Tja, sie würde ihm nun lieber nicht demonstrieren, wie unglaublich schnell sie denn Aufstehen - und wieder Hinfallen - konnte. Wahrscheinlich wollten sie das nämlich beide nicht sehen und erleben. "Ich glaube, wir verschieben diesen Wettkampf besser noch um ein paar Wochen...", zeigte sie sich ein Bisschen vernünftiger. Bis dahin dürfte ihr Kreislauf auch wieder etwas optimaler mitspielen und er die Krücken hoffentlich losgeworden sein, sodass dem kleinen Spiel nichts mehr im Weg stand. Vorausgesetzt es erinnerte sich dann noch jemand an dieses Gespräch. Der Gedanke an die Lichterketten zur Weihnachtszeit zauberten direkt das nächste Lächeln auf ihr Gesicht und sie blickte einen Moment verträumt an ihm vorbei. Ach ja, die Weihnachtsdeko... Noch so ein alljährliches Highlight - besonders dann, wenn es jemanden gab, mit dem man die Festtage vorbereiten und schliesslich auch geniessen konnte. Jemanden wie Victor. "Ich kann das nächste Mal auch ganz dir überlassen... Dann musst du mir nicht helfen", erklärte sie, blinzelte ihn liebreizend an, obwohl sie beide wussten, dass es dazu nicht kommen würde. Sonst wäre es am Ende ja nicht genau so, wie sie sich das vorstellte und ausmalte. Was wiederum dazu führen würde, dass sie hinterher alles ändern und dann doch für die paar Zentimeter den Hocker herbeiziehen müsste, weil sie es sich nicht eingestehen könnte, ihn dann noch um Hilfe zu bitten. Mal schauen, was die nächste Weihnacht für sie bereithielt. Ob sie bis dahin wieder gesund wären? Also so richtig? Lieber nicht drüber nachdenken... Da war der Gedanke an die Anzahl Finger, die man zum Stricken brauchte, doch wesentlich weniger belastend. "Keine Ahnung. Aber auf jeden Fall dürfte mein Chirurg es nicht gutheissen", bekannte auch Faye sich zur Nutzlosigkeit, wenns ums Stricken ging. War das nicht sowieso eher so ein Omi-Sport? Und ganz so alt fühlte sie sich dann doch noch nicht. Vielleicht hatte sie sogar schon eine Idee für ein Alternativgeschenk... Falls sie das denn hinkriegte, was aktuell noch etwas in den Sternen stand. "Der gehts gut", beantwortete sie seine Frage nach der Verletzung, unterstrich ihre Worte mit einem einseitigen Schulterrollen. "Sie musste nur operiert werden, weil... sie ein Bisschen lange ausgekugelt war und... dabei halt... nicht so sanft behandelt wurde", milde ausgedrückt. "Und wenn sie sie nur wieder eingerenkt hätten, wäre die Gefahr recht gross gewesen, dass sie ständig wieder auskugelt und sich eine chronische Instabilität entwickelt... Aber so sollte eigentlich alles gut werden, in nicht zu ferner Zukunft", beendete sie die Wiedergabe ihrer Prognose, zuckte gleich nochmal mit den Schultern. Nein, weder diese noch die Verletzungen ihrer Finger würden ihr auf Dauer Schwierigkeiten bereiten, hatte man ihr mehr oder weniger versprochen. Da hatte sie definitiv sowas wie Glück gehabt. Obwohl sie eigentlich keinen Teil dieser Nacht als Glück bezeichnen wollte. Victors indirekte Ansage, heute bis zum Rauswurf bei ihr bleiben zu können, wenn sie das denn wollte, kam ganz nach ihrem Geschmack, weshalb sich ihre Mundwinkel unverzüglich zu einem noch breiteren Lächeln verzogen. "Musik in meinen Ohren", säuselte sie ihm zu, bevor sie sich aber doch von ihm zu lösen begann. "Ich sollte nur kurz Chelsea anrufen gehen, um ihr zu sagen, dass sie heute nicht nochmal herkommen muss... Weil sonst macht sie den Weg umsonst und das möchte ich nicht", erklärte sie sich, bevor sie sich aber nochmal zu ihm hin beugte, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Sie streichelte seine Wange und blickte ihn dabei ganz genau so an, als würde sie noch immer nicht recht glauben können, dass er hier bei ihr auf dem Bett sass. Dann machte sie sich aber daran, ihrer Ankündigung Folge zu leisten, sich auf die Füsse zu kämpfen und in die Hausschuhe zu schlüpfen, um gleich darauf gewohnt wackelig zur Tür zu gehen. Natürlich nicht, ohne einen Abstecher zum Tisch hinzulegen, dort in Richtung Tüte und dann zurück zu Victor zu schielen. Aber sie hielt sich trotz der Versuchung an seine Anweisungen und wartete mit dem Öffnen bis nach seinem Besuch, ging nun nach draussen, um kurzum Chelsea anzurufen. Diese Aufgabe wurde ihr aber unerwartet von Aimee abgenommen, die sie per Zufall auf dem Flur kreuzte und sofort wissen wollte, ob Victor denn schon wieder gegangen wäre und wie sie sich fühlte. Die Unklarheiten liessen sich leicht beseitigen und kaum hatte Faye ihr Anliegen genannt, scheuchte Aimee sie mit dem Versprechen, sich schon um Chelsea zu kümmern, fröhlich grinsend wieder in Richtung ihres Zimmers. War ihr nicht zu verdenken... Nach all den Wochen, in denen sie Faye kein einziges Mal fröhlich gesehen hatte, durfte das Lächeln des heutigen Tages sie schon dezent aus der Fassung locken. Die Brünette trat also den Rückweg an und schlüpfte zurück hinter ihre Zimmertür, wo sie tatsächlich wieder vom Anblick ihres Freundes empfangen wurde. "Hat sich erledigt...", erklärte sie lächelnd, stützte sich etwas an der Wand ab, bis sie wieder bei ihm angekommen war und sich aufs Bett sinken liess. Einen Moment blieb sie etwas angeschlagen sitzen, bis sich die Welt wieder ein Stückchen entspannt hatte in der Anzahl Drehungen pro Minute. Dann hob sie den Kopf, um zurück in seine Richtung zu schielen und sich ihm entgegen zu strecken, bis ihr Mund beinahe sein Ohrläppchen berührte. "Was hältst du davon, wenn du aus deinen Schuhen schlüpfst... und wir ein Bisschen kuscheln?", flüsterte sie ihm eine Frage zu, der ein sanfter Kuss an seine Halsbeuge folgte. Das war nämlich der eigentliche Grund, warum sie sich nach der voraussichtlichen Dauer seines Besuches erkundigt hatte. Weil sie hatte wissen wollen, ob er überhaupt Zeit für das hatte, was sie schon so lange vermisste.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das war die zweifelsfrei sinnvollste Lösung, bevor hier noch etwas - oder viel mehr Jemand - zu Bruch ging. Könnte mir auch passieren, wenn ich mich mit meinen Kräften verschätzte. Am Ende knallte ich dann noch mit dem Kopf irgendwo ran und gönnte mir die nächste Gehirnerschütterung, bevor die erste überhaupt restlos überstanden war. Bloß nicht. "Ich glaube auch.", bekräftigte ich Faye also in ihrer Feststellung. Es eilte schließlich nicht. Die Weihnachtsdekoration gab ich allerdings liebend gerne weiterhin an meine Freundin ab, weshalb ich ziemlich entschlossen den Kopf schüttelte. Erstens hatte ich dafür nicht wirklich ein Händchen und zweitens machte mir das auch nicht mal halb so viel Spaß wie der zierlichen Brünetten, die dabei immer richtig aufblühte. Ich fand es nicht schlimm ihr dabei hier und da zur Hand zu gehen, damit sie es mit dem Dekorieren leichter hatte, aber alleine darum kümmern wollte ich mich nicht unbedingt. Zumal ich mir auch sehr sicher damit war, dass es am Ende dann nicht so sein würde, wie meine bessere Hälfte es haben wollte. Es wäre also verschwendete Zeit. "Ich glaube das überlass ich lieber dem Profi und spiel' wieder nur den Weihnachtshelfer.", gab ich diese Aufgabe also liebend gerne mit einem vielsagenden Lächeln und kurz nach oben zuckenden Augenbrauen an sie ab. Nein, ihr Chirurg würde die Strickerei wahrscheinlich nicht gutheißen können. Es tat aber auf jeden Fall gut zu hören, dass Fayes Schulter den Umständen entsprechend wohlauf war und sie zukünftig keinerlei Probleme mehr machen sollte, wenn alles gut lief. "Na wenigstens das.", meinte ich hinsichtlich ihrer körperlichen Leiden erleichtert. Zwar war sie dennoch weit entfernt davon körperlich fit zu sein, aber dass voraussichtlich keine Folgeschäden bleiben sollten war ein kleiner Lichtblick. Eine immer wieder auskugelnde Schulter stellte ich für meinen Teil mir nämlich extrem unangenehm vor, selbst wenn dabei keine Gewalt zum Einsatz kam... Meine bessere Hälfte erstickte diesen Gedankenansatz im Keim, als sie sich von mir löste und vom Bett aufstand. Erst verstand ich das nicht ganz, aber als sie Chelsea erwähnte, ging mir dann doch ein Licht auf. Sie hatte schließlich vorhin gesagt, dass ihre Cousine meistens am Abend kam und wenn wir hier zu dritt im Zimmer hockten wäre das sicherlich für alle Beteiligten auf unangenehme Weise merkwürdig. Es hatte sich durch den kurzen Kuss schon wieder ein Lächeln auf meinen Lippen breit gemacht, als ich Faye knapp mit den Worten "Ja, mach das.", verabschiedete. Es folgte nur noch ein spielerisch mahnender Blick in ihre Richtung, als sie der Tüte gefährlich zu nahe kam und dann war ich für kurze Zeit alleine im Zimmer. Ich sah mich ein wenig um und stellte schnell fest, dass ich froh darüber war nicht auch wieder in einer solchen Einrichtung gelandet zu sein. Natürlich war ich nicht gerne von Faye getrennt, aber ich glaubte zu wissen, dass es so oder so besser für uns beide war, wenn wir uns erst einmal nur stundenweise sahen. Nicht 24 Stunden am Tag mitbekamen, wie der jeweils andere mit dem erlittenen Trauma kämpfte. Das hatte uns schon das letzte Mal überwiegend gegenseitig fertig gemacht. Auf diese Weise blieb die Zeit, die wir jetzt täglich gemeinsam hatten, immer ein Lichtblick und wir konnten uns darauf freuen. Es würde immer etwas Positives sein und genau das war es, was wir und unsere Beziehung dringend brauchten. Natürlich war all das sicherlich schwerer für Faye als für mich, weil sie diejenige war die hier drin festsaß, aber wenigstens konnte die raue Außenwelt ihr hier drinnen nichts anhaben. Lange darüber nachdenken brauchte ich allerdings nicht, weil die zierliche Brünette schon bald wieder durch die Tür kam. Offenbar war ihr die Aufgabe kurzerhand abgenommen worden, was ich natürlich sehr willkommen hieß. Trotzdem beobachtete ich ihren Weg zurück zu mir wieder mit etwas unwohlem Gefühl und war froh darüber, dass sie heil bei mir auf dem Bett ankam. Sie brauchte noch einen Moment um den kleinen Marsch zu verkraften, dann aber kam sie mir wieder näher. Ihr Atem kribbelte mir am Ohr und sie sorgte mit dem Kuss dafür, dass sich eine schwache Gänsehaut auf meiner Haut ausbreitete. Ein flüchtiges Grinsen huschte über mein Gesicht. "Gib mir zwei Sekunden... oder vielleicht eher Minuten.", zögerte ich absolut vorhersehbar kein bisschen mit der Einwilligung. Leider war Schuhe an- und ausziehen momentan noch ein recht anstrengendes Verfahren. Ich konnte mich kaum nach unten beugen, weil mir dabei meistens noch ziemlich übel wurde und kurzzeitiges Stechen mit unangenehmem Druck an meinen Schläfen auftrat. Deshalb musste ich mich immer nahe an die Kante setzen und dann jeweils das Bein anheben und oben halten bis die Schnürsenkel offen waren, was an sich ebenfalls noch ziemlich anstrengend war. Es war aber der sicherste Weg die Schuhe loszuwerden ohne zu kotzen und vor allem auch den Fuß mit der fast verheilten Prellung noch möglichst vorsichtig zu behandeln, um unnötige Schmerzen zu vermeiden. Es dauerte also wahrscheinlich wirklich länger als eine Minute, bis letztlich beide Schuhe auf dem Boden gelandet waren und ich einmal tief durchatmete. Momentan waren wir wohl beide gefühlt um 10 Jahre gealtert. Faye hatte es sich in der Zwischenzeit schonmal bequem gemacht und so musste ich nur noch die Beine aufs Bett heben und näher zu ihr hinrücken, um mir die langersehnte Kuscheleinheit abzuholen. Sobald ich wie gewohnt auf dem Rücken lag streckte ich vorfreudig lächelnd den Arm nach Faye aus, damit sie sich ungehindert an meine Brust kuscheln konnte.
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Eigentlich sollte es nach dem bisherigen Verlauf dieses Wiedersehens keine Überraschung sein, dass Victor umgehend einwilligte und ebenfalls durchaus angetan von ihrer Idee zu sein schien. Und trotzdem liess die Bestätigung sie noch breiter Lächeln, bevor sie sich zurücklehnte, um ihm genügend Platz zu geben fürs Schuhe Ausziehen. Einen Moment schaute sie ihm dabei auch noch zu, weil das Unterfangen leider durchaus anstrengend aussah, dann aber beschloss sie, dass er das wohl besser ohne ihr wachendes Auge tun konnte oder wollte. So schlüpfte sie stattdessen selbst aus ihren Schuhen, rutschte zur Wand und legte sich schonmal hin, während sie auf ihn wartete. Allzu lange dauerte das dann auch nicht mehr, bis er neben ihr ins Kissen sank und den Arm nach ihr ausstreckte. Und selbstverständlich liess sie sich auch nicht zweimal darum bitten sondern rutschte sofort zu ihm rüber, kuschelte sich an seine Brust - genau dahin, wo sie sich auch sonst immer verkrochen hatte. Ein leises, erleichtertes Seufzen kroch über ihre Lippen, ohne dass sie das wirklich merkte oder gewollt hatte. Natürlich hatten auch seine Muskeln etwas unter dem fehlenden Training und der Erschöpfung der Reha gelitten - aber das würde nie etwas daran ändern, dass das genau hier für immer ihr Lieblingsplatz auf der Welt bleiben würde. Es ging ja nicht um das, was sich unter ihrem Kopf oder ihren Fingern genau abzeichnete, sondern um den Menschen, der in diesem Körper wohnte. Um den Menschen, der ihr Zuhause war und der ihr alles bedeutete. Was letztendlich ja auch der Grund war, warum sie nicht mehr hatte leben wollen, sobald sie geglaubt hatte, ihn verloren zu haben. Und das war nicht gesund, aber darum würde sie sich ein anderes Mal sorgen. "Ich bin wirklich froh, dass du heute vorbeigekommen bist, Victor", murmelte sie an seine Brust, obwohl sie ihm das vielleicht schon einmal gesagt hatte. Sie würde es ihm mit ziemlich grosser Wahrscheinlichkeit auch noch ein drittes und vielleicht viertes Mal sagen, weil ihr so wichtig war, dass er es glaubte und wusste und von ihr gehört hatte. Weil sie es ihm wohl auch ein Bisschen schuldete, nach dem, was sie die letzten Wochen über alles angestellt hatte. Sie wusste nicht, wie viel Aryana an Victor weitergeleitet hatte, aber so wie sie ihn kannte, hatte er sich wohl ausreichend erkundigt, um ihrer Schwester doch zwei-drei Informationen aus der Nase gezogen zu haben. Falls das denn nötig gewesen war und sie nicht von sich aus erzählt hatte. Ausserdem waren da ja noch die Briefe gewesen. Sie wusste nicht mehr ganz genau, was sie ihm alles geschrieben hatte... Aber es waren wohl keine beruhigenden Sachen gewesen, auch wenn sie stets versucht hatte, ihren Zustand entweder gar nicht anzusprechen oder nur sehr schwammig darzustellen. Bis auf das eine Mal, als sie sich ein Bisschen gezwungen gefühlt hatte, mehr zu schreiben, was möglicherweise aber auch überhaupt keine gute Idee gewesen war. Doch auch darüber wollte sie jetzt eigentlich nicht nachdenken, denn scheinbar hatte Victor es geschafft, darüber hinweg zu sehen - jedenfalls für heute. Also wollte sie das auch tun. Es waren schon einige Minuten in Stille verstrichen, bis Faye sich wieder ein Bisschen regte, die Augen aber nicht öffnete, während sie eine leise Frage stellte. "Und wie gehts eigentlich dir..? Mit allem, meine ich...", wollte sie wissen. Sie glaubte doch, dass sie mit der Antwort jetzt beide klarkommen sollten, Victor musste halt eben langsam genug erzählen, dass sie hinterher kamen mit Streicheleinheiten und Liebe Tanken. Denn in der allgemeinen Aufregung war das ziemlich verloren gegangen. Sie hatte weder eine Ahnung, was seine körperlichen Verletzungen anbelangte, noch wie seine Psyche bisher mit dem Trauma umging, da Chelsea und Sam im Gegensatz zu Aryana ja nicht gleichzeitig auch Victor besucht hatten und ihr berichten konnten.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Kaum hatte die zierliche Brünette ihren üblichen Platz an meiner Brust gefunden legte ich den Arm um sie und hielt sie eng bei mir. Jedoch übte ich dabei nicht allzu viel Druck aus, weil ich mir nicht ganz sicher damit war, ob die Schnittwunde längs an ihrer Seite noch immer weh tat. Zwar glaubte ich, dass jener Schnitt an sich gar nicht tief gewesen war, aber so ganz allgemein würde ich Faye wohl weiterhin erst einmal lieber mit Samthandschuhen anfassen. Es konnte schließlich auch sein, dass meine Erinnerungen mir stellenweise vielleicht einen kleinen Streich spielten. Solange ich meine Erinnerungen an die Geschehnisse nicht mit der Realität - also einer Erzählung von Faye - abgleichen konnte, ging ich lieber auf Nummer sicher. Allerdings war das eher kein Thema, über das ich mich jetzt schon mit ihr unterhalten wollte. Ich brauchte die Ruhe, die jetzt nach dem Sturm der letzten Wochen folgte. Neigte meinen Kopf vermehrt in ihre Richtung, damit mir der Geruch ihres Shampoos in die Nase stieg. Zumindest das schien gleichgeblieben zu sein, womöglich hatte Aryana ihrer Schwester schon das Richtige besorgt - Frauen waren mit ihren Haaren ja nicht selten auf etwas spezifischer ausgerichtete Haarprodukte angewiesen. Meiner Erfahrung nach jedenfalls. Ich hob auch die freie Hand noch an, um sie an Fayes Unterarm auf meinem Oberkörper zu legen und sie dort sanft zu streicheln. Als sie mir sagte wie froh sie darüber war, dass ich mich trotz ihres vorherigen Verhaltens nicht davon hatte abhalten lassen heute hierher zu kommen, wurde das ohnehin schon glücklich wirkende Lächeln noch eine ganze Spur breiter. Ich schloss die Augen, murmelte ihr die Worte "Ich auch." ans Haar und hauchte danach einen flüchtigen Kuss auf ihren Kopf. Vielleicht war das Wiedersehen im ersten Moment nicht sehr schön gewesen, aber es hatte sich scheinbar alles zum Guten gewendet. Es war längst überfällig gewesen, dass wir beide uns in die Arme fallen konnten. Auch wenn das nicht hieß, dass ich es nicht bis zu einem gewissen - schmalen - Grad verstehen konnte, dass die zierliche Brünette Angst davor gehabt zu haben schien. Wie es mir ging war eine etwas kompliziertere Frage, zumindest in Hinsicht auf meine Psyche. Körperlich ließ es sich leicht einschätzen und wiedergeben. Ich öffnete die Augen langsam wieder, als ich zu reden begann. "Körperlich könnte es mir zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich kaum besser gehen... längere Strecken zu gehen ist noch anstrengend und der Fuß noch nicht schmerzfrei, deswegen die Krücken zur Sicherheit. Der Unterarm tut bei Bewegung noch weh und zeitweise hab ich noch Kopfschmerzen oder Übelkeit, aber ansonsten... darf ich mich was das angeht wirklich nicht beschweren. Hätte mit Pech deutlich schlimmer ausgehen können...", murmelte ich so vor mich hin und hätte mir den letzten Abschnitt vielleicht besser sparen sollen. Es war schon die Wahrheit, dass ich dank meines Suizidversuchs auch als Pflegefall im Rollstuhl hätte landen können. Das war auch primär meine Schuld, aber am Ende gab Faye sich die auch wieder, obwohl es nur ein theoretischer Fall von hätte so enden können war. Naja. "Auch sonst geht's mir eigentlich... ganz okay." So okay wie es mir eben hatte ergehen können mir der Angst, dass ich Faye für immer verlieren würde. "Aber das liegt ausschließlich daran, dass ich die ersten beiden Wochen wieder mit den Opiaten zugedröhnt war... und danach, als ich mich langsam erinnert habe und sie die Dosis runtergesetzt haben... ich versuche seitdem eigentlich einfach gar nicht dran zu denken, soweit wie möglich... aber das wird jetzt sicher nicht mehr lange funktionieren, weil... ich das wichtigste, erste Ziel abgehakt habe. Ist sowieso keine langfristige Lösung..." Ich redete noch immer recht leise und ein leises Seufzen kroch mir zum Abschluss über die Lippen, wurde unweigerlich über die Bewegung in meiner Brust an Faye weitergeleitet. Es brachte nur leider auch nichts sich all das irgendwie schön zu reden, denn die Realität war und blieb erstmal düster. Auch wenn mir schon unzählige Therapeuten bei meinem ersten und auch zweiten schweren Trauma beigestanden hatten, hatte ich wirklich nicht das Gefühl, dass ich damit besser umgehen konnte als andere Menschen. Es half mir sicherlich etwas, das schon, aber ich hatte trotzdem keines der anderen beiden schwerwiegenden Erlebnisse wirklich hinter mir gelassen... ich musste also nicht nur das verarbeiten, was vor über einem Monat passiert war, sondern auch die ganze andere Schweiße, die schon Jahre zurücklag. Der Weg ans Ziel war demnach erstmal gefühlt endlos lang, aber er war notwendig, wenn ich Faye keine Last mehr sein wollte. "Ich hab dich wirklich vermisst in den letzten Wochen... und ich weiß, dass ich dich auch wieder vermissen werde, wenn ich später gehen muss... und das ist natürlich beschissen, aber vielleicht ist es ganz gut, wenn wir dieses Mal nicht... ständig... naja..." Es fiel mir irgendwie schwer, die passenden Worte zu finden. Deshalb atmete ich noch einmal etwas durch und setzte neu an. "Ich glaube es hat uns das letzte Mal nicht unbedingt geholfen, dass wir unser Leid ständig auf den Anderen übertragen haben. Natürlich nicht bewusst oder beabsichtigt, aber... du weißt ja, wie wir sind.", ich versuchte das Gesagte am Ende mit einem leicht sarkastischen Unterton aufzuhellen, aber das war reichlich schwierig bei einem solchen Thema.
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Es war gut, dass er noch nicht bereute, hergekommen zu sein. Auch wenn sie das eigentlich schon gewusst hatte, liessen seine Bestätigung und der Kuss ihr Lächeln nochmal breiter werden und auch sie hauchte einen Kuss auf seine Brust - beziehungsweise eben auf das Shirt, welches sich heute noch zwischen sie zwängte. Dann lauschte sie erstmal seinen Ausführungen, mit denen er ihre nicht ganz einfache Frage beantwortete. Immerhin schien sein Körper mitzumachen und sich verhältnismässig schnell von seinen schweren und weniger schweren Verletzungen zu erholen. Sie wünschte, sich nur auf das Gute in diesen Worten konzentrieren zu können - aber wirklich verdrängen liessen sich die Bilder in ihrem Kopf, die bei jeder einzelnen genannten Verletzung aufflackerten, leider nicht. Der harte Tritt auf Victors Fuss, die Schläge, Stiche und Schnitte... aber vor allem die grausam züngelnde Flamme an seinem Arm, wollten sich ihren Platz in Fayes Kopf nicht streitig machen lassen. Es war etwas dumm von ihr, bei dieser Aufzählung auch noch die Augen aufzuschlagen, im Versuch, den Bildern zu entkommen... nur um dann mit der harten Realität konfrontiert zu werden, weil sein verbrannter Arm genau vor ihrem Gesicht ruhte, da er mit dieser Hand ihren Arm streichelte. Einen Moment lag ihr Blick auf der Wunde, dann machte sie die Augen wieder zu, atmete tief durch und drängte sich noch ein Stück näher an seine Brust, um erneut mit seiner blossen Anwesenheit gegen ihre toxischen Gedanken zu kämpfen. Gerade dann, als er fortfuhr, um ihr auch noch von der anderen Seite seines Wohlbefindens zu berichten. Dem Teil, der bei ihnen wohl auch beim zweiten Durchgang dieser Folter wieder weitaus mehr Geduld, Aufmerksamkeit, Nerven und vor allem auch Kraft erfordern würde, als ihre Körper allein das je könnten. Offenbar fuhr Victor bisher eine gar nicht so unterschiedliche Schiene zu ihr - hatte sie doch auch vehement versucht, die Erinnerungen zu verdrängen und sich nicht damit auseinanderzusetzen. Bloss hatte sie es entweder nicht ganz so erfolgreich geschafft wie er oder sie hatte sich zugleich eben doch von den damit verbundenen Gefühlen wie Schuld, Scham und Verletzung zerstören lassen. Weil diese Gefühle auch der Grund waren, dass sie sich nicht mit dem Geschehenen hatte auseinandersetzen, sondern lieber hatte sterben wollen. Aber Victor hatte Recht. Langfristig konnten sie nicht so weitermachen, weil ihr Kartenhaus sonst irgendwann, eher früher als später, bei einem ungünstigen Windstoss in sich zusammenfallen würde. Und wahrscheinlich hatte Victor auch Recht mit dem, was er zum Schluss noch sagte. Dass es besser war, wenn sie dieses Trauma nicht erneut zusammen verarbeiteten - jedenfalls nicht rund um die Uhr. Trotzdem fühlte der Gedanke allein sich wie ein unheilvoller Schatten an, schnürte ihren Brustbereich in leiser Angst ein Bisschen weiter zu. Es war das altbekannte Gefühl, die Angst, ihn verlieren zu können, die wie jedes Mal dieses unmissverständliche, ungute Gefühl hinterliess. Egal was ihr Verstand denn nun dazu zu sagen hatte und egal, was sie davon hielt. Faye atmete erneut ein paar Mal tief durch, weil sie wirklich kein Interesse daran hegte, jetzt schon wieder zu weinen, bloss weil er eine Frage beantwortet hatte, die sie persönlich überhaupt erst gestellt hatte. Als sie sich relativ sicher war, sprechen zu können, ohne dabei direkt in Tränen auszubrechen, machte sie die Augen wieder auf. Sah erneut seinen Arm vor sich und holte nochmal tief Luft. "Ich bin froh, wenn... dein Körper so gut mitmacht... Das macht schon Einiges leichter", jedenfalls war es eine gute Nachricht und davon konnten sie jede Einzelne sehr dringend gebrauchten. Faye liess erneut einige Sekunden vergehen, die sie nur mit atmen und ruhig bleiben beschäftigt war, bevor sie etwas zögernd fortfuhr. "Ich... denke auch nicht, dass Verdrängen auf Dauer funktionieren wird... oder von Vorteil ist... Da haben wir also wohl beide noch... ein Bisschen... viel Arbeit vor uns...", da war er bestimmt selber auch schon drauf gekommen. Ihre Finger strichen etwas unruhig über seine Brust, eine mehr oder weniger hilfreiche Ablenkungsstrategie, damit sie nicht direkt wieder zurück ins Loch fiel. "Und ja, wahrscheinlich... stimmt das schon... dass es nicht gut war, das letzte Mal... Hat... hat ja bestimmt seine Gründe... dass uns jeder ständig davon abgeraten hat...", zumindest jeder, der etwas von Trauma und der scheinbar endlos komplexen menschlichen Psyche verstand. Es war gut möglich, dass es besser war, so wie es jetzt war... Das hiess nur nicht, dass es sich auch leichter anfühlte. Irgendwie erträglicher, ohne ihn. Weniger einsam. Weniger schwerwiegend.
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Es war Faye nicht zu verübeln, dass sie erst einmal einen Moment lang brauchte, um meine Worte zu verdauen. Ich selbst kam ja auch nicht unbedingt gut mit Alledem zurecht. Oberflächlich schon, ja, aber mein Unterbewusstsein nagte täglich mehr an meinem Verstand. Bisher mochte ich auf diese Weise noch funktionieren, aber der Shutdown stand sicherlich schon vor dem imaginären Tor und würde bald anfangen zu klopfen. Wenn ich ihm nicht aufmachte wenig später einfach das akribisch angebrachte Schloss aufbrechen. Es war besser, wenn ich dem Trauma ganz bewusst die Tür öffnete, als wenn es mich irgendwann in den kommenden Tagen einfach haltlos überrollte. Es wurde zwar nicht leichter, nur weil man sich bewusst damit auseinanderzusetzen und die Nerven zu behalten versuchte, aber es war doch deutlich besser, als stattdessen einfach stumpf in dem Kummer und dem Schmerz zu versinken, bis man keine Luft mehr bekam und der Weg zurück an die Oberfläche immer schwerer wurde, je länger man am Grund festsaß. Ich nickte nur schwach, als Faye auf meine körperliche Verfassung zu sprechen kam. Es war gut, dass mir zumindest schwere Leiden in dieser Hinsicht dieses Mal erspart blieben, abgesehen von der einst tückischen Kopfverletzung. Das Messer des Syrers hatte in meinem Bein damals auf jeden Fall weit mehr Schäden angerichtet als der Tritt auf den Fuß. Selbst in Verbindung mit den noch anhaltenden Nachwirkungen des künstlichen Komas würde ich sehr viel früher wieder ohne Krücken auf den Beinen sein, zumindest laut heutigem Stand. Es war fast ein bisschen verwunderlich, dass mir der Rücken noch gar nicht zwickte. Also schon ab und zu in Hinsicht auf die zwei erneut angepieksten, alten Narben... das war jedoch nicht der Rede wert, denn der Phantomschmerz war noch nicht wieder da. Das sollte ich wohl lieber nicht verschreien, wahrscheinlich wartete der einfach nur auf meinen psychischen Zusammenbruch. Auf jeden Fall waren die Brünette und ich uns einig darin, dass es dauerhaft untauglich war die Ereignisse bestmöglich einfach wegzuschieben. Ein bisschen viel Arbeit traf es bedauerlicherweise ganz gut. "Leider, ja... führt wohl kein Weg dran vorbei...", stellte ich etwas überflüssig leise murmelnd fest. Mein Blick fiel dabei auf ihre schmalen Finger, die Fayes innere Unruhe wie so oft deutlich widerspiegelten. Deshalb griff ich vorsichtig nach ihrer Hand und hob sie noch ein bisschen mehr an. Streckte mich ihrem Handrücken dann auch mit dem Kopf etwas entgegen, um dort einen sanften Kuss auf die dünne Haut zu setzen. Danach ließ ich unser beider Hände wieder sinken, löste meine Finger jedoch nicht von ihren. Zum einen, weil ich es ganz einfach nicht wollte und zum anderen, weil mein Unterarm ganz dankbar dafür war im Folgenden einfach wieder nur liegen zu können. Die neue Haut, die noch bei Weitem nicht ihre alte Elastizität zurück hatte - sie wahrscheinlich auch nie wieder vollständig erhalten würde, durch das noch entstehende Narbengewebe - spannte wirklich noch extrem unangenehm. Aber da musste der Arm jetzt durch, schließlich konnte er später im Hotel dann wieder ganz viel Nichts tun. Faye schien zwar ebenso wenig glücklich mit unserer räumlichen Trennung zu sein wie ich selbst, aber auch sie wagte einen Blick hinter diese Situation und betrachtete sie nicht nur oberflächlich. Denn ja, uns war davon abgeraten worden. Mehr als einmal und auch nicht nur innerhalb der ersten paar Wochen, weil auch langfristig sehr gut für das Personal unserer damaligen Klinik ersichtlich gewesen war, wie sehr wir unser Leid automatisch mit dem jeweils anderen teilten. Unsere Genesung war damals insgesamt auch nur sehr schleppend vorangegangen, scheinbar auch nie richtig abgeschlossen worden. Sonst säßen wir jetzt kaum mit denselben Verlustängsten hier wie damals. "Ich komme dich trotzdem jeden Tag besuchen, versprochen.", gab ich ein weiteres Versprechen ab und streichelte dabei sanft über ihren Handrücken. Es müsste schon irgendwas sehr, sehr Gravierendes dazwischen kommen, damit ich auch nur einen einzigen Besuch sausen lassen würde. "Und wenn's uns beiden erstmal besser geht, können wir sicherlich auch mal zusammen raus." Also allein, so ohne ständige Überwachung. Wenn ich wieder ohne Krücken gehen und sie kein Personal mehr am Arsch kleben hatte. Es war ein kleiner Lichtblick für die Zukunft. "Darfst du... momentan eigentlich überhaupt hier raus?", hängte ich eine leise Frage an und suchte ihren Blick. Irgendwie hatte ich mich bei Aryana nie darüber erkundigt, aber sie war jetzt ja auch schon einige Tage lang weg. Ich hatte auch nicht mit ihr telefoniert, weil ich bisher keinen Grund dafür gehabt hatte. Sicherlich erzählte Faye ihrer Schwester aber ohnehin beim nächsten Anruf, dass ich hergekommen war.
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Tatsächlich nicht, wenn sie sich ständig wieder in solche Scheisse hineinritten. Nicht, dass sie sich das jeweils aktiv wünschte oder herbeisehnte, aber scheinbar waren sie beide einfach nicht für das ruhige, angenehme Leben geschaffen. Eher dafür, ständig irgendwelche Scheisse abzusahnen, damit es vielleicht wenigstens jemand anderem ein Bisschen seltener beschissen ging. Es war wirklich erstaunlich, dass sie trotz allem auch heute wieder zusammen auf diesem Bett lagen und sich festhielten - scheinbar beide noch immer nicht einsahen, sich jemand anderes zu suchen, der oder die vielleicht weniger Katastrophen versprach. Natürlich war das Erlebte zum jetzigen Zeitpunkt noch keineswegs verarbeitet, aber allein dass er sie trotz allem besuchen kam und einfach so gar keine Berührungsängste zeigte, machte schon sehr deutlich, wie stark die Bindung war, die sie beide zusammenhielt. Genau das war es auch, was sie sich selbst immer wieder sagte, während sie die Augen geschlossen hielt und sich nicht auf seine Verletzungen, sondern auf seine Berührungen zu konzentrieren versuchte. dieses Vorhaben unterstützte er netterweise mit einem weiteren Kuss und ihre Finger schlossen sich bereitwillig um die seinen. Gott sei Dank hatte er da - ihres Wissens zufolge - keine Wunden erlitten und sie würde ihm nicht zusätzlich weh tun, was sie bei anderen Körperstellen, allen voran natürlich dem Arm, doch schwer befürchtete. Sie hatte noch nie eine so grossflächige Verbrennung erlitten, nie etwas schwerwiegenderes als das, was der Elektroschocker in Syrien hinterlassen hatten. Die drei Narben davon zierten weiterhin gut sichtbar ihren Körper, aber das war eine völlig andere Dimension als das, was Victors Haut durchgemacht hatte. "Das ist gut... ich... werde jeden Tag hier sein", versicherte sie ihm, wobei die Worte am Ende etwas sarkastischer klangen als beabsichtigt. Lag hauptsächlich daran, dass sie ja sowieso nicht weggehen konnte und ihr nur das Warten innerhalb dieser Klinik übrig blieb. Das mit dem Ausflug irgendwann später war also eine ausgezeichnete Idee - eben sobald das für sie beide wieder in Frage kam und sie nicht mehr gemeinsam um die Wette stolperten. Dabei war auch seine anschliessende Frage leider sehr berechtigt... Ihm brauchte sie ja nichts zu erzählen, er wusste, wie es das letzte Mal gewesen war und wie es folglich auch diesmal sein dürfte. Faye schlug die Augen wieder auf, um den Kopf einen Moment etwas nach oben zu drehen und ihn anzublinzeln. Nur kurz, weil die Verdrehung leider ihren Schwindel förderte, aber ein kurzer Blick dürfte auch schon reichen um ihre Lage soweit zu erklären. "Ich darf mit Begleitung in den Park der zur Psychiatrie gehört... Aber er ist eben ziemlich gross, darum kann ich nicht alleine hin. Sonst hau ich ab und versteck mich und keiner kann mich am Abend ins Bett bringen, weisst du?", erneut spickte sie ihre Worte am Ende mit etwas mehr Sarkasmus, als sie das eigentlich beabsichtigt hatte. Sie war ja selbst Schuld an diesen Einschränkungen, hatte sich in den letzten Wochen eben nicht besonders einsichtig gezeigt und auch nicht gerade bewiesen, dass Selbstgefährdung ihrerseits kein Thema wäre. War also gut möglich, dass sie in einem weitläufigen Park mit Bäumen auf dumme Ideen gekommen wäre - auch wenn dieser Park von einer dezenten Mauer umgeben war, um ihn exklusiv für die Psychiatriepatienten zu reservieren. "Es hat noch einen kleinen Garten... da dürfte ich theoretisch alleine hin, hab ich aber noch nie gemacht. Aimee hat mich einmal dahin gebracht, um ihn mir zu zeigen...", dann war ihr schlecht geworden, weil eine Pflanze komisch gerochen hatte und sie kurz zuvor gegessen hatte, und sie hatte elendig in ein Blumenbeet gekotzt. Aber diesen Teil sparte sie Victor lieber aus. Faye seufzte und machte eine kleine Pause, übte wieder ein, zwei tiefe Atemzüge aus und drückte seine Finger ein wenig. "Aber nein... um deine Frage zu beantworten: Ganz raus, also hinter die Mauern, darf ich nur zur Physio oder zu irgendwelchen Kontrollen ins Krankenhaus... Mit Begleitung", wenigstens war die Therapie nicht auch noch in diesem Gebäude. Sie hatte zwar kein Bedürfnis, durch die Stadt zu schlendern oder shoppen zu gehen oder was auch immer, aber ständig hier zu sein, umgeben von kranken Menschen, war eben auch nicht so das Wahre...
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Davon war ich ziemlich fest ausgegangen. Es war schließlich recht unwahrscheinlich, dass die Psychologen hier es als kleines Risiko einschätzten, die junge Frau irgendwo anders als genau hier auf dem Gelände herumwandeln zu lassen. Außer eben es ging zu irgendwelchen erweiterten therapeutischen Maßnahmen, die sich nicht ausschließlich auf ihre psychische Verfassung und damit auf diese Einrichtung bezogen. Ihr blieb also leider nichts anderes übrig, als weiterhin jeden Tag hier zu sein. Sich durch die Therapie zu ringen und irgendwie halbwegs gut zurück auf die Beine zu kommen - damit wir dann eben wieder gemeinsam raus konnten, ohne dass uns Jemand auf die Finger guckte. Es gab scheinbar auch noch einen kleinen Garten, den Faye alleine besuchen durfte, aber aktuell stand das wohl trotzdem noch nicht wirklich zur Debatte. Nicht solange ich ihr keine Stütze sein konnte, ich wollte nicht hilflos Zeuge eines Abgangs ihrerseits werden, das würde mich für meinen Teil nur unnötig zusätzlich traumatisieren. Ich hatte sie ja sonst auch schon vor nicht besonders viel schützen können, da brauchte ich diesen Anblick nicht auch noch. "Ich will dich ja nur ungerne dran erinnern, aber es wäre nicht das erste Mal, dass du abhaust...", stellte ich ebenfalls mit etwas Sarkasmus versehen fest, zog die rechte Augenbraue einen Moment lang nach oben. War halt nicht so abwegig, dass sie noch ein weiteres Mal auf solch dumme Gedanken kam. Auch wenn ich das nun wirklich nicht hoffte. "...zumindest bei mir hast du das allerdings sehr schnell wieder gutgemacht.", hängte ich wenige Sekunden später noch ein paar Worte mehr ran, die mich erneut zum Nachdenken anregten. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie sie nach ihrem verlängerten Ausflug damals einen ziemlich abrupten Sinneswandel hingelegt hatte. Ich stieg bis heute nicht wirklich dahinter, was die junge Frau damals dazu getrieben hatte, ausgerechnet an diesem Abend nach all dem Gefühlschaos wieder mit mir schlafen zu wollen. Es war sicher nicht perfekt gewesen, aber irgendwie hatte dieser Tag die Kehrtwende unserer Therapie markiert. Danach war es besser geworden und wir waren da rausgekommen. Ich hatte keine Ahnung, was sie auf einem der Hügel hinter dem Gebäude damals getrieben oder an was sie dort alles gedacht hatte - es schien aber effektiv gewesen zu sein. "Auf jeden Fall können wir im je nachdem wie's läuft ja auch erstmal nur in den kleinen Garten, wenn ich wieder fit bin und du noch nicht ohne Anhang raus dürfen solltest... das sehen wir dann, wenn's so weit ist.", meinte ich und zuckte schwach mit den Schultern. Es stand jetzt im Moment halt einfach noch in den Sternen, wie schnell die Therapeuten Faye einen ausreichenden Fortschritt diagnostizieren würden und ob ich früher schon wieder gut ohne die Krücken klar kam oder halt auch nicht. Es blieb abzuwarten. Bis dahin mussten wir beide uns eben den Aufenthalt innerhalb der Mauern so angenehm wie möglich machen. Vorzugsweise mit vielen Küssen und Kuscheleinheiten. "Wie lange bleibt Chelsea eigentlich noch..?", war meine nächste Frage dazu, während ich mit dem Daumen über Fayes strich. War ja auch nicht ganz unwichtig für meine zukünftigen Besuche. Bis dato fiel es ja mehr oder weniger weg mit Faye zusammen zu Mittag zu essen, wenn ihre Cousine das schon machte. Ich kannte sie auch nicht besonders gut und wusste nicht, ob es ihr eher gelegen käme, wenn sie aus dieser Sache fein raus war, oder ob sie sich am Ende noch auf den Schlips getreten fühlte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Sie mochte es, wie seine Brust unter ihrem Ohr leicht vibrierte, jedes Mal wenn er ein Wort von sich gab. Es war eigentlich nur ein kleines Detail, aber auch das versprach ein Bisschen Normalität, ein Stückchen Heilung. Dabei spielte es auch nicht wirklich eine Rolle, was das Gerede eigentlich beinhaltete. Tatsächlich hatte sie sich sogar erfolgreich wieder beruhigt, um nicht mehr aus allem einen potenziellen Vorwurf oder eine Gefahr herauszuhören - seiner Nähe und ihrer Atemübung sei Dank. Faye verdrehte kurz die Augen, als er sie an ihren letzten Klinikaufenthalt erinnerte. Ja, sie war vielleicht abgehauen... Aber zu diesem Zeitpunkt war das nicht einmal mehr ein Regelbruch gewesen. Da waren sie ja schon auf der offenen Abteilung gewesen, sie hätte theoretisch auch die ganze Nacht wegbleiben können und es wäre nicht wirklich verboten gewesen. Ausserdem hatte sie einfach etwas Ruhe und Abstand gebraucht, weil sie sich davor nicht sehr schön unterhalten hatte. Vielleicht nicht wirklich gestritten, weil sie sich nunmal ganz allgemein wirklich sehr sehr selten stritten, aber sie erinnerte sich trotzdem an seine Worte und wusste, dass deren Inhalt nicht nur nett gewesen war. Was nicht heissen sollte, dass er nicht teilweise Recht gehabt hatte, aber ja. "Aber so hab ich ja nichtmal die Chance, zu beweisen, dass ich auch ein zweites Mal freiwillig zurückkommen würde", merkte sie ironisch an, gab ein tragisches Seufzen von sich. Natürlich war ihr klar, weshalb keiner sie einfach so unbewacht in die Wildnis schicken wollte, sie war ja nicht komplett blöd. Wusste mehr oder weniger genau, was sie so alles von sich gegeben hatte im letzten Monat. Auch was sie getan hatte - die Narbe an ihrem Handgelenk erinnerte sie ja sehr penetrant jeden Tag daran zurück. "Na siehst du... so musst du wohl leider auch auf eine Wiedergutmachung verzichten", sinnierte die Brünette weiter leise vor sich hin, streichelte seine Brust und seine Finger ebenfalls mit ihren. Nicht, dass einer von ihnen gerade in der Lage oder Stimmung für eine Versöhnung wie damals wäre, aber da das sowieso nicht zur Diskussion stand, weil sie ja nicht abgehauen war, konnte sie getrost den Sarkasmus walten lassen. "Mhm...", stimmte Faye dem Vorschlag mit dem Garten zu. "In deiner Begleitung darf ich vielleicht sogar in den Park - wenn sie dir glauben, dass du gut auf mich aufpasst", und dazu hatten sie spätestens Morgen eigentlich allen Grund, wenn sie merkten, wie positiv sich ein einziger Besuch dieses Mannes auf ihren Lebenswillen auswirkte. Er hatte die praktisch erloschene Glut auf fast magische Weise wieder angefacht und eine Flamme erzeugt, die vor ihm keine ihrer Besuchs-, Therapie- oder Pflegepersonen hatte heraufbeschwören können. Dafür würde er bestimmt eine Menge Bewunderung ernten, womit er sich dann... gar nichts kaufen konnte, aber hey, das Gefühl war bestimmt auch nett. Nicht, dass sie aus Erfahrung reden könnte, aber sie glaubte dran. "Ich weiss es nicht genau, sie hat nie ein Datum definiert... Jedenfalls nicht mit mir. Sie kann von hier aus arbeiten, darum ist sie glaub' ich relativ flexibel... Aber ich bin mir sicher, dass sie froh wäre, wenn sie nicht mehr ewig auf mich aufpassen muss", versuchte sie seine Frage nach Chelsea zu beantworten. "Aryana hat glaub ich gesagt, dass sie in... zwölf..? Tagen oder so wieder hier sein sollten, falls alles nach Plan verläuft. Spätestens dann würde Chelsea abreisen. Aber wenn Aryana weiss, dass du jetzt jeden Tag hier bist, dann fliegt Chelsea vielleicht schon früher nach Hause", ihre Cousine hatte sich natürlich nie beschwert. Aber Faye glaubte trotzdem nicht, dass es ein Vergnügen für sie darstellte, zweimal täglich bei einer Psychiatrie vorzufahren, um jemanden zu besuchen, die kaum mit ihr redete, nur damit sie dann den Rest des Tages in einem Hotelzimmer arbeiten konnte. Faye würde sich bemühen, vielleicht auch mit ihr in den kommenden Tagen etwas aktivere Gespräche zu führen, aber sie wusste schon, dass das nicht so leicht wäre, wie sie sich das jetzt gerade vorstellte. Chelsea war nunmal nicht Victor und Faye noch lange nicht gesund... Irgendwann in Zukunft musste sie ihren Verwandten eine ordentliche Wiedergutmachung bescheren für all das, was sie in den letzten Wochen für sie getan hatten und weiterhin taten, das stand fest.
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Noch frooohe Weihnachteeeeeen :D <3 ______________
Tja, dann dieses Mal eben kein Beweisen ihrer Artigkeit und auch keine Wiedergutmachung für einen daraus resultierenden Nervenzusammenbruch meinerseits. Sehr schade. "Bedauerlich.", gab ich seufzend einen letzten Kommentar dazu ab, der logischerweise kaum ernst gemeint 7und in reichlich Sarkasmus getränkt war. Ich konnte ganz gut darauf verzichten mir noch einmal eine Stunde lang den Kopf und das Herz in Sorge um Faye zu zerbrechen. Oder war es damals mehr gewesen? So oder so hatte es sich mindestens wie eine halbe Ewigkeit angefühlt - nicht zuletzt wegen meiner Selbstvorwürfe - und dementsprechend war ich nicht scharf auf ein zweites Mal. Bisher wusste ich noch nichts von der Narbe über Fayes Brust und konnte deshalb auch noch verhältnismäßig entspannt in die Zukunft sehen, was Sex anging. Mehr oder weniger jedenfalls. Warren hatte damals auch keine Spuren hinterlassen - da wäre er auch schön blöd gewesen in seiner Führungsposition - und trotzdem war die Wiedervereinigung schwer gewesen. Ich sollte wohl einfach darum beten, dass Gil sich nicht mehr zwischen Faye und mich stellen konnte, als es das tote Arschloch und der Syrer gekonnt hatten. Trotzdem war sicherlich auch dieses Mal ein Stück unserer heiligen Zweisamkeit zerbrochen... Es war sehr viel angenehmer stattdessen darüber nachzudenken, ob das Personal der Psychiatrie mich vielleicht sogar doch mit Faye alleine raus ließ. Sofern ich sie eben Glauben machen konnte, dass ich es ausschließlich gut meinte und auch akribisch auf sie aufpassen würde. Es hing sicherlich auch ein bisschen davon ab, wie sich mein eigenes Verhalten in den nächsten Tagen vielleicht ein Stück weit veränderte. Eigentlich dürfte aber so oder so ersichtlich sein, dass ich Faye zumindest bis zu einem gewissen Grad beeinflussen konnte. Zumindest auf jeden Fall dann, wenn sie sich morgen zu einem oder mehreren Kursen plötzlich freiwillig anmeldete. Das war nicht weniger als ein ziemlich radikaler Richtungswechsel hinsichtlich ihres Auftretens und ihrem Willen, auch nur irgendwas hier anzunehmen. "Was das angeht geb' ich liebend gern mein Bestes.", meinte ich lächelnd. Ich kannte die Leute hier leider nicht und konnte absolut nicht einschätzen, wie leicht sie sich überzeugen ließen - oder halt auch nicht. Je früher ich aber mit der zierlichen Brünetten alleine nach draußen durfte, desto besser. Ich zeigte mich also freiwillig gerne von meiner besten Seite, was das anging. Hinsichtlich Chelsea schien Faye es nur grob eingrenzen zu können, wann ihre Verwandte wieder einen Abgang machte. Spätestens aber wohl in 12 Tagen, wenn Aryana und Mitch ihre Hintern hoffentlich in einem Stück wieder sicher zurück auf amerikanischen Boden gebracht hatten. Wenn es die Umstände erlaubten wäre die Cousine um eine frühere Abreise aber wohl auch nicht so traurig. "Wie oft telefonierst du mit Aryana?", hakte ich weiter nach. Ich hatte den Kontakt zu Fayes älterer Schwester noch nicht wieder aufgenommen, seit sie zum Einsatz aufgebrochen war, weil… ich mich einfach nicht wirklich bereit dazu gefühlt und eigentlich auch nichts zu sagen gehabt hatte. Es wäre nur unnötig enttäuschend für alle Beteiligten geworden, wenn ich angekündigt hätte entlassen zu werden und Faye zeitnah zu besuchen, wenn letztere mich am Ende weiter von sich geschoben hätte. "Ich hab noch gar nicht mit ihr geredet, seit sie wieder weg sind… falls du sie sowieso anrufst, brauch ich das ja nicht ebenfalls zu machen.", redete ich weiter und sah dabei weiterhin zu Faye runter, streichelte beiläufig über ihren unteren Rücken. Allerdings würde ich Aryana wohl trotzdem mal eine kurze Nachricht zukommen lassen, um das Kontaktverbot offiziell aufzuheben. Sollte sie doch noch vor ihrer Rückkehr über Irgendetwas mit mir reden wollen, dann durfte sie das wieder. Wenn auch bitte den Zeitzonen entsprechend, ich brauchte meinen Schlaf momentan noch ziemlich dringend. Da war Faye theoretisch momentan also die einzige, die mich aus den Laken scheuchen durfte. "Wenn es Chelsea zu viel wird kann sie von mir aus auch früher schon abreisen, ich bin ja da… außer natürlich du willst sie gerne weiter bei dir haben, liegt ganz bei dir.", zeigte ich mich der Gesamtsituation gewohnt verständnisvoll gegenüber und musterte Fayes Gesichtszüge fast ein bisschen verträumt. Die Erinnerungen an sie waren einfach nicht vergleichbar damit sie direkt ansehen zu können. Da spielte es auch keine Rolle, dass sie schon bessere Tage gehabt hatte und man ihr die Tränen von gerade eben noch ein bisschen ansah. Der Blick in ihre blaugrünen Augen würde immer mein persönlicher Himmel bleiben.
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Ja, bedauerlich dass Victor in dieser Hinsicht scheinbar die Meinung des Personals teilte. Fast, als wäre ihr Eingesperrt-Sein berechtigt. Fast, als würde ihr Verhalten der letzten Wochen die Sorge darum, dass sie sich etwas antun könnte, wenn sie alleine raus ging, erklären. Konnte sie ja kaum nachvollziehen aber okay - darum wurde sie ja nicht gefragt. Scheinbar war ihr lieber Freund auch dazu bereit, den Aufpasser zu spielen, falls er wieder ordentlich gehen konnte, bevor ihr Geisteszustand als nicht mehr selbstgefährdend eingestuft wurde. Das waren durchaus gute Aussichten, die sie beinahe zu einer schnelleren Genesung animieren könnten, wenn das denn nach heute überhaupt noch nötig wäre. Die Frage nach Aryana hätte wohl wieder ein Schulterzucken heraufbeschwört, wenn das in ihrer Position gerade irgendwie angenehm auszuführen wäre. "So alle zwei bis drei Tage... Je nach dem wie sichs einrichten lässt", gab sie schliesslich eine ungefähre Angabe zum Kontakt mit ihrer Schwester. Die Sorge um Aryana in deren - zumindest in Fayes Augen - viel zu gefährlichen Arbeitsalltag war tatsächlich eines der Gefühle, die weder ihr psychischer Zustand noch all die Drogen so wirklich hatten dämpfen können. Und es würde wohl auch immer so bleiben, solange Aryana sich gefühlt täglich neue Feinde machte, die mitunter doch dezent gefährlich sein konnten. Vielleicht hatte es auch gar nicht so viel mit dem Job ihrer Schwester als viel mehr einfach mit ihrer Beziehung zu tun. Wie das mit Victor eben auch war, der gewissermassen keinem besonderes grossen Risiko ausgesetzt gewesen war die letzten Wochen über, während er im Krankenhaus auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes gewartet hatte, und doch hatte sie sich jeden Tag Sorgen um ihn gemacht. Wohl noch so ein Thema für die Therapie, wenn sie denn je darüber reden wollen würde. Bevor sie nun aber eine Gegenfrage hätte stellen können, beantwortete Victor diese auch schon selbst und erklärte, dass er mit Aryana seit deren Abreise noch kein Wort gewechselt hatte. Sein Anliegen liess sich dabei relativ leicht erfüllen, weshalb sie umgehend ein Nicken andeutete. "Meistens warte ich auf ihre Anrufe, da ich zeitlich eher flexibler bin als sie...", mild ausgedrückt, so ohne Job irgendwo in einem Patientenzimmer. "Aber mach dir keine Sorgen - dass du hier gewesen bist, wird sie als Allererstes erfahren", fügte sie etwas ironisch an, obwohl der Inhalt der Worte nur der Wahrheit entsprechen dürften. Faye hob den Blick an, um ihn mit zuckenden Augenbrauen anzulächeln, während ihre linke Hand über seine Haut streichelte. Dabei fing sie auch den leicht verträumten Blick ein, den er ihr zuwarf und während sie innerlich beinahe den Kopf darüber geschüttelt hätte, war alles, was sie darauf wirklich erwiderte, ein fast schon irritiertes, schüchternes Lächeln. Sie streckte sich nach oben, um an die Haut an seinem Kinn - etwas neben dem Brandmal - zwei zarte Küsse zu hauchen, bevor sie hier noch errötete, weil scheinbar kein Umstand dieser Welt das - möglicherweise fast utopische - Bild verändern konnte, das dieser Mann von ihr hegte. "Ja, ich werds ihr Morgen sicher sagen... und dann kann sie selbst entscheiden, ob sie lieber noch etwas bleiben möchte oder nicht", erwiderte Faye etwas verspätet auf die Sache mit Chelsea. Es lag letztendlich eben bei ihrer Cousine, wie sie weiter mit der Situation umgehen wollte und Faye wäre beides Recht, auch wenn sie Chelseas Anwesenheit gerade wie erwähnt nicht wirklich gerecht werden konnte.
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Das war auf jeden Fall ein absehbarer Zeitrahmen. Eigentlich war es sowieso sehr viel logischer, dass die Anrufe von Aryana ausgingen. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können, hätte ich mal länger als zwei Sekunden über die Sachlage nachgedacht. War halt einfach unwahrscheinlich - und potenziell tödlich - dass die ältere der beiden Schwestern mal eben ans Handy ging, wenn sie sich gerade mitten im Dienst befand. Zwar wusste ich nicht viel über die Art von Einsätzen, die das befreundete Paar für den reichen Mann erledigen musste, aber sie waren sicher in den meisten Fällen lebensbedrohlich. Zu gefährlich, um sich mit dem Gedanken daran, was die beiden jetzt gerade im Moment machten, wohlfühlen zu können. Ich hatte auch bis jetzt keinerlei Zweifel daran gehegt, dass Faye am Telefon ganz bestimmt erwähnen würde, dass ich ich es endlich geschafft hatte den Weg zu ihr zu finden. Hatte schließlich nicht weniger als zu lang gedauert und außerdem änderte mein Besuch hier mit Glück einiges - allem voran hoffentlich, dass Faye den Selbstmordgedanken gänzlich Lebewohl sagte. Dass sie anfing auch selbst den Weg nach oben ans Licht zu suchen und sei es nur, weil sie wieder an mir festhielt. Erst einmal reichte das aus, Hauptsache es ging aufwärts und sie kam wieder hier raus. Wenn wir dann endlich in Freiheit zusammen außerhalb dieser Mauern unterwegs waren und sie bis dahin immer noch keinen anderen guten Grund mehr dafür sah, weiterleben zu wollen, dann mussten wir da zwangsweise nochmal drüber reden. Vorerst spielte das aber mal noch keine so große Rolle. Vor allem deshalb nicht, weil ich selber ebenfalls noch weit entfernt davon war mein Leben ohne Faye nicht sofort ohne zu zögern in den Wind schießen zu wollen. "Gut, gut... das war schon alles, was ich hören wollte.", äußerte ich zufrieden. Gleich darauf folgten dann auch schon die beiden kleinen Küsse, die mich prompt noch breiter lächeln und einen kurzen Moment lang die Augen schließen ließen. So gut wie nichts könnte mir diesen Moment trüben und es war einfach ein wahnsinnig befreiendes Gefühl, mein einsames Herz aus der Quarantäne lassen zu können. Natürlich waren nicht all die Probleme, die unweigerlich noch hinter der nächsten Ecke auf Faye und mich warteten, plötzlich weg. Für heute wollte ich sie aber gerne so weit verdrängen, wie möglich war. Die Realität würde uns beide noch schnell genug mit voller Wucht wieder einholen. Zumindest ein paar Minuten bis Stunden lang unserer Liebe zueinander Luft zum atmen einzuräumen hatte Priorität. Das schüchterne Lächeln der zierlichen Brünetten, das noch immer nicht ganz verklungen war, als ich die Augen wieder öffnete, rahmte mir den Moment perfekt ein. Ich würde versuchen mich zukünftig nur an die schönen Momente unserer Wiedervereinigung zu erinnern. Außer es war unabdingbar, sich auch den unschönen Rest davon vor Augen zu halten. Auch dass Chelsea morgen selber entscheiden würde, ob sie noch ein paar Tage hier blieb oder nicht, war erstmal nicht so wichtig, solange ich Faye jeden Tag besuchen konnte und mir da Niemand dazwischenfunkte. Das verhinderten wir durch die nicht kollidierenden Besuchszeiten bereits erfolgreich, also reichte es für den Moment diese Worte einfach nur abzunicken, als ich gleichzeitig meine Hand nach Fayes Gesicht ausstreckte, um ihr mit dem Daumen zärtlich den Wangenknochen entlang zu streicheln. Ein paar wenige Sekunden sah ich sie dabei einfach nur schweigend an, bis ich den Kopf ein bisschen schieflegte und mein Blick nachdenklich wurde. "Wann hast du dir zuletzt mal ein schönes Kleid gekauft? Ich meine so ein richtig schönes... Eins, das man nur zu Anlässen trägt, die auch würdig sind.", spann ich meinen nur flüchtigen Gedanken wörtlich weiter. Die Frage wirkte völlig aus der Luft gegriffen... und im Grunde war sie das auch, wenn man nicht den Gedanken in meinem Kopf folgen konnte. Wahrscheinlich verstand Faye nicht, warum ich sie noch immer schön fand, obwohl die letzten Jahre sie so unverkennbar gezeichnet hatten. Es wurde Zeit, dass sich das wieder änderte.
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Das hatte sie schon angenommen, weshalb auch sie zufrieden weiter lächelte. Aryana würde sich zweifellos sehr über die Neuigkeiten freuen, weshalb auch das ein durchwegs schöner Gedanke war, mit dem sie sich gerne befasste. Gute Nachrichten waren sicher auch förderlich für den weiteren Verlauf des Einsatzes von Mitch und Aryana, einfach, weil ihre Schwester konzentrierter wäre, wenn sie sich keine Sorgen mehr machen musste. Faye hatte sich zwar immer wieder darum bemüht, dass Aryana darauf vertrauen konnte, sie nochmal lebend anzutreffen, weil sie nicht hatte riskieren wollen, am Ende auch noch Schuld an deren Unachtsamkeit in irgendeiner potenziell lebensbedrohlichen Situation zu sein, aber trotzdem war sie sich sicher, dass ihre Schwester sich zumindest ab und an Sorgen gemacht hatte. Wie das umgekehrt eben auch der Fall war, konnte sicher auch Aryana gegen diese Emotionen relativ wenig tun. Aber das Wissen, dass Faye nicht mehr aus dem Fenster springen wollte und Victor wieder bei ihr war, dürfte ungemein zur Beruhigung selbiger Gefühlslage führen. Noch so etwas, wofür sie Victor - zu allem anderen hinzu - wirklich dankbar war. Die Liste war lang und wurde immer länger... Sie sollte wohl die Tage mal irgendein Heft oder Buch anfordern, in dem sie festhalten konnte, wofür sie Victor irgendwann, wenn sie ordentlich dazu im Stande war, noch danken musste und wollte. Sie hatte zwar zuhause bereits eine ziemliche Sammlung von Tagebüchern, aber ob da nun noch eines mehr dazukam, spielte auch nicht wirklich eine Rolle, jetzt, wo die anderen für den Moment einfach ausser Reichweite waren. Die zarten Berührungen an ihrer Wange unterstrichen ihre ausgedehnten Gefühle der Dankbarkeit und Liebe nur noch und sie betrachtete weiter sein Gesicht, auch als sich darin eine andere Gefühlsregung abzeichnete. Die sich dann auch mit der folgenden Frage erklären liess, welche Faye im ersten Moment etwas die Stirn in Falten legen liess, weil sie sich nicht sicher war, eine Antwort darauf bereit zu haben. Ein richtig schönes Kleid..? Sie wusste weder, worauf er hier hinaus wollte, noch, wann sie sich sowas zuletzt gekauft hatte. Es brauchte eben meistens einen bestimmten Anstoss, ein solches Kleid zu kaufen, bevor man es sich einfach mal eben gönnte. Und sie musste tatsächlich ein gutes Stück in ihren Erinnerungen wühlen, um den letzten solchen Anstoss zu identifizieren. "Naja, hab ich... denn schonmal eins gekauft, seit wir uns kennen..?", stellte sie eine eher rhetorische Rückfrage, ohne dabei das Streicheln ihrer Hand auf seiner Haut einzustellen. Hatte sie nicht, soweit sie sich erinnern konnte. "Ich glaube... das letzte Mal war fast ein Jahr bevor ich nach Syrien gereist bin... Als meine damals beste Freundin überraschend geheiratet hat", legte Faye schliesslich einen Zeitpunkt fest, der gemäss ihren Überlegungen sogar der Wahrheit entsprach. Ninas Spontanhochzeit war tatsächlich ein guter Grund für ein schönes Kleid gewesen, aber eben auch irgendwie der letzte seiner Art für eine lange Zeit. Es waren eben gefühlt nur Hochzeiten und irgendwelche Beförderungen, Diplomfeiern etc. die den Kauf solcher Kleider rechtfertigten und davon gab es in den letzten Jahren nicht sonderlich viele. "Warum meinst du? Glaubst du, ich brauche ein neues Kleid?", fragte sie nun nach dem Grund seiner Gedanken, wobei sie doch leicht eine Augenbraue nach oben zog, als sie ihn anschaute. Sie sah momentan eher wenig Gründe für schöne Kleider, weshalb sie noch nicht wirklich dahinter sah, was er ihr denn sagen wollte. Ausserdem stellte sie sich auch den Kauf eines solchen Kleides wirklich schwierig vor, wenn sie etwas finden wollte, dass ihre Narben einigermassen kaschierte. Rückenfrei war keine Option, aber dank den neuesten Ergänzungen ihres Narbenrepertoires war Ausschnitt auch nicht mehr wirklich attraktiv... abgesehen davon, dass es ihr dafür im Moment auch eindeutig an Kurven fehlte. Vielleicht würden die sich ein zweites Mal erholen, mal sehen. Aber gerade waren sie, wie das letzte Mal auch schon, eben nicht wirklich ansehnlich. Und selbst wenn sie sich erholten, war da dieses Wort... Schwierig.
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Auf Fayes eher nur rhetorische Frage schüttelte ich schwach den Kopf. Nein, das hatte sie nicht, denn daran würde ich mich erinnern. In dem kurzen Urlaub von der Army damals hatte es keinen entsprechenden Grund dafür gegeben, da hatte der Fokus eher auf kleineren Familientreffen und auf unserer eigenen Erholung gelegen. Seit wir Syrien endgültig hinter uns gelassen hatten, hatte uns das Leben auch keine triftigen Gründe dafür gegeben. Oder aber wir hatten sie einfach nur nicht gefeiert, weil wir mental nicht bereit dazu gewesen waren. Wir hätten den Abschluss meiner Schulung und die damit erhaltene Lizenz feiern können. Oder Mitchs Rückkehr, wobei da natürlich sein reizbares Gemüt wenig zum Feiern eingeladen hatte. Vielleicht hätte ihm so ein gemeinsamer Abend - auch ohne schicke Klamotten - rückblickend betrachtet sogar geholfen. Vielleicht hätte er dadurch früher gemerkt, dass er bei uns trotz allem noch willkommen war und wir ihm keine Vorwürfe machten. Der Zug war allerdings abgefahren und das galt sicher auch für die eine oder andere weitere Gelegenheit zum Feiern. Sei es auch nur mit einem netten ruhigen Abend zu zweit in einem schönen Restaurant - Faye und ich schienen wirklich vollkommen vergessen zu haben auch die kleinen Erfolge zu zelebrieren. Dabei war genau das eines der Dinge, die man tun sollte, wenn man chronisch depressiv war und von Angststörungen betroffen war. Sich die guten Dinge vor Augen zu halten und festzuhalten, nicht die schlechten in den Mittelpunkt zu rücken und wochenlang daran zu knabbern.... "Wie vermutet ist es also schon viel zu lange her.", stellte ich überflüssig und ein bisschen sarkastisch fest, wobei sich an meinem nachdenklichen Gesichtsausdruck aber nicht viel änderte. Es lag wohl leider einfach auch zu großen Teilen daran, dass Fayes Selbstwahrnehmung sich stark verändert hatten in den letzten Jahren. Als Mann war es sicher etwas einfacher mit solch gut sichtbaren Narben klarzukommen. Es gab nicht wenige Frauen, die leichtfertig sagten eine Narbe hier und da bei Männern nicht schlimm zu finden - eher sogar im Gegenteil. Zwar hatte ich inzwischen deutlich mehr als nur ein, zwei Narben, aber dennoch lag allein schon durch die Einstellung der Gesellschaft weniger Druck auf mir, was die vernarbte Haut anging. Bei Frauen war das anders. Irgendwie wurde immer erwartet, dass sie absolut perfekt waren, quasi makellos. Fayes Narben ließen sich schwer verstecken. Zumindest in einem Kleid, das nicht mindestens kurze Ärmel hatte und insgesamt ziemlich hoch geschlossen war. Irgendwer würde sie sicher immer deshalb anstarren, ganz gleich wie sehr die Narben verjährten. Die an ihrem Rücken ragten vereinzelt bis auf die Schultern und würden bei ihr genauso wenig verschwinden wie bei mir. Sie waren zu tief, um sich so wie beispielsweise die dünne Linie an meinem Hals früher oder später fast gänzlich in Luft aufzulösen. Faye sollte sich nicht dazu verpflichtet und auch nicht wohler damit fühlen, die nicht perfekten Stellen ihres Körpers tunlichst zu verstecken. Sie sollte sich auch in der Öffentlichkeit endlich wieder wohlfühlen können, ich wünschte mir das wirklich für sie. "Es ist nicht so, als würde mir das aktuelle Sortiment in deinem Kleiderschrank nicht gefallen...", nahm ich erst einmal ein paar Worte vorweg, damit sie mich hier nicht falsch verstand. Es ging ja weniger um das Kleidungsstück an sich und mehr um den Gedanken dahinter. "Aber wir hätten wirklich öfter mal auch kleine Erfolge feiern sollen, das letzte Jahr über. Außerdem... wünsche ich mir wirklich für dich, dass du dich irgendwann wieder frei fühlen kannst. Egal was du anhast...", oder was sie eben auch nicht an hatte, beispielsweise bei einem Bikini am Strand. "Für mich wirst du immer die schönste Frau bleiben, Faye. Daran hat sich nichts geändert.", hängte ich wenige Sekunden später lächelnd an. Ließ die Hand nach einem letzten Streicheln über ihre Wange wieder sinken und strich dabei an ihrem Oberarm abwärts, bis meine Finger letztlich bei ihren ankamen. Natürlich hatten all die Narben unschöne Geschichten und ich erinnerte mich noch bestens daran, wie ich heulend hinter Faye gestanden hatte, als sie mir ihren Rücken das erste Mal gezeigt hatte, damals in der Klinik. Aber die Geschichten hinter den tiefen Hautverletzungen verschwanden auch nicht, wenn man sie zu verstecken versuchte. Sie blieben trotzdem da. Es war ein unnötiger, zusätzlicher Käfig, in den Faye sich mit der Vertuschung der Narben steckte. Nur ein unsichtbares Gerüst mehr, dass sie daran hinderte die Engelsflügel nach so langer Zeit endlich wieder auszustrecken.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
oooohhh da war auch ein komplettes Makeover fällig ô.ô ________________
Sie hatte sich das noch gar nie so überlegt, aber eigentlich war es schon ein Bisschen traurig oder zumindest schade, dass sie noch nie gemeinsam etwas gefeiert hatten, das schöne Kleider ihrer Ansicht nach gerechtfertigt hätte. Denn im Grunde putzte Faye sich gerne raus und zog sich auch gerne schön an. Jedenfalls hatte sie das früher gerne getan, das mit dem schön anziehen war über die Jahre eben etwas schwieriger geworden. Dass sie sich diesen Sommer zwei-drei Mal in ein bauchfreies Oberteil gewagt hatte, war bisher eben das höchste der Gefühle und das hatte sie wohl auch nur getan, weil die Narben sich auf ihrem unteren Rücken nur vereinzelt abzeichneten und dort auch nicht so sehr auffielen wie oben, wo sie für mehr Leute so deutlich auf Augenhöhe lagen. Also ja, Victor hatte Recht - die sehr schönen Kleider lagen leider wirklich weit zurück. Und je mehr Worte er zu ihr sprach, umso klarer wurde ihr auch, worauf er hinauswollte und Faye senkte langsam den Blick. Dass sie öfter hätten feiern sollen war ein Punkt, da war sie ganz bei ihm, jetzt wo er es sagte. Und das konnten sie sich auch gerne für die Zukunft vornehmen; Dass sie aufhörten, auf die perfekten Augenblicke zu warten, sondern endlich auch unperfekte Augenblicke nahmen, um sie dann auf ihre Art perfekt zu machen. Ihre Selbstwahrnehmung war aber leider ein ganz anderes Paar Schuhe. Sie biss unsicher auf ihrer Unterlippe herum, warf ihm nochmal einen kurzen, zögerlichen und fast etwas ungläubigen Blick zu, als er beteuerte, sie für immer als schönste Frau zu sehen. Es war einfach... wirklich schwer zu glauben. Dass er sie für immer lieben würde war eine Sache, Liebe war nicht rational und Liebe hatte auch nichts mit dem Aussehen zu tun - zumindest nicht langfristig. Aber Schönheit... War ein anderes und sehr schwieriges Thema, jetzt mehr denn je zuvor. Sie redete auch nicht gerne mit ihm - oder irgendwem - über ihr Selbstbild, weil sie wusste, dass er ihr nicht zustimmte und es vielleicht auch nicht ganz verstand. Weil vielleicht auch nicht alles, was sie dachte, Sinn ergab. Das war gut möglich, sie durfte ja allgemein mal wieder ziemlich oft an ihrem Verstand zweifeln. Aber sie war nicht jemand, der nach Komplimenten fischte, indem sie ständig betonte, wie hässlich sie war oder so. Im Gegenteil, sie versuchte viel mehr, einfach kein Wort darüber zu verlieren, weil sie eben nicht darüber reden wollte. Weil sie die Narben versteckte, um sie nicht zum Thema zu machen. Nur dass Victor längst hinter dieses Verhalten gesehen hatte und wusste, was sie damit wirklich tat. Dass sie diese Kleidung nicht nur trug, weil sie bequem war und ihrem Stil entsprach. Faye gab ein tiefes Seufzen von sich und hatte ihren Kopf wieder an seine Brust gebettet, starrte zum Tisch rüber, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, nur, dass sich der Druck auf ihrer Brust schon wieder unangenehm verstärkt hatte. Sie schwieg deswegen auch erneut eine ganze Weile, versuchte das Gesagte zu verarbeiten und sich einen vernünftigen Reim darauf zu machen. Was schwer war, wie fast alles eben. Ihre Finger schlossen sich automatisch um seine Hand, als diese bei der ihren angekommen war und sie strich unregelmässig über seinen Handrücken. "Wir sollten... wirklich öfter das Leben feiern... sobald wir wieder frei sind... oder eben dazu in der Lage", kommentierte sie zuerst den einfacheren Teil seiner Worte, den, bei dem sie ihm bestens folgen konnte. Dann legte sie erneut eine Pause, gefolgt von einem weiteren angestrengten Seufzen ein. "Vielleicht... vielleicht hilft ja die Therapie... diesmal auch dafür... Wenn ich mir Mühe gebe...", versuchte sie sich zögerlich optimistisch zu zeigen, obwohl sie nicht wirklich war. Und wenn sie es letztendlich nur für ihn tun würde, weil sie ganz genau wusste, dass das verdammt anstrengend wurde und tausend Liter Tränen kosten würde. Sie ertrug die Blicke auf den Narben einfach nicht, darum hatte sie sich bisher immer möglichst gut verpackt. Es machte sie kaputt und bis sie den Schild aufgebaut hatte, den sie brauchte, um unter den Blicken nicht mehr einzugehen, würde es sehr viel Zeit und sehr viele Nerven, sehr viel Wille und sehr viel Kraft brauchen. Letztendlich hob sie den Kopf aber doch nochmal, um ihn anzuschauen und seine Gesichtszüge zu mustern. "Aber danke, das... das bedeutet mir wirklich viel, Victor... auch wenn ich es... vielleicht nicht immer verstehe...", meinte sie ehrlich und hauchte einen zarten Kuss auf seine Hand, die nahe ihrem Gesicht lag. Eigentlich sollte es ja auch die einzige Meinung sein, die sie interessierte. Seine, und ihre Eigene. Nur waren sich diese beiden Meinungen leider noch nicht so ganz einig, bis sie vielleicht irgendwann erfolgreich aus einer Therapie hinaus gehen und behaupten konnte, sich schön zu finden. Oder sich zumindest nicht mehr für die Narben zu interessieren... Das wäre auch schon was.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Jep, es war mal wieder soweit... zwar hält Victors Banner es immer deutlich länger aus als Mitchs', aber verschont bleibt er am Ende ja doch nie. XD _____________
Der Punkt, den ich angesprochen hatte, schien ganz genau so wund zu sein, wie ich es befürchtet hatte. Es war eben leider auch nicht gerade schwer zu sehen, wenn man die junge Frau jeden Tag vor Augen hatte. Man beiläufig im Augenwinkel immer wieder merkte, wie sie unnötig viel an einem Oberteil herumzupfte, nur um ganz sicher zu sein, das nichts Unangenehmes für Andere zu sehen war. Es war daher wohl auch wenig überraschend, dass die zierliche Brünette gleich wieder ein Stück zurück in ihr Schneckenhaus kroch und sich nicht wenig Zeit dafür nahm nach einer einigermaßen passenden Antwort zu suchen. Bis auf den ersten Teil, in dem es darum ging, dass wir uns künftig wirklich mehr darum bemühen sollten, das Leben auch mal zu genießen, waren wir beide uns wohl auch leider nicht besonders einig. Es war nicht so als hätte ich wirklich etwas anderes erwartet, weil ich ja wusste, wie es um Fayes Selbstwertgefühl bestellt war. Dass es ordentlich unter all den Strapazen hatte leiden müssen. Trotzdem war es nicht sonderlich angenehm zu hören, wie schlecht es um das Gefühl für ihre eigene Person wirklich stand. Ich hatte mich sonst immer damit zurückgehalten, irgendwas dazu zu sagen. Schließlich wusste ich - zumindest bis zu einem gewissen Grad - wie das war und ich hatte lange gebraucht, bis ich meinen vernarbten Rücken irgendwann wirklich so hingenommen hatte, wie er nun eben aussah. Sicher zwei oder sogar drei Jahre, so genau wusste ich es nicht mehr. Im Gegensatz zu Faye hatte ich damals aber schon Niemanden mehr an meiner Seite gehabt, der aufrichtig beteuerte, sich an den Narben nicht zu stören. Ich würde also wenigstens versuchen positiv dazu beizutragen, dass sie sich irgendwann wieder wohl in ihrer Haut fühlen konnte - vom Kopf bis zum kleinen Zeh. "Dann kommt das wohl auch auf die Liste mit Dingen, die wir dringend ändern müssen.", murmelte ich hinsichtlich der Zukunftspläne. Es war eben schlichtweg eines der Dinge, die wir wirklich besser hätten machen können. Man sollte dieselben Fehler bekanntlich nicht zweimal machen. Als Faye dann eine Weile später den flüchtigen Kuss auf meine Hand hauchte, blieb mein Blick noch etwas länger auf genau dieser Stelle kleben. Im Gegensatz zu Faye verkniff ich mir ein Seufzen aber ganz bewusst. "Ich versteh' dich schon, Faye... mir ging's damals nach meinem ersten Einsatz in Syrien nicht wirklich anders mit den Narben.", dachte ich laut weiter nach, ohne den Blick erneut von meiner Hand anzuheben. Das lag allerdings überwiegend daran, dass ich für ein paar Sekunden an meine damaligen Freunde dachte, die allesamt in Särgen zurück in die Staaten geflogen waren. Ein Gedanke, den ich liebend gerne gleich wieder beerdigte. "Wenn die Therapie dir nicht hilft, dann werd' ich's tun... auch wenn ich dir täglich alles aufzählen muss, was an dir schön ist oder ich dir jeden Tag ein neues Kleid kaufen muss, bis irgendwann eins dabei ist, dem du nicht widerstehen kannst...", sinnierte ich weiter und auch wenn im zweiten Abschnitt durchaus etwas Sarkasmus zu hören war, meinte ich das eigentlich todernst. Ich würde wahrscheinlich wirklich ausnahmslos alles tun, das Faye dabei helfen konnte, ihren eigenen Wert wieder zu sehen und auch zu schätzen. Koste es was es wolle. Es zogen ein paar schweigsame Sekunden meinerseits ins Land, bis ich den Blick schließlich wieder in Fayes Gesicht anhob und bewusst über ihre schmalen Finger zu streicheln begann. "Ich will nur sagen, dass du das im Gegensatz zu mir damals nicht alleine hinkriegen musst. Also wenn ich dir irgendwie dabei helfen kann... dann sag's mir bitte, auch wenn's dir schwerfällt.", je länger ich redete, desto leiser wurde ich. Es war für mich nachvollziehbar, dass Faye mir nicht recht glauben zu können schien, dass sie in meinen Augen noch immer makellos war. Allein deswegen schon nicht, weil sie damals in der Klinik den kurzen Eifersuchtsanfall hingelegt hatte und schon damals der Meinung gewesen war, dass ich doch was besseres als sie haben könnte. Sie hatte schon zu jenem Zeitpunkt nicht mehr viel von sich selbst gehalten und jetzt waren noch mehr neue Brandmarken unseres beschissen holprig verlaufenden Lebens dazu gekommen. Niemals aber würden mich ihre schier unendlich großen Zweifel in meiner Meinung beirren.
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Man kennts... Irgendwann kann mans doch nicht mehr anschauen. xD _____________
Ja, falls er eine solche Liste führte, durfte er diesen Punkt gerne anfügen. Und wenn nicht, dann mussten sie es sich eben merken, was wohl auch drinliegen sollte. Jetzt, wo sie ungewollt schon wieder an einem Wendepunkt im Leben angekommen waren, konnten sie sich ja getrost darum bemühen, die ungewisse Zukunft besser zu gestalten als ihre Vergangenheit es gewesen war. Wahrscheinlich hatte sie eh keinen Job mehr, wenn sie hier raus kam... Es sei denn, ihr Arbeitgeber zeigte sich endlos sozial und gab ihr tatsächlich noch eine Chance - aber sie hielt das momentan für eher unwahrscheinlich nach allem, was passiert war. Und eine neue Wohnung mussten sie ebenfalls suchen. Und Victor wahrscheinlich auch einen neuen Job, so wie das damals geklungen hatte. Aber allzu sehr wollte sie sich über all diese Dinge noch nicht den Kopf zerbrechen, waren das doch alles Sachen, die ebenfalls sehr viel Geduld und Kraft kosten konnten. Je nach dem wie viel Glück sie bei der Suche eben begleitete. "Führst du schon eine Liste?", fragte sie ihn nun doch noch aus reiner Neugier. Falls doch, durfte er diese Liste aber vielleicht besser noch eine Weile für sich behalten, denn sie war sich nicht ganz sicher, inwiefern der Anblick eines Berges von Arbeit sie momentan motivieren oder eben eher erschlagen würde. Wahrscheinlich verzichtete sie lieber noch einen Moment darauf, bis sie zumindest ansatzweise wieder mit sich selbst klar kam. Dass es da an allen Ecken und Enden haperte, zeigte sich gerade relativ deutlich... Als Victor wieder zu reden anfing, verlor sich ihr Blick nachdenklich zurück im Nichts. Sie fand seine Narben aus dem Krieg auch nicht schlimm... Natürlich hatte er eine Menge davon - wie das eben so war, wenn man zu nah bei einer explodierenden Bombe gestanden hatte und dann fast gestorben wäre. Aber es waren nur Narben und sie zeigten, was er überlebt hatte. Und ihr war es viel wichtiger, dass er bei ihr war und sie einander damals gefunden hatten, als wie sein Rücken oder auch der Rest seines Körpers denn nach einem Auslandeinsatz in der Army aussah. "Deine Narben waren wohl mit der Grund, dass wir damals überhaupt erst mit den Massagen angefangen haben...", merkte sie einen Gedanken an, der ihr gerade so gekommen war. Seine Narben in Kombination mit seinem Trauma und dem ungesunden, konstanten Stresslevel im Krieg. Nein, an diesen Narben hatte sie sich in der Tat kein einziges Mal gestört. Was die neueren Narben anging, war das vielleicht ein Bisschen anders. Aber die Verbrennung an seinem Arm störte sie auch nicht, weil sie nicht schön anzusehen war, sondern hauptsächlich darum, weil sie sich bisher eben noch die Schuld dafür gab. Wenn sie sich das abgewöhnen konnte - irgendwie - dann wäre auch das einfach nur noch ein Teil von ihm, den sie liebte wie alles andere. Also ja, zusammengefasst kam sie mit seinen Narben doch sehr viel besser zurecht als mit ihren eigenen. Und sie verkniff sich Argumente wie deine Narben sehen auch nicht so schlimm aus oder bei dir weiss auch nicht zwangsläufig jeder, was passiert ist, wenn er deinen Rücken sieht, lieber, weil sie wusste, dass das Argumente waren, die ihr Kopf für sie kreiert hatte. Allein zum Zweck ihren Hass auf sich selbst zu rechtfertig. "Das musst du nicht tun, Victor... ich.. ich krieg das hin, irgendwie...", erklärte sie bemüht überzeugend, strich wieder mit den Fingern über seine Hand. Sie wollte ihm ja nicht noch mehr Mühe machen als sie das sowieso schon ständig tat. Ausserdem würde es niemals so lange dauern, über die Zweifel hinweg zu kommen, dass er sie nicht mehr schön finden könnte, als dass es dauern würde, ihr eigenes Selbstbild zu kitten und sich selbst wieder schön zu finden. Oder sowas in der Art, es musste ja nicht gleich schön sein. Sich selbst zu akzeptieren, wie sie nunmal aussah, wäre schon ein guter Schritt in die richtige Richtung. Ihre Augen trafen auf seinen Blick, als er sie wieder anschaute, um erneut ein paar Worte zu sagen. Sie wusste wirklich nicht, wie er ihr dabei helfen sollte... Aber vielleicht fiel ihr ja irgendwann was ein. Wenn sie sich erstmal ausreichend selbst den Arsch aufgerissen hatte - denn das musste sie ganz dringend. Sie wollte nicht, dass Victor immer so viel mehr leisten musste als sie, dass er ständig die treibende Kraft hinter aller Verbesserung sein musste, weil sie sich wie ein Segelboot aus Papier ständig von Wind und Wellen hin und her schubsen liess und über keinen eigenen Antrieb verfügte. Sie konnte ihr Leben nicht davon abhängig machen, dass Victor sie schon jedes Mal irgendwie rettete, das war nicht fair gegenüber ihm. Er war nicht dafür verantwortlich, dass sie wieder hochkam, das war ihre ganz eigene Sache und sie sollte sich endlich auch entsprechend verhalten. Sonst würde er nämlich irgendwann auch nicht mehr können und sie würden beide elendig untergehen, weil er sich trotzdem weigern würde, sie loszulassen. "Danke... das... das bedeutet mir alles wirklich viel. Ich werd' mein Bestes geben... und wenn mir was einfällt, sag ichs dir auch", versprach sie, kuschelte sich wieder enger an seinen Körper, um ihnen beiden die Sicherheit zu geben, dass sie sich an diese Worte halten würde. Erstmal müsste sie sich wohl darum kümmern, dass er überhaupt das volle Ausmass ihrer neuesten Narben begriff. Aber das musste noch ein Bisschen warten. Vielleicht ein paar Tage, vielleicht auch Wochen - je nach dem, wann sie glaubte, dass er mit dem Anblick und sie mit der Reaktion klar kamen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich nickte Fayes Frage nach der Liste erst nach ein paar Sekunden ab, was vielleicht dumm war. Es machte ein bisschen offensichtlich, dass ich erst kurz darüber nachgedacht hatte, ob ich ihr das nun sagen wollte oder nicht. Dass ich die Gefahr abwägte, ob sie danach weiter nachhaken würde und ich ihr noch mehr Dinge vor Augen halten musste, die ihr Herz nur zusätzlich schwer ließen werden. Aber genau darum ging es, oder? Dass wir endlich damit aufhörten, den jeweils anderen ununterbrochen vor den grausigen Fakten der Realität schützen zu wollen. Das ging langfristig halt auch einfach nicht, wie uns der verheerende Zusammenstoß mit Seans Geschwistern unschön vor Augen hielt. Natürlich war das ein absolutes Worst Case Szenario und nicht jeder Mensch, dem wir auf den Schlips traten, würde als Rache zu Folter übergehen, aber passieren konnte sowas offensichtlich trotzdem. "Ja, steht aber noch nicht viel drauf.", ließ ich sie murmelnd wissen und sah für einen Moment lang über sie hinweg. Das war die Wahrheit und mit Glück machte die Tatsache, dass die Liste noch nicht unendlich lang war, sie ein bisschen uninteressanter. Ich war nämlich selber nicht wirklich bereit dazu hier und heute schon über all die leichtsinnigen, fatalen Fehler zu sprechen, die wir im letzten Jahr gemacht hatten und das auch noch ohne es zu bemerken. Meine Narben hatten wohl wirklich einen Teil dazu beigetragen, dass wir beide uns näher gekommen waren. Ich erinnerte mich noch daran, wie ich Faye damals nach Mitteln gegen Phantomschmerz gefragt hatte und sie mir genauso wenig hatte helfen können wie die Ärzte zuvor. Die Massagen hatten aber gut getan. Hatten die Verspannungen gelindert und in Kombination mit unserer lockeren Gesprächen - und Kitzelattacken - deutlich dazu beigetragen, dass mein Stresslevel zumindest spürbar gesunken war. Dass ich auf andere Gedanken gekommen war, obwohl mich an gefühlt jeder Ecke des Krieges irgendwas an die Explosion erinnert hatte. Faye hatte Wunder gewirkt. "Ja, das stimmt...", pflichtete ich ihr bei und sah zu ihr runter, musterte schwach lächelnd erneut ihr Gesicht. "Das ist aber nüchtern betrachtet auch das einzig Positive, das sie bewirkt haben. Bleibt abzuwarten, ob der Phantomschmerz noch zurückkommt... oder ob ich den tatsächlich hinter mir gelassen habe.", hängte ich leiser an, wobei meine Mundwinkel sich prompt nach unten verabschiedeten. Es folgte noch ein schwaches Schulterzucken. Ich schätzte meine Chancen auf letzteres allerdings eher schlecht ein. Die Schmerzen waren schließlich an meine Psyche gekoppelt, nicht an meine körperliche Verfassung. Ich meinte mich auch flüchtig daran zu erinnern, dass das Stechen der längst verheilten Narben in der Scheune schon kurz zu spüren gewesen war. Da konnte ich mich theoretisch jedoch irren. Ich glaubte auch nicht, dass es meine Narben unbedingt gebraucht hatte, damit Faye und ich uns näher gekommen waren. Ohne sie hätte es wahrscheinlich länger gedauert, weil wir uns dann deutlich weniger schnell auf körperlicher Ebene kennengelernt und uns sicher sehr viel weniger angefasst hätten, aber die seelische Verbindung wäre auch ohne die Massagen da gewesen. Wir hatten den Prozess dadurch also nur gekonnt rasant beschleunigt. Ich wusste, dass ich Faye mit ihrem Problem mit sich selbst nicht zwangsläufig helfen musste, aber ich wollte es gerne. Sofern es denn irgendetwas gab, womit ich sie unterstützen konnte. "Das glaube ich dir auch, Faye.", bestärkte ich die Brünette vorab erstmal in ihren Worten. "Und es ist natürlich auch wichtig, dass du das... vor allem mit dir selbst wieder gerade biegst. Aber das heißt nicht, dass du nicht hier und da ein bisschen Hilfestellung annehmen kannst, um es dir leichter zu machen. Ist sicher ohne schon schwer genug...", redete ich weiter und begann vorsichtig mit ihrem Zeigefinger zu spielen. Als Faye sich dann noch mehr bei mir zu verkriechen begann als ohnehin schon, stellte ich die kurze Spielerei jedoch wieder ein und löste meine Hand von der ihren, um sie stattdessen mit meiner anderen zu verbinden. Faye mit meinen beiden Armen zu umschließen und ihr nur mit den unverschränkten Daumen sanft über die Seite zu streicheln, tendenziell weiterhin etwas übervorsichtig. Dann beugte ich mich erneut zu ihr runter und hauchte den nächsten Kuss auf ihr Haar, bevor ich für einige stille Sekunden lang die Augen zumachte. Mir währenddessen vehement weiter einredete, dass alles wieder gut und besser denn je werden würde, wenn wie beide uns nur genug anstrengten. Das musste es einfach.
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Es dauerte zwar einen Moment, aber Victor bestätigte ihre Vermutung tatsächlich mit einem Nicken. Wobei sein Zögern auch irgendwie offenlegte, dass er sich lieber nicht mit ihr über die Liste unterhalten wollte - zumindest nicht jetzt. Das wiederum passte ganz gut zu ihren eigenen Gedanken darüber, dass sie die Liste vielleicht besser nicht - oder jedenfalls noch nicht - zu sehen bekam, bis sie mit dem bisherigen Teil der bevorstehenden Seelenarbeit einigermassen klar kam. Bis zu seinem heutigen Besuch hatte sie immerhin überhaupt nicht mehr kämpfen wollen und so viel Kraft, wie sie benötigen würde, um sich einem noch gewaltigeren Berg Arbeit zu stellen, konnte nichtmal seine Anwesenheit und das Wissen, dass er ihr nicht böse war und ihr nicht die Schuld an allem zuschrieb, generieren. Darum schwieg auch sie auf diese Bestätigung zuerst nachdenklich, leicht verunsichert vor sich hin. Weil sie sich weder sicher war, wirklich wissen zu wollen, was er sich denn nun schon alles ausgedacht hatte, noch ob er überhaupt mit ihr teilen wollte, was er niedergeschrieben hatte. Letztendlich beschränkte sich ihre Antwort also auf ein schwaches, einfaches Nicken und ein paar mehr nur genuschelte Worte. "Okay... Vielleicht kannst dus mir ja irgendwann erzählen... Wenn du willst...", gab sie beinahe diplomatisch von sich, wobei allein der Klang ihrer Stimme gut genug verriet, dass sie mit irgendwann definitiv nicht heute meinte. Dass er die restlichen Punkte, und wenn es auch noch nicht viele waren, mit ihr teilen würde, machte aber im Grunde durchaus Sinn, falls auch diese wie angedeutet ihre Beziehung betrafen. Immerhin hatten sie bereits darüber geredet, dass die Arbeit an ebendieser Beziehung nur dann Erfolg versprach, wenn sie sich beide gemeinsam ins Zeug legten. Dass er seinen Narben nicht unbedingt viel Positives abgewinnen konnte, war verständlich. Ihr würde zu diesem Zeitpunkt nämlich ganz genauso wenig Weiteres einfallen, wie ihm. "Ich hoffe für dich, dass du noch ein Bisschen Ruhe davon behältst... Aber sonst solltest du wissen, dass ich jederzeit für eine Massage zur Verfügung stehe. Also egal ob die Schmerzen zurückkommen oder nicht. Bin nur vielleicht etwas aus der Übung, aber das sollte nicht zu lange anhalten...", liess sie ihn wissen, dass sie mit dem was im Rahmen ihrer Möglichkeiten stand, immer für ihn da wäre. Und wenn eine Massage auch nicht wirklich viel gegen Phantomschmerzen verrichten konnte, so würde sie es jedenfalls auch diesmal nur zu gerne versuchen. Denn genau wie er so war auch sie ständig darauf erpicht, zu helfen wo sie konnte, ihm irgendwie unter die Arme zu greifen, sobald sich eine Möglichkeit dazu auftat. Auch sie wollte, dass er seinen Rucksack nicht alleine tragen musste, ganz egal wie lächerlich ihr Hilfeangebot letztendlich aussah, während sie durch ihren eigenen Ballast kaum Kapazität anbieten konnte. Faye nickte wieder, als er ihr daraufhin erneut versicherte, ihr mit sich selbst helfen zu wollen, falls sich dazu eine Möglichkeit auftat. Und sie würde sich auch melden, falls sich eine Idee entwickeln würde, wie er hierbei tatsächlich mehr als nur Zuschauer sein konnte. Aber für den Moment fiel ihr nichts ein und sie wollte auch lieber nicht weiter darüber nachdenken, während er hier war. Vielleicht war das wieder eine dumme Verdrängungstaktik, die eben genau nicht dem entsprach, was er sich von ihr wünschte... Aber zumindest die kurze Zeit, die sie gerade miteinander hier liegen konnten, wollte sie nicht mit weiteren dieser toxischen Gedanken verseuchen. Sich lieber ein Bisschen in seiner Umarmung sonnen, da, wo die Welt doch eigentlich in Ordnung sein musste. Sie tat es ihm gleich und schloss ebenfalls die Augen, als sie seinen heilenden Kuss spürte, schwieg eine undefinierbare Zeit zwischen einigen Sekunden und einigen Minuten lang vor sich hin. Vielleicht wäre sie sogar eingeschlafen, wenn sie länger still dagelegen und dabei darauf gewartet hätte, dass ihre Herzen den gleichen Takt fanden und endlich wieder synchron zu schlagen begannen. Aber da war noch eine Sache, die sie zu diesem Thema loswerden wollte, für die sie aber nichtmal die Augen wieder aufschlug. "Aber du musst auch... sagen, wenn ich dir... bei all denn Sachen, die du mit dir rumträgst, helfen kann, okay..? Das ist mir wirklich wichtig... Ich möchte nicht, dass diese ganze Last so... so ungleichmässig verteilt ist...", bat sie ihn im Gegenzug um eigentlich genau dasselbe. Dass er nicht versuchte, Schlachten alleine zu kämpfen, die für sie beide gedacht waren.
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Was Fayes nächste Bemerkung hinsichtlich meiner bisherigen Notizen anging, folgte meine Reaktion darauf merklich zügiger. "Ja, natürlich... das will ich auch. Nur... nicht unbedingt so gern jetzt im Moment.", murmelte ich in ihr Haar. Wir mussten schließlich auch nicht alles, was wir bisher so schön verkackt hatten, unbedingt heute schon ansprechen, geschweige denn bereinigen. Es würde eine Menge Zeit brauchen uns von unseren alten Verhaltensmustern zu distanzieren und etwas umzudenken, da kam es auf zwei bis drei Tage mehr oder weniger jetzt auch nicht an. Natürlich sollten wir es auch nicht ewig weiter aufschieben, aber ich wollte meinen ersten Besuch hier eben nur sehr ungern gleich mit solchen Themen belasten. Faye hatte auch so schon genug Input gekriegt und konnte sich auch ohne weitere Hinweise auf Mängel schon ausreichend lange den Kopf zerbrechen. Da würde die Zeit bis zu meinem morgigen Besuch kaum reichen. Was künftige Massagen anging wäre ich im Grunde auch jetzt schon dazu bereit, dafür brauchte es nicht einmal die böse stichelnden Narben. Es hing mir noch immer in den Knochen, dass ich einige Tage im Bett verbracht hatte und ich fühlte mich besonders morgens nach dem Aufstehen oft noch steif. Meistens verliefen sich die Verspannungen in meinen Schultern tagsüber dann irgendwo im Sand und ich nahm sie nicht mehr so bewusst wahr, aber weg waren sie ja doch nicht. Das würde ich bestimmt auch merken, wenn ich mich dann aus dem Bett hier erheben musste, weil das Ende der Besuchszeit erreicht war. "Ich fürchte darauf werd' ich so oder so zurückkommen müssen, wenn sich meine Muskeln nicht wie durch ein Wunder von selbst entspannen. Das ewige Rumliegen hat nicht grade gut getan.", seufzte ich leise, ohne bis dahin das Streicheln an ihrer Taille einzustellen. Dass mein Glaube an sowas wie glückliche Zufälle inzwischen quasi nicht mehr existent war, brauchte ich nicht zu erwähnen. Es war alles insgesamt schon ein bisschen besser geworden, seit ich mit den Krücken selbst gehen konnte und mich demnach insgesamt mehr bewegte als vorher. Jedoch konnte selbst die Physiotherapeutin mir damit nur begrenzt helfen, weil es schlichtweg in den verordneten Stunden nicht mehr abgedeckt war. Ab und zu wenn noch 5 Minuten vom Training übrig waren und alles andere schon abgeschlossen war, ja - dann erbarmte sie sich gerne dazu, mir die Schultern zumindest flüchtig aufzulockern. Wenn ich hingegen eine wirklich ausgiebige und auch wirkungsvolle Massage haben wollte, dann müsste ich dafür noch extra separat eine buchen und das dann selbstverständlich auch aus meiner eigenen Tasche bezahlen. Da lebte ich dann doch lieber vorerst weiter mit den hier und da zwickenden Muskeln. Es machte halt wahrscheinlich auch einen Unterschied, ob man nur fliegengewichtige 60 Kilo wog, oder man an den zwei Metern kratzte und einen täglich eher 85 Kilo in die Matratze drückten. Wobei es inzwischen wahrscheinlich ein bisschen weniger war, weil meine Muskeln zwangsläufig angefangen hatten sich abzubauen. Alles in allem gefiel mir auch einfach der Gedanke daran mit Faye wieder zu den Massagen zurückzukehren - einen kleinen Schritt zurück zum Ursprung zu machen. Die zierliche Brünette äußerte sich dann auch noch hinsichtlich der Verteilung unseres Gesamtpakets an Sorgen und Problemen und ich sollte mir wirklich zu Herzen nehmen, was sie sagte. Ich wusste nämlich leider sehr gut, dass ich dazu tendierte, ihr so viel wie möglich abnehmen zu wollen. Nur, um am Ende dann selbst beinahe unter der gesamten Last zusammenzubrechen. Das war ungesund und eines der Dinge, an denen ich arbeiten musste - ich musste zukünftig irgendwie die Waage halten und durfte ihr nicht zu viel helfen, so blöd das auch im ersten Moment klingen mochte. "Ja, das werde ich. Versprochen... auch wenn's mir wahrscheinlich genauso schwerfällt wie dir.", versicherte ich ihr auch mein eigenes Verhalten in dieser Hinsicht zukünftig besser unter die Lupe zu nehmen. Es eben auch zu sagen, wenn ich Hilfe brauchte und nicht ständig alles alleine zu machen - angefangen mit den schon angekündigten Massagen, die ich dankend annahm. Die konnten aber noch warten, bis Faye ein bisschen fitter war. Zumindest war ich mir recht sicher damit, dass das jetzt im Moment noch sehr anstrengend für sie wäre.
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