Auskennen war vielleicht etwas übertrieben, aber es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Fuss in ein Fitnessstudio setzte oder eine Langhantel stemmte. "Vielleicht nicht mega gut, aber ich kenn die Basics und kann mich bestimmt auch beschäftigen, ohne dass du mir jedes Gerät und jede Technik erklären musst", meinte sie zuversichtlich. Als sie für die Army trainiert hatte, hatte das Gewichte heben auch zu ihrem fetten Trainingsplan gehört. Seit da hatte sie es zwar nie wieder getan, aber wenn sie sich davor ein paar Videos anschaute, um nicht ganz verloren dazustehen, sah sie eigentlich kein Desaster kommen. Vielleicht hätte sie sich in ihrer Pause besser danach erkundigt, wie viele Kilos er im Kraftraum stemmte - seine Tonlage legte nämlich nahe, dass die Frage, die sie stattdessen gestellt hatte, seiner Meinung nach absolut in die falsche Richtung ging. Nicht gerade überraschend. Aber seine Reaktion war trotzdem nicht abschreckend genug, als dass sie sich für einen unmittelbaren Rückzieher entschieden hätte. Denn sie hatte gefragt, ob er ihr sagen wollte, woran er dachte. Es war nicht so, als wären die drei Worte, die sie zu hören bekam, irgendwie aussagekräftig - aber sie waren kein Nein und das war das Einzige, was sie hörte und gerade mehr oder weniger entscheidend war. Ihre Mundwinkel zuckten unter einem schwachen Lächeln, das hauptsächlich von seiner sturen Art ausgelöst wurde. Und eben der Tatsache, dass er nicht Nein gesagt hatte, denn das könnte sie ganz einfach auch so interpretieren, dass er eigentlich reden wollte, es ihr aber nicht so leicht machen wollte. Weil er erst wissen wollte, ob sie sich wirklich für ihn interessierte und weil er ganz allgemein nicht der Typ war, der sofort mit irgendwas auspackte, ohne dass man davor ordentlich gebohrt und sich bestenfalls noch gestritten hatte. Und nein, das sollte nicht heissen, dass sie glaubte, er würde sich gerne streiten. "Ach..? Und was davon erzählst du mir?", hakte die Brünette weiter nach, ohne den offenen Blick von Mitch abzuwenden. Wahrscheinlich wäre Gar nichts die bevorzugte Antwort auf diese Frage, aber sie liess sich gerne überraschen. Je nach dem wie sehr die Stimmung jetzt gleich kippte, könnte sie schon auch konkretere Fragen stellen, aber irgendwie war da das Risiko dann eben auch grösser, genau in der falschen Ecke grübeln zu wollen. Und dann machte er komplett dicht, bevor sie einen Einzigen Millimeter weiter gekommen war. Faye wandte darum auch den Blick wieder von ihm ab, blickte stattdessen geradeaus über die kahlen Felder und Bäume, die sich bis zu den ersten Häusern erstreckten. Sie winkelte die Beine wieder an und stützte die Ellbogen darauf ab, lehnte sich etwas vor, um ihr Kinn auf ihren Händen abzusetzen. Es war wohl offensichtlich, dass sie keine Psychologin war - sonst wüsste sie dieses Gespräch bestimmt um Einiges geschickter zu steuern. Aber dieses Studium würde sie sich lieber nicht antun - schlicht auch einfach deshalb nicht, weil sie selbst nicht am richtigen Punkt stand, um andere Menschen zu therapieren. Sie konnte reden, war verständnisvoll und gefühlt endlos emphatisch, aber sie war auch verletzlich und zu schnell verunsichert, wenn sie dann ein unschönes Echo erntete. Nicht unbedingt bei Mitch, da würde es sie wohl einfach runterziehen, weil sie ihm nicht helfen konnte, obwohl sie das so gerne tun würde. Sie wusste ja, dass seine Impulsivität und die daraus resultierenden Ausbrüche nicht unbedingt gegen sie gerichtet wären - falls es dazu kommen sollte. Aber sonst... Nein, keine gute Karriereidee für sie. "Was ist im Moment der beste Teil deines Lebens?", stellte Faye nachdenklich eine zweite Frage, ohne dabei wieder zu ihm rüber zu schauen. Gut möglich, dass er auch darüber nicht reden wollte... Aber fragen konnte sie trotzdem.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Die Voraussetzungen dafür, irgendwann in Zukunft gemeinsam den Weg ins Fitnessstudio anzutreten, schienen nicht allzu schlecht zu sein. Was das anging würde ich mich jetzt aber definitiv noch nicht festlegen, sondern es ziemlich sicher am Ausgang des heutigen Treffens festmachen. Wenn ich beim Indoor-Sport tendenziell damit rechnen musste, dass die zierliche Brünette die kurzen Pausen zwischen den Übungen stetig dazu nutzen wollen würde, sich als meine Hobby-Therapeuten aufzuspielen, konnte ich nämlich wirklich bestens darauf verzichten. Alleine Gewichte zu stemmen mochte zwar auch nicht sehr unterhaltsam sein, aber das war immer noch besser, als mir auch das bisschen an positivem Effekt, den der Sport noch auf mich hatte, ebenfalls ruinieren zu lassen. War ja nicht so als hätte ich noch irgendein anderes, halbwegs gesundes Ventil. Der Alkohol vergiftete mich nur noch mehr, aber anders bekam ich den Kopf kaum noch leer, wenn wir Zuhause waren. Es war gerade bei einer Person wie mir nicht ungefährlich, diesen Dienst an einen giftigen Botenstoff abzugeben und nüchtern betrachtet wunderte es mich tatsächlich, dass ich noch in keiner Schlägerei geendet war. Vielleicht hätte ein Bier bei diesem Gespräch geholfen, auch wenn ich ganz genau wusste, dass ich das nicht denken sollte. Ich konnte ja nicht für den Rest meines Lebens betrunken meine Probleme lösen, sondern musste das auch nüchtern hinbekommen. Trotzdem löste Fayes Nachhaken zuallererst ein genervtes Seufzen und ein flüchtiges Augenrollen aus, als ich den Kopf in den Nacken kippen ließ und ihn dann in einer fast fließenden Bewegung zur anderen Seite wegdrehte. Faye tat sich leider wirklich keinen Gefallen damit, sich in die ganze Sache einzumischen. Andererseits sollte ich mich an dieser Stelle wohl allem voran selbst fragen, warum ich trotzdem zugesagt hatte. Denn ich hatte gewusst - oder zumindest stark damit gerechnet - dass sie es versuchen würde und dennoch eingewilligt, sie zu treffen. Es lag wohl einfach daran, dass ich eigentlich doch darüber reden wollte. Eben der Teil von mir, der seit Jahren schon ums Überleben kämpfte. Der noch nicht ganz aufgegeben hatte, dass ich irgendwie die Kurve kriegen konnte, obwohl ständig die dunklen Schatten in meinem Schädel das Ruder an sich rissen. Ich wollte gerne dieser Teil von mir sein. Der, von dem Faye das letzte Mal auf dem Balkon schon gesprochen hatte. Leider war er immer unbarmherzig in der Unterzahl, wenn es zum Kampf auf dem Minenfeld in meinem Schädel kam. Ich hatte Faye noch nicht einmal auf die erste Frage geantwortet, als sie eine zweite nachschob. Eine, die ich tatsächlich nicht beantworten konnte, weil mir einfach nichts dazu einfiel. Es gab nichts, was ich an meinem Leben mochte. Schier alles hatte einen bitterbösen Beigeschmack, selbst wenn es mich kurz mal zum Lachen brachte. Vor ein paar Monaten hätte ich noch geantwortet, dass Aryana das beste war, was mir jemals passiert war und es war nicht so, dass sich an meiner Sichtweise diesbezüglich etwas geändert hatte. Jedoch tat auch sie anzusehen inzwischen ausschließlich weh, weil sie mir täglich vor Augen hielt, wie sehr ich in meiner eigenen Existenz und vor allem auch als ihr Freund versagte. "Nichts, Faye. Gar nichts. Es gibt nichts, was mir an meinem Leben gefällt.", stellte ich also trocken fest. Klang dabei bitter ironisch und richtete anschließend mit einem kaum sichtbaren Kopfschütteln den Blick zurück nach vorne. Sah bedeutend lieber in die Ferne, als der Brünetten ins Gesicht zu sehen - war dementsprechend auch froh darüber, dass sie davon absah mich anzusehen. "Aus genau diesem Grund gibt es auch nur sehr wenig zu erzählen, das du gerne hören möchtest. Ich hab's mit deinen Tipps versucht und nichts davon hat langfristig effektiv funktioniert, weswegen ich jetzt wahrscheinlich hier sitze." Es war kein Vorwurf und klang in meinen Augen auch nicht so, aber man könnte es wohl durchaus so auffassen. Ich wusste, dass Faye es damals nur gut gemeint hatte und für eine Weile hatten Aryana und ich es auch noch einigermaßen hinbekommen, diesen Ratschlägen zu folgen. Sie reichten halt nur leider nicht ansatzweise dazu aus, mich auf einem angemessenen Level von klaren, nützlichen Gedanken zu halten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Die nicht ganz stille Stille versprach ziemlich deutlich, dass seine Antwort nicht positiv ausfallen würde. Eigentlich hätte sie darauf gar nichts mehr hören müssen. Aber er war trotzdem so nett, ihr seine Antwort auch noch in Worten verpackt zu Ohren kommen zu lassen. Ja... das klang nicht reizend. Eigentlich hätte sie das wohl erwarten sollen, aber irgendwie... irgendwie hatte sie geglaubt, dass es da doch noch irgendwas geben musste. Vielleicht weil sie naiverweise davon ausgegangen war, dass jeder Mensch immer irgendwas haben musste, an dem er noch festhalten konnte. Weil wenn das nicht so war, dann machte es ja wirklich keinen Sinn mehr, noch länger festzuhalten, oder? Ein durchaus beunruhigender Gedanke, bei dem sich auch sofort alles in ihr zusammenzog. Faye neigte einen Moment angespannt den Kopf zur Seite, rieb ihr Ohr an ihrer Schulter im Versuch, dem Druck im Kopf Abhilfe zu schaffen. Auch hatte sie wieder begonnen, unsicher auf ihrer Unterlippe herumzubeissen und ihre Finger zu kneten. Wahrscheinlich war es dumm gewesen, einfach davon auszugehen, dass es Mitch mittlerweile bestimmt besser gehen musste, oder? Sie hätte auch früher auf die Idee kommen können, bei ihm direkt nachzufragen. Nicht dass sie davon ausging, ihn davor retten zu können oder so, aber... was auch immer. Sie war sowieso nicht in der Lage gewesen, über ihren eigenen Gartenzaun hinaus zu blicken während der letzten Monate, also konnte sie das gleich wieder vergessen. Sie hätte nicht früher irgendwas tun können, genau wie es auch jetzt in den Sternen stand, ob sie überhaupt zu irgendwas kam heute. Die Chancen standen wahrscheinlich schlechter als 50/50 und der Druck war trotzdem definitiv da. Okay, nicht wahrscheinlich - sie standen sogar sehr sicher schlechter als 50/50, wenn sie ihm weiter zuhörte. Das letzte Mal als sie ihn mit hilfreichen Tipps versorgt hatte, waren diese nämlich seinen Aussagen zufolge ebenfalls mit der Zeit ins Leere verlaufen und hatten so auch nichts gebracht. Sie hatte aber nichts besseres auf Lager für ihn. Konnte ihm nur das erzählen, was bei ihr geholfen hatte, nach einer Ewigkeit. Und eigentlich war es naheliegend, dass sie beide nicht nach dem gleichen Rezept funktionierten... Aber es war leider auch frustrierend. Sie atmete tief durch und richtete sich wieder etwas aus ihrer zusammengesunkenen Position auf, streckte den Rücken und legte ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ab, blickte jedoch weiter geradeaus. "Und was gibt es zu erzählen, das ich nicht gerne hören möchte?", war die nächste, etwas trockene aber doch ernste Frage. Von ihr aus konnte er auch damit beginnen. Natürlich nicht bevorzugt, weil sich damit einfach weniger anfangen liess. Weil es besser war, wenn man von etwas Gutem, und war es auch ein noch so winziger Zipfel, ausgehen und darauf aufbauen konnte. Aber diese Option war nicht geboten. Und darum änderte Faye nochmal ihre Herangehensweise, wartete auch diesmal nicht, bis er ihre erste Frage beantwortet hatte, sondern zuckte mit den Schultern und richtete ihre Augen endlich zurück auf sein Gesicht. "Willst du überhaupt mit mir reden, Mitch? Ich bin wirklich bereit, mein bestes zu geben, dir zu helfen, auch wenn du nicht glaubst, dass ich das kann und die Chancen gross sind, dass du damit Recht behältst. Aber ich möchte, dass du weisst, dass ich trotzdem für dich da bin. Ich hör dir auch gerne nur zu, falls dir das lieber ist. Wenn du etwas loswerden möchtest, ohne eine Antwort oder ein Urteil darauf zu hören. Aber wenn du nicht reden willst, dann stell' ich auch keine Fragen mehr und wir können schweigen oder uns weiter über Sport, Handtaschen oder Honigbienen unterhalten, ganz wies dir gefällt. Ich will dich nicht dazu zwingen und ich will auch nicht, dass du glaubst, dass ich dich jedes Mal mit Second-Hand-Therapy-Advice abspeisen will, wenn wir uns sehen.", legte sie ihre Karten offen, liess es damit ganz bei ihm, wie dieses Treffen sich weiter entwickelte. Sie würde ihn sehr gut verstehen, wenn er ihr nun erklärte, dass er tatsächlich gar keine Lust hatte, mit ihr über seine Probleme zu reden. Er befasste sich wahrscheinlich sonst schon so gut wie 24/7 damit, vielleicht wollte er wirklich lieber einmal so tun, als wäre alles gut..? Normal? Als wäre sein Leben kein Chaos und als würde er hier einfach mit ihr Laufen gehen, weil sie Freunde waren und beide etwas frische Luft geniessen wollten.
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Naja, auch nichts? Es war nicht so als würde ich ihr lieber das erzählen, was sie nicht hören wollte, als ihr irgendwas zu sagen, das ihr womöglich weniger quer im Magen lag. Faye schob ohnehin gleich schon wieder die zweite Frage nach, die in meinen Augen auch deutlich essentieller war. Eben weil es gar nicht so war, dass ich nicht reden wollte. Ich wusste ja sogar, dass ich das über kurz oder lang tun musste, um meiner Seele Linderung zu verschaffen. Das änderte nur eben nichts daran, wie schwer ich mir damit tat. Erst einige Sekunden, nachdem die junge Frau mit ihren Worten zum Ende gekommen war, suchte ich den Blick in ihre Augen. Musterte den Ausdruck darin und anschließend auch ihre gesamte Mimik, danach ihre Körperhaltung. Versuchte auf diese Weise die Antwort darauf zu finden, warum ich mir bei der zierlichen Brünetten weniger schwer damit tat rauszurücken, als bei ihrer älteren Schwester. Es fühlte sich falsch an und doch war es so. Wenn Aryana mich danach fragte was los war oder ob ich mir irgendwas von der Seele reden wollte, spürte ich innerlich von der ersten Sekunde an förmlich das schwere Abschottungsgeschütz vorfahren. Bei Faye war das anders, der Drang der Ausweichens nicht so unerschütterlich, auch wenn ich ihr genauso wenig in vollem Umfang das Herz ausschütten wollte. Es fiel mir aktuell noch schwer ihr zu glauben, dass sie nicht grundsätzlich gerne immer ein kleines bisschen nebenbei die Therapeutin spielen wollte, wenn wir uns sahen. Wahrscheinlich deswegen, weil sie das damals auf ihrem Balkon so gründlich getan hatte. Sie müsste mich diesbezüglich erst vom Gegenteil überzeugen, was wiederum weitere Treffen voraussetzte. Das Schweigen hatte wieder eine kleine Weile angehalten, weil ich einfach einen Moment brauchte, um mir darüber klar zu werden, was ich darauf antworten wollte. Ich auch die Folgen dessen abwägen musste, weil sie nicht unerheblich waren. Ich atmete erst noch einmal tief durch, den Blick inzwischen geradeaus gerichtet, bevor ich nach einer schieren Unendlichkeit den Mund aufmachte. "Ich glaube eigentlich schon, dass es mir helfen könnte, mit dir zu reden.", stellte ich allem voran klar. Eben gerade deswegen, weil Faye sich sehr viel leichter damit tat sich ihrem Partner anzuvertrauen als ich, konnte sie mir noch mit am wahrscheinlichsten helfen. Zumindest rein logisch betrachtet, weil das mein größtes Problem war. "Es fühlt sich nur einfach nicht richtig an dir lang und breit zu erzählen was in mir vor sich geht, wenn ich Aryana gegenüber kein einziges Wort rauskriege.", sprach ich weiter. Hörbar grübelnd, weil mir dieser innere Konflikt keine Ruhe ließ. Dieses Problem konnte mehrere Ursachen haben und ich wusste nicht, wie ich den Kern des Ganzen herauskristallisieren sollte. Nach unserem letzten heftigeren Streit hatte ich noch exzessiver als sonst darüber nachgedacht, was mich dazu bewegen könnte, mich meiner Freundin wieder zu öffnen, weil ich das ja durchaus schon ein oder zwei Mal halbwegs hinbekommen hatte, war aber natürlich zu keinem Ergebnis gekommen. So wie all die Male zuvor eben auch. "Ich weiß einfach nicht woran es liegt, dass es mir dir gegenüber verhältnismäßig viel leichter fällt zu reden... und das nervt mich, weil ich nicht will, dass das so ist und ich aber auch nicht weiß, wie ich's ändern soll.", redete ich weiter, wobei der letzte Teil meiner Worte hauptsächlich mir selbst galt. Deswegen klang ich auch von Wort zu Wort immer grummeliger, weil die anhaltende Selbstkritik in meinem Kopf am schwersten wog. Ich hob die Hand an und massierte mir einen Moment lang mit geschlossenen Augen das Nasenbein, um dadurch die aufkommende Unruhe in mir bemüht in Schach zu halten. Vielleicht war es einfach so, dass man sich in Gegenwart bestimmter Menschen weniger angreifbar fühlte, weil sie eine gewisse Ausstrahlung mit sich brachen. In Fayes Fall wäre das eine ziemlich defensive und ruhige - oder zumindest eher weinerliche - Art, die sie tunlichst davon abhalten ließ, einfach stumpf zurück zu wettern, wie Aryana und ich das so oft praktizierten. Ich konnte meiner Freundin ja aber schlecht sagen, dass sie ihr Verhalten komplett umkrempeln sollte, nur damit ich die Schnauze aufbekam. Außerdem wollte ich das auch gar nicht. Ich liebte die Brünette für ihre starke, ausdauernde Ader und könnte mit einer Faye an meiner Seite im Gegenzug nicht viel anfangen.
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Er schaute sie nicht sofort an, aber als er es dann tat, wirkte er nicht so, als hätte er bereits eine definitive Entscheidung bezüglich seiner Antwort getroffen. Eher so als müsste er zuerst analysieren, ob er es denn nun für eine gute Idee halten sollte, sie über seine Probleme ins Bild zu setzen. Offensichtlich bestand die Option aber tatsächlich, sonst müsste er nicht so lange darüber nachdenken. Auf der einen Seite war das gut, auf der anderen aber auch sehr bedenklich, denn wenn Mitch tatsächlich ernsthaft darüber nachdachte, mit ihr über sein Leben zu reden, musste jenes echt rundum beschissen laufen. Nicht weil er sie so hasste, sondern einfach, weil er ihrer Einschätzung zufolge kein Mensch war, der sich gerne über seinen eigenen Ballast unterhielt, wenn er ihn auch selber loswerden konnte. Sie kannte das ganz wunderbar von ihrer Schwester - da wurde nicht über Probleme geredet, solange man glaubte, sie alleine lösen zu können. Erst wenn sie so verzweifelt war, dass sie wirklich nicht mehr wusste, wie sie ohne Hilfe den Weg aus dem Loch wieder finden sollte, wurde vielleicht mal sachte nachgefragt... Meistens jedenfalls. Es gab schon auch Tage, an denen Aryana sie in ihr Gefühlsleben blicken liess, ohne, dass sie gerade am Rande der nächsten Existenzkrise kratzte, aber es war eben nicht die Norm. Noch viel weniger dürfe es bei Mitch der Fall sein, der definitiv nicht mit ihr verwandt war und zu dem sie lange keinen so persönlichen Draht hatte wie zu ihrer Schwester. Nun... hier wurde jedenfalls mit aller Genauigkeit abgeklärt, wie denn nun die Lösung der Situation aussehen sollte - entsprechend lange durfte Faye auch auf eine Antwort warten. Auch sie hatte den Blick längst wieder nach vorne gerichtet, als er den ersten Teil seiner Denkergebnisse mit ihr teilte. Ein schonmal irgendwie überraschendes Resultat, wenn man - wie sie beide seit vorhin - wusste, dass die Effekte ihres letzten Gespräches eben nicht besonders lange hingehalten hatten. Und trotzdem hatte es ihm scheinbar irgendwie geholfen, was Faye doch freute. Wenn sie schon sonst nichts tun konnte, dann vielleicht wenigstens das... Wäre da nicht die Blockade, die Mitch wenig später zur Sprache brachte. Ein durchaus verständliches Laster, das sie zu tausend Prozent nachfühlen konnte, weil sie sich kaum vorstellen könnte, mit jemand anderem zuerst über ihre Probleme zu reden, als mit Victor - wenn er denn bei ihr wäre jedenfalls. Und als Victor das einmal mit Aryana getan hatte, hatte sie das im ersten Moment bekanntlich auch nicht so gut aufgefasst. Also ja, sie verstand seine Gefühlslage, auch wenn seine Sorge zumindest in einem Punkt sicher absolut unbegründet waren - falls er sich überhaupt Sorgen darüber machte. Denn Aryana würde das bestimmt nicht schlimm finden. Sie wusste ja auch, dass Faye sich mit Mitch verabredet hatte und würde jeglichen daraus resultierenden Fortschritt ohne Zweifel mit offenen Armen willkommen heissen. "Naja... Bei mir hast du nichts zu verlieren. Es kann dir mehr oder weniger egal sein, was ich von dir denke. Weil du mich nicht liebst und mich nicht enttäuschen kannst. Ist es da nicht gewissermassen normal, dass es weniger weh tut, mir zu sagen, was alles beschissen ist und wofür du keine Lösungen siehst, als gegenüber der Frau, der du gerne die Sterne vom Himmel pflücken und eine wunderschöne Zukunft aufbauen möchtest?", redete sie leise vor sich hin und beantwortete so zuerst seine letzte indirekte Frage, die er ihr so natürlich nicht gestellt hatte. Aber der Pause nach zu urteilen, hatte er ihr trotzdem Raum zum Sprechen gelassen. Und sie nutzte diesen natürlich gerne, um zu versuchen, seinen inneren Inkongruenzen entgegenzuwirken. So gut das eben ging, sie war sich selbst bei jedem Wort ein bisschen unsicher, ob es zu seinen Problemen passte oder nicht. Weil sie leider nicht in seinen Kopf schauen konnte, um die gekappten Drähte, die ihn daran hinderten, sich zumindest mit Aryana offen zu unterhalten, mal zu reparieren. Und dabei vielleicht auch gleich den Serotoninspiegel zu prüfen, der definitiv nicht so aussah, wie er es tun sollte. "Ich verstehe natürlich, dass das nicht optimal ist und es passender wäre, wenn du dich mit Aryana unterhalten könntest... Und das ist natürlich auch das Ziel und ich bin mir sicher, dass ihr das erreichen werdet. Aber ich kann dir gleichzeitig zu hundert Prozent versichern, dass es Aryana lieber wäre, wenn du mit irgendwem darüber redest, als wenn du es ganz für dich behältst und darin untergehst. Ihre Worte, nicht meine", ihre Stimme blieb verhältnismässig leise, während Faye noch ein paar Worte anfügte und kurz an dem Gedanken hängen blieb, dass es wirklich beschissen war, dass Victor nicht hier war. Vielleicht wäre es einfacher für Mitch, sich mit Victor zu unterhalten, als mit der Schwester seiner Freundin. Vielleicht könnte sie ihm auch vorschlagen, ihn anzurufen. Aber vielleicht war das auch wieder eine ganz dumme Idee, wo Victor doch gerade dabei war, sich selbst zu heilen... Sich mit Absicht nicht in Reichweite dieser Probleme aufhielt. Wahrscheinlich wäre es nicht sehr nett, ihn auf diese Art doch wieder mit rein zu ziehen, auch wenn sie glaubte, ihn dringend zu brauchen. Wie jeden Tag halt.
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Dagegen ließ sich nicht viel einwenden. Es war eben schon so, dass es mich weniger kümmerte, wie Faye am Ende mit den von mir gewonnenen Informationen umging, als wenn ich Aryana den ganzen Mist anvertraute. Trotzdem stimmte es aber nicht, dass mir egal war, wie die jüngere der beiden Schwestern darauf reagieren oder was sie anschließend von mir halten würde. Sie hatte mir damals auf dem Balkon gesagt, dass die wirklich wichtigen Menschen um mich herum mir längst vergeben hatten. Es spielte keine Rolle wie oft ich mir selbst einzureden versuchte, dass diese Tatsache das einzige war, was für mich zählen sollte. Dass es mir egal sein konnte, was der Rest der Welt von mir hielt. Eben weil es keinen Unterschied machte, solange ich mir selbst nicht vergeben konnte. Aber wie könnte ich das? Wie, wenn ich doch schon wieder nur ein stumpfes Werkzeug verkörperte, das dem falschen Menschen in die Hände gefallen war..? Es war alles genauso wie vorher. Vielleicht spielte ich in Easterlins Armee nicht dieselbe Rolle wie zuvor, spielte der gegnerischen Seite keine potenziell wichtigen Informationen zu - dennoch war ich ein Verräter. Übte jedes Mal Verrat an mir selbst aus, wenn ich das Gewehr für ihn in die Hand nahm. "Den Mond, nicht die Sterne... die sind nicht genug.", murmelte ich in Gedanken vor mich hin, den Blick leer in die Ferne gerichtet. Faye konnte den Sinn hinter diesen Worten zwar nicht so gut verstehen wie ich selbst, weil sie nichts von dem für ihre Schwester gesungenen Lied wusste, aber das war egal. Aryana verdiente mehr als ein paar Sternchen, verdiente mehr als mich. Auch wenn sie das nicht gerne sehen und noch viel weniger von mir hören wollte. "Und ich glaube nicht, dass es nur das ist. Dafür kümmert es mich trotzdem zu sehr, was du über mich denkst.", hängte ich wenige Sekunden später an, als mein Blick langsam aufklarte und ich mich aus der schönen Erinnerung zurückzog. Die brachte mir nichts, wenn ich die Gegenwart nicht auf die Reihe bekam und hielt mich nur unnötig in einem Ideal fest, von dem ich gerade weit entfernt war es wieder mit meinen eigenen Händen zu formen. Die Worte, die als nächstes über Fayes Lippen kamen, sorgten unweigerlich dafür, dass meine Brust sich innerlich zusammenzog. Ihre Worte, nicht meine. Mir hätte wohl klar sein sollen, dass Aryana ihrer kleinen Schwester irgendetwas in dieser Richtung ins Ohr geflüstert hatte. Ich müsste lügen, um zu sagen, dass mir das gefiel, auch wenn ich es nachvollziehen konnte - sie war genauso verzweifelt mit der Situation wie ich selbst und inzwischen war ihr deshalb sicher so ziemlich jedes Mittel recht. Trotzdem konnte das in meinen Augen einfach nicht richtig sein und ich würde mich dementsprechend auch kaum besser danach fühlen. Eher schlechter, noch schuldiger. So jedenfalls meine Prognose, die mich leise in mich hinein schnauben und den Kopf schütteln ließ. "Mir ist es nicht lieber." Das war sicher nicht das, was Faye jetzt von mir hören wollte, aber da war ich eben sehr stur. Vielleicht war ich was das anging einfach zu egoistisch. "Ich will mich nicht jetzt für den Moment über Umwege einen Hauch besser fühlen", denn viel mehr als das würde wohl vorerst nicht passieren, so tief wie ich im Loch saß, "nur um mich dann Zuhause noch schlechter zu fühlen, wenn ich sie ansehe. Es ist so schon schlimm genug.", grummelte ich in mich hinein und beugte mich kurz darauf nach vorne, um die Ellenbogen auf den Knien abzustützen und den Kopf in die Hände zu legen. Daraufhin dauerte es nicht lange, bis ich mit dem rechten Bein leicht zu wippen anfing und damit meinen ganzen Körper in Bewegung brachte. Es tat immer weh, wenn ich daran dachte, wie sehr ich Aryana mit meinem inzwischen leider alltäglich miesen Verhalten verletzte. Es auszusprechen war leider nicht gerade angenehmer.
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Also den Mond. Für sie spielte das im Weiteren keine Rolle und sie wusste in diesem Moment auch nichts von der Geschichte, die hinter seine Aussage steckte. Entsprechend deutete sie die Worte einfach als Verstärkung ihrer eigenen Aussage. So wie er es eben betonte - dass die Sterne allein nicht reichten, er Aryana mehr bieten wollte. Es war gewissermassen süss und es half, den Glauben an eine bessere Zukunft nicht ganz zu verlieren, wenn er weiterhin betonte, was er mit seiner Freundin gerne haben würde. Natürlich war der Himmel und alles, was in der Nacht da oben leuchtete oder angeschienen wurde, unendlich weit entfernt. Aber es war jede Nacht zu sehen und bot Orientierung. Und es war nicht ganz unerreichbar... Auch wenn Mitch überhaupt nicht wusste, wie er jemals so hoch fliegen sollte. Faye atmete müde durch, wusste, dass zumindest ein Tei ihrer Worte vielleicht nicht so optimal gewesen waren... Oder auch schon. Falls sie damit verhindert hatte, dass er sich ihr öffnen wollte, dann war das ja nicht zwingend ein absoluter Misserfolg. Sie war ja nie mit der Erwartung hergekommen, dass er ihr überhaupt etwas erzählte. Auch wenn sie glaubte, dass es durchaus als positiv zu werten wäre, wenn er es tun würde. Er hatte aber noch was anderes gesagt, auf das sie zuerst eingehen wollte: Dass es ihm nicht egal war, was sie von ihm dachte. Sie hatte schon angenommen, dass es ihm nicht komplett am Arsch vorbei ging, auch wenn es das könnte. "Das ist gut. Aber warum ist es dir denn gefühlt nur dann nicht egal, wenn du eine negative Resonanz von mir erwartest? Wenn das für dich zählt, warum nicht auch das andere? Wenn ich dir sage, dass ich nicht glaube, dass du verloren bist und nie wieder die Sonne siehst, wenn ich dir sage, dass Aryana noch immer an dich glaubt und sie ganz sicher nicht weglaufen wird, wenn ich dir sage, dass ich noch immer sicher bin, dass ihr beide glücklich werden könnt? Ich weiss, dass das schwer zu glauben ist, gerade auch, weil ihr diesen Job habt, den ihr nicht einfach loswerden könnt...", normalerweise hätte sie noch irgendein Aber angehängt, doch ihr fiel nichts ein, weshalb der Satz eben nicht ganz fertig auslief. Sie war sich ziemlich sicher, dass Mitch sich gerade nicht an unfertigen Sätzen störte, dazu hatte er zu viele andere Sorgen. Hoffentlich keine, die damit zu tun hatten, was sie von ihm halten könnte, denn die waren unbegründet. Er würde in ihrem Kopf für immer der Mann bleiben, der sie und Victor vor dem Tod bewahrt und ihre Schwester gerettet hatte. Und wenn sie ihm das noch tausend Mal sagen musste, bis er es ihr irgendwann glaubte. Faye schwieg eine Weile, weil sie sich mindestens so viele Gedanken zu ihren Worten machen musste wie er. Es fühlte sich einfach so an, als stünden die Chancen, etwas minimal oder komplett Falsches zu sagen, ungefähr zwanzig zu eins. Oder hundert zu eins. Oder tausend? Jedenfalls war es schwer und sie verstand absolut, was Aryana ihr vor ein paar Tagen gesagt hatte, auch wenn sie hier hoffentlich nicht in einem Streit endeten. Mitch war offensichtlich verzweifelt und komplett angespannt, er hasste sein Leben aber sah keine Möglichkeit, etwas daran zu ändern. Diese Hilflosigkeit musste grausam frustrierend sein und auch sie hasste seinen Arbeitgeber dafür, dass er die fragile Psyche des jungen Mannes so gnadenlos weiter gegen die Wand geschmettert hatte, nur um Profit aus ihm und seiner Freundin zu ziehen. "Vielleicht würde es dir aber trotzdem helfen. Wie gesagt, du brauchst mir überhaupt nichts zu erzählen und wenn du das nicht möchtest oder dir sicher bist, dass es dir hinterher nur noch schlechter gehen würde, dann werde ich das so akzeptieren. Aber vielleicht fällt es dir leichter, mit Aryana zu reden, wenn du's davor schon einmal ausgesprochen hast", Faye sprach noch immer leise und hielt sich im Gegensatz zu ihm sehr still. Sie hätte ihm fast angeboten, dass sie ihrer Schwester auch was ausrichten könnte, falls er es einfacher fände, es so zu übermitteln. Aber irgendwie glaubte sie da nicht so dran, weshalb sie den Vorschlag zumindest fürs erste wieder verwarf.
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Das... war eine gute Frage. Vielleicht war negativ nicht ganz das richtige Wort. Denn eigentlich war nichts von dem, was Faye zu mir gesagt hatte, seit sie wusste, dass ich mental an einer Klippe entlang spazierte, wirklich negativ gewesen. Wohl einfach deswegen, weil sie instinktiv versuchte nichts zu sagen, was mir einen Schubs in die falsche Richtung verpassen könnte. Ich würde also eher sagen, dass es mir immer genau dann nicht egal war, was sie dachte, wenn sich ihre Meinung meiner eigenen Prognose nach nicht mit meiner eigenen decken würde. Wenn sie Dinge sagen könnte, die an sich nicht negativ waren, aber eben etwas formulierten, das mir nicht schmeckte und mich potenziell reizen könnte. Es war eigentlich auch gar nicht so unendlich unwahrscheinlich, dass Aryana und ich irgendwann ohne Ketten leben und glücklich werden konnten. Ich glaubte schon daran, dass wir beide durchaus wieder miteinander harmonieren und an einem Strang ziehen konnten - andernfalls wäre ich nicht mehr hier. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, wie ich es bis dahin noch aushalten sollte. "Wenn ich überhaupt nicht mehr daran glauben oder zumindest hoffen würde, dass die Geschichte ein wenigstens ansatzweise gutes Ende nehmen könnte, wäre ich nicht mehr hier.", murmelte ich, wobei sich der verbissene Unterton aber nicht aus meiner Stimme verlor. Ich war ohnehin nur halb bei der Sache, versuchte durchzuatmen und daraufhin das Wippen wieder einzustellen. Leichter gesagt, als getan. Denn mein Bein bewegte sich immer noch auf und ab, als die zierliche Brünette weitersprach. Mich noch einmal mehr oder weniger unverblümt dazu bringen wollte, ihr Irgendwas von dem Schutt auf meinen Schultern anzuvertrauen, was nicht unbedingt zur Beruhigung meinerseits beitrug. Wenig verwunderlich, angesichts der Situation und meiner vorherigen Worte. Obwohl mir augenblicklich nach einer zweiten Verneinung war, sprach ich das nicht aus, sondern hielt inne. Versuchte mich erst wieder ein wenig zu beruhigen, um nicht den nächsten Menschen gegen mich aufzuhetzen, der eigentlich auf meiner Seite stand. Langsam kam mein Bein dann zur Ruhe. Nur allmählich, aber schließlich versiegte das Wippen und ich ließ meine Hände sinken. Rieb sie einen Moment lang aneinander und sah dabei auf meine Füße hinunter. Musterte den Boden dazwischen, bis ich die Hände reglos ineinander liegen ließ und mit einem Seufzen schwer ausatmete. "Ja, vielleicht würde es das. Aber nicht so, wie ich im Moment drauf bin, Faye. Ich kann ja kaum zwei Sätze mit dir wechseln, ohne gefühlt schon an die imaginäre Decke zu springen... und ich will mich mit dir nicht auch noch streiten.", versuchte ich bemüht etwas sanfter zu sprechen, klang am Ende aber kaum anders als vorher. Gereizt, unterschwellig nervös. Ich meinte mich zwar daran erinnern zu können, dass die jüngere Cooper mir auf dem Balkon damals auch gesagt hatte, dass es schon irgendwie okay war sie anzuschreien, solange es mir danach besser ging, aber das sah ich eben ganz und gar nicht so. Schließlich konnte ich nicht für den Rest meines Lebens so durchs Leben gehen - jeden anschnauzen, dessen Gesicht oder Meinung mir nicht in den Kram passte. "Ich kann... ich weiß nicht, wie ich das in den Griff kriegen soll. Es war ja damals bei der Army schon schlimm... aber jetzt..." Ich atmete durch, schüttelte kaum sichtbar den schwer wiegenden Kopf ohne den Blick anzuheben. Es war offensichtlich, dass ich schon immer einen Hang zu aggressivem Verhalten an den Tag gelegt hatte. Mir war auch klar, dass ich nicht erst mental geschädigt war, seit ich im Knast gesessen hatte. Letzterer hatte jedoch zweifelsohne - wie bei so vielen anderen Häftlingen auch - das Schlimmste aus mir rausgekehrt. "Ich komm einfach nicht mehr runter. Da kann ich noch so viel joggen gehen oder arbeiten... Solange das so ist, komm ich sowieso auf keinen grünen Zweig, weil ich nicht klar denken kann.", grummelte ich vor mich hin und begann danach mit den Kiefermuskeln zu mahlen. Es war eben ein sehr blöder Kreislauf. Ich musste mich wieder auf die Lösungsfindung fokussieren, wenn ich aus diesem Loch raus wollte. Ich kam mit Gedanken in dieser Richtung aber nie zu einem brauchbaren Ergebnis, weil ich mich einfach nicht richtig darauf konzentrieren konnte und mir zu viel auf einmal im Kopf herumschwirrte. Dann war ich genervt und gereizt von mir selbst, weil ich wusste, dass ich es besser konnte... woraufhin ich wiederum wütend wurde, weil mir meine eigenen Emotionen durch die Finger liefen und ich mich immer wieder im selben Muster verlor. Man sollte also eigentlich meinen, dass mein Stolz an dieser Stelle schon genug gebrochen sein müsste, um mich endlich in die Hände eines fähigen Therapeuten zu begeben. Einen, der vielleicht was sinnvolleres als nicht wirkende Atemtechniken und Sport für mich parat hatte.
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Ihre Mundwinkel zuckten für eine Sekunde aufwärts, als sie seine Worte hörte. Eigentlich hatte sie natürlich bereits gewusst, dass er die Hoffnung nicht ganz aufgegeben hatte, aber es noch einmal von ihm zu hören, war trotzdem eine dieser rar gesäten guten Nachrichten, an die sie sich immer gerne klammerte. Faye sagte jedoch nichts mehr dazu, denn sie war sich relativ sicher, dass er bereits wusste, dass sie das gut fand und er dazu keine weiteren ermunternden Worte brauchte. Sie wollte die Sache ja auch nicht ins Lächerliche ziehen, sodass es am Ende klang, als möchte sie einem Welpen ein Kunststück beibringen, indem sie es bestimmt nur 3239 mal wiederholte. Ausserdem war er eh schon gereizt und bemühte sich jetzt schon darum, sich nicht auch noch mit ihr zu streiten. Das beste, was sie hier ihrer Meinung nach tun konnte, war, ihm in dieser Sache so weit wie möglich zu unterstützen, indem sie ihn zumindest nicht auch noch wissentlich auf die Palme brachte. Das war wohl das hochentzündliche Pulverfass, vor dem sie gewarnt worden war. Das weniger als einen minimalen Funken brauchte, um in die Luft zu gehen. "Weiss ich zu schätzen", gab die Brünette ganz unironisch bekannt, beschloss aber auch hier, nicht weiter auf seine Aussage einzugehen. Sie hatte ihm gesagt, dass er Reden durfte, hatte auch gesagt, dass er nicht reden musste. Wenn er der Meinung war, dass es ihm eben jetzt nicht half, dann war das eben so und sie würde diese vermeintliche Tatsache sicher nicht anfechten oder unbedingt ausdiskutieren wollen. Ausserdem redete er dann nämlich trotzdem. Vielleicht war das nicht die Sache, die er eigentlich zu erzählen hatte, aber es war eines seiner Probleme. Sehr gut möglich, dass es zu diesem Zeitpunkt sogar eines seiner Grössten war, weil es alle anderen ständig unter sich begrub oder mitzuverantworten hatte. Wenn man nicht denken konnte, konnte man nämlich auch keine Lösungen finden. "Warum bist du so entschieden gegen eine Psychotherapie?", sie stellte die Frage nach einer weiteren minutenlangen Schweigepause in einem ruhigen, neutralen Tonfall, weil es überhaupt keinen Vorwurf darstellen sollte und sie hoffte, dass er es auch nicht so aufnahm. Aryana war ja genauso und würde wahrscheinlich nie freiwillig einen Fuss in ein Therapiezimmer setzen. Ein weiterer Punkt, in dem sie und Mitch sich so grundsätzlich von Victor und Faye unterschieden. Faye würde sicher niemandem eine Therapie aufschwatzen, denn ohne Eigenmotivation waren die selten bis nie erfolgreich. Aber vielleicht gab es Gründe für diese Abneigung, die sich klären lassen würden. Vielleicht hatte er die Möglichkeit auch einfach lange nicht mehr in Betracht gezogen, weil sie für ihn so absurd klang. "Es gibt natürlich sehr viele unbrauchbare Fachpersonen und Therapiemethoden, aber vielleicht würde sich ja doch jemand finden lassen, der dir auf professioneller Ebene helfen kann und sich wirklich mit solchen Problemen und den gesuchten Lösungen auskennt. Ich will dir natürlich schon sehr gerne helfen, aber an Tipps kann ich dir nur das weitergeben, was ich halt so selbst zusammendichte und was man mir mal gesagt hat. Wobei Letzteres wenig erstaunlich nicht sehr viel mit Aggressionsproblemen, sondern hauptsächlich mit Traumabewältigung, Angst, Depression, Resilienz, Selbstzweifel und solchen schönen Sachen zu tun hat", beendete sie ihr Statement mit einer, möglicherweise etwas sarkastisch unterlegten, Aufzählung ihrer Leiden, zu denen die Aggression eben nicht gehörte. Einige oder alle dieser Punkte kannte Mitch zwar sicher auch - allem voran die Grausamkeit einer Depression - aber bei ihm drückte sich das meiste davon aufgrund ihrer doch reichlich unterschiedlichen Charakteren sehr anders aus als bei ihr. Das legte nahe, dass auch ihre individuellen Lösungen dieser Probleme verschieden aussahen. Sein beschissener Arbeitgeber sollte eigentlich sowieso wissen, dass er seine Leute kaputt machte und entsprechend diesem Berufsrisiko eine gewisse Vorsorge sicherstellen. Aber das behielt sie lieber für sich, sie würde diesen Halsabschneider nicht ins Gespräch bringen, solange er sich davon ausschliessen liess. Niemand hier brauchte noch mehr schlechte Laune.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das sollte sie besser auch, denn dieses Privileg wurde nicht jedem Menschen zuteil, der sich mir näherte und daraufhin an einer von fünf Milliarden möglichen Ecken meiner Persönlichkeit anstieß. Bei den meisten Leuten dachte ich nicht einmal darüber nach, ob es vielleicht riskant wäre, ihnen meine Wut entgegen zu schleudern. Eine Ausnahme dessen bildete inzwischen wohl nur noch das Arbeitsumfeld, weil ich mir weitere Ausbrüche dort nicht leisten konnte. Easterlin hatte mir unmissverständlich mitgeteilt, dass er rebellisches Verhalten meinerseits nicht mehr dulden würde. Ich hütete mich also davor, was aber leider auch nicht gerade dazu beitrug, dass ich Zuhause ruhig war. Viel mehr nahm ich die vorher unterdrückte Wut dann mit in die eigenen vier Wände, was sich - oh Wunder! - ganz und gar nicht positiv auf das Zusammenleben dort auswirkte. Vielleicht machte ich vor Faye nur Halt, weil ich mir den letzten Ausbruch ihr gegenüber nicht wirklich verzeihen konnte. Nicht als wäre das bei den Streits mit ihrer älteren Schwester anders - aber die fing eben nicht an zu weinen und gab auch nicht nach, sie würde niemals flüchten. Vielleicht versuchte ich sie auch einfach unterbewusst weiter von mir wegzutreiben, damit sie die vernünftige Entscheidung traf fortan alleine weiterzukämpfen. Als würde das wirklich irgendwann passieren... Faye war eine ganze Weile still. Das tat gut, weil mir das Zeit zum Durchatmen einräumte. Auch zum Nachdenken, wobei das kein Ende mit ihren Worten nahm. Viel mehr waren sie der Auslöser für noch mehr Wirrwarr, obwohl ich den Grund dafür kannte. Oder eher Gründe, denn da spielte sicherlich so einiges mit rein. Je mehr man sich selbst den Willen gegen Etwas rechtfertigen konnte, desto plausibler erschien er einem schließlich auch. Ich nahm mir wieder erst einen Augenblick Zeit für die Antwort, stets darauf bedacht nicht zu viel oder die falschen Dinge auszupacken. Auch wenn ich wusste, dass die zierliche Brünette mir ganz bestimmt nichts Böses wollte, würde ich Vieles gerne weiterhin falsch auffassen. "Weil ich schlechte Erfahrungen damit gemacht habe." Ich warf einen flüchtigen Seitenblick zu Faye rüber, sah aber wieder geradeaus bevor sich unsere Blicke treffen konnten. Es lag lange zurück, dass ich in Kontakt mit einem Therapeuten gekommen war. Bekanntlich prägte sich das, was man in jungen Jahren erlebte, aber leider am stärksten ins Gehirn ein, weil es genau diese Jahre waren, die einen auf das weitere Leben vorbereiten sollten. Wenn man in diesem Zeitraum also nichts als Scheiße mitmachte, war es schwer wieder den Glauben daran zu fassen, dass die Welt auch gut zu einem sein konnte. Dass andere Menschen nicht per se nur darauf aus waren, die Schwächen an mir rauszufiltern, damit ich angreifbar für sie war. "Außerdem sind Spezialisten in dem Bereich verflucht teuer... und ich glaube nicht, dass ich mit dem Therapeuten an der nächstbesten Ecke weiterkomme... erst recht nicht, wenn ich nur alle paar Wochen mal hin kann.", gab ich nach langem Zögern preis, vielleicht doch schonmal flüchtig mit dem Gedanken gespielt und deswegen kurz das Internet befragt zu haben. Ich war ja nicht blöd - wusste, dass ich mir selbst längst nicht mehr helfen konnte und offensichtlich auch Aryana das nicht konnte. Aber eine Therapie gestaltete sich bei mir nicht leicht - auch unabhängig davon, dass ich mich innerlich komplett dagegen sträubte. Schon nur um meine Lebensgeschichte aufzurollen, würden etliche teure Stunden nötig sein. Dazu kamen dann eben auch noch die Auslandseinsätze. Man sollte ambulante Therapie stetig wahrnehmen, weil mit jeder Lücke der Fortschritt wieder stückweise verloren gehen konnte. Ich versprach mir entsprechend wenig davon zwei Wochen jeweils einmal in eine Praxis zu marschieren und dann drei Wochen unterwegs zu sein, nur um danach wieder von vorne anzufangen. Ich konnte auch schlecht in einer freien Stunde im Ausland mal eben mit meinem Therapeuten telefonieren. Die Gefahr, dass das Irgendwer sah oder hörte, war viel zu hoch und Easterlin durfte das unter keinen Umständen erfahren. Ich drehte den Kopf nach einem langen stillen Moment zu Faye. "Du und Victor... ihr wisst alles voneinander, oder?", stellte ich ihr eine ziemlich aus der Luft gegriffene Frage. Durch die Therapiesache war mein Kopf unweigerlich wieder an den Punkt gekommen, wo ich feststellte, dass Aryana und ich nach wie vor nicht wirklich viel voneinander wussten. Klar, so ein paar grobe Eckdaten des Lebens des jeweils anderen hatten sich im Verlauf der Beziehung schon mal in einem Gespräch ergeben, aber dabei fehlten immer ungefähr alle Details. Also die Dinge, die eigentlich sehr wichtig waren. Die Dinge, die ich am liebsten von ihr wissen wollte und die Dinge, die sie von mir wissen sollte. Wir wahrten diese Grenze schon immer wie selbstverständlich wegen des Schmerzrisikos, aber es konnte nicht richtig sein. Nicht mehr, seit wir die freundschaftliche Ebene hinter uns gelassen hatten.
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Sowas in der Art hätte sie wahrscheinlich erwarten können. Meistens brauchte es leider kaum mehr als einen richtig schlechten Therapeuten oder eine richtig unsensible Therapeutin, um einer Person den Glauben an den Nutzen einer Therapie zu rauben. Es braucht Einiges an Mut und Überwindung, um sich freiwillig zur Behandlung anzumelden und sich diese vermeintliche Schwäche - wenn man es denn unbedingt so nennen wollte, der Begriff war im Grunde ziemlich falsch - einzugestehen. Entsprechend war es auch sehr schwer, den Anlauf zweimal zu nehmen, wenn er beim ersten Mal so ganz fruchtlos geendet hatte. Faye hatte selbst genügend schlechte Therapien durchgemacht, um das bestens beurteilen zu können. Der Unterschied war nur eben, dass sie jedes Mal mehr oder weniger gezwungen worden war, sich trotzdem irgendwie reinzugeben, wenn sie irgendwann wieder alleine nach draussen hatte spazieren und Victor nicht ewig mit sich im Loch hatte gefangen halten wollen. Sie hatte wenigstens so tun müssen, als würde es ihr besser gehen und da sie besonders in diesem Bereich wirklich keine gute Schauspielerin war, hatte sie die schlechten Therapien mehr oder weniger über sich ergehen lassen müssen, um dann aus den guten möglichst viel Profit zu ziehen und wirklich zu heilen. "Das versteh ich... gibt leider viele, die zwar tausend Psychologiebücher auswendig gelernt haben, sich dann aber im Umgang mit Menschen als absolut fehlplatziert entpuppen...", murmelte sie mit einem innerlichen, tiefen Seufzen vor sich hin, als er fertig gesprochen hatte. Dass er scheinbar eine ungefähre Ahnung davon hatte, wie viel eine Therapiestunde kosten könnte, liess sie etwas aufhorchen und ihm einen nachdenklichen Blick zuwerfen. Auch wenn er die Möglichkeit gerade eher nicht zu befürworten schien, hatte er sich bereits damit befasst. Wahrscheinlich nur, um sich damit zu beweisen, dass es eh nichts bringen könnte, aber er hatte es getan und das fand Faye wirklich interessant. "Ich... kann dir trotzdem eine Adresse geben, wenn du möchtest... Heisst ja nicht, dass du dich dann da melden müsstest, aber du kannst es dir nochmal überlegen...", wagte sie eine sachte Anmerkung, die in sich ziemlich wenig Verpflichtung trug. "Eigentlich war ich da nicht mehr sehr häufig, bis... Achtung Überraschung - vor ein paar Monaten eben. Die Praxis ist wirklich einladend gestaltet und alle sind sehr nett aber vor allem professionell. Ich kenne nur die Methoden meiner Therapeutin - die für mich tausend Mal besser als die aus der Klinik sind - aber bin mir sicher, dass die anderen auch was können. Natürlich wäre es sicher von Vorteil, wenn du mindestens wöchentliche Sitzungen besuchen könntest, aber vielleicht lohnt sich der Versuch am Ende ja trotzdem... wirklich was zu verlieren hast du nicht, oder? Ausser Freizeit und Nerven", aber Letztere verlor er ja auch ohne Therapie ständig, wirkte also wie ein verkraftbares Risiko. Auch wenn es nicht an ihr lag, das zu beurteilen. Faye hing weiter ihren Gedanken zum Thema nach, störte sich also entsprechend wenig an der Stille, die daraufhin erneut einkehrte. Es war bestimmt gesünder, wenn sie ein Gespräch mit ausreichend Pausen und Nachdenken führten, als wenn sie sich Schlag auf Schlag anschrien, davon war sie ziemlich überzeugt. Das Nachdenken hatte einfach die Nebenwirkung, dass sie nicht zwingend in die gleiche Richtung sinnierten, weshalb Mitch sie mit der nächsten Frage doch ein bisschen überraschte. Es war auch schwer, dies so pauschal zu sagen, wie sie beim Suchen einer Antwort feststellte. Ihre Stirn hatte sich in leichte Falten gelegt, bevor sie nach ein paar Sekunden erst nur schwach mit den Schultern zuckte. "Ich... ich weiss nicht. Kann man alles voneinander wissen?", erneut schwieg sie ein paar Sekunden, schüttelte dann leicht den Kopf, weil es jedes Mal aufs Neue überraschend war, wie sehr der Gedanke an Victor noch immer wehtat, obwohl er nun schon so viele Wochen weg war und sie genau wusste, dass es noch lange dauern würde, bis er wieder zurückkam. "Eigentlich... dachte ich schon, dass wir alles voneinander wussten... Aber je länger ich darüber sinnierte, umso klarer wurde mir, dass das nie ganz so war... mir war zum Beispiel nie bewusst, wie sehr ihn mein Seelenzustand wirklich belastete, bis er mit dem Plan kam, mitunter genau deswegen über längere Zeit wegzufahren... Zugleich habe ich ihm auch nie erzählt, was damals, nach der Rückkehr aus Syrien und dem langen Klinikaufenthalt tatsächlich meine Motivation war, endlich wieder gesund zu werden... Oder was passiert ist, als ich vor einigen Wochen alleine im Krankenhaus gelegen habe... Oder wie viele Panikattacken, während derer ich mir sicher war, dass er gestorben war, ich seit Syrien wirklich durchlebt habe...", sie redete ziemlich viel, was vor allem daran lag, dass sie die Gedanken aussprach, die seine Worte ihr in den Kopf getrieben hatten, ohne diese zuvor allzu genau zu filtern. Mitch war ungefähr die letzte Adresse, bei der sie eigene mutmassliche Beziehungsprobleme schönreden musste, er war sicherlich der Letzte, der sie deswegen verurteilen oder schräg anschauen würde. "Ich glaube, das ist genau die Kehrseite der Liebe, nicht? Dass man ständig versucht, den anderen vor seiner dunkelsten Seite zu bewahren. Die schwersten Lasten selbst zu tragen. Man möchte den anderen damit nicht erdrücken, nicht besorgen... Man möchte den Mond und die Sterne, aber nicht die hässlichen Krater in der eigenen Seele teilen... Weil es so viel schöner wäre, wenn das Leben Sonnenschein und Liebe wäre."
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Ich hatte schon damit gerechnet, dass Faye irgendwas in dieser Richtung sagen würde. Sie war glücklicherweise schlau genug, um nicht zu versuchen mich gezielt zur Therapie zu überreden. Das wäre - wie sie sich offensichtlich selbst denken konnte - nämlich nichts als kontraproduktiv. Dinge, von denen man mir sagte, dass ich sie machen musste oder sollte, machte ich in den meisten Fällen erst recht nicht. Trotz ihrer offenen Formulierung ohne richtige Erwartungshaltung fragte ich mich, was ich darauf jetzt antworten sollte. Ich wusste, dass ich nur unwahrscheinlich davon Gebrauch machen würde. Es war schön, dass Faye bei ihrer Therapeutin dort gute Erfahrungen machte und ihr die Therapie half. Das freute mich aufrichtig für sie, weil ich grundsätzlich erst einmal fast alles gutheißen würde, was ihr Linderung verschaffte. Ich wusste ja, dass sie und Victor für gewöhnlich ihre Traumata und Sorgen einfach in der Nähe des jeweils anderen ertränkten. Das ging jetzt leider nicht, weil er nicht da war und es reichte wirklich, wenn ich Aryana allein das Leben zur Hölle machte. Ich war einsame Spitze darin und da konnte sie nicht auch noch zum tausendsten Mal eine kleine Schwester am Rande des Selbstmords brauchen - auch wenn ich inzwischen wohl der letzte war, der sowas verurteilte oder als schwach hinstellte. Mir war ja selbst oft genug danach gewesen im vergangenen Jahr... Lange Rede, kurzer Sinn: Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich es auf jeden Fall versuchen würde, selbst wenn die Therapeuten dort wirklich fähig sein sollten. "Klar.", würdigte ich ihren guten Willen nach erneuter kurzer Schweigepause nur mit einem einzigen, knappen Wort. Erteilte ihr damit die Erlaubnis mir die Kontaktdaten des Schuppens mit Seelenklempnern zu geben, machte aber gleichzeitig nur wenig Hoffnung darauf, tatsächlich hinzugehen oder auch nur anzurufen. Geld, das hatte ich auch zu verlieren - andererseits war es aber sicher sinnvoller die Scheine in eine vielleicht scheiternde Therapiestunde als in einen Bierkrug zu stecken. In Massen entpuppte Alkohol sich als gar nicht mal so billig. Die Frage, die ich Faye gestellt hatte, schien für sie weniger leicht zu beantworten zu sein, als ich angenommen hatte. Ihre Gegenfrage erklärte die kurze Denkpause ihrerseits ziemlich gut und sie regte mich unweigerlich ebenfalls dazu an, weiter darüber nachzudenken. Wahrscheinlich konnte man nie wirklich alles voneinander wissen. Schon alleine deswegen, weil man nicht im Kopf des jeweils anderen saß und immer nur das wissen konnte, was man zu sehen und zu hören bekam. Die zierliche Brünette führte diese Sache in Hinblick auf ihre eigene Beziehung weiter aus, hatte dem hochgewachsenen Dunkelhaarigen hier und da scheinbar ein paar Dinge verschwiegen... Dinge, die sich eigentlich schon wichtig anhörten. Dinge, die Victor vielleicht doch wissen sollte, auch wenn sie ihm weh tun würden. Die beiden schienen mir früher immer das ach so perfekte Paar gewesen zu sein und ihre Liebe zueinander war wohl wirklich unzerstörbar. Trotzdem war sie nicht makellos, weil Menschen das nun mal einfach nicht waren. "Es ist auf jeden Fall einer der Gründe, warum ich mich eigentlich nie verlieben wollte.", stellte ich leise seufzend fest, als ich mich mit dem Rücken schließlich wieder nach hinten an die Lehne sinken ließ, um einen Moment lang in den Himmel zu sehen. Ich war eben einfach scheiße darin, über meine eigenen Lasten zu reden und wollte das grundsätzlich nur ungern, war ein Einzelkämpfer - da fiel ich Aryana scheinbar lieber zur Last, indem ich sie die Auswirkungen meiner Verschwiegenheit spüren ließ. Nüchtern betrachtet war das absolut sinnfrei. Sie würde zweifelsohne lieber mit meinen Problemen, als mit der anhaltenden Unwissenheit inklusive Streits belastet werden. Wie aber trichterte ich der Blockade in meinem Hirn jetzt am sinnvollsten diese Erkenntnis ein? Sie war förmlich immun dagegen. Ich würde nie an den Mond ran kommen, wenn ich weiter in dem Krater hocken blieb. "Ist schon sehr ironisch... nach Idealen zu streben, von denen man eigentlich längst weiß, dass man sie sowieso nicht erreichen kann..." Ich folgte meinen Gedanken mit Worten, während meine Augen an einer aufziehenden Wolke hingen. Die Welt hatte mir schon endlos oft aufgezeigt, dass sie fernab von ideal war. Ich musste dringend damit aufhören die fehlerfreie Liebe für Aryana zu wollen, weil das in einer Welt wie dieser schlichtweg nicht möglich war - erst recht nicht bei meiner Person, die im Leben zu viele Schlaglöcher ausgesessen und zu viele Narben dabei davon getragen hatte. Würde sie einen - vermeintlich - perfekten Menschen an ihrer Seite haben wollen, hätte sie mit Sicherheit nicht ausgerechnet mich gewählt. "Vielleicht muss ich woanders mit dem Reden anfangen." In diesem Moment senkte ich den leicht nach oben gereckten Kopf wieder, zog die Augenbrauen nachdenklich etwas tiefer. Meine gegenwärtigen Probleme waren mit heftigem, emotionalen Schmerz verbunden. Es konnte also nur schwer sein, darüber zu reden. Die Vergangenheit tat stellenweise auch weh, natürlich - es gab einfach Dinge, die niemals aufhörten weh zu tun und es hatte seine Gründe, warum ich so kaputt und verkorkst war. Aber diesen alten Schmerz kannte ich und konnte damit umgehen, hatte damit zu leben gelernt. Vielleicht könnte es den nötigen Funken an Vertrauen entfachen, wenn ich das Gefühl hatte, dass Aryana verstand, warum mein Leben zu so einer Talfahrt geworden war. Und ganz vielleicht verstand ich es selber am Ende auch besser, wenn sie sich dazu äußerte.
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Faye fand es vollkommen in Ordnung, dass er zu der ganzen Therapiesache nicht mehr viel sagte und sie wusste auch, dass sein Klar wahrscheinlich nicht besonders vielversprechend war. Aber damit hatte sie auch nicht gerechnet. Es reichte, wenn er es sich vielleicht nochmal überlegte, wenn sie ihm später oder morgen oder irgendwann die Adresse schicken würde. Vielleicht auch besser erst, wenn sie vom nächsten Einsatz zurückkamen, sonst ging das unterwegs sowieso gleich wieder vergessen. Gut möglich, dass er am Ende doch zum Schluss kam, dass die Therapie einfach nichts für ihn war und er es echt nicht nochmal versuchen wollte. Aber eventuell kam auch alles anders und er entschied sich für einen Anruf... Das lag nicht mehr in ihrer Hand und schliesslich würde er das tun, was er für richtig hielt. Wie gesagt - unfreiwillige Therapien waren ja sowieso absolut nicht erfolgsversprechend und wenn er es nur für sie - respektive natürlich für Aryana - tat, dann konnte er es auch bleiben lassen. Vielleicht hatte er in seinen Vorahnungen auch Recht und er war wirklich kein Mensch, der einen Nutzen aus einer Psychotherapie ziehen konnte. Abgesehen davon waren Psychotherapien auch in etwa mindestens genauso anstrengend und fordernd wie Beziehungen, und mit einer solchen schlug er sich bereits mühevoll herum. Denn er hatte schon Recht mit dem, was er nach einer weiteren stillen Pause sagte. Das kannte sie von sich und Victor ja auch. Sie hatten ständig versucht, besser zu werden in ihrer Kommunikation, hatten immer wieder Gespräche darüber geführt, dass sie wirklich offen miteinander reden mussten, dass sie einander sagen sollten, wenn sie etwas belastete, dass sie ihre Sorgen genau wie ihre Freuden teilen mussten, weil der andere sowieso früher oder später merkte, dass etwas nicht im Argen war. Und trotzdem war es so gekommen, wie es jetzt im Moment eben war. Trotzdem hatten sie es nicht geschafft, ihren drängenden Worten Folge zu leisten, trotzdem hatten sie versucht, den jeweils anderen zu schützen, weil sie etwas zu gut wussten, dass sie beide psychisch nie ganz auf der Höhe angelangt waren. Seit sie sich kannten nicht - sie waren immer irgendwie angeschlagen, immer viel zu stark belastet gewesen. Durch Ängste, Umstände, die Vergangenheit und die Zukunft. Durch ihre Emotionen und einem ungesund hohen Mass an Sensibilität. Tja. Blieb zu hoffen, dass Victors Abwesenheit auf Zeit den Wendepunkt darstellen würde, den sie sich davon erträumten. Aber irgendwie schweiften ihre Gedanken gerade ziemlich ab und das wollte sie nicht. Wenn sie lange über ihre Beziehung grübelte, wurde sie traurig und etwas zu nachdenklich. Das konnte - und sollte - sie tun, wenn sie alleine zuhause war. Nicht hier auf dieser Bank am Waldrand mit Mitch, der sicher nicht noch mehr Melancholie und Düsterkeit im Leben brauchte. Ihre Augen schweiften erneut in seine Richtung und sie musterte ihn diesmal etwas länger mit ihm zugewandten Kopf. "Woran denkst du denn dabei..?", fragte sie im Bezug seine letzte Aussage, aus der sie ohne Hilfe nicht ganz schlau wurde. Es könnte auf mehrere Dinge bezogen sein - auch auf etwas, das sie noch gar nicht in Betracht zog, weil er hier wahrscheinlich ebenso tief in seinen Gedanken herumgrub, wie sie daneben auch. Schien eine gute Denkbank zu sein. Oder sie waren beide schlicht zu belastet mit ihren Köpfen, als dass sie ihnen selbst hier draussen wirklich entfliehen könnten. Bei Mitch war das ohne jeden Zweifel der Fall.
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Ich warf einen weiteren kurzen Blick zu Faye. Versuchte dadurch abzuwägen, ob ich meine Antwort auf ihre Frage besser nur sehr oberflächlich halten wollte. So wie das ganze Gespräch eben, war nicht so als hätte ich sie bisher besonders tief in meinen Schädel blicken lassen. Leider half mir der Blick in ihr Gesicht nicht wirklich effektiv dabei, eine gute Antwort zu finden. Das lag womöglich einfach daran, dass ich alles in allem zu viel darüber nachdachte. Ich schien vor einiger Zeit die Fähigkeit verloren zu haben, etwas einfach auszusprechen ohne lange darüber nachzudenken - Streits ausgenommen, aber während solch hitziger Auseinandersetzungen funktionierte mein Kopf sowieso grundlegend ganz anders. "Naja... schlechte Erfahrungen", wenn mans denn allumfassend nett umschreiben wollte, "hab ich ja nicht erst in Syrien gemacht... oder im Gefängnis. Ich bin schon ziemlich geschädigt bei der Army angekommen. Darüber zu reden ist aber etwas einfacher, denke ich... vielleicht funktionierts als milder Einstieg.", sagte ich und zuckte kaum sichtbar mit den Schultern. Mein Einzug ins Militär war für mich blöd gesagt die letzte Rettung gewesen und ich war mir sicher, dass ich ohne meine damalige Entscheidung schon wesentlich früher hinter Gittern gelandet wäre. Daran war ich jetzt trotzdem nicht vorbei gekommen und ich hatte zusätzlich noch gefühlt dreihundert neue Verhaltensstörungen mehr entwickelt, aber der Zug für ein völlig normales Leben war bei mir wohl in der Kindheit schon abgefahren. Ich musste unweigerlich an Josh denken, den ich nun schon eine ganze Weile nicht mehr besucht hatte. Er fragte sich bestimmt weshalb ich nicht mehr vorbei kam und ich hoffte wirklich, dass er sich nicht selbst die Schuld dafür gab. Er war in dieser Sache mit Abstand am unschuldigsten, aber einen Ausraster im Kinderheim wollte ich allen Beteiligten tunlichst ersparen. Ich würde erst wieder dort aufschlagen, wenn es mir deutlich besser ging. Bis dahin hatte ich noch genug Zeit, um mir eine gute Begründung für die ausbleibenden Besuche zurecht zu legen. Auch wenn es eigentlich überflüssig war, weil der Bengel ständig mit Fragen um die Ecke kam, die ich sowieso nicht kommen sah. "Dafür, dass wir schon eine ganze Weile zusammen sind, wissen wir wirklich erstaunlich wenig voneinander. Liegt vielleicht auch einfach daran, dass ich ein Jahr davon nicht wirklich anwesend war." Den zweiten Satz unterlegte ich trocken ironisch. Es war halt nun mal leider so, dass ich den Großteil unserer bisherigen Beziehungsdauer nicht an ihrer Seite verbracht hatte. Angesichts dieser Tatsache war es also vielleicht doch gar nicht so komisch, dass wir sicherlich weiter davon entfernt waren alles voneinander zu wissen, als es bei Faye und Victor der Fall war. Wenn man dann noch einkalkulierte, dass Aryana und ich beide nicht besonders leicht Vertrauen entgegen brachten, wunderte es mich eigentlich überhaupt nicht mehr. Was wiederum aber nicht hieß, dass das gut oder in Ordnung war. "Ich weiß auch nicht... ich bin schon ewig drauf getrimmt zu funktionieren und mich einfach durchzuboxen, weils früher gar nicht anders ging. Bis Aryana kam gabs dabei auch keine Kollateralschäden, die mich interessiert haben..." Ich grummelte die Worte etwas leiser vor mich hin und senkte den Blick auf meine Oberschenkel. Ich hatte nie gute Gründe gehabt, meine Probleme mit Irgendwem zu teilen. Da war auch nie Jemand gewesen, dem ich genug vertraut hätte, damit das überhaupt erstmal in Frage gekommen wäre. Außer Jetman vielleicht, aber wir hatten allgemein selten über wirklich ernste Dinge gesprochen. Durchboxen hatte bis jetzt gut für mich funktioniert, nur nahm diese Strategie nun offensichtlich ihr Ende. Ich könnte schon so weitermachen, aber ich würde mich damit früher oder später zugrunde richten... und Aryana gleich mit, was meine Seele endgültig in die Hölle verdammen würde. Also den kläglichen Rest, der eben noch übrig war. Inzwischen glaubte ich zu wissen, dass eigentlich das Leben an sich der Krieg war und nicht das, was ich für die Vereinigten Staaten oder für Easterlin ausführte.
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Sie hatte nicht wirklich gewusst, mit was er gleich um die Ecke kommen würde, aber das was er sagte, machte ziemlich viel Sinn und zwar aus verschiedenen Gründen. Es war meistens - Betonung auf meistens - leichter, über Probleme und Herausforderungen zu reden, die schon weiter zurück lagen, weil da schon etwas Gras drüber gewachsen war und die Wunden nicht mehr direkt zu bluten anfingen, wenn darin herumgestochert wurde. Spielte ihrer Meinung nach an dieser Stelle auch nicht wirklich eine Rolle, wie gut das Coping zum Zeitpunkt des Geschehens funktioniert hatte. Allein der zeitliche Abstand dürfte schon gute Dienste leisten und das Reden erleichtern. Es war aber auch sonst gut, wenn er ihrer Schwester erst einmal diese Informationen anvertraute, die ihn nicht mehr so direkt beeinflussten. Vielleicht würde sein Unterbewusstsein, das ihn so sehr zurückhielt, dadurch langsam lernen, dass es Aryana vertrauen konnte und sie ganz bestimmt keine dieser Geschichten gegen ihn verwenden würde. Sie ihn auch nicht plötzlich hasste, bloss weil sie neue Details erfuhr. Das war einfach nicht ihre Schwester und dessen war sie sich zu tausend Prozent sicher, weshalb die Bedenken wirklich unbegründet waren. "Das wäre sicher einen Versuch wert... Ich kann mir gut vorstellen, dass das einfacher wäre", meinte sie zustimmend - und selbstverständlich aus persönlicher Erfahrung. Sie redete zwar weder gerne über alte noch über neuere Schicksalsschläge, aber trotzdem waren es unterschiedliche Gefühlslagen, die dadurch geweckt wurden. Unterschiedliche Arten von Trauer und Herzschmerz. Sie hatte es ja erst kürzlich wieder gemerkt, als sie Ryatt ab und an ein bisschen in ihr Leben hatte blicken lassen. Nichts davon war einfach gewesen, aber ältere Erinnerungen hatte sie immerhin teilen können, während das, was weniger weit zurücklag, gar nicht erst zur Sprache kam oder sofort wieder verdrängt wurde. Sie hoffte zwar, dass Mitch ein anderes - vor allem weitaus tieferes - Verhältnis zu Aryana pflegte als sie selbst zu Ryatt, aber vielleicht glich sich das auch wieder etwas zu sehr aus durch die Tatsache, dass sie ein wesentlich offenerer Mensch war und - aus welchen Gründen auch immer, man könnte meinen, sie sollte langsam das Gegenteil gelernt haben - meist sehr schnell Vertrauen fasste. Sie ging bekanntlich eher davon aus, dass jeder Mensch, der ihr begegnete, gut war und Gutes wollte, was sicher auch nicht der gesündeste Lebensstil war. Ständiges Misstrauen aber auch nicht. Kurz gesagt: Sie waren beide problematisch auf ihre eigene Art - Zwischendiagnose, falls es irgendwem bisher noch nicht aufgefallen wäre. "Sind ja bestimmt auch alte Muster, die du abzulegen versuchst, vielleicht wäre es da gar nicht so verkehrt, bei der Bewältigung an deren Ursprung anzusetzen", fügte Faye noch ein paar Gedanken an, beobachtete dabei nachdenklich zwei Vögel, die sich auf einem der kahlen Bäume stritten. "Dass ihr so wenig voneinander wisst, liegt am Ende ja nicht nur an dir... Es hat eben auch seine Vorteile, nicht alles mit der Welt zu teilen und Aryana hat diese Vorteile bereits in unserer Kindheit für sich entdeckt. Während ich gerne alles überall ausgeplappert habe, war sie gefühlt Weltmeisterin in Überraschungen und kannte Geheimnisse, die ich wohl bis heute nie erfahren habe. Ich weiss nicht inwiefern das jetzt helfen mag, weil es die Kommunikation wohl nicht leichter macht... aber ja", sie zuckte mit den Schultern, warf ihm einen kurzen Blick zu, der mit etwas Interpretation ein etwas zerknirschtes Lächeln andeutete, welches aber der Umstände zufolge noch nicht wirklich auftauchen konnte. "Weisst du Mitch, es ist dir auch einfach nicht vorzuwerfen, dass du ein Muster, das dir über so lange Zeit beigebracht wurde und das dich so lange am Leben gehalten hast, nicht innerhalt eines Jahres abgewöhnen kannst. Das willst du wahrscheinlich auch nicht hören, weils dir gefühlt nichts bringt, aber vielleicht hilft es dir, etwas geduldiger mit dir selbst zu bleiben und das ganze mit etwas mehr Distanz zu betrachten, wenn du dich daran erinnerst, warum alles so gekommen ist. Wenn Offenheit und leichtes Vertrauen dir früher so sicher geschadet hätten, muss dein Kopf auch erstmal lernen können, dass das heute nicht mehr zwingend so ist, meinst du nicht?", fragte Faye leise, wandte sich während sie sprach langsam wieder ihm zu, auch wenn sie nicht mit viel Zustimmung rechnete. Sie wusste längst, dass Mitch mit sich selbst am liebsten sehr hart ins Gericht fuhr, egal was andere davon hielten und egal, was dabei denn nun richtig oder falsch war. Darin waren sie sich wohl relativ ähnlich, wenn sie auf andere Personen hören würde.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Es blieb auf jeden Fall zu hoffen übrig, dass es mir leichter fiel über die deutlich weiter zurückliegende Vergangenheit zu reden. Denn nur wenig bis gar nichts davon, was damals bei mir schief gelaufen war, war überhaupt auf meinen Mist gewachsen. Zumindest eben nicht im jungen Kindesalter, in meiner Jugend hatte ich dann schon etwas mutwilliger immer mal wieder eine falsche Abzweigung genommen. War aber halt auch nicht so, als wäre mein Leben bis dahin sehr rosig gewesen. Auch das würde also keinen Psychologen dieser Welt verblüffen... und Aryana sicher genauso wenig. Vorausgesetzt ich bekam eben den Mund auf. Faye lag ganz richtig damit, dass diese leidigen Verhaltensmuster schon weit in der Vergangenheit damit angefangen hatten, erste Wurzeln in meinem Kopf zu schlagen. Vielleicht war es also sogar notwendig, dass ich ein ganzes Stück weiter hinten mit der Eigentherapie ansetzte. Diese Vorgehensweise klang zumindest auf den ersten Blick effektiver und sinnvoller, als das Pferd von hinten aufzuzäumen. "Ja, könnte was dran sein... hab ich so bisher noch nicht drüber nachgedacht.", zeigte ich mich was das anging mehr oder weniger hoffnungsvoll und unterstrich meine Worte mit einem leichten Nicken. Die Wut war nun doch langsam aber sicher aus meiner Stimme verschwunden. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass Faye weder weiter nachzubohren versuchte, noch mir irgendwas vorhielt - mein wenig freundliches Verhalten betraf sie ja auch nie außer heute - oder versuchte mir irgendetwas auf Biegen und Brechen einzureden. Sie ließ mir den nötigen Freiraum, damit ich sinnbildlich genügend Luft zum wieder runter kommen bekam. Nachdem sie schon mal einen unkontrollierten Wutausbruch meinerseits erlebt hatte und auch noch dessen Ziel gewesen war, versuchte sie mit Sicherheit tunlichst alles in dieser Richtung zu vermeiden. Das war gut für uns beide. Ziemlich sicher hatte Faye auch damit recht, dass ich nicht allein die Verantwortung für meine wenig kommunikative Beziehung trug. Trotzdem gab ich sie mir weiterhin sehr gerne zum größeren Anteil. Allein deswegen schon, weil ich derjenige war, der prinzipiell in Abwehrhaltung aus der Haut fahren musste und damit jedes Mal einen Streit vom Zaun brach. Mochte schon sein, dass ich das mittlerweile einfach instinktiv tat und Zeit brauchte um mir das erst einmal abzugewöhnen, aber das war nicht wirklich ein guter Grund. Klang eher wie eine schlechte Ausrede. Es war eben einfach sehr ungünstig, dass Aryana ähnlich verschwiegen war wie ich und das auch schon sehr lange so praktizierte. Es machte die ganze Angelegenheit unnötig noch komplizierter, als sie es ohnehin schon war. "Wir sind uns in manchen Dingen wohl leider etwas zu ähnlich… ich schätze deswegen sind wir überhaupt erst aneinander hängen geblieben.", sinnierte ich weiter. Es hatte damals schon eine ganze Weile gedauert, bis es uns beiden aufgefallen war. Als jedoch erst einmal genug offene Karten auf dem Tisch gelegen hatten, die uns aufzeigen konnten, dass wir in einigen Dingen gar nicht so verschieden waren, hatte sich die Freundschaft ziemlich stetig weiterentwickelt. Wir hatten mit der Zeit mehr und mehr Karten vorsichtig umgedreht, aber die, welche die schmerzhaftesten Erinnerungen und Details verrieten, waren selbst jetzt noch verdeckt. Liebesbeziehungen waren jedoch nicht für Geheimnisse ausgelegt, wie ich spätestens jetzt mit Sicherheit behaupten konnte. "Geduld wird wohl nie zu einer meiner Stärken werden.", kam ich Faye erneut mit trockenem Sarkasmus entgegen und mein Blick suchte den ihren. Vielleicht würde ich eines Tages ruhiger und weniger selbstkritisch werden. So mit 40 vielleicht, wenn ich einfach schon nicht mehr so schnell konnte. Oder frühestens dann, wenn ich nicht mehr das Gefühl hatte, permanent auf der Flucht oder im Kampf zu sein. Denn eigentlich hatte ich gar keine Zeit für die ganzen Selbstvorwürfe und Streits - es galt dringend eine Lösung für das Problem mit Easterlin zu finden, wenn ich meinen Hals endgültig retten und wirklich mal leben wollte. Mein Leben war ein einziger Kampf und ich hatte es mehr als satt. Einen reichen Milliardär übers Ohr zu hauen und so seinem blöden System zu entrinnen, klang aber selbst in meinen größenwahnsinnigen Ohren ziemlich schwierig. Erst recht, wenn ich mich überhaupt nicht darauf konzentrieren konnte, einen entsprechenden Plan auszuarbeiten.
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Das hatte sie auch schwer angenommen, wenn er sich ständig mit Selbstvorwürfen beschäftigte. Die meisten Menschen waren stets ihre eigenen schärfsten Kritiker und bei Mitch war das leider sehr offensichtlich der Fall, so viel Wut und Hass wie er gegenüber sich selbst hegte. Er hatte dies zwar heute nicht mehr so explizit geäussert wie beim letzten Mal, aber sie wagte trotzdem zu bezweifeln, dass sich daran besonders viel geändert hatte. War also auf jeden Fall nicht falsch, wenn er sich einmal aus einer anderen Sichtweise mit seinen Schwächen befasste - wenn er das Problem nämlich schon als unlösbar sah, weil er es die letzten Monate und Jahre über nicht aus dem Weg hatte schaffen können, kam hier keiner weiter, er wurde nur immer frustrierter und irgendwann war dann auch der allerletzte Nerv aufgebraucht. "Das kenne ich von irgendwoher...", murmelte Faye mit einem schwachen Lächeln, das aber dezent wehmütig wirkte, als er ein weiteres Mal seine Ähnlichkeit mit ihrer Schwester bekundete. Im ähnlich sein standen sie und Victor dem anderen Paar nämlich in nichts nach. Sie schwiegen sich zwar nicht gegenseitig an, machten sich dafür aber gegenseitig chronisch Sorgen umeinander, waren beide ähnlich (un)belastbar und vor allem auch irgendwo ähnlich sensibel. Victor weinte vielleicht nicht so schnell wie sie, aber das hiess nicht, dass ihn Worte nicht trotzdem trafen. Aber wer weiss, vielleicht hatte sich das ja bis zu ihrem Wiedersehen verändert... vielleicht war er anders geworden - oder sie. Oder wahrscheinlich beide. "Ist nicht immer ein Vorteil natürlich, aber am Ende könnte man es sich anders ja doch nicht vorstellen. Ich zumindest nicht", jedenfalls könnte sie sich eine Konstellation aus Mitch und ihr oder Victor und Aryana beim besten Willen nicht ausmalen und sie war sich relativ sicher, dass das allen drei anderen genauso ging. Sie bewunderte zwar die Stärke und Verbissenheit, die sie nicht hatte, aber am Ende möchte sie die gewissen Begleiterscheinungen dieser Eigenschaften dann doch nicht tragen. Es war nicht falsch, an seinen Schwächen arbeiten zu wollen, aber sich dafür komplett umzukrempeln, erschien ihr nicht wie die Lösung aller Probleme. Genauso verhielt es sich auch mit seiner nicht oder mangelhaft vorhandenen Geduld, auch wenn ihr nicht direkt Nachteile von unendlicher Geduld einfallen wollten. Ihre Mundwinkel zuckten erneut schwach nach oben. "Naja. Welcher Mensch geniesst schon das Warten, wenn er lieber gleich das Ergebnis hätte?", stellte sie eine ebenfalls sarkastische und durchaus rhetorische Gegenfrage, zog eine Augenbraue hoch, als ihre Blicke sich trafen. Eher keine Freude, wenn man nicht sofort bekam, was man wollte, da war Mitch sicher nicht allein. Sie hatte sich wieder von besagtem Mann abgewandt und einen Moment geschwiegen. Die Ruhe schien in diesem Gespräch allgemein ziemlich wichtig zu sein, damit sie beide genügend Zeit zum Denken hatten und es eben nicht zur gleichen Problematik kam, wie er sie mit ihrer Schwester momentan ständig erlebte. Die Gefahr eines lautstarken Streits war mit Faye zwar wesentlich kleiner und mittlerweile glaubte sie auch, dass Mitch das gemerkt hatte und wieder etwas von seiner Aggressionsschwelle runtergekommen war, aber es war auch nicht ihr Ziel, ihn gleich wieder in diese Richtung zu drängen. Viel mehr interessierte sie etwas anderes, wie sie mit einer weiteren Frage kundtat. "Welche Eigenschaften magst du an Aryana am liebsten?", ein bisschen neugierig war die Frage schon, aber das war Faye bekanntlich öfter. Mal schauen ob er direkt hinter diese scheinbar harmlosen Worte blickte oder nicht, ganz so zufällig waren sie nämlich nicht gewählt.
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Es war auch irgendwie normal, dass man sich einen Partner suchte, der einem relativ ähnlich war, oder? Man hatte dann - meiner Erfahrung nach - einfach viel eher das Gefühl, wirklich verstanden zu werden. Während Aryana und ich uns den selben Ehrgeiz und Mut teilten - in den meisten Belangen jedenfalls -, teilten Faye und Victor sich dieselbe Sensibilität. Man schwamm viel eher auf derselben Wellenlänge, wenn man einige charakterliche Gemeinsamkeiten hatte. Dennoch konnte man auch das sprichwörtliche 'Gegensätze ziehen sich an' nicht außer Acht lassen. Es wurde in diesem Gespräch hier gerade nur allzu deutlich, dass es in manchen Angelegenheiten ein großer Vorteil sein konnte, wenn sich zwei Menschen stark voneinander unterschieden. Es hatte mit Sicherheit beides seine Vor- und Nachteile. Fakt war jedoch, dass ich mir mit Faye ebenso wenig eine Beziehung vorstellen konnte, wie das offensichtlich umgekehrt auch der Fall war. Deshalb begann ich langsam vor mich hinzunicken, ehe ich ein paar Sekunden später auch etwas dazu sagte. "Nein, nicht wirklich... es hat sicher gute Gründe, warum die Dinge so gelaufen sind und nicht anders.", stimmte ich der zierlichen Brünetten zu. Ich würde lieber für den Rest meines Lebens meinen Dickschädel an Aryanas' zerschellen sehen, als immer Angst davor haben zu müssen, Faye mit einem falschen Wort kaputt zu machen. Ich brauchte zweifelsohne Jemanden, der mir die Stirn bieten konnte, auch wenn das unangenehm war. Es ließ sich nichts dagegen sagen, dass die Menschheit ganzheitlich ziemlich ungeduldig war. Manche Individuen zwar etwas weniger als andere, aber das machte am Ende des Tages nicht wirklich einen Unterschied. Wenn man den Geduldsmenschen die Wahl ließe, ob sie eine begehrte Sache sofort oder doch erst in zwei Jahren wollten, würden sie alle dankbar die Hand ausstrecken und es sofort annehmen. "Naja, kann man uns das wirklich verübeln..? Wir leben in einer wahnsinnig schnellen Zeit... und ehe man sich versieht, ist die eigene Uhr abgelaufen. Es versucht am Ende ja doch nur jeder, irgendwie das Leben zu genießen.", äußerte ich mich nachdenklich zu diesem Thema. Geduld war in einem Zeitalter wie dem jetzigen einfach nichts, was man sich leisten konnte. Je schneller man das Ziel in den Händen hielt, desto besser. Ich täte gut daran in dieser Hinsicht selbst mal in die Gänge zu kommen - es war aber leichter gesagt als getan, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, wovon Faye mit Sicherheit auch ein Lied singen konnte. Wenn nicht tausende. Als die jüngere Cooper mir nach einem ruhigen Moment die nächste Frage stellte, wanderte mein Blick erneut für ein paar Sekunden zu ihr rüber. Dennoch blieb ich erst einmal still, als ich den Blick wieder nach vorne richtete. Es war gewiss nicht so, als würde mir keine Antwort einfallen, denn es gab unzählige Dinge, die ich an Aryana mochte. Wäre dem nicht so, hätte ich mein Single-Dasein ganz bestimmt nicht aufgegeben und mir freiwillig die Probleme einer Beziehung aufgehalst. Es fiel mir nur nicht ganz so leicht nun explizit die Eigenschaften auszuloten, die ich am meisten zu schätzen wusste. "Sie ist wahnsinnig klug und ehrgeizig... sie steht zu ihren Worten, egal was kommt... und ich hab immer das Gefühl, das sie weiß, wo sie hingeht. Selbst dann, wenn das gar nicht so ist..." So wie jetzt zum Beispiel. Ich folgte eher meinen Gedanken mit Worten, als wirklich eine aktive Auflistung zu machen. Für einen Augenblick dachte ich an die Gravur meiner langsam einstaubenden Gitarre - bis zum Horizont und darüber hinaus, auch wenn es mich das Leben oder endgültig das letzte bisschen Verstand kostete. Das Symbol hielt ein Versprechen inne, das ich nicht brechen würde. Aryana schien die einzige Person auf dem Planeten zu sein, die imstande war mir eine Richtung aufzuzeigen. Vielleicht setzte sich die Wirkung dessen nicht immer vollständig durch. Trotzdem konnte ich mit Sicherheit sagen, dass ich sie nicht verlassen würde. Ohne sie würde ich noch verlorener umherwandeln. "Aryana ist die Einzige, die mir meine Grenzen zeigt, ohne mit der Wimper zu zucken... Sie..." Ich verfiel erneut in ein kurzes Schweigen und mein Gesichtsausdruck wurde etwas düsterer. "Sie ist mein Spiegel.", vollendete ich den vorher begonnen Satz doch noch und stand schon beim letzten Wort von der Bank auf. Die Unruhe kehrte zurück und ich trat den Rückweg an. Ich rannte nicht davon, ging nur in etwas energischerem Tempo. Immer dann, wenn mir nicht gefiel, was ich diesem Spiegel sah, wurde es nämlich schnell zum Problem. In meinem aktuellen Gemütszustand jedenfalls...
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Ja, dazu hatte sie nichts mehr zu ergänzen, denn sie war definitiv gleicher Meinung. Sie vier waren in der Konstellation, in der sie aus Syrien zurückgekehrt waren, definitiv am besten aufgehoben, daran hegte sie keine Zweifel und alle anderen sicherlich auch nicht. Entsprechend schloss sie das Thema auch mit einem letzten Nicken und ohne Widerreden ab. Genau wie das Nächste, denn auch hier hatte sie nichts mehr beizusteuern. Geduld war etwas Schönes, aber direkt zu bekommen, was man begehrte, war eben trotzdem noch wesentlich schöner. Könnte sie wählen, wann sie ihre psychische Stabilität, ihren Freund und ihr glückliches Leben (zurück) bekam, dann würde sie sich sicherlich auch Heute und nicht irgendeinen Tag in ein bis tausend Jahren aussuchen. "Natürlich nicht. Ist ja nicht so, als würde ich das Leben anders sehen", tatsächlich hatte sie ihm ja genau das aufzeigen wollen - dass Ungeduld völlig normal war und er sich diesen Charakterzug ganz bestimmt nicht vorzuwerfen brauchte. Auf ihre nächste Frage bekam sie wie erwartet wieder nicht sofort eine Antwort. War ja auch nicht ganz so leicht zu sagen, beziehungsweise war es klar, dass er erstmal überdenken wollte oder musste, was er darauf sagen wollte. Schliesslich folgte aber trotzdem ein paar nachdenklich gesprochene Sätze. Dinge, die sie natürlich ohne mit der Wimper zu zucken bestätigen könnte, zumindest die Eigenschaften, die sie auch beurteilen konnte. Aber darum gings ihr gerade gar nicht, Faye musste nicht von ihm hören, was ihre Schwester Tolles konnte oder tat, um Aryana etwas Positives abgewinnen zu können. Seine letzten Worte trafen ihr eigentliches, unterliegendes Ziel nämlich auf den Punkt, weshalb sich ein ziemlich angetanes Lächeln auf ihrem Gesicht breit machte, das Mitch aber zum Glück nicht sehen und falsch auffassen konnte, weil er schon dabei war, sich aus dem Staub zu machen. Also nicht wirklich, er gab sich nicht sonderlich viel Mühe dabei, sie tatsächlich - wie anfangs sarkastisch angedroht - abzuhängen. Faye seufzte lautlos, liess das Lächeln grösstenteils auf der Bank zurück und wandte sich ebenfalls zum Gehen. Mit ein paar raschen Schritten hatte sie den jungen Mann eingeholt, blieb dann aber noch einen Augenblick still, weil sie sich ihre Antwort noch nicht ganz zurechtgelegt hatte. "Genau das glaub ich eben auch", meinte sie schliesslich ziemlich entspannt, machte auch noch keine Anstalten, hier wieder Joggen zu wollen. Das Tempo war schon schnell genug und sie wollte ja reden. Oder ihm zumindest noch diese eine Sache mit auf den Weg geben, falls er dann beschliessen sollte, das Gespräch seinerseits zu beenden. "Dass sie dein Spiegel ist und ihr euch sehr ähnlich seid. Aber das bedeutet auch, dass die Charakterzüge, die du soeben aufgezählt hast, nicht nur zu Aryana, sondern mindestens teilweise auch zu dir gehören", sie erzählte es wie eine Gute-Nacht-Geschichte, als wäre es tatsächlich die Lösung für irgendein Problem. Natürlich konnte sie als Faye, mit relativ wenig Einsicht in die Beziehung der beiden Kämpfer, schlecht beurteilen, wer hier wem die Grenzen aufzeigte und so weiter. Aber Mitch war ohne jeden Zweifel sehr sehr klug und ebenso ehrgeizig. Er wusste auch, wohin er wollte. Vielleicht wusste er nicht, wie er dahin kommen sollte und vielleicht war sein Ziel viel mehr ein Gefühl und keine Vision im Sinne von Berufswunsch und Haus mit Kindern. Aber er wusste, wie es sein und sich anfühlen sollte - was bei Aryana im Grunde eben auch kaum anders war. "Ich habe Aryana übrigens die gleiche Frage gestellt, als sie am Wochenende bei mir war. Willst du wissen, was sie genannt hat, oder soll ich ihr sagen, dass sie dir eine PowerPoint vorbereiten soll?", Faye blickte Mitch fragend an, erneut mit leicht angehobenem Mundwinkel.
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Solange Faye noch dabei war wieder zu mir aufzuschließen, schüttelte ich kaum sichtbar den Kopf beim Gehen. Während die Brünette dank ihrer wunderbar funktionierenden Taktik nun scheinbar gut gelaunt war, hatte sie meinem Gemüt damit den nächsten Dämpfer verpasst. Wahrscheinlich war das nicht unbedingt ihre Intention gewesen, aber ich mochte es einfach nicht besonders gerne, wenn mir mit Worten eine Falle gestellt wurde. Meistens durchschaute ich sowas eigentlich, aber auch dazu schien ich inzwischen nicht mehr genug geistig anwesend zu sein. Jedenfalls hatte ich der jüngeren Cooper nun anscheinend genau die Antwort geliefert, die sie am liebsten haben wollte. Mochte schon sein, dass sie Recht damit hatte - ich wusste ja selbst am besten, wozu ich fähig war, wenn ich es wirklich darauf anlegte. Aber wo war der blöde Kerl hin? Der, der sich blind vor schlechtem Gewissen liebend gerne todesmutig in den syrischen Termitenhügel gestürzt hatte? Der, der wenigstens in der Anfangsphase im Gefängnis noch versucht hatte, auf dem richtigen Weg zu bleiben? Der, der Josh versprochen hatte, dass er ihn auf seinem Weg ein Stück begleiten würde, damit sein Leben nicht genauso katastrophal endete? Mir selbst tat es am meisten weh, dass er nicht hier war und ich nicht wusste, wo ich nach ihm suchen musste. Es war ein beschissenes Gefühl sich selbst zu vermissen und in der Zwischenzeit etwas verkörpern zu müssen, das man gar nicht sein wollte. Der Druck in meiner Brust baute sich während der viel zu schnell abdriftenden Gedanken langsam wieder auf. "Du hast keine Ahnung davon, wie unendlich weit ich momentan davon entfernt bin, Aryana ähnlich zu sein.", schnaubte ich unterschwellig angesäuert. Das war schon wieder genug Therapiestunde für heute, jedenfalls für meinen Geschmack. Vielleicht konnte Faye sich schon in etwa vorstellen, dass ich aktuell nicht gerade meine glanzvollste Zeit durchmachte, weil ihre Schwester sich bei ihr ausgekotzt hatte - im Gegensatz zu ihr musste sie es aber nicht durchleben. Nicht jeden Tag spüren, wie tief ich inzwischen gesunken war. Denn mir war noch immer nicht wirklich danach, wieder aktiv dagegen anzukämpfen, dass die Welt sich zum gefühlt tausendsten Mal gegen mich verschworen hatte. Von meinem Ehrgeiz und meiner Zielstrebigkeit fehlte aktuell jede Spur und ich würde nach wie vor am liebsten vor all den Problemen weglaufen oder den Strick wählen. Ersteres stand jedoch nicht zur Debatte, weil ein Leben auf der Flucht auch nicht lebenswert wäre und zweiteres aus sich selbst erklärenden Gründen genauso wenig. Blieb also zu hoffen, dass Aryana mir zeitnah etwas von ihrer Hartnäckigkeit abgab oder ich meine irgendwo wiederfand. "Was soll's bringen, wenn du mir das sagst?", war meine indirekte Antwort auf ihre zum Schluss noch angehängte Frage. Ich für meinen Teil sah jedenfalls keinen Sinn darin, wenn Faye mir hier nun erklärte, dass ihre ältere Schwester womöglich etwas Ähnliches wie ich auf ihre Frage geantwortet hatte. Es von jemand Anderem als Aryana selbst zu hören, hielt ich für genauso ineffektiv wie meine eigenen Versuche meiner Wenigkeit begreiflich zu machen, dass ich durchaus zurück zu meiner mentalen Höchstform kommen und mein Leben noch irgendwie wieder zurück in die richtige Bahn lenken konnte. Aryana und ich waren beide absolut nicht dazu veranlagt über unsere Gefühle zu sprechen, aber früher hatten wir das trotzdem getan. Hin und wieder zumindest, in unseren rührseligen fünf Minuten pro Woche. Vielleicht war es damit ähnlich, wie mit dem Gespräch über meine Probleme - es war bestimmt ein bisschen einfacher uns über Umwege vorsichtig wieder anzunähern. Auf jeden Fall wäre mir das im Augenblick lieber als der nächste Streit, wenn auch leider nicht genauso leicht hinzukriegen... lieber die imaginäre PowerPoint-Präsentation zu meinen aktuell nicht vorhandenen Vorzügen, als mir von Faye noch weiter unter die Nase reiben zu lassen, dass ich ihr auf den Leim gegangen war.
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