Er sagte ihr nicht, dass sie damit aufhören sollte. Nein, er wollte einfach das Messer haben. Weil er ihr nicht glaubte, dass sie es sonst wirklich nicht mehr tun würde - weil er ihr nicht vertraute. Sie konnte ihm das nicht vorwerfen, aber schön war dieser Gedanke, der sich da hartnäckig in ihrem Gehirn festkrallte, trotzdem nicht. Faye sagte nichts dazu, schob sich langsam vom Bett, nachdem er sie mehr oder minder zweimal dazu aufgefordert hatte, das Messer auszuhändigen. Weil sie es nicht mehr brauchte, sagte er. Und er musste es ja wissen... Sie kniete sich auf den Boden, um in der schon fertig gepackten Tasche zu wühlen und die kleine, böse Waffe dort rauszuholen. Natürlich würde sie dann, wenn das Bedürfnis, es wieder zu tun, plötzlich zu gross wurde, doch wieder eine Klinge finden. Irgendwo fand man immer irgendwas. Aber sie hatte ja wirklich nicht vor, damit fortzufahren. Darum legte sie ihm das Messer jetzt auch nur mit einem kurzen Zögern in die offene Hand, mied dabei aber weiterhin seinen Blick und wandte sich erneut ab, um mit langsamen Handbewegungen die Tasche wieder zu schliessen, dabei wenn möglich den schmerzenden Haufen, der ihren linken Arm darstellte, nicht zu benutzen. Faye setzte sich unsicher zurück aufs Bett, neben ihn, aber doch mit dem gleichen Sicherheitsabstand wie zuvor. Noch immer versuchte sie, eine rettende Erklärung zu finden. Aber noch immer hatte sie keine Ahnung, was sie ihm sagen sollte. Denn natürlich war ihm klar, welche Gedanken sie mehr oder weniger dazu gebracht hatten, sowas zu tun. Es waren Warrens Blicke gewesen, seine ständige Anwesenheit, der hartnäckige Dreck, den er auf ihrem Körper hinterlassen hatte und ihr Wissen, sich wieder zu der Schlampe gemacht zu haben, die sie nicht sein wollte. Es war ihr Selbsthass gewesen, die tausend Möglichkeiten, die ihr plötzlich vorgeschwebt waren, wie sie das, was geschehen war, hätte umgehen sollen. Weil sie es niemals hätte zulassen dürfen, weil sie damit alles kaputt gemacht hatte, was ihr heilig gewesen war. Und es war Victor gewesen, der sie nicht einmal mehr angeschaut hatte, dessen Körperhaltung allein die Verletzung und Enttäuschung, die er ihr gegenüber verspürte, so deutlich aussprach, dass er diese Gefühle niemals hätte in Worte fassen müssen. Er hatte sie in der Scheisse sitzen lassen, weil er selber nicht damit klar gekommen war - das war nicht falsch gewesen und man konnte ihm dieses Verhalten schlecht vorwerfen, tat sie auch keineswegs. Nur war sie selber auch nicht damit klar gekommen - ohne ihn noch viel weniger als mit. Weshalb sie halt wieder falsche Wege gegangen war, die falsche Erlösung gesucht hatte, mit dem festen Glauben, damit wenigstens nur sich selbst zu bestrafen. Dank der Jacke, die die letzten Wochen über ihr Dauerbegleiter gewesen war, hatte sie es auch sehr gut für sich behalten. Aryana hatte die Schnitte nie gesehen. Aber Aryanas Besuche waren auch immer erwartet gewesen und Faye war nie wegen einer doofen Verletzung vorgängig eingepennt. Naja. Die Erklärung blieb weg. Denn sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Es tat ihr leid, ihn schon wieder zu enttäuschen, auch wenn er ihr keine Vorwürfe machte. Aber das hatte sie schon gesagt. Also schwieg sie, wippte unwohl mit dem Oberkörper vor und zurück, während sie auf den Boden starrte.
Ja, das hoffte sie durchaus auch. Sie wäre schwer enttäuscht, wenn das gleich wieder ein Arschloch wäre, auch wenn die alten Hasen in der Armee das leider sehr oft so an sich hatten. "Hoff ich auch... Aber ich bin erstmal zuversichtlich. Man sagt zwar, schlimmer gehe immer - aber in diesem Fall bin ich mir ziemlich sicher, dass es schlicht besser werden muss", nickte sie bestimmt vor sich hin. Würde schon schiefgehen. Sie hoffte ja insgeheim einfach, dass Ragan nicht so ein Frauenhasser war wie sein Vorgänger und dass er ihr wenigstens ansatzweise zuhörte, wenn sie Vorschläge brachte. Nicht nur lächelnd den Kopf schüttelte, weil sie ja eh keine Ahnung habe. Sie prostete ihm mit der Coladose fröhlich zu - auch wenn das etwas lächerliche Getränk die ganze Situation noch gleich ein Bisschen amüsanter machte. Da die meisten Leute hier aber seit Monaten keine Cola mehr gesehen hatten - schon gar nicht gekühlt in der Dose - machte das den Moment doch etwas feierlicher. Immerhin. „Ich hätte ja auch nicht unbedingt damit gerechnet, dass von allen Soldaten hier ausgerechnet wir beide derart harmonieren könnten, um eine solche Nummer durchzuführen..“, grinste sie sarkastisch vor sich hin, betonte die Harmonie dabei ganz besonders - weil sie beide nichtmal im Traum dazu geschaffen waren, zu harmonieren. Aber funktionert hatte es trotzdem und das war alles was zählte. Sie führte die Dose an ihre Lippen und schluckte die Flüssigkeit schnell runter, als er meinte, ihr schon wieder ein Lachen entlocken zu müssen. „Sorry - die koffeinfreien waren gerade ausverkauft“, meinte sie, zuckte dann aber fröhlich mit den Schultern. „Naja, immerhin kann ich jetzt behaupten, dir zumindest ein Mal den Schlaf geraubt zu haben... Lebensziel erfüllt“, fügte sie angetan hinzu, als wäre das etwas, was sie schon immer mal hatte erreichen wollen. Als hätte sie überhaupt schon jemals darüber nachgedacht, ihn vom Schlafen abzuhalten. Wenn, dann nur um möglichst schnell einen lückenlosen, perfekten Mord zu planen... Aber da war es ihr auch weniger um ihn als um seine Ideen und sein Köpfchen gegangen. Heute ausnahmsweise nicht.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Während die junge Frau also vorsichtig vom Bett krabbelte, um mir zu geben, was ich von ihr einforderte, blieb ich doch wachsam. Nur für den Fall, dass ihr Kreislauf noch einmal einen Strich durch ihre Rechnung machen und sie einknicken lassen wollte. Passierte zum Glück aber nicht, weshalb ich schon wenig später das Messer, das für den Mist verantwortlich war, in der Hand hielt. Ich klappte es auf und besah es mir nur einen kurzen Moment, aber natürlich war die Klinge sauber. Wieso sollte Faye auch das Blut daran antrocknen lassen... mit doch ein wenig ruhigerem Gewissen als vorher schob ich das Klappmesser geschlossen in eine der seitlichen Taschen an meinem Oberschenkel, machte anschließend den Knopf wieder zu, damit es nicht rausfallen konnte. Vermutlich würde ich es Aryana morgen aushändigen, ohne viel dazu zu sagen. Ich würde mich nicht in die Beziehung zwischen den Geschwistern einmischen und wusste nicht, ob Fayes Schwester eine Ahnung davon hatte, was die junge Frau hier ihrem vorher so makellosen Arm angetan hatte. Der Krieg hinterließ bei Jedem Narben, aber sie hatte sich diese hier unter all dem Druck, der Angst und der Verzweiflung selbst zugefügt. Es war wohl auch viel mehr nur Warren und weniger der Krieg selbst gewesen, wobei ersterer ganz einfach auch irgendwie dazu zählte. Immerhin war er der Auslöser und dazu Lieutenant, missbrauchte seine Machte schamlos. Wie gut, dass das niemals mehr ein Thema sein würde. Weder für ihn, noch für Faye selbst, der mit seinem Tod vermutlich eine schier endlos große Last von den sowieso so schmalen Schultern genommen worden war. Danach setzte ein nahezu unerträgliches Schweigen ein, das ich nicht sofort zu brechen wusste. Daran gedacht, dass es Fayes Unbehagen nur noch weiter steigern würde, hatte ich natürlich nicht, aber die Panik über weitere Selbstverletzungen ihrerseits war auch einfach vorherrschend gewesen. Es kostete mich selbst doch noch etwas mehr Überwindung als meine blanke Anwesenheit hier, mir kurz darauf die Schuhe von den Füßen zu schieben und es mir - weiterhin eher zögerlich und weit weniger gewohnt als sonst - tatsächlich der Länge nach so bequem, wie in meinem psychischen Zustand möglich war, zu machen. "Na komm schon her..", forderte ich sie mit eher leisen, aber doch fast sicher wirkenden Worten dazu auf, näher herzukommen, nicht mehr so verloren weiter auf der Bettkante herumzusitzen. Ich lächelte ein klein wenig, wollte ihr einfach fast schon verzweifelt irgendwie vermitteln, dass ich es nicht böse gemeint hatte oder sie dafür verurteilen würde, auch wenn ich es alles Andere als gut fand. Die Qualen der letzten Wochen waren mehr als genug Strafe für die zierliche Brünette gewesen, da brauchte ich nicht auch noch mit Belehrungen über sie herzufallen.
Ja, genau. Viel schlimmer als Warren konnte er nicht sein, demnach machte ich mir darüber jetzt auch gar keine weiteren Gedanken. Ich würde ja morgen sehen, ob der Kerl halbwegs fähig war, oder auch nicht und bis dahin wäre Alles Spekulation. Ich nickte der Brünetten diesbezüglich nur noch einmal kurz zu, ließ die Sache dann ruhen. Auch Aryanas nächste Worte hätten schlicht nicht mehr Wahrheit in sich tragen können. Wir beide waren schon auf den ersten Blick nur unwahrscheinlich ein gutes Team und umso überraschender war es, dass wir mit dem selben Ziel vor Augen sogar sehr effektiv zusammen arbeiten konnten. Trotz der unzähligen vorherigen Diskussionen, die fast immer unschön ausgegangen waren und von denen keiner was gehabt hatte, außer mehr schlechte Laune. Offensichtlich waren wir aber sogar nicht nur ein gutes, sondern ein perfektes Team. Die junge Frau hatte mehr Rechte als ich auf diesem Gelände, hatte Dinge in die Wege leiten können, die mir allein gar nicht möglich gewesen wären und ich hatte ganz einfach meinen Kopf und meine Kraft mit eingebracht. Noch dazu würde wohl weit und breit keiner auf die Idee kommen, dass ausgerechnet wir beide unter einer Decke steckten, hatten wir bisher doch eher keinen Hehl daraus gemacht, dass wir eher weniger auf einer Wellenlänge waren. "Ne, ich auch nicht... aber vielleicht sollten wir öfter in die gleiche Richtung steuern, so verkehrt ist es ja offenbar nicht.", stelle ich weiter vor mich hin grinsend fest. Ich meinte damit jetzt nicht noch weitere Morde zu begehen, sondern sprach das mehr ganz allgemein aus. Aber früher oder später würden wir uns sicher sowieso wieder in die Haare kriegen, wenn die erste Euphorie verflogen war... egal. "Bah, geh' mir weg mit dem koffeinfreien Zeug... taugt nur zum Wegschütten der Mist.", sagte ich meinem Geschmack treu bleibend auf die nächsten Worte der Brünetten. Nein, wenn man mich fragte, dann war das fast das Gleiche, wie mit zuckerfreien Dingen anzukommen - einfach überflüssig und dämlich. Außer bei stark Übergewichtigen vielleicht, aber das war hier wohl bei Niemandem der Fall, würde einen das als Soldat nur noch schneller in den Tod oder wieder aus der Army selbst befördern. Dann musste ich doch einmal kurz auflachen, war das doch eine so vollkommen abwegige Geschichte, dass ich nicht anders konnte, als mit einem Lachen darauf einzustimmen. Ja, klar, als wäre das, wovon sie nachts träumte. "Ich muss dich enttäuschen... die Cola macht hier eigentlich den Job, nicht du.", meinte ich fröhlich vor mich hingrinsend, bevor ich den nächsten Schluck machte. Natürlich hätte ich die Cola nicht in der Hand, wäre Aryana nicht so gütig gewesen, mir eine mitzubringen - aber es war trotzdem das Koffein, das mich wachhalten würde, und nicht sie selbst. "..da musst du dir schon was Anderes einfallen lassen, fürchte ich.", provozierte ich sie spaßeshalber ein klein wenig und sah mit leicht erhobenem Kinn zu ihr hin, wobei das natürlich bei Weitem nicht so ernst oder böse gemeint war, wie es sonst schon öfter der Fall gewesen war, wenn wir uns unterhalten hatten. Es war mehr nur eine kleine Neckerei unter... Fast-Sowas-Wie-Freunden, oder so.
Es war so frustrierend, wie sie es jedesmal irgendwie schaffte, alles kaputt zu machen. Egal was sie zusammen schufen, Faye spielte dabei wie ein dreijähriges Kind mit Legosteinen. Brachte jedes Haus, das sie bauten, jeden Turm ständig wieder zum Einstürzen mit ihren unvorsichtigen, plumpen Fingern. Als würde sie es nicht besser wissen oder nicht besser können. Dabei musste sie es besser können. Es zumindest mal besser gekonnt haben, denn anders war die Beziehung zu ihrem Ex nicht zu erklären. Er hätte es kaum vier Jahre mit ihr ausgehalten, wenn sie sich so verhalten hätte, wie sie es jetzt bei Victor zu tun pflegte. Dieser holte sie einige erdrückend stille Momente später wieder zurück in die Gegenwart, legte sich auf ihr Bett und forderte sie kurzum dazu auf, doch das Gleiche zu tun. Mit einem Lächeln, das ihr Herz noch schmerzhafter gegen die Wände seines Käfigs hüpfen liess. Er lächelte, als möchte er, dass sie es ebenfalls tat. Er lächelte, als wäre er ihr nicht böse. Er lächelte, als möchte er genau wie sie nicht mehr darüber reden. Faye schlüpfte aus ihren Schuhen, legte sich vorsichtig zu ihm. Noch immer zögerlich, denn auch wenn er sie dazu aufgefordert hatte, war sie sich nicht sicher, ob er ihre Nähe wirklich wollte. Und doch war das Verlangen nach Liebe und seiner Wärme letztendlich so viel grösser als die Angst, ihm damit zu nahe zu treten, plötzlich abgewiesen zu werden. Sie kuschelte sich an den grossen Mann, schloss die Augen und versuchte tief durchzuatmen, liess seinen Duft ihren Körper durchströmen, bis sie an nichts anderes mehr denken konnte, als an ihn. Und das war alles, was sie gerade wollte. Obwohl ihr eine weitere Entschuldigung auf der Zunge lag, sprach sie sie für einmal nicht aus, schwieg stattdessen und saugte seine Gegenwart in sich auf, um ein Gefühl zu schaffen, mit dem sie sich die nächsten Acht Wochen trösten konnte. Wenn sie alleine war und er so weit weg. Wenn sie Angst hatte. Wenn sie traurig war. Wenn ihr langweilig war. Und wenn sie ihn so sehr vermisste. "Erzählst du mir was Schönes...? Eine Erinnerung... ein Gedanke... oder eine Geschichte... Irgendwas...", bat sie ihn ganz leise, während sie seinem Herzschlag lauschte. Sie wollte seine Stimme hören. Und sie wollte, dass sie beide an irgendwas anderes dachten, als an ihre ständigen, dummen Fehler. Irgendwas, das glücklich machte, damit wiederum seine Erinnerungen an sie für die nächsten Wochen nicht aus einem traurigen Klumpen Schmerz bestanden.
Sie hatte grundsätzlich nichts dagegen, den gleichen Weg zu gehen wie er. Aber halt nur solange dieser Weg auch ihren Vorstellungen und Wünschen entsprach. Und da würde es wohl irgendwann wieder Komplikationen geben, da sie beide doch in vielen Dingen nicht gleich dachten. "Natürlich. Ich bin jederzeit für dich da - lass es mich ruhig wissen, wenn du die nächste Mission ins Auge fasst", nickte sie grinsend. Sie würde sich sicher auch ein zweites Mal auf einen Deal mit ihm einlassen, solange sie mit dessen Ziel einverstanden war. Musste ja nicht unbedingt wieder ein Mord sein - denn grundsätzlich tötete sie ja nicht zum Spass irgendwelche Menschen. Heute war eine Ausnahme gewesen, aber heute war es auch nicht irgendeiner gewesen. Sie stand vollkommen entspannt gegen die Brüstung gelehnt und ihm zugewandt da, während sie seine Abneigung gegenüber koffeinfreiem Cola vernahm und daraufhin nur vergnügt die Schultern zuckte. War jetzt nicht so, als würde sie sowas kaufen, aber wenn es nichts anderes gab, würde sie sogar das trinken. Nahm sie nicht ganz so dramatisch, aber egal. Als er dann aber statt sie die Cola dafür verantwortlich machte, dass er nicht schlafen konnte, wäre ihr das Grinsen bei all der Entrüstung fast aus dem Gesicht gefallen. Fast. "Ach was, bloss weil du nicht dazu stehen kannst, die Cola nur als Vorwand zu brauchen, um länger mit mir auf diesem Turm stehen zu können", erwiderte sie sofort schlagfertig in weiterhin triefender Ironie. Auch wenn sie wusste, dass seine nächsten Worte wie immer kaum ernst gemeint waren, kam sie nicht umhin, kurz mit einem Kopfschütteln aber noch immer grinsend den Boden zu begutachten. "Du würdest noch staunen, was ich mir alles einfallen lassen könnte...", murmelte sie leise in Richtung Boden. Nicht, dass sie es ihm jemals zeigen würde. Zumindest nicht die Art von Dingen, die er unweigerlich auch diesmal angedeutet hatte. Aber er sollte bloss nicht an ihr zweifeln, nur weil sie seiner Meinung nach seit 5 Jahren oder so vollkommen abstinent lebte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Es fühlte sich doch noch etwas komisch an, als Faye sich wie sonst auch an mich schmiegte. Natürlich erreichte mich sofort wieder das Gefühl der so reichen Wärme, die sie mir gegenüber immer zum Ausdruck brachte. Es fühlte sich so gut an wie sonst auch, wäre aber noch viel besser, wenn mein Kopf mir dabei nicht permanent auf die Nerven gehen würde. Keine Ahnung, wie lange das noch anhalten würde, aber ich betete wirklich darum, dass es vorbei war, wenn sie nach dem langen Krankenhausaufenthalt wieder zu mir zurück kam. Ob ich die Möglichkeit dazu haben würde, sie mal zu besuchen? Wenigstens einmal, so auf Höhe der Halbzeit? Aryana würde sicher auch gerne zwischendurch mal nach ihrer kleinen Schwester sehen und vielleicht könnte ich mich mit einer lieben Bitte unauffällig einklinken. Meine Gefühle zu Faye verstecken konnte ich sowieso nicht mehr, auch, wenn ich sie in der direkten Öffentlichkeit des Camps natürlich weiter nicht offensichtlich zeigen würde. Aber die Leute hier waren nicht blöd, merkten auch ohne Küsse und dergleichen, dass wir aneinander hingen. Nach den ganzen peinlichen Blicken der letzten beiden Wochen sicher noch mehr als zuvor. Der Zug mit der ganz heimlichen Liebesgeschichte war für uns schon abgefahren. Ich hatte einen Arm um ihren schmalen Körper gelegt, zog sie damit noch ein klein wenig mehr zu mir ran. Versuchte damit unterbewusst vermutlich, ihre Nähe wie sonst auch die bösen Geister vertreiben zu lassen, obwohl das so einfach hier gerade nicht mehr war. Auf ihre Worte hin musste ich ein wenig überlegen, antwortete zu Anfang nur mit einem nachdenklichen "Hmm..", hing dann kurz meinen Gedanken nach, bevor ich gut eine halbe schweigsame Minute später wieder zum Reden ansetzte. "Meine Eltern haben mir einen Brief geschrieben... der kam vor drei Tagen an, ist aber sicher schon zwei oder drei Wochen her, dass sie ihn abgeschickt haben.", redete ich dann murmelnd drauf los, fasste einfach in Worte, was mir als erstes in den Sinn kam und hielt den Blick dabei recht leer auf die Decke gerichtet. Es war normal, das sämtliche Briefe überprüft wurden, bevor sie letztendlich an die eigentlichen Empfänger ausgehändigt wurden. "War schön, von ihnen zu hören... auch, wenn sie sich natürlich Sorgen machen.", fügte ich weitere Worte an. Meine Schwester hatte auch ein paar wenige Worte am Ende hinzugefügt, was ich allein schon an der schnörkeligen Handschrift aus zehn Kilometern Entfernung von der eher krakeligen Schrift meiner Mutter unterscheiden konnte. Unwillkürlich kam mir in mir die Frage auf, wie meine Eltern wohl darauf reagieren würden, wenn sie wüssten, dass meine Augen hier überwiegend nur für eine einzige Frau bestimmt waren und weniger auf dem Kriegsgeschehen selbst lagen. Vermutlich würden sie es im ersten Moment nicht gut heißen, weil das an sich ganz einfach eine sehr schlechte Idee war, wie ich auch schon mehrfach zu spüren bekommen hatte. Aber wenn sie sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hatten, dass ich wenn, dann vermutlich nicht ganz allein aus dem Krieg heimkehren würde... "Ich glaube, sie würden dich mögen.", sprach ich noch einen letzten Gedanken aus, der mir einfach so zuflog, bevor ich das erste Mal seit Beginn meines Geredes wieder zu der jungen Frau sah, ihren Blick mit dem meinen suchte. Ja, sie hatte Mist gebaut, das stand außer Frage. Aber ich läge nicht wieder mit ihr hier, wenn ich nicht immernoch der Meinung wäre, dass sich hinter ihren Taten weiterhin ein guter Mensch befand.
Gut, würde ich machen. Zumindest sofern ich dabei der Annahme war, dass Aryana die Richtung, die ich mit welcher Aktion auch immer dann einschlagen wollte, auch unterstützen wurde. Sonst natürlich nicht, hätte ja dementsprechend keinen Sinn. Vorschläge machen, die von Niemandem geschätzt wurden, war bekanntlich nämlich ziemlich sinnlos und zog höchstens merkwürdige Blicke oder höhnische Gesichtsausdrücke nach sich. Konnte ich uns beiden ersparen. Aber sollte es doch irgendwann nochmal was geben, von dem wir beide mit einer erfolgreichen Zusammenarbeit profitieren konnten, dann würde ich auf sie zukommen, keine Frage. "Mach ich.", ließ ich sie an meinen Gedanken diesbezüglich teilhaben, bevor sie auch schon selbstbewusst zu kontern wusste, was mich nur noch breiter grinsen ließ. Es war eigentlich ganz angenehm, dass sie nicht der Typ Frau war, der sowas einfach hinnahm und sich in die nächstbeste Ecke trollte, um schmollen zu gehen, weil sie gleich beleidigt war - obwohl es der gleiche Charakterzug war wie der, der uns normalerweise fiese Diskussionen und Sprüche über die Lippen kommen ließ. Es war wohl einfach was ganz Anderes, ob wir guter oder schlechter Laune waren, was eben jene Eigenschaft die Brünette und auch mich sagen ließ. Denn wir hatten das beide. Dieses vorlaute einfach-sagen-was-man-dachte, meist ohne Rücksicht auf Verluste oder dergleichen. Aber wenn ich guter Laune war, meinte ich sowas nicht böse, fand es ganz einfach witzig und unterhaltsam. Aryana war sicher auch nicht der Typ dafür, der mir das lange nachtragen würde. Wenn doch, würde ich das aber auch überleben, wäre sie schließlich nicht die Erste oder Einzige. "Ja, vielleicht sehne ich mich auch einfach nach einer kleinen Romanze, so wie Victor. Kannst du das nicht verstehen? Ich brauche Liiiiiebe.", erwiderte ich völlig übertrieben, zog dabei ein gespielt betroffenes, beleidigtes Gesicht, das wohl sehr deutlich machte, dass ich deswegen eher nicht hier oben bei ihr war. Wusste sie aber auch, brauchte ich der jungen Frau wohl kaum zu erläutern, wie die Dinge zwischen uns standen und dass ich wohl Vieles, aber eher wenig bis viel mehr gar nicht auf der Jagd nach ihr war. Wäre das so, würde Aryana das sehr eindeutig merken, weil ich in jenem Fall bisher selten ein Blatt vor den Mund genommen hatte und es sicher auch zukünftig nicht tun würde. "Aber hey, ich bleibe gespannt.", meinte ich nur noch mit einem Schulterzucken auf ihre letzten Worte hin, bevor ich erneut die Dose zu meinen Lippen führte. Die Cola schmeckte schon wirklich gut... war ein richtiges Privileg in dem sonst nur von Wasser und ein, zwei isotonischen Drinks geplagten Camp.
Er machte keine Anstalten, wieder von ihr abzurücken, sondern zog sie noch näher heran. Und Victor konnte sich unmöglich vorstellen, was er damit tat. Sie wusste, dass noch lange nicht alles wieder gut war. Aber wenigstens liess er sie wieder an sich heran. Wenigstens legte er einen Arm um sie und wenigstens liess er sich nicht anmerken, dass er sich vor ihr ekelte. Und das war mehr, als sie sich hätte erhoffen können nach den letzten Wochen, wo sie sehnlichst darum gebeten hatte, dass er wieder zu ihr kam oder sie wenigstens wieder anschaute, ohne diesen Ausdruck der puren Verletzung in seinen Augen. Und darum beruhigten sie seine Arme nun auch so und sie brauchte gar nicht viel mehr als das. Das - und seine Stimme, die bald darauf mit der Geschichte einsetzte, die sie sich gewünscht hatte. Faye hatte die Augen wieder aufgeschlagen, lauschte seinen Worten, wobei sich sofort ein verträumtes Lächeln auf ihren Lippen bildete, als er von dem Brief erzählte. Post! Aus der Heimat! Und dann noch von den Eltern... Das musste wunderschön sein. Es war grundsätzlich jedes Mal wunderschön, wenn man ein Zeichen dafür bekam, dass zu Hause noch wer an sie dachte. Aber wenn das dann auch noch Familie war, war da nochmal ein Bisschen wertvoller. "Das ist wirklich schön... Wie geht es ihnen?", fragte sie leise, wobei ihre Stimme schon ein ganzes Stück versonnener und weniger bedrückt klang wie zuvor. Mit dem, was er dann noch fast beiläufig anfügte, entlockte er ihr sofort ein etwas unsicheres Lächeln und Faye blickte ihn ziemlich ungläubig aber verzückt an. "Meinst... du wirklich..?", fragte sie leise, auch wenn sie schwer hoffte, dass er diese Worte - die sich auf ihrer zerkratzten Seele wie heilender Balsam anfühlten - nicht nur ausgesprochen hatte, weil er nett sein wollte. Sie hoffte, dass seine Eltern sie wirklich mögen würden. Aus welchem Grund auch immer. Es war ganz einfach wünschenswert. Die Hand ihres verletzten Armes hatte sich auf seine Wange gelegt und ihr Daumen strich sanft über seine Haut. "Ich bin mir sicher... meine... meine Eltern... hätten dich auch gemocht...", fügte sie noch leiser hinzu. Das Lächeln war wieder aus ihrem Gesicht verschwunden, aber alles an ihrer Mimik und an ihrer Stimme verriet, dass sie das ernst meinte. "Sie haben alle gemocht, die gut für uns waren...", und wer wäre gut für sie, wenn nicht er..? Der sie trotz allem noch in die Arme nahm und ihr Trost spendete? Der trotz allem an ihrer Seite lag und versuchte, sie aufzuheitern? Der die Messer in seinem Rücken rausgezogen hatte und alles daran setzte, die Wunden wieder heilen zu lassen...
Er... was? Aryana schüttelte den Kopf und schon das zweite Mal ertönte ihr helles Lachen, als er ihr kund tat, dass er eine kleine Romanze suchte. Ja genau... und vor allem mit ihr. "Liiiebeee?? Du brauchst Liiiiiebe...? Naahw, warum musst du genau das sagen, wenn Liebe das Einzige ist, womit ich nicht dienen kann...?! Mein Herz ist kalt wie das Eis auf der Spitze des Mount Everest, Mitch, wünsch' dir besser was anderes als Liebe von mir", zerschmetterte sie dann wohl oder übel die Träume, die er für ihre gemeinsame Zukunft gehabt hatte. "Such dir... äh... ein Modellauto aus. Oder eine neue Jacke. Oder... ich koch dir dein Lieblingsessen! Nein, warte, ich schenke dir einen Gutschein dafür, dass ich dir einmal die Schuhe putze", ob er sich noch entscheiden konnte, bei so vielen tollen Wunschideen ihrerseits? Wobei sie mittlerweile gar nicht mehr wusste, warum er sich überhaupt was wünschen sollte von ihr. Aber das war auch nebensächlich, eigentlich genau wie dieses ganze Gespräch. Nur tat es manchmal in dem Alltag, dem sie hier gegenüberstanden, doch sehr gut, eine nebensächliche Konversation zu führen. Etwas ganz Lockeres, das einen für ein paar Minuten vergessen liess, wie tief in der Scheisse sie hier alle zusammen sassen. Ihre Schwester war darin meistens besser als Aryana. Faye war ganz einfach unbekümmerter, sorgloser, vielleicht naiver. Meistens zumindest. Aber manchmal hatte auch sie, trotz ihrem Posten als Sergeant und trotz allem, was sie durchgemacht und gesehen hatte, keine Lust mehr darauf, ernst zu bleiben. Manchmal wollte auch sie lachen, sich ein Bisschen frei fühlen, normal sein. Auch Aryana nahm einen weiteren Schluck von ihrer Cola, grinste in den Rand der Aludose hinein. Das Leben war verrückt... Wirklich verrückt. An einem Tag tötete sie kurzum den Lieutenant des eigenen Camps, erfuhr, dass ihre Schwester für acht Wochen ins Krankenhaus geschickt wurde, organisierte einen neuen Lieutenant und noch am gleichen Abend sass sie lachend mit einem Soldaten wie Mitch auf einem unbenutzten Wachturm und trank Cola. Wild... Das war alles, was ihr dazu einfiel. Dieses Leben war wild...
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Wie es ihnen ging? Konnte ich von hier aus nur schlecht beurteilen. Vermutlich zerbrachen sie sich jeden Tag den Kopf darüber, ob ich noch immer am Leben war, so wie ich sie einschätzte. Zumindest meine Mutter, die als inzwischen reine Hausfrau einfach viel zu viel Zeit dafür hatte, über Gott und die Welt nachzudenken. Mein Vater war eher der Karriere-Typ, meistens ziemlich viel mit seinem Manager-Job beschäftigt und hatte demnach allgemein weniger Zeit für Gedanken in dieser Richtung. Ich hatte das Zu-Viel-Nachdenken zweifelsohne von meiner Mutter, die gerne Alles und Jeden in Frage stellte, bis sie das Gegenteil bewiesen bekam. Dabei meinte sie das nicht mal böse, sie war nur einfach ein sehr vorsichtiger, fast ein bisschen ängstlicher Mensch... umso näher lag es natürlich, dass sie ihren einzigen Sohn ungern in ein Kriegsgebiet entwischen ließ, war sie noch dazu Jemand, der die Familie immer zusammenzuhalten versuchte. Mein Vater ließ es sich nur ungern anmerken und versuchte es zu verstecken, aber ich wusste zu gut, dass er auch alles Andere als glücklich damit war, dass ich nach meinem Trauma erneut in die Hände der Army gefallen war. Von meiner Schwester mal ganz zu schweigen, die mich deswegen für vollkommen wahnsinnig hielt und mir beim erneuten Einzug in die Armee noch einmal um den Hals gefallen war, mich nicht mehr hatte loslassen wollen, weil ich dann ja einfach nicht gehen konnte. Aber ich erwartete auch gar nicht, das nur eine einzige der genannten Personen mich in dieser Hinsicht verstehen konnte. Niemand konnte das. "Soweit ich das von hier aus beurteilen kann ganz gut... Zuhause ist wohl Alles wie immer. Die einzige Neuigkeit, die sie für mich hatten, war ihr vor kurzem getätigter Autokauf... war auch dringend überflüssig, die alte Karre meiner Mutter fiel schon langsam auseinander, aber sie hängt immer so an ihren Sachen...", gab ich ihr noch immer eher etwas leiser gemurmelt zur Antwort, strich ihr unterbewusst ein wenig über die Seite, hatte meine Hand zumindest unterhalb der Jacke auf ihrem Shirt platziert. Hautkontakt an gewissen Stellen war dann doch noch ein bisschen zu viel für mich, um ehrlich zu sein. Gesicht, Hände und Arme, sowas war okay, aber es gab da noch deutlich spürbare Grenzen, die ich nicht überschreiten wollte. Es war fast süß, wie ungläubig ihre blaugrünen Augen dann zu mir aufsahen. Als wäre es vollkommen abwegig, dass meine Eltern sie in Ordnung finden konnten. Natürlich sollten wir ihnen - sollte es jemals dazu kommen - die Warren-Geschichte lieber nicht auftischen, aber ansonsten fiel mir tatsächlich Nichts ein, das sie an Faye nicht mögen würden. Sie war liebevoll, ein bisschen zu naiv und noch dazu einfach süß. Und hübsch. Das Aussehen spielte eben doch auch immer eine kleine Rolle. "Du bist einfach liebenswert..", redete ich weiter vor mich hin. Wäre das anders, wäre ich nicht mehr hier. "...gut, meine Mom ist am Anfang gerne skeptisch, aber wenn du sie mal für dich gewonnen hast, ist sie der liebste Mensch auf dem ganzen Planeten.", fügte ich noch ein paar weitere Worte an, fing unbewusst wieder an zu lächeln. Auch, wenn ich nicht allzu viel Zeit dafür hatte, Gedanken an meine Eltern zu verschwenden, so vermisste ich meine Familie doch spürbar, jetzt wo ich so darüber nachdachte. Es war wirklich schade, dass ich Fayes Eltern nie kennenlernen konnte. Wäre doch schön zu wissen, was es für Menschen waren, die mir das kleine problematische Anhängsel hier beschert und erzogen hatten. "Magst du mir von deinen Eltern erzählen? ... klingt, als wären sie gute Menschen gewesen.", sagte ich leise, wobei mein eher zurückhaltender Tonfall denke ich recht deutlich machte, dass Faye das nicht musste, wenn es ihr weh tat und es zu viel für sie war, wo sie doch momentan ohnehin emotional so aufgewühlt war. Ich fiel vollkommen unbewusst in ein altes Muster zurück, als ich ihr einen sanften Kuss auf die Stirn drückte, ließ mich wie sonst auch so oft einfach von ihrer verführerischen Nähe anziehen und beeinflussen.
Das glaubte ich ihr sogar aufs Wort. Aryana wirkte wirklich nicht wie Jemand, der gefühlsduselig in der Gegend herum sprang und jeder beliebigen Person sofort von ihrem neuen Schwarm erzählen würde, wenn es einen gab. Würde zumindest auch einfach so gar nicht zum Rest ihrer eher kühlen und distanzierten Art passen, sehr aus dem Muster fallen, was allein schon Grund genug dafür war, das für hochgradig unwahrscheinlich zu halten. Mount Everest war eine gute Beschreibung dafür, wobei sie damit sicher etwas übertrieb. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hatte der Krieg sie so abstumpfen lassen, dass man wirklich Welten versetzen musste, um ihr Herz irgendwie zu erwärmen und für einen selbst schlagen zu lassen. Wie gut, dass das für mich vollkommen irrelevant war. "Ein Modellauto? Echt jetzt? Was soll ich damit? Es über deinen Schreibtisch rollen und dich von der Arbeit abhalten, um deine Aufmerksamkeit zu kriegen?", erwiderte ich halb lachend, wobei ich unbewusst die Cola leicht schwanken ließ. Fand die nicht witzig, fing ein klein wenig an zu sprudeln. Gerade nur so viel, dass die brodelnde Flüssigkeit nicht über die Stränge der Dose hinausschlug. War doch gut, wenn von dem kostbaren Tropfen hier Nichts verschwendet wurde. "Aber ich nehm' gern das Essen und den Gutschein, die sind irgendwie chronisch dreckig..", sagte ich mit einem Blick auf die wie eigentlich immer staubigen Stiefel an meinen Füßen. Brachte der ganze Sand hier leider so mit sich. "Ich muss dich nur vorwarnen... Sushi ist nicht so einfach hinzukriegen. Ich hoffe, du bist mit den Fingern geschickt unterwegs.", jaaa ich hatte ein Faible für die japanische Küche, zumindest in mancher Hinsicht. Allgemein gefielen mir viele Gerichte im asiatischen Stil, wo doch viele Andere sicher eher mit Pizza oder Lasagne oder Irgendwas in dieser Richtung angekommen wären. Nein, ich mochte Sushi in allen denkbaren Variationen. Das gab es hier nicht, nie. War einfach ein viel zu großer Aufwand und jetzt, wo ich daran dachte, hätte mir fast der Magen geknurrt. "Und die Jacke auch... Lederjacken stehen meinen Schultern einfach gut.", fügte ich noch einen dritten Wunsch an, wobei das breite Grinsen weiterhin Einzug hielt, das Gespräch sich doch zunehmend unterhaltend gestaltete. Es war einfach angenehm, dass wir uns hier gegenseitig auf den Arm nehmen konnten, uns mal zur Ausnahme nicht ganz so ernst nahmen, wie wir es sonst zu tun pflegten.
"Das ist gut...", erwiderte sie zufrieden mit seiner Antwort. Hätte er mit was anderem geantwortet, als damit, dass es seiner Familie gut ging, wäre sie wohl ziemlich besorgt gewesen. Denn obwohl sie die Menschen nicht kannte, die hinter ihm standen, die ihn aufgezogen hatten, die ihn am Krieg hatten kaputt gehen sehen, wünschte sie sich nichts als das beste für sie. Es mussten zweifellos gute Leute sein, wenn sie einen solchen Sohn geschaffen hatten und ihm Briefe an diesen einsamen Ort schickten. Sie vergrub ihren Kopf wieder an seiner Brust, als er ihr nochmal versicherte, dass sie mit seinen Eltern keine Probleme haben sollte. Sofern sie den Anfang überstand jedenfalls haha. Aber das war alles noch so weit weg, dass noch nicht mal sie sich darüber schon Gedanken machen konnte. Sie regte sich etwas, hob zögerlich wieder den Kopf, als er sie auf ihre eigenen Eltern ansprach. Faye war sich nicht sicher, ob es sehr intelligent wäre, jetzt auch noch darüber zu reden. Natürlich, die Erinnerungen waren wunderschön und farbig, voller Freude und Liebe. Aber ebenso schmerzhaft war es jedes Mal, aus den Erinnerungen zurück in die Gegenwart zu hüpfen und festzustellen, dass drei Viertel ihrer liebsten Menschen nicht mehr da waren. Dass sie sie erst dann wiedersehen würde, wenn sie ebenfalls von dieser Erde ging. Und dass ihre Eltern im Himmel wohl immer wieder den Kopf schüttelten, wenn sie ihr dabei zuschauten, wie sie ihr Leben zu leben versuchte. Sich bemühte, irgendwas richtig zu machen und dabei andauernd so kläglich scheiterte. "Ja... das waren sie wirklich...", murmelte sie erst nach einigem Zögern verträumt vor sich hin, verlor sich schon beim ersten Gedanken an ihre Familie, wie sie mal gewesen war, in all den Erinnerungen und Bilder in ihrem Kopf. "Mein... Daddy... war Lokführer... Er war manchmal tagelang unterwegs... Aber jedes Mal, wenn er zurückkam, blieb er dann fast genauso lange bei uns. Und immer, wenn unsere Geburtstage kamen, hat er seinen Arbeitskollegen von seinen drei Engel zu Hause erzählt, bis sie ihm vollkommen freiwillig die gewollten Freitage zuschoben und mit ihm Schichten tauschten, dass er bei uns sein konnte... Dann hat er Ausflüge mit uns gemacht. Und das waren die tollsten Tage, die du dir vorstellen kannst...", erzählte sie lächelnd vor sich hin, strich mit ihrer Hand immer wieder über seine Brust. "Meine Mummy war Meeresbiologin... Sie war so intelligent, das kannst du dir nicht ausdenken. Egal, was man sie gefragt hat, sie wusste immer eine Antwort. Ich glaube, sie war ein Bisschen wie Aryana. Sehr zielstrebig, verbissen, gerecht und immer darauf bedacht, ihre Familie zu schützen. Sie hat zwei Tage die Woche gearbeitet, aber selbst an diesen Tagen war sie abends nur für uns da, sobald wir von der Schule nach Hause kamen. Sie kannte alle meine Geheimnisse und ich war mir sicher, dass sie sie mit keinem teilte. Nichtmal mit Dad. Meine beste Freundin...", Faye wurde wieder still, weil sie schon viele Worte gesagt hatte und weil die Erinnerungen, so hell sie auch waren, doch schwer auf ihr lasteten, sobald sie sie auspackte. Ausserdem wusste sie auch nicht, wie viel Victor wissen wollte... Immerhin würde er nie dazu kommen, sie zu treffen...
Die Vorstellung, wie er das Auto über ihren Schreibtisch schob, fand sie doch äusserst amüsant - was das fette Grinsen auf ihrem Gesicht deutlich nach aussen trug. "Reizende Idee, Mitch. Ich denke, das Auto muss definitiv her", entschied sie sofort, kaum hatte er fertig geredet. Das wäre wirklich mal eine gute Abwechslung zu dem langweiligen Papierkram, den sie da immer und immer wieder erledigen musste. Ein Auto, das tiefe Furchen in die Blätter zog, die es auf seinem Weg quer durch das Chaos an ihrem Arbeitsplatz überquerte. Die Frage war zwar, wo sie sowas herbekommen würde - aber da würde ihr schon was zu einfallen. "Hey - du kannst dir nicht zwei Sachen wünschen, so toll bist du auch wieder nicht!", bremste sie seinen Übermut aber kurzum, als er nebst dem Essen - Sushi, wtf??! - auch gleich noch das Stiefelschrubben bestellte. Sie konnte gar nicht gut kochen. Ob sie ihm das vorher hätte sagen sollen? Nene, tödlich war es ja nicht und die Vorstellung, wie er total misslungene Sushirollen zwischen die Zähne zu schieben versuchte, um dabei den klebrigen Reis so ziemlich überall ausser in seinen Mund zu streuen, war doch auch amüsant. Das Schuhe putzen... weniger. Aber auch das würde sie mit viel Spucke und einer ordentlichen Bürste hinkriegen. Wie Sissi auf der Alp. Und schon wieder entlockte er der Brünetten ein Lachen, als er mit seinen Schultern angab - und damit gleich den dritten Geschenkwunsch aufgab. "Sorry, aber so breite Jacken find ich hier nirgends", erwiderte sie mit einem traurigen Schulterzucken, spielte damit natürlich auf das Ausmass seiner Muskeln an, die ja so umwerfend waren. "Und ausserdem - bevor du dir hier die halbe Welt zusammenwünschst, was bekomme ich denn von dir als Gegenleistung? Deine Liebe?", grinste sie neckisch, blickte ihn nun aber durchaus interessiert an. Sie bezweifelte ja, dass er mit ebenbürtigen Geschenken antraben würde. Aber vielleicht vielleicht war er ja noch kreativer als sie. Und vielleicht sprang sogar was für sie raus, wenn sie sich dafür für Sushi die Finger brach und für saubere Stiefel Blasen sammelte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Fast sofort wünschte ich mir wieder, sie nicht nach ihren Eltern gefragt zu haben, weil sie zögerte. Weil es Faye augenscheinlich auch vor mir unangenehm war darüber zu reden, auch wenn das wohl kaum mit mir als Person zusammenhing, sondern ganz einfach damit, dass sie vermutlich nie wirklich damit abschließen würde. Zumindest nicht so weit, dass sie beschwingt Ruhmesreden auf ihre Eltern vor versammelter Mannschaft schwingen und sich dabei gut fühlen konnte. Aber das musste sie auch nicht. Der Tod der eigenen Eltern war wirklich eines der Dinge, die einem für den Rest seines Lebens nachhängen und auch weh tun durften, das stand völlig außer Frage. Erst recht dann, wenn sie ihr so unverhofft und plötzlich entrissen worden waren. Aber die junge Frau setzte doch noch zum Reden an, was mich innerlich erleichtert aufatmen ließ, hatte ich die Stimmung mit meiner Frage nicht gänzlich einen reißenden Fluss hinunter stürzen wollen. So begann ich ihren Worten aufmerksam zuzuhören, fing doch unwillkürlich wieder ein kleines bisschen zu lächeln an, weil sie mir mit ihren Worten Leute beschrieb, die mir durchweg sympathisch zu sein schienen. Die ihr Leben fast mehr nach ihren Kinder ausrichteten, als dabei auf sich selbst Acht zu geben. Aufopfernd und liebevoll waren dafür wohl zwei sehr passende Worte. Es war so ungerecht, dass es einfach immer die falschen Leute zu treffen schien, die durch reines Unglück dem Leben Adieu sagen mussten. Als sie die Ausflüge mit ihrem Vater erwähnte, musste ich unweigerlich an ein oder zwei Familienausflüge von früher denken, auf denen meine Schwester und ich uns immer nur allzu gerne mal gestritten hatten - und wenn es nur darum ging, wer als erster mit dem Karussell fahren durfte, wenn nur noch ein Platz frei war. Irgendwelche Gründe hatten wir immer dazu gefunden und auch, als wir Teenager waren, hatten wir uns immernoch oft wegen Lappalien in die Haare gekriegt, waren dem jeweils Anderen gerne grundlos auf die Nerven gegangen. Inzwischen hatte sich das aber ziemlich gelegt, wir waren einfach älter und reifer geworden. "Wirklich schade, dass ich sie nicht kennen lernen kann..", murmelte ich leise, wohl nur gerade so laut genug, dass Faye mich noch verstehen konnte, während mein Blick wieder nachdenklich an der Decke klebte und meine Finger weiterhin leicht über ihre Seite strichen. "Aber wenigstens haben sie dich mir hier gelassen.", hängte ich noch ein paar Worte an, mit denen ich meinen Blick wieder zu ihr nach unten richtete.
Also doch das Auto, hm? Na ob das so eine gute Idee war... ich blieb erstmal skeptisch. "Aber wehe du beschwerst dich dann über eventuell bei Driftmanövern entstehende Bremsspuren auf deinen Unterlagen... langsam fahren ist nicht so mein Ding.", erwiderte ich weiterhin hörbar sarkastisch, bevor ich die Cola noch einmal anhob und sie leer trank. Selbst Koffein nahm ich nur selten zu mir, obwohl es hier morgens zum Frühstück auch - billigen, nicht gut schmeckenden - Kaffee gab. Ich brauchte das normalerweise nicht, weshalb mich der Kram jetzt wohl erst recht noch einen Gang höher schalten und übermütig werden ließ. Aber solange das weiter zu einer für beide Seiten angenehmen Konversation beitrug, war das ja auch eigentlich nicht weiter schlimm. Doch, aber klar war ich so toll! Ich hatte Aryana sehr effektiv bei einem Mord geholfen, okay? Da war es ja fast schon das Mindeste, dass sie mir ein paar kleinere Geschenke machte, wenn sie schon meine Liebe nicht haben wollte. Weil ich sie auch so sehr liebte und es anders gar nicht ertragen konnte... oder so. Vielleicht irgendwo in einem Paralleluniversum zumindest. Ich stellte jetzt erst einmal die Dose wieder auf dem Boden ab, damit sie mir im Folgenden nicht auf die Nerven gehen konnte. "So läuft das nicht... du hast vorher nicht gesagt, dass ich nur eins haben kann. Jetzt ist's zu spät!", meinte ich diesbezüglich nur noch und verschränkte breit grinsend die Arme vor der Brust. Das waren eher so Dinge, die man als kleines Kind sagte, wenn man wusste, dass der Andere im Grunde Recht hatte, aber den winzig kleinen Haken des Vorher-Erwähnens nicht gesetzt hatte. Ein bisschen kindisch sein war okay, redeten wir hier doch auch davon, dass ich mit einem Modellauto spielend über ihren Papierkram brettern würde. "Soll das etwa heißen, meine Liebe reicht dir nicht?!", zog ich das Ganze nur weiter ins Lächerliche, machte dabei einen Schmollmund und zog gespielt ein klein wenig die Nase hoch, so als wäre ich fast schon den Tränen nahe. "Du wirst mir noch das Herz brechen, wenn du so weitermachst.", fügte ich noch ein paar weitere Worte an und tat so, als würde ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Hach ja, jetzt aber wieder genug der Schauspielerei. Vielleicht hätte ich ins Musical gehen sollen, um meinen Gesang und meine ach so tollen Schauspielkünste dabei zu vereinen. Wäre sicher besser gewesen als diese Sandhölle - wenn auch sehr viel schlechter bezahlt natürlich, selbst ohne meinen ehemaligen Nebenverdienst hier. "Nein, aber ernsthaft - wenn du mir hier Sushi besorgst, kriegst du fast Alles von mir... also natürlich nur, wenns auch schmeckt.", sagte ich noch und meinte das so tatsächlich auch ernst. Ich würde wirklich viel dafür geben, meinen Gaumen mal mit etwas Anderem als dem immer gleichen Scheiß, den wir hier aufgetischt bekamen, zu erfreuen. Wer wusste schon, wie lang ich mein Unwesen noch oberhalb der Erde stiften würde, wenn der Krieg weiter so absolut nicht zu unseren Gunsten verlief? So ein vielleicht letztes Mal noch Sushi... wär schon schön.
Sie merkte kaum, wie es erstmal einen Moment still wurde, nachdem sie fertig geredet hatte, hing den Erinnerungen und Gedanken nach, die sie niemals missen wollte. Die tiefe Narbe, die der Verlust ihrer Eltern in ihr Herz gerissen hatte, meldete sich sofort mit einem leisen, beständigen Stechen zurück, klopfte immer wieder an die Tür ihres Verstandes. Leise, aber unaufhörlich penetrant. Sie lächelte leicht, auch wenn ein gewisser Schmerz auch in ihren Gesichtszügen lag. "Ja... das ist wirklich schade...", bestätigte sie seine Worte. Malte sich unwillkürlich das aus, was hätte sein können, wenn ihre Eltern noch da wären. Wenn sie irgendwann endlich alle nach Hause gekommen wären und sie Victor mitgebracht hätte. Was ihre Mutter wohl gesagt hätte, während sie ihn mit ihrem warmen, strahlenden Lächeln begrüsst hätte? Was ihr Vater ihr wohl zugeflüstert hätte, in einem Moment, in dem Victor nicht hingeschaut hätte? Dass sie das gut gemacht hatte und er ein wundervoller Mann war, den sie nie wieder verscheuchen sollte? Womöglich... Dass er stolz auf sie war und sie offensichtlich mal wieder alles richtig gemacht hatte. Oh, wenn er wüsste... Was würde er bloss sagen, wenn er sie jetzt sehen würde?? Nach allem, was sie getan hatte... Er könnte unmöglich stolz auf sie sein. Ihr sagen, dass sie irgendwas gut gemacht hatte. Aber sie hatte es trotzdem getan, obwohl sie gewusst hatte, dass es falsch war. Von Anfang an. Alles. Denn anders wäre sie nie hergekommen. Aber ihre Familie war fort oder im Krieg und zu Hause bleiben war keine Option mehr gewesen. Vielleicht hätte ihre Mutter einen Ausweg gekannt, einen anderen Weg. Sie hätte sicher was gefunden, ihr einen Rat gegeben. Aber Faye war nicht ihre Mutter und ihre Mutter war nicht mehr da, um ihr zu helfen. Also hatte sie es so gemacht - um wenigstens wieder bei Aryana zu sein. Seine weiteren Worte zogen sie erneut aus dem Gedankenstrudel, in welchen sie die letzten Wochen so oft gerissen wurde. Liessen sie nochmal schwach lächeln, als sie zu ihm hoch blickte. "Ich weiss ja nicht, wie gut das wirklich für deine Nerven ist...", meinte sie, hob ihre Hand ein weiteres Mal von seiner Brust, um sie stattdessen auf seine Wange zu legen. "Aber ich bin froh, bei dir zu sein...", fügte sie dann wahrheitsgemäss an. Sie wusste nicht, was sie hier ohne ihn machen würde. In noch mehr Einsamkeit versinken, wahrscheinlich... Natürlich verstand sie sich mit fast allen Leuten hier gut. Aber mit Victor war das praktisch von Anfang an was anderes gewesen. Sie hatte ihm vom ersten Tag an vertraut und sich wohlgefühlt in seiner Nähe, weil sie sich sicher gewesen war, dass er gewisse Teile ihres Unwohlseins in dieser Umgebung teilte. Weil er ruhiger und weiser wirkte als viele andere der grösstenteils so jungen Soldaten. Weniger übermütig, weniger leichtsinnig. Er hatte ihr Sicherheit gegeben in dem ganzen Chaos, mit dem sie so schlecht klar kam. Sie wünschte, er könnte das Gleiche über sie sagen, ohne das grosse Aber. Ohne den Cut, den sie selbst gesetzt hatte. Aber das Wünschen brachte ihre Unschuld nicht zurück. Und wenn sie sich nicht auf Warrens dreckiges Spiel eingelassen hätte, wäre sie jetzt nicht bei Victor. Nicht bei Aryana. Sondern irgendwo weit weg, wieder alleine, wieder am Zerbrechen. So wie die letzten zwei Wochen, einfach auf eine andere Art und Weise. Ob es besser wäre? Sie wusste es nicht. Aber sie war froh, Victors Herz schlagen zu hören, seine Wärme zu spüren. Ihn hier bei sich zu wissen, auch wenn es nur noch an diesem heutigen Abend war...
Je länger sie sich darüber unterhielten, umso besser klang das Auto in ihren Ohren. Doch, das dürfte spassig werden, auch wenn sie wohl beide leider ganz genau wussten, dass es nie dazu kommen würde, Mitch nie sein Modellauto über ihren Schreibtisch rasen lassen würde. Aber in diesem Moment klang es realistisch - in diesem Moment galt ihre grösste Sorge wohl tatsächlich ihren Unterlagen. "Du wirst deinen Weg wohl oder übel um die Hindernisse herum bahnen Mitch, auch schnelle Fahrer müssen ausweichen können", gab sie ihm kopfschüttelnd zu bedenken. "Wie sollte ich solche Bremsspuren auf den Dokumenten denn bitte erklären? Mit 'sorry, Mitch hatte seinen Bleifuss mal wieder nicht im Griff', dürfte das nicht getan sein", gab sie grinsend zu bedenken. Gleich darauf zeigte er ihr in einem wundervollen Theater einen weiteren Grund dafür auf, warum sie sehr froh sein konnte, noch lange nicht ans Kinder-Kriegen zu denken. Vielleicht gar nie welche haben zu wollen. Denn Kinder waren anstrengend - weil sie genau so argumentierten, wie Mitch es gerade gekonnt versuchte. Tatsächlich legte sie für einen Moment etwas sprachlos die Stirn in Falten, weil sie nicht wusste, was sie auf ein solches Schachmatt noch erwidern sollte. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, fiel ihr ja doch nichts ein, was gegen dieses Argument ankommen würde. Auch als er fortfuhr, wollte sich ihre Überforderung erstmal nicht legen und Aryana schüttelte nur lachend den Kopf. "Meine Fresse...! Genau DAS ist der Grund, warum Liebe und Kinder absolut nichts für mich sind - herzlichen Dank, dass du mir das heute nochmal so deutlich vor Augen geführt hast", zog sie ihr Fazit zum Thema, trank nun ihrerseits einen weiteren Schluck aus der noch nicht ganz leeren Dose in ihrer Hand. Kinder und Männer... Die anstrengendsten Geschöpfe der Welt, sobald sie irgendwas unbedingt haben wollten. Da war die Sache mit dem Essen, das er sich so wünschte, ja noch fast einfacher. Obwohl Aryana stark bezweifelte, dass sie hier irgendwo die passenden Zutaten zur Zubereitung von Sushi finden würde. Oder sogar fertige Sushi, da sie sie selber nie im Leben so hinbekommen würde, wie er es sich vorstellte. "Ich werde mein Möglichstes tun... Aber mach dir keine Hoffnungen. Denn ich verrate dir ein kleines Geheimnis..", sie blickte sich um, als wäre dieses Geheimnis noch geheimer, als dieses ganze Treffen hier an sich. "Ich kann gar nicht kochen. Und ja, das ist sie... Meine einzige Schwäche", eröffnete sie beinahe feierlich diese eine Sache, die sie nicht beherrschte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja, da war ich mir auch nicht so ganz sicher. Wir wussten wohl beide nur zu gut, dass Faye meine Nerven ordentlich auf die Probe gestellt hatte und wenn sie das zukünftig noch öfter tun würde, wäre es doch sehr stark in Frage zu stellen, ob ich das auf Dauer händeln konnte. Vermutlich eher nicht, war ich doch ohnehin kopftechnisch schon ziemlich kaputt, auch ohne, dass sie mir auf dem Herz herumsprang. Dabei war ich noch nicht mal alt und trotzdem schon so unfassbar fertig mit meinem Leben, wusste nicht wirklich, was ich ohne Faye überhaupt noch damit anfangen sollte. Ich konnte nicht ewig in der Army bleiben und weiter Kugeln über meine Vergangenheit hinweg schießen, ohne auch dabei noch vollkommen den Bach runter zu gehen. Es war schließlich nur eine Frage der Zeit, bis wieder Irgendwas passierte, dass einen weiteren tiefen Krater in meiner Seele hinterließ, sie womöglich endgültig zerspringen ließ und dann dürfte ich vermutlich den Rest meines Lebens in der Psychiatrie verschwenden. Nein danke, dann doch lieber gleich erschießen lassen. Allen schon die ganzen anderen kaputten Leute da drin hatten mich schier wahnsinnig gemacht, so gar nicht zu meinem Wohlbefinden beigetragen... also doch lieber das Risiko eingehen und der Brünette hier neben mir noch eine Chance geben, während ich meine Wange an ihre zarten Finger schmiegte. "Das werden wir rausfinden, wenn du wieder da bist..", erwiderte ich wahrheitsgemäß dahin gemurmelt, doch auch ein wenig nachdenklich, musterte ihre Gesichtszüge dabei ein wenig. Ich wagte zu bezweifeln, dass ich es mir bis zu ihrer Rückkehr anders überlegen würde, also blieb einfach abzuwarten, wie weit ich die ganze Geschichte schon verarbeitet haben würde, wenn sie von ihrem Krankenhausaufenthalt zurückkam. Vielleicht hatte sich in zwei Monaten schon Alles so weit beruhigt, dass ich fast wieder ganz normal mit ihr umgehen konnte, ohne dabei gedanklich die ganze Zeit Warrens Griffel in meiner Nähe zu haben. Aber selbst wenn nicht, dann würde ich auch das sicher noch irgendwie hinbekommen. Wenn nicht... nein, daran wollte ich gar nicht denken. Wir würden das hinkriegen, punkt.
Auch da hatte Aryana vermutlich recht. Zwar glaubte ich nicht, dass die Reifen eines Modellautos wirklich Spuren hinterlassen würden, aber wenn doch, dann wäre es doch ziemlich kompliziert, die Markierungen auf den Unterlagen irgendwie zu erklären. Die Wahrheit wäre eindeutig keine brauchbare Ausrede dafür, damit konnte man sich nicht rechtfertigen. Würde sehr deutlich offen legen, dass die Brünette für ein paar Minuten ihre Arbeit so gar nicht ernst genommen hatte. Von mir mal ganz zu schweigen, wenn ich da ihre Papiere versaute. Gut, dass wir das nicht rausfinden mussten. "Aaaach da finden wir schon auch noch 'ne Ausrede für... wir sind doch Meister im Vertuschen.", grinste ich fröhlich weiter vor mich her, zuckte mit den breiten Schultern, die leider nicht zeitnah von einer Lederjacke geziert werden würden, bevor ich die Arme langsam wieder sinken ließ. Selbst die kühle Nachtluft schien an diesem wundervollen Abend noch erfrischender und klarer zu sein als sonst. War wirklich faszinierend, was das Beseitigen eines großen Störfaktors so Alles in mir bewirken konnte, weshalb ich gleich noch einmal etwas tiefer einatmete, wenn auch nur unbewusst. Ihre nächsten Worte lösten wiederum in mir ein herzliches Lachen aus. Wie Recht sie doch damit hatte... sowohl Beziehungen, als auch Kinder konnten so unheimlich anstrengend und nervtötend sein. Reichte schon, wenn man sich Faye und Victor als Beispiel zur Hand nahm, lief es da doch schon nach so kurzer Zeit so gar nicht mehr rund. Nein, da ersparte ich mir die Sache viel lieber, um ehrlich zu sein. Mochte ja sein, dass man dennoch Wen an seiner Seite hatte, der einem für gewöhnlich den Rücken stärkte, aber das wiegte es in meinen Augen bei Weitem nicht genug auf. Ganz einfach deswegen, weil ich offensichtlich auch allein bestens zurecht kam, sonst würde ich hier nicht so selbstbewusst auf dem Turm herumtanzen. "Wie gut, dass wir uns auch damit so herrlich einig sind.", unterstrich ich demnach ihre Worte noch einmal, nickte dabei ein klein wenig. Aber wie jetzt... kein Sushi für mich? "Ja klar.. deine einzige Schwäche.", erwiderte ich nur mit einem leichten Augenrollen, wobei das Grinsen weiter Einzug hielt. Ich war mir sehr sicher, dass ich noch mehr Schwachpunkte an ihr entdecken könnte, wenn ich es wollte - von dem in Hinsicht auf ihre Schwester mal ganz zu schweigen, denn das war gerade hier im Krieg zweifelsohne auch einer. Aber ich war weder hier, um Aryana die Laune zu verderben, noch um sie auf irgendwelche ihrer Schwächen hinzuweisen. "Aber gut, dann vielleicht doch lieber kein Sushi für mich.. und auch keine wilden Verfolgungsjagden auf deinem Schreibtisch... ich bin enttäuscht.", sagte ich noch mit einem gespielt theatralischen Seufzen, ehe mir auffiel, dass auch letzteres wieder ein bisschen falsch klang. Und das, obwohl das dieses Mal nicht mal meine Absicht gewesen war. Hach ja... ein von Testosteron gesteuertes Gehirn konnte anstrengend sein.
Ja, das würde jetzt zwingendermassen Acht Wochen warten müssen. Der Gedanke an den Abschied morgen zog ihre Mundwinkel fast automatisch wieder ein Bisschen nach unten. Sie wusste, dass sich ihre Meinung, ihre Gefühle ihm gegenüber bis dahin nicht geändert haben würden. Aber sie hoffte sehr fest, dass dies auch bei ihm nicht der Fall sein würde. bis vor zweieinhalb Wochen wäre sie sich sicher gewesen, dass sie auch eine zweimonatige Trennung ohne irgendeine Dämpfung ihrer Emotionen überleben würden. Nur war jetzt so vieles nicht mehr wie da... Faye blickte ihn lange an, strich immer wieder über die weiche Haut an seiner Wange, während sie versuchte, den Glauben daran zu festigen, dass alles wieder gut werden würde. Vielleicht nicht heute, nicht morgen. Vielleicht nichtmal in zwei Monaten. Aber irgendwann... In einer Zeitspanne, in der sie es überleben würde. Denn wenn es so wie jetzt für immer wäre, dann würde sie das genauso wenig mitmachen können wie er, ohne daran zu zerbrechen. Es machte sie schon so völlig fertig, dass er sie nicht mehr in seiner Nähe haben konnte, nicht mehr anfassen wollte, weil in seinem Kopf die Schlampe herumgeisterte, die sie nie hätte werden sollen. Die sie so hasste. Faye atmete unter der Last dieser Gewissheit etwas mühsam durch, bettete ihren Kopf wieder an seine Brust, weil sie ihn mit den ganzen wieder so überwältigenden Schuldgefühlen nicht mehr anschauen konnte. "Ich... ich hoffe... dass du mir eines Tages verzeihen kannst... Irgendwann in... hoffentlich absehbarer Zeit...", flüsterte sie leise, starrte in die Leere. Eine einzige, einsame Träne kullerte ihre Wange hinab, hinterliess einen kleinen, nassen Punkt auf seinem Shirt. "Ich kann dich doch nicht... schon wieder verlieren...", so kurz, nachdem sie ihn gefunden hatte...
Ja, da mochte er mal wieder Recht haben. Ihnen würde zweifellos was einfallen, ein guter Grund, weshalb ihr Schreibtisch von Bremsspuren überzogen war. "Ich sag einfach, dass eine schmutzige Schlange über meinen Schreibtisch gekrochen ist. Das passt, da Schlangen meine neuen Lieblingstiere sind. Und noch dazu die perfekten Sündenböcke", präsentierte sie strahlend lächelnd den wundervollsten Einfall des Jahres, gegen den er ganz bestimmt nichts mehr zu sagen hatte. Wäre ja auch überhaupt nicht auffällig oder so, nach dem Tod des Lieutenants noch weiter auf plötzliche Schlangenbesuche zu plädieren. Nein nein. Er wollte also auch keine Beziehung und keine Kinder. Das kam jetzt äusserst überraschend, was sie auch sofort mit einem erstaunten Blick kund tat. "Ach was? Du willst keine Frau? Keine Kinder? Dabei hab ich in dir doch schon die ganze Zeit den perfekten Familienvater gesehen...", sie musterte ihn scheinbar prüfend, trat einen Schritt näher, als würde sie ihn sonst nicht gut genug sehen. Ein Grinsen schlich sich zurück in ihre Gesichtszüge, als sie die freie Hand hob, um ihm leicht in den Oberarm zu boxen. "Der perfekte Beschützer, mit deinen ach so breiten Schultern", fügte sie an, ehe sie sich rasch wieder ihrer Cola widmete, die sich bald einem Ende zuneigte. Breite Schultern waren immerhin ein entscheidender Punkt, wenn es darum ging, wie gut ein Mann sich als Vater eignete. Wusste jeder. Aryana nickte überzeugt, als er ein Bisschen zweifelnd auf ihre einzige Schwäche anspielte. "Klar. Meine Einzige. Und was ist deine?", wollte sie wissen, als hätte sie bis jetzt nie eine Schwäche von ihm kennen gelernt. Oder er von ihr. Als wären sie so fehlerfrei, dass man die Schwächen vorgängig bekanntgeben musste, um sie dann zu finden.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich war furchtbar zwiegespalten. Einerseits wollte ich nicht, dass sie mir für eine so lange Zeit entrissen wurde, weil ich ganz genau wusste, dass ich die junge Frau trotz all der miesen Gedanken in meinem Kopf vermissen würde. Dass ich die Nähe zu ihr, obwohl sie mir in manchen Teilen auch gleichermaßen noch so unangenehm war, nicht schon wieder missen wollte, dieses Mal auch noch wesentlich unfreiwilliger als es in den letzten beiden Wochen der Fall gewesen war. Es würde wieder die reinste Qual werden, nicht zu wissen, wie es ihr ging. Ihr nicht einmal diese so simple Frage stellen und eine Antwort darauf hören zu können. Dennoch befand ich aber auch für gut, dass sie für eine ganze Weile nicht in meinem Umfeld sein würde und mich das vielleicht mit etwas Glück wieder zu neuem Atem bringen würde, nachdem die letzte Zeit so furchtbar anstrengend gewesen war. Mir förmlich die Luft zum Atmen geraubt und meine Lebensqualität gegen Null gesenkt hatten. Vielleicht war es einfach das, was wir brauchten, um uns von Alledem erholen und neu anfangen zu können. Wie es letztendlich wirklich sein würde, konnte ich jetzt noch nicht absehen oder gar wissen, aber ich hoffte doch stark, dass wir ein Ergebnis in dieser Richtung damit erzielen konnten. Ich hatte das kurze Schweigen wie so oft mit meinen eigenen, meist eher lästigen Gedanken überbrückt, bis Faye die Stille jetzt wieder mit leiser Stimme durchschnitt. Mit Worten, die mir noch einmal unterstrichen, dass sie das Alles fürchterlich bereute und dass ihr Etwas an mir lag. Dass ich es mir nicht nur einbilden konnte, dass wir weiterhin die gewisse Bindung zueinander hatten, obwohl sie diese grundlegend erschüttert hatte. Sie war vielleicht ein bisschen geschrumpft, musste ein Stück weit wieder neu aufgebaut werden, aber sie war noch da. "Faye..", setzte ich an, strich mir mit der freien Hand einmal über das müde Gesicht, bevor ich fortfuhr. "Das hab ich schon. Ich bin kein... wirklich nachtragender Mensch... ich bin nur...", enttäuscht, immernoch verletzt, hätte auch wirklich einen guten Grund, sehr wohl nachtragend zu sein - war ich aber nicht, nicht mehr. Es hatte mich nur einfach gebrochen und ich war noch nicht so weit, es einfach bedenkenlos hinter mir lassen zu können. "Ich brauch' nur noch etwas mehr Zeit.", beendete ich den vorherigen Satz nicht, sondern schob an Stelle von dessen Ende einfach einen neuen. "Das... klingt jetzt vielleicht blöd... aber ich denke der Abstand in den nächsten Wochen wird uns ganz gut tun. Dann kann ich... das Ganze vielleicht halbwegs abschließen.", murmelte ich leise weiter vor mich hin ohne zu ihr runter zu sehen, wollte wirklich nicht, dass es so klang, als würde ich sie gerne loswerden, während mein Blick starr gegen die Decke gerichtet war.
Wieder musste ich kurz auflachen. Ich müsste wohl ziemlich besoffen beim Fahren sein, um derartig geschwungene, kurvige Linien mit dem Auto über ihren Tisch zu ziehen... hach ja, mein betrunkenes Ich wollte Aryana vermutlich auch nur ungern kennen lernen. Ein Bier wäre schon okay, ohne dass es negative Auswirkungen hatte, aber sobald etwas mehr floss, war ich ein schwieriger Typ. Nur die kleinste falsche Bemerkung und ich ging in die Luft, weswegen ich es dabei doch stark bevorzugte, einfach allein zu bleiben. Ich wusste nicht, ob das immernoch so war, hatte mich die Zeit in der Army doch auch charakterlich grundlegend geändert, wenn ich mich jetzt so mit meinem Alter Ego von damals verglich. Aber ausprobieren sollte die junge Frau das vermutlich trotzdem lieber nicht, hatte sie doch eine ziemliche Gabe dafür, mich zu reizen. "Klar... wenn ich mich vorher betrinke könnte das vermutlich fast hinkommen, hochgradig glaubwürdig und gar nicht verdächtig.", erwiderte ich nur kopfschüttelnd auf die Schlangengeschichte hin, bevor die Brünette auch schon fortfuhr. Wir schienen beide zu wissen, dass ich wohl kaum der familiär abhängige Typ sein wollte, aber es würde zu mir auch einfach schon auf den ersten Blick genauso wenig passen, wie auf Aryana selbst. War also wohl für Niemanden hier eine Überraschung, konnten wir augenscheinlich auch beide sehr gut mit leben. Als sie mir dann allerdings gegen den Oberarm boxte, wanderte mein Blick automatisch für einen Moment zu diesem, bevor ich meine Augen mit angehobener Augenbraue wieder auf die junge Frau richtete. "Frech wirst du jetzt auch noch oder was? Pass' lieber auf, sonst muss ich dir das demonstrieren. Das willst du nicht.", schob ich ihr eine weiterhin nur spaßige "Drohung" zu. Natürlich hätte ich im Fall der Fälle nicht die Absicht, sie ernsthaft abzuwehren oder ihr gar weh zu tun, aber ich hätte zweifelsohne keine Scheu davor, ihr zu demonstrieren, dass meine Schultern nicht nur aussehenstechnisch was her machten, wenn sie mich weiter provozierte. "Ich verliere mich gerne an Frauen, die meine Liebe nicht erwidern.", antwortete ich überzogen auf ihre folgende, wohl kaum ernst gemeinte Frage. Ich war mir sehr sicher, dass Aryana sehr wohl fähig wäre, meine Schwächen von allein herauszufinden, wenn ihr wirklich der Sinn danach stünde. Warum ihr also dabei helfen? Nein, war eher nicht meine Intention, zumal ich mir meine Schwächen auch nur ungern selbst eingestand. Es gab doch einige davon, die sich hier in der Armee aber eher nur selten zeigten, weil sie keinen Auslöser dafür hatten. Aber da waren sie definitiv, so wie bei jedem Anderen hier auch. "Nein, keine Ahnung.. find's selbst raus oder lass es.", fügte ich noch ein paar Worte hinzu, zuckte mit den Schultern.
Sie wünschte so sehr, ihren Kopf abschalten zu können. Einfach nicht mehr an alles denken zu müssen, was sie getan hatte, alles, was zwischen ihnen stand, alles, was er von ihr halten musste, alles, was sie so dreckig machte. Aber das konnte sie nicht, obwohl seine Nähe bis jetzt immer so gut dabei geholfen hatte. Er hatte die Dunkelheit sonst so effektiv vertrieben... Aber heute war das anders und sie wusste auch warum. Es war nicht seine Schuld, sondern ihre - eine Schuld, die das altbekannte Gefühl wieder aufkommen liess. Das Gefühl, das ihr die letzten Wochen über immer wieder den Atem geraubt hatte, ihr nahezu befohlen hatte, wieder nach dem Messer zu suchen. Die Klinge ein weiteres Mal durch ihre Haut zu ziehen, damit sie den Schmerz spürte, damit sie ihn greifen und sehen konnte, den Schmerz, den sie verdiente, der ihr Herz zerriss. Aber heute würde sie es nicht tun. Und morgen nicht. Und nie wieder. Das war sie ihm schuldig, wenn es das Einzige war, womit sie ihm beweisen konnte, dass sie neu anfangen wollte. Bereit war, ihre Gewohnheiten aufzugeben, ihre Ängste und ihre Verzweiflung anders zu beseitigen als bisher. So krampften sich ihre Hände stattdessen zu Fäusten - sie hatte die Linke in der Zwischenzeit von seiner Wange zu sich zurück gezogen. Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen, bis es weh tat. Ihr Arm generierte durch das Anspannen der Muskeln ebenfalls nur noch mehr Schmerzen. Aber irgendwie musste sie ihren Verstand wahren, irgendwie musste sie im Hier und Jetzt bleiben. Und der Schmerz war der einfachste Weg. Er hatte ihr also verziehen... Dann hatte er etwas geschafft, was sie noch nicht getan hatte. Aber da war noch mehr, als das blosse Verzeihen. Er sprach es an, beendete den Satz aber nicht. Sie wusste trotzdem, was er hatte sagen wollen. Ich bin nur enttäuscht. Du hast mir nur das Herz gebrochen. Du bist mir nur fremdgegangen und es ist nicht einfach, dich jetzt zu lieben, als hättest du dich nie zur Hure gemacht. Er brauchte Zeit. Wie könnte sie ihm sowas verdenken? Auch seine Worte klangen wahr, vernünftig. Und sie hoffte mit allem, was sie ausmachte, dass er Recht hatte. Dass dann, wenn diese zwei Monate um waren, Warrens Spuren langsam von ihr abfielen und Victor sie zumindest annähernd wieder so anschauen konnte, wie davor. "Ich... ich hoffe...", sie beendete denn Satz nicht, weil das Sprechen schmerzte, solange sie so mühevoll gegen den Kloss in ihrem Hals ankämpfte. Sie wollte nicht schon wieder weinen, schluchzen, so schwach sein. Sie hatte sich das Übel selbst eingebrockt - warum sollte sie also über die Folgen davon weinen? Sie hatte es ja gewusst... "W-willst du... diese Nacht hier bleiben... oder lieber nicht...?", fragte sie brüchig, angestrengt. Er durfte gehen, wenn es ihm nicht wohl war hier. Sie würde ihm auch dafür keinen Vorwurf machen. Auch wenn sie es nicht wollte. Auch wenn sie Angst vor dem Alleine sein hatte. Vor sich selbst und ihren Gedanken. Wenn er gehen wollte, würde sie zur Seite rutschen und ihn gehen lassen. Und dann weinen und warten, bis der Schlaf kam. Wie jeden Abend.
Betrunken müsste er also sein... Hmm. "Ich weiss nicht, womit du dich betrinken willst.... Schlangengift ist nicht zu empfehlen, hab ich heute gelernt", meinte sie bedauerlich, wobei das Grinsen auf ihrem Gesicht nicht so gut zu ihrem Tonfall passte. "Alkohol kann ich dir in diesem Land auch schlecht beschaffen... Sonst wird Allah böse, weisst du", fuhr sie ebenso sarkastisch fort, wobei wohl minimal herauszuhören war, dass sie relativ wenig von dieser - oder irgendeiner - Religion hielt. Vielleicht gab es einen Gott, mochte schon sein. Aber er gab sich nicht sehr viel Mühe damit, gute Menschen zu beschützen. Und spätestens seit dem Tod ihres Bruders zweifelte sie doch sehr stark an der übernatürlichen Allmächtigkeit. Wieso hätte ein Gott sowas auch zulassen sollen? Nein, Religion war nicht ihr Gebiet. Sie betete höchstens dann, wenn sie dringend jemanden brauchte, der ihre Schwester beschützte. Nicht, weil sie dann plötzlich glaubte, sondern weil es dann das Einzige war, was sie tun konnte. Beten und hoffen und warten. Sie grinste weiter vor sich hin, als er ihr beiläufig androhte, seine Kraft zu demonstrieren. "Nein nein, lass gut sein. Ich möchte mich heute nicht mehr verletzen", meinte sie, hob besänftigend die Arme und zog sich in ihre Ecke zurück, wo sie schliesslich die Cola austrank und ihre Dose ebenfalls auf dem Boden deponierte. Seine Pseudoschwäche liess sie sofort wieder lachen. "Nein, wie tragisch, das tut mir so leid für dein zartes Herz", tat sie ihr Mitleid kund, nickte traurig vor sich hin. "Du findest die Eine schon noch, Mitch, gib die Hoffnung nicht auf. Und dann wir alles so, wie du es dir immer gewünscht hast", redete Aryana ihm theatralisch Mut zu, hätte ihm wohl die Schulter getätschelt, wenn sie nicht zu faul gewesen wäre, wieder einen Schritt auf ihn zuzugehen. Zu seinen Schwächen brauchte sie nichts mehr zu sagen, denn genau wie er bei ihr wusste auch sie bei ihm ziemlich genau, wo sie nach diesen suchen musste. Hatte aber schlicht kein Bedürfnis, irgendwas auszugraben, dass die Stimmung ruinierte. Sie hatte ihre sadistische Ader für heute eindeutig befriedig, konnte den Rest des Abends getrost verbringen, ohne noch jemanden wütend zu machen oder zu verletzen.
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Nein, bitte nicht. Wenn sie jetzt wieder anfing zu weinen, würde ich mich unweigerlich verantwortlich dafür fühlen, obwohl ich Nichts getan hatte, was verkehrt war. Ich war einfach nur ehrlich zu Faye, weil ich wollte, dass sie wusste wie meinerseits die Dinge standen. Dass sie deshalb weinte, wollte ich natürlich nicht, aber sie war so fürchterlich nah am Wasser gebaut. Schon vor ihrer Herzensbrecher-Mission, aber seitdem noch so viel mehr, wie mir schien. Konnte ich verstehen und nachvollziehen, aber es wäre jetzt trotzdem auch für meinen Kopf wieder nicht gut, wenn allzu viele Tränen über ihre Wangen flossen. Ich wollte nicht, dass sie weinte, weil ich mir eigentlich sehr sicher war, dass es nach ihrem Aufenthalt im Krankenhaus wirklich besser sein würde, dass wir eine Zukunft vor uns hatten. Eine gute, sofern sie mir keine weiteren Gründe dafür gab, wieder daran zu zweifeln. Sie musste nur bis dahin durchhalten und dann würde das schon wieder werden. Irgendwie. Weil ich merkte, wie sehr sich ihr gesamter Körper zu verkrampfen begann, löste ich die Hand von ihrer Seite und strich ihr stattdessen sanft über den Kopf, sortierte dabei auch eine lose gewordene Strähne wieder hinter ihr Ohr zurück. "Hey, das wird schon.. wir kriegen das wieder hin, da bin ich sicher.", murmelte ich recht zuversichtlich zu ihr runter, griff mit der anderen, freien Hand nach einer der ihren, lockerte vorsichtig ihre verkrampften Finger und schob stattdessen meine eigenen dazwischen. Wenn die junge Frau weiter zudrücken wollte, konnte sie das machen, waren meine Hände doch vom Training weitaus größere Lasten als die ihrer zierlichen Finger gewohnt, würden das sicher gut verkraften können. Es dauerte kurz, bis ich mir eine Antwort auf ihre noch folgende Frage zurechtgelegt hatte. Eigentlich wollte ich schon hierbleiben, die letzten paar Stunden noch mit ihr ausnutzen, aber es war einfach immernoch gleichzeitig eine sich nicht auflösende Qual, die mich in Fayes Nähe stetig zu begleiten schien. Deswegen zögerte ich auch einige Sekunden lang, bevor ich letztendlich wieder zum Reden ansetzte. "Ich... bleib hier... falls ich nicht schlafen kann... kann ich später gehen.", erklärte ich ihr leicht stockend meine Gedanken dazu, strich behutsam über ihren Handrücken. Es war andererseits auch fragwürdig, ob ich in meinem eigenen Bett dann schlafen könnte, wenn es hier nicht ging. Vermutlich auch nicht, nein. Also war es in dieser Hinsicht wohl doch ziemlich egal, ob ich blieb oder ob ich ging. Aber ich wollte der Brünetten nicht noch mehr weh tun, als ich es mit meinem ganzen Verhalten ohnehin schon tat, also würde ich dennoch bleiben. Vielleicht konnte zumindest sie dann ein klein wenig beruhigter schlafen. So wie ich mich kannte, würde ich heute sowieso kein Auge mehr zu kriegen. Spätestens dann nicht mehr, wenn der Rücken sich im Gedankensumpf wieder stärker zu melden wusste.
Iehgitt, nein. Zum einen wussten wir beide ja nur zu gut, wie tödlich der Mist war, und zum anderen genoss ich eigentlich viel lieber gut schmeckenden Alkohol. Natürlich lag Geschmack immer im Auge des Betrachters, aber eben für meine Bedürfnisse passend. Hochprozentig, leicht brennend, aber mit einer angenehm milden Note im Abgang. So, dass man schnell betrunken wurde, ohne sich sämtliche Geschmacksnerven einfach aus der Zunge zu brennen. Aber an Alkohol würde ich hier wohl kaum kommen - und oh, damit würde ich sogar noch einen Gott, der für meine Wenigkeit vollkommen irrelevant war, verärgern. Mist, da konnte ich mich ja nie wieder auch nur einen Schritt vor die Haustür waren, ohne von seinen Blitzen oder weiß Gott was getroffen zu werden. "Schlimmer als der Krieg hier wird Allah kaum sein, soll er ruhig herkommen und mir den Alkohol selbst aushändigen, dann kann ich mit ihm auf seine offensichtliche Unfähigkeit trinken.", prustete ich, machte damit wohl sehr deutlich, dass ich nicht gläubig war. Weder in Hinsicht auf diesen einen Gott, noch sonst irgendeinen. Ich hatte nie Etwas mit Religion zu tun gehabt, den Unterricht diesbezüglich schon in der Schule gerne mal geschwänzt, weil ich es schlicht für den unnötigsten Bullshit überhaupt hielt. Ich bahnte mir meine Wege selber, dafür brauchte ich nicht die Hilfe von irgendeinem übernatürlichen Monk, der sowieso nicht existierte. Mein armes Herz, das Aryana hier mit ihrer Immunität gegen meine nicht vorhandene Liebe malträtierte, ja. Manchmal fragte ich mich ehrlich, was eine Frau an sich haben musste, um mich dauerhaft für sich zu begeistern. Mir selber fiel nämlich keine einzige Sache dazu ein, die ausschlaggebend genug war, mich in diesen merkwürdigen Liebesschleier zu ziehen, den ich noch nie verstanden hatte. Wie konnte man wegen eines Gefühls derartig blind werden? Ich verstand das wirklich nicht. Vermutlich, weil ich es selbst nie so wirklich erlebt hatte, es gar nicht erst zugelassen hatte - und ich war glücklich damit, fand ich mich hier doch ganz offensichtlich bester Laune wieder. "Du bist sicher, dass du nicht einknicken willst? 'Ne rosa Brille steht dir sicher vorzüglich.", erwiderte ich ebenso sarkastisch wie auch schon die ganzen Male zuvor, blinzelte Aryana übertrieben zu. Musste mir unwillkürlich vorstellen, wie sie mit einer hässlichen, rosa Brille - die sehr nach Kinderspielzeug aussah - frohlockend vor Liebesglück einen Strand entlang hüpfte und in meiner blühenden Fantasie dabei irgendeinen Glitzerstaub auf die Leute um sich herum abwarf, um ihnen damit doppelt auf die Nerven zu gehen.
Ja, sie wollte es wirklich glauben. Dass sie es wieder hinbekamen, dass alles gut werden würde. Es war nur schwierig in diesem Moment, in dem sie mal wieder so sehr an sich zweifelte. Weil sie ihr Selbstbewusstsein andauernd so kaputt machte mit diesen dummen, dummen Dingen, die sie tat, um bei Aryana zu bleiben. Sie nickte leicht auf seine Worte, weil sie wollte, dass es stimmte, weil sie wollte, dass sie auch daran festhielt und dass er wusste, dass sie es glaubte. "Ja. Wir kriegen das hin...", flüsterte sie zurück, so bestimmt, wie sie es in diesem Moment schaffte. Sie öffnete ihre Hand, als sie merkte, wie er danach griff. Schloss ihre Finger um seine, nicht so eng, wie sie ihre Faust vorhin verkrampft hatte, aber doch bestimmt, Halt suchend. Sie war so froh, seine Hand wieder halten zu dürfen. Es war nicht alles, was sie wollte, aber so viel mehr, als sie sich noch heute Morgen erhofft hatte, nachdem sie die letzten Tage immer tiefer in die Sicherheit gefallen war, dass er sie nie wieder zurückhaben möchte. Dass er mit ihr abschliessen und sie die Ignoranz für den Rest dieses Krieges spüren würde - bis sie sich wünschte, niemals in dieses Camp gewechselt zu haben. Es fiel ihr kaum auf, dass er mit der Antwort auf ihre Frage zögerte. Denn sie hatte fast damit gerechnet, dass er sowieso gehen würde. Vielleicht nicht jetzt, aber dann, wenn sie schlafen sollten. "Danke...", meinte sie erleichtert, drückte leicht seine Finger und atmete mühsam durch, um die Tränen wieder tiefer zurück zu drängen. Damit sie nicht beim nächsten Wort seinerseits mal wieder über die Ufer traten. Jetzt, wo sie sie bisher fast gänzlich hatte für sich behalten können. "Brauchst du noch was..?", fragte Faye leise, hob nun vorsichtig den Blick, um ihn nochmal anzuschauen. Sonst sollten sie irgendwann das Licht löschen, um zumindest zu versuchen, noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Sie wusste nicht, ob sie es schaffen würde, wirklich zu schlafen. Aber vielleicht schon. Und was sie noch besprechen sollten, wusste sie auch nicht, endete doch jedes Gespräch im Moment im selben Desaster... Da konnten sie auch gleich schweigen.
"Hast du eine Ahnung... Wenn du ihn wütend machst, ist Allah sehr viel schlimmer als dieser Krieg und alles, was du dir vorstellen kannst", drohte sie dem jungen Mann todernst das ganze Übel an, welches auf ihn zukommen würde, wenn er je wieder einen Tropfen Alkohol schluckte. Wie ironisch, das Übel Allahs mit dem Übel dieses Krieges zu vergleichen... wenn doch eigentlich Allah und der ganze, verdammte Islam dafür verantwortlich waren, dass dieser Krieg überhaupt stattfand und solche Ausmasse annahm. Sie seufzt, ehe erneut ein fettes Grinsen auf ihrem Gesicht Einzug hielt. "Aber ich bin dabei. Wenn ich Alkohol finde, möchte ich gerne mit dir auf den grossen Gott trinken", liess sie ihn wissen, legte eine Hand auf ihre Brust und schloss kurz die Augen zum Gebet. Oder so. Seine Frage zum Thema Liebe liess sie doch wieder sehr nachdenklich eine Hand in ihre dunklen Haare krallen. "Du machst es mir schon immer wieder sehr schwer, deinem Charme zu widerstehen... Mit solchen Komplimenten sowieso", meinte sie hin und her gerissen. Wobei Mitch wirklich von Glück reden konnte, dass er seine darauffolgenden Gedanken nicht aussprach und ihr selber die Vorstellungen, die seine Fantasie zauberte, ersparte. Sonst hätte sie wohl leider wirklich ihre Dose nach ihm werfen müssen, damit er bei Trost blieb. "Aber wie gesagt... Ein Herz aus Eis - das schmilz nicht so leicht, da musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen", oder etwas Heisseres, denn Eis verflüssigte sich bekanntlich unter Wärme. Aber das sprach sie nicht aus, da sie solche Gedankengänge lieber kappte, bevor sie einen Weg in seinen Kopf fanden. Bevor er wieder was sagte, dass ihre Wangen rot färbte und auf das sie keine Antwort mehr fand. Der Gedanke alleine reichte für ein sehr eindeutiges Grinsen ihrerseits, als sie kurz den Kopf abwandte, um die Gegend zu überblicken. Gut, jetzt hatte ihre Fantasie sich selber eine Vorstellung à la Magic Mitch geschaffen, die etwa ähnlich behindert war, wie sie mit der Rosa Brille.
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Wieder mal so eine Situation, in der ich ihren Dank nicht so wirklich als angebracht empfand. Es fühlte sich nicht ganz richtig an, für Etwas Dank ausgesprochen zu bekommen, das noch vor einigen Tagen etwas ganz selbstverständliches gewesen war. Womit ich mir jetzt so unfassbar schwer tat, obwohl ich es schon unzählige Male zuvor getan hatte. Von Sekunde zu Sekunde schien ich mehr Hass auf diese furchtbare Zwiespältigkeit zu entwickeln, von der ich unfähig war, sie irgendwie in den Griff zu bekommen. Es gab gerade in diesem Land so viel Schlimmeres, was mir oder auch Faye selbst passieren konnte, als ein bisschen Herzschmerz. Warum konnte ich nicht einfach darüber hinwegsehen und dankbar dafür sein, sie überhaupt noch zu den Lebenden zählen zu können? Sie hätte mir schon weit früher bei einem der zahlreichen Angriffe entrissen werden können und doch lag ich mit der jungen Frau wieder hier und beschwerte mich innerlich durchgehend darüber, dass sie sich dazu erdreistet hatte, mir fremdgegangen zu sein. Nicht, dass ich es Irgendjemandem hätte beschönigen wollen, das nicht. Aber ich selbst hatte im Krieg schon so viele Dinge gesehen und erlebt, die so viel schlimmer waren, warum sollte ich mich also über eine blanke Verzweiflungstat aufregen? Dieser inzwischen gefühlt ewig anhaltende, innere Monolog würde wohl noch eine Weile anhalten und mir das Leben weiter schwer machen. Erst die Frage der Brünetten holte mich wieder mehr oder weniger zurück ins Hier und Jetzt, schüttelte ich doch kaum sichtlich den Kopf, bevor ich zu ihr runter sah. "Nein, ich... denke nicht.", erwiderte ich kurz darüber nachdenkend, aber ich hatte wohl Alles, was ich brauchte. So gänzlich unvorbereitet war ich ja nicht hergekommen, hatte mich schon frühzeitig darauf eingestellt, obwohl ich mir bis zum Schluss nicht sicher gewesen war, ob ich denn wirklich zu ihr gehen würde. Es war so grotesk, dass ich angezogen neben ihr lag. Normalerweise wäre meine erste Amtshandlung gewesen, mir zum Schlafen bis auf die Boxershorts sämtliche Klamotten vom Leib zu schaffen. Nicht heute, nicht in dieser Nacht. Lieber fing ich früher oder später an zu schwitzen, als irgendwann fluchtartig zu verschwinden, weil ich es nicht mehr aushielt sie an meiner Haut zu spüren. Um nicht aufzuspringen und zu den Duschen zu rennen, weil ich den toten Lieutenant förmlich zwischen uns spüren konnte. Aus reiner Verzweiflung beugte ich mich zu Faye hin, küsste sie vorsichtig. Und für zwei, vielleicht auch drei Sekunden stoppte das den Gedankenfluss in meinem Kopf, schenkte mir einen kurzen Moment lang Stille... Bis er gnadenlos wieder von vorne anfing.
Also langsam hätte ich wirklich damit anfangen können mich zu fragen, wer von uns beiden eigentlich mehr einen an der Klatsche hatte. So wie ich das sah, stach ich da nämlich gar nicht unbedingt als erster raus, schien Aryana doch ziemlich auf meiner Höhe zu sein, zumindest was das eben anging. Aber was den Größenwahnsinn anbelangte, da konnte ich sie doch mit ziemlicher Sicherheit noch immer toppen. Das war schon lange so. Nicht nur meiner ab und an bunten Fantasien wegen, sondern weil ich in meiner Jugend einfach hatte lernen müssen, mich auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Irgendwann so strikt, dass ich das Gefühl bekommen hatte, langsam aber sicher unbesiegbar zu sein. Der Dämpfer darauf war zwar auch gefolgt, der Fall tief gewesen, der Hochmut aber trotzdem geblieben. Gepaart mit meinem Ehrgeiz machte mich das stark, wenn auch in manch anderer Hinsicht ebenso blind. "Nah... Alkohol und ich sind nicht immer gute Freunde, zumindest ab einem gewissen Pegel.", legte ich ihr dann wohl doch eine meiner Schwächen offen, wenn man das denn tatsächlich so nennen konnte. Es war kein Geheimnis, dass Alkohol auf viele Menschen sehr gefühlsverstärkend wirkte. Bei manchen eben positiv, bei anderen negativ. Bei mir ging leider beides. "Das ist wie 'ne Piñata. Du weißt vorher nie was am Ende rauskommt. Ich bin mir noch unsicher, ob das eine gute Idee wäre..", redete ich weiter vor mich hin, wobei das Grinsen trotz des eher ernsteren Themas weiter erhalten blieb. Einfach deswegen, weil mir noch bei der Aussprache auffiel, dass das bei mir nüchtern genauso war, nur nicht ganz so extrem, weil ich mich blank doch zumindest ein klein wenig besser unter Kontrolle hatte. "Wobei ich glaube, dass du betrunken fast witzig sein könntest... vielleicht taust du dabei ein bisschen auf, du Eiszapfen. Alkohol wärmt ja bekanntlich von innen.", sprach ich schlicht weiterhin aus, was mir aktuell so für Gedanken durch den Kopf tigerten, wobei das Grinsen doch auch wieder breiter wurde. "Aaaach, das krieg ich schon noch hin.. du bist kalt, ich bin heiß, was kann da noch schiefgehen?", schob ich einen weiteren, unterirdischen Spruch mit einem Zwinkern zu der Brünetten rüber, den ich wie sonst auch kaum ernst meinte. Wie gesagt stand mir nicht der Sinn nach irgendeiner Romanze oder gar Liebe, für sowas hatte ich gar keinen Platz in meinem ohnehin so vollen Schädel. Der aber zum jetzigen Zeitpunkt mal erstaunlich leer war, weil der ganze negative Gedanken-Anteil, der sich auf Warren bezogen hatte, einfach weggeblasen worden war. Wie ausgelöscht ließ das meinem Hirn - zumindest für heute - wieder mehr Platz für unwichtigen Kram. So wie die neckischen Spielchen zum Beispiel, die wir hier von Koffein angetrieben schon eine ganze Weile spielten.
Gut, dann sollten sie das Licht ausmachen. Dann sollten sie schlafen. Dann sollten sie aufhören, die ganze Zeit so verzweifelt nachzudenken und zu versuchen, hier und heute noch weiter zu kommen, als sie es bisher geschafft hatten. Sie sollten froh sein, diesen Tag gehabt zu haben, wenigstens wieder miteinander zu sprechen und einander anzuschauen. Und Faye war auch wirklich froh. Froh, seine Hand wieder halten zu dürfen. Froh, in seinen Armen zu liegen. Wenn er heute nicht zu ihr gekommen wäre, bevor sie morgen wegging, hätte sie den Glauben an ein gutes Ende für ihn und sie wohl aufgeben müssen. Dann wären die zwei Monate noch schlimmer geworden als sowieso schon. Dann hätte sie ihm das Messer nicht gegeben und nicht aufgehört, es zu benutzen. Sie wollte sich gerade von ihm lösen, um das Licht zu löschen, als er sich zu ihr runter beugte. Und auch wenn sie es keineswegs erwartet hatte, erwiderte sie den Kuss ganz von selbst. Wenn auch sofort wieder die gleiche Unsicherheit in der Bewegung ihrer Lippen Einzug hielt, wie heute Nachmittag schon. Als wüsste sie nicht, wie man küsste. Wie sie ihm zeigen könnte, dass sie ihn wirklich, wirklich liebte. Dass sie ihn zurück haben wollte - aber diesmal für immer. Sie zog den Kuss sanft etwas in die Länge, ohne es aber viel mehr als einen einfachen Kuss werden zu lassen. Nicht heute... Faye hatte ihren Arm in seinen Nacken gelegt, nicht zu eng, da die Schmerzen wirklich keinen Spass machten. Aber sie behielt ihn mit dieser schwachen Geste bei sich, während sie ihre Stirn an seine lehnte. "Bitte versprich mir, dass du auf dich aufpasst, wenn ich weg bin... Dass ich dich bald wiedersehe...", flüsterte sie eine leise Bitte an seine Lippen, die sich so einfach anhörte, obwohl sie das überhaupt gar nicht war. Wenn er es versprach, wünschte sie sich nämlich, dass er es auch wirklich tat. Dass er nicht einfach nur irgendwie überlebte.
Dann also kein freudiges Besaufen mit Mitch. Schade. Oder auch nicht, denn er machte ihr sein Besoffenes Ich ja gerade nicht so schmackhaft. "Ach... du würdest der Liebe deines Lebens doch kaum was zuleide tun", winkte sie ab, ehe sie sich in einer überschwänglichen Bewegung die Haare über die Schulter warf. Denn die Liebe seines Lebens war natürlich niemand Geringeres als sie. Als er dann ihr eigenes, betrunkenes Ego ansprach zuckte Aryana etwas zögerlich mit den Schultern. "Najaaa... Ist eine Weile her, dass ich Erfahrungen mit übermässigem Alkoholkonsum gemacht habe. Aber damals ist es jedenfalls meistens eher ein Bisschen schief gelaufen", erinnerte sie sich grinsend, zuckte erneut mit den Schultern. "Aber du hast recht. Ich war betrunken, als ich das erste Mal einem Kerl meine unendliche Liebe für ihn gebeichtet habe", fügte sie an, wobei das Grinsen bei diesem Gedanken doch noch breiter wurde. Hach ja... Sechzehn und verdammt verladen war sie gewesen. Wild times. Aber das war jetzt zum Glück vorbei und seit fünf Jahren trank sie ja sowieso nicht mehr. Also würden sie wohl leider nie erfahren, wie sie harmonieren würden, wenn sie nur die richtige Menge Alkohol intus hatten. Aryana konnte sich das Lachen auch jetzt nicht verkneifen bei dem dummen Spruch, den er ihr mit einem Zwinkern zuwarf. "Ich finde bescheidene Männer wie dich immer so extrem ansprechend", konterte sie fröhlich, wobei nun doch die Coladose in seine Richtung flog. "Kleiner Angeber", und ja, sie nannte ihn sehr gerne schon wieder klein, obwohl er das so neben ihr keineswegs war. Passte einfach besser zu dem süssen Kerlchen hier. Er konnte ja nicht auch noch gross sein, wenn er doch schon heiss war. Irgendwo wurde das sonst einfach unrealistisch, zu perfekt. Und jeder wusste, dass sie sich sonst einfach plötzlich doch noch verlieben musste - was sie absolut nicht riskieren konnte.
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Ich ließ die junge Frau den Kuss ein wenig in die Länge ziehen, obwohl mir schon nach kurzer Zeit nicht mehr hundertprozentig wohl dabei war. Vielleicht versuchte ich einfach krampfhaft, das zu ignorieren, es als Schocktherapie zu nutzen, so wie den gesamten Krieg hier angesichts meines Traumas. Dass das nur semi-gut funktionierte, wusste ich zwar inzwischen, aber es würde ohnehin genauso weh tun, sie nicht zu küssen und nahe bei mir zu haben, wo ihre Zuneigung doch eigentlich Alles war, wonach ich mich in den letzten Wochen so schmerzlich verzehrt hatte. Beides war scheiße, also konnte ich doch wenigstens die Seite wählen, die Faye vielleicht ein klein wenig mehr Sicherheit in der Annahme gab, dass ich nicht mehr vor hatte, sie zu verlassen. Ich hatte wirklich darüber nachgedacht, es einfach zu beenden... und das nicht selten in den letzten, mir den Atem raubenden Tagen, aber dieser Gedanke war inzwischen verworfen und so schloss ich die Augen, als die junge Frau ihre Stirn schließlich an meine lehnte und ich ihren leisen Worten zuhörte. Das war wohl leichter gesagt, als getan, aber ich würde mir Mühe geben. Vielleicht hatte sie Glück und Brian würde sich weiterhin wie eine kleine Klette verhalten, weil er irgendwie das dringende Bedürfnis zu haben schien auf mich aufzupassen, obwohl ich eindeutig der Ältere und Erfahrenere von uns beiden war, was diesen gesamten Krieg anging. Sein Herz schien ebenso wie meins viel zu gut für die raue Umgebung eines Krieges zu sein und dennoch war er hier. Keine gute Wahl von ihm. "Mach ich, versprochen..", erwiderte ich mit etwas dünnerer, kratzigerer Stimme als zuvor und räusperte mich deshalb minimal, was auch der Anlass dafür war, wieder ein klein wenig Abstand zu ihrem Gesicht aufzubauen und sie dann für einige Sekunden lang direkt anzusehen, ihr leicht über die Wange zu streichen. War gar nicht so leicht, wirklich auf mich aufzupassen... so mit regelmäßig essen und schlafen, was in letzter Zeit ja so gar nicht gut funktioniert hatte. Dann war doch ich es, der seinen Arm in Richtung Lampe ausstreckte und sie ausknipste, was aufgrund der Distanz erst beim zweiten Mal funktionierte.
Ja, die Liebe meines Lebens war sicher auch für mich vollkommen unantastbar, so aus Instinkt oder wegen Gefühlen oder so. Mir war echt schleierhaft, ob es sowas überhaupt irgendwann mal bei mir geben würde. Vermutlich nicht, wenn ich im Krieg blieb - wo auch immer, irgendwo mischte sich die USA mit ihren Truppen ja immer ein. Aber war wie gesagt nicht schlimm für mich und für die jeweilige Liebe auch besser so. Glaubte nicht dran, dass ich mich gegenüber meiner ach so geliebten Frau respektvoller als sonst verhalten würde, lag mir letzteres doch allgemein eher weniger im Blut und in der Vergangenheit. "Achja, stimmt... das ist dann ja gleich was gannnz Anderes.", betonte ich meine Worte höhnisch. Aryana schien sich allerdings was Alkohol anging auch nicht so wirklich im Griff zu haben. Selbst, wenn es nur das Überschreiten der Pegelgrenze war, war sie früher wohl gern über die Stränge geschlagen. "Dann weiß ich ja jetzt, wo ich ansetzen muss.", meinte ich triumphierend auf ihr Geständnis hin, falls man das so nennen konnte. Dann flog auch schon die Dose, der ich auf diese sehr kurze Distanz nicht hätte ausweichen können und so traf sie mich unweigerlich an der Brust, was aber nicht weh tat oder dergleichen, sondern nur ein weiteres Lachen meinerseits auslöste. Mit einem dumpfen Geräusch traf die Dose wieder auf den Boden und wir konnten wohl froh sein, das kein Zelt in unmittelbarer Nähe war, dass das vermutlich Niemand gehört hatte. "Ach komm, als würde irgendein Waschlappen überhaupt mit dir klar kommen, Sergeant.", flötete ich ungeniert weiter vor mich hin, weil ich ganz einfach nicht glaubte, dass ein Kerl mit wenig Selbstbewusstsein überhaupt den Mumm dazu hätte, näher auf die so zielstrebige, verbissene junge Frau einzugehen, weil sie doch von vornherein so unnahbar zu wirken versuchte. Ob sie das im Endeffekt wirklich war oder doch leichter einknickte, als es auf den ersten Blick schien, das wusste ich nicht und würde ich wohl auch nie. Dass Aryana mich schon wieder klein genannt hatte, nervte mich schon ein Stück weit, aber irgendwie musste sie mich ja drankriegen, wenn ich immer wieder unpassende Kommentare in ihre Richtung abgab.
Gut. Das war alles, was sie hatte hören wollen, alles, was für die nächsten beiden Monate wirklich zählte. Dass er sie heil überstand. Dass sie dann zurückkommen konnte und er noch lebte und wohlauf war. Denn das war eine zwingende Grundlage, falls sie jemals eine zweite Chance bekommen sollte - falls ein Neuanfang je glücken sollte. Und ja, auch sie hatte mittlerweile akzeptiert, dass es wahrscheinlich besser war, wenn sie erstmal weg ging. Dass die durchtrennte Sehne vielleicht nicht ein ganz so grosses Unglück war. Zwar würden die Acht Wochen verdammt schwer werden und sie würde ihn und Aryana in jeder Sekunde vermissen. Aber vielleicht, vielleicht würde Victor es schaffen, die Gedanken, die ihn immer wieder zurückweichen und ihre Nähe meiden liessen, ein Bisschen leiser zu stimmen. Sie wären wohl kaum ganz weg, sobald sie wieder bei ihm war, würden damit eher wieder geweckt werden. Aber trotzdem. So wie jetzt war es für beide reine Folter. Für ihn, weil er das alles im Kopf hatte. Weil er den Dreck des Lieutenants an ihrem Körper nicht ignorieren konnte. Weil er die Spuren noch immer sah, die erst vor zweieinhalb Wochen entstanden und doch eigentlich noch so frisch waren. Und für sie war es schlimm, weil er sie immer wieder abwies. Weil sie merkte, dass er sich ekelte. Weil sie ein so verdammt schlechtes Gewissen hatte, sich so unendlich schämte für das, was sie aus sich gemacht hatte. Weil seine Reaktion auf sie all diese hässlichen Gefühle nur noch steigerten. Also ja. Es war gut, dass sie ging. Nur, dass es nicht für immer war. Sie wollte natürlich nicht für immer weg - sie wollte wieder zurück zu ihm, sie wollte diese zweite Chance mehr als alles andere. Aber gleichzeitig hiess dass auch, dass es bei dem Wiedersehen in zwei Monaten einfach irgendwie gutgehen musste. Dass es nicht so weitergehen konnte, wie es jetzt war. Weil sie sonst endgültig daran zerbrechen würde. Und dann würde es sie nicht mehr retten, dass er ihr Messer weggenommen hatte. Sie rutschte etwas zur Seite, damit er die Lampe ausmachen konnte. Kuschelte sich dann auch nur sehr zögerlich wieder an ihn. Es war ihr letzter Abend für so viele Tage, sie musste seine Nähe noch in sich aufsaugen, ihn bei sich haben und sich so viel von ihm wie irgendwie möglich einprägen. Und wenn er ihre Nähe nicht mehr aushielt, dann würde er gehen. Aber sie glaubte nicht, dass es dabei eine Rolle spielte, ob sie direkt an seiner Seite lag oder zehn Zentimeter - mehr liess dieses Bett wirklich nicht zu - weiter links. "Gute Nacht, Victor", gab sie leise von sich, wobei fast sowas wie Resignation in ihrer Stimme mitschwang. Sie hatten genug geredet und es gab nichts mehr anzufügen. Ausser, dass sie wirklich hoffte, dass er ein Auge zumachen würde. Sich nicht einfach nur eine Nacht lang durchquälte. Denn so hätte es nie sein sollen...
Hatte sies doch gewusst. Sobald die Liebe mit im Spiel war, wurde der junge Mann selber zum Lämmchen. Was auch sonst. Aryana grinste vor sich hin, ehe sie wieder zu ihm blinzelte. "Ich muss dich aber warnen, so leicht wird das nämlich nicht... Das letzte Mal, dass ich wirklich betrunken war, ist Sechs Jahre oder mehr her... Ich hatte meine wilden Jahre mit so Fünfzehn bis Siebzehn und seit da habe ich auch niemandem mehr im Suff meine Liebe gestanden", zerstörte sie seine Hoffnungen im Ansatz, auch wenn es wohl sowieso schon schwer genug für ihn werden dürfte, sie irgendwie betrunken zu kriegen. Mal ganz davon abgesehen, dass es hier keinen Alkohol gab, müsste sie das Zeug ja auch erst freiwillig saufen. Gut, dass ihre Gespräche an diesem Abend allesamt so hypothetisch waren, dass solche Hindernisse im Grunde scheissegal waren. Seine Vermutung dazu, dass sie für weniger arrogante Männer sowieso unantastbar war, lachte sie gleich wieder bestens amüsiert weg. "Ach was, du hast keine Ahnung - so schlimm bin ich gar nicht. Eigentlich bin ich ganz umgänglich. Pflegeleicht. Kompromissbereit. Hör auf, mich hier zur Furie zu machen", winkte sie ab, wobei wohl nicht mal die Hälfte von dem stimmte, was sie erzählte. Vielleicht war sie das mal gewesen. Aber jetzt... eher nicht mehr. Ein weiterer Grund, das mit der Liebe den anderen zu überlassen, sie war schlicht nicht für eine Beziehung gemacht. Brauchte ihre Freiheiten, ging gerne ihren eigenen Weg, wollte niemanden, der sich ständig an sie dranhängte und Zeit mit ihr verbringen wollte, wenn ihr Kopf in tausend anderen Dingen hing. Also nein, nicht umgänglich. Pflegeleicht schon - wie gesagt, sie schätzte Abstand und Einsamkeit mindestens genauso wie die Gesellschaft ihrer Mitmenschen. und Kompromissbereit... höchstens teilweise. Sie würde niemals ihre Arbeit zurückstecken für einen Mann. Für etwas so Banales wie Liebe. Dafür hatte sie zu viel Verantwortung, dafür war es ihr zu wichtig, das, was sie tat, richtig zu machen. Und ein Jobwechsel stand ja sowieso nicht zur Diskussion. Wenn es dann hingegen darum ging, wie man diese theoretischen gemeinsamen Minuten verbringen wollte, war sie hingegen sehr offen, war ihr egal. Jedenfalls in diesem Moment, in dem dieses Hirngespinst so weit weg war, dass sie nicht glaubte, dass es überhaupt je dazu kommen würde.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Mal sehen, ob die Nacht gut werden würde... ich hegte da ja noch immense Zweifel, aber ich würde sie eben einfach auf mich zukommen lassen. Was Anderes blieb mir ja ohnehin nicht übrig und vielleicht würde ich doch auch eine oder zwei Stunden Schlaf einheimsen können. Oder Fayes Nähe tat mir zumindest in dieser Hinsicht besser, als ich dachte, un sorgte sogar für noch etwas mehr Schlaf. Hielt ich leider aber doch für sehr unwahrscheinlich. "Schlaf gut.", murmelte ich also noch zu ihr runter, bevor ich ihr einen sachten Kuss auf die Stirn gab. Die konnte ich nicht mehr verfehlen, auch in der Dunkelheit nicht, solange ich meine Hand noch an ihrem Hinterkopf hatte. Diese löste sich dann aber auch von ihrem weichen Haar und fand stattdessen wieder die Position an ihrer Seite, während ich mit der anderen Hand nach der Decke griff, die ich persönlich nicht brauchen würde. Aber vielleicht fühlte Faye sich wohler, wenn sie es etwas kuscheliger hatte... keine Ahnung, das war irgendwie so ein Frauending. So weit in der Decke einkugeln, wie es nur möglich war. So lag die Decke wohl auch mehr auf ihr, als auf mir, wobei ich sie auch nicht allzu hoch zog, weil ich eben nicht wusste, wonach ihr war. Die Brünette konnte sie ja noch höher ziehen, wenn ihr danach war. Wie erwartet verlief die Nacht ziemlich ernüchternd. Die junge Frau an meiner Seite schlief irgendwann ein und ich überlegte auch wirklich schon kurz darauf, als ich sicher war, dass sie recht tief schlief - der Blutverlust kam mir sicher zu Gute -, ob ich nicht wirklich gehen sollte. Gleichzeitig war ich mir aber eben auch fast sicher, dass ein anderes Bett keine wirklich spürbare Besserung brachte und so blieb ich doch noch eine ganze Weile liegen. Es musste sicher schon zwei Uhr gewesen sein, als ich dann das erste Mal der Müdigkeit unterlag und einnickte, aber durchschlafen tat ich auch nicht, wachte zwei oder drei Mal aus einem gemeinen Traum heraus wieder auf und lag dann erneut einige Minute schlaflos auf dem Feldbett. Alles in Allem also absolut keine erholsame Nacht, aber das hatte ich auch gar nicht erwartet. Gegen 4.30 Uhr - vielleicht auch etwas früher oder später, so genau konnte ich die in der Dunkelheit nur blassen Zahlen auf dem Funkwecker nicht erkennen, aber vorne standen definitiv eine Null und eine Vier - verabschiedete ich mich dann von ihr und quälte mich die letzten paar Minuten in meinem eigenen Bett herum, bevor der morgendliche Appell mich wieder aus dem Dösen riss. - - Le Zeitsprüng x'D - - Die zwei Monate zogen sich eine gefühlte Ewigkeit hin. Immerhin hatte ich dabei aber reichlich viel Zeit zum Nachdenken, ohne mich von Fayes Anwesenheit dabei unter Druck gesetzt zu fühlen. Das erste Mal seit Langem konnte ich während den meisten Einsätzen tatsächlich wieder abschalten, auch mein Training nach der langen Zwangspause wieder mehr steigern und mich wieder lebendiger fühlen. Der Schlaf und das wirklich regelmäßige, ausreichende Essen kamen aber trotzdem erst nach über einem Monat wieder zurück. Während der erste Abschnitt der Abstinenz mich eher noch gequält hatte, war es mir kurz nach der Halbzeit endlich vergönnt, mich wieder fast normal zu fühlen und wieder rational zu denken. Auch mit Fayes Vergehen weitgehend abzuschließen, weil der Drang, sie endlich wieder in meine Arme zu schließen, von Tag zu Tag penetranter wurde und den Rest Stück für Stück weiter ins Jenseits rücken ließ. Vergessen tat ich es natürlich nicht, aber noch vor ihrer Rückkehr ins Camp war ich mir sicher, dass es definitiv nicht mehr derartig zwischen uns stehen würde, wie es das vor ihrer Abfahrt getan hatte. Ich hatte einen Weg gefunden, meinen Frieden damit zu schließen und das war Alles, was in dieser Hinsicht noch relevant war. Jetzt war es gegen 9.30 Uhr, ein bisher wie immer sehr sonniger, warmer Tag. Aryana war so gnädig gewesen, mir auf eine leise, fast kleinlaute Bitte hin - es war mir einfach unangenehm es auszunutzen, dass Faye die Schwester des Sergeants war - zumindest an diesem Morgen frei zu geben, mich erst am Nachmittag wieder einzusetzen, damit ich ein oder zwei Stunden Zeit hatte, mich ihrer Schwester zu widmen. Ein paar Worte mit ihr wechseln zu können, sie in meine Arme zu schließen... sie zu küssen. Denn der Gedanke daran gruselte mich gar nicht mehr, viel mehr baute sich in den letzten Tagen ein immer größer werdendes Verlangen in mir auf, endlich wieder ihre weichen Lippen auf den meinen zu spüren. Da saß ich also. Meinen Hintern auf dem etwa einen Meter hohen Betonklotz geparkt, der sich um die Halterung der einige Meter hohen Fahnenstange mit der amerikanischen Flagge schlang, während ich wieder unruhig mit dem Bein wippte und einfach nur darauf wartete, dass endlich der Wagen durchs Tor rollte, der mir die Brünette zurückbrachte.
Na aber wenn es doch lange her war, war Aryana jetzt sicher nur noch empfänglicher für Alkohol. Es würde noch wenigere Tropfen benötigen als sonst, um eine Frau wie sie einem Schwips auszusetzen und ihre sonst fast immer strenge Gefühlslage etwas zu lockern. Aber war eigentlich auch egal - hier gab es keinen Alkohol und passieren würde es auch nie, da waren wir uns beide wohl sehr sicher. Sonst würden wir vermutlich nicht so heillos Späße darüber machen, sondern das Thema eher umgehen. "Challenge Accepted.", sagte ich zu diesem Thema erst einmal nur noch und wackelte mit den Augenbrauen, bevor ich den Blick grinsend auf den Boden mit der vereinsamten Coladose sinken ließ, die verloren ziemlich mittig im Turm herumlag. Aha. So schlimm war sie also gar nicht. Das war mir jetzt aber neu. Sie hatte mir schon sehr oft bewiesen, dass sie sehr gern furchtbar stur war und noch dazu höllisch reizbar - in Kombination mit den gleichen Eigenschaften bei mir war auch das jedes Mal wie pokern. Außer jetzt, außer heute. Als pflegeleicht oder kompromissbereit würde ich aber keine dieser beiden Eigenschaften einstufen. Sonst wusste ich nicht allzu viel über Aryana, genauer konnte ich es also auch gar nicht beurteilen. Aber was die Brünette mir bisher von ihrem Charakter gezeigt hatte, kam doch eher einer anspruchsvollen, schwierigen Freundin, Ehefrau oder was auch immer entgegen, als einer Frau, die gerne zu Vielem Ja und Amen sagte, um ihren Kerl damit glücklich zu machen. "Also darüber könnten wir uns jetzt vermutlich streiten..", stellte ich amüsiert fest, wobei mir natürlich absolut nicht der Sinn danach stand, jetzt wirklich einen Streit anzufangen und sie auf ihre Fehler hinzuweisen. Heute nicht. "Aber hey, vielleicht hab ich ja ein Faible für Frauen mit Dachschaden.", meinte ich schulterzuckend, wobei das Grinsen weiter bestehen blieb. Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung, ob das nur ein Witz war, oder wirklich der Wahrheit entsprach. Immerhin war es mir in Hinsicht auf Frauen doch bisher fast ausschließlich nur um Sex gegangen und dafür brauchte ich als Kerl auf der anderen Seite eigentlich nur einen gut aussehenden Körper und etwas Beweglichkeit, Ansprüche an den Charakter stellte ich da wenig bis gar nicht. Meine Worte könnten theoretisch gesehen also durchaus nahe an der Wahrheit liegen - aber ernst meinte ich es natürlich trotzdem genauso wenig wie den anderen Mist davor, ganz gleich ob da nun was dran sein könnte, oder auch nicht.