegen. Nett haha. Faye richtete sich auf, um sich direkt vor Victor hin zu setzten - im Liegen wäre das ja eher anstrengend - und blickte kurz auf das Shirt, welches sie noch immer in der Hand hielt, die ganze Zeit über nicht losgelassen hatte. Zugegeben, es war ihr im ersten Moment nicht zu hundert Prozent angenehm, so einfach im BH vor ihm zu sitzen. Aber ihre Unterwäsche war jetzt nicht unbedingt heiss oder sexy - sie tat halt ihren Zweck und war bequem, das Einzige, was hier wirklich zählte. Kein Vergleich zu der Ansammlung von Wäsche, die sie zu Hause hatte… Die sie so geliebt hatte. Aber gut, war hier schlicht fehl am Platz und in diesem Moment war sie ganz zufrieden mit ihrem unspektakulären schwarzen BH. So griff sie schliesslich einfach nach seiner rechten Hand, welche sie unwillkürlich zu massieren begann. „Ich gebs zu, ich hab das seit dem Seminar nie wieder gemacht. Und das ist zwei Jahre her. Also falls es weh tut, solltest du das besser schnell sagen, bevor ich dir nen Knochen breche oder ein Gelenk auskugel“, warnte sie ihn lächelnd vor und biss dabei konzentriert auf ihrer Unterlippe herum, während sie einen Knochen um den anderen, von den Fingerkuppen bis zum Ellbogen, mit ihren Händen bearbeitete.
Ach… Tat es das. Sie hatte ja keine Ahnung, woher das kommen mochte. Und so war ihre einzige Reaktion auf seine Worte ein kleines, einseitiges und eher traurig als amüsiertes Lächeln, das nicht recht ihre aufs Feuer gerichteten Augen zu erreichen vermochte. War Antwort genug. Aber was war schon dabei… Es war doch irgendwie klar, dass sie schon lange hier war. Sonst wäre sie nicht in dieser Position, nicht mit erst Fünfundzwanzig. Normalerweise war man mit Fünfundzwanzig noch kein einziges Mal aufgestiegen. Höchstens ein Mal. Ihre Position allein verriet doch schon, wie sehr sie sich in diese Sache reingab, wie viel Energie ihres Lebens schon in diesem Krieg aufgegangen war. Zu viel natürlich. Und doch niemals genug. Ihre nächste Frage schien dann die Eine zu viel gewesen zu sein, auf die sie schon eine Weile gewartet hatte. Die von der Blockade gefolgt wurde, die sie eigentlich von Anfang an anstelle seiner Antworten erwartet hatte. Und so nickte sie nur verständnisvoll, machte sofort klar, dass sie keine Absicht verspürte, irgendeine Grenze zu überschreiten. Das tat sie immer. Fragen, bis jemand nicht mehr antworten wollte. Das war ihre Strategie, an Wissen zu kommen. Jeder wusste selber, wann er nicht mehr antworten wollte und sie übte nie Druck aus, liess jeden Gesprächspartner stets wissen, dass sie Geheimnisse okay fand. Dass sie ein Nein verstand. Aber sie das nächste Mal wieder weiter fragen würde, bis sie an die nächste Grenze stiess. So war sie nun mal. Neugierig. Immer auf der Suche nach Antworten. Und am meisten wollte sie sowieso die Antworten, die sie nicht haben konnte. Tröstete sich derweil mit anderen Antworten, die nicht so wichtig waren, ihren Wissensdurst aber einen Moment lang zu stillen vermochten. Aber nie für lange. „Tut mir leid. Ich frag immer zu viel“, offenbarte sie ihm ein offenes Geheimnis, schaute ihn erst dann wieder an. Sie hatte den Blick vorher absichtlich aufs Feuer gerichtet gelassen, weil sie nicht wollte, dass er sich fühlte, als wäre er im Kreuzverhör. Denn sie würde sich mit diesen Informationen nichts kaufen können. Oder wollen. Aber sie halfen ihr trotzdem, ihn zu verstehen. Und gleichzeitig festzustellen, dass es so vieles geben würde, das sie verband. Sie doch so verschieden damit umgingen. Fast ein Bisschen faszinierend...
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich selbst machte es mir dann auch erstmal bequemer. Die Betten hier waren nicht breiter als notwendig, hatten wohl nur pi Mal Daumen einen Meter Durchmesser - was für einen großen Kerl wie mich echt knapp bemessen war, nur mal so am Rande - und so konnte ich bequem links und rechts meine Beine runter hängen lassen. Schneidersitz war nicht mein Ding und außerdem drückte mir diese Position am wenigstens auf die Knie, die ebenfalls durchs Gewichte heben leicht überstrapaziert waren. Es war vermutlich ganz gut, dass ich hier nicht das selbe Ausmaß an Trainingsmöglichkeiten hatte, wie es Zuhause im Fitnessstudio der Fall war. Meine Knochen und Bänder würden es mir auf jeden Fall danken, dass sie jetzt wieder etwas weniger gefordert wurden, mehr oder weniger eine Pause bekamen. Ganz würde ich das Training aber natürlich nicht auslassen, wäre schade um die Massen an Muskeln, die dann allmählich schwinden würden. Zwar war ich hier sicher auch während der Einsätze mal etwas mehr in Bewegung, eben ja nachdem welche Aufgaben mir zugeteilt waren, aber ein bisschen Laufen - und im Ernstfall auch wieder schießen, wovor es mir nach wie vor graute - hielt meinen Körper nicht auf seinem aktuellen Stand. Abnehmen würde ich vermutlich aber so oder so ein wenig, weil die Nahrungsauswahl hier... naja, eben sehr bescheiden war. Als Faye dann vor mir saß und meine Hand nahm, sah ihr erst noch einen Augenblick lang ins Gesicht. Hatte sie also nie wieder angewandt, diese Handmassage-Geschichte. Ich für meinen Teil glaubte aber nicht wirklich daran, dass sie dabei irgendwas falsch machen würde. Sie war geschickt und einfühlsam, ohne dabei zu sanft zu sein - jedenfalls was ihre bisherige Massage anbelangte. Meine Augen wanderte also von Fayes Gesicht nach unten zu unseren Händen, wobei ich dabei mehr oder weniger ungewollt ihr Dekolleté mit meinem Blick streifte. Das passierte nicht bewusst, aber ich war eben auch einfach nur ein Mann. Überwiegend ein Gentleman, trug die richtige Frau auch gerne auf Händen, aber was nackte Haut anging war ich die richtige 0815 Version des männlichen Geschlechts. Noch dazu auch ziemlich auf Entzug, was sowas anging. Richtig über die Trennung meiner Ex-Verlobten hinweg gekommen war ich nie, wobei ich bei diesem Gedanken innerlich den Kopf schüttelte, um ihn gleich zu unterbinden. "Bisher machst du das gut." lenkte ich mich selbst mit ein paar an die Brünette vor mir gerichteten Worten ab, bevor ich mich wieder auf die Massage zu konzentrieren versuchte. Als sie an meinen Ellbogen kam, zuckte ich mit diesem doch reflexartig weg und sog scharf die Luft ein, als sie Schmerzen auslöste. Ich wollte aber nicht, dass sie sich schlecht deshalb fühlte, weshalb ich ihr den Grund dafür auch umgehend erläuterte. "Nicht deine Schuld, hab ich vergessen zu erwähnen... der Ellbogen hat damals auch was abgekriegt, war leicht angebrochen. Ist deswegen punktuell ein bisschen empfindlich, der Gute." erklärte ich und besah mir mein besagtes Körperteil für einen Moment und schüttelte ihn dann kurz ein bisschen, bis ich ihr die linke Hand entgegen hielt. "Aber da darfst du gern weitermachen." sagte ich schief grinsend, wobei mein Blick zwar gerne wieder nach unten abschweifen wollte, ich ihn aber konsequent auf ihre braunen Augen gerichtet hielt.
Wie ich bereits erwartet hatte, bekam ich als Antwort keine Worte von der jungen Frau. Aber der Gesichtsausdruck, den sie für kurze Zeit an sich nahm, erzählte mir mehr als genug. Ich lag absolut richtig mit der Vermutung, dass Aryana genauso wie ich viel zu viel Zeit in der Army verbrachte und sich keine Auszeit gönnte. So verbissen in ihre Arbeit und sich selbst war, dass sie nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden würde, nach Hause zu gehen. Jetzt wo ihre jüngere Schwester auch noch hier war, würde sie das vermutlich erst recht nicht mehr tun. Wer ließ schon freiwillig seine jüngeren Geschwister an einem todbringenden Ort zurück? Dieser Gedanke ließ mich zu meiner eigenen Schwester abschweifen, die ich überhaupt nur ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte. Das war kurz vor meinem Einzug ins Militär gewesen, tatsächlich sogar einer der Hauptgründe dafür. Ich würde nie vergessen, wie abwertend sie mich damals gemustert hatte, wie kalt sie das Treffen gelassen hatte. Für mich war sie die letzte Chance auf ein Stück Familie gewesen, was sie nicht die Bohne interessiert hatte. Allein der Gedanke daran versetzte mir einen schmerzhaften Stich in die Brust. Andererseits sagte ich mir immer, dass es vermutlich besser so war. Einen derart oberflächlichen Menschen wollte ich wahrscheinlich gar nicht in meinem Leben haben... dennoch ließ es sich nur schwer verarbeiten, wiederholte sich gut und gerne vor meinem inneren Auge. Meine Laune war danach immer beschissen, weshalb ich dem Ganzen jetzt auch einen Cut setzte. Immerhin entschuldigte sich Aryana für ihre penetrante Nachfragerei, noch gefolgt von ein paar Worten, die ebenso von mir hätten kommen können. Es war komisch zu merken, dass wir im Grunde vielleicht gar nicht so extrem verschieden waren, wie ich bis jetzt gedacht hatte. Denn wir schienen wohl beide dazu zu neigen, unser Gegenüber gerne mit zu vielen Fragen unter die Lupe zu nehmen. "Die Fragerei haben wir wohl auch gemeinsam - schätze damit sind wir jetzt quitt." sagte ich etwas ironisch und warf der jungen Frau einen kurzen Blick zu, bevor ich wieder nach vorne sah. Vorhin hatte ich - im Gegensatz zu ihr allerdings bewusst - über die Stränge geschlagen und jetzt waren ihre Fragen zu weit gegangen, also bestand ein gewisser Ausgleich. Sie war nicht die erste Person in der Army, die mich danach fragte und auch nicht die erste, die keine Antwort bekam. War also in Ordnung, sofern sie das Thema auch zukünftig einfach auf sich beruhen ließ.
Glücklicherweise bekam sie nicht mit, wo sein Blick hängen blieb, während sie sich auf seine Hand konzentrierte. Sonst wäre sie nämlich innert Sekunden rot angelaufen und hätte sich, schneller als er gucken konnte, ihr Shirt wieder übergezogen. Aber da sie so beschäftigt war mit seinen Fingern zwischen den ihren, entging ihr sein kurzes Abschweifen voll und ganz. Ein etwas kritisches Lächeln umspielte ihre Lippe bei seinen Worten. „Liegt nur daran, dass du absolut keine Ahnung hast, wie das eigentlich aussehen sollte“, spielte sie sein kleines Kompliment gezielt wieder runter. Sie glaubte zwar, sich an die Bewegungen und Abläufe zu erinnern, aber wie gesagt, es war lange her. Hauptsache, es fühlte sich einigermassen gut an für ihn. Was solange der Fall war, bis er plötzlich in einer raschen Bewegung den Arm zurückzog und sie automatisch ebenfalls zurück zuckte. Ihr Blick huschte erschrocken zu seinem Gesicht, doch er liess sie nicht lange auf eine Erklärung warten. „Oh… sorry, hab gar nicht aufgepasst“, entschuldigte sie sich sofort etwas kleinlaut. Hätte sie theoretisch merken können, hatte sie aber nicht. Als er ihr die andere Hand hinstreckte, legte sie ihre Finger etwas zögerlicher um seine Gelenke. „Irgendwelche weiteren Überraschungen, von denen ich wissen sollte?“, fragte sie vorsichtshalber nach, bevor sie noch wirklich was kaputt machte. Die Frage, nach dem ‘damals’, die seine Worte umgehend schon wieder in ihr geweckt hatte, behielt sie auch diesmal für sich. Es spielte keine Rolle, woher die Verletzungen kamen. Was passiert war. Sie sollte nicht fragen, wenn er nicht bereit war, zu reden. Und im Moment wäre es besser für sie beide, wenn sie nicht darüber redeten, die lockere Unbefangenheit nicht verscheuchten, die sie hier so selten zu geniessen bekamen. Im Moment war es besser, wenn sie lächelten und sich mit Massagen und belanglosem Geplänkel von dem ablenkten, was ihnen beiden nicht gut tat. Was keinem gut tat. Dieser Krieg.
Es war seltsam, ihre Gedanken aus seinem Mund zu hören. Schon wieder. Eine weitere Gemeinsamkeit. Sie waren so grundverschieden und gleichzeitig in vielen Dingen so gleich, dass das alles überhaupt keinen Sinn mehr ergab. Er war gewissermassen etwas hitzköpfig - aber auch sie besass das ungezügelte Temperament eines wilden Tieres. Nur, dass sie sich in 98 Prozent der Fälle wirklich ganz gut im Griff hatte, für sich behielt, dass sie am Liebsten schreien und jemandem an die Gurgel gehen würde. Er war rastlos, unzufrieden mit der Situation, sah dieselben Probleme in dieser Organisation, dieser Armee, in ihrem Land, wie sie. Nur löste sie die Dinge, indem sie sich selber vorwärts kämpfte, um mit Macht zu ändern, was sie so störte. Er suchte andere Wege, sie wusste nicht welche, aber sie war sich auch nicht mehr so sicher, das wissen zu wollen. Dass er lauschte, hatte sie nicht vergessen. Sie waren beide zu lange hier, um nach Hause zu gehen, zu lange, um ein Zuhause noch zu kennen, zu lange, um vermisst zu werden, zu lange, um zu vermissen. Sie hatten zu viel gesehen, zu viel getan, zu viel geschehen lassen und zu wenig verhindert, um je wieder ohne die Stimmen und Alpträume leben zu können, die Geister, die sie jagten. Aryana war sich sicher, dass es Mitch nicht anders ging. Sie hatte es ihm angesehen, sie hatte es in seinen Worten gehört. Er hatte es ihr gesagt, ohne es auszusprechen. Ich hab nicht mehr viel zu verlieren. Sie verstand es, so, wie es nur die verstanden, die gleich fühlten, wie sie. Die, die zu manche Jahre dieses Krieges gesehen hatten. Und nicht im Stande waren, ihre Herzen und Seelen früh genug gegen die Dunkelheit abzuschirmen. Die, die ihre Emotionen und Gefühle nicht einfach zum Schweigen bringen konnten. Es war eine Art von Schwäche, aber auch eine ganz eigene Stärke: Die Empathie. Etwas, das viele der alten Männer längst verloren hatten. Für viele von ihnen waren die Toten längst nur noch belanglose Zahlen, an die man sich einmal im Jahr als tragische Helden erinnern sollte. Aber bei ihr war das anders. Jeder tat weh. Und Aryana war sich sicher, dass es Mitch auch spürte, als sie langsam den Blick wieder in seine Richtung hob, langsam aus ihren Gedanken erwachte und stumm sein Profil betrachtete. „Bedeutet das, dass ich jetzt nicht mehr weiter fragen darf?“, wollte sie mit einem schwachen Lächeln, das sie selbst nicht recht begründen konnte, wissen. Sie fragte doch immer. Es war ihr Lieblingsspiel. Es lenkte so gut von ihr selber ab und war es nicht genau das, was sie so gerne tat? Sich selber vergessen, um alle anderen kennen zu lernen? Sich hinter ihren Geschichten verstecken, um nicht an ihre eigenen zu denken? Simpel. Aber effektiv.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das war natürlich möglich. Ich hatte keinen Schimmer von den vermutlich zahlreichen Massagetechniken, die es auf dem Globus gab. Nicht einmal von einer einzigen wusste ich, wie sie funktionierte und was ihr genaues Ziel war. Das Wissen überließ ich aber auch ganz gerne meinem Gegenüber hier. Zwar würde ich zukünftig sicher von Komplimenten profitieren, wenn Faye mir etwas von ihrem Wissen zukommen ließ und ich das Gelernte bei ihr anwenden konnte, aber dafür hatte mein Kopf gar keinen Platz. Es gab wirklich schon mehr als genug Dinge, die sich gerne wirr in meinem Schädel verteilten und durcheinander schwammen, noch mehr von dem Chaos brauchte ich eher nicht. Es war also besser für mich, wenn ich meinen Kopf mit nur so viel neuem Wissen versorgte, wie ich für das Überleben in dieser Hölle brauchte. Alles Andere ließ ich lieber außen vor. Ich ließ der zierlichen Frau mir gegenüber ein Lächeln zukommen, damit sie wusste, dass ich ihr den kleinen Fehler nicht übel nahm. Sie hatte gedanklich sicher auch mit Vielem zu tun, konnte vielleicht ebenfalls nicht zu einhundert Prozent abschalten und hatte es vermutlich deswegen nicht bemerkt. Der Schmerz hatte auch schon wieder nachgelassen, verflüchtigte sich mit jeder weiteren Sekunde ins Nirgendwo, also war Alles im grünen Bereich. "Ist echt nicht schlimm, kann passieren." versicherte ich ihr auch noch wörtlich, dass sie sich deswegen nicht schlecht oder schuldig zu fühlen brauchte. "Und nein, der Arm hier ist meines Wissens nach ganz geblieben." hängte ich kurz darauf noch eine Antwort auf die Frage der Brünetten an. Da konnte sie also unbeschwert dran herum kneten, wie sie wollte, da würde Nichts passieren. Wenigstens ein Körperteil von mir, das unbeschadet davon gekommen war. Da waren nur zwei kleine Narben an der Rückseite meines Oberarms, die aber kaum noch auffielen und wohl mit die am wenigsten lebensbedrohliche Folge gewesen waren. Unweigerlich musste ich wieder an das Geschehene zurückdenken - wie sollte es auch anders sein, immerhin war das ein schwerwiegendes Trauma. Ich war hin und her gerissen, ob ich meine Gedanken nicht doch einfach aussprechen sollte. Vielleicht ging es mir damit besser, als mich immer nur allein damit zu beschäftigen. Ich müsste Faye ja nicht alles erzählen, aber so einen kleinen Wink konnte ich veranlassen. Dann würde sie vielleicht nicht mehr jedes Mal, wenn ich ansatzweise das Thema anspielte, so einen leicht fragenden Blick bekommen. Außerdem respektierte ich wirklich ihre Fähigkeit, nicht einfach ständig wieder nachzuhaken. "Es war ein Sprengsatz, weißt du... deswegen die großflächig verteilten Verletzungen." fütterte ich sie mit einer kleinen Info, die zumindest schon grob im Ansatz erklärte, weshalb ich so kaputt und traumatisiert war. Dennoch versuchte ich gleichzeitig die auf mich einströmenden Gedanken wieder wegzudrängen, was unter den massierenden Bewegungen auf meiner Haut auch etwas leichter fiel als sonst.
Hm. Es wäre auf jeden Fall ein schmaler Grat, auf dem sie sich mit weiteren Fragen bewegen würde - eben ganz je nachdem, welche sie zu stellen gedachte. Das konnte ich aber vorher nicht wissen, demnach wusste ich erst nicht recht, was ich für eine Antwort geben sollte. Stellte sie weitere Fragen, auf die ich keine Lust hatte, wäre meine bis eben noch fast neutrale Laune vermutlich eher wieder ziemlich hinüber, was weder für mich, noch für Aryana gut wäre. Denn wir wussten wohl beide, dass ich meine gesamte Umwelt gern wissen ließ, dass ich schlechte Laune hatte, indem ich Alles und Jeden anknurrte, der auch nur einen Zentimeter zu nah an mich heran kam. Bevor ich zur Army kam war ein Knurren da meistens nicht das Einzige gewesen, das bei einem falschen Wort in meine Richtung passiert war. Was die Geschichte mit meinen leichten - Hust - Aggressionsproblemen anbelangte, hatte ich mich also tatsächlich schon gebessert. Wäre es anders, wäre ich aber auch schon lange nicht mehr hier, denn Schlägereien wurden hier eher weniger geduldig und nicht selten bestraft. Diesem Teil meines nicht gerade einwandfreien Charakters hatte der strikt getimete Alltag und die ebenso strengen Regeln dort also wirklich gut getan, mich positiv beeinflusst. Es wäre also vielleicht sowieso nicht gut, wenn ich wieder nach Hause gehen würde, könnte da ohne guten Plan schnell in alte Muster zurück fallen. Die Alkoholeskapaden von damals brauchte ich um ehrlich zu sein echt nicht nochmal, einmal reichte da vollkommen aus. "Dürfen tust du schon... sofern du keine ungewollten Fragen mehr stellst. Ich hab nicht wirklich Bock, mir meine Laune jetzt endgültig versauen zu lassen." sagte ich schließlich gerade heraus zu Aryana, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ob sie sich gerne weiter auf dem dünnen Eis, auf dem sie gerade stand, bewegen wollte, war also ihr überlassen. Mein Blick ruhte auf dem ihren, musterte dann unauffällig ein wenig ihre Gesichtszüge. Das Lächeln würde ich wohl kaum erwidern, war sie mir dafür doch gerade zu sehr auf die Füße getreten.
Gut, er nahm es ihr nicht übel. Aber was anderes hätte sie auch nicht erwartet, er war keinesfalls der nachtragende Typ Mensch, so wie sie ihn bisher kennengelernt hatte. Ausserdem war es ihr erster Fehler gewesen, da liess es sich leichter drüber hinwegsehen, als wenn sie die ganze Zeit auf irgendwelche schmerzenden, alten Wunden drücken würde. Als er ihr schliesslich bestätigt hatte, dass dass die andere Hand soweit intakt war, begann sie mit der gleichen Prozedur von vorn, nur etwas vorsichtiger diesmal. Sie wollte wirklich nichts kaputtmachen. Als er kurz darauf aber wieder den Mund aufmachte, hob sie rasch den Blick. "Du musst es mir nicht erzählen“, sagte sie sofort, fiel ihm beinahe ins Wort im Versuch, ihm klar zu machen, dass er ihr hier ganz sicher nichts zu erklären brauchte. Natürlich schätzte sie seine Ehrlichkeit. Schätzte sie die Tatsache, dass er ihr etwas sagte, über das er ganz eindeutig nicht reden wollte. Aber sie wollte nicht, dass er es nur tat, weil sie dummerweise falsch geguckt hatte. Weil er glaubte, ihr irgendwas schuldig zu sein - denn das war er nicht. Sie hatte selber ihre Geheimnisse, ihre schmutzigen alten und nicht so alten Geschichten, die sie liebend gern für immer für sich behielt. Es war in Ordnung, wenns bei ihm auch so war. Wenn er das Trauma, dass er zweifellos aus dieser Explosion gezogen hatte, nicht teilen wollte. Sie konzentrierte sich nun fast krampfhaft auf seine Hand. Versuchte sogar, gar nicht über seine Worte nachzudenken. Das war mehr oder weniger unmöglich, natürlich. Wie sollte sie nicht darüber nachdenken, dass Victor offenbar mindestens einmal nur so knapp mit dem Leben davongekommen war? Ein Sprengsatz… Er war sicher nicht alleine gewesen. Vielleicht war jemand gestorben. Es war vielleicht sogar in diesem Land gewesen. Wahrscheinlich sogar. Auch wenn sie nicht über den jungen Mann gelesen hatte, nicht mal wusste, wie alt er eigentlich war, so war sie sich ziemlich sicher, dass er nicht alt genug war, um schon in einem anderen Krieg gedient zu haben. Es sei denn, es wäre nicht im Krieg passiert. Was sie bezweifelte, wenn man die Situation von heute Nachmittag im Auto bedachte… Gott wie war das nochmal gewesen mit nicht über seine Worte nachdenken?! Himmel, sie hatte es nicht einmal geschafft, äusserlich so zu wirken, als wäre sie noch bei der Sache! Stattdessen waren ihre Bewegungen langsam geworden, unfokussiert. Und Faye schüttelte nur den Kopf über sich selber, versuchte, die Gedanken los zu werden und ihre Aufmerksamkeit zurück auf seine Gelenke zu richten. Sie sollten nicht davon reden.
Entgegen der allgemein wieder ganz nett abgekühlten Stimmung zwischen ihnen, wurde Aryanas Lächeln bei seinen Worten noch ein Bisschen versonnener. Soso. Keine ungewollten Fragen. Das war eine schwierige Ausgangslage. Denn die ungewollten Fragen waren doch genau die, die die schönsten Geheimnisse verbargen. Oder eher die interessantesten, mit denen sie sich dann wiederum am längsten beschäftigen könnte. Ablenken. Wenn sie selber nichts zu verbergen hätte, keine Geheimnisse und keine Dunkelheit, die ihre Gedanken vergiftete, dann würde sie ihm ja ein Spielchen vorschlagen wie ‘du eine Frage, ich eine Frage’ oder ganz klassisch, wie man es in Highschool Camps so machte: Wahrheit oder Pflicht. Allein der Gedanke war amüsant, wo er doch so gut zum trügerischen Schein des Lagerfeuers passte. Aber nein, würde Mitch kaum lustig finden. Und sie wohl ziemlich bald auch nicht mehr. Also entschied sie sich für einen anderen Weg. „Gut, keine ungewollten Fragen mehr. Ich versprech', ich geb' mein Bestes“, willigte sie dann ein, ehe ihr Blick wieder zum Feuer ging, sie einen Moment lang nachdenklich den Flammen bei ihrem eigenen, gefährlichen Spiel zuschaute. „Warst du schon mal verliebt und wenn ja, wer war die Glückliche? Und was hielt sie davon?“, die Frage - oder die Reihe von Fragen - war einfach und sie fand sie nicht unangenehm. Es waren immerhin meist schöne Erinnerungen an verflossene Liebhaber/innen. Und die Liebe war doch sowieso ein lockeres Thema, solange man jedenfalls nicht sie dazu ausfragte und nichts zum Thema Sex mit einbezog. Da ihr das aber selber am unangenehmsten wäre, brauchte er sich davor nicht zu fürchten und sie blieben erstmal bei seinem Verliebtsein.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das war mir schon bewusst. Ich wusste, dass ich kein Wort darüber verlieren musste. Dass es Faye im Grunde auch gar nichts angehen musste, was ich in meinem vorherigen Leben alles erlebt und durchgemacht hatte. Aber dieser eine Satz war mir gerade nicht zu schwer gefallen, es war also in Ordnung. Die daraufhin folgenden Gedanken ließen sich halbwegs gut zurückdrängen, sofern wir nicht bei dem Thema blieben. Ich wusste nicht woran genau das lag, aber ich fühlte mich einfach recht wohl in Fayes Gegenwart. Sie sah mich weder mit einem misstrauischen Blick von der Seite an, noch bohrte sie ständig nach Antworten zu den Fragen, die sicher in ihrem Kopf herumschwirrten. Sie machte mir keinen Druck und das war es wohl, was mich zu diesem Satz getrieben hatte. Die junge Frau vor mir schien sich aber jetzt fast schon ein wenig zu verkrampfen, wirkte unruhig. Ich glaubte nicht, dass es grundlegend falsch gewesen war, ihr das zu sagen, aber sie schien sich jetzt wohl doch den Kopf darüber zu zerbrechen. Worüber genau wusste ich natürlich nicht. Vermutlich darüber, warum ich ihr jetzt ansatzweise eine Antwort wider Erwarten gab. Vielleicht auch, ob sie sich die Schuld dafür geben sollte. Ob sie mich irgendwie unter Druck gesetzt hatte. Ob sie womöglich etwas Falsches gesagt hatte. Oder aber die junge Frau dachte ganz einfach darüber nach, wie es denn zu der Bombe gekommen war. Wie die Sache letztendlich für den Trupp, die ganze Operation ausgegangen war. Warum ich das überhaupt überlebt hatte, stand ich doch scheinbar recht nahe an dem Sprengsatz, den großen Narben auf meinem Rücken zur Folge. Es gab wohl Unzähliges, worüber sie nachdenken konnte. Wenn das hier so weiterging zerbrach ich mir wiederum den Kopf darüber, warum sie sich jetzt den Kopf zerbrach. Also sollte ich diesem komischen Moment ein Ende setzen. "Heeey." meinte ich langgezogen und hob ihr Kinn mit meinem Finger an, damit die Brünette mich ansah, bevor ich die Hand wieder sinken ließ. "Hätte ichs dir nicht sagen wollen, hättest du kein Wort aus mir raus bekommen, Faye. Wenn du jetzt aufhörst, dich so zu verkrampfen, dann mach ich mir auch keine Gedanken mehr dazu. Also tu uns beiden vielleicht einen kleinen Gefallen und hör auf damit." versuchte ich sie zurück ins Hier und Jetzt zu holen und legte mit einem leichten Grinsen den Kopf schief. "Ich schwör' auch, dass ich kein Wort mehr sage." fügte ich leise lachend noch hinzu, piekte ihr dann einmal leicht in die Seite, in der Hoffnung sie irgendwie wieder aufzulockern. Sollte das nicht funktionieren, dann hatte ich mir wohl gekonnt selbst den Abend ruiniert.
Aryana gab sich also Mühe... interessant, dass sie trotzdem ein mir eher unliebsames Thema ansprach. Es war zwar nicht so, als könnte ich nicht darüber reden, aber wirklich angenehm war es auch nicht. Tatsächlich hatte ich diesbezüglich nie wirklich Jemanden nahe genug an mich heran gelassen, um wirklich von Liebe sprechen zu können. Vermutlich ein simpler Schutzmechanismus von mir selbst, um mich vor seelischer Verletzbarkeit zu schützen. Im Grunde genommen hatte ich nur einmal eine Beziehung gehabt - falls man das so nennen konnte, hat schließlich nur 4 Monate gehalten. Letzteres war aus einer Menge Gründen zwar meine eigene Schuld gewesen, aber nunja, ich trauerte dem Ganzen auch nicht nach. Sicher hatte es früher, bevor meine Auslandsaufenthalte begonnen hatten, Frauen gegeben, die sich durchaus für mich interessiert hatten. Mehr als auf körperlicher Basis waren sie mir aber selbst bei noch so großer Bemühung nie gekommen. Es brauchte vermutlich Hammer und Meißel, um die dicke Betonschicht, die mein Herz für gewöhnlich umgab, irgendwie locker zu kriegen. Vielleicht auch einen Presslufthammer. Oder gleich eine Abrissbirne, mit halben Sachen kam man da vermutlich nicht weit. "Liebe würd' ichs nicht nennen, nein. Schätze sowas wie 'Die Richtige' gabs nicht. Hab ich aber ziemlich bewusst so gemacht, was soll ich mir auch bevor ich mit dem Militär ins Ausland fliege eine Freundin suchen? Fernbeziehungen funktionieren nicht, welche mit Soldaten schon gar nicht. Hab genug Andere dran kaputt gehen sehen." gab ich bloß eine recht kühle Antwort von mir und zuckte mit den Schultern. Das konnte sie wissen. Es mochte Aryana zwar vielleicht mehr über meinen Charakter verraten, aber etwas davon kaufen konnte sie sich nicht. "Und wie ist das bei dir, hm?" hakte ich dann mit der Gegenfrage nach, hielt sie im Blick.
Anscheinend war sie zu langsam damit, so zu tun, als würden seine Worte ihr nicht im Kopf herumgeistern. Denn kaum hatte sie ihre Aufmerksamkeit wieder bemüht auf seine Finger gelenkt, spürte sie seine andere Hand unter ihrem Kinn und blickte ihn blinzelnd aus den grossen, blaugrünen Augen an. Upsi. Sie war dumm. Und viel zu leicht zu durchschauen - wie immer halt. Faye lächelte etwas verlegen und murmelte ein leises „Sorry, ich hör schon auf“, vor sich hin. Dann richtete sie sich wieder aus ihrer zusammengesunkenen Position auf, genau rechtzeitig um mit einem Quieken direkt wieder zusammen zu zucken, als er sie einfach in die Seite piekste. „Hey!“, rief sie, wobei sie sich der Entrüstung zuliebe ein Lachen verkniff. „Ich sagte ja schon, ich hör auf“, wiederholte die Brünette beschwichtigend ihr Versprechen, hatte seine Hand aber mittlerweile losgelassen, um ihn einen Moment lang berechnend anzuschauen. Auf der Suche nach einer guten Strafe dafür, dass er sie berührt hatte. Ging immerhin gar nicht - und er würde es immer wieder tun, wenn sie ihm nicht gleich beim ersten Mal deutlich machte, dass das nicht erlaubt war. Schliesslich blieb ihr Blick an seinen Haaren hängen und sie streckte kurzerhand plötzlich die Finger danach aus, um ihm einmal die ganze perfekte Frisur zu verwuscheln. Was kein Problem war, da seine Haare dafür die perfekte Länge besassen. Dann grinste sie wieder zufrieden, betrachtete ihr Werk. „Ein ganz Hübscher bist du“, stellte sie für sich fest, unterstrich die Aussage mit einem zustimmenden Nicken. So leicht war es, sie von einem unliebsamen Thema abzulenken. Zumindest dann, wenn sie selber mehr als willig war, es wieder zu vergessen. Und das war sie offensichtlich. Denn sie könnte auch ganz anders mit seiner kleinen Offenbarung umgehen. Zum Beispiel, indem sie ihm als Dankeschön für seine Ehrlichkeit ebenfalls ein etwas harmloseres Geheimnis schenken. Aber irgendwie… Nein. Sie kannte ihn seit heute, es war zu riskant. Ihre Geheimnisse waren allesamt nicht harmlos und sie waren mit dummen Entscheidungen und Fehler ihrerseits verbunden. Sie glaubte nicht, dass Victor irgendwas weitererzählen würde, aber wenn doch, dann hätte sie eine Menge zu verlieren. Darum hielt sie lieber den Mund, auch wenn sie so gerne endlich mit zumindest einer Person darüber reden würde, alles beichten und auskotzen um nicht mehr so alleine zu sein. Sich vielleicht irgendwann sogar selber zu vergeben. Aber davon war sie noch weit entfernt… Und das wusste sie.
Nein, schien auch nicht das richtige Gesprächsthema gewesen zu sein. Aber bitte, immerhin antwortete er und sie hatte wieder ein Stückchen seiner Geschichte gewonnen, seines Charakters. „Das… stimmt wohl“, gab sie ihm ihr Einverständnis mit seinen Worten bekannt. Ja, Fernbeziehungen waren uncool. Man sahs hier eigentlich täglich. Soldaten, die die vergilbten Bilder ihrer Liebsten wieder und wieder zwischen den Finger drehten in der Hoffnung, ihnen so näher zu sein, die Zeit bis zur Rückkehr kürzer zu gestalten. Soldaten, die Geschichten ihrer Kinder, Freundinnen, Ehepartner erzählten. Immer begleitet von diesem sonderbaren Glitzern in den Augen, das nur so vor Sehnsucht glühte. Nein, nein, Liebe kann es hier nicht geben. Es dauerte nicht lange und Mitch entschied sich für die wenig überraschende Gegenfrage. Damn, sie hatte schon gedacht, er würde gar nicht fragen haha. Ein versonnenes Lächeln erschien schon wieder auf ihrem entspannten Gesicht. Denn ganz offensichtlich war sie etwas weniger verschlossen, was dieses Thema anbelangte. Weil es ganz einfach langweilig war, ihr Liebesleben. „Ich hatte mal nen Highschool Boyfriend. Dann einen College Boyfriend. Ja, man könnte fast sagen, ich war mal normal. Dann kam die Army und mein Herz wurde kalt“, erzählte sie sehr dramatisch, aber mit einem überdeutlichen, sarkastischen Unterton. Von dem letzten Freund, den sie hatte - der, den sie vor eineinhalb Jahren abserviert hatte, als er eben aus der Army abgetreten und zurück nach Hause gegangen war - erzählte sie nichts. Das war ein Thema für sich, über das dann auch sie nicht mehr gerne sprach. Also besser, sie deutete ihn gar nicht erst an, erwähnte den guten Mann in keinem Nebensatz. „Wolltest du denn schon immer zur Army? War das dein Kindheitstraum?“, redete sie weiter, ohne ihm zu viel Zeit zum Schweigen zu gönnen. Es hatte nämlich gerade nach genau dieser Sache geklungen - so wie er gesagt hatte, dass er nie eine Freundin wollte, weil Fernbeziehungen scheisse sind.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Und dann kam sie - die Rache für das minimal fiese Pieken in ihre Seite. So schnell konnte ich gar nicht gucken, da hatte Faye auch schon ihre Hand gehoben und sie in meinen Haaren versenkt. Hach ja... Haare dieser Länge waren wohl einfach unpraktischer als ein für Männer der Army typischer Kurzhaarschnitt. Es gab nicht wenige hier, die sich die Haare in Eigenregie abrasierten und das alle paar Tage, damit sie bloß nicht länger als nötig wurden. Sie durften noch lange genug sein, damit man keinen Sonnenbrand auf der Dachplatte bekam, aber mehr auch nicht. War schlicht weg einfacher hier derart mit den eigenen Haaren zu verfahren - aber ich wäre vermutlich nicht mehr ich selbst, wenn ich es mir plötzlich einfach im Leben machen würde. Zumal ich vielleicht auch ein kleines bisschen an meinen Haaren hing, weil sie mir einfach gut standen, so wie sie waren. Ich wusste, dass ich gut aussah und zugegeben mochte ich das auch. Nicht, dass mein Ego die Blicke von Frauen brauchte, aber es war ab und zu doch mal ganz angenehm, derartige Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn jetzt mein Kopf auch noch bereit wäre, sich auf irgendwas Neues einzulassen, wäre ich in meiner Freizeit vermutlich auch weiter gekommen. Hier in der Army war das so oder so nicht gerade vorteilhaft, weswegen der Zug wohl abgefahren war. "Also findest du mich selbst mit so 'ner Frisur noch hübsch? Gut zu wissen." ärgerte ich sie mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und blinzelte ihr gespielt zu, bevor ich die rechte Hand hob und meine Haare so gut es ohne Spiegel möglich war wieder zu richten. Natürlich wusste ich, dass Faye ihre Worte ziemlich ironisch gemeint hatte, aber ihr in dieser Situation die Worte im Mund umzudrehen machte ganz einfach Spaß. Die junge Frau würde wohl in der Lage sein zu merken, dass ich ebenfalls Sarkasmus in meiner Stimme mitschwingen ließ und mich damit einfach auf eine ungezwungene Konversation einließ. Ein ernsthafter Flirt wäre eine andere Geschichte, aber das war hier nicht der Fall. Wir nahmen uns ledigleich gegenseitig auf die Schippe, mehr nicht. Es war auch schon lange her, dass ich darüber das letzte Mal Witze gemacht hatte... aber im Moment passte das einfach ganz gut. Also nicht weiter drüber nachdenken. "Pass' lieber auf - meine Arme sind immernoch länger als deine."
Also das ganz normale Drama der Jugend quasi, richtig unspektakulär. Natürlich könnte es da noch andere Dinge geben, die Aryana mir ganz einfach nur nicht erzählen wollte, aber das kümmerte mich in dieser Hinsicht tatsächlich nicht wirklich. Was hätte ich auch davon zu wissen, wie ihr Liebesleben bis dato verlaufen war? Wären wir bei einem Blind Date und ich wäre interessiert, dann wäre das womöglich eine brauchbare Situation - beides war aber nicht der Fall, also würde mein Schädel diese Infos womöglich auch die nächsten Tage wieder langsam zum Bröckeln bringen, bis sie irgendwann ganz verschwunden waren. Nicht ernsthaft relevant das Ganze, weshalb ich ihre Antwort nur mit einem Nicken hinnahm, bevor sie wie aus der Pistole geschossen auch schon die nächste Frage verlauten ließ. Tatsächlich auch kein idealer Weg, den sie da einschlug... wobei ich, wenn ich ehrlich war, sowieso am liebsten einfach gar nichts beantworten würde. Ich ließ meine Umwelt gerne so gut wie Nichts über mich wissen und das aus mehreren sehr guten Gründen. Sie konnte also auch auf diese Frage eine nur wenig detaillierte Antwort bekommen, mehr war in diesem Fall nicht drin. Wenn Aryana anschließend noch weiter nachbohren würde, würde ich - vermutlich sehr zu ihrem Missfallen - ein Veto einlegen und ihr Fragenpensum für heute wäre eindeutig hart an der Grenze, das Fass kurz vorm Überlaufen. Das wäre vermutlich dann der Punkt, wo entweder einer ging, oder die Laune wieder bedrohlich zu schwanken anfangen würde. "Nein, kein Kindheitstraum. Eher eine Notlösung." beantwortete ich die Frage der Brünetten, ohne den Blick von ihr abzuwenden. Es war wohl eine für Viele unangenehme Eigenschaft von mir, dass ich Menschen gern und lange ansah, sie bis ins kleinste Detail musterte. Nicht selten war mein Blick dabei ziemlich aufdringlich, leicht stechend. Allerdings schaute ich ohnehin nur selten mal versonnen und glücklich, also war es der Großteil hier vermutlich auch einfach schon gewohnt. "Aber wenn du auf dem College warst... warum dann die Army? Du hättest Etwas wesentlich weniger... dreckiges machen können." hakte ich dann doch etwas interessierter nach, weil ihr Einzugsgrund in diese Hölle wohl doch Einiges über die starke junge Frau aussagen könnte. Vorausgesetzt natürlich, dass ich überhaupt eine Antwort bekam und nicht eine ihrerseits vorhandene Grenze durchschritt.
„Zum Anbeissen“, erwiderte sie todernst auf seine Frage, hielt seinem Blick ohne mit der Wimper zu zucken stand. Ein kleines Bisschen stimmte das ja auch. Er gefiel ihr schon. Aber das würde wohl jede Frau an ihrer Stelle sagen und Victor wusste das zweifellos schon lange. Also liess sie jetzt einfach mal offen, wie wie Wahrheit denn nun wirklich in ihren Worten steckte. Ihr typisches, schelmisches Grinsen kehrte erst dann wieder auf das Gesicht der Brünetten zurück, als er die nächste, unverhohlenen Drohung aufzog. Sie schüttelte etwas den Kopf, betrachtete ihn bewusst abschätzig, als würde sie ihm grundsätzlich gar nichts zutrauen. „Was willst du denn machen, hm?!“, fragte sie schon fast ein wenig herausfordernd, während sie ihr Kinn in die Höhe reckte, als wäre sie absolut unbeeindruckt von seiner leisen Warnung. „Aber vergiss nicht, dass das gerade die Strafe für dein Pieksen gewesen ist. Und wenn du noch was machst, denk ich mir auch wieder was aus. Was Schlimmeres“, stellte sie schonmal klar, während sie in Gedanken schon die nächsten tausend Strafen durchging, die der Dunkelhaarige vor ihr erdulden durfte, falls er sich nicht wie ein kluger Mann für einen vorzeitigen Waffenstillstand entschied, bevor die Sache überhaupt richtig lustig wurde. Sie hätte ja gar nicht viel dagegen. Es lenkte immerhin ganz gut von den Überlegungen ab, die sie nicht machen wollte. Von den nie erzählten Geschichten und der Realität, der sie gegenüberstanden.
Eine Notlösung? So hatte es davor nicht geklungen. Ob er sie absichtlich mit solchen Antworten abspeiste, dass sie dann nur noch viel mehr Fragen hatte als zuvor? Wohl eher nicht, denn er schien ihre Neugier nicht so wirklich zu schätzen. Absolut unverständlich für die junge Dame aber okay. Als er im nächsten Moment aber schon wieder eine Gegenfrage stellte, musste Aryana wohl zugeben, das selber nicht so geil zu finden. Ok, das College hätte sie also nicht erwähnen sollen. Hmhm. „Vielleicht steh ich ja auf dreckig“, war alles, was sie mehr oder weniger sarkastisch dazu sagte und machte somit unmissverständlich klar, dass sie darauf keine brauchbare Antwort liefern würde. Ebenso wenig wie er. Dann waren sie ja wieder quitt. Und Aryana konnte abwägen, ob sie ihn weiter nerven und sich selber unerwünschten Gegenfragen aussetzen wollte oder ob sie genug hatte für heute. Keins von beidem war eigentlich wirklich der Fall. Sie hatte nicht genug, natürlich nicht. Aber die Fragen waren ihr mindestens genauso unangenehm wie ihm, auch wenn sie sie scheinbar halbwegs geschickt mit dummen Antworten abtun konnte. Also traf sie wohl schweren Herzens eine Entscheidung und strich sich ein weiteres Mal an diesem Abend die losen Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Tjaaaa es hat mir wirklich Spass gemacht, Mitch, aber ich denke, die Fragerunde wird für heute ein Ende gefunden haben“, beendete sie mehr oder weniger ihr Gespräch, da sie nicht davon ausging, dass er es gerne weiterführen wollte. Er wirkte bisher eher so, als sollte ihn diese Neuigkeit jetzt erleichtern.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja guuut... dass ihre Antwort darauf dann doch ernster wirkte, als ich erwartet hatte, ließ mich gedanklich kurz stocken. Ich meine, klar - dass ich jetzt nicht schlecht aussah war mir ja wie vorher schon erwähnt bewusst, aber ich hatte einfach mit mehr Sarkasmus gerechnet. Also war da vielleicht indirekt ein heimliches Kompliment versteckt, ohne dass es jemals Irgendwer erfahren würde. Denn fragen würde ich sie danach ganz sicher nicht. Erstens, weil es die herrlich lockere Stimmung absolut killen würde und das war das Allerletzte, das ich gerade wollte. Zweitens, weil ich das vermutlich gar nicht wissen wollte - obwohl ich die Antwort schon ahnen konnte. Aber wenn ich es nicht wusste, dann konnte ich Nichts hineininterpretieren, was nicht da war. Das war leider eine Sache zu der ich unheimlich gerne neigte, also erstickte ich sowas besser gleich im Keim. Drittens, weil die Frage in der Army nichts zu suchen hatte. Es war irrelevant, was sie als meine Arbeitskollegin - denn viel mehr als das waren wir hier nüchtern betrachtet nicht... gut, ein Arzt eben im Ernstfall auch - von mir und meinem Aussehen hielt. Ob ich in ihren Augen attraktiv war oder eben nicht. Auf jeden Fall beließ ich es lieber bei ihren Worten, behielt dabei einfach nur ein unbewusst recht viel aussagendes Grinsen auf den Lippen. Lange sehen tat Faye letzteres aber gar nicht, denn ich plante schon den nächsten Angriff. "Falsche Antwort, Madame!" warnte ich die junge Frau in viel zu kurzem Zeitabstand vor, bevor ich mich zu ihr rüber beugte und sie wieder in die Seite piekte. Diesmal aber beidseitig und mehr als ein leichtes Kitzeln. Vielleicht hatte ich ja auch einfach Pech und Faye war gar nicht kitzelig. Aber nachdem die Brünette auf das einzelne Pieken zuvor schon so empfindlich reagiert hatte, hielt ich das doch für eher ziemlich unwahrscheinlich. Außerdem gab es allgemein nur sehr wenige Frauen, die wirklich so gar nicht kitzelig waren. Manchmal bedurfte es vielleicht ausgefeilter Technik, aber möglich war es im Grunde immer.
Aha. Da war also auch bei ihr eine Grenze, die ich ziemlich provokant mit der Fußspitze angestochen hatte. Wie einen Stein, der an der Kante einer Klippe lag und nur gerade so liegen blieb. Dafür sorgte Aryana selbst, indem sie mir ganz einfach keine richtige Antwort auf meine Frage gab, was ich ja doch fast ein wenig schade fand. Hätte mich tatsächlich interessiert und wäre womöglich nützlich gewesen. Aber wenn die junge Frau meine Grenze achtete, dann sollte ich das vermutlich auch bei ihr tun, so der Höflichkeit wegen. Letztere war zwar Nichts, wovon ich oft und gerne Gebrauch machte, aber hier war es wohl angebracht. Wobei ihre Worte ja trotz der nicht vorhandenen Aussagekraft wirklich richtig neckisch zur Provokation meinerseits aufriefen - sie mochte es dreckig. Die Wortwahl war also nicht unbedingt geschickt in Anbetracht der Tatsache, dass sie doch ganz genau wusste, wie gerne ich gute Kontermöglichkeiten nutzte. Dass ich nur selten ein Blatt vor den Mund nahm, wenn mir die Worte so schön auf der Zunge lagen. Es war sooo eine gute Vorlage... richtig fies. "Das wundert mich nicht." erwiderte ich daraufhin nur mehr oder minder zweideutig, wobei das darauffolgende Zwinkern in ihre Richtung wohl genug Aussagekraft hatte, um ihr zu vermitteln, dass sie besser aufpassen musste, was sie in meiner Gegenwart sagte. Vor Allem dann, wenn sie ein Thema in dieser Richtung doch hatte meiden wollen. "Ich bin untröstlich." folgten wenig später noch weitere Worte meinerseits, nur so vor Ironie triefend. Ja, war wirklich schade, dass die Fragerei ihr Ende gefunden hatte - Nicht. Es war anstrengend geworden. Ich fing an meinen Blick über die Anderen am Lagerfeuer schweifen zu lassen, jetzt wo langsam Schweigen einkehrte. Victor war nicht der einzige Neue, die anderen beiden unterhielten sich unweit von der Chefin und mir. Aber apropos - wo war der Dritte hin verschwunden? Hatte der nicht vorhin noch mit Faye auf der anderen Seite des Feuers gesessen? Nicht exakt parallel zu Aryana und mir, aber doch war ich mir ziemlich sicher, wo die beiden sich aufgehalten hatten. Sonst sah ich sie auch nirgendwo mehr, sie schienen das Weite gesucht zu haben. War mir entgangen. "Wo ist eigentlich deine Schwester hin verschwunden? Sie scheint ja förmlich verzückt von dem Frischfleisch zu sein." säuselte ich weiter grinsend vor mich hin, wobei ich aber wieder nach der Gitarre griff. Ich hatte nicht vor, hier Irgendwen suchen zu gehen - ich wollte nur ein bisschen Unruhe stiften.
Sie sah sein Grinsen schon. Und auch wenn er nichts mehr zum Thema sagen wollte, zuckten ihre Mundwinkel bei diesem Anblick doch schon wieder äusserst amüsiert. „Bild dir darauf jetzt bloss nichts ein, du bist trotzdem nur ein verspannter Patient für mich“, stellte sie erstmal fix klar, wobei auch in diesen Worten eine gewisse Prise Ironie mitschwang. Patient war etwas übertrieben, immerhin war sie diejenige, die bis gerade eben noch eine Massage genossen hatte. Aber eine Hand wäscht eben die andere. Und länger liess er sie dann darüber auch gar nicht mehr nachdenken, da er plötzlich direkt nach einer halbherzigen Warnung dazu überging, dort fortzufahren, wo er aufgehört hatte. Sofort schnappte sie nach Luft, ehe sie lachend seine Hände abwehrte, dabei so lange zurückwich, bis ihr Rücken wieder auf dem Bett aufkam. "Kitzeln ist nicht fair!!“, rief sie entrüstet, schnappte dabei aber noch immer lachend nach Luft, sodass man sie kaum ernst nehmen konnte. Sie reagierte schon immer viel zu empfindlich auf Berührungen, somit war es naheliegend, dass Faye leider Gottes auch überdurchschnittlich kitzlig war. Also war das wirklich auf einer gewissen Ebene unfair. Fand sie. Als sie endlich eine seiner Hände zu schnappen kriegte, klammerte sie sich an seinem Handgelenk fest und zog sich daran wieder hoch, bis sie wieder mehr oder weniger aufrecht sass. Sie blinzelte ihn mit funkelnden Augen an. „Muss ich dir als Strafe dafür jetzt die Haare ganz abschneiden?“, seufzte sie theatralisch, schielte zu seiner wieder zurechtgerückten Frisur hoch, wobei das Grinsen auf ihrem Gesicht ihn wohl nicht unbedingt dazu brachte, sie als Bedrohung für seine dunklen Locken zu betrachten.
Tatsächlich war diese Wortwahl ihrerseits beabsichtigt gewesen. Hiess nicht, dass sie jetzt über ihre Vorlieben diskutieren wollte, aber es lenkte ihn auf jeden Fall ganz geschickt von allem ab, was ihn noch weniger was anging als das. Somit nahm sie seine Worte und sein Zwinkern still entgegen, schüttelte nur mit einem schwachen Lächeln den Kopf. Und ihre Wangen hatten trotzdem schon wieder diesen unverkennbare Rosaton angenommen, was sie dank der Wärme doch durchaus zu spüren bekam. Liess die Brünette aber ganz geschickt unkommentiert, denn dass sie so schrecklich auf alles reagierte, was irgendwie mit Sex und Erotik zu tun hatte, war ihr jetzt nicht unbedingt angenehm. Aber egal. Gott sei Dank verging das Thema auch ganz von selbst wieder und Mitch sprach stattdessen eine andere Tatsache an, die Aryana untypischerweise vollkommen entgangen war. Nämlich das Verschwinden ihrer Schwester. Normalerweise bemerkte sie das sofort, auch wenn es sie nicht zwingend kümmerte. Aber sie liess Faye trotzdem nur ungern aus den Augen, traute hier eigentlich keinem im Bezug auf ihre Schwester. Sie war viel zu naiv. Und dieser Ort zu gefährlich. Und diese Männer hatten zu lange keine hübsche Frau mehr gesehen. Aber dank Aryanas Stellung war wohl den meisten hier klar, dass auch ihre Schwester ein absolutes Tabu war. Naja, allen ausser Victor, wie Mitch ihr wohl gerade unter die Nase reiben wollte. Aber so schnell glaubte sie keinen Gerüchten, dafür kannte sie sowohl Faye als auch das sensationshungrige Gelaber in diesen Camps wohl zu gut. „Neidisch?“, fragte sie also nur lächelnd, aber vollkommen sarkastisch. Sie wusste, dass er auch das zweite Mitglied ihrer Familie nicht lieber mochte, als sie selber. Zumindest entnahm sie das der Erzählung der kleinen Begegnung, welche die beiden diesen Nachmittag gehabt hatten. „Solange sie innerhalb der Grenzen dieses Lagers bleibt, sollte mir das egal sein, Mitch. Solange sie nicht den Verstand verliert und mit einem Islamisten durchbrennt, um zur Gebärmaschine des IS zu mutieren. Das kleine Mädchen passt schon auf sich selbst auf“, antwortete sie so gelassen, dass man ihr den Frieden fast abkaufte. Dass sie in Wirklichkeit selber nicht an ihre Worte glaubte und ganz und gar nicht der Meinung war, dass Faye auf sich selbst aufpassen konnte, ging Mitch nichts an.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja ja, na klar, nur ein verspannter Patient. War ja nicht so, als hätte sie Nichts zurückbekommen, aber gut - ich ließ die Geschichte einfach mal so stehen, weil es allgemein wohl besser wahr, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen. Stattdessen wurde mein Grinsen breiter und breiter, während Faye sich unter meinen Händen hin und her wandte. Ich müsste ja lügen, um zu sagen, dass es mir keinen Spaß machte, sie da so außer Gefecht gesetzt liegen zu sehen. Ich würde wohl so schnell nicht mehr vergessen, dass man die zierliche junge Frau nur zu kitzeln brauchte, um sie zu ärgern und kurz aus der Fassung zu bringen. Auch ihr ehrliches Lachen war angenehm, hatte ich in letzter Zeit tatsächlich Niemanden mehr lachen hören. Meine Mutter hatte geweint, als ich ihr erzählt hatte, dass ich wieder zurück an die Front gehen würde. Mein Vater hingegen hatte tief geseufzt und den Kopf geschüttelt, auch ein paar Tage danach noch einmal das Gespräch zu mir gesucht. Seine Versuche mich davon abzuhalten, mich zum Bleiben zu überreden, waren aber ganz offensichtlich gescheitert, saß ich jetzt doch wieder hier. Allgemein hatte ich in meinen letzten beiden Wochen Zuhause nur enttäuschte Blicke geerntet, die von einem Lachen sehr weit entfernt lagen. Aber das hatte ich in den Staaten zurückgelassen und umso besser war es, dass ich gerade auf andere Gedanken kam, dass ich wieder jemanden Lachen hörte. Letzteres verstummte langsam wieder, als ich Faye mein Handgelenk überließ. Klar, ich könnte die Brünette leicht noch weiter quälen, wäre es für mich doch nicht gerade schwer, ihr meine Hand wieder zu entreißen. Aber ich ließ sie gewähren, grinste süffisant weiter vor mich hin, als sie sich langsam wieder aufsetzte. "Du weißt, dass deine Haare das dann aber auch nicht überstehen würden, hm? Mal davon abgesehen, dass ich dich zur Strafe noch weiter kitzeln müsste." ließ ich mich weiter auf den Spaß ein und piekte sie mit der freien Hand ein letzten Mal in die Seite, lachte leise auf. "Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dir lange Haare besser stehen, Also überleg dir das gut, Madame." fügte ich noch ein paar Worte hinzu und zuckte mit den breiten Schultern, bevor ich meine Hand so drehte, dass sich ihre Finger unweigerlich von meinem Handgelenk lösten, weil sie es mit ihren zarten Fingern gar nicht ganz umfassen konnte. Stattdessen legten sich meine Finger wie im Handumdrehen - wortwörtlich - um das Ihre.
Neid war wohl so ziemlich das Letzte, was mir dazu einfiel. Sollte Rivera sich ruhig ein bisschen an Aryanas Schwester ran schmeißen, ich hatte damit absolut kein Problem. Dann war ich dieses Problem früher oder später nämlich sicher los und hatte Niemanden mehr im Team, der sich womöglich unnötigerweise im Kugelhagel auf den Boden schmiss, statt zurück zu feuern. Er konnte ja vielleicht ein netter Kerl sein, wenn man von seiner meiner Meinung nach viel zu schleimigen Art absah. Konnte ich nicht beurteilen, dazu kannte ich ihn zu wenig, aber ich würde trotzdem nur ungern sterben, weil er Schiss vor Irgendwas bekam oder wieder wie versteinert da saß. Brauchte ich echt nicht, das Sterberisiko war hier momentan auch so hoch genug. Für mich zwar etwas niedriger als für jeden Anderen auf diesem Posten, aber das war nicht entscheidend dabei. "Nein, nicht wirklich." gab ich daraufhin bloß etwas trocken zurück, wobei ich es nicht ganz verhindern konnte, dass sich ein minimal abfälliger Unterton in diese Worte schlich. Das passierte ganz automatisch, war er doch nur zu gut von mir einstudiert worden über die letzten Jahre hinweg. Aber es war ja nur ein Hauch davon zu hören, im Gegensatz zu sonst meistens. Sie konnte sich also fast glücklich schätzen hier, haha. "Es ist interessant, wie viel du dem kleinen Naivchen zutraust." stellte ich kurz darauf fest, weiterhin süffisant vor mich hin grinsend. Ich wusste genau, dass ich damit ein bisschen den Salzstreuer auf die Kippe stellte, womöglich ein wenig Salz in die "Wunde" gab - es war kein Geheimnis, dass Aryana sich Faye gegenüber zeitweise mehr wie eine Mutter, als eine Schwester verhielt, das war hier wohl vielen schon aufgefallen und das obwohl sie erst kurze Zeit hier war. War aber ziemlich offensichtlich, wie tunlichst sie darauf bedacht war, dass klein Schwesterchen auch ja nichts Dummes anstellte. Weil ich aber gar nicht wirklich wollte, dass sie mir direkt eine Antwort darauf gab, sondern es mehr einfach nur so hinstellen wollte, ließ ich dann ganz fix wieder die Gitarre erklingen, die schon während meinen Worten Platz auf meinem Schoß genommen hatte. Dieses Mal wohl mit einem etwas heitereren Lied, das den Einen oder Anderen hier vielleicht ein wenig zurück in die Heimat, in die frohe, heile Welt von früher zurückversetzen würde. Ich glaube fast jeder Kerl hatte in seinem Leben mal auf eine Frau gestanden, auf die man einfach nicht stehen wollte, weil sie Nichts als Probleme machte. Mann ließ sich natürlich trotzdem darauf ein. Troublemaker von Olly Murs klang aus meinem Hals zwar ganz anders, weil meine Stimme sehr viel tiefer war als die seine, aber ich mochte fast meinen, dass das dem Lied erst recht mehr Charme und Charakter verlieh. Es einfach noch besser klang als mit seinem zarten Stimmchen, wenn man das so sagen durfte. Noch dazu versüßte es mir unheimlich die Situation, könnte man den Text doch theoretisch auch auf etwas Anderes - oder jemand Anderen - beziehen.