Sie hatte wirklich nicht geglaubt, dass es in naher Zukunft noch etwas geben würde, das mit dem kumulierten psychischen Schmerz der letzten Wochen mithalten konnte. Faye war fest davon überzeugt gewesen, dass die Narbe das Schlimmste bleiben würde und es dann irgendwie wieder bergauf gehen musste. Angestrengt und immer mal wieder einen Schritt vor und drei Schritte zurück, aber eben trotzdem beständig weiter hoch. Sie hatte sich sowas von getäuscht. Es war wie eine Falltür, die unter ihren Füssen aufgerissen wurde und das Loch, welches sich darunter auftat, schien in diesem Moment tiefer zu reichen als je zuvor. Das stimmte sicherlich nicht, da sie schon sehr oft sehr tief gefallen waren - aber bisher immer zusammen. Und jetzt? Was zum Teufel war das hier überhaupt?? Sie verstand überhaupt nichts mehr, weil sie immer geglaubt hatte, sie würden sich gemeinsam nach oben kämpfen. Aber vielleicht war das eine Lüge in ihrem Kopf, die sie liebend gerne geglaubt hatte, vielleicht hatten sie sich nie wirklich gemeinsam ans Licht gekämpft, sondern Victor hatte sie einfach aufwärts geschoben, während er in der Schwärze sitzen geblieben war. Und sie hatte es nicht gemerkt, weil er es bis jetzt ständig geleugnet hatte. Machte das Sinn? Auch hier - sie hatte keine Ahnung mehr. Sie konnte nicht mehr denken. Und sie wäre beinahe erleichtert gewesen über seine Antwort, beinahe hätte sie geglaubt, dass sie sich vielleicht irgendwie damit abfinden könnte. Weil ihr ja nicht wirklich eine Wahl blieb, da sich das hier - wie man bestens erkannte - komplett ihrer Entscheidungsgewalt entzog. Jedenfalls war der Bescheid darüber, dass absolute Funkstille nicht erforderlich sein dürfte, ein für diesen Tag überdurchschnittlich guter. Jedoch konnte sie nichtmal richtig durchatmen, da schmetterte auch schon der nächste Hammer auf sie nieder. Sie hatte gar nicht damit gerechnet. In ihrem Kopf hatte sie sich eigentlich schon zusammengereimt, dass täglicher Kontakt in ich gehe weg / ich kann in deiner Gegenwart nicht gesund werden / keine Ahnung wie lange das dauert / wir brauchen nicht absolute Funkstille sicher nicht inkludiert war. Es war gar nicht dieses Wissen, welches ihr weitere Klingen durch die Brust stach, jedenfalls nicht in erster Linie. Es war allein die Tatsache, dass er es nochmal betonte. Als müsste er sicherstellen, dass sie es auch ja begriff. Dass Faye, egal wie blind oder dumm sie auch war, ohne Zweifel erkennen konnte, wie verdammt scheisse sie für seine gottverdammten Nerven eigentlich war. So scheisse, dass das Maximum ein fucking Telefonat alle vier Wochen darstellte. Und sie sollte sich auch gar keine Hoffnungen machen, weil dieses Scheiss Telefonat ganz bestimmt auch keine Stunden dauern durfte, weil ihre Scheiss Persönlichkeit sonst seinen fragilen Heilungsprozess ins Wanken brachte. Sie konnte das nicht. Sie konnte überhaupt nichts hiervon. Und sie wusste, dass ihr Kopf ausgestiegen war, die Alarmleuchten blinkten fröhlich vor sich hin. Was ein sehr vehementes Zeichen dafür war, dass sie besser einfach nichts mehr sagte. Aber das konnte sie übrigens auch nicht. "V-vielleicht telefonieren wir besser einfach gar nicht", ihre Stimme klang final geknickt und wurde für diesen einen Satz zweimal von einem Schluchzen unterbrochen, weil sie auch hier mit der Selbstkontrolle aufgegeben hatte. Was sollte sie mit einem Telefonat, bei dem sie keine Ahnung hatte, was sie sagen sollte, weil es viel zu viel zu fragen gab, sie aber keine Stunden zur Verfügung hatten? Sollte sie dann darauf warten, dass er sie abklemmte und ihr auch da wieder erklärte, dass sie jetzt echt Schweigen musste, weil sie ihn sonst wieder ein paar wichtige Etappen rückwärts versetzte mit ihrer Stimme, die in seinen Ohren irgendwelche Krebsgeschwüre auslöste? Fayes zitternde Finger hatten sich längst um den Türgriff gekrampft, aber jetzt hielt sie den Innenraum dieses Autos mit seiner erdrückenden Atmosphäre definitiv nicht mehr aus, weshalb die Verriegelung aufsprang und die kühle Luft von draussen hereinströmte. Sie löste den Sicherheitsgurt und rutschte mit den hastig gehauchten Worten: "Es tut mir leid, aber ich kann das wirklich nicht", nach draussen, liess die Tür hinter sich wieder zufallen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hin wollte, weil ihr Kopf wie gesagt aufgegeben hatte. Darum war es auch dumm, dass sie ausgestiegen war. Aber da war noch eine andere ganz dumme Sache, hm? Sie selbst. Also war das in Ordnung. Sie würde den Weg schon finden, es war ja nicht weit. Auch wenn sie gar nicht wusste, ob sie überhaupt zurück wollte. Denn die Psychiatrie war nicht der Ort, an den sie sich flüchten wollte, wenn es ihr beschissen ging. Dieser Ort war einzig und allein Victor gewesen. Der Mann, dem sie nicht zu nahe kommen sollte, wenn sie ihn nicht nur noch weiter kaputt machen und wegscheuchen wollte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich hätte einfach nicht antworten sollen oder? Nein, das wäre auch nicht richtig gewesen. Hätte nichts gebracht, weil Faye dann auch ganz genau gewusst hätte, dass ich die Antwort vor ihr verborgen hielt, weil sie die eben nicht hören wollte. So wie sie wahrscheinlich eigentlich absolut gar nichts davon hören wollte, dass ich es für die beste Lösung hielt für eine noch undefinierte Weile auf Abstand zu gehen... und ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Wünschte mir inzwischen nichts sehnlicher, als dass ich diese ganze Idee nicht alleine so weit geformt hätte. Sie alsbald an Faye herangetragen hätte, sobald sie ansatzweise dazu in der Lage gewesen war sie hinzunehmen und dann gemeinsam mit ihr besprochen hätte, wie man das Ganze am besten löste... tja, hatte ich nicht gemacht. So wie vieles Andere, das ich mir schon während unserer letzten, gemeinsamen Therapie vorgenommen hatte. Irgendwie tat ich nie irgendwas von dem, das ich mir vornahm. Ich war ein Träumer und wünschte mir Vieles - manches erst im Nachhinein, wenn ich schlauer geworden war und anderes einfach aus dem Nichts, weil es etwas Schönes war. Normalerweise tat ich dann wenig bis nichts, um diese Träume zu verfolgen. Jetzt, wo ich endlich versuchte etwas Ausschlaggebendes in die Wege zu leiten, damit sich das in Zukunft änderte, fühlte es sich auch nicht richtig an. Eher so, als hätte ich vorhin den mit Abstand größten Fehler meines Lebens begangen. Ganz unabhängig davon, ob ich mich in der Herangehensweise mal wieder absolut bescheuert angestellt hatte, weil ich zwischenmenschlich in manchen Hinsichten ein Krüppel war - was auch nur wieder eines der Dinge war, an denen ich bei mir arbeiten musste. Als Faye zum indirekten Gegenschlag ausholte, war es dann auch mit meiner Beherrschung vorbei. Ich konnte ihre Worte gar nicht so schnell verarbeiten, wie sie aufgestiegen und die Tür zurück ins Schloss gefallen war. Sah vollkommen entsetzt mit offenem Mund auf die Beifahrertür, während ich zu begreifen versuchte, was sie da gerade gesagt hatte. Vielleicht telefonieren wir einfach gar nicht. Das meinte sie nicht wortwörtlich so und ich verstand das nur falsch, oder? Das konnte und durfte jetzt nicht ihr Ernst sein. So durfte dieses Gespräch nicht enden und es fühlte sich so an, als hätte sie gerade ihre Finger in meine Brust gebohrt und mein Herz mit nach draußen genommen. Der Schmerz war zu groß, als dass er sich nur noch auf mein Herz beschränken könnte. Da musste mindestens ein riesiges, klaffendes Loch in meiner Brust sein. Anders ließen sich die akut aufkommende Atemnot und das Gefühl innerlich zu sterben für mich nicht erklären, obwohl sie einfach nur daraus resultierte, dass ich ein paar Sekunden lang tatsächlich aufhörte zu atmen und mein Herz aufgrunddessen wohl kurzfristig langsamer schlug. Fühlte es sich so an, wenn man bei Bewusstsein starb? Geschlagene fünfzehn Sekunden sah ich den Atem anhaltend förmlich durch die Verkleidung der Beifahrertür hindurch und die Gedanken strömten so schnell durch meinen Kopf, dass ich nicht wirklich aktiv darüber nachdachte, was ich jetzt tun sollte. Ich gab stattdessen dem unbändigen Gefühl nach, dass ich Fayes Worte nicht hinnehmen und sie so nicht gehen lassen konnte, als wieder Leben in meinen starren Blick kehrte und ich meine eigene Tür aufschob. Mit einer hektischen Bewegung stieg ich aus und warf die Tür in einer fließenden Bewegung zu, noch während ich mich in Bewegung setzte um den Wagen zu umrunden. "Bleib stehen, Faye... bitte.", rief ich ihr laut genug nach, dass sie mich hören können musste. Egal wie sehr sie weinte. Oder ich. Die stummen Tränen hatten sich wohl schon während der stillen Sekunden im Wagen aus meinen glasigen Augen gelöst. Wenn die Brünette sich jetzt tatsächlich auch noch weigern würde, meiner dringenden Bitte nachzukommen - oder sie gar erst recht weglief - würde ich ihr zweifelsohne so lange nachlaufen, bis ich sie eingeholt hatte. Vielleicht machte ich es damit dann nur noch schlimmer. Weil auch das im Gegensatz dazu stehen würde, dass ich sie für eine Weile allein lassen würde... aber ich konnte nicht anders. Ich verstand, wieso Faye der Situation so schnell wie möglich entfliehen wollte. Das änderte aber nichts daran, dass ich nicht zulassen würde, dass wir heute so auseinander gingen. Ihre Worte würden sich sonst für immer in meinem Kopf festsetzen und das letzte, was ich jetzt gerade noch riskieren wollte, war den Glauben daran zu verlieren, dass wir das schaffen konnten, wenn wir uns nur beide erst einmal dazu überwunden hätten...
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Genau darum hätte sie vorhin einfach alleine zurück gehen sollen, oder? Sie hatte gewusst, dass sie sonst die Beherrschung verlor und aufgrund ihrer nicht mehr vorhanden Rationalität einfach irgendwelche Dinge sagen würde, die sie dann bereuen durfte. Sie hatte gewusst, dass es unmöglich war, diese Information in so kurzer Zeit zu verarbeiten. Aber sie hatte versucht, es anders zu lösen, vor allem ihm zuliebe. Und dann hatte sie auch noch versucht, darüber zu reden - was ein weiterer sehr dummer Schritt in die momentan einfach falsche Richtung gewesen war. Sie hätte wirklich kommen sehen können, dass sie heute keine Fragen mehr stellen sollte, deren Antworten sie unter Umständen nicht verkraften würde. Aber jetzt hatte sie es doch getan und die Wucht der Wahrheit hatte sie psychisch endgültig von den Füssen gepustet, weshalb sie nun dezent desorientiert in die Pampa stapfte, dabei immer wieder stolperte, weil sie die Beine mehr verloren hinter sich her schleifte als aktive Schritte zu nehmen. Sie war zu beschäftigt mit weinen und schluchzen und dem tonnenschweren Selbsthass, der sie in Richtung Boden drückte, als das es sie gestört hätte. Sie hörte das Zufallen einer Autotür im Hintergrund. Und dann Victors Ruf... oder Bitte. Sie sollte stehen bleiben... Ja - aber warum? Wozu? Sie konnten sich nicht unterhalten, hatte er das nicht gemerkt? Was wollte er dann? Einfach nicht, dass sie alleine zur Klapse spazierte, weil das in ihrem Zustand ein Bisschen fahrlässig wäre? Was dachte er denn, was passieren würde, wenn er erstmal weg wäre? Dass sie da niemals weinen und allein sein würde? Dann wäre auch keiner da, um auf sie aufzupassen. Was an sich nicht schlimm war, da sie keinen Aufpasser brauchte. Aber er könnte sich gut und gerne heute schon an diesen Gedanken gewöhnen, oder? Glaubte er wirklich, dass sie jetzt noch auf einen Grünen Zweig kamen? Dass sie sich heute noch beruhigte? Das Bedürfnis wegzulaufen, war keineswegs verschwunden, als sie stehen blieb. Aber das Bedürfnis nach ihm war gleichzeitig gefühlt unaushaltbar geworden. Sie konnte nicht zu Victor hin und ihm in die Arme fallen, weil sie einfach nicht mehr wusste, wie sie sich verhalten sollte, ob er wollte, dass sie zu ihm kam, ob er wollte, dass sie ging, ob er Abstand brauchte, weil er in ihrer Gegenwart nicht mehr klar kam... oder ob sie Abstand brauchte, weil sie in seiner Gegenwart nicht mehr klar kam. Weil alles viel zu fest wehtat und sie es nicht verstand. Weil sich die Panik so vehement festgekrallt hatte, dass ihr Herz glaubte, die Leinen besser jetzt schon zu kappen, um dem Schmerz zu entkommen. Als ob das funktionieren würde, das war idiotisch... Faye stand dezent verloren im Schilf, starrte zum Horizont und zitterte stumm vor sich hin. Sie war stehen geblieben, wie er gebeten hatte. Aber mehr auch nicht. Ihr Kopf hatte aufgehört zu denken, weil denken sie auch nicht weiterbrachte. Und jetzt sass sie einfach in diesem Meer voll Schmerz. Feuer. Angst. Und sie wusste nicht, womit sie sich ein Rettungsboot bauen sollte, weil alles, was um sie herum schwamm, nutzloser Abfall war. Und ein paar verdammte, lachende Fische mit Gils Gesicht. Faye presste die Handballen vor die Augen, krallte ihre Finger in die Haare und spürte, dass ihre Beine sehr bald unter dem Zittern nachgeben würden. Und trotzdem war sie vollkommen unfähig, sich von der Stelle zu bewegen, um dem Grauen zu entkommen. Wohin denn, wenn es überall war?
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Das Blut rauschte in meinen Ohren, als ich Fayes Reaktion abwartete. Es war ein bisschen wie damals - das Adrenalin tränkte im blanken Überlebenswillen meinen sich längst taub anfühlenden Körper, damit ich noch vorwärts kam. Damit ich trotzdem noch alles geben konnte, obwohl längst keine Energie für weiteren Kampf mehr vorhanden war. Damit ich Faye erhalten bleiben würde und wir beide wieder sicher im Camp ankamen, uns nicht verloren. Aber jetzt waren nicht Kugelhagel und einschlagende Granaten das Problem - wir beide waren es. Also konnten wir nicht einfach davor weglaufen und uns hinter sichere Mauern flüchten, denn die gab es nicht. Es steckte in uns drin und folgte uns auf Schritt und Tritt, egal wo wir hingingen. Deshalb war ich unendlich dankbar dafür, dass die Brünette stehenblieb. Auch wenn ich an diesem Punkt noch nicht wusste, was ich jetzt überhaupt noch sagen oder tun wollte, weil ich das dumme Gefühl hatte, dass ich alles nur noch schlimmer machen konnte mit jedem weiteren Wort, das ich sagte. Vielleicht war es gerade einfach nicht gut, noch mehr zu sagen. Andererseits konnte ich mir auch nicht vorstellen, dass sie lieber meine Nähe als weitere Erklärungen von mir wollte. Sonst würde sie kaum vor mir wegrennen, um Abstand zu zu kriegen, oder? Ich war gefühlt noch nie im Leben so durcheinander und aufgeschmissen gewesen. Es gab sonst immer irgendwas, dass sich richtig anfühlte, wenn ich bei Faye war - entweder waren es beruhigende Worte oder einfach nur eine Umarmung, hier und da ein zärtlicher Kuss auf den Haaransatz und dringend benötigte Streicheleinheiten. Was tat ich also, wenn mir alles davon eine schlechte Entscheidung zu sein schien? Wenn nichts von alledem wirklich Sinn zu ergeben vermochte? Ich war noch zu keinem Ergebnis gekommen, als ich sie einholte. Blieb mit einem tonlosen Schlucken und der inzwischen etwas verschwommenen Sicht unweit hinter ihr irgendwo im nirgendwo stehen, hielt einen Moment lang noch inne. Schaltete dabei irgendwann dann den Kopf aus, weil er in diesem Augenblick nichts als absolut nutzlos war. Mich zu keinem Ergebnis führte, also hörte ich stattdessen auf das allgegenwärtige Bauchgefühl. In diesem Fall war das der anhaltende Druck auf dem Magen, weil die schier endlose Distanz zwischen Faye und mir so wehtat. Also ließ ich sie verschwinden. Streckte die zitternde rechte Hand nach ihrer schmalen Schulter aus, um sie vorsichtig rückwärts zu mir hinzuziehen, während ich gleichzeitig schon den linken Arm nach ihrer Taille ausstreckte. Sie damit ebenfalls zu mir hinzog und gleichzeitig festhalten konnte, falls sie sich gleich dagegen zu wehren versuchen würde. Oder falls sie sich einfach fallen ließ, weil ich nicht das Gefühl hatte ihr Körper würde diese Achterbahnfahrt an Gefühlen noch lange mitmachen. Ich nahm die Hand von ihrer Schulter und schob sie ebenfalls nach vorne an ihren Bauch. Hakte meine Finger ineinander, als ihr Rücken an meinem Körper anstieß und ließ die Tränen einfach weiterlaufen. Schluchzte selbst einmal, während immer wieder das eine oder andere Zucken meinen Körper flutete. Aber ich hielt sie konstant bei mir, als wäre ich mir ansatzweise sicher damit, dass das die richtige Entscheidung war. "Du... du wirst m-mich... nicht verlieren... Faye... egal was... was ich tue... oder wo ich bin... nie... niemals... du wirst im... immer mein Ziel bleiben.", stammelte ich vollkommen aufgelöst mit bebender, krächzender Stimme vor mich hin. Absolut unfähig dazu einen einzigen kurzen Satz in einem Stück von mir zu geben, weil der Druck in meiner Kehle so stark war. Weil jede Faser meines Körpers in den unbändigen Schmerz der Angst gehüllt war, dass die zierliche Brünette schon jetzt Abschied von mir nehmen würde. Obwohl nie Jemand gesagt hatte, dass sie das jemals tun müssen würde. Obwohl es nie zur Debatte stehen würde, dass ich nicht zu ihr zurückkam. Ich hatte vorhin gesagt, dass ich Ziele und Perspektiven brauchte - eines der benötigten Ziele war schon längst in Stein gemeißelt. Faye und der Weg zu ihr zurück würde jeden einzigen, gottverdammten, wahnsinnig einsamen Tag in der Ferne mein Ziel sein. Natürlich könnte das Schicksal uns zum tausendsten Mal einen Streich spielen - einen von uns beiden doch noch durch unglückliche Umstände von der Bildfläche wischen. Ich weigerte mich aber vehement dagegen, auch nur ansatzweise in dieses Denkmuster zu verfallen. Zweimal schon hatte mein Körper sich mühselig den Weg zurück ins Leben gekämpft, weil mein Kopf sich stur dagegen gewehrt hatte, die Brünette allein zu lassen und nichts in diesem Universum hatte ein Recht dazu, das mit Füßen zu treten. Dann sah ich mich eben jedes Mal zehn Mal um, bevor ich einen Zebrastreifen oder eine Ampel überquerte und ging nur noch bewaffnet auf die Straße. Die Welt würde mich nicht nochmal in die Knie zwingen. Genug war genug und wenn das Universum diesen Strich nicht für mich - für uns - ziehen wollte, dann tat ich es eben selbst.
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Sie hörte ihn nicht kommen, auch wenn sie wahrscheinlich damit gerechnet hatte, dass er ihr folgen würde. Was auch sonst? Dass er einfach dort stehen blieb und ihr dabei zuschaute, wie sie in ihrem Wahnsinn versank? Das wäre dezent atypisch, glaubte sie noch beurteilen zu können. Trotzdem war sie zu tief in ihrem Kopf gefangen, um sich nach ihm umzuschauen oder gar zurück in seine Richtung zu laufen. Kratzte sich fast die Kopfhaut auf, um das längst Überhand nehmende, unerträgliche Bild von Gil endlich da raus zu holen und anzuzünden. Zusammen mit der Narbe. Bis Victor sie zurück in seine Arme zog. Ihre erste Reaktion war tatsächlich, dass sie dagegen ankämpfte, ihre Hände aus ihren Haaren löste und stattdessen nach seinen Armen griff, um sie von ihrem Körper zu stossen. Nicht, weil sie seine Nähe nicht wollte, sondern weil sie den Gedanken nicht ertrug, dass er das nur tat, weil er sie jetzt trösten musste. Weil sie glaubte, dass sie ihn damit nur noch mehr belastete und seine Theorie unterstrich, dass er hier nicht heilen konnte, weil er zu beschäftigt damit war, sich um sie zu kümmern. Sie wollte nicht, dass er sich um sie kümmern musste und es ihm darum beschissen ging. Obwohl unübersehbar war, dass es ihnen ganz einfach beiden beschissen ging... Mit allem. Als sie sein Schluchzen vernahm, hielt sie aber plötzlich inne und der Druck an seinen Armen verschwand, noch bevor er zu reden begann. Bevor er ihr versicherte, dass der Grund für all die Panik, die in ihr wütete, niemals eintreffen würde. Dass er sie nicht für immer verliess - auch wenn es sich so anfühlte, obwohl er das nie gesagt hatte. Dass er ging, um wieder zurückzukehren und das auch tun würde. Faye blieb noch einen Moment steif stehen, während sie zu verstehen versuchte, hielt sich nun aber an ihm fest, anstatt sich gegen ihn zu wehren. Und ein paar lange Sekunden später liess sie ihn wieder los, um sich in seinen Armen umzudrehen, sich auszustrecken und ihn in eine ebenso verzweifelte wie hilflose, enge Umarmung zu schliessen, die regelrecht danach schrie, wie sehr sie ihn brauchte und wollte und bei sich haben musste. Hier und eigentlich immer - aber unbedingt jetzt. Selbstverständlich nahm das Weinen dadurch keinen Abbruch, aber vielleicht würde ihre Hysterie sich wieder beruhigen, wenn er und sie nur ein Bisschen hier blieben. Sich einen Moment lang versprachen, dass das auch jetzt noch für immer war. So lagen ihre Arme eng um seinen Hals und ihr Kopf drängte sich an seine Brust, wo ihre Tränen irgendwo an seiner Jacke kleben blieben oder zu Boden tropften. Es gab noch immer keine Worte, die sie dazu loswerden konnte und ihr Kopf war so voll und so leer, dass es ihr schier unmöglich war, irgendwas Schlaues zu formulieren. Darum blieb sie stumm in ihrem Schwindel und wiederholte innerlich nur immer und immer wieder das, was er jetzt gerade gesagt hatte. Nicht das von vorher. Nicht das, was andere gesagt hatten. Nur diese zwei oder drei Sätze, die eigentlich alles waren, was ihr Herz so dringend brauchte. Gewissheit, die die Panik verscheuchte. Die Sicherheit, dass dieser Mensch bis ans Ende zu ihr gehörte und an ihrer Seite bleiben würde, auch wenn er erstmal wieder gesund werden musste. Er würde wiederkommen, und das musste sie sich jeden Tag sagen, immer und immer wieder, bis er wieder das Bett mit ihr teilte. Bis er das hinter sich gebracht hatte, was offenbar so dringend nötig war.
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Es tat einfach alles nur noch weh. Auch wenn das hier gewissermaßen gerade besondere Umstände waren und ich eigentlich wusste, dass Faye sich nur aus ihrer Verzweiflung heraus gegen meine Nähe wehrte, landete auch damit wieder eine Klinge in meinem Herzen. Ich schien sekündlich weiter auszubluten und ich vergaß beim Weinen zwischendurch auch mehrfach zu atmen, was den Druck in meiner Lunge nur zusätzlich steigerte und den einen oder anderen heftigeren Atemzug zur Folge hatte. Während ich inzwischen still darum bangte, dass ich irgendwie zu Faye durchdringen konnte. Dass meine Nähe dafür noch ausreichte, wenn meine Worte so offensichtlich in den letzten Stunden nicht zu ihr hatten durchdringen können. Irgendein Teil ihres Kopfes schien sich schließlich erfolgreich daran zu erinnern, wogegen sie hier gerade eigentlich ankämpfte - wenn auch vielleicht nur unterbewusst. Denn sie hörte auf gegen die Umarmung anzukämpfen und griff stattdessen nach dem einzigen bisschen Halt, das sie gerade haben konnte. Auch wenn ich mir selbst nicht sicher damit war, wie lange ich das hier noch aushielt. Ob mein eigener Körper nicht ebenfalls gleich unter dem inneren Schmerz kapitulieren und mich zusammensacken lassen würde. Erst als die Brünette sich nach einigen endlos lang wirkenden Sekunden dazu entschied, sich tatsächlich zu mir umzudrehen und die Umarmung wirklich anzunehmen, schwand damit ein kleiner Teil des schmerzhaften Drucks auf meinem Brustkorb. Kurz nachdem Faye sich förmlich an meinen Hals gehängt hatte nahm ich einen tiefen Atemzug, der aus purer Erleichterung rührte. Während meine linke Hand eng um ihren Rücken gelegt blieb hob ich die rechte an, um sie an ihren Hinterkopf zu legen und die Brünette damit an meiner Brust zu halten. Ich legte meinen Kopf für kurze Zeit ein wenig in den Nacken, um zum inzwischen schon ziemlich dunklen Himmel zu sehen. Meinen stillen Dank an wen auch immer nach oben in die Wolken zu senden, die den aufkommenden Mond immer wieder verdeckten. Dann machte ich die noch immer tränenden Augen wieder zu, um mein Kinn vorsichtig auf Fayes Kopf abzulegen. Sie damit auch von oben so gut wie möglich vor der grausamen Welt abzuschirmen, die niemals freundlicher zu uns beiden werden würde, wenn wir uns nicht dazu entschlossen etwas dagegen zu tun. So standen wir lange da - sehr lange, weil keiner von uns beiden dazu imstande war aktiv das Ende des Schmerzes herbeizuführen. Also flossen gefühlt endlos viele Tränen. Auch dann noch, als wir beide langsam aufhörten zu zittern und ich wieder richtig regelmäßig atmete. Als unsere Körper den Nervenzusammenbruch schon halbwegs verdaut hatten, unsere Köpfe aber wohl noch nicht bereit dazu waren ebenfalls zurück auf den Boden zu kommen... und wahrscheinlich würden sie das heute auch nicht mehr, nicht vollends. Ich regte mich erst wieder, als auch die vermeintlich letzte Träne sich aus meinem linken Augenwinkel gelöst hatte. Ich hob den von dröhnenden Kopfschmerzen geplagten Schädel langsam an, um einen Kuss auf Fayes Haar zu hauchen, das wohl zwangsweise die eine oder andere Träne von mir abgekriegt hatte. Strich ihr über den Hinterkopf und fühlte mich noch immer nicht wirklich bereit dazu sie loszulassen. Also löste ich meine Hände nur von ihr, um sie an ihren Oberschenkeln wieder anzusetzen und sie hochzuheben. So brauchte auch Faye sich nicht aus der Umarmung zu lösen. Konnte sich weiter an meinen Oberkörper klammern, wenn sie dieses letzte bisschen Halt gerade so dringend brauchte. Meine Hände blieben an ihren Oberschenkeln liegen und ich strich immer wieder mit den Daumen über den Stoff ihrer Hose, während ich sie nur langsamen Schrittes vor mir her zum Auto trug. Als das Heck des Wagens in Sichtweite kam, erinnerte ich mich unwillkürlich an einen deutlich schöneren Augenblick zurück, damals im Urlaub... den wir seit unserer Rückkehr aus Syrien so noch nie wieder gehabt hatten. Unsere Lockerheit miteinander schien leider ebenfalls in den sandigen Lehmhügeln begraben worden zu sein. Vorsichtig setzte ich Faye auf der Heckklappe des Wagens ab, zog mich aber auch dann nicht wirklich von ihr zurück. Nur so viel, wie nötig war, damit ich zu ihr nach unten und auch etwas von ihrem Gesicht sehen konnte. "Ich erinnere mich gerne daran zurück. An die Auszeit von Syrien... wir hatten hier noch nie so viel Spaß wie in diesen zwei Wochen..." Auch absolut unabhängig von dem spontanen Outdoor-Sex auf dem abgelegenen Parkplatz an der Klippe, nach dem uns weder jetzt in naher Zukunft sein würde, noch in letzter Zeit je der Sinn gestanden hatte. "Aber ich weiß, dass wir dahin zurück können. Dass unser Leben sogar noch so viel besser sein kann als das, wenn wir den ganzen Schutt aus der Vergangenheit endgültig loslassen. Und ich weiß, dass du... den langen Weg dahin aushalten kannst. Du hast dich schon so oft zu Dingen überwunden, die du am liebsten gar nicht getan hättest... nur um zu mir zurückzukommen. Nur damit wir irgendwie wieder zueinander finden, egal wie schlecht die Chancen gestanden haben. Du bist wahnsinnig stark, Faye... auch wenn dir das nicht immer so vorkommt und ich... selbst oft blind dafür bin.", redete ich langsam und etwas undeutlich vor mich her. Meine Stimme klang vom Weinen und dem schmerzenden Hals noch sehr gedrückt und in sich sehr unruhig, aber das beeinträchtigte den Inhalt wohl nicht wesentlich. Denn ich wusste eigentlich sehr wohl, dass Faye nicht so endlos zerbrechlich war, wie ich mir das immer gerne einredete und offenbar half aber nichts anderes dagegen, als mir den eindeutigen Beweis dafür zu liefern, indem ich sie eine Weile allein ließ. Sie alleine klar kam - auch ohne meine schützende Hand, die sie vor Gil sowieso nicht hatte bewahren können. Genauso wenig wie vor dem Syrer. Oder vor Warren.
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Es brauchte wirklich sehr viel Zeit, damit sie beide sich wieder einigermassen beruhigen konnten. Eine gefühlte Ewigkeit - aber das war nicht schlimm. Denn erstens merkte sie kaum, wie die Zeit verging und zweitens hatte sie nicht daran geglaubt, sich heute überhaupt noch mit ihm gemeinsam beruhigen zu können. Aber irgendwie passierte es doch - nachdem sie sich ein zweites Mal alle Tränen aus den Augen geweint hatte. Ihr ganzes Gesicht dürfte mittlerweile dezent aufgeschwollen und durchgeheult aussehen, aber es stellte trotzdem nur einen Bruchteil des Chaos dar, welches in ihrem Herzen wütete. Dieser Sturm würde sich wohl noch länger dahinziehen, aber immerhin leerte sich ihr Kopf je länger je mehr und sie konnte wieder besser atmen, jetzt, wo sie ihn wieder spürte und roch und vielleicht auch langsam begriff, dass Victor sie nicht wirklich von sich schieben wollte, weil sie anstrengend war. Ein Stück der Verunsicherung würde sicherlich noch eine lange Zeit in ihrem Herzen bleiben und sich da wohlig einnisten, aber zumindest ihr Kopf schien langsam zu realisieren, dass es ihm überhaupt nicht darum ging. Ausserdem war sie so müde und ausgelaugt von der Aufregung und dem Weinen, dass sie gar nicht mehr wirklich Optionen hatte, ausser sich einfach langsam zu beruhigen. Darum hatte sie sicherlich auch nichts dagegen einzuwenden, als er sie, nachdem er den Kopf angehoben und sie einen zarten Kuss auf ihrem Haar gespürt hatte, hochhob und festhielt. Auch ihre zwischenzeitlich gelockerte Umarmung wurde wieder etwas fester und sie schlug die Augen auf - nur um festzustellen, dass die Nacht mittlerweile Einzug gehalten hatte und der Mond bereits mehr oder weniger hell hinter den Wolken leuchtete. Ihr Kopf lehnte noch immer kraftlos an seiner Brust, bis er sie schliesslich beim Auto absetzte und sie langsam zu ihm nach oben schaute. Die hämmernden Kopfschmerzen plagten selbstverständlich auch sie, aber das war kaum erwähnenswert, wo sie sich zweifellos beide gerade in einem hundsmiserablen Zustand befanden. Seine Worte waren überraschend... traurig eigentlich, aber auch schön, wie es die Erinnerungen waren. Ihr Blick schweifte kurz umher, tastete die Umgebung und das Auto unter sich ab, bevor er zurück in Victors Gesicht wanderte. Er hatte Recht damit. Dass sie nie so viel Spass hatten wie damals. Obwohl es nur zwei Wochen gewesen waren... Aber das war nicht alles, was er ihr sagen wollte, weshalb sie versuchte, ihm weiter zu folgen. Und vor allem versuchte, ihm weiter zu glauben, als sie das hörte, was er noch zu sagen hatte. Teilweise wusste sie, dass er Recht hatte. Zum Beispiel damit, dass sie schon bemerkenswert viele Dinge geschafft hatte, von denen sie nie geglaubt hätte, dass sie sie überleben könnte. Das beste Beispiel dafür lag erst ein paar Wochen zurück. Andere Teile seiner Worte waren schwerer zu fassen, konnte sie nicht so leicht unterschreiben - allen voran natürlich der Letzte. Denn sie fühlte sich nicht stark. In diesem Moment wirklich von allen möglichen Eigenschaften am allerwenigsten stark. Eher wie ein kraftloser Flunder der im Sand in der gleissenden Sonne vertrocknete und langsam mit dem Leben abschloss. Faye legte ihre Hände links und rechts an sein Gesicht, zog ihn etwas tiefer zu sich runter, bis seine Stirn an ihrer lehnte und sie nochmal die Augen zufallen liess. Ein paar tiefe Atemzüge tätigte und versuchte, ihm zu glauben, bevor ihre Lippen nur ganz zart die seinen streiften. "Ich... ich werd's wirklich versuchen...", flüsterte sie ein Versprechen, das in sich noch immer ziemlich aufgelöst klang. "Stark zu sein... und... besser zu werden... damit wir loslassen können...", sie brauchte nochmals eine Pause und ihre Daumen streichelten über seine Wangen. "Damit wir irgendwann... endlich glücklich werden können... beide... für immer...", sie hauchte einen zweiten Kuss an seine Lippen. Natürlich war noch lange nicht alles wieder gut. Und Faye war sich auch ziemlich sicher, dass es nicht wieder richtig gut sein würde, bevor er gegangen und irgendwann wieder zurückgekehrt war. Aber vielleicht war es auch vorher nicht richtig gut gewesen... Vielleicht war es schon lange nicht mehr richtig gut... Seit Syrien... seit immer..? Sie hatten beide mit schlecht verarbeiteten Traumata in diese Beziehung gestartet. Hatten sie bisher überhaupt jemals die Chance gehabt, richtig gut zu sein?
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Meine Augen folgten jeder noch so kleinen Regung von Fayes Gesichtszügen mit voller Aufmerksamkeit. Oder zumindest so viel davon wie mir in diesem Moment möglich war, wo mein Kopf sich doch noch immer nicht restlos beruhigt hatte. Würde er heute wahrscheinlich auch nicht mehr. Es dauerte einen Moment bis die zierliche Brünette mir eine Antwort auf die Worte gab, aber ich wartete geduldig darauf. Ließ meinen Kopf bereitwillig von ihren schmalen Fingern näher an ihr Gesicht ziehen und schloss ebenso wie sie meine Augen, als meine Stirn an ihrer andockte. Dabei löste sich auch meine rechte Hand von ihrem Oberschenkel und ich legte den Arm stattdessen wieder um ihre Taille, hielt sie ein bisschen lockerer fest als vorhin in der krampfhaften Umarmung. Der sehr flüchtige Kuss gab mir zumindest einen Hauch mehr Sicherheit zurück, dass sie heute nicht noch einmal flüchten würde. Dass sie mich noch nicht ganz abgeschrieben und mit unserer Beziehung abgeschlossen hatte. Obwohl Fayes darauffolgende Worte noch nicht unbedingt so klangen, als hätte sie sich wieder vollständig im Griff, glaubte ich ihr. Wusste einfach, dass sie es wirklich versuchen würde. Wahrscheinlich dauerte es noch ein paar Tage, bis sie besser mit der neu gewonnenen Information klar kam und sich selbst ein paar effektive Gedanken dazu machen konnte, wie sie die Zeit ohne mich gestalten konnte. Wie sie sie gut nutzen konnte, ohne dabei innerlich daran zu sterben, dass ich nicht hier war. Ich wusste, dass sie das konnte - wenn sie es eben erstmal anzunehmen geschafft hatte und sich daraufhin wirklich damit auseinandersetzte. Ich glaubte an sie, noch bevor sie es selbst tun konnte. Nach dem zweiten zärtlichen Kuss schwieg ich noch einen Augenblick lang. Hob in der Zwischenzeit auch meine andere Hand von Fayes Bein an, um mit dem Daumen über ihre noch immer nicht ganz trockene Wange zu streicheln. Die Kontur ihres Wangenknochens nachzufahren, wie es schon so oft getan hatte. "...und ich weiß, dass du das schaffen wirst.", waren die ersten leisen Worte, die ich an ihre geschwollenen Lippen murmelte. Wenn ich mir nicht sicher damit wäre, dass Faye diesen harten Weg genauso bestreiten konnte, wie ich auch, dann würde ich es nicht in die Tat umsetzen. Ich würde lieber für den Rest meines Lebens neben ihr zurückstecken und semi-glücklich werden, als sie im Stich zu lassen und alleine weiterzumachen. Aber das musste nicht passieren, weil wir beide fähig dazu sein würden die Stärke wieder aus uns herauszukehren und sie zu neuem Glanz aufzupolieren. "Auch wenn wir uns in dieser Zeit... beide etwas verändern werden...", was unumgänglich war, wenn wir zukünftig zusammen nach oben fliegen, statt immer nur mit Sturzflug am Boden zerschellen wollten. "Und wir uns danach vielleicht teilweise ein bisschen... neu kennen lernen müssen... werden unsere Herzen sich erinnern. Ich hab keine andere Frau so geliebt, wie ich dich liebe und ich bin mir immer noch sicher damit, dass du es sein wirst, die in einem Hochzeitskleid auf mich zukommt... irgendwann, wenn wir beide gesund sind... es uns gut geht und es nichts mehr gibt, das sich uns in den Weg stellen kann, weil wir es nicht zulassen werden. Nie wieder. Wenn wir das hier geschafft haben... dann schaffen wir alles, Faye.", redete ich eher leise weiter und streckte mich danach noch einmal nach ihr aus, um mir einen weiteren kurzen Kuss zu stehlen. Nein, auch daran hatte sich nichts geändert seit unserer letzten Therapie. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie wir über unsere Zukunftswünsche gesprochen hatten und die Brünette etwas verwirrt darüber gewesen war, dass ich sie mir in einem Hochzeitskleid trotz all der Narben noch wunderschön vorstellte. Es war immer noch so - Gils hässliches Andenken hin oder her - und es blieb im Moment noch einer der Träume, den ich erfüllen wollte. Aber irgendwann würde es soweit sein und vielleicht konnten wir Mitch dann dazu überreden, uns seine Stimme für das eine oder andere Lied zu leihen, während Aryana irgendwo saß und ganz unheimlich stolz darauf war, dass der Temperamentsbolzen mit der tiefen Stimme ganz allein zu ihr gehörte. Ja - ich hatte das Ganze in meinem Kopf schon häufiger mal ein bisschen verträumt durchgespielt, aber der Antrag musste leider noch warten. "Du darfst nicht daran denken, was dir fehlt, wenn ich weg bin, auch wenn das schwer ist... halt' dir all das vor Augen, was du dir wünschst... für dich, für uns... und was wir zusammen haben werden, wenn wir beide soweit sind.", hauchte ich noch ein paar mehr Worte an ihre Lippen, während mein Daumen weiter zu ihrem Kieferknochen wanderte. Ich wusste, dass ich Faye schrecklich vermissen würde, ganz besonders in den ersten Tagen. Dass ich selber auch erstmal eine Weile brauchen würde, um mich wieder an die Devise klammern zu können, stur nach vorne zu schauen. Aber es war wichtig genau das zu tun, sonst klammerten wir uns ja nur wieder an der Vergangenheit fest, die wir so dringend loswerden mussten.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Heiraten… dieser Plan war durch die Geschehnisse der letzten Wochen wieder sehr weit in die Ferne gerückt. Vielleicht hätten sie es längst tun sollen. Aber sie hatten ständig darauf gewartet, dass sich bessere Zeiten ergeben würden. Dass sie noch ein bisschen stabiler im Leben standen. Dass der richtige Moment gekommen war… Vielleicht war der richtige Moment wirklich noch nie da. Vielleicht hätte ihnen die Planung ihrer Hochzeit aber auch gut getan. Wenn sie sich auf etwas gefreut hätten, auf etwas hin gearbeitet hätten, statt mehr oder weniger von Tag zu Tag zu leben, bis sie jetzt hier waren. Vielleicht hatten sie diesen Weckruf gebraucht - wenn auch wirklich nie und nimmer in diesem Ausmass. Es hätte gereicht, wenn einer von ihnen fast gestorben wäre - nicht schon wieder beide. Und es hätte auch nicht ihre Schuld sein müssen, jedenfalls nicht in diesem Ausmass. Etwas wesentlich Harmloseres, das trotzdem Wirkung gezeigt hätte. Zum Beispiel ein Fast-Autounfall, der sie ausreichend zum Nachdenken angeregt hätte. Irgendwas, das ihnen zumindest den nächsten psychischen Vollkollaps erspart hätte, wäre schön gewesen. Denn es war echt nicht fair, dass sie sich ständig jedes noch so kleine Stückchen Glück so hart verdienen mussten, oder? Aber wann war das Leben schon je fair gewesen… Und wann hatte es je etwas gebracht, sich darüber zu beschweren. Es war nunmal so, dass sie beide echt heftige Brocken bösen Schicksals abbekommen hatten und das Karma gefühlt ständig gegen sie spielte. Aber es würde nicht besser werden, wenn sie in Selbstmitleid badete, wenn sie sich in ihrer Opferrolle verkroch und glaubte, nie etwas dagegen ausrichten zu können. Sie mussten ihre Probleme – die, die sie teilten, aber eben auch die, die sie jeder für sich mit sich herumtrugen – angehen, das Leben in die Hand nehmen, wenn sie wollten, dass es besser werden konnte. Nicht darauf warten, dass ein Wunder geschah und jemand sie rettete. Das taten sie eigentlich schon immer, aber die Krise, mit der sie sich jetzt herumschlugen, hatte eben deutlich gemacht, dass es noch sehr viel tiefer liegende Stolpersteine – oder eher Stolperberge – gab, die sie zuerst wegpickeln mussten, um die Sonne dahinter wieder auf ihrer blassen Haut zu spüren. Berge, die durch die Erdbeben ihrer Vergangenheit entstanden waren und ihnen den Weg versperrten, sie dazu zwangen, ständig zu klettern, auszurutschen, hinzufallen, anstatt sich gemeinsam eines Spaziergangs zu erfreuen. Der Spaziergang würde kommen. Sie würden ihre Füsse nebeneinander in den weichen Sand einer wunderschönen Küste graben, die schönsten Muscheln finden und sich zwischendurch in die kristallklaren, seichten Wellen werfen. Sie würden unter Palmen tanzen und das süsse Wasser aus Kokosnüssen schlürfen und es wäre ihnen vollkommen egal, dass die sommerliche Bräune ihrer Körper hier und da durch hellere Stellen gestört wurde – überall da, wo einmal jemand versucht hatte, sie kaputt zu machen. Sie würden die Narben nicht mehr als Schande oder schreckliche Erinnerungen sehen, nicht mehr an die Leute denken, die sie so grausam gezeichnet hatten, sondern feiern, dass sie jeden dieser Angriffe überstanden und allen gezeigt hatten, dass diese Welt nichts zu bieten hatte, was stärker war als das unsichtbare Band, welches sie vereinte. Es würde märchenhaft und grossartig werden, wunderschön in den leuchtendsten Farben. Faye erwiderte den nächsten zärtlichen Kuss und nickte schwach. Sie würde das schaffen und er auch. Aus dem einfachen Grund, dass sie keine andere Wahl hatten, als das zu schaffen. Und ja, dann würden sie heiraten. Wenn sie diese letzte Hürde bis zur Hochzeit genommen hatten. Eigentlich war sie längst der Meinung, dass sie genug geschafft haben, um sich die Ewigkeit zu verdienen, aber da dem scheinbar nicht so war, würden sie eben auch das noch hinter sich bringen. Auch ihre Finger wanderten sachte über seine Wangen, während sie sich weiter an ihn lehnte und seinen Worten lauschte, seine Berührungen in sich aufsog, weil sie jetzt ganz genau wusste, dass sie bald schon für lange Zeit darauf verzichten und ihre Seele, ihr Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeiten sich nur von diesen Erinnerungen ernähren konnten. Sie deutete nochmal ein Nicken an und dann war es erneut für eine Weile still, aber sie ganz dicht bei ihm, bis sie erneut leise zu sprechen begann. „Wenn du zurückkommst, fliegen wir in den Urlaub, Victor. An den schönsten Ort, den ich bis dahin gefunden habe“, sie würde arbeiten in der Zwischenzeit und wieder Geld sparen, damit sie was auf der Seite hatte, wenn er zurück war. Und dann würden sie fliegen, irgendwohin wos schön war. Für mindestens zwei Wochen. Mehr lag dann wohl nicht drin, da sie ja einen Job hätte - hoffentlich, darum musste sie sich auch noch kümmern - zu dem sie irgendwann zurückkehren sollte. Aber diese kleine Auszeit würde bestimmt möglich sein, da bis dahin ja schon einige Monate vergangen wären, während derer sie ja keine Urlaubstage verschwenden musste. Sie würde dafür sorgen, dass sie Weihnachten und Neujahr arbeiten konnte, um nicht traurig und einsam zuhause zu sitzen, also brauchte sie auch da kein Frei und konnte sich alles aufsparen für später. Höchstens zwei-drei Tage könnte sie brauchen, falls Aryana irgendwann in der Weihnachtszeit zuhause wäre und sich dazu bereit erklären würde, mit ihr zu Onkel Sam und Familie zu fahren. Denen schuldete sie nämlich auch noch eine Menge, nachdem sie sie in ihrem Delirium begleitet und nicht aufgegeben hatten, obwohl Faye ihren Arsch darauf verwetten würde, dass sie ein rundum authentischer Kotzbrocken gewesen war.
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Für einen Sekundenbruchteil zuckten meine schweren Mundwinkel nach oben, als Faye nach kurzweiligem Schweigen sagte, dass wir in den Urlaub fliegen würden. Wir hatten noch nie wirklich richtigen Urlaub gemacht und das war schade. Natürlich - da waren die zwei Wochen Erholung während der Army gewesen, aber es war eben doch etwas ganz anderes, wenn man nur zwischen Familienbesuchen Zeit zu zweit genoss. Es würde noch viel besser sein sich ohne jedwede familiäre Verpflichtungen irgendwo durch den Sand zu rollen und mich dabei nur auf die zierliche Brünette zu fokussieren. Jede Sekunde davon mit ihr zu genießen, erst recht wenn ich vorher so lange weg gewesen war. Es würde perfekt werden und ich war mir sicher, dass wir jeden noch so simplen Moment in dieser Zeit genießen würden. Einfach nur, weil wir es uns redlich verdient hatten, auch mal wirklich Freude an unserem Leben zu haben und die Vorzüge dessen auszuleben. Zweifelsohne war ein gemeinsamer Urlaub also ein sehr guter Grund mehr, wieder zu Faye zurückzukehren. Nicht, als würde ich mehr Gründe brauchen als die hübsche Brünette selbst, aber sich auf eine wirklich friedliche, gemeinsame Zeit unter Palmen freuen zu können, machte die Rückkehr nicht weniger verlockend. Auch wenn all das gerade leider noch in sehr weiter Ferne lag und wir uns noch ein paar Tage mit dem drückenden Gefühl des anstehenden Abschieds herumquälen mussten. Den könnten uns jedoch auch Sandstrand und Sonne nicht schöner machen und der ungemütliche Herbst passte eigentlich ohnehin deutlich besser dazu. Machte es noch düsterer, als es ohnehin schon war. "Das klingt wirklich schön.", murmelte ich zu ihr runter. Löste dann ein paar Sekunden später langsame meine Stirn von ihrer, um sie wieder anzusehen. Ihr von Tränen und Schmerz gezeichnetes Gesicht zu mustern, auch wenn es mir nur noch einmal sehr deutlich machte, wie tief ich das Messer vorhin sinnbildlich in ihrer Brust versenkt haben musste. Ich war mir sehr sicher damit, dass sich die letzten Minuten ebenso in meinem Kopf einbrennen würden, wie schon all die anderen turbulenten Tage in noch nicht weit zurückliegender Vergangenheit. "Daran werd' ich immer denken, wenn du mir fehlst.", hauchte ich etwas leiser und neigte mich dann noch einmal Faye entgegen, um ihr einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken. Wahrscheinlich würde ich also jeden Tag daran denken. An den wunderschönen Traumurlaub und auch an die Hochzeit. Und an all die anderen Dinge, die wir beide noch vor uns hatten. Das war viel, wenn wir die neuen Ziele hernahmen und auch unsere alte Liste nochmal rauskramen würden. Hatten wir die noch? Ich war mir nicht ganz sicher. Die wichtigen Dokumente unseres damaligen Aufenthalts in der Klapse hatten wir natürlich aus formellen Gründen aufbewahrt, aber ich wusste nicht, wie es mit den Therapieunterlagen an sich aussah. Vielleicht fiel uns das Zeug ja tatsächlich in die Hände, wenn wir in den Tagen nach Fayes Entlassung die alte Wohnung von sämtlichen Möbeln und anderen Sachen befreiten. Ich konnte wohl von Glück reden inzwischen wieder einigermaßen fit zu sein und keine Kreislaufprobleme mehr zu haben, was das Schleppen der teilweise schweren Möbel anging. In jedem Fall wäre dennoch ein zweiter Mann dafür notwendig. Sehr praktisch, dass Aryana und Mitch momentan Zuhause waren. Sollte er allerdings keine Lust dazu haben - wie das mit seinen Launen manchmal eben so war - würde sich bestimmt auch ein anderer Freund erbarmen, ich hatte in der Nachbarschaft ja zumindest zwei oder drei. Wobei mir Mitch am Ende doch deutlich lieber wäre, falls mir dann immer noch so dermaßen unwohl in der Wohnung sein würde... wovon bei meinem aktuellen mentalen Zustand leider auszugehen war. Es lag wohl einfach an unser aller gemeinsamer Vergangenheit, dass ich deutlich weniger ein Problem damit hatte mich vor dem eng befreundeten Pärchen psychisch verkrüppelt zu zeigen, als vor Freunden, die eben nicht im Krieg waren. Die auch nicht wussten, was für eine grausame Vergangenheit Faye und ich mit uns herumschleppten - also würde ich dem Tätowierten wohl so lange auf die Nerven gehen, bis er Ja sagen würde, falls er das eben nicht auf Anhieb tat. Ein bisschen körperliche Auslastung schadete ihm sowieso nie. Ich nahm meine Finger langsam von Fayes Gesicht, als ich ihren Kiefer nach vorne bis zu ihrem Kinn gestreichelt hatte und legte die Hand sachte zurück auf ihren Oberschenkel. "Gehen... wir langsam zurück?" Also eigentlich eher fahren. "Wir müssen aber noch nicht, wenn du nicht willst... wir können uns auch nur auf die Rückbank verkrümeln... da ist es sicher noch ein bisschen wärmer als hier draußen.", stellte ich ihr zwei Optionen in Aussicht. Ich wusste nicht wie spät es inzwischen war - demnach auch nicht, wann wir eigentlich zurück auf Fayes Station sein sollten -, weigerte mich aber auch auf meine Armbanduhr zu sehen, weil ich mich nicht von Faye verabschieden müssen wollte. Wahrscheinlich war das sehr dämlich und kindisch, weil ich mich bald für wesentlich längere Zeit als weniger als 24 Stunden von ihr verabschieden müssen würde, aber ich wollte sie bis dahin wohl nicht mehr missen, als nötig war. Wir würden lange genug voneinander getrennt sein, also hätte ich auch erdenklich wenig dagegen, erst noch ein paar Minuten kuschelnd im Auto mit Faye totzuschlagen, bevor wir uns auf den eigentlichen Heimweg machten.
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Ja, das tat es. Und genau darum ging es auch. Dass sie sich nicht länger als nötig auf die Trauer des Abschieds und das Leid des Getrennt-Seins konzentrierten, sondern auf das, was dahinter auf sie wartete. Sie würden sich oft genug in dem Schmerz der Einsamkeit oder der Unsicherheit des Vermissens winden dürfen - jede Sekunde, die sie nicht an diese Gedanken verschwendeten, war ein kleiner Gewinn. Auch Faye betrachtete sein Gesicht, als er sich etwas von ihr löste, aber es gefiel ihr nicht, dass sich darin so viele traurige Emotionen, so viel Schmerz spiegelten. Und sie konnte sich auch nicht mit dem Wissen anfreunden, dass ein Teil dieses Schmerzes bleiben würde, bis er ging. Sie all die Monate - vielleicht sogar Jahre? - auf das Glück warten mussten, das sie so dringend brauchten. Aber es liess sich nicht mehr ändern, denn die Weichen waren gestellt und auch wenn sie erst heute von seinen Plänen erfahren hatte, waren diese doch festgelegt und räumten so gut wie keinen Raum für Verhandlungen ein. Es blieb ihnen also nur übrig, sich an die Vision einer goldenen Zukunft zu klammern, während sie an sich selbst arbeiteten und alles dafür taten, dass diese Zukunft auch wirklich Einzug halten konnte. "Ich auch...", erwiderte Faye, während ihre Finger ebenso ein letztes Mal über seine Wangen strichen und sie diese dann mehr oder weniger zurückzog, als er eine Frage stellte. Eigentlich hatte sie wirklich nicht das Bedürfnis, zur Psychiatrie zurück zu kehren. Jetzt noch weniger als zuvor, weil sie jetzt wusste, wie wenige Nächte sie theoretisch noch neben Victor schlafen könnte, bevor sie so lange Zeit ein viel zu grosses Bett mit sich selbst teilen müsste. Das war nämlich auch so eine Sache die sie hasste - alleine schlafen. Aber half ja nichts, die paar Tage musste sie trotzdem noch in dem Neunzigerbett in ihrer eigenen besten Gesellschaft verbringen... Auch wenn sie keine Lust darauf hatte. Es war Teil des Weges, den sie gehen musste, um wieder gesund zu werden. Ein Leben zu führen, das sowohl ihrer selbst als auch Victors Gesellschaft würdig war, das nicht von Angst und ungelöstem, tiefliegendem Trauma geschwärzt wurde. Rückblickend konnte sie nur froh sein, dass sie den heutigen Nachmittag in der Stadt verbracht hatten und nicht in der Psychiatrie oder dem anliegenden Park. Sie wollte gar nicht wissen, wie ihr Nervenzusammenbruch ausgesehen haben musste, wollte auch nicht wissen, was sowas für Konsequenzen gehabt hätte, wenn es einer der Klapsenwärter mitgekriegt hätte. Da heulte sie sich die Seele lieber in einem Park in der Stadt oder auf einem Parkplatz auf einem Hügel aus dem Leib, wo immerhin keiner sie sehen und verurteilen konnte. Jedenfalls keiner, dessen Urteil für sie relevante Folgen haben würde. Ausser Victor, natürlich. Aber der war sich Nervenzusammenbrüche ihrerseits ja leider bestens gewohnt und er würde sie bestimmt nicht länger einbuchten lassen als nötig. Weil er auch der Einzige war, der ihre Reaktion wirklich verstand und hinter das Theater sehen konnte, welches andere mit einem Kopfschütteln abtun würden. Er wusste, woher ihre Verlustängste kamen und wusste sehr wahrscheinlich auch, dass genau diese es waren, dank derer bei ihr mal wieder die Sicherungen durchgebrannt waren. Er war im Moment im Übrigen auch fast der Einzige, der etwas dagegen unternehmen konnte. Abgesehen von Aryana, aber die hatte auch eher eingeschränkte Möglichkeiten, solange sie an ihren beschissenen Arbeitgeber gebunden war. Das war wohl auch ein Punkt, an dem Faye arbeiten durfte, wenn sie alleine war… Etwas, woran sie bisher nicht wirklich hatte arbeiten wollen, weil sie viel zu grosse Angst davor gehabt und zugleich die unschöne Befürchtung gehegt hatte, dass die ganzen psychologischen Fachpersonen mit fundierten Theoriekenntnissen ihr sofort anraten würden, sich von Victor zu trennen. Oder so ähnlich. Also eigentlich die Lösung, die ihr Freund nun vorgeschlagen hatte, weil er sich dazu überwunden hatte, diesen Schritt zu gehen, um endlich besser zu werden. Den Schritt, zu dem sie sich eben noch nicht hatte überwinden können. «Vielleicht… noch ein Bisschen hier bleiben… ich weiss nicht, was wir für Zeit haben, aber… das geht schon klar», entschied Faye sich dafür, ein paar Minuten länger in Zweisamkeit zu verbringen, anstatt zurück zu fahren. Sie fühlte sich noch nicht wirklich dazu bereit, sich wieder mit Klinikpersonal zu konfrontieren oder mit der Einsamkeit ihres Zimmers. Wahrscheinlich würde sie das auch später nicht, aber wenigstens würden da die Tränen etwas weiter in ihre Kanäle zurückgedrängt sein. Sie löste sich ausreichend von Victor, damit sie im Anschluss von der Heckklappe auf die Beine rutschen konnte, um sich mit ihm stattdessen auf den Rücksitz zu verkriechen. Das war eine an sich ziemlich intelligente Idee, da es draussen langsam doch sehr kalt wurde und sie nicht unbedingt krank werden mussten. Ihre Körper hatten sich zwar weitestgehend erholt, aber so ganz zu alter Stärke zurückgefunden, hatten sie wohl beide noch nicht. Da fehlten noch ein paar Kilos, ein paar Muskeln, ein paar weisse Blutkörperchen… und viele Nerven. Im Auto war Faye dann sehr schnell wieder ganz dicht bei Victor, verkroch sich erneut in seiner Nähe. Sie brauchten sich auch gar nicht weiter zu unterhalten, weil es zu diesem Tag nicht viel mehr zu sagen gab. Aber die Nähe war wichtig. Nur noch ein paar Minuten, bis sie dann doch zurückmusste. «Es ist wichtig, dass wir am Ende immer hierher zurückkommen…», murmelte sie vor sich hin, meinte damit die Umarmung, die sie nach jedem noch so schmerzhaften Gespräch gegenseitig einholten. Die Umarmung oder Versöhnung, die auch der Grund gewesen war, weshalb sie vorhin im Park nicht alleine nach Hause gegangen war. Es war ein kleines Bisschen Sicherheit, dass alles wieder gut werden würde… Und das brauchte sie ganz dringend und zwar jedes Mal.
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Ich nickte schwach und trat einen Schritt zurück, damit Faye problemlos vom Kofferraumdeckel rutschen konnte und ich ihr dabei nicht unnötig im Weg stand. Es war wenig überraschend, dass auch die zierliche Brünette das Zeitgefühl ziemlich verloren hatte. Es war dunkel und aufgrund dieser Tatsache kaum mehr mitten am Tag. Die Dämmerung brach in den kalten Jahreszeiten jedoch ohnehin früher herein und nachdem Faye in den Augen des Psychiatriepersonals ja nun vermeintlich etwas stabiler unterwegs war, würden die uns schon nicht gleich den Kopf abhacken, wenn wir ein paar Minuten zu spät kamen. Im schlimmsten Fall würde mein Handy klingeln, weil wir unsere Rückkehr zu lange hinauszögerten und ich meine Nummer in der Klapsmühle hatte angeben müssen, damit ich überhaupt erst mit Faye außerhalb der Mauern unterwegs sein durfte. Ich hätte gerne auf diese Angabe verzichtet, hatte mich nicht wohl damit gefühlt. Wohl auch so eines der Dinge, die aus dem ganzen Drama um Ryatt und die Geschwister resultiert war, auch wenn ich beim Personal der Anstalt eigentlich keine Bedenken haben müsste. Ich würde mir zukünftig wohl immer fünf Mal überlegen, wem ich meine private Telefonnummer anvertraute und wem nicht. Erstmal lag die Rückkehr aber zumindest gefühlt noch irgendwo in der Ferne, als ich mich mit Faye ins Innere des Wagens verkroch. Ich war nicht übermäßig kälteempfindlich und könnte auch Skiurlaub im kalten Schnee etwas abgewinnen, aber nach der ganzen Aufregung und dem Rumsitzen auf der kalten Bank vorhin im Park war ich nicht unbedingt erpicht darauf, weiter vor mich hinzufrieren. Umso erleichterter war ich also, dass es im Wagen nicht nur windgeschützt, sondern auch noch deutlich wärmer als draußen war. Die Heizungsluft von der Fahrt hierher herrschte noch immer vor und so fühlte ich mich unweigerlich gleich ein ganzes Stück besser, als ich einigermaßen bequem saß und Faye sich zu mir kuschelte. War mit meiner Größe immer gar nicht so einfach im hinteren Teil eines Autos genug Platz zu finden, aber letztlich rutschte ich einfach etwas tiefer in den Sitz und saß leicht schräg, damit Faye sich bequem an mich lehnen konnte. Meine Arme suchten automatisch wieder nach ihrer Nähe, hielten sie bei mir. Die zierliche Brünette wurde schließlich noch ein paar Worte los, die ich ohne wenn und aber so unterschreiben konnte. Ich könnte nicht einmal dann damit leben im Streit mir ihr auseinanderzugehen, wenn ich es wirklich gewollt und darauf angelegt hätte. Einmal war es so gekommen - damals, als sie mir die Sache mit Warren gestanden hatte und ich es in ihrer Nähe deshalb nicht mehr ausgehalten hatte. Es war da schon pure Folter gewesen, auch wenn mich daran keine Schuld getroffen hatte und unsere Verbindung zueinander noch nicht so eng gewesen war, wie sie es jetzt war. Hätten sich unsere Wege heute auf ähnlich hässliche Weise getrennt, wäre es also mindestens genauso schlimm und tendenziell sogar eher noch viel schlimmer gewesen. Allein schon wegen unserer jetzt noch kaputteren Psyche. "Ja, das müssen wir.", stimmte ich ihr leise zu und schlang meine Arme dabei noch ein wenig enger um ihren Körper. Schloss die Augen und neigte meinen Kopf dem ihren mehr entgegen, damit mir ihr Geruch wieder um die Nase wehte. Ich versuchte mich ausschließlich auf ihre Nähe zu konzentrieren und sie auf mich wirken zu lassen, weil es das einzige war, das gegen die noch nicht wirklich weggeblasene Angst helfen konnte. Wahrscheinlich würde ein Teil der Angst von jetzt an auch bestehen bleiben, bis ich die Reise angetreten hatte und schließlich wieder zurückkam. Aber dann würde sie weg sein, oder? Wenn selbst monatelange Trennung uns beide nicht endgültig auseinanderreißen würde, dann schaffte das auch sonst nichts auf dieser Welt. Wie lange genau wir am Ende auf der Rückbank saßen, war schwer zu sagen - so ohne bewusste Blicke auf tickende Uhrzeiger. Aber als wir beide mehr oder weniger dazu bereit waren uns voneinander zu lösen und den Weg zurück zur Klinik einzuschlagen, hatte ich zumindest das Gefühl wieder ein kleines bisschen runtergekommen zu sein. Mich innerlich nicht mehr ganz so unruhig zu fühlen, weil Faye meine Nähe nicht mehr meiden wollte und inzwischen langsam akzeptiert zu haben schien, dass es eben einfach keine andere Lösung gab. Dass es einen Grund hatte, warum uns schon der eine oder andere Psychologe empfohlen hatte, uns zumindest für eine Weile Mal voneinander zu distanzieren. Auch der Rückweg zur Klinik verlief noch größtenteils schweigend, aber das war nach all den Tränen und der Aufregung ohnehin Balsam für meinen geschundenen Rachen. Zumal der Weg ja leider auch nicht mehr besonders weit war. Dennoch legte ich für die kurze Strecke so oft es ging meine Hand auf Fayes Oberschenkel.
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Es war wirklich gut, dass sie sich noch ein bisschen Zeit genommen hatten, bevor sie sich auf den endgültigen Rückweg gemacht hatten. Ihre Nerven brauchten das zu tausend Prozent, um sich wenigstens wieder ein Stück weit regenerieren zu können. Ein Stückchen Sicherheit darin zu sammeln, dass alles wieder gut werden konnte und sie sich nicht verlieren würden, bloss weil sie eine Weile lernen mussten, alleine klar zu kommen. Was im Übrigen eine durchaus relevante Lektion in Fayes Leben darstellte, wie ihr klar wurde, als ihre Gedanken wieder etwas sinnvollere Kreise zogen anstatt nur wild durch ihren Kopf zu zischen. Sie hatte nämlich - ein bisschen überspannt ausgedrückt - nie wirklich gelernt, alleine zu leben, auch wenn sie gefühlt ständig die wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren hatte. Zuerst waren da immer Aryana und Julian gewesen und als diese der Army beigetreten waren, war Faye bereits mit ihrem damaligen Freund zusammen gewesen, bei dem sie auch bis kurz vor ihrem eigenen Eintritt geblieben war. Und dann war da vielleicht ein halbes Jahr gewesen, während dem sie aber so sehr mit der Army beschäftigt gewesen war, dass sie sich bestimmt auch nicht auf sich selbst konzentriert hatte... und was dann passiert war, war Geschichte. In dem Sinne ja - abgesehen von ihren Verlustängsten und dem absoluten Unwillen, von Victor getrennt zu sein, wäre es vielleicht eine ganz gute Sache, sich mal ein paar Monate nicht um ihre wichtigsten emotionalen Beziehungen zu kümmern. Das sah sie einigermassen ein. Was noch lange nicht heissen sollte, dass sie es auch okay fand oder sich gar mit dem Gedanken anfreunden könnte... Nein nein. Als ihre Kuschelstunde schliesslich ein Ende fand, schleppte Faye sich zurück auf den Beifahrersitz, warf im Anschluss einen Blick auf das Autoradio, welches ihrem nicht vorhandenen Zeitgefühl etwas nachhelfen sollte. Sie sollte tatsächlich bereits zurück sein... aber erst seit fünfzehn Minuten, das würde ihr kaum einer allzu krumm nehmen. Hätten sie sich die Zeit auf der Rückbank nicht genommen, müsste sie dafür ihr total verheultes Gesicht rechtfertigen, was ihr jetzt wohl erspart blieb, da sich dieses in der Zwischenzeit recht gut erholt hatte. Da sie aber spät zurück waren, musste sie sich im Anschluss schon im Eingangsbereich der Psychiatrie von Victor verabschieden, da die Besuchszeiten natürlich um waren. Nach allen Geschehnissen des Tages, war das aber nicht so tragisch, da sie sowieso einfach nur müde war und nach einer Dusche ziemlich erledigt ins Bett fiel. Die verbleibenden Tage in der Klapse vergingen relativ ereignislos. Sie hatte die Schönheitsklinik besucht und konnte nächste Woche bereits mit der Behandlung beginnen - das war aber irgendwie auch alles, was es dazu noch zu sagen gab, weil sonst nichts Nennenswertes mehr passierte. Sie konnte die Psychiatrie ohne weitere Verschiebungen fünf Tage später verlassen und zur ambulanten Behandlung übergehen, zog ausserdem vorübergehend zu Victor ins Hotel, bis sie eine geeignete Wohnung gefunden hatten. Was definitiv ihr Highlight war, da sie jede Nacht geniessen wollte, die sie noch an seiner Seite schlafen durfte, bevor er weg fuhr. Über dieses Thema hatten sie auch noch geredet... mehrfach. Es war sogar meistens Faye selber, die darauf zu sprechen kam. Nicht, weil es plötzlich einfach geworden war oder keinen tiefen Schmerz und Angst in ihrem Brustbereich mehr auslöste, sondern weil sie mit allen Mitteln verhindern wollte, dass sie bis zu seiner Abreise in einer unangenehme Situation festhingen und dieses Gefühl irgendwo in der Luft sitzen bleiben würde, bis er wieder zurückkam. Sie fragte alles, was sie wissen wollte - viel lieber redete sie aber über das, was sein würde, wenn er zurück war. Das, was ihnen Hoffnung gab, woran sie sich festhalten konnten. Abgesehen von der Wohnungsproblematik, hatte sie sich wenig nach ihrem Austritt auch dazu überwunden, im Krankenhaus anzurufen, um einen Gesprächstermin mit ihrem Chef auszumachen. Es war schnell klar, dass sie nicht wieder dorthin zurückkehren konnte - und zwar nicht bloss, weil zu viel vorgefallen war, um einfach dort weiter zu machen, wo sie aufgehört hatten, sondern auch, weil Faye diese Stadt wirklich hinter sich lassen wollte. Und das ging nicht, wenn sie jeden Tag hierher zur Arbeit fuhr. Allerdings arbeitete ihr Chef trotz allem darauf hin, sie nicht einfach vor die Tür zu setzen. Wahrscheinlich war er dazu einfach viel zu nett und emphatisch, in Anbetracht aller Dinge, die er über ihre Vergangenheit wusste. Denn er bot ihr an, ihre Unterlagen in ein anderes Krankenhaus, das zur gleichen Gruppe gehörte wie dieses, zu senden, damit sie dort mit etwas Vitamin B ihr Glück versuchen konnte. Was sie dann auch erfolgreich tat und dahin würde sie ab übernächster Woche zur Arbeit fahren. Sie würde noch eine Teilzeit-Umschulung besuchen, jeweils einen Tag die Woche, mit dem Ziel, auf Dauer je nach Bedarf nicht mehr nur im Rettungswagen, sondern auch auf der Notaufnahme tätig zu sein. Aber alles in allem war sie zufrieden mit diesem Ergebnis, das doch sehr viel leichter gekommen war, als gefühlt alles andere in den letzten Wochen. Wenn es privat nicht wirklich lief, dann wenigstens im Beruf - oder wie war das nochmal..? Kam ihr ungefähr so vor. Beruf und Wohnung, könnte man sagen, denn auch diese Thematik war erstaunlich bald vom Tisch. Die neue Wohnung war tatsächlich in der Stadt, in der auch das Krankenhaus stand, in welchem sie ihre neue Arbeit antreten würde. Weit genug von hier weg, aber doch so, dass Aryana und Mitch nicht ausser Reichweite rutschten. Sie war kleiner als die Letzte und etwas weniger modern ausgestattet... Nicht schlecht und Faye wusste, dass sie ihren Bedürfnissen gerecht wurde. Es lag ja auch weniger an der Wohnung, dass sie sich nicht recht über den Umzug freuen konnte. Aber damit kam auch Victors Abreise näher... Bis schliesslich eben alles geregelt war, wie er es damals gesagt hatte. Und damit kam auch das tiefrot unterstrichene Datum, welchem sie mit dezentem Bammel entgegensah. Sie arbeitete seit vier Tagen wieder, aber heute und morgen hatte sie in weiser Voraussicht frei eingegeben. Es war bereits Ende November und die Weihnachtsstimmung langsam überall dezent erdrückend. Nur hier nicht wirklich... Denn Faye konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, eine Wohnung zu schmücken, in der es irgendwie nichts zu feiern gab... Das Fest der Liebe - aber wen sollte sie denn lieben, wenn sie alleine auf dem Sofa sass? Das konnte sie auch ohne Christbaum und zusätzlichen Lichterketten... Ohne Sterne und tanzenden Engel.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich müsste wohl ganz gewaltig in die Lügenkiste greifen, um behaupten zu können, dass ich in all den Tagen nach dem unheilvollen Geständnis an Faye nochmal irgendwann wirklich vollkommen zur Ruhe gekommen war. Natürlich gab es bessere und schlechtere Tage - der, an dem die Brünette endlich aus der Irrenanstalt entlassen wurde, war ein guter. Ich freute mich auch ungemein darüber, dass sie über ihren alten Arbeitgeber wieder zu einem neuen Job gefunden hatte. Das beruhigte mich allein schon aus dem Grund, dass sie dann grundsätzlich eine Verpflichtung hatte und bei meiner Abreise weniger Gefahr laufen würde, wochenlang gar nicht mehr aus dem Bett zu kommen - eben weil sie keine Wahl hatte. Sie musste aufstehen, um es sich nicht auch noch mit ihrem neuen alten Arbeitgeber zu verscherzen. Ich betete wirklich darum, dass ihr das eine gute Stütze dabei sein würde, meine Abwesenheit zu verkraften. Hoffte auch darauf, dass sie aus der inzwischen begonnenen Narbenbehandlung etwas Kraft schöpfen konnte, wenn sie dabei zusah, wie das hässliche Wort nach und nach etwas verblassen würde. Es war schwer einzuschätzen, ob schon nicht mehr viel davon übrig sein würde, wenn ich mich irgendwann auf den Weg Nachhause machte, weil ja noch nicht einmal feststand, wie lange ich überhaupt weg sein würde... aber es wäre auch nicht schlimm, wenn die Narbe dann noch immer deutlich zu sehen war. Aus dem einfachen Grund, dass ich erst zurückkommen würde, wenn ich es mental selbst mit Gils überflüssigem Andenken aufnehmen konnte. Der Umzug erfolgte etwa zwei Wochen nach Fayes Entlassung und er gestaltete sich wie erwartet recht kräftezehrend. Es war nicht so als hätte ich plötzlich all meine Kräfte verloren, aber es war doch deutlich spürbar, dass ich besonders was Kondition anbelangte mehr als ein bisschen abgebaut hatte. Gefühlsmäßig hatte ich unter Belastung noch etwa die Ausdauer eines toten Steins. Das einzig gute an der körperlichen Anstrengung war, dass ich währenddessen selten an meine Abreise oder andere der tausend unschönen Dinge dachte, die sich in letzter Zeit so oft in meinem Kopf abspielten. Abgesehen vom Umzug hatte ich aber selten einen klaren Kopf. Nur weil es meine eigene Entscheidung war eine Weile alleine umher zu ziehen, hieß das eben nicht, dass ich mich damit auch wirklich gut fühlen musste. Ganz im Gegenteil - der unangenehme Druck von blanker Nervosität in meiner Magengegend wurde gegen Ende hin von Tag zu Tag immer schlimmer. Eigentlich schlief ich etwas besser, seit ich das Bett wieder mit Faye geteilt hatte. Es verscheuchte zwar die Alpträume nicht ansatzweise ausreichend für einen wirklich erholsamen Schlaf, aber es beruhigte mich ungemein, wenn ich aufwachte und sie neben mir lag. Auch wenn es mir immer sehr leid tat, dass ich sie zwangsweise des Öfteren mit aufweckte. Seit ein paar Tagen waren wir jetzt in der neuen Wohnung und inzwischen kam ich eigentlich gar nicht mehr zur Ruhe. Das war der eine und einzige Grund dafür, dass ich den Tag des Abschieds ein kleines bisschen herbeisehnte... Allerdings nur so lange, bis er dann auch gekommen war. Ich schlief nicht einmal bis zum Morgen durch und stand deshalb früher auf, als ich es ursprünglich vorgehabt hatte. Ich hatte zwar irgendwann zwischen Vormittag und Mittag ins Auto steigen wollen, damit ich nicht erst am Abend bei meiner Familie ankam - es waren ja doch ein paar Stunden Fahrt - aber morgens um 7 loszufahren wäre doch sehr übertrieben. Dennoch ließ ich Faye nun erstmal allein im Bett zurück, während ich mich mit der morgendlichen Dusche zu beruhigen versuchte. Die Alpträume waren schlimm gewesen - schlimmer noch als in den Tagen zuvor. Ich hatte förmlich spüren können, wie der imaginäre Gil tatsächlich auf der Bettkante saß und nur darauf wartete, wie ich mich von Faye verabschiedete. Es war wirklich grausam. Die Dusche milderte meine Anspannung nicht gerade effektiv und auch die anschließende Morgenroutine lenkte mich nur wenig bis gar nicht ab. Ich packte all das Zeug, das von mir noch im Badezimmer stand, umgehend ein nachdem ich damit fertig war. Verfrachtete es in die ansonsten bereits fast fertig gepackten Taschen im Flur, die ich gestern schon so weit wie möglich gestopft hatte. Bisher nur mit Boxershorts bekleidet schlenderte ich anschließend zurück ins noch etwas ungewohnte Schlafzimmer, an das ich mich auch noch gar nicht gewöhnen musste. Meine Klamotten für den heutigen Tag hatte ich schon rausgelegt, aber als ich Fayes inzwischen etwas wacheren Blick mit meinem auffing, zögerte ich doch noch sie anzuziehen. Nahm die Hand letztendlich von der obendrauf liegenden Jeans, um stattdessen mit einem schwachen, wahrscheinlich etwas verunsichert wirkenden Lächeln aufs Bett zuzugehen und mich noch einmal zu ihr unter die Bettdecke zu stehlen. Sie in meine Arme zu ziehen und nach einem stummen Seufzen einen Kuss an ihre schmale Schulter zu setzen. Ich murmelte ein leises "Morgen." zu ihr runter und wollte zumindest noch ein paar Minuten in ihrer immer Frieden versprechenden Nähe verbringen, weil ich sie einfach viel zu lang vermissen müssen würde. "Gut geschlafen..?", stellte ich ihr noch eine leise Frage und sah abwartend zu ihr hin, in der Hoffnung sie nicht zu sehr beim Schlafen irritiert zu haben, obwohl ich weit mehr als einmal aufgewacht war und mich ganz und gar nicht fit genug für die lange Autofahrt fühlte. Leider war das kein guter Grund sie deshalb zu verschieben.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Eineinhalb Stunden - das war wohl das absolute Maximum an Schlaf, das sie letzte Nacht am Stück genossen hatte. Entweder war Victor aufgewacht oder sie, jeweils gestört durch unschöne Träume oder dunkle Vorahnungen. Entsprechend fühlte sie sich auch kein Stück ausgeruht, als sie gegen 7 Uhr mitbekam, wie Victor sich aus dem Laken schälte. Und sie konnte auch nichts gegen die Gedanken tun, die sofort auf sie niederprasselten. Das war die letzte Nacht für so lange Zeit gewesen... Das letzte Mal, dass sie an seiner Brust eingeschlafen war und durch seine Bewegungen aufgeweckt wurde. Und sie hasste das... Sie würde sich wohl eine Katze oder ein anderes Haustier, mit dem sie das Bett teilen konnte, besorgen müssen, um irgendwie zu gesundem Schlaf zu kommen, wenn er weg war. Und doch wäre das kaum mit dem zu vergleichen, was ihr Frieden und Ruhe schenkte, wenn er hier, bei ihr war. Faye zog sich die Decke über den Kopf, als er im Bad war, versuchte krampfhaft, noch nicht loszuheulen und sich im Elend dieses Tages zu verlieren. Sie tat das, was sie sich angewöhnt hatte in den letzten Wochen, jedes Mal, wenn die Negativität Überhand zu nehmen drohte. Sie dachte mit aller Kraft an das, was sein würde, wenn er zurückkam. An die neue Energie, den Elan, den sie teilen würden. An die Lebensfreude und vor allem an die Freiheit. Nicht nur darauf bezogen, wie sie ihre Leben leben wollten, sondern auf ihre Seelen, die die Angst und das Trauma hoffentlich endlich hinter sich gelassen haben würden. Sie dachte daran, wie sie an Stränden tanzen würden und dem Leben entgegen lachen würden... Und das Leben würde endlich Zurücklachen. Die Übung war wie immer nur bedingt erfolgreich, lenkte nicht vollends von den Tatsachen ab. Aber die Tränen waren etwas zurückgedrängt und sie konnte die Decke wieder bis auf Schulterhöhe hinunter schieben. Was sie auch tat - und prompt lag ihr Blick auf dem Engel, der seit Tag eins in dieser Wohnung ihren Nachttisch zierte. Dieser kleine, unschuldige, kaputte Engel... "Keine Angst... sehr bald werden wir beide fliegen...", flüsterte sie der Figur beruhigend zu, streckte ihre Finger aus, um dem Mädchen behutsam übers Haar zu streicheln. Es kam beinahe einem Selbstgespräch gleich, wenn sie mit dem Engel redete, der nach Victors Erklärung eigentlich ihre Wenigkeit verkörperte. Zumindest symbolisch. Aber es war auch beruhigend. Sie hatte es schon in der Klapse getan... Und sie mochte die Gesellschaft, auch wenn die kleine Engelsdame ihr keine Antworten auf die schwierigen Fragen bieten konnte. Aber sie schenkte ihr Sicherheit und Trost. Und das war schon sehr viel wert - besonders dann, wenn sie alleine war. Faye blickte von dem Engel auf, als Victor seinen Gang ins Bad hinter sich gebracht hatte und wieder ins Schlafzimmer trat. Was ihr die Trauer und das Unbehagen leider umgehend zurück ins Gedächtnis rief. Er ging zu den bereitgelegten Klamotten, um sich anzuziehen... Um zu gehen. Aber noch nicht jetzt. Denn er entschied sich ein letztes Mal um und rutschte stattdessen zu ihr unter die Bettdecke, was sie so nur begrüssen konnte. Ein leichtes aber dankbares Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie sich an ihn kuschelte, sofort ebenfalls die Hände nach ihm ausstreckte, um für diese letzte Kuscheleinheit im Bett nochmal so viel wie zu diesem Zeitpunkt möglich von ihm zu spüren. "Morgen...", murmelte sie zurück, zuckte dann schwach mit der rechten Schulter. "Naja, nicht so gut... Aber du glaub ich auch nicht, hm?", natürlich hatte er auch nicht gut geschlafen. Man konnte gar nicht gut schlafen, wenn man so oft aufwachte, wie er es letzte Nacht getan hatte... "Hast du wieder geträumt?", fragte sie und schaute zu ihm hoch, grub dabei ihre eine Hand in seine Haare und strich diese etwas zurück. Irgendwann würden sie verklingen, die Alpträume... Das taten sie immer. Vielleicht nie ganz, aber sie wurden seltener und seltener, bis sie sie kaum noch plagen würden. Und dann wären sie ein Stück näher an der Freiheit...
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Hab heute einen Zahn gezogen gekriegt, also kann es sein, dass meine Textqualität bzw. Konzentration gelitten hat - nur als Vorwarnung. Noch tuts nicht sehr weh, das kommt aber vielleicht noch in den nächsten Stunden und wird ne Weile anhalten. x'D ______________
Es war leider naheliegend, dass auch Faye in der letzten Nacht nur mehr schlecht als recht ein Auge zubekommen hatte. Dass es ihr ganz und gar nicht entgangen war, dass ich selbst nicht besonders ruhig im Laken gelegen hatte. Schließlich schliefen wir in fast jeder Nacht sehr nah beieinander, da war das ziemlich unvermeidbar. Selbst wenn wir uns unterbewusst mal jeweils bis an den äußeren Rand der Matratze gerollt hatten, war die Bewegung darauf noch zu spüren. Deswegen schüttelte ich auch kaum sichtbar den Kopf, diesmal gefolgt von einem hörbaren, wenn auch nur leisen Seufzen. "Nein, nicht wirklich...", bestätigte ich Faye murmelnd in ihrer Annahme und begann noch währenddessen ihr sanft über den Rücken zu streicheln. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie ich das eine ganze Weile lang bewusst nicht getan hatte, weil ich ihr das wegen ihrer Narben nicht zumuten wollte - es auch mir selbst nicht antun wollte, weil selbst nach einer ganzen Weile manchmal noch die Gedanken an die Hügel dabei aufgekommen waren. Aber das lag weit hinter uns... also würden wir auch dieses Trauma irgendwie wieder in den Griff bekommen und im Idealfall auch noch alle anderen, die davor schon vorhanden gewesen waren, mit aufräumen. Alles zu seiner Zeit, aber aufgeschoben wurde nichts mehr. Außer vielleicht die Autofahrt, aber auf ein paar Minuten früher oder später war gerade wirklich geschissen. "Ja... und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben... besonders in den nächsten Tagen.", beantwortete ich auch ihre zweite Frage etwas leiser. War dabei absolut ehrlich, weil es eben nichts daran zu beschönigen gab, was sie nicht sowieso wusste. Es würde sicher einige quälende Nächte brauchen, bevor in meinem Kopf angekommen war, dass Faye in Sicherheit war. Dass Aryana bestimmt sowieso mal nach ihr sah, weil sie und Mitch während des Umzugs ebenfalls erfahren hatten, dass ich erstmal ausfliegen musste. Nicht, dass wir viel darüber geredet hatten - es war schließlich offensichtlich gewesen, wie sehr ich lieber nicht mit ihnen darüber redete - jedoch war es den beiden logischerweise etwas komisch vorgekommen, dass Faye und ich uns so sehr verkleinerten. Die Wohnung bot zwar für die jüngere Cooper allein eindeutig genug Platz, aber sie war eben kleiner als unsere vorherige. "Irgendwann wird's besser, ist ja immer so.", hängte ich noch ein paar zumindest ansatzweise optimistischer klingende Worte an und versuchte mich an einem schwachen Lächeln. Wollte nur ungern, dass Faye sich wegen meiner Alpträume zusätzlich Sorgen um mich machte, wo sie doch sicher schon genug eigene Horrorgeschichten in der Nacht erlebte. In aller Seelenruhe begann ich ihre Gesichtszüge zu mustern, als müsste ich sie mir unbedingt noch einprägen, bevor ich gehen musste. Genoss dabei das sanfte Streicheln in meinen Haaren und hob schließlich ebenfalls eine Hand an, um sie ihr seitlich an den Hals zu legen und mit dem Daumen zärtlich über ihren Kiefer zu streicheln. Von da an auch weiter bis nach oben zu der dünnen Haut vor ihrem Ohr. "Willst du frühstücken? Ich hab noch Zeit, also... könnt' ich dir was machen, solange du im Bad bist. Oder auch nur Kaffee, falls dir das lieber ist...", machte ich Faye ein gemurmeltes Angebot und lächelte ihr schwach entgegen. Ehrlich gesagt war mir selbst nicht wirklich danach, etwas zu essen. Dafür hing mir die Nervosität viel zu quer im Magen. Vielleicht war das bei der Brünetten aber anders oder sie wollte sich einfach nur an einem letzten Gefallen von mir erfreuen - und wenn's dabei auch nur um eine Tasse schon aufgebrühten Kaffee oder Tee ging, wenn sie mit der Morgenroutine abgeschlossen hatte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ajjjj das ist unschön..! Weisheitszahn oder was anderes? ___________
Das hatte sie sich schon gedacht. Abgesehen von der Nähe des jeweils anderen, hatten sie auch nicht viele Gründe gehabt, gut zu schlafen. Also rein psychisch gesehen. Körperlich ging es ihnen beiden nämlich grösstenteils wieder gut und auch alle anderen Umstände sollten gutem Schlaf nicht im Wege stehen. Aber die liebe Psyche konnte bekanntlich eine Menge beeinflussen, sowohl positiv als eben auch negativ. Faye genoss seine Streicheleinheiten in vollen Zügen, jede Sekunde, die sie hier noch geniessen konnten. Aber leider überraschte sie auch die Sache mit den Alpträumen nicht wirklich, die waren bei ihnen leider vorprogrammiert, sobald sie gestresst waren... besonders dann, wenn das letzte traumatische Erlebnis einfach noch nicht lange genug her war. Vielleicht würden sie ja auch verschwinden, bis er zurückkam..? Und wenn sie dann auch auf Dauer wegbleiben würden, wäre das doch ebenfalls ein Erfolg, den sie zu den restlichen Fortschritten, die sie bis dahin gemacht haben würden, dazuzählen konnten. "Aber dann gehen sie bestimmt weg... irgendwann, in nicht allzu ferner Zukunft...", versuchte sie sich ebenfalls optimistisch zu zeigen, was in dieser Hinsicht auch nicht so schwer war. Sie glaubte nämlich wirklich daran, dass es so sein würde - war es in der Vergangenheit ja auch schon gewesen. Sie erwiderte sein Lächeln - zwar auch nicht besonders breit, aber genauso ehrlich. Es würde besser werden. Alles. "Natürlich. Dass es besser wird, ist der einzige Grund, weshalb wir das machen, nicht?", murmelte sie leise zurück, lächelte noch immer schwach, während ihr Daumen munter ein paar mal seine Schläfe antippte, sie seine Gesichtszüge ebenso musterte wie er ihre. Es tat weh, zu wissen, dass ihr das hier für so lange Zeit fehlen würde. Aber sie durften jetzt nicht daran denken, sondern sollten daran festhalten, dass das Glück sie nur dann eines Tages finden konnte, wenn sie sich auch dafür bereit machten, es gebührend zu empfangen. Und das würden sie. Faye überlegte kurz, als er anbot, ihr ein Frühstück vorzubereiten. Eigentlich möchte sie lieber noch nicht aufstehen, weil das seine Abreise näher zu bringen schien. Aber das war sowieso nur eine Illusion... Er würde nicht länger bleiben, bloss weil sie sich unter der Bettdecke versteckte. Und darum nickte sie am Ende kurz. "Vielleicht nur was Kleines... Ich... hab nicht so viel Hunger. Aber Kaffee klingt gut", entschied sie schliesslich. Irgendwas musste sie essen, da sie ziemlich schlechte Erfahrungen mit ihrem Blutdruck ohne Frühstück gemacht hatte. Aber ob er ihr jetzt ein paar Löffel Haferflocken wärmte oder einen Apfel rüstete, spielte da keine Rolle. Sie wartete noch ein paar Minuten, weil sie sich noch nicht bereit fühlte, sich von ihm zu lösen. Aber letztendlich wollte sie den Abschied auch nicht unnötig grausamer gestalten, als er sowieso sein würde, weshalb sie ein letztes Mal über seine Wange streichelte, ihm einen liebevollen Kuss auf die Lippen hauchte und sich dann langsam ins Bad bequemte. Sie hielt die Dusche relativ kurz, führte auch ihre Morgenroutine nicht in besonderer Sonntagsausführung durch, sondern trat nach etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten wieder ins Schlafzimmer, um sich ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank zu fischen. Damit angezogen fand sie sich schliesslich im Wohn- und Esszimmer wieder, welches mit der offenen Küche verbunden war und wo sich folglich auch Victor aufhielt.
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Ney, tatsächlich der letzte Backenzahn unten auf der linken Seite... der hat schon lange immer wieder Probleme gemacht, seit da mal was abgebrochen ist vor paar Jahren (hab leider sehr unnormal weiche Zähne die nix aushalten, die schlechte Genetik von meinem Vater geerbt :') ) und jetzt hatte sich das Gewebe unter dem Zahn entzündet, hat entsprechend weh getan und hat auf andere Therapieversuche leider nicht angesprochen. Also musste er raus, sieht man glücklicherweise ja aber nicht. Allerdings müssen meine Weisheitszähne wohl final auch noch raus (mindestens die oberen weil die keinen Platz haben, die unteren stehen schon lange normal im Kiefer) hat die Chirurgin gesagt... ich halt' zwar echt viel aus und bin wirklich nicht schmerzempfindlich, aber auf diese Tortur könnt ich doch echt bestens verzichten. x'D Ich hab jetzt im Nachhinein eigentlich fast keine Schmerzen, aber das Ziehen an sich ist halt schon sehr unangenehm find ich, wie die da an deinem Kiefer rumknacken... brrrrr. ______________
Ich nickte schwach, zog dabei den rechten Mundwinkel leicht nach oben. Dass es besser wurde - oder im Idealfall bis zu meiner Rückkehr sogar ganz wegging - war ohne jeden Zweifel der Hauptgrund und auch der einzige gute Grund, um für eine Weile von hier fortzugehen. Die aktuelle Situation war leider einfach keine langfristige Option mehr und würde uns beide sonst wirklich noch irgendwann endgültig den Kopf kosten. "Ja, der Einzige.", stimmte ich Faye zu, ohne meinen Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. Wartete dann sehr geduldig ihre Antwort auf meine Frühstücksfrage ab, die letztendlich in etwa ziemlich genau so ausfiel, wie ich es schon erwartet hatte. Auch die Brünette strotzte heute Morgen nicht unbedingt vor Hunger, aber zumindest eine kleine Mahlzeit zu Beginn des Tages war schon wichtig. Eigentlich auch für mich, aber ich war mir noch nicht sicher damit, ob ich mich wirklich dazu durchringen konnte. Da war heute ausnahmsweise vielleicht mal Faye die vernünftigere von uns beiden. "Gut, dann kriegst du das.", ließ ich sie wissen und drückte ihr kurz darauf einen sanften Kuss auf die Stirn. Eine kleine Weile lagen wir noch Arm in Arm im Bett herum, bis Faye sich schließlich dazu ermutigen konnte sich mit einem Kuss von mir zu lösen, den ich ebenso zärtlich erwiderte. Meine Finger streiften ihren Körper noch locker, als sie aufstand. Ich selbst brauchte noch ein paar Sekunden länger, um mich aufzuraffen und als ich dann auf den Beinen war, verschwand die Brünette gerade schon durch den Türrahmen. Ich zog mir erstmal die Jeans und das Tshirt an, zog mir dann noch den nicht allzu dicken, hellgrauen Pullover über den Kopf und strich mir im Anschluss daran mithilfe des Spiegels am Kleiderschrank die Haare zurück in die gewünschte Position. Danach machte ich mich auf den Weg in die Küche. Ließ nebenher schonmal meinen eigenen Kaffee durchlaufen und deckte den kleinen Esstisch, während die eher kleine Menge an Haferbrei noch auf dem Herd stand. Wahrscheinlich war es trotzdem zu viel für Faye allein, also würde ich einfach das essen, was sie übrig ließ. Ich schnitt noch ein bisschen Obst, als der Brei fertig war und schaltete den Kaffeeautomaten dabei ein zweites Mal an. Meine eigene Tasse stand bereits neben meinem Teller, ich hatte zwischendurch ab und zu mal genippt. Als Fayes Kaffeetasse voll war, stand alles andere schon auf dem Tisch und ich stellte nur noch die volle Tasse nahe ihres Tellers ab, bevor ich mich auf meinen eigenen Platz sinken ließ. Ich musste nicht mehr lange auf Faye warten und hielt bis dahin mit der rechten Hand meine Tasse auf dem Tisch fest. Sah für vielleicht eine Minute aus dem nächstgelegenen Fenster, ohne wirklich bewusst zu gucken. Bekam allein davon gefühlt schon Heimweh, obwohl ich noch nicht mal lange in dieser Wohnung gelebt hatte. Lag halt aber auch nicht an den vier Wänden, dass ich den Ort hier vermissen würde... Als ich Faye kommen hörte wandte ich den Blick vom Fenster ab und hob die Hand an, um einen Schluck des flüssigen Koffeins zu nehmen. Als ich die Tasse abstellte empfing ich die Brünette mit einem schmalen Lächeln, sah ihr dabei zu wie sie sich gegenüber hinsetzte. "Nimm dir so viel wie du magst. Ich hab... selber nicht wirklich Hunger.", kommentierte ich die eher geringe Menge der Gesamtmahlzeit auf dem Tisch, noch bevor sie irgendwas dazu gesagt hatte. Sollte mich der Hunger während der Fahrt dann irgendwann packen, wenn ich den Verlustschmerz halbwegs ausreichend weggesteckt hatte, dann konnte ich ja jederzeit irgendwo anhalten und mir was mitnehmen. Spätestens bei meinen Eltern angekommen würde meine Mutter wieder liebend gern für den vorübergehend heimgekehrten Sohn kochen und mich deswegen ständig dazu nötigen mehr zu essen, also sah ich mich noch nicht in naher Zukunft verhungern. Das war so mit das Letzte, worum die zierliche Brünette während meiner Abwesenheit fürchten musste. Außerdem würde der Appetit spätestens mit dem aktiven Training zurückkehren, das ich ohne die notwendige Energiezufuhr gar nicht bewerkstelligen könnte.
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Oh, das ist auch nicht schön... und alles, was mit Zahnarzt zu tun hat, ist doch einfach scheisse unangenehm. Wenn dann noch gezogen wird erst recht... eh. Stell ich mir hässlich vor. Ich hab zwar auch mal 4 Zähne ziehen müssen, aber das ist über 10 Jahre her, kann mich also nicht mehr wirklich daran erinnern. Aber no thanks. x'D ___________
Tatsächlich sass Victor bereits am Tisch, als sie das Wohnzimmer betrat, hatte das kleine Frühstück aufgetischt, das sie in Auftrag gegeben hatte. Der Anblick allein löste erneut ein zartes Lächeln auf ihrem Gesicht aus, auch wenn es zugleich nicht verbergen konnte, dass diese Situation sie trotz all dem guten Zureden einfach traurig machte. Fayes Hand streifte flüchtig seine Schulter, bevor sie um den Tisch herum zu ihrem Platz ging und sich setzte. Auf seine Bemerkung hin griff sie nach der Pfanne, um sich deren Inhalt zu beschauen. Dann nahm sie aber mit der anderen Hand seinen Teller zu sich, um dann den Brei ungefähr hälftig zu verteilen. "Ich möchte trotzdem nicht, dass dein Kreislauf beim Autofahren versagt", kommentierte sie die Handlung, warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie auch noch nach dem Teller mit dem Obst griff, mit welchem sie dann sorgfältig die beiden Portionen Brei garnierte. Als sie fertig war, stellte sie ihm seine Mahlzeit lächelnd vor die Nase, begleitet von einem flüchtigen Luftkuss. Es war nicht viel und sie war doch zuversichtlich, dass er das trotz flauem Magen und allgemeiner Unruhe runterbekam. So wie sie eben auch. Faye lehnte sich etwas im Stuhl zurück und griff dann nach dem Löffel, liess es sich aber nicht nehmen, davor noch einmal in seine Richtung zu blicken. "Und danke fürs Frühstück", meinte sie, bevor sie trotz fehlendem Appetit mit dem Essen und Trinken begann. Darin war sie längst Profi geworden, während all der Wochen, die sie fast unter Zwang immer wieder die Gabel zwischen die Zähne geschoben hatte. "Fährst du nachher direkt zu deiner Familie?", fragte sie nach einer kurzen Pause leise, aber in möglichst neutralem Tonfall. Sie wusste nicht genau, wie sein Plan aussah. Vielleicht hatte er sich ja für ein paar Tage Einsamkeit entschieden, bevor es ihn zu seinem anderen Zuhause zog. Das hatte er zwar bisher nie erwähnt, aber sie hatte auch bewusst nicht zu viele Fragen zu seinen Plänen gestellt. Falls er denn überhaupt welche hatte und er diese gerne mit ihr teilen möchte, dann hätte er das bestimmt getan. Aber abgesehen davon versuchte sie wirklich, sich nicht zu sehr in sein Vorhaben einzumischen. Sie wollte echt nicht, dass es schlimmstenfalls noch so aussah, als würde sie ihn kontrollieren wollen... Denn darum gings wirklich nicht. Es war mehr einfach reines Interesse... und ja, vielleicht noch ein bisschen Sorge. Das bisschen Sorge, welches sie noch nicht so richtig verschwinden sah. Sie war sich nicht sicher, ob sie es, selbst mit aller Therapie und allen Bemühungen, je schaffen würde, sich gar keine Sorgen um ihn zu machen, wenn er nicht bei ihr war. Gehörte das nicht gewissermassen zum Leben? Zur Liebe? Vielleicht war es nur ihr gestörtes Selbst, dass das glaubte.... Es würde sich eben zeigen. Aber in diesem Moment war sie auf jeden Fall noch längst nicht an dem Punkt angekommen, an dem die Sorgen für immer - oder auf Dauer - verblassten.
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Und wiiiie es das ist... x'D Sei froh, dass deine schon draußen sind. Je früher man die zieht, desto komplikationsloser ist es in der Regel, weil die dann noch nicht so fest sitzen wie später... :') xD ______________
Wahrscheinlich hätte ich mir schon ausmalen können, dass Faye meinen Unwillen zur Nahrungsaufnahme eher nicht so gutheißen würde. War umgekehrt ja immer genauso. Trotzdem kam ich nicht umher mit einem schwachen Lächeln die Augen flüchtig nach oben zu rollen, als sie mir einfach eine der beiden kleinen Portionen auf den Teller lud und ihn mir kurz darauf auch schon ungefragt servierte. "Gern geschehen.", erwiderte ich mit einem Hauch Sarkasmus, weil jetzt irgendwie mehr auf meinem eigenen Teller gelandet war, als ich eingeplant hatte. Ich war inzwischen sicherlich fast Meister darin es frühzeitig erkennen zu können, wenn mein körpereigener Kreislauf zu hadern begann. Wäre ja nicht grade das erste Mal, dass sich sowas bei mir anbahnte... auch wenn Faye natürlich Recht damit hatte, dass man grundsätzlich besser keine lange Fahrt antreten sollte, wenn man unterzuckert war. Das war ein Risiko, das man vermeiden konnte. Angenehm war das aber nicht, wenn man meinen Magen nach seiner Meinung fragen würde. Deswegen aß ich wohl auch recht langsam. Ich schluckte gerade runter, als die Brünette mir eine Frage stellte. Es war schon richtiger Automatismus, dass meine Augen nach ihrem Gesicht suchten, sobald sie etwas sagte. Jedoch rutschte mein Blick recht schnell wieder auf meine Kaffeetasse ab, obwohl die Frage nicht schwer für mich zu beantworten war. Ich hatte keine großen Umwege auf der Reise zu meiner Familie geplant und würde mich wohl eher nicht während der Fahrt dorthin noch umentscheiden. Zumindest gab es in meinen Augen gerade keine ersichtlichen Gründe dafür. Es wollte wohl einfach nur nicht angenehmer für mich werden über dieses Thema zu reden. Natürlich war es schon etwas weniger heikel und schlimm, als es das beim Geständnis im Park gewesen war... nur schön war trotzdem etwas anderes. Ich wusste, dass ich mich deshalb nicht schuldig fühlen musste und trotzdem tat ich es immer noch. Vielleicht deshalb, weil ich hier wegging und Faye hierblieb. Natürlich müsste sie das theoretisch nicht, könnte genauso wie ich ein paar Runden drehen gehen... aber sie hatte dafür wohl weniger gute Gründe als ich. Nur die Zukunft würde zeigen, ob sich daran noch etwas änderte, wenn ich erst einmal weg war. "Ja, hatte ich schon vor. Je nachdem wie anstrengend die Fahrt war und... wie es mir dann geht, mache ich vielleicht einen kleinen Umweg über den Aussichtspunkt an der Klippe.", teilte ich der Brünetten den im Grunde fast unveränderten Plan mit, murmelte dabei etwas und nahm erst einen der letzten Schlucke Kaffee aus meiner Tasse, bevor ich sie wieder ansah. Nachdem mir der anstehende Abschied aber schon seit ein paar Tagen ziemlich an die Nieren ging, würde ich in den nächsten Stunden ganz bestimmt ein paar meiner Nerven über Bord werfen. Deshalb hatte ich mir in weiser Voraussicht verschiedene Haltepunkte entlang der Strecke auserkoren, die potenziell ganz gut waren anzuhalten, mal einen Moment lang in die Ferne zu sehen und ganz tief durchzuatmen. Allgemein plante ich für die Überfahrt deutlich mehr Zeit ein als normalerweise nötig war - wusste aber auch, dass ich diese Zeit brauchen würde und lieber etwas langsamer fuhr, als in einem Unfall auf dem Highway zu enden. Schließlich wollte ich die Beziehung zu Faye retten und sie nicht mit meinem eigenen, sinnlosen Tod endgültig gegen die Wand fahren.
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