Dieses Gespräch nahm definitiv keinen guten Lauf. Das hatten sie von Anfang an gewusst - es war schlicht keine gute Idee gewesen, dass sie überhaupt über irgendwas diskutierten, bei dem sie nicht per Zufall die gleiche Meinung vertraten. Trotzdem endete es nur damit, dass sie sich gegenseitig noch mehr weh taten, obwohl das doch eigentlich genau das war, was sie verhindern sollten, oder? Genau das, was sie nicht wollten. Das hatte sie jedenfalls mal geglaubt. Im Moment war sie sich überhaupt nicht mehr sicher - bei gar nichts. "Hat irgendwann auch nicht mehr so gewirkt, als würds dich interessieren, was ich dazu zu sagen habe. Warum sollte ich dann dagegenreden, wenns eh nur in einem Streit endet? Ich geniesse diese Konversationen übrigens nicht", folgte umgehend eine kalte Retourkutsche, nachdem der nächste Vorwurf in ihre Richtung geflogen war. Natürlich hatte es sie immer interessiert, wohin er ging und ob er ging. Anfangs hatte sie noch versucht, ihn davon abzuhalten. Zumindest vom Trinken - dass er mit Freunden unterwegs war, fand sie eigentlich ja gut. Wenns denn echte Freunde wären, die einen guten Einfluss auf ihn hatten, Freunde, die ihm dabei halfen, zu heilen. Und nicht einfach eine Reinkarnation von Jetman, die ihn unterbewusst weiter in der Vergangenheit gefangen hielt. Diesen Gedanken behielt sie aber lieber für sich, musste ja nicht zwingend noch schlimmer ausarten hier. Er sah langsam sowieso aus, als würde er vor dem nächsten Totalausraster stehen. Und das wollte sie wirklich nicht erleben, sie hatte doch einfach nur einen einigermassen entspannten Abend geniessen wollen, an dem sie eben genau nicht in ihren Problemen festhing. War ihr wohl nicht vergönnt, denn stattdessen durfte sie sich gleich darauf die nächste Reihe von Anschuldigungen anhören. Es war verdammt schwer, diese Worte nicht wirklich zu ihrer Seele durchdringen zu lassen. Zu schwer, leider. Entsprechend mischte sich die Resignation in ihren eindeutig verletzten Blick, verdrängte die Wut zumindest vorübergehend ein kleines bisschen. Aryana ging zwei Schritte rückwärts, während sie langsam nickte. Brachte so auch physisch wieder mehr Abstand zwischen sie beide, weil sie eigentlich herzlich wenig Lust auf seine Nähe verspürte. "Natürlich.", Sie stiess verachtend Luft aus, zog die Augenbrauen hoch, während sie ihn auf einmal sehr müde, ausgelaugt betrachtete. "Also ist es jetzt meine Schuld, dass du ständig saufen musst. Meine Schuld, dass das hier", sie deutete mit ihrem Zeigefinger auf die deutlich angeknackste Verbindung zwischen ihnen, "nicht mehr funktioniert. Weil ich versucht habe, mit dir über deine Probleme zu reden, damit wir vielleicht irgendwann wieder aus dieser Scheisse rauskommen. Macht Sinn, ja", sie sprach weiterhin ziemlich leise - jedenfalls um Einiges leiser als er. Trotzdem war ihre Stimme genauso von Gift getränkt wie seine. Hatte er nicht selbst gesagt, dass sie nachbohren sollte, wenn er nicht redete? Dass sie nur dann aus dem Loch rauskamen, wenn sie gemeinsam kämpften und miteinander redeten? Ganz ehrlich - warum tat sie sich das hier an?? Hätte sie nicht auf ihr dämliches Herz gehört und wäre sie Mitch nicht so hirnlos verfallen, dann müsste sie jetzt weder für ein reiches Arschloch arbeiten und Schulden abzahlen, noch hätte sie über die Hälfte ihrer Probleme. Ihre grösste Sorge wäre wohl, wie genau sie ihr Leben in diesem beschissenen Land gestalten wollte. Aber auch dieses Problem wäre kleiner, wenn sie es nicht beide zugleich hätten. "Ich würd dich ja gern mit den Therapiesitzungen in Frieden lassen, wenn ich das Gefühl hätte, dass du auch anders wieder aus dem Loch raus findest. Siehts für dich denn danach aus??", wohl kaum, sonst wäre er ja nicht so unglücklich. Aber sie liess sich natürlich gerne eines besseren belehren.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Nein, das hatte ich nicht gemeint. Zumindest nicht... so richtig? Um ehrlich zu sein wusste ich schon gar nicht mehr, was ich wirklich denken sollte. Ich wusste, dass Aryana mir nichts Schlechtes wollte. Hatte sie in der Vergangenheit nicht und jetzt auch nicht. Aber hatte sie denn nicht selber gemerkt, dass das nicht funktionierte? Dass sie auf diese Weise nichts aus mir raus bekam? Ihr selbst war offenbar auch nichts Besseres eingefallen. Natürlich war ich die Kernursache unserer Beziehungsprobleme und das würde ich nicht abstreiten. Das hieß aber nicht, dass sie sich nicht auch weiterhin nach Lösungen hätte umsehen können, wenn die bisherige Strategie nicht hinhaute. Ich würde mich auch sehr viel lieber nicht mit ihr streiten und stattdessen einfach lang und breit erklären, warum ich nicht klarkam. Es schien nur einfach nicht in meiner Natur zu liegen mit Worten zu offenbaren, an welchen Ecken ich überall kaputt war und mich derartig verletzlich zu machen... wobei das auch irgendwie nicht richtig war. Ich hatte ja schon darüber geredet, dass es mir scheiße ging. Zuerst mit Faye, dann auch mit Aryana auf dem kleine Hügel mit Ausblick. Während ich mein damaliges Gespräch mit der jüngeren Cooper blitzartig Revue passieren ließ, begann ich mich unweigerlich zu fragen, warum ich ihr damals so verhältnismäßig leicht gestanden hatte, dass ich nicht weit vom Selbstmord entfernt war. Lag es daran, dass ich zu jenem Zeitpunkt noch näher am Abgrund gestanden hatte, als ich es jetzt tat? Oder daran, dass Faye selbst keinen Hehl daraus gemacht hatte, wie gut sie mich in dieser Hinsicht verstehen konnte? Dass sie selbst sehr kaputt war und ständig auf die Schnauze flog? An den damals hochgekochten Gefühlen konnte es jedenfalls nicht liegen, denn die hatte ich jetzt auch - ohne den Drang, mir Dinge von der Seele zu reden. Wieso hatte ich zuerst mit Faye, zu der ich nur wenig Bezug hatte, geredet? Hätte sie nicht gerade so triftige eigene Probleme, hätte ich sie glatt angerufen und gefragt, weil sie damals auch gesagt hatte, ich könnte mich jederzeit melden. Schien mir jetzt aber auch unabhängig von Fayes Zustand keine gute Idee zu sein, weil es die Beziehung zu Aryana nur noch mehr in Missgunst stürzen würde. "Das hab ich nicht gesagt, verdammt nochmal.", knurrte ich mit leicht zusammen gekniffenen Augen zurück. Ich hatte die Brünette nicht aus meinem unbarmherzigen Blick entlassen, als sie ein paar Schritte von mir weg gemacht hatte. Ihr Tonfall sorgte leider nicht unbedingt dafür, dass ich einen Gang runterschaltete und die aufgebaute Distanz funktionierte dahingehend auch nicht effektiv. Meine Widerworte bezogen sich wohl auch auf beide ihrer Aussagen - nein, sie war nicht Schuld daran. Nein, auch für mich sah es nicht danach aus, als hätte ich mental irgendwelche Fortschritte gemacht, seit die Abwärtsspirale ihren Lauf genommen hatte. Es ging viel eher sehr stetig immer weiter bergab und staute sich auf. Ich konnte förmlich spüren, wie mir die Adern an den Schläfen zu pochen anfingen. Meistens bedeutete das, dass sich ein Tinnitus anschlich und die immer stärker werdenden Anzeichen meines Körpers waren der einzige Grund, dass ich mich letztendlich von Aryanas Anblick abwendete. Das sorgte zwar nicht dafür, dass ich auf wundersame Weise nicht mehr wütend war, aber ihre Emotionen permanent aus ihrem Gesicht zu lesen reizte mich nur zusätzlich. Weil ich sie eigentlich gar nicht verletzen wollte, schürte das unterbewusst nur weiter den Selbsthass. Also drehte ich mich zur Seite weg, stützte mich mit den Händen auf die Kante der schmalen Konsole im Flur und umklammerte das Holz dabei so krampfhaft mit den Fingern, dass es schon wehtat. Aber das war gut, der Schmerz lenkte ein bisschen ab. "Sieht's denn danach aus als hätte das Nachbohren was gebracht?!", murrte ich mit ähnlichem Wortlaut absolut rhetorisch in mich hinein, als ich mit mahlendem Kiefer die Augen schloss. "Vielleicht bin ich aber nicht der einzige hier, der sich fragen sollte, warum ich nicht mit dir darüber reden kann, weil ich - offensichtlich - selbst noch keine Antwort darauf gefunden habe.", redete ich mit schmerzenden Fingerknöcheln weiter. Die Stimme wieder etwas leiser, aber nicht weniger kochend als vorher. Ich senkte sie auch nur deshalb wieder in der Lautstärke, weil ich den pulsierenden Fingern einen anderen Kanal fand. Es dauerte noch einige sehr zähe Sekunden, bis ich im Augenwinkel erneut mit meinem Blick nach Aryanas Gesicht suchte. Es war grotesk, oder? Ich wusste, dass ich ihr noch immer jederzeit mein Leben anvertrauen würde und hielt meine kaputte Seele dabei dennoch außen vor.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Vielleicht nicht in diesen Worten, aber er hatte es schon irgendwie gesagt. Er sagte vieles, wenn er wütend war - wie sie natürlich auch - war also gut möglich, dass sie die Hälfte davon mittlerweile wieder vergessen hatten. Zumindest von den Worten, die sie selbst ausgesprochen hatten, war es doch immer einfacher, diese zu verdrängen, als das, was einem selbst ins Gesicht geschmettert wurde. Sie wollte ihm hier zwar nichts unterstellen, aber es konnte trotzdem gut sein. Entsprechend rollte sie auch nur mit den Augen, gab sich eher wenig überzeugt von seiner Äusserung. Selbst wenn er nicht gesagt hätte, dass das hier ihre Schuld war, war er doch weit davon entfernt, sich einsichtig zu verhalten oder sich gar bei ihr zu entschuldigen für... alles. Nicht, dass sie das erwartet hätte, aber es wäre vielleicht schön, es irgendwann zu hören... Vielleicht wäre eine Runde Entschuldigungen weniger nervenaufreibend als das hier. Oder zumindest eine andere, ruhigere Art von nervenaufreibend. Nicht eine, bei der er seine Finger beinahe ins Holz krallen musste, wie er es jetzt gerade so ungesund tat. Eine, die vielleicht damit enden könnte, dass sie sich sehr vorsichtig wieder umarmten, ihre Lippen miteinander vereinten und sich ein weiteres Mal im Leben versprachen, dass sie das irgendwie schaffen könnten. Leider war das alles zu diesem Zeitpunkt nicht viel mehr als ein müder Traum in der Ferne... Und der Weg dorthin zurück ein schreckliches Labyrinth, bei dem jede falsche Abzweigung wieder genau hier endete: In einem elenden Gezicke und tausend Anschuldigungen, die zu überhaupt gar nichts führten und bei denen sie beide trotzdem nicht einfach einknicken wollten, weil sie dafür viel zu stolz waren. Dumm von ihnen, ja. Aber Aryana war nicht wirklich bereit, sich jetzt plötzlich einsichtig zu zeigen und ihn ein weiteres Mal einfach gewinnen zu lassen. Als würde irgendwer von ihnen bei diesen Streits jemals irgendwas gewinnen... "Nein, danach siehts nicht aus. Aber solange du mir nicht sagen kannst, was zur Hölle ich stattdessen versuchen sollte, landen wir halt immer wieder in diesen Gesprächen. Weil ich nun mal der Meinung bin, dass du mit mir reden musst, wenn wir jemals den Luxus einer funktionierenden, stabilen Beziehung geniessen wollen. Und wenn das nicht geht - gestern nicht, heute nicht, morgen nicht und überhaupt nie - dann macht das einfach keinen Sinn. Und dann finde ich auch keinen besseren Weg als Nachbohren", zischte sie zurück. Sie schätzte seine folgenden Worte ebenso wenig wie alle davor, stiess am Ende nur wieder frustriert Luft aus und schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ein paar Sekunden an die Wand rechts von ihm, bevor sie wieder zu reden anfing, ihrer aus Frust resultierender Wut weiter Luft machte und ihr Blick damit zu ihm zurückwanderte. "Nur dass du halt nicht der Einzige bist. Das hab ich mich auch schon gefragt. Zwei. Millionen. Mal. Ich hab dir leider bisher keine Lösung präsentiert, weil ich die noch nicht gefunden habe. Weil ich nicht weiss, warum du mir gefühlt gar nichts sagen willst oder kannst. Weil ich nicht weiss, wie ich das ändern soll, was ich anders machen müsste - ob ich überhaupt je zu dir durchdringen werde oder nicht, ob ich so viel Geduld habe... Ich weiss es nicht. Und vielleicht verstehst du, dass das nicht nur für dich zermürbend ist", als müsste sie das noch extra betonen - als wäre es nicht offensichtlich, dass sie beide komplett frustriert waren, weil ihr Leben gefühlt in keiner Hinsicht so lief, wie sie sich das ausgemalt hatten. Oder wie sie es sich gewünscht hatten, eine besonders klare Vorstellung davon, wie das alles dann sein sollte, hatten sie nie wirklich gehabt. Vielleicht war das ein Teil des Problems - dass sie einfach beide nicht wussten, wie eine gesunde, ausgeglichene, offene und auf Vertrauen basierte Beziehung funktionierte. Sie hatte früher schon mal einen Freund gehabt, aber das war so lange her - da war sie gefühlt noch ein Kind gewesen. In Syrien war da nie was Stabiles rausgesprungen, bevor sie es dann ganz hatte sein lassen. Ihre Erfahrungen hielten sich also massiv in Grenzen. Dass das bei Mitch nicht anders war, war ebenfalls kein Geheimnis. Wirklich gute Voraussetzungen für eine Beziehung, in der sich offene Kommunikation so schwer gestaltete. Sie waren leider nicht zwei Charaktere, die einfach so ohne Aufwand miteinander harmonierten. Dazu waren sie zu kompliziert gestrickt, zu verschlossen, einzelgängerisch, stur und auf vielen Ebenen schlicht zu verletzt, zu misstrauisch und zu kaputt. Aryana war auch nicht der Typ für eine Psychotherapie aber ja, ihr war klar, dass ihr das ganz genauso gut tun könnte wie Mitch. Dass es ihre Beziehung sehr viel harmonischer gestalten könnte, wenn wenigstens einer von ihnen sich tiefergehend mit seiner Entwicklung auseinandersetzte und an sich arbeitete. Sie sah nur nicht ein, warum das von ihnen beiden sie sein sollte... Nur sie. Das klang nicht wirklich erfolgsversprechend, sie war ja nicht das Hauptproblem, wenn man sie fragte. Sie waren beide in einer beschissenen Verfassung, beide unglücklich mit dem Lauf ihres Lebens und ihrer momentanen Situation. Und sie wussten beide nicht, wie sie hier langfristig wieder rauskamen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Tja, dann saßen wir jetzt wenig übnerraschend in einer Sackgasse fest. Nicht, dass mir das nicht schon früher bewusst geworden war, so sehr wie sich unsere Beziehung zueinander stetig weiter verschlechterte, aber Aryana drückte es mit ihren Worten noch einmal ziemlich unmissverständlich aus. Der Gedanke daran die Brünette zu verlieren, nur weil ich den Mund nicht aufbekam, tat unheimlich weh. Aber allein der Versuch sie noch so viel weiter in mein Inneres hervordringen zu lassen, als sie das bis hierhin ohnehin schon geschafft hatte, war auch wahnsinnig schmerzhaft. Nicht so sehr wie sie ganz zu verlieren... aber doch schlimm genug, um kontinuierlich davor weglaufen zu wollen. Es war nicht so leicht getan, wie es sich aussprechen ließ. Gesagt war es schnell, dass man über seine Probleme und Gefühle reden sollte, um damit fertig zu werden. Es dann in die Tat umzusetzen, war zumindest für mich eine gefühlt unlösbare Aufgabe. Früher hatte es Niemanden interessiert, wie es mir ging, also war ich Meister im Totschweigen geworden. Im Kinderheim hatte es maximal ein 'Ach lach doch mal, du siehst immer so ernst aus, Mitchell.' gegeben, wenn ich einen noch mies gelaunteren Gesichtsausdruck an den Tag gelegt hatte als gewöhnlich. Die Freunde, die ich währenddessen und in der kurzen Zeitspanne danach gehabt hatte, waren für die Tonne gewesen und es hatte dementsprechend auch da kaum Jemanden gegeben, der sich mal ernsthaft nach mir erkundigt hatte. Alle jungen Frauen, die damals versucht hatten auch nur ansatzweise zu mir durchzudringen, hatte ich immer postwendend aus der Wohnung geschubst - mal sinnbildlich, mal wortwörtlich, je nach Gemütslage. Danach bei der Army hatte es sowieso immer nur friss oder stirb gegeben, entweder man kam klar oder man wurde wieder ausgemustert, oder später auf dem Schlachtfeld hingerichtet. Aryana konnte ich aber nicht einfach so abspeisen. Sie war keine flüchtige Bekanntschaft und sie interessierte sich für mein Wohlergehen, weil sie mich liebte - was dumm war, ganz nüchtern betrachtet, aber Liebe machte eben nicht immer Sinn. Sie sollte längst über alle Berge sein, so wie ich sie behandelte, und trotzdem ging sie einfach nicht. Setzte sich in meinem Nacken fest wie eine Klette, an die ich nicht rankam und ließ mich jeden Tag aufs Neue sehen, wie hässlich ich mich verhielt. Ich wünschte, es würde anders laufen. Wie sollte ich bloß diese Barriere loswerden? Ich hatte sie über so viele Jahre hinweg immer weiter aufgebaut. Welchen der unzähligen Steine musste ich mit einem Vorschlaghammer aus der Wand schlagen, damit auch der Rest in sich zerfiel? Vielleicht würde der Brünetten wirklich die Geduld ausgehen, bevor ich das Puzzleteil fand. Ich wünschte, wir hätten die Zuhause-Keinen-Alkohol-Bunkern-Regel inzwischen schon aufgehoben. Den Kopf schüttelnd sah ich mit mahlendem Kiefer auf das Holz der Konsole runter. Hätte am liebsten die paar wenigen Dinge, die auf der glatten Oberfläche standen, einfach runtergefegt um mir Luft zu machen. "Denkst du ich weiß das nicht? Dass das der einzige Weg ist?" Zwei völlig rhetorische, ungemütlich leise klingende Fragen. Selbst ich war mit meiner blinden Wut inzwischen schon x Mal an dem Punkt angekommen, an dem ich gemerkt hatte, dass all die schmerzlichen Gefühle raus mussten, dass ich darüber reden musste. Im Grunde wäre es wahrscheinlich egal, wem ich das alles beichten würde, solange es nur endlich mal aus mir raus kam und sich die untragbare Last auf meinen Schultern dadurch etwas dezimierte, damit ich zumindest mal das Gefühl bekam wieder atmen zu können. Aber ganz gleich, wem ich diesen ersten Einblick in meinen Schädel gewähren würde - wenn es nicht Aryana war, dann müsste ich es ihr danach trotzdem ebenfalls sagen. Unsere Beziehung würde niemals funktionieren, wenn ich mich ihr nicht anvertrauen konnte und umgekehrt. Sie sollte eigentlich der Mensch sein, der mir am nächsten stand und bei dem ich mich immer sicher aufgehoben fühlte. Die kalte Realität sah bisher leider anders aus. "Ich wünsche mir nichts mehr, als dir so vertrauen zu können, dass es nie wieder ein Problem werden könnte, dir Irgendwas anzuvertrauen. Aber ich kanns nicht und ich weiß nicht, wie oder wann sich das ändern wird." Meine Worte klangen noch immer sehr verbittert, aber es mischte sich ungewollt auch ein Hauch Verletzlichkeit hinein, während ich bewusst Stück für Stück die Finger von der Konsole löste. Mich schließlich nach ein paar langen Sekunden schwunglos davon abstieß und mich Aryana kurzzeitig wieder zuwandte. "Also ja, schon möglich - vielleicht geht dir die Geduld vorher aus.", drückte ich mit einem müden, schmerzlichen Lächeln, das nicht ansatzweise meine Augen erreichte, ein paar letzte Worte an sie ab. Dann löste ich meinen Blick gänzlich von ihr und wendete mich ab, weil das Gespräch für mich schlicht und ergreifend beendet war. Zumindest insofern, dass ich es nicht ohne eine Zigarette weiterführen konnte, weil der Druck auf meiner Brust unerträglich und die immer um die selben Fragen kreisenden Gedanken in meinem Kopf schwindelerregend wurden. Ich verteufelte gedanklich unweigerlich zum millionsten Mal meine gesamte Existenz, als ich ich im Begriff war den Flur zu verlassen und den Balkon aufzusuchen. Dabei hatten die Glimmstängel schon lange keine wirklich effektive Wirkung mehr. Sie beruhigten mich nicht mehr, dafür konsumierte ich zu viel davon. Es waren lediglich die körperliche Abhängigkeit und das Gefühl dadurch kurzzeitig mit den ständig wütend zitternden Fingern beschäftigt zu sein, die mich noch immer dazu drängten den potenziellen Lungenkrebs weiter zu fördern.
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Es war nicht so, dass sie nicht verstehen könnte, wie schwierig das Reden eben war. Sie erlebte es ja genauso, war selber ein Mensch, der lieber alleine litt, lieber alleine grübelte, lieber alleine die Steine aus dem Weg räumte. Es gab nur offensichtlich Hürden, die er und sie alleine nicht überwinden konnten, Hürden, die ihnen unausweichlich den Weg verbauten und die sie auch auf keinem noch so beschwerlichen Pfad umgehen konnten, wenn sie danach weiter gemeinsam fortschreiten wollten. Entweder sie schafften es, sich gemeinsam durch den Dschungel zu kämpfen, oder sie hörten irgendwann ganz auf, es zu versuchen. Das wollten sie beide nicht, sonst würden sie sich nicht andauernd streiten. Wenn sie sich eine Zukunft ohne den jeweils anderen vorstellen könnten, dann würden sie ihre Energie nicht ständig mit Streitereien verschwenden, sondern hätten diese Konstellation längst aufgegeben. Umso dämlicher, wie wenig sie dann scheinbar daran arbeiteten, tatsächlich wieder zueinander zurück zu finden. Könnte man meinen... In Wirklichkeit versuchte zumindest Aryana das nämlich wirklich. Es war nur unendlich schwer und sie mit ihrem Latein am Ende. Er gab sogar zu, dass das Reden der einzige Weg nach vorne wäre, er es nur offensichtlich nicht konnte. Weil er ihr eben nicht richtig, bedingungslos, zu hundert Prozent vertraute. Sie presste die Lippen aufeinander, als er diese Worte aussprach, wandte erneut den Blick zur Seite, als würde das verbergen, wie sehr diese Tatsache sie ständig aufs Neue verletzte. Eigentlich könnte sie wissen, dass es nicht wirklich an ihr lag. Es fühlte sich nur trotzdem wirklich so an - wie ein Vorwurf. Weil sie irgendwas nicht richtig machte, ihm irgendwie das Gefühl gab, dass er ihr eben lieber noch ein bisschen misstrauen und immer noch etwas auf der Hut bleiben sollte. Dass sie vielleicht doch noch ein falsches Spiel spielte, er vielleicht doch nicht so sicher bei ihr war, wie sie das gerne beteuerte. Aryana hatte keine Ahnung, wie sie das ändern sollte, genau wie er keine Ahnung hatte, wie er ihr jemals so vertrauen sollte. Sie hob den Blick nochmal an, als er sich erneut zu Wort meldete. Gerade rechtzeitig, damit sie sein abgekämpftes Lächeln nicht verpasste und ihm anschliessend dabei zuschauen konnte, wie er den Hausflur verliess, um den Balkon aufzusuchen. So endeten eigentlich alle ihrer Streits. Damit, dass einer von ihnen sich aus dem Staub machte, weil er oder sie das Gespräch nicht mehr aushielt. War heute scheinbar nicht anders. Aryana blickte ihm ziemlich lange nach, als er schon längst verschwunden war. Sie könnte ihm folgen und sich zu ihm setzen und es nochmal in angemessenerem Tonfall versuchen. War aber nicht so, als hätte sie genau das nicht auch schon tausend Mal versucht und meistens führte es genauso zu nichts. Ausserdem hatte sie gerade echt nicht den Nerv dazu, weshalb es ziemlich kontraproduktiv enden würde. Allerdings hatte sie auch keine Lust mehr, sich mit Noah und seinen Freunden zu treffen. Weg musste sie trotzdem, ihr Kopf hielt das hier heute Abend nicht aus. Sie wusste auch genau wohin - blieb nur zu hoffen, ihre Schwester hätte keine wichtigeren Pläne für heute oder sass auf der Arbeit. Die Brünette fischte sich einen Stift und einen Notizzettel von der Ablage. Eher nicht. Ich bin ziemlich hartnäckig. Beendete sie nun auch für sich mit ein paar Worten auf dem Zettel das Gespräch, gab sich erstmal noch nicht geschlagen, was ihre Geduld mit seiner Verschlossenheit und der Lösungsfindung betraf. Auf einer zweiten Zeile folgten die Worte Bin bei Faye - nur damit er seinen Kopf nicht auch noch mit Befürchtungen bezüglich Noah verpesten musste oder in der Wut auf... was auch immer für dumme Ideen kam. Aryana zögerte einen Moment, nahm den zwischenzeitlich abgelegten Stift nochmal auf. Ich liebe dich. Sie waren leider längst weit entfernt von dem Punkt, an dem keiner die Wohnung verliess, ohne davor einen gebührenden, liebevollen Abschied eingesammelt zu haben. Das war scheisse, denn eigentlich wusste sie ganz genau, wie wichtig das wäre. Aber sie brauchte sich jetzt auch nicht nochmal in die Schusslinie zu begeben, oder? Er wirkte nicht so, als ob er jetzt einen Kuss und ein Liebesgeständnis hören wollte, beziehungsweise glauben würde. Woran sie sicherlich mitschuldig war. Aber vielleicht würde er es sehen, wenn er per Zufall hier vorbei kam. Weil er raus wollte... Was auch immer. Sie liess den Zettel gut sichtbar liegen, schlüpfte in ihre Jacke, steckte das Handy und den Geldbeutel ein und verliess nach einem tiefen Atemzug die Wohnung. Das war falsch und sie fühlte sich beschissen. Aber vielleicht konnte ihre Schwester ja tatsächlich helfen... Und wenn nicht, dann konnte sie sich wenigstens irgendwo auskotzen. Und wenn auch das nicht ging, weil Faye selber in schlechter Verfassung war, dann hatte sie wenigstens Ablenkung - an einem Ort, der auch in Mitchs Kopf keine Gefahr darstellen konnte. Noch auf dem Weg nach draussen liess sie Noah via Textnachricht wissen, dass sie doch nicht kommen würde.
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Ich war inzwischen nicht mehr wirklich zufrieden damit, wie die Sache mit Faye gelaufen war. Es war wiederum jedoch auch nicht so, als hätte ich meine Meinung hinsichtlich unserer Freundschaft mittlerweile geändert. Ich vertrat dahingehend dieselbe Ansicht wie an dem weihnachtlichen Silvesterabend, aber ich vermisste die zierliche Brünette jetzt doch ein bisschen. Wir hatten uns auch vorher nicht alle drei Tage gesehen und es waren in der Zwischenzeit durchaus mal Wochen vergangen, aber der feine Unterschied daran war, dass wir trotzdem ab und zu ein paar Nachrichten ausgetauscht hatten. Das fehlte jetzt zusätzlich zu ihrer Anwesenheit. Es herrschte Funkstille, weil ich mich nicht gut damit fühlen würde jetzt einfach so nachzuhaken, wie denn der Stand der Dinge war und ob sie sich schon entschieden hatte. Angesichts dieses folgenschweren Ausgangs des Abends war die gemeinsame Partie Unterstützung eben auch erstmal zweitrangig oder gegebenenfalls nichtig, je nachdem wie die junge Frau sich letzten Endes entschied. Das Leben stand aber natürlich trotzdem nicht still. Während ich weiterhin fast täglich die aufsässigen Teenager in Schach hielt, sie nach bestem Wissen und Gewissen erzog, meldeten sich doch zumindest zwei potenzielle Arbeitgeber für Nebenjobs auf meine Bewerbungen. Das hieß wiederum Bewerbungsgespräche wahrzunehmen und das erste war in meinen Augen schonmal ziemlich für die Tonne gewesen. War eigentlich schade, weil mir der Laden optisch gut gefallen hatte. Es wäre an sich nicht unbedingt ein Traumjob an der Ausgabe eines Cafès gewesen, aber mir war die Optik allein schon wichtig. Ich musste mich halbwegs wohlfühlen können, sonst landete die Kündigung zeitnah auf dem Schreibtisch - von meiner Seite aus. Leider war der Inhaber des kleinen Ladens so gar nicht mit mir auf einer Wellenlänge geschwommen, also stand die Arbeit dort nicht mehr zur Debatte. Das zweite Vorstellungsgespräch hatte vor etwa einer Stunde stattgefunden. Die nicht allzu große Bar befand sich im selben Ort, in dem Faye wohnte, wenn auch nicht unbedingt in unmittelbarer Nähe. Etwas mehr als eine halbe Stunde zu Fuß war sie weg, wie ich gerade aus erster Hand herausgefunden hatte. Einige Minuten lang hatte ich hin und her überlegt und hatte letzten Endes doch beschlossen kurz bei der Brünetten vorbeizugucken, wenn ich nun ohnehin schon in der Stadt war. Vielleicht war das eine sehr blöde Idee, aber es ließ mir eben einfach keine Ruhe. Es gab eigentlich genug andere Dinge, über die ich mir stattdessen den Kopf zerbrechen sollte, aber mich plagten ungeklärte Konflikte langfristig immer sehr. Zumindest eben in einem Fall wie diesem - ich war noch nicht wirklich bereit dazu mit Faye abzuschließen. Andernfalls hätte ich sie einfach in Ruhe gelassen und mich nicht mehr bei ihr gemeldet, hatte ich generell doch eigentlich kein Problem mit derart knappen, kalten Abschieden - bevorzugte sie gewöhnlich ja sogar. Nur hatte ich jetzt eben noch keine Lust zum Schließen dieses Kapitels. Es war in meinen Augen noch nicht zu Ende geschrieben, weshalb ich jetzt eben auch den kleinen Weg von der Straße hin zu ihrer Haustür einschlug. Ich war pauschal eher nicht davon ausgegangen, dass die junge Frau, die mir in einigen Metern Entfernung auf dem Gehweg entgegen gekommen war, nachdem sie ihr Auto geparkt hatte, nun auch ausgerechnet zur Klingel dieses Hauses spazierte. Ich zögerte noch einen kurzen Moment lang und so hatte sie schon fast zu mir aufgeschlossen, als ich schließlich den Knopf der Klingel drückte. Ich begrüßte die Unbekannte schwach lächelnd mit einem Kopfnicken und kurzem Blickkontakt, ehe meine Augen ihrer ausgestreckten Hand folgten. Ohne Umschweife hob ich meinen Blick wieder in ihr Gesicht an. "Du willst zu Faye..?", fragte ich direkt nach. Blöde Frage eigentlich, weil ich sie mir selber beantworten konnte. Ich versuchte mir selbst zusammen zu reimen, bei wem es sich bei der Brünette hier handelte. Könnte ihre Schwester sein, verhältnismäßig große Augen hatten sie beide. Abgesehen davon schienen sie auf den ersten Blick - Haarfarbe mal ausgenommen - aber nicht viele Gemeinsamkeiten zu haben. Nicht mal ihre Augen hatten dieselbe Farbe. Vielleicht doch nur eine ihrer Freundinnen.
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Sie hatte Faye auf der Fahrt in die Nachbarstadt angerufen, um herauszufinden, ob ihre Schwester überhaupt zuhause war. Zuhause und alleine, denn mittlerweile war Aryana die Lust auf weitere Gesellschaft dezent vergangen. Schien aber beides der Fall zu sein und Faye hatte ebenfalls nichts gegen ein bisschen Gesellschaft. Also genau die richtigen Voraussetzungen für einen kleinen, hoffentlich hilfreichen oder zumindest ablenkenden Besuch. Die Strecke war rasch überwunden, da der Verkehr zu dieser Stunde schon gut nachgelassen hatte, auch wenn, oder gerade weil sie einen Freitagabend schrieben. Sie stellte das Auto auf dem Besucherparkplatz ab, drehte den Schlüssel und atmete nochmal tief durch. Vielleicht sollte sie Mitch nochmal anrufen oder ihm zumindest schreiben... Aber wahrscheinlich würde es ihn nur nerven, wenn sie ihn so überfürsorglich bemutterte. Das hatte er ihr nämlich schon mehr als einmal vorgeworfen, also musste sie wohl einfach darauf vertrauen, dass er jetzt keinen Scheiss anstellte. Nichts Schwerwiegenderes, als sich gegebenenfalls zu besaufen - wenn er denn erstmal Alkohol beschaffte. Ausserdem wusste sie auch gar nicht, was sie ihm denn sagen sollte. Mach keinen Scheiss wäre irgendwie genau das, was er mit dem Bemuttern meinen würde und es tut mir leid stimmte schlicht nicht. Vielleicht ein ganz kleines bisschen, weil sie ihren Ausflug in der Tat etwas früher hätte ankündigen können. Aber das hatte er wiederum ja auch nie getan und irgendwie sah sie sich einfach noch immer nicht in der hauptsächlich schuldtragenden Position. Sie hatte auch Fehler gemacht und machte diese weiterhin, das würde sie nie abstreiten, aber Mitch durfte sehr gerne auch mal zuerst mit einer Entschuldigung auftauchen, nachdem er sie ständig mehr oder weniger grundlos so angiftete... Wie dem auch sei, das war gerade (noch) nicht das Problem. Jetzt musste sie erstmal ihrer Schwester ein wenig den Abend verderben - auch wenn es für Faye nicht unbedingt ein Geheimnis sein dürfte, dass es zwischen Aryana und Mitch momentan nicht ganz so rosig lief. Ging den anderen beiden ja nicht viel anders... Auch wenn Victor immerhin - soweit sie informiert war - vor seiner Abreise nie so anstrengend geworden war wie Mitch im Moment. Ein Victor mit solchen Stimmungsschwankungen war irgendwie auch sehr schwer vorstellbar. Ihre Persönlichkeiten waren einfach komplett unterschiedlich gestrickt, weshalb sich folglich auch ihre Beziehungen so wesentlich voneinander unterschieden. Was normalerweise okay war, gerade aber sehr nervte. Es wäre definitiv gesünder, wenn sie und ihr Freund lernen würden, sich auch mal etwas offener über die Probleme in ihrer Beziehung und ihrem Leben zu unterhalten. Aryana stieg aus dem Auto und machte sich auf den Weg zur Haustür, stellte schon unterwegs fest, dass da offenbar gerade schon anderer Besuch wartete. Da das Haus aber mehr als eine Wohnung beherbergte, machte sie sich erstmal keine weiteren Gedanken, nickte dem Fremden lediglich mit einem etwas erzwungenen Lächeln zu, als sie zu ihm aufschloss. Allerdings schien der etwas mehr auf Kontakt aus zu sein als sie - beziehungsweise erkannte einen triftigen Grund, sie anzusprechen. Nämlich weil er scheinbar ebenfalls zu ihrer Schwester wollte. So interpretierte sie zumindest seine Frage, die sie etwas erstaunt in seine Richtung blicken liess, während sie den Finger wieder von der Klingel nahm. "Ja... du auch?", stellte sie umgehend die Rückfrage, begann schon währenddessen, den Mann vor sich kurz zu mustern. Sie hatte keine Ahnung, wer er sein könnte oder woher er Faye kannte. Diese hatte bislang auch nie erwähnt, dass sie sich mit jemandem traf. Einem Mann... schätzungsweise ungefähr im gleichen Alter. "Sie hat gar nicht gesagt, dass sie noch weiteren Besuch erwartet...", stellte Aryana fest, um die Musterung ein bisschen zu überspielen. Gleich darauf erklang auch schon der Summer und die Brünette schob einen Fuss zwischen Tür und Angel, ohne dabei den fragenden Blick von dem Dunkelhaarigen abzuwenden. Sie hatte wie gesagt nicht unbedingt das Bedürfnis nach einem Abend zu dritt, würde sich aber auf jeden Fall schwer davor hüten, hier direkt einen schlechten Eindruck zu hinterlassen bei wem auch immer. Ausserdem hatte er geklingelt und die Tür ging theoretisch für ihn auf... Vielleicht wollte er ja gar nicht zu ihrer Schwester.
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Ich hätte die Gegenfrage der jungen Frau beinahe übersprungen und sie stattdessen einfach ganz direkt gefragt, ob sie Fayes Schwester war. Allerdings beschlich mich gerade noch rechtzeitig das ungute Gefühl, dass es der zierlichen Brünetten oben in der Wohnung vielleicht nicht so recht wäre, wenn ich mir diese Information einfach so beschaffen würde. Nachdem sie mit Details zu ihrer Familie in der Regel sehr vorsichtig umging, verwehrte ich mir das Recht darauf vorerst selbst. Ich hoffte schließlich noch, dass wir beide uns erneut sprechen würden und dann würde ich sie eben einfach direkt danach fragen. War ihr bestimmt lieber, oder zumindest dachte ich das. So befasste ich mich stattdessen mit der Frage der unweit neben mir stehenden jungen Frau, die kurzerhand dafür sorgte, dass die Tür einen Moment für uns offen stehen blieb. Ich nickte langsam und musterte sie dabei ein weiteres Mal flüchtig. Dass Faye mich nicht erwartet hatte, war nur logisch. Das hatten spontane Treffen so an sich, wenn sie nicht vom Besuchten ausgingen. Wer auch immer die Brünette vor meiner Nase hier war - sie hatte sich im Gegensatz zu mir vorher bei Faye danach erkundigt, ob sie überhaupt vorbeikommen konnte. "Sie konnte auch nicht wissen, dass ich vorbeikomme.", stellte ich allem voran fest und schwieg drei Sekunden, bevor ich mich endgültig dazu entschieden hatte noch ein paar mehr Infos springen zu lassen. "Ich war in der Gegend und dachte ich schau spontan vorbei. Nur mal sehen, wie's ihr geht... aber das kann ich dann ja dir überlassen.", meinte ich und schloss meine Worte mit einem leicht schiefen Lächeln ab. Daraufhin trat ich dann auch langsam zwei Schritte rückwärts von der Haustür weg, um ihr den Weg freizumachen. Ich sah keinen Sinn darin mich trotz dieses unvorhergesehenen Zusammenstoßes an der Haustür mit nach oben zu begeben. Davon hatte ich nichts. Die Situation würde nur unnötig unangenehm werden und am Ende würde die schöne Unbekannte hier sonst noch fragen, was vorgefallen war, dass wir uns so komisch benahmen. Beziehungsweise warum Faye sich komisch benahm - ich war mir recht sicher, dass ich das Ganze entspannt über die Bühne hätte bringen können. So schnell brachte man mich gewöhnlich nicht aus er Ruhe. Allerdings wollte ich Faye die unbehagliche Atmosphäre natürlich ersparen. Davon hatte sie nichts und ich auch nicht, außer dass wir noch unwahrscheinlicher wieder zueinander fanden. Überflüssig zu erwähnen, dass es solche Fehler meinerseits tunlichst zu vermeiden galt. Auch wenn es nicht ganz in meinem Sinn war jetzt nicht selbst nachsehen zu können, wie es meiner kleinen Ballerina ging. Ich würde nämlich keine Antwort auf diese für mich eigentlich wichtige Frage bekommen. Zumindest glaubte ich eher weniger daran, dass sie sich diesbezüglich später aus freien Stücken bei mir melden würde. Ich konnte leider nur spekulieren und ich mochte das nicht. Ob ich Fayes Freundin, Schwester oder was auch immer noch etwas mit auf den Weg nach oben geben sollte? Eigentlich konnte die zierliche Brünette oben in der Wohnung ganz gerne wissen, dass ich mich auf den Weg zu ihr gemacht hatte. Damit ich mindestens in ihrem Unterbewusstsein weiterhin hängenblieb. Aber dann brauchte der Bote hier einen Absender der Nachricht. Meinen Namen an eine Unbekannte rauszugeben schien mir nicht schlau. Wenn es sich hier tatsächlich um Fayes Schwester handeln sollte, könnte sie meinen Namen vielleicht kennen - auch wenn ich eigentlich nicht glaubte, dass die kleine Backfee viel über die Vorkommnisse geredet hatte - und in so mancher Hinsicht nicht gut auf mich zu sprechen sein. Besser Nichts riskieren. "Wäre nett von dir, wenn du Faye ausrichten könntest, dass ich hier war... es müsste ausreichen, wenn du ihr sagst, dass ich hinke.", gab ich also nur eine kurze Umschreibung meinerseits zum Besten, wobei das Lächeln gegen Ende hin unterschwellig belustigt aussah. Es war halt leider ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal für einen Kerl in meinem Alter, dauerhaft zu hinken. Angesichts der Geschichte dahinter eigentlich gar nicht lustig, aber ich konnte inzwischen zumindest ab und zu auch mal über mich selbst lachen. An guten Tagen selbst in dieser Angelegenheit.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Scheinbar kannte der junge Mann ihre Schwester nicht nur, sondern war auch tatsächlich mit der Intention vor dieser Haustür gestanden, sie zu besuchen. Eigentlich hätte die Frage sich vor dem Summen der Haustür erübrigt, wenn Faye sich zuerst über die Gegensprechanlage gemeldet und somit bekanntgegeben hätte, dass er tatsächlich ihre Klingel gedrückt hatte. Da sie aber natürlich davon ausgegangen war, dass es Aryana war, die Einlass begehrte, hatte sich das bereits erübrigt und der Dunkelhaarige musste das Rätsel selbst lösen. Er machte es jedoch nicht unnötig spannend, rückte lieber zeitnah sowohl mit der Antwort, als auch mit der Information, dass es sich bei ihm um einen Spontanbesucher handelte, heraus. Das war jetzt irgendwie dumm, weil er scheinbar ebenfalls nicht vorhatte, den Abend zu Dritt zu verbringen und deswegen umsonst hergekommen war. Eine etwas extrovertiertere Person als Aryana hätte ihm vielleicht umgehend versichert, dass er gerne mit hoch kommen und ihnen Gesellschaft leisten konnte, sie den Abend sicherlich auch zu dritt ganz unterhaltsam gestalten konnten.Aber bekanntlich war das nicht unbedingt ihre Art und ihre Laune war beschissen genug, dass sie diese Option maximal für den Bruchteil einer Sekunden in Betracht zog. Sie war nicht unbedingt die Art von Mensch, die anderen gerne falsche Kontaktfreudigkeit - oder überhaupt irgendwas - vorspielte, der Unbekannte vor ihr bekam also nichts in diese Richtung zu hören. Sie lächelte ihn aber trotzdem ehrlich an, vielleicht sogar ein bisschen dankbar dafür, dass er offensichtlich auch nichts solches erwartete. "Werd ich sicherlich tun, ja", erwiderte sie auf seine Bemerkung dazu, dass sie schauen würde, wies Faye gerade ging. Diese Abklärung konnte er tatsächlich ihr überlassen. Auch den indirekten Gruss würde sie natürlich ausrichten, auch wenn sie bei seinem Selbstbeschrieb leicht irritiert eine Augenbraue nach oben zog. Wäre es nicht einfacher, wenn er ihr einfach seinen Namen sagte? Oder wollte er ihr sagen, dass sein Weg hierher beschwerlicher gewesen war als ihrer? Verspürte er tatsächlich das Bedürfnis, Aryana mitzuteilen, dass er hinkte? Eher nicht, denn mit dieser Info konnte sie sicherlich weniger anfangen als ihre Schwester, die ihr bestimmt gleich sagen würde, wer genau hier vor ihr stand. "Das mach ich natürlich auch. Aber du könntest mir auch einfach deinen Namen verraten, ich stell' bestimmt nichts Dummes damit an", meinte sie mit einem weiteren schiefen Lächeln in seine Richtung. Denn ganz ehrlich interessierte es sie ja schon nicht unerheblich, was Faye hier für Männerbesuch entgangen war - ihre Schwester konnte sich also gerne auf entsprechende Fragen gefasst machen. Vielleicht war das ja ganz gut, ein bisschen Ablenkung von Victors Abwesenheit. Aryana war sich zwar ziemlich sicher, dass Victor kaum so schnell ersetzt wäre, aber Männer mussten ja bekanntlich nicht zwingend was anderes als Freundschaft bedeuten, wie sie heute schon einmal aus persönlicher Perspektive diskutieren durfte. Trotzdem, wenn er wirklich hinkte, konnte der Fremde schlecht vom Rettungsdienst sein, also kannte Faye ihn wahrscheinlich nicht von der Arbeit. Ausser er war ihr Patient gewesen, aber da hatte es ja erst kürzlich eine Geschichte gegeben, die... Es waren eigentlich nur ein paar Sekunden gewesen, die sie hier mit Nachdenken verschwendet hatte, trotzdem war die mögliche Erkenntnis daraus ausreichend, dass die Augen der Brünetten dezent überrascht grösser wurden. Natürlich, er hinkte. Faye hatte zwar nie erwähnt, dass Ryatt hinkte, aber er war Veteran, da war sowas leider gar nicht so selten. Ausserdem hatte Faye vor ein paar Wochen erzählt, dass sie manchmal etwas mit ihm unternahm. Aryana hatte seit da nie mehr nachgefragt, ob das weiterhin so war, weil Faye auch kein Wort mehr dazu verloren hatte. Aber möglich wars, oder? "Warte kurz, du bist nicht etwa Ryatt, oder?", wahrscheinlich wäre er lieber direkt abgehauen, bevor sie hier Vermutungen anstellte, aber dazu war er leider zu langsam gewesen - oder sie zu schnell. Und sie wusste nicht so ganz, was sie jetzt lieber hören würde. Sie hatte sich das letzte Mal ehrlicherweise nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht, was sie von Fayes Kontakt zum Ursprung des jüngsten Elends halten sollte - teils weil Faye selber entscheiden konnte, mit wem sie ihre Freizeit verbrachte und teils weil Aryana mit dem schiefen Haussegen zuhause längst alle Hände voll zu tun hatte. Aber dafür begeistern, konnte sie sich auf jeden Fall nicht so ganz. Nicht weil sie ihn für einen schlechten Menschen hielt - eher einfach für ein mittleres bis hohes Risiko und ihr gefielen jegliche Risiken immer dann am besten, wenn sie sich mindestens drei Sonnensystem von ihrer Schwester entfernt tummelten. Apropos Schwester: Scheinbar wurde da jemand ungeduldig, wie Aryana feststellte, als sie ihr vibrierendes Handy aus der hinteren Hosentasche fischte. War ihr aber nicht zu verübeln und Aryana war definitiv froh drum, zu sehen, dass Faye sich gerade nicht fürs Treppe runter kommen und nachschauen entschieden hatte. Denn wenn sie tatsächlich eine falsche Person einfach so ins Haus gelassen hätte, wäre freiwillig rauskommen eine denkbar schlechte Idee. Sie wusste zwar nicht wirklich, wie die Entführung das letzte Mal geschehen war, aber ihre liebe Schwester, die in diesem Moment mit einem Lächeln und den knappen Worten „ich komm gleich hoch, Schätzchen“, beruhigt wurde, tat gut daran, jeder potenziellen Gefahr, die zu einer Wiederholung des Grauens führen könnte, aus dem Weg zu gehen.
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Theoretisch hätte ich das machen können, ja. Nur hielt ich es für keine so gute Idee meinen Namen hier kundzutun. Leider erübrigte sich dieser Gedankengang meinerseits schon einige Sekunden später. Ich hatte mir noch keine wirklich gute Begründung dafür aus dem Ärmel gezaubert, der Brünetten möglichst oberflächlich zu erläutern, weshalb ich meinen Namen nicht einfach direkt sagen wollte, da kam sie mit genau diesem auch schon eigenständig um die Ecke, während ich ein paar langsame Schritte weiter rückwärts ging. Aufgrund ihrer Feststellung hielt ich dann aber doch inne, blieb noch einmal stehen. Sie kannte mich - wusste zumindest insoweit von mir, dass sie sich jetzt tragischerweise selbst herleiten konnte, um wen es sich bei mir handelte. Da ich wiederum meinerseits eher nicht davon ausging, dass Faye gerne mit ihrem gesamten Bekanntenkreis besprach, was so in den letzten Monaten bei ihr passiert war, musste es sich bei der jungen Frau hier vor ihrer Haustür doch um eine engere Vertraute handeln. Ich war der gegebenen Umstände wegen ganz froh darüber, dass Faye mittels eines Anrufs einen winzigen Zeitpuffer für mich bewerkstelligte. Es war nicht so, dass mir die Worte fehlten, denn es gab an dieser Stelle theoretisch sehr vieles zu sagen. Dass es mir aufrichtig leid tat, dass ich die zierliche Brünette mit in mein eigenes Elend gestürzt hatte. Dass es vielleicht nur mäßig vertretbar war, dass ich mich weiterhin in ihrer Nähe aufhalten wollte. Genauso wie die Tatsache, dass ich wohl lieber in ihrem Bett, als auf ihrem Sofa schlafen würde. Oder dass die Dame hier sich keine Sorgen darum machen musste, dass ich vor hatte für immer an Fayes Seite kleben zu bleiben. Und noch so vieles mehr. Die Frage war nur, was zu erwähnen wirklich sinnvoll war. Ich war in ihren Augen nämlich bestimmt nur ein mäßig bis eher gar nicht erwünschter Gast, sofern es sich wirklich um das ältere Schwesterherz handelte. "Und du bist wohl ihre Schwester, wenn du von dem ganzen Drama weißt..?", gab ich der jungen Frau keine direkte Antwort auf ihre Frage, aber sie schien nicht blöd zu sein und würde selbst drauf kommen, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Ich klang ziemlich neutral, nicht beunruhigt oder anderweitig negativ. Trotzdem schmeckte mir das jetzt nicht. Es wäre mir deutlich lieber gewesen, wenn sie kein Gesicht zu meinem Namen hatte. Ich hatte nicht per se etwas gegen ihre Bekanntschaft, aber ich konnte eben doch gut darauf verzichten, wenn dadurch gefühlt ein weiteres, wachsames paar Augen auf meinen Taten lag. Das gehörte einfach nicht zu den Dingen, die ich in meinem Leben gerade gut brauchen konnte. Ich musterte die Brünette noch einmal in drei schnellen Sekunden von Kopf bis Fuß, ehe ich wenige Worte mehr anhängte. "Ich will Faye nichts Böses... das wollte ich nie." Mit diesen Worten blieb mein Blick noch einen Moment lang in ihren dunklen Augen hängen, bevor ich den nächsten Schritt rückwärts machte und mich noch dabei umdrehte. Ich sah nicht wirklich einen Sinn darin, hier eine längere Konversation mit ihr zu führen. Sie würde sich längst eigenständig ein Urteil von mir gebildet haben, weil sie die Geschichte kannte. Dieses Urteil konnte ich jetzt so oder so nicht innerhalb weniger Sätze stürzen. Worte allein reichten in so einem Fall nicht dazu aus, sie müsste mich wirklich kennenlernen und auch an meinen Taten festmachen können, dass ich auf keiner Mission gegen ihre Schwester war. Auch das wäre dann aber keine Garantie dafür, dass sich ihr Bild von meiner Person änderte. Oder dafür, dass die drei Höllengeschwister nicht nach wie vor hinter mir her waren, woran ich eigentlich keine Zweifel hatte. Die Frage war nur, warum sie nicht längst zugeschlagen hatten. Sie hätten schon die eine oder andere wirklich gute Gelegenheit dazu gehabt, so ganz nüchtern betrachtet. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sie mein überaus umfängliches Geständnis vor Gericht inzwischen vergessen hatten, wo der gute Sean doch noch immer fein hinter Gitterstäben saß.
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Die Antwort wirkte zwar ein bisschen ausweichend, wurde dadurch jedoch nicht weniger klar als erwartet. Alles, was keine Widerrede war, war in diesem Fall sowieso eine Zustimmung und sie tatsächlich gerade in Anwesenheit des Veteranen, der Faye und Victor ein weiteres Mal in die Hölle begleitet hatte. Sie nickte langsam auf seine eher rhetorische Frage, hatte den Blick dabei weiterhin auf ihn gerichtet. "Bin ich, ja...", hatte er offensichtlich ebenfalls korrekt interpretiert. Scheinbar hatte Faye sie ihm gegenüber bereits erwähnt, wie das umgekehrt bei Ryatt auch der Fall war. Aryana war trotz der eigentlich langen Vorbereitungszeit jetzt dezent überrumpelt und wusste nicht, was sie von diesem Aufeinandertreffen - geschweige denn von dem fremden Mann an sich - halten sollte. Sie war ihm nicht grundsätzlich abgeneigt und natürlich verspürte sie ebenfalls eine gesteigerte Empathie für Veteranen. Trotzdem war ihre Schwester ihr gewissermassen heilig, und dass er Faye nur gut getan hatte, konnte man leider nicht behaupten. Ryatt plante aber offenbar gar nicht, hier und heute - oder überhaupt je - darauf zu warten, dass sie sich ein Urteil gebildet hatte. Er ging weiter rückwärts und drehte sich nach ein paar abschliessenden Worten endgültig um, um zu gehen. Vielleicht hätte sie etwas sagen sollen. Irgendwas wie ich weiss oder darum mach ich mir keine Sorgen. Aber diesmal war sie an der Reihe mit zu langsam sein und blickte ihm stattdessen nur schweigend und mit nachdenklich in Falten gelegter Stirn nach. Es war gut, dass er scheinbar nicht weiter zu Fayes Übel beitragen wollte. Trotzdem zweifelte die Brünette automatisch an, wie vorteilhaft seine Besuche bei ihrer Schwester sein konnten. Es war nicht an ihr, das zu beurteilen oder hier ein Veto einzulegen. Aber es gäbe bestimmt Menschen, die sie lieber in Fayes Gesellschaft sehen würde als ihn. Was etwas gemein war, da sie ihn gar nicht kannte und sie die Letzte war, die vorschnell über andere urteilen wollte. Aber eben... alles, was mit Faye zu tun hatte, war immer etwas komplizierter...
--------- little Zeitsprung ca. 5 Tage ---------
Es war fünf Tage her, seit Aryana bei ihr gewesen war, um sich ein bisschen auszukotzen. Wobei das noch eine echt untertriebe Bezeichnung war, denn scheinbar war ihre Schwester mit dem Latein dezent am Ende. Es war nicht so, als wäre Faye davon ausgegangen, dass sich die Beziehung zwischen Mitch und Aryana auf magische Art und Weise plötzlich stabilisiert hätte, aber sie hatte sich doch echt zumindest ein paar kleine Verbesserungen gewünscht, anstelle von dieser ständigen Abwärtsspirale. Aryana würde Mitch nicht so schnell aufgeben, aber sie hatte doch eine Menge Bedenken geäussert. Nicht nur wegen den Kommunikationsproblemen, Mitchs Freunden und dem Alkohol, sondern auch, weil sie offenbar ernsthaft befürchtete, Mitch würde irgendwann selbst die Biege machen und in jedem Lebensbereich das Handtuch werfen. Oder doch noch von der Klippe springen. Alles davon waren höchst beunruhigende Gedanken und Faye wünschte wirklich, ihrer Schwester mit mehr als nur Gesprächen und einem offenen Ohr zur Seite stehen zu können. Und natürlich auch Mitch, denn ohne Frage galt es weiterhin um jeden Preis zu verhindern, dass der Tätowierte irgendwann die wackelige Brücke kappte und überhaupt keine Chance mehr bestand, dass jemand irgendwann irgendwie wieder zu ihm durchdrang. Das war übrigens auch die Intention gewesen, als sie Aryana noch am gleichen Abend gefragt hatte, ob sie das mit Mitch und dem Reden auch nochmal versuchen sollte. Da sie keine bessere Idee gehabt hatte und liebend gerne einfach alles ausprobieren wollte, was irgendwie noch helfen könnte, hatte ihre Schwester sofort zugestimmt. Darum stand sie jetzt auch hier auf diesem Parkplatz am Waldrand. Es war kurz nach Mittag und die Sonne schien, auch wenn es natürlich trotzdem noch kalt war. Immerhin war der Schnee vorerst weg und die ganze Winterthematik damit etwas angenehmer. Darum hatte sie Mitch überhaupt erst den Vorschlag gebracht, dass sie sich zum Laufen verabreden könnten. Oder Spazieren, wenn die Luft zu kalt zum Laufen wurde. Es war wahrscheinlich besser, wenn sie sich nicht einfach im Wohnzimmer gegenübersassen und dabei ein schlecht geführtes Therapiegespräch imitierten, ausserdem tat die Bewegung gut - also nicht nur ihm. Es half auch, zu denken und Aggressionen loszuwerden, die irgendwie vorprogrammiert waren. Normalerweise gab sie sich Mühe, mit einer guten Prise Optimismus durchs Leben zu gehen, trotzdem fiel es ihr sehr schwer, tatsächlich darauf zu hoffen, dass Mitch ihr nicht mit dezent wenig Motivation und dafür dezent viel Anschiss entgegentreten würde. Falls er denn auftauchte, denn das stand noch in den Sternen. Im Moment war sie alleine auf dem provisorischen Parkplatz und stülpte sich ein Stirnband über die sonst sehr bald leidenden Ohren. Immerhin hatte er aus - wahrscheinlich - freien Stücken zugestimmt, als sie ihm letzten Sonntag geschrieben und ihn gefragt hatte, ob er ihr heute Gesellschaft leisten wollte. Aryana hatte ihn vermutlich schon vorgewarnt und er sah wahrscheinlich wenig Chancen auf Verlust in diesem Treffen - würde sie bei Bedarf schon abzuwimmeln wissen. Er und Aryana hatten noch ein paar Tage frei vor ihrem Abflug zum nächsten Einsatz und das traf sich ziemlich gut mit Fayes freiem Tag heute, weshalb sich der Termin so angeboten hatte. Faye war gerade dabei, sich am Kofferraum die Laufschuhe anständig zu schnüren, als das Geräusch von Reifen auf dem Kiesweg ihre Gesellschaft ankündete.
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Es hatte mir nicht gefallen, dass Aryana vor ein paar Tagen nach dem Streit noch das Weite gesucht hatte. Trotzdem war es besser so gewesen, weil es immer schwierig war, sich in einer kleinen Wohnung wirklich effektiv aus dem Weg zu gehen. Natürlich sollten wir die ganze Scheiße lieber anders klären und friedlich beenden, aber es wirkte unmöglich. Mittlerweile für uns beide, da auch die Brünette immer weniger Bemühungen anstellte, irgendeinen anderen Ausgang der Streits herbeizuführen - sie war eben auch nie besonders weit damit gekommen, ich machte ihr da also gewiss keinen Vorwurf. Es war mir in jedem Fall lieber, dass sie zu ihrer jüngeren Schwester aufgebrochen war, statt sich trotz allem noch mit Noah und seinen Freunden zu treffen. Diese Tatsache besänftigte mein Gemüt zumindest ein winziges bisschen, wenngleich das auch kaum ausreichend war, um zu einer ansatzweise neutralen Stimmung zurückzukommen. Die Versuchung selbst ebenfalls noch aufzubrechen, statt Zuhause zu bleiben, war dementsprechend ziemlich groß, aber ich ließ es sein. Der Weg zur 24/7 geöffneten Tankstelle an der Ecke und dem dort angebotenen Billig-Fusel war nicht weit, wie ich schon von Tag 1 in Freiheit wusste, jedoch schien mein von Zorn getränktes Hirn zumindest das noch gerade so mit einem Hauch Verstand vermeiden zu können, als hätte ich letzteren in den vergangenen Wochen und Monaten nicht ohnehin immer weiter stückweise abgelegt. Es reichte zumindest an jenem Abend aus, weiter den Lungenkrebs zu fördern. Ich sah zugegeben nur noch selten in die Schublade am Couchtisch, in der meistens ein kleines bisschen Knabberzeug und Süßes gebunkert waren, weil ich inzwischen wieder dauerhaften Zugang dazu hatte. Es war nicht mehr wie im Knast, wo man sich jeden Bissen vermeintliche Lebensqualität erschmuggeln, erarbeiten oder seinem Besuch aus der Tasche leiern musste. Für einen kurzen Moment war mir danach, während ich eher abwesend dem TV-Programm folgte. Als ich darin aber eine noch verschlossene Packung Peanut Butter Cups sah, schob ich den flachen Schubkasten lieber gleich wieder zu. Es hatte sich auch nicht wirklich etwas verändert in den letzten Tagen. Ich fand keine neuen Antworten auf die bestehenden Fragen, also blieb ich dementsprechend stur und verschlossen, ergo es gab hier und da weiteren Zwist. Nicht mehr ganz so eskalativ wie an dem Abend neulich, aber trotzdem nicht mit besserem Ausgang der Dinge. Das fette Fragezeichen herrschte nicht nur permanent Zuhause in unseren vier Wänden, sondern auch in meinem Kopf - ich schleppte es also zwangsweise mit zu der Laufrunde, die mir mehr oder weniger aufs Auge gedrückt worden war. Aryana hatte mich indirekt vorgewarnt und es war auch nicht weit hergeholt, dass die gute Faye sich liebend gerne dazu bereit erklärte, einen Versuch der Intervention zu starten. Ich wusste beim besten Willen wirklich nicht was ich davon halten sollte, weshalb ich mit kritisch in Falten gelegter Stirn ziemlich stur über das Lenkrad hinwegsah, während ich in mäßigem Tempo den steinigen Weg zum vereinbarten Treffpunkt entlangfuhr. Es konnte aber eigentlich nicht mehr passieren, als dass ich sie ein weiteres Mal unpassend anschnauzte, oder? Das war ein Kollateralschaden, mit dem sie aktuell sicherlich selbst kalkulierte. Zumindest hoffte ich das für sie, denn spätestens als ihr Wagen auf dem kleinen Parkplatz in Sicht kam, gab es wohl kein Zurück mehr. Ich parkte das Auto direkt neben ihrem, atmete dann noch einmal inklusive angestrengt-genervtem-Seufzen durch und griff nach der schlicht schwarzen Mütze auf dem Beifahrersitz. Kaum hatte ich sie mir über die Ohren gezogen, nahm ich noch ein paar wenige Schlucke Wasser aus der - ebenfalls neben mir gebunkerten - Flasche Wasser und stieg anschließend aus. Nach dem Abschließen des Wagens wanderte der Schlüssel in die linke, das Handy in die rechte Tasche des schwarzen Windbreakers. Noch während ich die beiden Reißverschlüsse zuzog, begann ich zu Faye aufzuschließen. "Hey... lang nicht gesehen.", stellte ich direkt im Anschluss an die Begrüßung fest, was mir erst in diesem Moment so richtig bewusst wurde. Die zierliche Brünette sah eindeutig besser aus als bei unserem letzten Aufeinandertreffen. Nicht mehr ganz so dünn, nicht mehr so krank. Vielleicht auch noch nicht unbedingt freudestrahlend, aber das konnte man ihr schwer verübeln. Meine Anwesenheit war auch nicht unbedingt eine schöne Bereicherung für ihren schon oft genug turbulenten Lebensstil. "Kann's losgehen?", stellte ich ihr eine sich selbst erklärende Frage, nachdem ich sie einen kurzen Moment lang gemustert hatte. Ich brauchte Faye nicht wirklich zu fragen, wie es ihr ging. Laut ihrer älteren Schwester lief ihr Leben schon ganz okay, aber Victor fehlte eben und das würde sich nächste Woche wohl auch noch nicht geändert haben. Dass es mir nicht gut ging, brauchte ich ihr auch nicht zu sagen, denn ziemlich sicher waren wir hauptsächlich deshalb überhaupt hier. Es war auch besser für uns beide, wenn sie dieses Thema nicht anschnitt, solange wir noch hier auf dem Parkplatz waren, weil ich dann unter Umständen einfach wieder wegfahren würde. Wenn wir schon liefen, dann ließ ich sie im schlimmsten Fall hinter mir und musste aber früher oder später zurück zu den Autos kommen. Wäre dann auch ruhiger, weil ich Energie losgeworden war. Das wäre besser für alle Beteiligten, sollte es zum Worst Case kommen.
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Es war tatsächlich Mitch und kein weiterer Besucher der Natur, der ihr auf dem Weg entgegenkam und seinen Wagen gleich darauf neben ihrem parkte. Faye stellte den Fuss mit dem frisch geschnürten Schuh auf den Boden zurück, schloss den Kofferraum und richtete nochmal das Stirnband und die Jacke. Auch sie schob den Autoschlüssel in die - bis auf ein Taschentuch - leere Jackentasche und zog die Reissverschlüsse zu, als Mitch ums Auto herum zu ihr trat. Noch fiel ihr das leichte Lächeln, welches ihre Begrüssung begleitete, nicht sonderlich schwer. "Hey... Und ja, stimmt", pflichtete sie ihm sofort bei. Es war wirklich lange her und eine Menge passiert. Bei beiden, auch wenn er nicht zwischenzeitlich im Krankenhaus und in der Psychiatrie vor sich hin vegetiert hatte. "Schön, dich zu sehen", fügte Faye ehrlich an, denn auch wenn sie wusste, dass es ihm grundsätzlich wirklich bescheiden ging und er möglicherweise lieber auf ihr Treffen verzichtet hätte, war sie froh, dass ihre Schwester sie dazu animiert hatte, sich mal wieder mit Mitch in Verbindung zu setzen. Sie standen sich zwar nicht endlos nahe, aber sie möchte trotzdem nicht auf ihn in ihrem Leben verzichten müssen - schon nur weil sie ihm wohl auf ewig dankbar für all das sein würde, was er für sie und mehr noch für Aryana getan hatte. Denn grundsätzlich wären sie alle längst tot, wenn Mitch nicht gewesen wäre - das war auch gar keine Frage, sondern eine Tatsache. Faye nickte als er wissen wollte, ob sie bereit war, drückte durch die Jacke hindurch nochmal auf den Knopf für die Zentralverriegelung des Autos - nur um festzustellen, dass sie das vorhin tatsächlich schon getan hatte. Aber sie war eine chronische (Minimum) Dreifach-Schliesserin jeglicher Türen, was man ihr eher nicht verübeln konnte. Auch wenn es vielleicht nicht ganz so dramatisch wäre, wenn jemand in ihr Auto einbrach, während sie mit Mitch unterwegs war, wie wenn das Gleiche in ihrer Wohnung oder in einem Hotelzimmer geschah... Naja. Sie setzten sich also in momentan eher noch gemächlichem Tempo in Bewegung - es wäre immerhin nicht so schlau, sich mit noch steifen Gelenken direkt einen Wettlauf zu liefern, sie waren beide keine Freunde von Krankenhausbetten. Ein paar Minuten liess Faye noch mehr oder weniger still vorbeiziehen, bevor sie ihr Wort zum ersten Mal an ihren Laufpartner richtete. "Und, wo fliegt ihr am Sonntag hin?", begann sie das Gespräch mit einer noch ziemlich harmlosen Frage, deren Antwort sie aber doch interessierte. Sie hatte sich mit Aryana tatsächlich gar nicht über ihr nächstes Ziel unterhalten, ihre Schwester hatte nur gesagt, dass die Reise am Sonntag starten würde. Vielleicht wäre es auch besser, wenn Faye gar nicht unbedingt mehr über die Arbeit der beiden erfuhr, dann konnte sie sich zumindest keine allzu konkreten Sorgen machen und ihr Kopfkino wurde nicht weiter angekurbelt. Allerdings waren die Missionen sowieso geheim und Mitch würde ihr auch nicht viel mehr als die Destination verraten dürfen - nicht, dass sie noch irgendwo plappern ging. Das war bei ihr ja sehr gefährlich, weil sie liebend gerne die Leben von Mitch und Aryana aufs Spiel setzte.
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War es schön, mich zu sehen? Ich hegte in meinen Augen berechtigte Zweifel daran, hob aber trotzdem mühsam den rechten Mundwinkel an, als ich ihr auf diese Worte hin schwach zunickte. Es war sicherlich nicht verkehrt, wenn ich mal ein anderes Gesicht sah - weder die Jungs in der Bar, noch andere Soldaten auf der Arbeit, noch meine Freundin. Jemanden, der am besten erdenklich wenig mit meinem Alltag zu tun hatte. Natürlich war Faye noch immer Aryanas Schwester, aber sie hatte ansonsten wenig mit meinem Leben zu tun. Außer der jüngeren Cooper hatte ich aktuell ohnehin kaum andere Möglichkeiten, mal ganz aus dem Alltag auszubrechen, wenn es nicht alleine stattfinden sollte. Vielleicht sollte ich diese Ablenkung dankend annehmen, auch wenn sie früher oder später bestimmt in einer Therapiestunde enden würde. Ich sollte versuchen es bis dahin ansatzweise zu genießen. Das Laufen tat gut. Ich hieß eigentlich alles willkommen, was mich körperlich beschäftigte. Inzwischen war ich wieder auf einem Level von Höchstform angekommen, der Muskelschwund aus der Zeit im Knast war vergessen. Das Problem daran war, dass ausgiebiger Sport auch deutlichen Einfluss auf den Testosteronspiegel hatte. Er stieg dadurch an und das war nicht per se etwas schlechtes, aber eben auch nicht nur gut. In jedem Fall sorgte es hier und da für Emotionsverstärkung, was mein Umfeld aktuell weniger gutheißen konnte. Trotzdem tat die körperliche Bewegung an der kalten Luft gut. Ich tat mir mit dem Kältegefühl in den Lungen auch nicht mehr schwer, war das vom regelmäßigen Training außerhalb der Einsätze schon gewohnt. Deswegen empfand ich es als angenehm den Blutkreislauf gemütlich ein bisschen anzukurbeln, während mir der Geruch des Waldes um die Nase wehte. Bisher war uns noch keine Menschenseele über den Weg gelaufen und ich hoffte schwer, dass das auch so bleiben würde. Erst nach einer Weile richtete Faye ihr Wort an mich. Sich während des Laufens zu unterhalten war so eine Sache - sie endete nicht selten in Seitenstechen, wenn man ständig die regelmäßige Atmung durch Worte unterbrach. Für gewöhnlich unterhielt man sich beim Sport nur in den Pausen dazwischen, aber mir war schon vorher klar gewesen, dass das Laufen nur unwahrscheinlich im Vordergrund stehen würde. "Mongolei... könnte schwierig werden, falls du Aryana anrufen willst.", gab ich Auskunft über das Ziel unseres nächsten Fluges. Während wir hier sieben Stunden in der Zeit zurück waren, war die Mongolei 8 Stunden später dran - das bedeutete nicht zu verachtende 15 Stunden Zeitunterschied, vielleicht begnügte sich die zierliche Brünette also besser nur mit Nachrichten an ihre ältere Schwester. Mir war nicht wirklich wohl dabei, in dieses von Russland und China eingekesselte Land zu fliegen - eben aus genau diesem Grund. Tatsächlich war die Mission dahinter aber eine in meinen Augen moralisch gut vertretbare. Die Mongolei war ein größtenteils zurückgebliebenes Land, obwohl die Einwohner dort auf hiesigen Bodenschätzen herumliefen. Das Problem daran war eine große Abhängigkeit zu China, die durch ein paar schon vor Jahren entstandene Verträge noch für etliche Jahrzehnte gesichert war. China half beim Ausbauen der schlechten Infrastruktur, bekam dadurch aber große Anteile an den Rohstoffen, die später dadurch außer Landes verkauft wurden. Als würden die Chinesen sich nicht schon genug Zeug unter den Nagel reißen, das ihnen eigentlich nicht gehörte. Ich half also schon irgendwie gerne dabei ein paar Dokumente zu sichern, die dem kleinen, zwischen zwei Weltmächten dezent verloren wirkenden Staat dabei helfen würden, sich mit China neu zu einigen. Erpressung war zwar keine nette Sache und es war in Hinblick auf ein möglicherweise daraus resultierendes Echo der Chinesen fragwürdig, ob die führenden Köpfe der Mongolei damit den richtigen Weg einschlugen, aber wenigstens schien es mir ausnahmsweise kein moralisches Desaster zu sein. Es blieb damit nur die heikle Tatsache übrig, dass wir uns nahe der chinesischen Grenze im äußersten Zipfel der Mongolei in die Verwaltungsgebäude einer nahen Mine stehlen sollten. Eine aus gutem Grund vom chinesischen Militär gesicherte und auf Google Maps nicht auftauchende Mine, wohlgemerkt. Kälter als hier war es da aktuell auch noch, also lieber Thermo-Ausrüstung einpacken. "Und Laufen ist jetzt dein neues Hobby?", stellte ich Faye eine etwas sarkastische Frage mit kurzem Seitenblick in ihre Richtung. Dabei wäre es wahrscheinlich gar nicht verkehrt, wenn sie eine Sportart in ihr Leben integrierte. Das hielt nicht nur fit, sondern lenkte auch ganz gut ab. Wenn man alleine unterwegs war zumindest.
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Mongolei? Das klang in ihren Ohren nach keiner guten Idee. Aber wenn sie ehrlich war, klang eigentlich nichts, was Mitch und Aryana auf der Arbeit taten, nach einer guten Idee. Vielleicht das Training, weil das Grundsätzlich nicht falsch und auch durchaus gesund sein konnte. Aber ihre Einsätze... Nein. Ein sehr grosses Nein sogar. Auch wenn sie nicht wusste, was die beiden da mit ihren Kollegen so taten, wusste Faye, dass sie es schlecht fand. Weil es eben gefährlich war und das mit den Risiken und ihrer Schwester war halt so eine Sache, die sich für sie nicht diskutieren liess. Wenn dann noch ein Land wie die Mongolei involviert war - ein Land, das einfach nicht über die gleiche Infrastruktur im Gesundheitswesen verfügte, wie beispielsweise die Staaten - fand sie es doppelt schlecht. Aber gut, Kugeln töteten in Amerika nicht sanfter als in der Mongolei und sie wollte gar nicht weiter darüber nachdenken. Eigentlich hatte sie das in den letzten Jahren ganz gut gelernt, das mit dem nicht über die Gefahren, mit denen Aryana zu tun hatte, Nachdenken. Sie konnte ja doch nichts daran ändern und es tat ihrem Kopf und ihrer bekanntlich eher fragilen Psyche einfach wirklich nicht gut, wie ihr selbstverständlich auch von diversen Psychologinnen bestätigt worden war. "Hmm... Mal schauen - kommt wohl drauf an, wie lange ihr weg bleibt und wie sich das bei ihr zeitlich ergibt...", erwiderte sie, hätte wohl mit den Schultern gezuckt, wenn sie nicht mit Laufen beschäftigt gewesen wäre. Da sie aufgrund ihrer Arbeit sowieso einen unregelmässigen Schlafrhythmus hatte, würde es sich ja vielleicht doch einmal ergeben. Und wenn nicht, dann halt nicht, wäre auch keine Tragödie, solange Aryana irgendwann in einem (lebenden) Stück wieder nachhause kam. Sie hatte sich langsam daran gewöhnt, war ja nicht die erste Phase ihres Lebens, die ihre Schwester sonstwo auf der Welt mit einer Waffe durch die Gegend hüpfte und Faye zuhause eher sporadisch irgendwas von ihr zu hören bekam. Mittlerweile war Aryana immerhin mit den täglichen Textnachrichten ziemlich zuverlässig geworden, wofür Faye ihr sehr dankbar war. "Bist du eigentlich lieber auf den Einsätzen oder... hier?", schob die Brünette, begleitet von einem kurzen Seitenblick, eine möglicherweise bereits nicht mehr ganz so leicht zu beantwortende Frage nach, die ihr spontan eingefallen war. Dahinter steckte nichtmal irgendein Vorwurf oder so, mehr nur reines Interesse. Sie würde ihm auch keinen Strick aus seiner Antwort drehen, sah doch für beide Optionen einige Gründe, die definitiv für sich sprachen. Auf den Einsätzen waren die Tage sicherlich viel besser strukturiert, er wusste genau, was er zu tun hatte und soweit sie wusste, gefiel ihm diese Tätigkeit meistens auch nicht schlecht - er war ja, mitunter zu ihrem persönlichen Glück, auch wirklich gut in dem, was er tat. Hier hatte er auf jeden Fall mehr Freizeit, aber das musste eben auch nicht zwingend ein Vorteil sein. Er hatte theoretisch mehr vom Leben. Und sie würde gerne sagen, dass er hier ja Zuhause war, aber dieses Wort hatte sie schon in der Fragestellung mit Absicht vermieden, weil sie genau wusste, dass sich das für ihn und auch für seine Freundin eben nicht so einfach anfühlte, dieser Ort leider viel zu wenige Eigenschaften in sich vereinte, die ein Zuhause ausmachen sollten... Mit seiner Frage zu ihrer sportlichen Aktivität, animierte er sie sofort wieder zu einem kleinen Lächeln, wobei sie sich erst die Worte zurechtlegte, bevor sie nach einer kurzen Pause zum Antworten ansetzte. Atem sparen und so, sie wusste sehr wohl, dass sie nicht halb so konditioniert war wie er und besser nicht sinnlos den Sauerstoff verschwendete. "Gewissermassen... habs früher oft getan... und nun nach dem Klinikaufenthalt erneut damit begonnen, um wieder etwas Muskeln aufzubauen und frische Luft zu atmen, weil ich ständig... mit Kreislaufproblemen und so zu kämpfen hatte... Und als ich vor drei Wochen mit Tanzunterricht angefangen hab, wurde ich darin bestätigt, dass meine Kondition Unterstützung braucht...", erklärte sie die ganze Problematik ebenfalls mit zartem Sarkasmus unterlegt. "Also keine Angst, du kannst jederzeit weglaufen und hast mich in zwei Sekunden abgehängt", nur falls er das nicht bereits gemerkt hätte oder sich eh schon denken konnte.
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Der Einsatz war voraussichtlich tatsächlich nicht besonders lange. Easterlin ging natürlich wie gewohnt davon aus, dass wir den schwierigsten Teil der Mission erfolgreich über die Bühne brachten und ansonsten diente die Zeit dort drüben in den ersten Tagen hauptsächlich der getarnten Überwachung des Geländes, das wir später gezielt stürmen sollten. Ganz allgemein der Vorbereitung, konnte man sagen, denn es gab schlichtweg ein paar Dinge, die man zumeist erst vor Ort ausloten konnte. Aber ja - vielleicht hatte Aryana mal ein paar freie Minuten fürs Handy, wenn auch Faye zufällig gerade keine Tagschicht schob. Denn am besten würde sie uns wohl erreichen, wenn es um die Mittagszeit herum war. Die Beschattung und die Einsätze würden grundsätzlich erst ab dem Abend stattfinden, wenn die Sicht beschränkt war. Uns brauchte das nicht zu kümmern, sehr guter Nachtsichtgeräte sei Dank. Ich nickte Fayes Worte hinsichtlich dem Telefonat jedoch nur noch ab, weil es dazu meinerseits nichts mehr zu sagen gab. War ja nicht so, als wäre ich für gewöhnlich in diese Telefonate involviert. Auch nach der Frage, die sie mir daraufhin stellte, war es noch einen langen Moment lang still. Ich blickte unterbewusst von da an mehr nach unten auf den Waldweg vor meinen Füßen, statt geradeaus zu sehen. Spannte auch die Augenbrauen etwas nachdenklich an, was zum einen daran lag, dass ich nicht wirklich wusste, wie ich das beantworten sollte und zum anderen daran, dass ich zu eruieren versuchte, ob das jetzt schon der Einstieg in die Therapiesitzung war. "Ich... weiß nicht..? Ist beides auf seine Weise beschissen.", stellte ich nach einigen sehr zähen Sekunden trocken fest, dass ich aktuell im Grunde keinen dieser beiden Parts meines Lebens gutheißen konnte. Hier in den Staaten musste ich nicht um mein Leben bangen, war dafür aber schrecklich ziellos und ziemlich verloren. Wenn ich weiß Gott wo auf dem Globus Einsätze für Easterlin ausführte, dann gab es mir zwar schon insofern ein gutes Gefühl, dass ich gut war in dem was ich tat, aber sobald das Adrenalin und die allgemeine Aufregung am nächsten Tag verflossen waren, war mir trotzdem immer sofort wieder bewusst, wie falsch Vieles von dem war. Dass wir uns nicht selten auf die in meinen Augen falsche Seite zweier Parteien stellten und dabei in vielen Fällen einige Menschen auch noch mit dem Leben bezahlten. Es spielte keine Rolle mehr für mich wie gut ich doch am Abzug war und ob ich das für ein paar Stunden im Teamgeist der Crew genießen konnte. Ich wollte das nicht, nicht mehr. Ich hatte schon mehr als genug Leichen auf dem Konto und bis auf den reichen Geldsack wollte ich nur ungern noch viele mehr davon anhäufen... sein Kopf hingegen würde wohl nie wieder von der Abschussliste wandern. Wenn ich eine Gelegenheit bekam - die eher nicht kommen würde, wenn man sie nicht gezielt ausarbeitete - war er fällig. Allein schon nur wegen seiner Drohung Aryana zu töten, wovon wir Faye am besten niemals etwas erzählten. Besagte junge Frau schien sich früher schon öfter mal am Laufsport bedient zu haben, spätestens bei der Army hatte sie ja ohnehin auch an den Ausdauerläufen teilnehmen müssen. Ganz unerfahren war sie auf dem Gebiet also nicht, allerdings auch nicht so Feuer und Flamme dafür, dass sie mir glatt Konkurrenz machen könnte. War nicht so, als hätte ich was anderes erwartet, wobei mir ihr Kommentar zum Ende hin doch kurz die steifen Mundwinkel zucken ließ. Ich war mir zwar nicht recht sicher, in welchen Kontext ich den Tanzunterricht am besten setzen wollte, aber Training für die Hochzeit mit Victor konnte es schon mal nicht sein. "Kann's verstehen, Bewegung tut gut...", stellte ich fast mehr für mich selbst fest. Im Grunde waren die einzigen Momente, in denen ich nicht tendenziell zu viel nachdachte, entweder von körperlicher Anstrengung oder von dem Adrenalin auf dem Schlachtfeld getränkt. Alles andere... naja. "Das hab ich schon mit einkalkuliert, als ich zugesagt habe.", stellte ich kurz darauf ebenfalls leicht sarkastisch fest, obwohl es durchaus der Wahrheit entsprach. Ich hatte Faye nicht sofort geantwortet, als sie mich nach dem gemeinsamen Lauf gefragt hatte, sondern erst ein bisschen Pro und Kontra abgewogen. Vielleicht war es nicht so nett ihr das ins Gesicht zu sagen, aber sie wusste sowieso schon, woran sie war. Aryana war schließlich bei ihr gewesen. "Zu unserem Glück muss ich früher oder später ja zum Auto zurück, wenn ich nicht heimlaufen will.", hängte ich einige Sekunden später dann doch noch meine einstigen Gedanken an. Ich hatte nichts gegen Faye und wusste ihre Bemühung darum, Zeit und Worte an mich zu verschwenden, durchaus zu schätzen. Sie sollte nicht denken ich hätte von vornherein vor, irgendwelche Dinge einfach ungeklärt stehen zu lassen und auch sie vollkommen in meinem Zorn zu ertränken... auch wenn ich selbstverständlich ausweichen würde, wo es nur ging. Zur Not auch wieder lautstark, machen wir uns da mal besser nichts vor.
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Es dauerte einen Moment, bis sie eine Antwort bekam. Hatte sie irgendwie auch erwartet und war nicht wirklich schlimm - ihr Körper freute sich, wenn sie eine Weile regelmässig atmete und nicht ständig redete. Ausserdem war Stille beim Laufen auch längst nicht so unangenehm, wie wenn man sich Zuhause auf dem Sofa anschwieg. Eben ein weiterer relevanter Grund, der für ein Treffen in diesem Kontext gesprochen hatte - Mitch hatte ihrer Erfahrung nach nicht selten den Hang dazu, in seinen Gedanken zu versinken und eher weniger aktiv etwas zum Gespräch beizutragen. Besonders dann, wenns eben nicht mehr so angenehm war. Das nahm sie ihm auch sicher nicht übel, aber sie mochte allzu lange Stillen nicht, wenn die Themen davor tendenziell drückend gewesen waren. Hier konnte sie sich dann wenigstens mit Laufen beschäftigen. Seine Antwort auf ihre Frage fiel eher nüchtern aus und auch das hatte sie erwartet. Er war eben in keiner tollen Situation und das war nicht nur ihm selbst sehr bewusst. Allerdings fand sie darauf keine schönen Worte und auch nichts, was das Ganze besser gemacht hätte, weshalb sie die Aussage bis auf ein nachdenkliches "Hmh..", unkommentiert liess. Normalerweise würde wohl jeder Psychologe und jede Psychologin eine Person in Mitchs Lebenslage dazu ermutigen, etwas an siener misslichen Lage zu ändern. Entweder den Job oder den Wohnort. Das Problem war nur leider, dass das hier eben nicht ganz so unkompliziert war - wie alles bei ihnen, immer. Den Job - also der Punkt, der ihn am meisten bedrückte, frustrierte und fertig machte - konnte er nicht so leicht ohne untragbare Folgen loswerden. Die Wohnung schon, aber es blieb zu bezweifeln, wie viel ein Umzug am Ende bringen würde. Sie blieben ja wegen dem Job doch irgendwie an die Umgebung gebunden und soweit sie Aryana verstanden hatte und ihre Schwester das auch richtig gedeutet hatte, war die Wohnung an sich eher nicht das Hauptproblem. Die war ja abgesehen davon auch nicht schlecht oder schäbig oder so... Fazit: Es blieb leider schwierig. Das Thema Sport war da schon weitaus unproblematischer und der leichte Sarkasmus, der seine anschliessenden Worte unterlegte, war eine bessere Grundlage für den Start ihres Treffens, das ohne Zweifel bald genug ernst werden würde. Sie hatte schon erwartet, dass er die Vor- und Nachteile gut abgewogen hatte, bevor er auf ihre Nachricht geantwortet hatte, war jetzt also nicht so, als würde diese Information sie in irgendeiner Weise noch kränken. "Dann bin ich ja froh, dass ich dich zum Laufen und nicht zum Kaffeetrinken eingeladen habe. Sonst hätte ich meine Tasse am Ende ein weiteres Mal sehr alleine schlürfen müssen", zeigte sie sich erleichtert. Auch wenn den Worten erneut eine Prise Sarkasmus innewohnte, war es eben doch so, dass sie für ihren Geschmack etwas zu oft alleine war. Das hier hatte also auch für ihre soziale Ader einen gewissen Mehrwert. "Und ja, stimmt. Also sparst du die das Weglaufen besser für den Rückweg auf. Oder ganz, weil ich natürlich in weiser Voraussicht einen Weg gewählt habe, den du bestimmt noch nie lang gelaufen bist - du würdest dich ohne meine wertvolle Gesellschaft also jämmerlich verlaufen und dein Auto nie wieder finden“, erklärte sie ironisch, schupste ihn dabei leicht von der Seite an. Aber nur so, dass sie selber dabei nicht aus dem Takt fiel, natürlich. Es hatte seine Gründe warum sie in diesem Waldstück und nicht in einem, das seiner Wohnung näher gelegen wäre, Laufen gingen. Er hatte ja auch bestimmt kein Handy dabei, das ihm den Weg zum Auto zeigen würde, wäre also wirklich komplett lost ohne sie... eine ganz neue Erfahrung, die er sicher vollumfänglich genoss. "Was ist eigentlich dein Lieblingssport? Abgesehen von Waldläufen in meiner Gesellschaft", sie hatte sich selbst eine gebührende Pause gegönnt, bevor sie erneut das Wort an ihn richtete, aber wie man bestens erkennen konnte, hatte ihr Kopf dabei trotzdem keine Pause gemacht, sondern viel lieber eine weitere unbeantwortete Frage für ihren Begleiter generiert. Aber noch immer ganz harmlos und human. Sie hoffte mal, dass er nicht glaubte, sie würde nur auf den richtigen Moment warten, um mit den heissen Fragen rauszurücken - denn so war das nicht. Aber ihre Schwester hatte sie ziemlich vehement vorgewarnt und Faye wollte auch nicht direkt ein Drama lostreten, dass sich vielleicht abwenden liess. Sie musste erstmal wissen, woran sie war und ob er überhaupt Lust hatte, sich mit ihr zu unterhalten oder ob er schon bei diesen "leichten" Fragen gefühlt mit den Augen rollte, weil sie ihn überhaupt ansprach. Bisher hatte er das nicht getan oder geschickt versteckt, aber sie waren auch erst ein paar Minuten unterwegs.
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Wenn einen Kaffee zu trinken die einzige Alternative gewesen war, dann hatte Faye mit dem Angebot zusammen eine Runde laufen zu gehen definitiv die richtige Wahl getroffen. Mir war allgemein wenig danach für eine längere Zeit komplett stillzusitzen, was auch einer der Gründe dafür war, warum ich ruhige Abende mit Aryana nur noch schwer aushielt. Hauptsächlich deswegen, weil ich mich auch ihr gegenüber eben schuldig fühlte. Dazu gesellten sich noch gefühlt alle anderen negativen Gedanken, die ich irgendwo in meinem Hirn finden konnte, und die innere Unruhe war perfekt. Mit Faye und einem Kaffee in der Hand würde es nicht anders sein. Wahrscheinlich täte ihr das grüblerische Schweigen aber weniger weh, weil sie mich nicht liebte, ganz gleich wie unangenehm es auch abseits davon sein mochte. "Wir beide, denke ich.", erwiderte ich auf die These mit dem Kaffeetrinken wahrheitsgemäß. Dass ich alleine nur schwer zurück zum Parkplatz mit den Autos finden würde, ließ mich kaum merklich schnauben. Ich unterdrückte es ein bisschen, weil es sich nicht besonders gut ins Atmen einfügen ließ, aber dank Fayes leichtem körperlichen Anstoß zum Ende hin ließ es sich nicht ganz vermeiden. Dementsprechend stumpf belustigt warf ich einen kurzen Blick zu ihr rüber, bevor ich wieder geradeaus sah. Ich wäre ein denkbar schlechter Soldat in Easterlins Reihen, wenn ich es nicht einmal schaffen würde mich an den Himmelrichtungen zu orientieren, weswegen ich prompt versuchte genau das zu tun. Meine Augen wanderten für einen Moment nach oben zum Himmel. Auch wenn sich hier und da ein paar Wolken tummelten, ließ sich die Sonne gut ausmachen und in Kombination mit der Uhrzeit war für mich auch schon geklärt, in welche Richtung wir unterwegs waren. "Wir sollten sehr froh darüber sein, dass mein Orientierungssinn eindeutig besser ist, als du es grade dargestellt hast.", erwiderte ich nicht weniger sarkastisch. War ja auch nicht so, als könnte ich nicht einfach umdrehen und zurück sprinten. Wenn sie da nicht hinterher kam wäre ich schon vom Parkplatz gerauscht, bevor sie da ankam. Wegen dieser Bleifuß-Gedanken schlich sich unerwartet die Erinnerung daran an, als Aryana und ich uns auf einem der Türme darüber unterhalten hatten, dass es kritisch enden könnte, wenn ich meinen Bleifuß mit einem Modellauto auf ihrem Schreibtisch im einstigen Büro des Camps in Syrien verwüsten würde. Es war fast schon schräg, wie unbeschwert unsere Beziehung zueinander damals gewesen war, als es vermeintlich nichts Ernstes gewesen war. Als wir nur Freunde gewesen waren, die sich gegenseitig unterstützt und zum lachen gebracht hatten. Manchmal fragte ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sich an diesem Zustand niemals etwas geändert hätte. Meine Mundwinkel waren deshalb längst wieder abgesackt, als Faye ihre nächste Frage an mich richtete. Eigentlich hatte ich nicht mehr wirklich sowas wie einen Lieblingssport, was wahrscheinlich daher rührte, dass ich ihn meistens nur noch als Mittel zum Zweck ansah. Natürlich machte Sport immer dann Spaß, wenn man merkte, dass man dabei Fortschritte machte, aber irgendwann stieß der menschliche Körper an seine Grenzen. Vor allem dann, wenn man meistens alleine trainierte. "Schwer zu sagen... früher war's das Kickboxen... aber ohne Sparring-Partner ist das ziemlich eintönig... und so lebensmüde ist aktuell Niemand aus meinem Umfeld.", folgte ich meinen Gedanken einfach mit Worten, nicht aber ohne wieder eine Prise Sarkasmus am Ende einzustreuen, obwohl es eigentlich ganz und gar nicht witzig war, wie wenig ich mich unter Kontrolle hatte. Ein einziges Mal hatte sich einer der Jungs beim gemeinsamen Training getraut, kurz mit mir in den Ring zu steigen - an einem meiner extra-schlechten Tage, er hatte es mit der blutenden Unterlippe dann schnell wieder bleiben lassen. "Kraftsport lastet mich besser aus als Ausdauersport... also geht die Tendenz wohl dahin.", stellte ich abschließend fest und zuckte kaum sichtbar mit den Schultern, weil das nur so beiläufig im Joggen passierte. Ich war noch nie ein besonders versierter Ausdauer-Sportler gewesen und daran hatte sich bis jetzt nichts verändert. Es war gut für den Kopf, wenn man draußen lief und nicht auf dem Laufband, aber das war so ziemlich alles, was ich dem abgewinnen konnte. Da pushte ich mich doch lieber fortwährend mit Gewichten, weil die mich mehr Energie kosteten. Das Problem daran war nur, dass sich das eben auch summierte und ich immer mehr und mehr machen müsste, um gleichbleibend einen guten Effekt zu erzielen. Das war der Grund dafür, warum selbst Sport nur noch ein minder effektives Mittel gegen meine Wut war - ich war schon zu fit.
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Naja, sie wusste halt nicht, wer ihm normalerweise beim Kaffeetrinken Gesellschaft leistete. Falls das genauso niemand war, wie das bei ihr zumindest zuhause in der Regel der Fall war, dann ja - sie beide. Aber er hätte immerhin theoretisch eine Freundin, die sicher gerne mal eine ruhige Tasse mit ihm trinken würde... Wobei die Schwierigkeit hier wohl bei ruhig lag, wenn sie Aryanas Ausführungen richtig gedeutet hatte. Also trank er seinen Kaffee vielleicht doch vorzugsweise alleine. Eben genau wie Faye. Sie könnte sich zwar ebenfalls Gesellschaft organisieren, aber das war doch etwas umständlicher, wenn man eigentlich im Moment keinen Mitbewohner hatte. Es gab Menschen, die sicher gerne vorbeikommen würden - ja, sie hatte da eine gewisse Person im Kopf - aber da war sie dann wohl wiederum ganz bei Mitch und trank den Kaffee vielleicht auch besser noch eine Weile nur mit sich selbst. Leider hatte sie es nämlich tatsächlich noch nicht geschafft, sich seit dem ernüchternden Gespräch nochmal bei Ryatt zu melden. Obwohl sie wusste, dass er vor ein paar Tagen offenbar vor ihrer Tür gestanden hatte und obwohl sie deswegen natürlich ein schlechtes Gewissen hatte - gerade weil sie ihm nichtmal nach diesem Lebenszeichen seinerseits geschrieben hatte. Sie schaffte es einfach nicht, mit sich selbst auf einen grünen Zweig zu kommen, was das Verhältnis zu ihrem Bäckerkollegen betraf... Hätte es am liebsten einfach so, wie es bisher gewesen war und wusste gleichzeitig ganz genau, dass es das so nicht mehr geben konnte. Jetzt, wo sie wusste, wie er ihre Zukunft sah oder eben nicht sah, war das Bild irreversibel aus dem Rahmen gefallen. Aber gut, dass sie sich hier nicht mit ihren Problemen befassen mussten, weil Mitch schon genügend Eigene mitgebracht hatte, die wesentlich dringender und tiefgreifender waren als ihre. Ryatts An- oder Abwesenheit in ihrem Leben hatte wenigstens definitiv keine Suizidgedanken ihrerseits zur Folge. "Ach, keine Sorge, den bräuchtest du heute auch nicht. Ich werd' dich kaum zum Weglaufen zwingen und pass schon gut auf dich auf, damit du heil wieder nachhause findest", spielte die Brünette die eigentlich inexistente Gefahr weiter runter. An anderen Tagen war sein Orientierungssinn zweifellos wichtig, aber heute käme er auch ohne gut aus, wollte sie hoffen. Sie besass immerhin genügend Taktgefühl und Sensibilität, um Themen, die ihn eben zum Weglaufen animieren könnten, lieber wieder ruhen zu lassen, bevor er das Gespräch von sich aus in den Wind schoss. Glücklicherweise war Sport wohl noch kein allzu heisses Pflaster und er beantwortete ihre Frage zum Thema augenscheinlich ohne Fluchtgedanken. Kickboxen... Hatte sie nie probiert, aber stellte sie sich anstrengend vor. Es war sicherlich auch eher nicht ihr Sport, aber zu Mitch passte es eigentlich ganz gut. Wenn er einen würdigen Gegner fand zumindest und daran schien es momentan zu mangeln. Verständlicherweise, wie ihm schon bewusst war. "Naja... ich möchte mich wohl lieber auch nicht zur Verfügung stellen, tut mir leid. Dann muss dein nächstes Training oder Match in diese Richtung wohl noch etwas warten", gab sie bedauernd zur Kenntnis. Sie spielte leider nicht gerne Spiele, von denen sie schon vorher wusste, dass sie sie verlieren würde. Abgesehen davon, dass er sicher auch gar nicht gegen sie Boxen wollte, weil das sehr langweilig und schnell entschieden wäre, somit mit erdenklich wenig Reiz verbunden war. "Aber wir können das nächste Mal gerne zusammen Gewichte stemmen statt Laufen gehen, solange wir nicht die gleichen Hanteln rumtragen müssen", bot Faye an - kompromissbereit wie eh und je. Letzen Endes würde sie wohl allem irgendwas abgewinnen können, zumindest für fünf Minuten. Ausser all jenen Sportarten, die Waffen integrierten, da musste er ohne sie hin. Da das mit dem Reden und Laufen auf Dauer keine gute Idee und auch ziemlich anstrengend war, der Weg ausserdem leicht aufwärts führte, blieb es daraufhin bis auf ein paar kurze Konversationen erneut eine Weile still zwischen ihnen. Als sie nach insgesamt ungefähr 40 Minuten eine Anhöhe erreicht hatten, die den höchsten Punkt ihrer geplanten Runde ausmachte, tat Faye schliesslich den Wunsch nach einer Pause kund. Wie gesagt, ihre Kondition war weit von irgendeiner Bestmarke entfernt und das war schon ziemlich anstrengend gewesen. Ausserdem waren sie - soweit sie wusste - nicht gerade in Eile und konnten sich die Pause ohne Zeitdruck gönnen. Die Holzbank in der Sonne lud verlockend zum Verweilen ein Faye liess sich nach einem kurzen Blick zu Mitch darauf nieder, um für einen Augenblick oder zwei die Beine von sich zu strecken und Durchzuatmen. Genau das tat sie dann auch, lehnte sich dabei etwas zurück und schloss die Augen, um das Gesicht der Sonne zuzuwenden, die ihre kalten Wangen zu dieser Jahreszeit aber noch nicht so wirklich zu wärmen vermochte. Sie spürte, wie das Blut durch ihre Adern pumpte und ihre Lungen sich zügig aufbliesen, den Sauerstoff filterten und die Luft wieder ausstiessen. Als sie die Augen etwas später, nachdem sich ihr Herzschlag langsam normalisierte, wieder aufmachte, wanderten diese automatisch zurück zu Mitch, betrachteten ihn nachdenklich von der Seite. "Und..? Möchtest du mir sagen, woran du denkst?", fragte Faye ruhig. Bestimmt hatte er eine (oder tausend) solcher Fragen erwartet, als er zugesagt hatte. Und sie war nicht hier, um ihn zu enttäuschen. Ausserdem möchte sie die Antwort wirklich gerne hören, sofern er ihr diesen Einblick überhaupt gewähren wollte...
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War sie sich damit wirklich sicher? Es gab aktuell nämlich mehr als genügend Ecken in meinem Kopf, an die sie besser nicht stieß, wenn sie mich nicht davonlaufen sehen wollte. Allerdings war ich eigentlich gar nicht der Typ dafür vor Irgendetwas wegzulaufen, sie müsste es also doch recht weit mit ihrer Fragerei treiben. Bevor ich weglief, würde ich ihr sicher anders einen Dämpfer verpassen, der bei Faye unter Umständen auch leicht ausreichen dürfte, damit sie den Mund wieder zumachte. Dass die zierliche Brünette auch wenig Lust darauf hatte sich mit mir in den Ring zu stürzen, kam wenig überraschend und war mir auch mehr als recht. Mir wäre gar nicht wohl dabei mit einer Person in den Ring zu steigen, die mir von Vornherein nichts entgegenzusetzen hätte. In etwa genauso schwer vorzustellen wie eine Faye im Boxring, war auch eine Faye, die Gewichte mit mir stemmen ging. Trotzdem war letzteres realistischer und es sprach nicht unbedingt viel dagegen, sie einfach mitzunehmen, sofern sie sich damit schon ein bisschen auskannte und ich nicht permanent als Lehrer fungieren musste. Wenn man die Übungen falsch machte, ruinierte man sich nämlich schnell die Gelenke und das galt es zu vermeiden. Wenn mich nicht Easterlins Aufträge oder mein Kopf vorher umbrachten, sollte ich noch eine ganze Weile unter den Lebenden weilen und das war angenehmer mit möglichst gesunden Gelenken. Mir reichte die einst zerschossene, für immer geschädigte Schulter wirklich aus. Sie war eines der wenigen Dinge, die mich öfter mal effektiv für länger als zwei Sekunden daran erinnerte, dass ich auch schon Gutes getan hatte. Eben immer dann, wenn sie mal zwickte. Nicht schmerzhaft, aber doch unangenehm, so als würde sie mir sagen wollen, dass ich in die falsche Richtung lief. "Wenn du dich damit schon einigermaßen auskennst..?", beantwortete ich ihre Frage nur mit einer indirekten Antwort. Ich hatte zwar nicht per se ein Problem damit ihr Hilfestellung zu geben, hatte aber eben wenig Lust darauf permanent den Lehrer zu spielen. Sollte letzteres nicht gegeben sein, hätte ich aber wahrscheinlich kein Problem damit sie tatsächlich mit ins Studio zu nehmen. Es war besser für alle Beteiligten, dass wir die Gespräche beim Laufen von da an überwiegend sein ließen. Mit zunehmender Anstrengung wurde es ohnehin schwerer ein paar Worte zu wechseln, denn die zierliche Brünette hatte sich nicht unbedingt eine kurze Route ausgesucht und auch die leichte Steigung ließ nicht nach. Ich konzentrierte mich also liebend gerne überwiegend auf meine Atmung und das anhaltende Wirrwarr in meinem Schädel, das sich auch durch die körperliche Betätigung wenig besserte. Nur für den kurzen Moment, in dem der Ausblick auf der Anhöhe, die unsere Pause markierte, noch neu für mich war, konnte ich den Fokus von mir selbst weglenken. Einen Moment lang nur versuchen wieder zu Atem zu kommen und dabei den Blick schweifen zu lassen. Ich ließ mir mit dem Hinsetzen jedoch deutlich mehr Zeit als Faye und ging erst noch einige Schritte auf und ab, damit die beanspruchten Muskeln langsam wieder zur Ruhe kommen konnten. Suchte dabei auch keineswegs den Blick der jungen Frau, auch nicht als ich mich letzten Endes ebenfalls auf die Bank fallen ließ. Hatte auch immer noch nicht zu ihr rüber gesehen, als sie schließlich erneut ihr Wort an mich richtete. Daraufhin tat ich es dann doch - nur, damit sie aus meinen Gesichtszügen lesen konnte, dass ich meinen Kopf auch jetzt nicht gerne teilte. Ich seufzte leise, als ich den Blick wieder geradeaus richtete. "Dasselbe wie immer.", war meine einzige, knappe Antwort, die auch demonstrativ gleich viel weniger begeistert klang als noch vorhin das Trainingsgespräch. Ich wusste ganz genau, dass ihr das nicht reichte - genauso wie sie wusste, dass ich eigentlich nicht darüber reden wollte.
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