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| Zuletzt Online: 03.09.2025
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 Ich verzog mit gequältem Geräusch den Mund und stellte das Glas auf dem Tisch ab, um mich stattdessen kurz mit dem Gesicht in meinen Handflächen zu verkriechen. “Ich weeeiß…”, erwiderte ich langgezogen auf Cosmas Feststellung. Denn ja, im Grunde konnte Iljah von vorne bis hinten mit mir anstellen, wonach ihm der Sinn stand. Aktuell hatte er mein komplettes Leben in der Hand, so ganz nüchtern betrachtet. Er stellte mir die Wohnung, für meinen Lebensunterhalt außerdem noch zusätzlich ausreichend Geld plus einen kleinen Bonus, damit ich meinen Lebensstandard in Hinblick auf mein Äußeres beibehalten und mir hier und da mal eine Kleinigkeit leisten konnte. Ich lebte nicht im Überfluss und doch deutlich besser als sehr viele Kubaner hier, nur wegen Iljah. Er tat viel für mich und die Streits, die wir fast regelmäßig ausfochten, hatte er meist schon im Vorfeld gewonnen. Aus der simplen Tatsache heraus, dass ich ihm spätestens dann, wenn er seine charmante oder durchaus empathische Ader als letzte Instanz auspackte, niemals mehr böse sein konnte. Wie Cosma schon sagte – ein Arschloch, aber er wusste das Ass immer an der richtigen Stelle aus dem Ärmel zu ziehen. Ich nahm die Hände mit einem Kopfschütteln wieder vom Gesicht, um stattdessen den nächsten Schluck zu trinken und Cosmas folgenden Worten zuzuhören. “Naja… eigentlich gar nicht.”, stellte ich fest, bezogen auf die Wettersituation. “Also es war schon eine sehr heftige Umstellung, als ich hier angekommen bin. Aber mittlerweile mag ich es… ich bin ja keine Vollblutrussin und werde sogar tatsächlich braun, was ich vorher nur bedingt für möglich gehalten habe.” Ich zuckte lächelnd mit den Schultern und blinzelte lieblich. Die Sommer in Moskau waren sehr mild, da etwas Farbe im Gesicht zu kriegen war schwer. Meine serbischen Wurzeln konnten sich mit der Sonne hier inzwischen super anfreunden. “Aber dass es hier keinen Winter und dafür übertrieben viel Regen gibt, find ich trotzdem scheiße”, stimmte ich Cosma dennoch bis zu einem gewissen Grad zu. Vor allem die kitschige Weihnachtsdeko, die in Moskau jedes Jahr aufs neue gefühlt die ganze Stadt in Lichtern und Weihnachtskugeln ertränkte, fehlte mir sehr. Weihnachten war hier völlig anders und für mich absolut enttäuschend. Wenn ich es irgendwie hinbekommen würde, dass Iljah mich nicht für meinen rein hypothetischen Flug nach Moskau erwürgte, könnte ich ja nächstes Weihnachten vielleicht wieder dort verbringen? Der Gedanke war wirklich schön. “Jaein?” Ich sah gespielt unschuldig in Richtung der unspektakulären Betondecke über uns, bevor mein Blick zurück in Cosmas Gesicht wanderte. “Es ist trotzdem eine dumme Idee. Außerdem weiß ich nicht, wie ich mit seinen Leuten am Flughafen verhandeln soll..? Ich bezweifle irgendwie, dass sie auf mich hören, wenn ich da aufkreuze und einfach nur sage, dass ich Iljah überraschen möchte. Das sind zwar auch alles triebgesteuerte Männer, aber die meisten hängen vermutlich an ihrem Leben.”, schnaubte ich. Mich derartig machtlos zu fühlen und das nun schon seit Jahren, war mehr als frustrierend. Es fühlte sich viel zu oft so an, als würde mich niemand wirklich ernst nehmen – Männer in unserem Metier schon gar nicht. Das einzige, was ich bis dato richtig gut konnte, war diese Idioten um den Finger zu wickeln, zu manipulieren und ihnen dann die Hälse umzudrehen. Also nicht selbst oder wortwörtlich, mehr so im übertragenen Sinn. Meine Morde, aka Notwehr, hatten andere Hintergründe. Ich verzog unbewusst die Lippen, während ich nachdenklich an meinem Zungenpiercing herumspielte. Es musste eine Lösung dafür geben. Meinen Geburtstag hier auf der Insel stattdessen mit Sam und Richard – bei denen es verdammt heftig kriselte! – oder mit Cosma zu verbringen, kam nicht wirklich in Frage. Ich sah Iljah ohnehin viel zu selten und dann auch noch so einen Tag wie meinen Geburtstag nicht mit ihm verbringen zu können, kam verdammt nochmal nicht in die Tüte. Meine Geduld war mal wieder ziemlich am Ende.
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“Junge Frau.”, wiederholte ich breit grinsend mit übertriebener Betonung, weil es in meinen Ohren einfach irgendwie falsch klang. Ich konnte nicht einmal sagen, wieso. Es entsprach ja der Wahrheit, nur war es irgendwie einfach amüsant, es so von Cosmas Lippen zu hören. “Ich bin mir da leider nicht so sicher, wie ich es gern wäre, weißt du? Aus eigener Erfahrung.”, lächelte ich der Rothaarigen kurz darauf mit nachdenklich verengten Augen zu. Damit gestand ich indirekt ein, dass zwischen Iljah und mir auch schon so einiges ein bisschen schief gelaufen war, ohne es tatsächlich auszusprechen. Ohne weiter darüber reden zu wollen, was meine zu diesem Thema ansonsten versiegelt bleibenden Lippen hoffentlich ausreichend signalisierten. Ich sagte das eigentlich auch nur, weil ich wollte, dass meine Freundin wusste, dass ich sie verstand. Wenn sie ihre eigenen Regeln mal nicht so genau befolgte, für einen Mann. Wenn sie hier und da mal eine Ausnahme machte und vielleicht einmal zu oft Vergebung schenkte. Liebe war leider so gar nicht rational. Ich kappte meine eigenen Gedanken dahingehend, um zu verhindern, dass meine Laune aufgrund der aufkommenden Erinnerungen komplett den Bach runterging. Irgendwie stand ich dank Iljah ohnehin schon wieder kurz vor Kopfschmerz, dem ich nur präventiv mit mehr Wein entgegenwirken konnte. Dann war das Gehämmer in meinem Schädel morgen zwar umso schlimmer, aber ich hatte ja keine Verpflichtungen – ganz im Gegensatz zu meinem Partner. “Erinner’ mich bitte nicht dran…”, wimmerte ich halb lachend und verzog das Gesicht, als Cosma darauf anspielte, dass der Russe mir möglicherweise fremdging. “Ich will eigentlich wirklich nicht die eifersüchtige Freundin spielen und es würde auch eigentlich überhaupt keinen Sinn ergeben… ich meine, wieso sollte er mir die ganze Zeit Geld in den Arsch pusten, nur damit ich hier wohnen und atmen kann, ohne einen Finger dafür krumm zu machen, wenn er noch andere Frauen hat? Er hat so viel für mich getan… obwohl ich ihn hintergangen habe. Das wäre doch… total dämlich." Ja, diesen Fauxpas brauchte ich nicht totschweigen, den kannte sowieso schon jeder in unserem Bunde. “Aber ich weiß leider zu gut, wie die anderen Frauen im Autohaus immer von ihm geredet haben und die sind nicht alle alt und hässlich oder so. Ich war ja selber dabei… und ich übertreibe wirklich nicht, wenn ich dir sage, dass er in diesem elenden schwarzen Mantel und den schwarzen Hemden noch tausend Mal besser aussieht, als in Shorts und Tshirt.” Ich machte eine kurze Pause, blinzelte ein bisschen zu schnell. Sommerliche Kleidung wurde Iljahs Aura irgendwie nicht so gerecht wie 'All Black Everything'. Das wirkte an ihm immer so, als würde er einen noch größeren, noch dunkleren Schatten hinter sich herziehen. Dann noch diese beinahe immer irgendwie skeptisch hochgezogenen Augenbrauen, die stahlblauen Augen, dieses minimale, aber wissende Grinsen, ein bisschen Winter dazu... “Vielleicht vermisse ich Moskau auch nur deswegen.”, lachte ich so trocken, dass es mir fast im Hals stecken blieb. Legte dann in der folgenden, kurzen Stille den Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken. Versuchte mich vom Gedanken an die ehemaligen, sabbernden Arbeitskolleginnen – die ja nicht einmal die einzigen potenziellen Rivalinnen waren, in der Großstadt gab es haufenweise schöne Frauen – zu verabschieden. Das klappte jedoch erst, als Cosma mir von der gegenüberliegenden Seite des Tisches aus quasi sagte, dass ich doch einfach ins Flugzeug hüpfen sollte. Grinsend, wie ich kurz darauf feststellte. Ich hob den Kopf sofort wieder an und blickte der Rothaarigen mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Ja, was sollte schon passieren. Also außer, dass Iljah wieder völlig austicken würde. Dafür lieferte ich ihm gefühlt jedes Mal irgendeinen Grund, wenn wir uns ausnahmsweise mal über den Weg liefen. Relativierte es das ein bisschen? “Du solltest mich von solchen Schnapsideen eigentlich abhalten, Cosma”, seufzte ich, wobei ich nicht wirklich enttäuscht klang. Eher wieder leicht amüsiert. Es war schlichtweg total absurd und ich war mir todsicher, dass Iljah niemals damit rechnete. “Aber sein Gesichtsausdruck wäre absolut unbezahlbar.”, stellte ich fest und konnte förmlich spüren, wie meine Augen zu funkeln anfingen. Shit. Irgendwie hoben meine Mundwinkel sich auch kontinuierlich weiter an. “Oh und stell’ dir vor, ich hätte dabei noch das Kleid an, das ich an Silvester eingesteckt habe… das hab ich ihm bisher noch vorenthalten, so für... Notfälle.” Ich dachte jetzt schon zu intensiv und vor allem zu detailliert über die ganze Angelegenheit nach. “Aber er wäre so verdammt wütend. Ich weiß nicht, ob ich das auch noch überleben würde. Moskau ist angeblich nach wie vor nicht sicher für mich, deswegen sitze ich ja hier fest – das ist auch so eine Sache, von der ich keine Ahnung habe, ob sie überhaupt wahr ist. Ich meine, als ob diese Arschlöcher immer noch nach mir suchen… die haben doch besseres zu tun, falls überhaupt noch welche von denen am Leben sind. Die haben mich ewig nicht gesehen und können auch nicht wissen, dass ich komme.” Ich konnte nicht aufhören, mit dem Glas in der Hand zu gestikulieren und immer wieder kurz den Kopf zu schütteln.
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FFS.
 Dank Cosmas Reaktion auf meine Offenbarung musste ich ja doch bald wieder lachen. Es ließ sich nicht vermeiden, dafür war der Klang ihres Gelächters viel zu ansteckend. Ich müsste aber auch lügen, würde ich sagen, dass es nicht unheimlich gut tat – meine Laune war bei dem Telefonat mit Iljah ins Bodenlose gesackt und seitdem nicht mehr wirklich besser geworden. Bis jetzt jedenfalls. Lachen machte glücklich, oder zumindest jede beschissene Situation erträglicher. Ich brachte es selbst aufgrund meines Lachens nicht fertig, auf die Worte der Rothaarigen einzugehen, bevor ich mich selbst wieder eingekriegt hatte. “Oder? Die schenken sich echt überhaupt nichts.”, stimmte ich Cosma zu, die sich zwischenzeitlich daran machte, uns nachzuschenken. Dafür schob ich ihr mein Glas über den Tisch, denn zu viel Wein gab es bei mir bekanntlich nicht… also doch, schon, aber das beschränkte sich auf rein körperliche Maßstäbe. Ich lächelte ihr dankbar zu, als ich das Glas mit zwei Fingern zu mir zurückzog. Meine Unterarme stützte ich weiterhin auf den Tisch, was daran lag, dass die blauen Flecken noch meine Aufmerksamkeit innehatten. Das Licht hier drin war angenehm, aber verhältnismäßig schwach und auf die verkürzte Distanz hatte ich das Gefühl, die Verfärbungen unter Cosmas Haut besser sehen zu können. Gott, und ich hatte mich über meinen Geburtstag beschwert… während Hunter es für eine gute Idee hielt, seiner Frau zu zeigen, wie fies es sein konnte, als körperlich schwächeres Geschlecht geboren worden zu sein. Es fiel mir zuerst ein kleiner Stein vom Herzen, als Cosma sagte, dass er sie nicht geschlagen hatte. Jedoch revidierte sie das so halb und ließ damit meine rechte Augenbraue nach oben wandern. Jüngst hatte der Amerikaner sie also nicht geschlagen, aber vorgekommen war es trotzdem schon. Unter scheinbar dubiosen Umständen. Meine eigenen Erfahrungen ließen mich ernsthaft daran zweifeln, dass Hunter sich ansonsten gut im Griff hatte. Aber wer war ich überhaupt, darüber zu urteilen… war ja nicht so, als hätte Iljah mich nie falsch angefasst, als hätte er mir nie weh getan. Ich dachte noch darüber nach, als Cosma ihre Erklärung diesbezüglich für einen Moment unterbrach. Geduldig wartete ich, bis sie die richtigen Worte gefunden hatte und nickte dann langsam. “Verstehe.” Ich konnte den grüblerischen Unterton nicht ganz verbergen, geschweige denn meinen offensichtlich nachdenklichen Gesichtsausdruck. “Will ich wissen, was das für Umstände waren?” Nein, sicher nicht. Cosma sollte auch besser nicht wissen, dass Iljah auf intimer Ebene eine eindeutige Grenze überschritten hatte. Gab dann doch ein paar Dinge, die man besser für sich behielt. Aus Selbstschutz, aber scheinbar auch aus Täterschutz. Ich wollte nicht, dass Iljah so schlecht dastand… ich beschwerte mich auch so schon oft genug über ihn. “Das Training an sich macht Sinn, auch wenn es aus Ego-Gründen mal wieder unnötig auszuarten scheint.” Ich rollte flüchtig mit den Augen, bevor ich mich doch wieder mit dem Weißwein zurücklehnte. Meinerseits gab es schließlich auch noch Fragen zu beantworten, die ich wegen der Hämatome allzu gern hinten angestellt hatte. Ich seufzte schwer und konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln. “Naja… das Übliche?”, murrte ich, weil ich nur beim Gedanken daran schon wieder schrecklich genervt war. “Zu viel zu tun, zu wenig Zeit… und angeblich ist es in Moskaus Unterwelt gerade besonders unruhig. Nachdem ich dazu keinerlei Verbindung mehr habe, kann ich dir nicht mal sagen, ob das wahr ist oder nicht. Versteh’ mich nicht falsch – ich bin sehr dankbar dafür, nicht mehr in den dreckigen Händen eines Kartells festzusitzen, aber gar keinen Kontakt mehr zu meinen Wurzeln zu haben, fühlt sich auch nicht richtig an. Ich vermisse Russland oft, es ist so ganz anders als hier”, seufzte ich und ließ meinen Blick von Cosmas hellen Augen zurück in mein Glas abrutschen. All der Frust der letzten beiden Tage arbeitete sich aus meinem Herzen wieder nach oben bis auf meine Zunge, was die folgenden Worte auslöste: “Vor allem kommt kurz vor meinem Geburtstag sowieso ein Flugzeug von ihm rüber, wegen dem Deal mit Hunter.” Von dem ich nicht wusste, was da eigentlich genau transportiert wurde, aber das wollte ich vermutlich auch nicht. Unwissenheit konnte ein Segen sein – das wusste ich besser als jeder andere Mensch. Jedenfalls sagte ich Cosma hier gerade nichts, was Hunter nicht sowieso schon wusste. Ich merkte trotzdem postwendend, dass der Alkohol sich bereits seinen Weg in meine Blutbahnen suchte. Ein bisschen aufpassen, Irina. “Ich hab schon mit dem hirnrissigen Gedanken gespielt, da einfach einzusteigen und nach Russland zu fliegen… ich hab so die Schnauze voll von dieser Fernbeziehung, das glaubst du nicht. Er nimmt mich oft auch einfach überhaupt nicht ernst und es nervt.”
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 Offensichtlich war das, was zwischen Hunter und Cosma diesmal vorgefallen war, mehr als ein bisschen unangenehm gewesen. Die Körpersprache der Rothaarigen sprach für sich schon bevor sie etwas gesagt hatte, was mich mit leicht schief gelegtem Kopf und verspannten Augenbrauen zurückließ. Was nicht gut für zukünftige Falten auf der Stirn war, aber das sollte in diesem Moment irrelevant sein. Bereits die ersten Worte, die über Cosmas Lippen kamen, waren vielversprechend und als sie dann – nach dem kurzen inneren Wutausbruch, den ich selbst sehr gut kannte – auspackte, hob ich gerade schon das Glas für den nächsten Schluck an meine Lippen. Verschluckte mich und unterdrückte das Husten mit beinahe tränenden Augen, um mich stattdessen mehrfach zu räuspern und den Wein nicht quer über den Tisch oder gar auf Cosma zu spucken. Häufiges Blinzeln inklusive. Was zur..? Wie konnte das sein? Also, dass dieses großkotzige Arschloch von Amerikaner mich für manipulierbar hielt, konnte ich noch bis zu einem gewissen Grad verstehen. Nachvollziehen. War nicht sooo weit hergeholt. Wenn er allerdings glaubte, ich würde den Mann, für den ich auf dieser gottverlassenen Insel hier festsaß, ernsthaft ein weiteres Mal hintergehen, hatte er sich geschnitten. Lieber rammte ich mir selbst ein Messer in die Brust, als Iljah das nochmal anzutun. Ich konnte von mehr als nur Glück reden, dass er mich nach diesem Vertrauensbruch überhaupt noch an seiner Seite wollte… was nichts daran änderte, dass ich sauer auf ihn war. Oder daran, dass er sich mit Hunter eine Gehirnzelle zu teilen schien. Es gab einfach Zufälle, die sollte es nicht geben. Genau deshalb – weil diese ganze Angelegenheit schon jetzt ungefähr genauso beschränkt wie absurd war – brauchte ich nach Cosmas abschließenden Worten noch einen kurzen Moment, in dem ich einfach nur kopfschüttelnd in das Weinglas schaute, das ich mir gerade vor der Brust hielt. Damit war heute der zweite Tag in verdammt kurzem Abstand, an dem meine zeitweise große Klappe echt erstmal einen Moment brauchte. Bevor ich irgendwas sagte, fing ich jedoch leise zu lachen an, ohne dabei mit dem Kopfschütteln aufzuhören und machte dabei die Augen zu. “Du verarschst mich doch, verdammte Scheiße…” Ich kicherte immer noch. Konnte auch nicht sofort wieder aufhören und ließ den Kopf erst in den Nacken kippen, bevor ich die Augen wieder aufmachte und das letzte bisschen Tränenflüssigkeit beiseite blinzelte. “Also erstmal… tut’s mir sehr leid, dass ich dir die Dusche versaut habe.”, sagte ich mit dem letzten Ausläufer des Lachens. Dann nahm ich einen kleinen Schluck, der meine noch gereizte Kehle ölte, bevor ich meinerseits ausholte. “Aber scheinbar teilen unsere Männer sich dasselbe Gehirn… es ist wirklich absurd. Weil weißt du, was Iljah noch von mir wollte, nachdem er mir vorgestern gesagt hat, dass es absolut nicht machbar für ihn ist, mich an meinem fucking Geburtstag zu besuchen?” Ich machte eine Kunstpause, in der ich mich mit den Unterarmen nach vorne auf den Tisch lehnte. Der Anhänger der etwas längeren Kette, die ich um den Hals trug, löste sich dabei mit seinem Gewicht von meiner Haut und schwang leicht vor und zurück. Mein Blick lag direkt in Cosmas. “Genau. Dass ich ihm doch bitte dabei helfen soll, herauszufinden, ob da was im Busch ist, weil er ein ungutes Gefühl hat. Weil er sowieso auch immer noch der Meinung ist, dass es sehr leichtsinnig von mir ist, dir zu vertrauen… Kannst. Du. Dir. Nicht. Ausdenken!” Ich hätte beinahe wieder losgelacht, schnaubte stattdessen aber bloß. Nicht nur, dass der Zeitpunkt so grandios überein stimmte – nein, unsere Männer hielten uns scheinbar auch noch für ähnlich bescheuert und intrigant. Hatten auch überhaupt keine Ahnung davon, wie sehr und wie schnell es Frauen eigentlich zusammenschweißen konnte, die scheinbar die Kopie eines Mannes in Form eines kriminellen Super-Arschlochs an ihrer Seite hatten. Zum Schießen. Wortwörtlich vielleicht sogar, denn als mein Blick aus Cosmas Gesicht nach unten abrutschte und ich das erste Mal bewusst wahrnahm, dass sie Blutergüsse an den Armen hatte, fiel mir das Grinsen förmlich aus dem Gesicht. Ich konnte Hunter sowieso schon nicht leiden, aber da schrillten bei mir Missbrauchsopfer sämtliche Alarmglocken – nicht, dass ich vor Iljah in der Hinsicht nichts zu befürchten hatte, aber genau das war es ja. Ich kannte es zu gut und es führte unweigerlich dazu, Hunter erst recht in die Hölle schubsen zu wollen. “Warte, hat er dich geschlagen? Warum sind deine Arme so blau?” Das war plötzlich sehr viel wichtiger als alles, was ich vorher gesagt hatte.
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 Cosmas Begrüßung ließ mein Lächeln gleich noch breiter werden. Ja, endlich. Im Gegensatz zu mir war sie mit der Bar sehr eingespannt, hieß also wir richteten uns grundsätzlich mehr nach ihr mit unseren Treffen. Das war für mich völlig in Ordnung – war ja nicht so als hätte ich wirklich viel Besseres zu tun, solange ich noch keinen Job hatte. Nur meine chronische Ungeduld und Neugier machten das Spiel nicht so gerne mit. Glücklicherweise trainierte mich Iljah zwangsläufig darauf, besser damit umgehen zu können. Ich wollte ihn trotzdem noch regelmäßig dafür erwürgen, obwohl ich mir dieses Leben selbst ausgesucht hatte. Sam jedenfalls lobte mich inzwischen sogar selten mal für mein besser werdendes Spanisch und er war da wirklich unnötig kleinlich. Fand ich zumindest. Meiner Meinung nach sollte er froh sein, wenn ich den russischen Akzent auch nur ansatzweise aus meiner Stimme raushalten konnte. Wenigstens hatten beide Sprachen ein gewissermaßen prägnantes R... nur so gar nicht auf dieselbe Art. Der Wein, den Cosma noch vor unserem Gang in die Personalräume einsammelte, ließ mein Lächeln zwangsläufig zu einem schelmischen Grinsen werden. Es ging einfach nichts über einen leicht beschwipsten Abend mit einer guten Freundin. “Danke”, säuselte ich, als die Rothaarige mir die Tür aufhielt, damit ich unbeschwert hindurchgehen konnte. Es bezog sich sowohl darauf, als auch auf den Wein. Cosmas zuvorkommende Art fand auch keinen Abbruch – sogar der Stuhl wurde mir zurückgezogen, was mich die Augenbrauen hochziehen und anerkennend Nicken ließ. “Langsam glaub’ ich, du bist der Mann, der mir in meinem Leben fehlt.”, schnaubte ich belustigt, als ich mich auf dem für mich vorgesehenen Stuhl am Tisch niederließ. Ich streifte die schwarze Jeansjacke ab, die ich über dem weißen Top mit Spitze und V-Ausschnitt trug, und hängte sie über die Stuhllehne. Ich hatte sie nur dabei, weil ich nicht wusste, wie spät es diesmal werden würde. Jedenfalls wusste ich aber ganz genau, warum ich Cosmas Gesellschaft so genoss. Sie musste ich nie darum bitten, mich gut zu behandeln, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Damit wollte ich gar nicht sagen, dass Iljah kein Gentleman oder nicht großzügig zu mir war – aber meist eben nur dann, wenn es ihm gerade genehm war und sowohl zu seinen Terminen, seinem Geschäft als auch zu seiner Laune passte. Wenn letztere schlecht war, musste ich sowieso immer gucken, wo ich abblieb. Zu meinem Geburtstag kam er ja auch nicht, der Idiot. Sicher ein Mitgrund dafür, warum ich so schlagartig aufgelegt hatte. Ich war dementsprechend schon angepisst gewesen, bevor er mich darum gebeten hatte, Cosma auf den Zahl zu fühlen. “Same, Girl… same.”, seufzte ich leise und rollte mit den Augen, weil ich schon nur beim Gedanken an das letzte Telefonat mit Iljah wieder genervt war. Ich sah dem Weißwein dabei zu, wie er seinen Weg ins Glas fand. In für uns und unser Gesprächsthema angebrachter Menge – bisschen mehr als üblich vielleicht, aber wozu auch geizig damit sein? Bevor hier irgendein Tea gespillt wurde, brauchte ich aber definitiv schon ein Schlückchen. Also angelte ich mit der rechten Hand das mir etwas näher stehende Glas und wartete, bis Cosma die Flasche beiseite gestellt und es mir gleich getan hatte. Es folgte der angenehme Klang unserer aneinander stoßenden Gläser und kurzer Augenkontakt mitsamt lieblichem Lächeln meinerseits, bevor ich den ersten Schluck nahm. Dann lehnte ich mich langsam zurück und legte die freie Hand locker in meine angewinkelte Armbeuge, denn das Glas hatte ich gar nicht erst wieder abgestellt. “Aber schieß du erstmal los.”, gab ich mich geduldig damit, mich bei ihr auszukotzen. Da Hunter auch regelmäßig irgendeinen Scheiß abzog, war es glücklicherweise nie langweilig, Cosma zuzuhören.
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**ZS vong 6 Tage her**
 Manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob ich es war, deren Weltanschauung völlig verschoben war, oder ob Iljah manchmal schlichtweg vergaß, dass ich auch ein eigenes Leben führen musste. Vor allem in sozialer Hinsicht, weil er als mein Partner nicht da war. Freundschaften brauchte man immer, aber ganz besonders dann, wenn man alleine wohnte. Wie zum Teufel war er also auf die Idee gekommen, ich würde meine einzige Freundin als Schachbrettfigur aufs Spiel setzen wollen? Es war nicht so, dass ich Sam und Richard nicht schätzte – die beiden waren mir wirklich ans Herz gewachsen, jeder auf seine sehr eigene Art, aber das war nicht dasselbe. Jetzt, wo ich Cosma hatte, war mir überhaupt erst wieder bewusst geworden, wie sehr ich es vermisst hatte, eine gleichgesinnte Frau in meinem Leben zu haben. Wir waren uns in vielerlei Hinsicht ähnlich und als das weibliche Geschlecht hatte man andere Probleme und Bedürfnisse als die Männerwelt. Vor allem dann, wenn man sich einen ganz besonders bekloppten Gatten anlachte, wie ich erst jüngst wieder feststellen musste. Normalerweise war es immer Iljah, der irgendwann das Gespräch beendete und auflegte, weil ich mich von seiner Stimme nur schwer trennen konnte – das war schließlich alles, was ich auf diese Distanz mit meinen Sinnen von ihm wahrnehmen konnte. Aber vorgestern hatte er mich mit einer irrsinnigen Forderung tatsächlich so sprachlos gemacht, dass ich einfach aufgelegt hatte, sogar ohne mich vorher von ihm zu verabschieden. Fand er gar nicht lustig. Ich auch nicht. Also befanden wir uns im Grunde nach wie vor im schweigenden Streit, weil keiner eingelenkt hatte und er sich nicht so wie sonst einfach vor mich stellen und mich kleinreden konnte, bis ich einknickte. Er schrieb mir nicht und ich ihm auch nicht. Lag wahrscheinlich daran, dass wir beide wussten, dass ich früher oder später sowieso zu ihm zurück kriechen würde. Das hatte ich ihm schließlich versprochen – noch so eine von meinen völlig wahnsinnigen Ideen. Jetzt jedoch würde ich mich erstmal genau daran hindern, indem ich mich stattdessen mit Cosma traf. Gegen 23 Uhr schob ich mit einem kurzen Nicken an den Security die Tür zur Smith And Wesson auf. Anfangs hatte ich mich noch gewundert, warum der Wachhund mich immer so eindringlich ansah. Mittlerweile war mir klar, dass das einer von Hunters Männern sein musste und er wahrscheinlich grundsätzlich sofort Rückmeldung bekam, wenn ich hier ein- und ausging. Männer mit Macht waren ungefähr so attraktiv wie sie zum Kotzen waren. Ich erkannte sofort zwei Stammgäste wieder, die auch heute über dem Tresen hingen. Cosma in dem nur mäßigen Trubel zu finden war dank ihrer feurigen Mähne leicht. Heute war ohnehin ein 0815-Wochentag in der Bar, also kein übermäßiger Ansturm. Genau das, worauf ich grundsätzlich abzielte, wenn ich für ein Treffen herkam. Cosma hatte noch ein paar Getränke auf dem Tablett, als sich unsere Blicke kreuzten und sich automatisch ein Lächeln auf meine Lippen legte. Sie bedeutete mir mit einer Handgeste noch kurz zu warten, also lehnte ich mich zwischenzeitlich einfach an den Durchgang an der Theke. Leider nicht, ohne Blicke auf mich zu ziehen, die ich mit Nichtachtung strafte. Es war grundsätzlich egal, ob ich wütend auf Iljah war oder nicht – ich wollte nicht von anderen Männern angegafft werden. Die Narbe auf dem Dekolleté, die ich inzwischen nicht mehr grundsätzlich versteckte, weil ich damit zu leben lernen musste, war dabei leider so gar nicht hilfreich. “Hey”, begrüßte ich Cosma mit einer halben, seitlichen Umarmung, weil sie in der anderen Hand noch das Tablett hielt, als sie zu mir kam. “Nach hinten?”, fragte ich mit einem kurzen Nicken Richtung Personaltür und sah sie abwartend an. Meistens unterhielten wir uns eher über die Theke hinweg, weil sich das besser mit ihrer Arbeit vereinen ließ. Das war aber suboptimal, wenn wir uns über unsere Männer unterhalten wollten, was der Fall war. Wir beide mochten auch unsere Macken haben, aber in der Öffentlichkeit über unsere Partner herzuziehen, gehörte nicht dazu. Wir mussten uns also immer ein bisschen danach richten, wann die Rothaarige Pause machen konnte. Oh und fast hätte ich’s vergessen: “...mit einem Weinchen?”, ergänzte ich schief grinsend.
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 Es sollte nicht lange dauern, bis Cosma mir die nächsten guten Gründe lieferte, sie einfach hier und jetzt zu erwürgen. Tief in mir drin wusste ich, dass ich das eigentlich überhaupt nicht wollte und trotzdem war es immer wieder aufs Neue schockierend verlockend. Sie war einer der wenigen Menschen, die mir Gegenworte servieren und damit davonkommen konnten. Ich liebte sie dafür, dass sie mich meistens einfach so verkorkst hinnahm, wie ich war – trotzdem hasste ich sie oft dafür, dass sie so ein freches Miststück war. Meine Finger verkrampften sich um ihren Hals und es kostete mich einen sehr tiefen, sehr langen Atemzug, sie nach ein paar Sekunden wieder zu lockern. Von einem Grinsen war bei mir keine Spur. Ich spürte sogar ein unangenehmes Pieksen auf Brusthöhe, so als würde jemand mit einer Messerspitze auf die Haut drücken, ohne die Barriere zu durchbrechen. Erst das Lachen löste den Durchstoß aus. Wir wussten beide, dass Respekt und Loyalität mir viel wichtiger waren als die meisten anderen Eigenschaften. Loyalität war offensichtlich auch nicht das, woran es hier mangelte. Normalerweise war ich mir nie sicher damit, ob mich ein Streit mit der Rothaarigen mehr anturnte oder einfach nur nervte, aber diesmal schon. Mir lief trotz des warmen Wassers ein kalter Schauer durch den Nacken und es blieb ein paar Sekunden still. Ein paar Sekunden, in denen ich mit dem Feuer an meiner Zündschnur rang. Ein paar Sekunden, in denen ich zu evaluieren versuchte, ob Cosma mir vielleicht wichtiger war, als es andersherum der Fall war. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als betrunken zu sein. Nichts von ihrem Verhalten würde ich dann derart penibel hinterfragen. Es lebte sich leichter, wenn das Hirn und die Brust betäubt waren. Vielleicht hatte mich das auch einfach blind für Cosmas wahres Gesicht gemacht. “Du bestätigst mich gerade nur in meinem Vorhaben, genau das nicht zu tun.”, stellte ich mit scharfem Ton fest, kniff dabei die Augen zusammen. “Dass du bei der Freundschaft zu Irina”, der verdammten Ratte, “eine Grenze ziehst, ist eine Sache…” Schmeckte mir nicht, konnte ich im Grunde genommen aber überhaupt nichts dagegen tun. Musste ich also so schlucken, weil Cosma genauso stur war, wie ich selbst. Da würde sie nicht nachgeben. Ich ließ zu, dass sich die Spannung in meiner Brust wieder auf meinen Arm übertrug. Schnürte dem rothaarigen Teufel die Luft ab, weil ich ihre bockigen Widerworte allmählich satt hatte. “Aber dass du ernsthaft glaubst, ich lasse mir von dir sagen, wann und wie ich dir etwas mitzuteilen habe, geht zu weit. Ich habe immer gesagt, ich werde dich aus meinen Geschäften komplett raushalten… und jetzt, wo ich bereit dazu bin, dich vollständig in mein Leben zu lassen und dir doch noch die andere Seite der Münze zu zeigen, mach ich’s falsch? Fick dich einfach.” Mein Blut kochte und mein Arm bebte, als ich mit den letzten Worten einen Schritt von der Wand wegging. Cosmas Rücken löste sich von der Wand und ich entließ ihren Hals mit ordentlich Schwung zur Seite aus meinem Griff. Weg, sie musste weg von mir. Sonst würde ich etwas tun, dass ich später bereute. So viel lieber hätte ich sie für diese Respektlosigkeit wie einen verdammten Köter auf den Boden vor der Dusche geschmissen… aber ich konnte nicht von Respekt reden und ihr dann den letzten Funken Würde nehmen, indem ich sie derartig demütigte. Obwohl sie auf meiner eigentlich so offensichtlichen Grenze fröhlich herumtanzte, versuchte ich wirklich auf Biegen und Brechen mit meinem letzten Funken Selbstbeherrschung, zumindest noch welche von ihren zu wahren. Wir waren beide wahnsinnig gut mit unserer Doppelmoral, die wir grundsätzlich immer so auslegten, wie es uns gerade am besten passte, aber scheinbar musste sogar ich irgendwann mal den kaputten Jungen im stockdunklen Keller zurücklassen, um erwachsen zu werden... und ich war verdammt nochmal wirklich zu nüchtern für diese Scheiße. "Wir trainieren morgen." Eine zu ihr rüber gespuckte Feststellung, keine Frage.
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 Ich hasste es wirklich, dass sowohl Cosma als auch ich extrem prädestiniert dafür waren, nach dem Umlegen eines gewissen Kippschalters im Kopf nur noch das zu hören, was wir hören wollten. Wahrscheinlich würde ich nie Meister darin werden, unsere Beziehung zueinander vollständig zu verstehen, aber das stach selbst mir inzwischen ins Auge… und ich konnte förmlich spüren, wie mir die Halsschlagader anschwoll. Wie mir das Gefühl, sie zu packen und an die Fliesen zu tackern, den Rachen nach oben kroch. Zusammen mit ein paar sehr hässlichen Worten. Der einzige Grund, warum ich mich in diesem Moment zurückzuhalten versuchte, war, dass das ‘Warum musst du eigentlich immer gleich handgreiflich werden’ durch meinen Kopf hallte. Scheinbar ging doch nicht immer alles, was der Rotschopf sagte, zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Verfickte Scheiße. “Das habe ich doch vor, verdammt nochmal. Aber ich kann dich nachts nicht mitnehmen, wenn ich mir nicht sicher damit bin, dass du dich wehren kannst… und dir spezifische Infos zu geben, bevor du sie verteidigen kannst, wäre Schwachsinn”, knurrte ich, wurde aber nicht laut dabei. Das waren wohl meine Worte für ‘Ich werde dich einweihen, möchte es aber trotzdem noch so lange rauszögern wie’s irgendwie möglich ist, weil ich trotzdem Schiss davor habe’… Die Frau würde mein Grab werden. Wenn nicht deshalb, weil es doch ein Fehler war, sie in meine Geschäfte einzuweihen, dann weil mein Herz irgendwann nicht mehr hinterher kam, wenn die Stresshormone meine Blutbahnen fluteten. “Hätte ich stattdessen weiter auf dem Berg Crystal sitzen bleiben sollen, während die Bullen jeden verfickten Stein auf der Insel umdrehen? Das war nämlich meine einzige andere Perspektive. Es gibt auf Kuba niemanden, der mir das Zeug abgekauft hätte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich niemals den vollen Preis bekommen hätte, ist der Weg übers Wasser nach wie vor Irrsinn. Es bleibt also nur der Luftweg und ob ich es jetzt Iljah oder seiner Schwester überlasse, macht so gut wie keinen Unterschied. Der Hebel ist beinahe derselbe.”, funkelte ich Cosma an. Vermied es bewusst, Vahagns Namen auszusprechen, weil die Rothaarige die Russin nach wie vor nicht ausstehen konnte. Ich wünschte mir allerdings schon etwa zwei Sekunden später, ihr die Schwarzhaarige doch unter die Nase gerieben zu haben. So kam Cosma mir nämlich zuvor und raubte mir damit definitiv das letzte kleine bisschen Vernunft. Der Knoten platzte, der Schalter kippte. Ich schlug ihr mit dem Handrücken das Duschgel aus der Hand, das irgendwo auf den gefliesten Boden donnerte, während ich mit der zweiten Hand schon nach Cosmas Hals griff. Der war einfach so praktisch schmal. Das effektivste Mittel, sie festzuhalten und da hinzubugsieren, wo ich sie haben wollte – nämlich mit dem Rücken an die Wand, wo ich meine Füße zwischen ihre schob, damit sie nicht nach mir treten konnte. Noch war sie ja wehrlos. Wenn sie meine Schwachstellen nutzte, dann tat ich das auch. “Nein”, beantwortete ich ihre möglicherweise rein rhetorische Frage, bestand aber darauf, das klarzustellen. Möglicherweise bezog es sich gleichzeitig auch darauf, ob ich mir eine Scheibe abschneiden wollte. Scheiße nein, romantischer als das hier wurde es wahrscheinlich nicht mehr und ich weigerte mich, meiner hirnrissigen Eifersucht in Form von Worten Raum zu geben. Diese Genugtuung gönnte ich weder Cosma, noch Iljah. Mein glühender Blick sprach ohnehin für sich, das war schlimm genug. “Ich habe nicht gesagt, dass du mit irgendwelchen Details rausrücken sollst. Ich halte dich für schlau und loyal genug, das nicht zu tun. Auch dann, wenn dein ziemlich bequemes Leben davon abhängt.” Mein Gesicht war dicht vor ihrem, was sie anzuschreien überflüssig machte, aber das Knurren blieb. Meine sich stärker hebende und senkende Brust, die zwangsläufig ihre streifte, gepaart mit der eigentlich keine Widerrede duldenden Tonlage, sollten ihr Wink mit dem Zaunpfahl genug sein. “Aber Irina ist manipulierbar. Wenn sie nur einmal hört, dass du etwas von mir bekommst, was sie von ihm vielleicht nicht kriegt, könnte das schon ausreichen, sie unvorsichtig werden zu lassen… oder dir mitzuteilen, dass Iljah ihr das schon gewährt.” Je nachdem, was eben Phase war. Vielleicht wurde die Serbin dann auch einfach gierig und ging ihrem Mann auf die Eier, so wie meine Frau das gerade bei mir tat. Das war durchaus ein Risiko, wenn sie ihr Mundwerk dabei nicht im Griff hatte, aber im Gegensatz zu den schnatternden Weibern könnte Iljah diese Maßnahme meinerseits zumindest auf geschäftlicher Ebene nachvollziehen. Er wusste so gut wie ich, dass man sich nie zu sehr in Sicherheit wiegen durfte. Es war also quasi eine reine Vorsichtsmaßnahme und wenn er nichts zu verbergen hatte, dürfte ihn meine unterschwellige Detektivarbeit ja im Grunde nicht stören. Wenn sie es doch tat, sollte er seine kleine Göre einpacken und zurück nach Russland fliegen. Wäre mir sowieso lieber. “Und am Ende des Tages ist Irina auf Kuba, nicht du in Moskau.” Bis Iljah hier war, um sich für irgendetwas zu revanchieren, das er für einen unfairen Schachzug hielt, war ich hier längst darauf vorbereitet.
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 Inzwischen kannte ich Cosma gut genug, um mich in diesem Moment nicht darüber zu wundern, wie sie reagierte. Es war vorhersehbar und ich hatte es wissentlich selbst provoziert, was mich wiederum aber nicht daran hinderte, leise zu seufzen. Szenen wie diese würden sich zwischen uns mutmaßlich noch hundert Mal wiederholen, wenn sie nicht so schnell lernte, wie ich es mir wünschte. “Du würdest es verstehen, wenn ich schon früher drauf gekommen wäre, dir mehr von meiner Welt zu zeigen. Wer aufhört, Menschen in diesem Business zu hinterfragen, ist schon so gut wie tot”, stellte ich fest und sah die impulsive Rothaarige auch exakt so an – tot, eiskalt. Null Emotion im Blick. Das Training hatte mich ausreichend Energie beraubt, um heute zumindest ein bisschen geduldiger mit Cosma zu sein. Ob das ausreichte, sei aber mal noch dahingestellt. Bekanntlich hatte sie nicht weniger Luft für Streit in den Lungen als ich selbst. “Und es läuft nicht perfekt. Ich warte nur darauf, dass die Mexikaner die offene Rechnung begleichen. Das tun sie immer”, sprach ich weiter. Es war nachvollziehbar, dass diese Angelegenheit in Cosmas Gedanken nicht wirklich präsent war, weil sie sich um dieses Problem ja nicht kümmern musste – weil sie, statt sich um solche Dinge zu scheren, genüsslich ihre Joints rauchen und Verletzungen auskurieren konnte. Es war mein Problem, nicht ihres – würde hoffentlich nie zu ihrem werden. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass es noch ein Echo geben würde und ich nicht wusste, wann das passierte. Noch ein guter Grund, Cosma endlich beizubringen, wie sie mit derartigem Rattenpack umzugehen hatte. “Deswegen kann ich… können wir”, korrigierte ich mich, damit sie vielleicht doch noch anfing, die problematische Situation auch als ihre eigene anzuerkennen, weil sie unweigerlich mit in meinem verdammten Boot saß, “es nicht gebrauchen, im worst Case gleich von zwei Seiten beschossen zu werden.” Meine Augenbrauen wanderten unterbewusst doch schon ein Stück tiefer und es bildete sich eine kleine Falte auf meiner Stirn, weil ich diese Naivität schlicht und ergreifend nicht nachvollziehen konnte. Dafür war ich schon zu lange Teil von Team Mord und Totschlag. Als Verhör würde ich es auch nicht bezeichnen wollen. Ansichtssache. “Ich will dich nicht verhören, sondern nur wissen, ob sie irgendwas Oberflächliches in der Richtung erwähnt hat. Dass Irina dir ganz unverblümt irgendwelche Details zu Iljahs Unternehmen unter die Nase reibt, die für mich tatsächlich relevant sind, halte sogar ich für hochgradig unwahrscheinlich.” Jetzt wanderte die linke Augenbraue doch nach oben. Dachte Cosma etwa, ich vertraute ihr nicht? Das wäre eine Beleidigung, weil sie der einzige Mensch war, der alle meine Facetten sehen durfte. Wenn das kein Vertrauensbonus war, neben der Tatsache, dass ich sie mit in mein Geschäft nehmen wollte, was dann? Ich war hier doch echt schon wieder im falschen Film. Irina hatte damals zwar auch den Russen aufs Kreuz gelegt, aber irgendwas schien er ja trotz alledem an ihr zu finden, also ging ich mal schwer davon aus, dass sie ihm abgesehen davon sehr treu blieb. Ich konnte mir dennoch nicht vorstellen, dass die beiden Frauen nie irgendwelche Worte über ihre Männer verloren. Das war es doch, was Weiber immer machten, oder? Vielleicht waren die beiden da auch anders, schon möglich – immerhin hatten sie sich beide einen gewalttätigen Mann ausgesucht, was genauso wenig der Norm entsprach. Aber gerade das gab doch Gesprächsstoff, oder? “Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ihr gar nicht über uns redet. Wie wärs also, wenn du einfach mal ganz banal einstreust, dass ich dir bald zeige, was ich nachts für gewöhnlich treibe, wenn ich unterwegs bin? Vielleicht lockert das ihre Zunge ein wenig.” Ich hob das Kinn an, neigte den Kopf ein wenig nach links und mich dabei dem Wasserstrahl entgegen. Meine Halsmuskulatur war immer verspannt, aber jetzt nach dem Training wars irgendwie noch schlimmer als nach dem Aufstehen. Vielleicht waren es aber auch nur die Kopfschmerzen, die sich schonmal in die Startlöcher stellten, nur für den Fall, dass dieses Gespräch gleich den Bach runterging.
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 Das Augenrollen. Die indirekt-direkte Morddrohung. Das Grinsen kehrte auf meine Lippen zurück, als ich die Hände an den Bund von Boxershorts und Sweatshorts legte. Ich wusste schon, warum es ausgerechnet diese Frau war, mit der ich mein Leben teilte. “Wärst auch die einzige, die da eine gute Chance hätte”, stellte ich wahrheitsgemäß fest. Das redete ich mir schon lange nicht mehr schön. Ich konnte überall schlafen, wenn ich es musste, doch mit Cosma an meiner Seite schlief ich besser und – für meine Verhältnisse – auch tiefer. Wann immer ich neben ihr im Bett lag, war ich mit Abstand am schutzlosesten, bot die leichteste Angriffsfläche. Griffbereite Pistole hin oder her. Hätte der kleine Teufel mich umlegen wollen, wäre es aber längst passiert. Ich hatte ihr schon gute tausend Gründe dafür gegeben. Cosma strapazierte mein Interesse zum Glück nicht unnötig weiter, sondern ging zumindest oberflächlich auf ihren Kontakt zu der Serbin ein. Ich zog mir erst noch die Socken von den Füßen und ließ mir dabei ihre Worte durch den Kopf gehen. Wenn meine Frau dieser Snitch tatsächlich vertraute, musste ich mich mit Irina möglicherweise nochmal auseinandersetzen. Denn Cosma war eigentlich nicht dafür bekannt, Jemandem von jetzt auf gleich ihr Vertrauen in die Hände zu legen. Es gab also eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder war Irina ein weiteres Mal verdammt gut darin, Jemandem dem Kopf so sehr einzulullen, dass völlige Blindheit eintrat, oder aber sie konnte durchaus loyal sein, wenn sie das wollte. Vielleicht erinnerte sie die Narbe auf der Brust aber auch einfach nur sehr effektiv jeden Tag daran, dass sie so einen Bullshit nicht nochmal abziehen sollte. “Hmmm, verstehe…”, erwiderte ich langgezogen, als Cosma mir längst ihre Gegenfrage zugeschoben hatte. Ich ließ die Zahnräder in meinem Kopf aber erst zu Ende rattern, bevor ich antwortete. “Naja… ich muss abwägen. Wie immer.” Ich zuckte leicht mit den Schultern und warf dann einen Blick auf ihre verschränkten Arme, die mir den Ausblick verwehrten. Meine Augenbrauen wanderten nach oben, ich warf einen kurzen Blick in ihre hellen Augen und griff ungefragt nach einem ihrer schmalen Unterarme. War nicht so, als könnten wir uns unterm Wasserstrahl nicht weiter unterhalten. Mit Cosma im Schlepptau ging ich zu der ebenerdigen Dusche mit Glasfront und drehte den Hahn auf. Ich stellte mich schon drunter, als das Wasser noch kalt war. Nach dem Training tat die Abkühlung gut, Klimaanlage im Haus hin oder her. Zwar hatte ich vor, Cosma nicht nur ein wenig Selbstverteidigung und Angriffsstrategien beizubringen, die auf ihre körperlichen Voraussetzungen zugeschnitten waren, sondern sie auch etwas mehr darüber wissen zu lassen, was auf geschäftlicher Ebene bei mir abging, aber mit letzterem wollte ich instinktiv noch sehr vorsichtig sein. Mich sehr langsam herantasten. Das Wasser war warm, bis ich weitersprach. “Mal abgesehen von Irinas Verrat damals, tue ich mir auch schwer damit, ihrem Mann zu vertrauen.” Was eigentlich erstmal gar nichts heißen musste, weil ich grundsätzlich gar Niemandem vollständig vertraute, der mir nicht schon eindeutig bewiesen hatte, dass er das verdient hatte. Cosma. Ashton. Desmond. Tauren mauserte sich zwar, hatte in der Vergangenheit aber verdammt viel Scheiße gebaut. “Er ist mir in einigen Punkten ähnlicher, als mir lieb ist.” Diese Erkenntnis war bitter, weil es ihn zu einem in der Theorie ernsthaften Problem werden lassen könnte. Er ließ sich genauso wenig in die Karten sehen wie ich, ihn einzuschätzen war auf vielen Ebenen schwer. Nicht grundlos ließ ich Tauren dem Russen und den Ladungen weiterhin nachlaufen. Er hatte ein gutes Auge für… Unregelmäßigkeiten. Er achtete auf Details. “Und es ist irgendwie zu ruhig. Zu einfach. Läuft zu glatt. Nenn’ mich paranoid, aber mein Gefühl täuscht mich selten.” Ich lag auch nicht immer richtig, aber doch sehr oft. Das war nun mal, was jahrelange Erfahrung mit einem machte. Umso ärgerlicher, dass Tauren bisher nichts aufgefallen war. “Erzählt Iljah ihr irgendwas? Oder sitzt sie so komplett im Dunkeln wie du es aktuell noch tust?”, fragte ich und distanzierte mich mit dem Kopf danach weit genug von der Wasserfallbrause, um mir das Wasser aus dem Gesicht zu streichen und Cosma ansehen zu können. Ich hatte ihr noch nicht gesagt, dass ich mir in den Kopf gesetzt hatte, sie auch ein bisschen über meine Geschäfte in Kenntnis zu setzen. Ich wollte die Reaktion sehen – ob es überhaupt Klick machte, oder sie sich am Rest aufhängte, weil sie das so gut konnte.
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 Sogar ich war ausreichend bei Sinnen, um zu bemerken, dass sich die Dynamik zwischen Cosma und mir ein weiteres Mal im Wandel befand. Seit ihr ein paar meiner teuren Tropfen zum Opfer gefallen sind, sah ich sie mit etwas anderen Augen. Zwar stellte ich sie schon lange in etwa auf dieselbe Ebene wie mich selbst, aber das reichte irgendwie nicht. Nicht mehr. Ich war dumm gewesen, sie nicht schon viel früher tiefer mit in meine Welt zu nehmen. Als die eine Frau an meiner Seite stand ihr viel mehr zu, als sie bis heute eingefordert hatte. Desmond und Ashton hatte ich ein paar Tage nach dem Scherbendilemma also schon einmal vorgewarnt – ich wollte die Rothaarige so gut es ging selbst unter meine Fittiche nehmen, doch Zeit war eines der Dinge, an denen es mir häufig mangelte. Tauren würde ich weitgehend aus Cosmas unbarmherzigen Trainingsplan rauslassen, weil ich mir sicher war, dass er sie schonen würde. Außerdem hatte ich ausnahmsweise wirklich keine Lust, mir Vahagens Gezicke anzuhören. Es war quasi kaum zu übersehen gewesen, wie es dem Norweger aus dem Nichts wieder besser gegangen war und dementsprechend hatte die Rückkehr der Russin bald als Thema auf dem Tisch gelegen. Ich müsste lügen, um zu behaupten, er hätte mir mies gelaunt bezüglich seiner Arbeit für mich nicht besser gefallen, weil sein Schwiegersohngesicht tatsächlich mal gefährlich gewirkt hatte, aber sei’s drum. Solange er seine Arbeit weiter effizient erledigte, war mir egal, ob er Vahagn wieder flachlegte oder nicht. Bis Cosma allerdings tatsächlich aktiv werden und mit ihren kleinen Füßen in die Fußstapfen meiner Stiefel treten konnte, musste ihre Haut erst einmal intakt sein. Mir stand nicht im Sinn, zu riskieren, dass der tiefe Schnitt ein weiteres Mal aufplatzte. Es würde alles nur unnötig hinauszögern und ich war schlichtweg kein geduldiger Mensch. Also hatte ich mich sehr regelmäßig selbst davon überzeugt, dass die Wunde gut verheilte und allein deshalb schon etwas mehr Zeit mit Cosma verbracht, als in den Wochen zuvor. Umso praktischer, dass ich jetzt nach dem Training auf dem Weg nach oben zu der Rothaarigen gleich einen netten Blick auf ihre schlanken, nackten Beine werfen konnte. Die wichtigsten Telefonate und Anweisungen für heute Nacht hatte ich schon heute Mittag parallel zum Leeren der Tasse Morgenkaffee – ohne Schuss – erledigt, also hatte ich jetzt noch ein paar Minuten für Cosma übrig, bevor ich los musste. Nicht ganz ohne Hintergedanken, möglicherweise. Die ursprüngliche Rötung um den Schnitt war längst weg, es verheilte gut. Das stellte ich schon fest, bevor ich am oberen Treppenabsatz ankam und so wanderte mein Blick langsam aufwärts zu Cosmas Hüfte. Ein mildes, angetanes Schmunzeln schlich sich dabei von ganz allein in meine Züge. Ich sah sie mir immer gerne an und natürlich am liebsten nackt – kein Wunder also, dass sie mein Auftauchen fehlinterpretierte. Ich blieb vor ihr stehen und schob ihr bestimmt die Hand in den Nacken, wobei das Schmunzeln noch zu einem kurzen Grinsen mutierte. Es wurde von dem gierigen Kuss geschluckt, den ich mir von ihren vollen, weichen Lippen holte. “Das hat uns bisher nur selten abgehalten.”, raunte ich ihr zu und zog mich dann aber wieder zurück. Der Kuss war leicht salzig gewesen, hartes Training ohne Schweiß war ein Ding der Unmöglichkeit. Hätte ich so wie früher noch einen konstanten Pegel, wäre mir das egal gewesen, aber so ganz nüchtern war mir eine Dusche vorab lieber. Ich nahm mir einfach Cosmas Hand und zog sie sanft hinter mir her ins Badezimmer, in das sie offensichtlich sowieso gewollt hatte. Es war eigentlich bescheuert, dass wir uns in neun von zehn Fällen dasselbe Badezimmer teilten, obwohl die Villa über weitaus mehr verfügte. Eine Angewohnheit aus der Zeit in Norwegen, die einfach geblieben ist. “Aber deswegen bin ich gar nicht zu dir gekommen… ursprünglich.” Jetzt, wo der Gedanke an Sex da und sie sowieso schon halbnackt war, zuckte mir der Schwanz. Ich hatte allerdings Bedenken, dass das Gespräch, für das ich sie eigentlich aufgesucht hatte, dahingehend ein fettes Eigentor werden könnte. Ich machte erst die Badezimmertür hinter der Rothaarigen zu, bevor ich ihre Finger nach einem Streicheln über den Handrücken losließ. “Dein Kontakt zu Irina…” Ich zog mir erst das halbnasse Muskelshirt über den Kopf, bevor ich weitersprach. “...häuft sich. Und nein, ich wills dir nicht schon wieder ausreden”, folgte eine Feststellung auf die andere, bevor Cosma mir hier sofort von Null auf 180 sprang. Ich konnte Prävention, wenn ich denn wollte. Das Shirt wanderte in den Wäschekorb. “Aber… als wie eng würdest du eure Freundschaft bezeichnen? Sind wir schon an dem Punkt, wo ich vielleicht nachts im Schlaf erstochen werde?”, fragte ich sie mit einem Seitenblick, mitsamt hochgezogener Augenbraue und einer guten Portion rohem Sarkasmus. Mein Schlafgehör war viel zu sensibel, als dass dieses Miststück auch nur im Ansatz nahe genug an mich herankommen könnte. Sollte sie lieber weiter Iljahs Brust durchlöchern. Cosma hatte das Haus zwar nicht so oft verlassen in den letzten Wochen, aufgrund ihrer Verletzung, doch ich wohnte auch hier und hatte grundsätzlich beide Ohren offen, selbst in meinen eigenen vier Wänden. Da gab es doch einige Telefonate. Manchmal ein Kichern, wenn sie sich texteten. Denselben Humor schienen die beiden jedenfalls zu haben und ich wusste nicht, ob das eher gut oder verdammt schlecht für mich war.
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das Gefühl kennen wir alle… das hier ist übrigens auch wieder Arbeitszeitbetrug. :) x’D ______________
 Dicht vorbeiziehende Häuser, die allesamt vollkommen dunkel dalagen, schoben sich erneut in mein Sichtfeld, während Aryana das Auto tiefer ins Dorf lenkte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis wir auf einen Parkplatz rollten, den ich schon als vorübergehende Endstation annahm, bevor die Brünette den Parkvorgang einleitete. Ich war unheimlich dankbar dafür, weil mir der Unterarm langsam aber sicher verkrampfte und ich den Druck auf der Wunde nicht mehr ewig aufrechterhalten konnte. Mal ganz davon abgesehen, dass jetzt nicht weiter andauernd irgendeine winzige Welle im Teer dafür sorgte, dass meine Hüfte durch die Erschütterungen neues Feuer fing. Ich wollte wirklich optimistisch bleiben, weil das Teil einer erfolgreichen Mission war, aber schmerztechnisch dürften die kommenden Wochen für mich absolut unangenehm werden. Aryana war schon ausgestiegen, als ich einen tiefen Atemzug machte und dann nach dem Henkel in der Beifahrertür griff, um sie aufzudrücken. Ich stieß die Luft angestrengt wieder aus und kam nicht weiter, bis das Gesicht der Brünetten neben mir auftauchte. Mitsamt einer Aufforderung, die mich kurz das Gesicht verziehen ließ. Trotzdem wusste ich, dass sie Recht hatte und meine Position hier suboptimal war, weshalb ich nach einem knappen Nicken – mit der Hand weiter auf dem Stich – ziemlich langsam erst das eine und dann das andere Bein vom Sitz schob. Der Höhenflug von vorhin war definitiv verpufft und als ich auf den Füßen ankam, hielt ich erstmal mit dem Rücken am Wagen einen kurzen Moment inne, weil der Schwindel zurückkam. Dann schleppte ich mich zum hinteren Teil des Fahrzeugs und obwohl mein zu großes, vielleicht tatsächlich toxisch männliches Ego sich ein bisschen beleidigt fühlte, war ich froh darüber, dass Aryana mir die blöde Tür aufmachte. So war nur das Erklimmen des Sitzes wieder eine Hürde, bis ich dann endlich saß. Ich nahm die Hand von der Verletzung, als ich die Schutzweste öffnete, das Shirt hochzog und Hose samt Boxershorts seitlich ein wenig runterschob, um Aryana eine größere freie Fläche zu bieten. Das frische Blut kreierte ohne zu zögern eine neue nasse Spur, die mir langsam an der Hüfte runterlief. Ich spürte es nur, sah gar nicht erst richtig hin und warf stattdessen einen kurzen Blick in Aryanas Gesicht. “Ist mir egal, wie’s am Ende aussieht… mach’s einfach nur schnell zu.”, waren meine letzten Worte an sie, bevor ich mich vorsichtig nach hinten lehnte und mich mit den Armen auf der Sitzbank abstützte. So war die Haut weniger schmerzhaft gestreckt, als wenn ich mich komplett flach machte und Aryana kam trotzdem besser ran, als wenn ich saß. Außerdem konnte ich die zusätzliche Stütze in Form meiner Ellenbogen auf dem Sitz ziemlich gut brauchen, als wenig später Desinfektionsmittel auf die Schnittwunde traf. Ich schluckte den Schrei runter, presste knurrend die Zähne aufeinander und kniff die Augen zu. Meine Schultern spannten sich zum Zerreißen an und gleichzeitig versuchte ich, den Bauch möglichst nicht auf Spannung zu bringen - die Wunde erinnerte mich mit explosionsartigem Schmerz ohnehin schnell daran, dass Spannung keine gute Idee war. Das Desinfektionsmittel allein war schon schlimm genug.
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das hier is jetzt auch zur Hälfte Arbeitszeitbetrug und zur anderen Hälfte einfach nur gerusht... ich hoff es sind nicht zu viel Fehler drin, muss ins Bett x'D ____
 Die rechte Schulter. Wie ironisch. Es wäre uns sicher beiderseits recht gewesen, hätten wir uns diese Verletzung nicht langfristig auch noch geteilt. Obwohl Aryanas Wunde wohl etwas weniger schlimm war als meine damals, hoffte ich genauso wie sie, dass keine Kugel in ihrem Fleisch steckte. Es war gerade ein bisschen fragwürdig, wie sehr ich ihr damit eine Hilfe sein konnte, in Anbetracht meiner zitternden Hände. „Na dann ist ja wenigstens einer von uns noch topfit.“, erwiderte ich trocken auf ihren Kommentar mit der Trefferquote. Es wäre schon gut, wenn zumindest einer von uns beiden schmerzfrei fahren könnte, aber andererseits war es auch schon ein Sieg, dass wir überhaupt lebend aus diesem Drecksloch raus gekommen waren. Hätte schlimmer kommen können, was jedoch nicht bedeutete, dass ich meine Verletzungen jetzt schön reden würde. Ich sah in den fünf Sekunden, die ich mit Abwägen verbrachte, bewusst nicht zu Aryana rüber, sondern runter auf meine blutige Hand. Wir konnten eigentlich nicht riskieren, hier und jetzt auf weitere Guerillas zu stoßen, aber dieses Risiko zu eliminieren, indem wir wiederum eine zu heftige Anämie meinerseits in Kauf nahmen, war sinnlos. „Vielleicht lieber nicht länger als fünf Minuten, wenn du nicht willst, dass ich eine Woche lang wie ein Sack Reis neben dir im Auto sitze“, nämlich sehr blass bis weiß, ziemlich regungslos und allgemein wenig hilfreich in unserer Situation. Ich behielt den sarkastischen Unterton bei, weil es mir so leichter fiel, meinen schlechten Zustand offen zu legen. Mein Kreislauf fuhr runter und das war die alarmierende Vorstufe vom Herzrasen - dem Zeitpunkt, an dem das Herz dann übermäßig verzweifelt versuchte, den Körper auf Biegen und Brechen mit viel zu wenig Blut am Leben zu erhalten. Soweit durfte es nicht kommen, weil wir nicht in ein Krankenhaus konnten. Es dürfte schwierig werden, woanders eine Blutkonserve zu finden und rein zufällig hatten wir auch keine Faye im Handgepäck, die mir dann einen ordentlichen Zugang legte. Etwa dreieinhalb Minuten lang fuhren wir den Highway entlang. Währenddessen gab ich mir nicht mehr wirklich Mühe damit, die vorbeiziehende Umgebung zu beobachten. Meine Priorität war nur noch, die Hand fest genug auf die Rettungsdecke zu pressen, bis Aryana den Wagen über eine sehr provisorisch aussehende Ausfahrt von der Hauptstraße lenkte. Damit lag ein kleines Dorf – oder ein Ausläufer der Vorstadt – direkt vor uns. Unauffällig, aber mit genug Möglichkeiten, den Wagen außer Sichtweite des Freeways zu parken.
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Nachtschicht gehabt? <.< x'D it doooes and even if nooot, who gives a fooock... ich hab extra alles etwas vage gelassen, damit wir uns nicht mit unseren Vorstellungen jeweils zu sehr in die Quere kommen können, yk. x'D jetzt sind die eh erstmal weg da, heißt ab jetzt wird alles weniger kompliziert. :'D __________
 Die Schüsse wurden mehr, die Schritte hinter mir weniger. Ich konnte also tatsächlich einen kurzen Moment durchatmen, bevor ich langsam zurück zum Heck des Wagens ging. Ich schob die Tür des offenen Hecks mit der Hand an der Kante des Wagens zu, blieb dabei so weit wie möglich in Deckung. Dann hob ich den Lauf des Gewehrs und feuerte ein paar einzelne Schüsse ab. Mein Stand war jedoch kaum noch fest genug, um den Rückstoß abzufangen und so traf ich effektiv gar nichts, während ein neuer Schmerz links auf Höhe der Rippen mitmischte. Doch da war kein Blut, keine Feuchtigkeit, also tippte ich spontan auf eine gebrochene Rippe. Meine Schüsse reichten für nicht mehr als Ablenkung und vielleicht sowas wie einen Streifschuss. Ich konnte Aryana von hier kaum noch unterstützen. So als wüsste sie das, hörte ich plötzlich das Entriegeln der Türschlösser der Fahrerkabine, dicht gefolgt von Aryanas schlecht verständlichen Worten. Aber es reichte, um sie nach zwei Sekunden richtig in meinem Kopf zusammenzusetzen und ihre Aufforderung zu erkennen. Etwas in mir sträubte sich dagegen, weil ich vom Inneren des Wagen aus wenig bis gar nicht schießen konnte, aber ich musste einsehen, dass ich ihr auf den letzten Metern zum Auto ohnehin keine große Hilfe sein konnte. Also senkte ich den Lauf des Maschinengewehrs, sicherte es und öffnete die Beifahrertür. Ich zog mir den Gurt des Gewehrs über den Kopf und versuchte letzteren unten zu halten, obwohl die kugelsicheren Fenster mich bis zu einem gewissen Grad schützen sollten, während ich mich auf den etwas höher liegenden Sitz zog. Die Stichwunde zerriss mir dabei ein weiteres Mal schmerzhaft den ganzen Bauchraum, aber ich saß, zog die Tür zu und legte die Waffe im Fußraum ab. Daraufhin wollte ich mich zur Fahrertür lehnen, um sie schonmal für Aryana zu öffnen, aber die Stichwunde erlaubte mir kaum noch mehr als zu sitzen, also erstarb auch dieser Versuch im Keim und mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Ich lud die Pistole nach und war damit fertig, just als der Kugelhagel erneut aufflammte. Es waren nur wenige Sekunden, die Aryana von ihrer neuen Position aus zum Wagen brauchte und doch waren es wieder ein paar zu viel. Ein paar Sekunden, in denen mir die Angst um sie die Brust zuschnürte und ich absolut nichts dagegen tun konnte. Doch sie schaffte es, zu welchem Preis auch immer – es konnte nichts anderes als wieder ein Projektil sein, das ihre Schritte irritierte. Trotzdem machte sie den Motor an und fuhr los, was ich aufgrund der plötzlichen Krafteinwirkung auf meinen Körper mit verzogenem Gesicht und einem leisen Knurren hinnahm. Ich bündelte die Überbleibsel meiner Konzentration, versuchte weder an Aryanas noch an meine Verletzungen zu denken, während ich die Umgebung vor und rechts von uns um weitere Gefahren scannte. Es prallten Kugeln am Heck des Autos ab, was mich automatisch den Kopf einziehen ließ, obwohl keiner der Schüsse bis ins Innere vordrang. Auch bei seinen Fahrzeugen sparte Easterlin zum Glück nicht. Das Geräusch von auf Metall treffenden Projektilen verstummte erst vollkommen, als wir die Straße verließen und auf eine andere einbogen. In einer Hand hielt ich dabei noch immer die Pistole, mit der anderen zog ich das langärmlige Thermoshirt hoch und tastete vorsichtig nach der Stichverletzung. Der Verband war durch den Sprint scheinbar nach oben gerutscht, also zog ich ihn bestmöglich wieder runter und presste dann stattdessen die Handfläche drauf, weil der punktuelle Druck des Verbands hinüber war. Nur weg. Nur weit genug weg, um in Ruhe unsere Verletzungen zu versorgen. Wir hatten uns wegen der Mission und vor allem wegen unserem eigenen Plan vermehrt mit den umliegenden Straßen auseinandergesetzt. Aryana hielt sich also wie geplant grob Richtung Westen. Zum einen war das ohnehin die Richtung, in die wir langfristig mussten und zum anderen tummelten sich um den dort liegenden Freeway – falls man in diesem Land überhaupt irgendeine Straße als solchen bezeichnen wollte – überall Siedlungen, Märkte und Händler. Genug Möglichkeiten, sich ein anderes Auto und Lebensmittel zu besorgen. Falls wir eine Apotheke fanden, vielleicht auch ein präventives Antibiotikum für den gottverdammten Stich. Jetzt erstmal kamen wir aber tatsächlich ohne weitere Zwischenfälle aus der akuten Gefahrenzone raus und das mit einem Tempo, das man sicher nur bei Nacht auf leerer Straße durchziehen konnte, ohne Zivilisten zu erwischen. Erst jetzt, wo die Häuser um uns herum weniger dicht beieinander standen und sich alles etwas lichtete, wagte ich einen Blick zu Aryana. Vielleicht war es gut, dass es dunkel war und ich nicht viel sehen konnte. Es war entweder das Adrenalin oder mein Blutdruck, was langsam abflachte und den Instinkt fürs Überleben, den extremen Tunnelblick zusammen mit meinem bis vor wenigen Minuten noch rasenden Puls zur Ruhe kommen ließ. Wir sollten die vorübergehende Sicherheit mit Vorsicht genießen und doch war sie zumindest in diesem Moment gegeben. “Wo haben sie dich getroffen?”, presste ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor, weil selbst jeder Atemzug mit der vermutlich gebrochenen Rippe schmerzte. “Der verdammte Verband ist verrutscht”, schob ich verbissen nach. Ich sicherte die Pistole und legte sie ins Fach der Beifahrertür, nur um mich übervorsichtig nach vorn zu lehnen und das Handschuhfach zu durchwühlen. Aryana brauchte jetzt nicht mehr ganz so hektisch um Kurven zu fahren und ich wusste nicht, wo und wann wir einen günstigen Platz zum Anhalten finden würden. Einen, wo wir weder beobachtet, noch von irgendwem verraten wurden. Laut Ryatt war der Buschfunk der Gangs hier deutlich besser als das Internet. Also zog ich die noch eingeschweißte Rettungsdecke aus dem Fach und faltete sie in der Mitte nochmal zusammen, um sie so punktuell wie möglich auf den Stich drücken zu können. Der Schmerz ließ mir übel werden, aber ich schluckte die Galle runter. Wenigstens kam mir dabei kein Blut hoch, was meinen Verdacht auf die lediglich gebrochene Rippe stärkte. Eine innere Blutung wäre ungünstig gewesen.
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ich denke du weißt's, wills aber trotzdem nochmal erwähnen: Gibt keinen Grund, dass du dich an meine Textlänge halten müsstest. I just gooo with se flooow... x'D __________
 Manchmal war ich wirklich ziemlich toxisch, oder? Vielleicht nur nicht unbedingt, wenn es darum ging, mich schwer verletzt vom Schlachtfeld schleppen zu lassen, weil ich in diesem Moment wahrscheinlich andere Sorgen hätte. Ich tat Aryanas Witz mit einem flüchtigen Augenrollen und zuckendem Mundwinkel ab – für mehr war ohnehin keine Zeit. Ich hasste es auch dieses Mal, als sich unsere Wege nahe unseres Fluchtfahrzeugs trennten. Mein leise gehauchtes “Du auch” kam beinahe zu spät, Aryana war schon im Begriff, sich umzudrehen. Ich blickte ihr naiv hinterher, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwand und ich mich mit einem tiefen Atemzug wieder dem Gefahrenherd zuwendete. Inzwischen war mir jeder Abschied von ihr zu kurz. Wir waren noch nie für endlose Umarmungen oder Küsse gewesen, wenn nur einer unser beider Schatten durch die Wohnungstür ging. Hier hingegen konnte jeder Abschied der letzte sein… aber das durfte nicht passieren. Das würde es nicht. Ich klebte förmlich an der Hauswand und war wegen meines massigen Körpers froh über die Dunkelheit. Sie war nur sehr ungünstig fürs Zielen, weshalb ich beschloss, zuerst den Guerilla ins Visier zu nehmen, der weiter entfernt war. Das war der patrouillierende, der durch seine Bewegung vermutlich ohnehin schwerer zu treffen sein würde. Meine Hüfte pochte und meine alte Schulterverletzung machte sich nach den heute schon kassierten Rückstößen bemerkbar, als ich die Hände erneut hob und den Kopf der Patrouille ins Visier nahm. Ich ignorierte das leichte Stechen und Ziehen so erfolgreich wie immer, atmete gleichmäßig und scheuchte jeden Zweifel, der sich in mein Hirn zu schleichen versuchte, sofort wieder beiseite. Doch dann verschob sich der Fokus der Guerillas unerwartet und alle Köpfe drehten sich beinahe zeitgleich in dieselbe Richtung. Auch meiner, denn es war grob Aryanas Richtung und sie war nicht die erste, die schoss. Mein Herz stand still, bis ich erkannte, dass der Körper, der in der Sekunde darauf zu Boden sackte, viel zu klein für sie war. Erleichterung und Eiseskälte fluteten gleichzeitig meine Adern und ich hatte den Fokus verloren. Nicht für lange und trotzdem musste ich mein Ziel jetzt neu anvisieren, während ich betete, dass die Brünette nichts abbekommen hatte… und würde. Weil keiner mit mir rechnete, schossen alle in Aryanas Richtung und mir glückte der erste Schuss reibungslos. Die Patrouille, die sich in Deckung begeben hatte – allerdings nur aus Aryanas Richtung gesehen – sank in sich zusammen. Ich versuchte, nicht an die Brünette zu denken, und doch war das ein recht aussichtsloses Unterfangen, während ich mein nächstes Ziel zu erwischen versuchte und Der erste Schuss auf mein zweites Ziel ging daneben. Der zweite. Auch der dritte. Er hielt sich geschickt hinter dem Wagen in Deckung und wenn er sich weit genug raus lehnte, um ihn gut treffen zu können, dann schoss er. Ich tat das gleiche. Es war aussichtlos und den Guerilla, der noch immer auf Aryana schoss, konnte ich von hier genauso wenig treffen. Zwei Kugel landeten nahe meines Kopfes in der Wand und ich kniff reflexartig die Augen zu, als der abplatzende Putz mir spürbar das Gesicht zerkratzte. Es dauerte lange, viel zu lange, bis ich tatsächlich wieder einen Schuss hören konnte, der weder meiner, noch einer der Guerillas war. Vielleicht war sie verletzt. Hoffentlich nicht. Ich sollte objektiv betrachtet nicht darüber nachdenken und doch tat ich es für einen Moment, in dem ich mich in Deckung befand, ganz bewusst. Denn es war am Ende genau das, was mich auch dieses Mal zurück in den Fokus schubste – der Blick auf das Ziel, auf Aryana. Der Blick darauf, dass wir hier beide noch abkratzen konnten und keiner von uns ohne den anderen nach Hause gehen würde. Wir überlebten beide oder keiner. Faye ging ohne Schwester und nicht blutsverwandtem Bruder hier raus, oder sie behielt beide. Victors Geburtstag mit dieser beschissenen Mission zu versauen, sollte verdammt nochmal nicht umsonst gewesen sein. Aryana schien ihre Position gewechselt zu haben, denn die Guerillas verschoben sich etwas, kaum hatte sie das Feuer wieder aufgenommen. Es war eigentlich nicht der Plan gewesen, aber der war ohnehin schon hinüber, also nahm ich den jetzt durch den Positionswechsel von mir anvisierbaren Guerilla ins Fadenkreuz, der eigentlich noch auf Aryanas Liste stand, während mein eigentliches Ziel sich zum Nachladen verkrümelt hatte. Er bewegte sich, also versuchte ich überhaupt nicht, den Kopf zu treffen. Ich nahm einen gleichmäßigen Atemzug und meine Kugel traf ihn irgendwo im Oberkörper. Noch regte er sich, doch er fiel aus der Deckung auf den Boden. Ich vertraute darauf, dass Aryana ihm den Rest gab und musste darauf nicht mehr sehr lange warten. Ich schoss schon wieder auf den noch unverwundeten Guerilla am Heck, als er scheinbar in Panik verfiel. Er gab weitere Schüsse ab, die grob in meine Richtung zielten, als er sich vom Wagen löste und los rannte, offenbar eine nahe Gasse anpeilte. Dass er mich so traf, war sehr unwahrscheinlich, also lehnte ich mich weiter aus der Deckung. Ich traf ihn auf Bauchhöhe in den Rücken. Weil er sich noch rührte, gab ich weitere Schüsse auf. Vielleicht hätte einer gereicht und es hätte nicht zwei Kugeln gebraucht – wenn es um Aryana ging, machte ich aber keine halben Sachen. Auch nicht, wenn es um das Blut an meinen Händen ging. Der Kugelhagel erstarb und es kehrte flüchtige Ruhe ein. Ich wollte instinktiv zu Aryana rennen, schob mich trotzdem zuerst langsam aus der Deckung, als ich plötzlich in der Gasse hinter mir Schritte hörte. Laute, schnelle Schritte, mehr als ein Paar. Damit war mich einfach auf die andere Seite des Hauses zu verkriechen keine Option mehr. Den ersten würde ich sicher treffen, den zweiten vielleicht nicht mehr und wer wusste schon, wie viele da kamen. Noch eine klaffende, blutende Wunde würde ich mit Pech nicht überleben. Also rannte ich los, um sie mit mir aus der Deckung zu locken. Nicht zu Aryana, sondern schräg zum Wagen. So hatte sie zumindest eine Möglichkeit, sie zu erwischen. Die Stichwunde bremste mich bei jedem zweiten Schritt und mein ganzer Körper fing Feuer im Schmerz, während ich das Maschinengewehr mit einer Hand festhielt, damit es mir nicht ständig gegen die Schutzweste prallte. Doch ich durfte nicht langsamer werden, es war nicht einmal Zeit mich nach Aryana umzusehen – geschweige denn nach dem Jungen, der mich unweigerlich daran erinnerte, dass ich nicht nur Jetman, sondern auch Josh wieder im Stich gelassen hatte, so als müsste ich dieses Verhalten unbedingt wie einen roten Faden durch mein ganzes beschissenes Leben ziehen. Schüsse eines Maschinengewehrs zischten durch die Luft und schlugen um mich herum im Boden ein. Als ich beinahe am Wagen angekommen war, fing ich an zu taumeln, begriff in diesem Moment jedoch nicht, weshalb und rutschte auf der platt gefahrenen Straße aus nichts als verdammter Erde auch noch aus, als ich mich mit letzter Kraft hinter dem Auto in Deckung warf. Meine Raucherlunge brannte, ich atmete schwer und das Herz pochte mir in den Ohren, während ich mich mit dem Rücken am Wagen aufrichtete. Mir wurde für einen kurzen Moment schwummrig vor Augen, daraufhin steckte ich die Pistole weg und wechselte zum Maschinengewehr. Das Magazin der Pistole war so gut wie leer und mir zitterten die Finger zu stark, als dass ich mir einen schnellen Magazinwechsel zutraute. Mein Körper kam seinem Limit näher und mit dem MG musste ich dank mehr abgefeuerter Kugeln weniger genau zielen.
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 Ich vernahm Aryanas Einschätzung bezüglich der möglichen Bedrohungen außerhalb der Halle und auch ihre Meinung zu unserem weiteren Vorgehen, wobei meine Augen kurz zu der Leiche schweiften. Mit dem Blick zurück im Gesicht der Brünetten nickte ich beides ab. Es war das Beste so und das Risiko auf weitere Guerillas zu treffen endete ohnehin nicht mit der Grundstücksgrenze, wir waren hier im Epizentrum des Übels. Aryanas Worte bezüglich der Helme nahm ich mit einem inneren Augenrollen wahr. Zum einen wegen ihrem glänzenden Sarkasmus, den ich sogar in dieser Situation schätzte, und zum anderen, weil mich im Worst Case eines Kopfschusses auch der Helm nicht ausreichend schützen würde, um mich noch effektiv zu bewegen oder gar gezielt zu verteidigen. Da wäre eine starke Gehirnerschütterung noch das allerkleinste Übel. „Dachte eigentlich, du würdest mich grundsätzlich gerne auf den letzten Metern zum Auto tragen.“, stieg ich wie so oft trocken auf ihren Humor ein. Das hier würde sicher nicht die letzte Situation sein, in der wir uns den Moment mit unpassenden Kommentaren erleichterten, bevor es wieder ernst wurde. Nämlich jetzt, wo ich hinter ihr durch die Tür nach draußen schlüpfte und sie möglichst leise schloss, um keine unnötigen Geräusche zu erzeugen. Daraufhin wendete ich ihr den Rücken zu, um rückwärts gehend mit erhobener Pistole den Weg hinter uns zu sichern. Ein kurzer Seitenblick auf die Straße, in der sich das größte Massaker abgespielt hat, bestätigte mir, was ich im Funk und von Aryana gehört hatte. Als sie innehielt, um den Schlüssel zu bergen, tat ich es ihr gleich und hielt die Position. Dabei heftete ich mich an die nahe Wand, um mich so unsichtbar wie möglich zu machen und den Stich ein wenig zu entlasten, behielt dabei bestmöglich alle Richtungen abwechselnd im Blick. Die umliegenden toten Körper inklusive Nolon anzusehen, vermied ich dabei effizient, um mir nicht noch mehr Stoff für Alpträume zu liefern – als gäbe es da noch Bedarf, als würde das noch einen Unterschied machen. Schließlich konnte ich den Schlüssel leise klimpern hören und kurz darauf ging es ohne Zwischenfälle weiter wie zuvor, bis uns an der Grundstücksgrenze der nächste Funkspruch erreichte. Der nächste und letzte. Es war im Grunde nicht weniger als perfektes Timing: Man wird uns glauben, wenn wir berichten, dass unsere Geiselnehmer uns sofort unserer Ausrüstung entledigt hatten, als unsere Funkgeräte sich bemerkbar gemacht hatten. Dass das Tracking dann auch genau hier, genau in diesem Moment endete, war nur logisch. Ich wartete mit dem Abnehmen meines Helms dennoch, bis Aryana ihren abgelegt hatte, um unsere Abwehr aufrechtzuerhalten. Als sie fertig war, senkte ich während dem Abziehen meines Kopfschutzes die Pistole, nur um sie sofort wieder anzuheben, kaum hatte mein Helm den Boden erreicht. “Positionswechsel, ich kenn’ die Straßen schon.”, sagte ich mit leicht gesenkter Stimme und einem beiläufigen Nicken hinter mich zu Aryana, als wir kurz Blickkontakt hatten. Ich wusste genau, wo der Wagen stand und welche der schmalen Gassen wir nehmen mussten. Außerdem hielt ich die Brünette auch grundsätzlich gerne hinter mir, zum Schutz — ein willkommener Nebeneffekt. Ich ging an ihr vorbei und erst auf dem Weg zum Auto schlich sich langsam das Gefühl von sich lösenden Fesseln in meine Brust. Der Kampf war noch lange nicht vorbei, würde noch Monate dauern, aber hier und jetzt hatte Easterlin trotzdem keine Kontrolle mehr über uns. Wir tauchten ab, bis tief unter sein elendig breit gefächertes Radar. Es gab mir neuen Antrieb, obwohl der Schmerz sich weiterhin bei jedem Schritt von meiner Hüfte bis in den Oberschenkel zog. Meine Schritte hatten also trotz meiner Verletzung ein relativ zügiges Tempo, wobei ich noch immer darauf bedacht war, mich nahe an den Wänden zu bewegen. Ein paar Mal hörte ich leise Stimmen oder andere Geräusche und verlangsamte kurz, immer mit flüchtigem Kontakt zu Aryana – meist stumme Handzeichen – bevor es zügig ohne Kollision mit möglicher Gefahr weiterging. Die wartete erst am gepanzerten Wagen auf uns. Ich hörte schon vorher ein paar Männer reden und wurde langsamer. Nur vorsichtig ging ich auf so leisen Sohlen wie nur möglich bis zur Ecke des Hauses neben uns und lugte noch vorsichtiger daran vorbei, deutete Aryana gleichzeitig mit der Hand, inne zu halten. Ich konnte vier Guerillas sehen, die scheinbar darauf warteten, dass irgendjemand versuchte, das Auto wieder abzuholen. Zwei lehnten an der von uns abgewandten Motorhaube, von denen einer von hier aus schlecht zu treffen war. Der Dritte hat das Heck aufgebrochen und durchwühlte gerade die Ausrüstung, die wir selber dringend brauchten. Der vierte patrouillierte langsamen Schrittes die Straße entlang, sah sich dabei wachsam um. Keine günstige Ausgangslage – ein undurchdachter, länger anhaltender Schusswechsel würde Aufmerksamkeit auf sich ziehen, was wir dringend vermeiden sollten. Ich zog mich gänzlich in die Deckung zurück, um Rücksprache mit Aryana zu halten. “Wir müssen uns aufteilen, dann können wir den Schusswechsel kurz halten. Es sind vier… einer von uns sollte zwei Häuser weiter in dieser Richtung”, ich machte eine entsprechende Handgeste, “Stellung beziehen und die beiden an der Motorhaube umlegen.” Ich stand dicht bei Aryana und sprach insgesamt leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war nun etwas ungünstig, dass wir keine Möglichkeit hatten, uns über eine Distanz hinweg ohne Sichtkontakt zu verständigen, weshalb ich kurz nachdachte. “Das solltest du machen, dann bist du gleich näher am Wagen. Ist sicher nicht sinnvoll, wenn ich jetzt fahre, mit dem Stich…”, dachte ich laut nach. Mit dem rechten Fuß müsste ich im Stadtverkehr ständig schalten und es würde meine Wunde wohl mehr belasten, als wenn Aryana mit ihrem Streifschuss das Lenkrad bediente. Beides war beschissen, aber das war die mildeste Lösung für den Moment. “Ich halte mich bereit und wenn du den ersten Schuss abgibst, schalte ich die anderen beiden aus.”, nickte ich ihr abschließend zu. Mir schien das die einzige Möglichkeit zu sein, ein einigermaßen reibungsloses Abwickeln der Situation zu erreichen, um schnell von hier wegzukommen und danach bestenfalls keine weiteren Kletten am Arsch zu haben. Selbst wenn uns Jemand folgte, hatten wir im Auto mehr Schutz als hier auf der Straße.
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 Nicht nur was die Wahl der Örtlichkeit unseres Ausflugs, sondern auch was meine Antwort auf ihre Frage zu meinem speziellen Radar für ihresgleichen anging, konnte ich für Überraschung sorgen. Dabei hatte Riccarda schon Recht damit, dass mich von meiner pelzigen Seite vollständig abzutrennen schwierig für mich war, offensichtlich. Zu unser beider Glück bedeutete das aber nicht, dass ich keinerlei Kontrolle über das Biest hatte oder dass es nicht lernfähig war. Der Wolf war ich und ich war der Wolf – es war nicht so, als wären wir zwei komplett eigenständige Individuen. „Ich versteh‘ schon, woher die Frage kommt… aber diese Symbiose ist zum Glück keine völlige Einbahnstraße.“, erwiderte ich. Nach kurzem Zögern fügte ich hinzu: „Ich muss nur noch dafür sorgen, dass ich mehr Einfluss habe als er.“ Was leider nicht so einfach war, wie es sich in diesem Moment dahersagte. Vollständig kontrollieren konnte man den Wolf ohnehin nicht: Spätestens bei Vollmond sprang er ungefragt aus dem Käfig. Kein Werwolf kam dagegen an. Doch ich brauchte eine gesündere Verbindung zu meinem pelzigen Zwilling, jetzt dringender denn je. Ich wollte Riccarda nicht mangels Selbstkontrolle verlieren. Weil sie gleichzeitig jedoch die allerletzte Person war, die ich dazu zwingen wollte, mir bei entsprechend nervenaufreibendem Training zu helfen, wägte ich aktuell schweren Herzens ab, mich das erste Mal seit langem wieder bei meinem Cousin zu melden. Er war nicht ideal dafür, weil er eine eher ruhige Persönlichkeit besaß und mir körperlich völlig unterlegen war – aber er wäre besser als Niemand, richtig? Ich konnte nur sehr begrenzt mit mir selbst trainieren und genauso wenig einmal wöchentlich für ein paar Stunden in den Norden fliegen. Mir saß meine angeknackste Beziehung beißend im Nacken, ich musste jetzt handeln. So oder so war es gut, dass die zierliche Blondine mir nie mehr nur aufgrund ihrer DNA gegen den Strich gehen würde. Ich sah ihr einen Moment lang schwach grinsend nach, als sie dabei war, vom Beifahrersitz zu rutschen. Es war schön, Riccarda inzwischen wieder mit angehobenen Mundwinkeln zu sehen. Ich überanalysierte jede noch so kleine Regung ihrer Mimik auf alltäglicher Basis und allein deshalb schon waren die Tage unmittelbar nach unserem Streit die reinste Tortur gewesen. Ich hatte ihre gute Laune unheimlich vermisst und stieg deshalb mit einem Anflug von Leichtigkeit aus dem Wagen, trotz meiner Körpergröße und den Winterklamotten. Mein schlicht schwarzer, zweiteiliger Skianzug kam hauptsächlich wegen der Nässe zum Einsatz. Die versetzte selbst mich ins Frieren, wenn sie großflächig unter die Klamotten kroch und das ließ sich heute vielleicht nicht vermeiden. Um unnötiges Schwitzen zu umgehen, war ich unter dem Anzug jedoch entsprechend dünn mit Thermoklamotten gekleidet. Ich ließ die Fahrertür locker hinter mir in den Rahmen fallen und traf meinen Engel am Kofferraum wieder. Sobald die Schlitten draußen waren, zog ich den Kofferraum zu und schloss den Wagen ab, ehe wir uns auf den Weg machten. Den Umständen entsprechend ging ich gezielt voraus, wobei es Riccarda sicher auch zugute kam, dass ich ihr den Schnee schon ein wenig platt trat. Ich ebnete ihr gerne den Weg und hatte es mit meiner zwangsläufig notwendigen Fitness und den längeren Beinen ohnehin etwas leichter als sie. Wir redeten kaum auf dem Weg zur von mir auserkorenen Stelle, aber im Gegensatz zu früher empfand ich das nicht mehr als unangenehm. Ich genoss es sogar, neben Riccardas spürbarer Anwesenheit gleichzeitig auch die Natur in mich aufsaugen zu können – mal wieder tief durchzuatmen und vom Geräusch unserer Schritte im Schnee, bis hin zu leisem Vogelzwitschern und dem unscheinbaren Wiegen der Baumwipfel alles ganz bewusst wahrzunehmen. Natürlich streifte ich weiterhin regelmäßig im Wolfspelz durch die Wälder rund um die Stadt, aber das war nicht dasselbe. Ich nahm es anders wahr, wenn ich auf nur zwei Beinen unterwegs und außerdem nicht allein war. Es stand keine Jagd an, ich stromerte nicht irgendwelchen Gerüchen hinterher, musste nicht aufpassen, keinem Menschen über den Weg zu laufen… es war herrlich unbeschwert und deshalb trug ich fast ununterbrochen ein schwaches Lächeln auf den Lippen, wann immer ich einen kurzen Blick zu Riccarda warf, um sicherzugehen, dass mein Schritttempo angenehm für sie war. Doch die kurze Wanderung kam bald zu ihrem Ende und ich deutete meiner Begleitung mit einer schlichten Handgeste, wo wir meiner Meinung nach runterfahren sollten. Der einzige Haken am Schlittenfahren abseits des Tourismus war, dass es hier keinen Lift gab – sich den Berg wieder nach oben ziehen zu lassen, war hier also nicht möglich. “Wenn wir nur bis zur Lichtung fahren, ist der Weg zurück nicht so weit…” Was nicht als Seitenhieb für Riccarda gedacht war, weil sie durchaus körperlich fit, nur ganz nüchtern betrachtet nicht so unermüdlich wie ich war. “...außerdem zieht sich ungefähr zwanzig Meter weiter unten ein Bach schräg durch den Hang.”, fügte ich noch einen Sidefact an. Zwar war das breite Rinnsal oberflächlich sicher noch zugefroren, aber es würde uns einen schmerzhaften Stopp bescheren, wenn wir da rein bretterten. Die Lichtung bremste uns durch ihr mangelndes Gefälle ohnehin, wir sollten eine Weiterfahrt auf dem dahinter wieder steiler werdenden Hang lieber nicht provozieren. Zumindest Riccarda mit ihren gewöhnlich schnell heilenden Knochen nicht. Ich brachte den Schlitten ohne Eile in Position, erfreute mich stumm an dem Gefühl, meine gefühlt nonexistente Kindheit gleich ein bisschen nachzuholen. “Wird daraus ein Wettrennen, oder gehen wir…”, die Sache entspannt an? Riccarda war schon losgefahren, bevor ich den Satz überhaupt erst beendet hatte.
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 Es war grundsätzlich so, dass ich Aryanas Verletzungen als wichtiger empfand als meine eigenen. Vermutlich ging es ihr andersrum oft ähnlich. Soweit ich es bei diesen miserablen Lichtverhältnissen beurteilen konnte, war sie aber definitiv nicht lebensbedrohlich verletzt. Der Streifschuss würde zweifelsohne die nächste Narbe hinterlassen, aber für uns gab es Schlimmeres. Wundinfektion zum Beispiel. „Stichwunde unterhalb der Weste, hab die Blutung aber schon eingedämmt. Bisher merk‘ ich nichts.“, gab ich ehrlich zu Protokoll. Der letzte Satz bezog sich auf den Blutverlust und damit einhergehende Kreislaufprobleme. Natürlich würde der Einstich nicht zu bluten aufhören, bis er ansatzweise sauber zugenäht war, aber der Druckverband gab uns einen Zeitpuffer. Ähnlich war es mit Aryanas Streifschuss. Der konnte auch eine Naht vertragen, damit keine unnötig große Narbe zurückblieb, aber vorerst tat es ein Verband. Wie es explizit um ihren Arm stand, konnte ich in der Dunkelheit jedoch unmöglich erkennen, während ich ihr dabei half, den Verband so gezielt wie möglich festzuziehen. Dabei presste ich selbst die Lippen aufeinander, weil ich der Brünetten nur sehr ungerne wehtat – es war in diesem Moment leider trotzdem notwendig. Ich beobachtete Aryana dabei, wie sie sich wieder vollständig anzog. Den Griff zu meinem Holster, in dem die Pistole zwischenzeitlich verstaut war, tätigte ich gleichzeitig wie im Schlaf, ohne hinzusehen. Bei Aryanas nächster Frage sah ich jedoch zurück in ihr Gesicht und zog nickend die Waffe. „Ja, den hat Nolon… er liegt nur etwa zehn Meter außerhalb des Fensters“, ich deutete auf die kaputte Scheibe, die sich wiederum ein paar Meter von der Tür entfernt befand, durch die meine bessere Hälfte reingekommen war, „und theoretisch können wir von da aus direkt weiter zum Wagen, ist kein Umweg. Bist du draußen noch auf viel Widerstand gestoßen? Wenn nicht, würde ich sagen, wir holen den Schlüssel, statt weiter hinten aus der Halle zu klettern.“ Ich zuckte schwach mit den Schultern und deutete grob in die Richtung, in der das erste Fenster lag, durch das ich heute geklettert war. Es lag näher an der Grundstücksgrenze. Sollte draußen noch Trubel herrschen, wäre es sicherer, den Großteil des Rückweges innerhalb der Halle zurückzulegen, in der wir gerade saßen. Da sich das Fahrzeug später aber sicher besser inklusive Schlüssel verkaufen lassen würde, wäre es schon gut, den zu haben – falls das Risiko nicht zu groß war. Immerhin war das unsere einzige Chance auf Geld für die anstehende Reise. Von unseren Waffen oder der Munition was zu verkaufen wäre leichtsinnig. Laut Ryatt wurde es im Norden des Kontinents nur schlimmer mit Guerillas, da sollten wir nicht mit schlechter Verteidigung reinstolpern. Immerhin verlief bis jetzt alles ziemlich genau nach seiner Prognose. “Wegen der Peilsender…” Ich dachte kurz nach – hauptsächlich über die tausend Dinge, die Ryatt uns diesbezüglich ans Herz gelegt hatte. “...würde ich vorschlagen, wir lassen beide hier. Nicht an der exakt selben Stelle, aber wenn wir bei der Story bleiben, dass wir gekidnappt wurden, sollten wir keine Zeit mit dem sterben werden verlieren.“, schlug ich vor, sprach dabei aufgrund des Nachdenkens jedoch insgesamt etwas langsamer. Es war die sicherste Variante, wenn wir vermeintlich noch hier auf dem Grundstück von der Gegenseite gefangen genommen wurden. Denn das erklärte den Verlust des Funkkontakts - uns würde in Gefangenschaft jedwede Ausrüstung abgenommen werden - und es kam auch keiner auf die Idee, uns beiden zu unterstellen, wir hätten uns Easterlins Wagen genommen. Der wurde selbstredend auch getrackt und das zu unterbinden würde zu lange dauern - wir mussten hier weg und unser GPS-Signal durfte keine Bewegung mehr verzeichnen, wenn die Basis versuchte, uns zwecks Evakuierung erneut zu erreichen. In unserer Version der Geschichte hätten wir in den kommenden Stunden also auch nie in unserem Einsatzfahrzeug gesessen, sondern uns erstmal mit den Guerillas herumgeschlagen und dann mit Nichts dagestanden. Äußerst widrige Umstände also, könnte man sagen. Um gegen zu checken, wie weit der Rest unseres längst ausgeflogenen Teams mit der Mission war, drehte ich den Funk an meinem Ohr leise wieder auf. Den Funksprüchen zufolge waren sie noch mit der hitzigen Verfolgungsjagd beschäftigt. Die Zielperson im LKW wurde aber bereits mitsamt Fracht gestoppt, der G-Wagon hingegen hielt eisern gegen Easterlins Trupp. Damit sollte er auch ruhig noch ein bisschen weitermachen.
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 Ich war ratlos. Die Kommunikation mit den beiden Frauen gestaltete sich fast unmöglich und so musste ich letzten Endes einfach darauf hoffen, dass sie sich weiterhin bloß verstecken und ansonsten genau gar nichts tun würden. Es war in der Halle ansonsten still und sicher – ich wollte die beiden auch nicht nach draußen verscheuchen und sie grundlos dem Tod ausliefern, also musste ich darauf vertrauen, dass sie sich weiterhin bedeckt hielten. Die Angst in ihren schimmernden Augen sprach dafür. Ich bedeutete ihnen nur noch mit der internationalen Geste des Fingers vor den Lippen, still zu bleiben, ehe ich mich – ohne ihnen den Rücken zuzuwenden – wieder distanzierte und mir einen strategisch sinnvollen Platz in der Halle suchte. Die Ausgänge und das kaputte Fenster an der Front, die Aryanas Standort am nächsten lagen, sollten bestenfalls alle einigermaßen zügig erreichbar sein. Das erste zusammengeschlossene Team war schon dabei den Mercedes zu verfolgen und als das zweite verkündete, am Fahrzeug angekommen zu sein und sich auf den Weg zu machen, atmete ich durch. Es lief alles nach Plan, Aryana fuhr nicht mit und die Einsatzleitung hatte keine andere Wahl, als das einfach zu akzeptieren. Jetzt hieß es nur noch die Köpfe unten zu halten und Geduld zu haben… zumindest für mich, denn ich war nicht derjenige, der sich noch einmal übers Schlachtfeld bewegen musste. Doch sie würde es schaffen, sie würde zu mir kommen und dann machten wir zusammen die Biege – an diesen Gedanken musste ich mich klammern, als ich mich mit dem Rücken an ein volles Schwerlastregal lehnte, das an der Mauer zwischen dem kaputten Frontfenster und einer der Türen stand. Es gab mir immerhin Deckung und draußen wurde es immer ruhiger, bis bald fast nur noch der Funk an meinem Ohr zu hören war, der mich längst nicht mehr zu interessieren brauchte. Deshalb stellte ich ihn auch irgendwann ab. So hatte ich das erste Mal Zeit dazu, Ausrüstung und Oberteil weit genug hochzuziehen, um mir die Stichwunde anzusehen. Sie blutete immer noch, was ich anhand des sich immer nasser anfühlenden Thermoshirts längst befürchtet hatte. Ich schluckte und steckte die Pistole zurück ins Holster, bevor ich vorsichtig die Schutzweste öffnete und das Shirt noch höher schob. Ich zog meine dünnen Handschuhe aus, griff in eine der unzähligen Taschen an meinem linken Hosenbein und durchforstete sie nach einem ganz bestimmten Päckchen. Die fast ausschließlich beim Militär genutzten All-In-One Druckverbände waren praktisch – wenn man es denn bis in eine Situation schaffte, die einem das gezielte Anlegen ermöglichte. Ich riss den sterilen Verband auf und ließ die Folie achtlos fallen, bevor ich die eingearbeitete sterile Wundauflage auf dem Schnitt platzierte. Mir entwich ein leises Zischen, das ich nicht ganz schlucken konnte, als ich den Verband anlegte und daraufhin den Druck im ersten Moment sehr schmerzhaft spürte. Es ließ sich aufgrund der Verbandslänge nicht genauso viel Druck erzeugen wie an Extremitäten, aber es war besser als nichts. Schließlich konnte ich nicht wissen, wie lange Aryana brauchen würde, um zu mir aufzuschließen. Also steckte ich das nasse Shirt über dem Verband achtsam zurück in die Hose und schloss die Weste darüber, zückte die Pistole und lehnte mich an die Wand. Meine Ohren klingelten noch vom Gefecht, doch ich versuchte in den folgenden Minuten trotzdem auf Unregelmäßigkeiten zu lauschen. Mich auf die Geräusche zu fokussieren half dabei, nicht zu intensiv darüber nachzudenken, ob es Aryana gut ging. Die Augen machte ich nur zum Blinzeln zu, hielt die Waffe bereit und entlastete das Bein so gut wie möglich, während ich mich anlehnte, ohne mich hinzusetzen. Mir war das Risiko, dass ich im Fall der nächsten Bedrohung sonst aufgrund der Verletzung nicht schnell genug aufstehen konnte, zu groß. Ich hörte durch das offene Fenster immer mal wieder leise Schritte, die sich von der Stille der Lagerhalle und dem nur dumpfen, leisen Grundlärm der Stadt weit im Hintergrund abhoben. Irgendwann konnte ich hören und mit einem Blick über einigen Krempel in der Halle hinweg auch sehen, dass die beiden Frauen sich in Bewegung gesetzt hatten und – meinem Gehör nach – durch eine der Türen die Halle verließen. Ich konnte in den folgenden Minuten, die sich eher wie Stunden anfühlten, zumindest keine weiteren Bewegungen in der Halle erkennen. Es war von da an ziemlich still, bis ich draußen jemanden nicht gehen, sondern rennen hörte. Mir stellten sich die Nackenhaare auf im selben Moment, in dem ich die Waffe hob, weil ich Schüsse hörte. Ich wandte mich dem Gehör nach der vermeintlich richtigen Richtung zu, sah vorsichtig an dem Regal vorbei nach links. Es dauerte keine Sekunde mehr, bevor die Tür in dieser Richtung aufschwang und ein Schatten, den ich unter tausend anderen wiedererkennen würde, hindurch in die vermeintlich schützende Dunkelheit stürzte. Die Tür knallte schwungvoll an die bröckelnde Wand und durch den Aufprall schwenkte sie beinahe bis in den Rahmen zurück, bevor sie erneut aufgestoßen wurde. Ich konnte den Verfolger erst sehen, als er sich aus dem schützenden Türrahmen löste, weil er Aryana sonst wohl nicht erwischen konnte. Sie traf ihn sogar selbst, doch brachte der Streifschuss ihn nur aus dem Gleichgewicht. Meine Kugeln waren dank meiner aktuell absolut unentdeckten Position gezielter, als ich weit genug aus der Deckung trat und ihn zweifach am Oberkörper erwischte. Erst seitlich unterhalb des Arms und und dann, weil er sich infolge des schrägen Treffers drehte, auf Lungenhöhe am Rücken. Ich verharrte nur noch kurz an dem Regal, während mir der Puls schon ungut in den Ohren schlug, um abzuwarten, ob noch mehr hinterher kamen – doch er schien der einzige zu sein, vorerst. Dicht an der Wand entlang ging ich konstant leicht hinkend in seine Richtung, nur um dann mit einem letzten Blick festzustellen, dass er bereits Blut röchelnd am Ersticken war. Ich schob die Tür zu, um akustische Warnung für Aryana und mich zu ermöglichen, sollten doch noch mehr Guerillas hinterher kommen. Dann sah ich sofort über die nass schimmernden Flecken auf dem Boden hinweg mit langsam absinkender Waffe in die Richtung, in die meine Freundin sich geflüchtet hatte. Die Anspannung, die sich bis gerade eben eisern um mein Herz geklammert hatte, wich von einer Sekunde auf die nächste – sie lag nicht schwer verletzt oder gar tot mitten auf dem Boden, nein, sie hing nur hektisch atmend in Deckung hinter ein paar rostenden Metallfässern. Mein erster Instinkt war, blind auf sie zuzurennen und sie in die Arme zu schließen, doch ich gab ihm nicht nach. Ich ging rückwärts möglichst zügig trotz der Schmerzen in ihre Richtung, sicherte die Tür weiter mit meinem Blick und der Pistole ab. Als ich bei Aryana ankam, ließ ich die Waffe sinken, klappte das Nachtsichtgerät nach oben weg und ging neben ihr in die Knie, versuchte dabei das Gesicht so gut wie möglich nicht zu verziehen und zog sie schwer atmend an meine Brust. “Endlich.”, hauchte ich ein beinahe stummes Wort und machte dabei für nur eine lange Sekunde die angestrengten Augen zu. Es war mir ewig vorgekommen, seit dem verklungenen aktiven Schusswechsel und ihrem Auftauchen. Eine flüchtige Umarmung – die für meine völlig aufgekratzte Seele unabdingbar war – mit unruhigem Durchatmen später schob ich sie jedoch vorsichtig an der Schulter von mir weg. Sah ihr zuerst ins Gesicht und musterte dann flüchtig ihren Oberkörper, was im Grunde sinnlos war, weil es ohnehin viel zu dunkel war, um Verletzungen leicht entdecken zu können. “Bist du okay?”, fragte ich deshalb nach und sah nervös die Antwort abwartend zurück in ihr schemenhaftes Gesicht. In ihr schönes, zum Glück ziemlich unversehrtes Gesicht. Ob wir gleich Nolons Leiche waghalsig den Schlüssel abknöpfen oder den Wagen einfach kurzschließen würden, konnten wir auch nach dem Statusupdate noch klären. Letzteres war ohnehin essentiell für unser weiteres Vorgehen. Wir mussten uns auch noch auf eine Version für unsere spätere Geschichte einigen und unsere Peilsender entsprechend loswerden.
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 Ich nickte leicht vor mich hin, als Riccarda sagte, aufgrund der mäßig abschätzbaren Erfolgschancen lieber geschwiegen zu haben. „Verstehe ich.“ Es hätte nur den nächsten Fall in die Enttäuschung für mich bereit gehalten und wir wussten wohl leider beide, dass das aktuell bestenfalls vermieden werden sollte. Ich mochte nicht mehr so wankelmütig sein, wie ich es direkt nach unserem heftigen Streit war, aber man musste den wiederhergestellten Frieden nicht provozieren, wenn es vermeidbar war. Gegen die Antwort zu Jagos Abreisezeitpunkt sträubte sie sich nicht und so hatte ich diesbezüglich schnell Gewissheit… und ein unweigerlich kurzzeitig noch breiter werdendes Grinsen, das ich jedoch schnell wieder zu schmälern versuchte. Es war so greifbar, dass ich erstmal nur schwer glauben konnte, dass er in wenigen Tagen erstmals rüberflog und schon sehr bald danach ganz weg sein würde. Seit ich überwiegend in Vollzeit arbeitete verging die Zeit eindeutig schneller als früher in meinen Faulenzerjahren. Ich brauchte quasi nur ein paar Mal zu blinzeln und dann war ich ihn los. „Klingt noch ein bisschen zu gut, um wahr zu sein… ist aber Musik in meinen Ohren.“, umschrieb ich, dass ich noch ein paar Minuten brauchen würde, um die Information vollständig sacken zu lassen. Mich darüber zu freuen, war aber glücklicherweise jetzt schon möglich und konnte uns das Schlittenfahren nur versüßen. Was wiederum bedeutete, dass ich mir die Frage danach, woher Riccarda das alles so genau wusste, in diesem Moment lieber sparen sollte. Denn das hatte Potenzial meine aufwärts strebende Laune schlagartig auszubremsen und ich hatte mich und meine Eifersucht in diesem Moment ausreichend unter Kontrolle, um das Nachhaken sein zu lassen. Er würde weg sein. Die Details musste ich nicht wissen, um mich wie ein Schneekönig zu freuen. Apropos - die matschige Schneedecke auf der Straße wurde etwas dicker, als wir weiter nach oben fuhren. Also noch ein bisschen langsamer. „Keine Sorge, auf der Rückseite des Hangs stehen weniger Bäume als auf dieser Seite und es ist etwas weniger steil. Die nicht platt gefahrene Schneedecke bremst uns bestimmt auch ein bisschen.“, versicherte ich meinem blonden Engelchen grinsend und kam nicht umhin, meine Hand nach ihrem Oberschenkel auszustrecken und sie zu tätscheln. Ich ließ die Hand dort auch noch liegen, weil ich sie zum Autofahren nicht akut benötigte. Als Riccarda meine Offenbarung nochmal in ihren Worten wiederholte, sah ich einen Moment lang nachdenklich durch die Frontscheibe, bis ich langsam nickte. „So könnte man es auch formulieren, ja.“, bestätigte ich etwas langgezogen. In ihren Worten klang es irgendwie nochmal eine ganze Stufe verheerender. „Nüchtern betrachtet war es meine Bewältigung für fast alles… anders hab ich den ganzen Mist, der Zuhause los war, nicht ausgehalten. Es ist also leider nur logisch, dass ich deswegen jetzt immer sofort mit den Krallen scharre, wenn ich mich auf irgendeiner Ebene provoziert fühle.“, murmelte ich und seufzte leise. Trotz der ernsten Thematik weigerte ich mich dagegen, mir die gute Laune verderben zu lassen. Die Retourkutsche meines damaligen Verhaltens und die Unfähigkeit meines Ziehvaters, es zu unterbinden, musste ich jetzt eben einfach ausbaden und ausbügeln. Es führte kein Weg daran vorbei, aber in diesem Augenblick war ich entspannt und konnte mich dementsprechend getrost wann anders darum kümmern. Außerdem war ich heute mit dem richtigen Fuß aufgestanden, in Vorfreude auf das, was gleich bevorstand. Die unerwartete Frage, die daraufhin noch von meiner Beifahrerin kam, ließ sie mich zuerst etwas irritiert ansehen. Dann musste ich leise auflachen und sah dabei schon wieder geradeaus, kurz bevor ich ihr antwortete: „Würdest du mich noch in irgendeiner Art und Weise nur aufgrund deiner Genetik reizen, säßen wir jetzt nicht hier, Engelchen.“, lächelte ich wissend und streichelte mit dem Daumen über den Stoff an ihrem Schenkel. “Ich merke immer noch unterschwellig, ob sich ein Engel in meiner Nähe aufhält… und wenn ich es darauf anlege, kann ich euch nach wie vor auch auf Distanz sehr leicht wahrnehmen. Aber die bloße Anwesenheit deiner Art lässt mich mittlerweile völlig kalt. Es reizt mich nicht mehr.“, holte ich noch etwas weiter aus, als eine kleine, eingeschneite Hütte in Sicht kam, vor der sich an der Straße eine Einbuchtung zum Parken befand. Es stand ein einziges anderes Auto da, das ich spontan dem Besitzer des kleinen Hauses zuschrieb, aus dessen kleinem Schornstein Rauch aufstieg. „Deshalb bin ich inzwischen auch überzeugt davon, dass sich das im Grunde jeder Wolf abtrainieren kann, mit steter, mild verlaufender Konfrontation. Dieses… innere Vibrieren ist zwar noch da, wenn mir einer deiner Verwandten mächtig auf die Nerven geht, aber bei dir spüre ich gar nichts davon - als wäre es nie da gewesen.“ Ich zuckte leicht mit den Schultern. Mein Instinkt schien das klar filtern zu können. Was sehr ironisch war in Anbetracht der Tatsache, dass Riccarda mich von allen Engeln im Schloss ihrer Familie wahrscheinlich am leichtesten töten könnte. Ich nahm die zweite Hand zurück ans Lenkrad, steuerte den Wagen achtsam von der Straße auf den als breiter Seitenstreifen getarnten Parkplatz und hielt an. Daraufhin warf ich noch einen kurzen Seitenblick an Riccarda vorbei aus dem Beifahrerfenster, um sicherzugehen, dass auch genug Platz zur Planke war, dass sie einigermaßen bequem aussteigen konnte. So praktisch ein Fahrzeug wie dieses auf solchen Strecken auch sein mochte, war der beanspruchte Platz in Parksituationen dafür umso unpraktischer. Die hübsche junge Frau glänzte glücklicherweise ohnehin mit schlanker Figur.
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