Natürlich hatte sie gewusst, dass dieser Versuch höchstwahrscheinlich scheitern und Riley sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen würde. Und doch zerbrach das kleine Stückchen Hoffnung, an welches sie sich festgekrallt hatte, ganz besonders schmerzhaft, bei den vernichtenden Worten ihrer Gegenspielerin. Denn diese tat nicht nur ihren Vorschlag ab als wäre er nichts, sondern wies sie indirekt darauf hin, dass sie sie nicht einfach über die nächste Klippe in den Tod schmeissen würden. Mindestens einer von ihnen würde leiden, was zwangsläufig dazu führte, dass sie beide ein weiteres Mal brechen würden. Und die Vorahnung sah ganz genau so aus wie damals, weshalb Faye auch alle weiteren Worte im Hals stecken blieben und sie die Brünette nur noch mit an Panik grenzender Verzweiflung anblickte. Der Weg zum Auto war eigentlich nicht besonders lang, aber mit ihrem drehenden Kopf und der ständigen Suche nach einem letzten Ausweg, zog er sich doch ein ganzes Stück dahin. Ihre Augen versuchten irgendwo den Polizisten auszumachen, in einer Ecke mit dem Funkgerät am Ohr und gezückter Waffe oder draussen auf einem Rundgang. Aber er war wie vom Erdboden verschluckt und das obwohl sein Auto noch immer gut sichtbar neben dem Haus geparkt stand. Warum? Faye hatte fast schon damit gerechnet, irgendwo über seine blutende Leiche zu stolpern, aber scheinbar war er nicht tot. Nur irgendwie... weg. Im einzigen Moment, in dem sie ihn so dringend gebraucht hätten. Draussen war es kalt und im Transporter war es nicht wärmer. Das kalte Metall des Autos schmiegte sich ungebeten an ihre nackten, von einer Gänsehaut überzogenen Beine und der Strick, der kaum etwas dazu beitragen dürfte, dass sie nicht an allen Seiten gegen die Kanten knallte, machte die Sache auch nicht bequemer. Aber das war nicht zu erwarten gewesen und auch nicht annähernd ihr Hauptproblem. Das waren nämlich weiterhin Riley und ihre beiden Gefährten, die sie hier ziemlich unvorsichtig irgendwo in die Ferne chauffierten. Es war nicht so, als möchte sie Victor wirklich anschweigen hier drin, aber es war sehr schwer, Worte zu finden, die hier ausgesprochen werden sollten. Das Einzige, was sie ihm gerne wieder und wieder gesagt hätte, war, wie leid es ihr tat. Aber irgendwie auch nicht, weil er das sowieso längst wusste und 'es tut mir leid' eine sehr billige Aussage war, wenn man die Konsequenzen ihrer Taten betrachtete. Ausserdem war ihr schlecht und sie wusste nicht, ob sie überhaupt einen Ton über die Lippen bekam, seit Riley sie zum Schweigen gebracht hatte. Sie fühlte sich rundum elend und egal wie viele Sekunden und Kurven sie zählte, nichts lenkte sie von dem innigsten Wunsch ab, Victor irgendwie vor dem zu retten, was die drei Wahnsinnigen hinter der Frontscheibe vorhatten. So kehrte erst dann wieder ein Bisschen Leben in ihre zitternden Glieder zurück, als der Wagen plötzlich hielt und sie ihr Ziel erreicht zu haben schienen. Sofort richtete sie sich ein Stück weit auf, um dezent unbeholfen ohne Hände dafür zu sorgen, dass das verrutschte Nachthemd wieder etwas mehr als zwei Zentimeter ihrer Oberschenkel abdeckte. Das wäre allerdings kaum nötig gewesen, da sie gleich darauf auf die Füsse gezerrt und nach draussen geschickt wurde, in diesem Zug natürlich allein deshalb nicht den Metallboden küsste, weil der zweite Kerl sie auffing und nach draussen riss. Der folgende Rundumblick schaffte es leider nicht, ihr irgendwelche nützlichen Informationen zu beschaffen, welche sie ihrem Orientierungssinn hätte füttern können. Es war eben auch ziemlich dunkel und die Umgebung dezent einsam. Sie war sich ziemlich sicher, nie zuvor hier gewesen zu sein und wenn doch, so würde es nichts daran ändern, dass die Scheune sich bestens für den Zweck einer eigenen kleinen Hölle eigene. Der Mann, der sie aus dem Auto gezogen hatte, schob sie nun vor sich her in Rileys Richtung und kaum hatte die kleine Brünette das Tor mit den drei Metallschlössern aufgemacht, wurde der Weg nach drinnen fortgesetzt.
Die Fahrt dauerte nicht lange und das war auch gut so. Immerhin war es schon ziemlich spät und sie wollte heute noch zu mehr als nur ihrer kleinen Entführung kommen. Ihre Fracht schien sich während der Fahrt ebenfalls bestens amüsiert zu haben. Victor und Faye sahen jedenfalls nicht minder frisch aus als zuvor, nachdem Gil sie aus dem Frachtraum geholt hatte. Riley musterte die beiden allerdings nur sehr kurz, da sie danach zu beschäftigt war mit dem Öffnen des Tores und der anschliessenden Einweisung ihrer Brüder mit Anhang. Sie liess die Tür hinter ihnen wieder zufallen, marschierte gut gelaunt ein paar Schritte hinter Gil und Mateo her, die sich einen Moment Zeit damit liessen, sowohl Victor als auch Faye an einem der hölzernen Stützpfeiler, praktisch in der Mitte der kleinen Scheune festzubinden. Also natürlich nicht beide am gleichen Pfeiler, sondern etwa fünf Meter voneinander entfernt. Sonst würde es unnötigerweise ja bald schon sehr eng werden hier drin. Als ihre Brüder das Werk beendet hatten, kehrten sie - nun das erste Mal in dieser Nacht gleich beide mit einem entspannten Lächeln im Gesicht - zu ihr zurück, wandten sich ebenfalls den beiden dummen Verräter in Nachtwäsche zu. Ein Bisschen lächerlich war es ja schon. Aber auch ziemlich schön zu wissen, dass das Miststück diesmal nicht ungestraft davonkommen würde. Was ihr bestens klar zu sein schien. "Die Regel ist aufgehoben, Kinder, ihr dürft wieder sprechen! Von mir aus auch schreien... kreischen... heulen... Keine Angst, hier hört euch auch wirklich keiner, wenns mal laut werden sollte", beruhigte sie ihre Gäste hinsichtlich der Tatsache, dass ihr eigens auferlegtes Redeverbot hier nicht mehr galt. Hier gab es andere Regeln - und allesamt waren sie von ihr bestimmt, was die junge Frau doch wirklich sehr schätzte. Riley ging langsam auf Faye zu, fixierte die Brünette mit ihren funkelnden Augen und blieb erst ganz dicht vor ihr stehen. Sie streckte die tätowierten Finger aus, um Fayes Kinn anzuheben. Aber nicht wie ihr Bruder, weil sie ihr so gerne in die Augen schaute, sondern weil es sie viel mehr interessierte, was darunter zu sehen war, an Fayes Hals. Es war nur ein Pflaster, aber der Grund, warum es da war, liess die Schwester des Täters doch sehr süffisant vor sich hin grinsen. Sie schnalzte mit der Zunge, kratzte eine Ecke des Pflasters von der Haut, um das Ganze mit einem sehr unsanften Ruck von Fayes Hals zu reissen. Ihr Zeigefinger glitt sachte über die eigentlich geschlossene Naht. Durch die Spannung war sie an einer Ecke wieder etwas aufgerissen und ein kleiner Tropfen Blut drang nach draussen. Aber das war nicht schlimm. Da würde gleich noch sehr viel mehr Blut sein. Riley drehte sich zu ihren Brüder um, noch immer fröhlich grinsend. "Hätte er etwas tiefer angesetzt, wären wir heut' Nacht schon fast arbeitslos... Aber zum Glück hat Sean schon immer gerne etwas für den Rest der Familie übrig gelassen", plauderte sie vor sich hin, schob die Brünette dann wieder von sich, um sie nun nicht mehr so amüsiert zu mustern. "Nur dass du sowas leider nicht verstehst, hm? Wovor hattest du denn Angst, als du deinen Aufpasser angerufen hast? Dass Sean dich tötet?", fragte sie verachtend, wartete jedoch nicht mehr als drei Sekunden auf die Antwort, ehe ihre Augen in Victors Richtung sprangen. Und dann doch nochmal zurück. "Na komm schon, erzählst uns. Oder ich zeige dir, wovor du noch viel mehr Angst haben solltest", aber auch diesmal liess Riley Faye gar nicht genug Zeit, um etwas zu erwidern, weil sie die Antwort noch gar nicht hören wollte. Sie hatte längst das Messer aus ihrer Tasche gezogen - natürlich nicht ganz zufällig das genau Gleiche wie das, welches Schuld an der Wunde an Fayes Hals war. War lustigerweise auch ein Geschenk von Sean gewesen. Doch noch bevor die Klinge auf die Haut der jungen Frau traf, wich Riley plötzlich zurück - nur zwei kleine Schritte, um dann stattdessen in Victors Richtung zu stolzieren. "Viel mehr Angst... weil es viel mehr wehtut... Aber was weisst du schon davon. Kleines. Dummes. Mädchen", zischte sie vor sich hin, sprach zwar noch immer mit Faye, fixierte mit dem Blick aber nur Victor, vor dem sie schliesslich zu stehen kam. Faye begann im Hintergrund selbstverständlich umgehend zu protestieren und zu flehen und zerrte an den Fesseln und trat gegen den Pfeiler, was aber wenig von Rileys Aufmerksamkeit einnahm. "Gil, kannst du bitte dafür sorgen, dass sie aufhört? Ich kann so nicht arbeiten", war die einzige beiläufige Reaktion, ehe sie auch Mateo darum bat, ihr hier mal Gesellschaft zu leisten. Und zwar indem er dafür sorgte, dass Victor sich nicht direkt ins Messer stürzte, als sie die Klinge an der genau gleichen Stelle an Victors Hals ansetzte, wo bei Faye bereits die Wunde strahlte. Sean hatte sich vielleicht nicht so präzise darum bemüht, aber Sean war es auch egal gewesen, wie die Wunde aussah. Ihr nicht. Sie wollte sie genau so haben wie ihr Bruder sie gezeichnet hatte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Schon nach wenigen Sekunden, die ich an dem hölzernen Pfahl stand, bekam ich das ungute Gefühl, dass sich die Kanten sehr bald unangenehm in meine Schulterblätter drücken würden. Mal ganz abgesehen von den teils groben Holzsplittern, die stellenweise aus dem alten Balken ragten. Allerdings war ich mir sicher damit, dass die Splitter unser geringstes Problem werden würden. Spätestens mit der 'Ihr könnt schreien so laut ihr wollt'-Aussage war absolut klar, was gleich folgen würde. Das Deja Vu verfestigte sich, kaum hatten wir wieder Rileys gesamte Aufmerksamkeit. Für einige Sekunden lang setzte ein Tinnitus in meinen Ohren ein und ich hörte ihre Worte nur noch durch einen dumpfen Schleier hinter dem vorübergehenden Dröhnen in meinen Ohren. Ich wusste, dass ich jetzt nicht einknicken durfte. Dass mein Körper so heftig auf die Situation reagierte, weil ich noch immer nichts von den Geschehnissen in den Bergen ausreichend verarbeitet hatte. Vielleicht würde ich das auch niemals schaffen. Dennoch sollte ich mir nicht hier und jetzt Gedanken darüber machen, sondern wenn die Gefahr gebannt war. Ich durfte mir hier und jetzt nicht selbst im Wege stehen, durfte den Fokus nicht verlieren. So versuchte ich das unruhige Beben in meiner Brust zu unterbinden und tief durchzuatmen, als Riley schließlich auf Faye zuging. Auch wenn ein abgezogenes Pflaster ebenfalls zu den milderen Problemen zählen dürfte, zog sich der altbekannte Schmerz durch meine Brust, als Faye unter der momentan noch überwiegend mentalen Folter zu leiden begann. Gepaart mit dem Anfassen ihrer Wunde reichte das schon aus, um mich tonlos schlucken zu lassen... und dann huschten die Augen der Hexe erstmals wieder in meine Richtung, was das Omen für das bevorstehende Unheil war. Es folgten noch einige Worte, die allesamt im Grunde gar nichts bedeuteten, weil wir sie schon kannten. Weil wir beide sehr wohl wussten, dass der Schmerz des jeweils anderen sehr viel mehr weh tat als körperliches Leid. Wir beide hatten uns bis zu diesem Punkt noch nicht verloren, so wie Riley jetzt ihr Bruder - ihr dritter? - entrissen worden war. Nur war Sean nicht tot, sondern an seinem rechtmäßig selbst geschaffenen Platz hinter Gittern. Wie kaputt und gestört musste sie selbst sein, um das nicht mehr sehen zu können? Es war irgendwie sehr ironisch, dass es nun ausgerechnet wieder ein Messer sein sollte, das uns den Weg in die Hölle bereitete. Als hätte ich gewusst, was noch folgen würde, hatte ich monatelang mit meiner quälenden Angst vor Klingen gelkämpft - aber ich hatte sie beseitigt. Mein Oberschenkel zwickte für den Bruchteil einer Sekunde an genau der Stelle, wo damals das Messer in meinem Fleisch gesteckt hatte und wo noch immer - in diesem Moment halb von den Shorts bedeckt - eine dicke Narbe meine Haut zierte. Ansonsten aber regte ich mich nicht, als die kleine Frau mit dem Messer auf mich zukam, während sie noch immer mit Faye redete, die im Hintergrund längst überdeutlich hörbar um meine Unversehrtheit bangte. Mein Blick lag auf ihrem Gesicht, als sie schließlich vor mir zum Stehen kam. Ich würde ihr hier jetzt nicht die Genugtuung geben sie anzubetteln uns in Ruhe zu lassen, während sie gefühlt einen halben Meter kleiner war als ich. Während sie ihre rechte Hand darum bitten musste, mir das Kinn oben zu halten und sie selbst den Arm zu mir nach oben strecken musste, um überhaupt an meinen Hals zu kommen. Ich sah stur geradeaus, während mir der Hinterkopf förmlich in den Pfosten gedrückt wurde und ich kurz darauf das kalte Metall in der Haut spürte. Aber auch da war nicht zum ersten Mal ein Messer. Ich erinnerte mich noch bestens daran, wie Faye damals in der ekligen Zelle im Lehmhügel zur Gegenwehr angesetzt hatte und sie gezwungen worden war die Waffe fallen zu lassen, weil mir ein Messer an den Hals gehalten wurde. Die nur winzige Narbe an meinem Kehlkopf von damals war eigentlich gar nicht mehr zu sehen, wenn man nicht wusste, dass sie da war. Oder man minutenlang auf meine Haut starrte, dann vielleicht schon. Ich versuchte den Schmerz einfach mental runterzuschlucken. Mich so wenig wie möglich zu bewegen, was sicher auch dann der Fall gewesen wäre, wenn der Kerl mir nicht den Schädel festgehalten hätte. Einfach um den Schaden so gering wie möglich zu halten, wo ich doch nicht nach hinten wegkonnte. Auch atmete ich kaum, während Riley in aller Seelenruhe meine Haut ritzte, als müsse sie ein neues Kunstwerk schaffen. Faye war inzwischen mehr oder weniger verstummt - so weit sich das eben bewerkstelligen ließ, mit einer Hand vor dem Mund, während ihr das Arschloch auch eindeutig viel zu nahe war, um sie in ihrer Bewegung bestmöglich einzuschränken. Riley war irgendwann damit fertig in meiner Haut ein Souvenir zu hinterlassen und musterte es einen Augenblick lang perfektionistisch, während das warme Blut an meinem Hals runterlief und sich den Weg bis zu meiner Brust bahnte. Erst als die junge Frau ihrem Handlanger signalisierte, dass sie mit dem Schnitt am Hals vorerst fertig war, wurde mein Kinn losgelassen und ich konnte einen Moment lang durchatmen. Warf dabei zuerst einen Blick zu Faye, der wohl sowas wie alles noch im grünen Bereich signalisieren sollte. Ja, der Schnitt tat weh. Nein, ich würde auch dieses Mal langfristig nicht psychisch klarkommen mit dem, was heute - oder weiß Gott wie lange - noch passieren würde... aber damit musste ich später kämpfen. Meine Nerven waren schon jetzt zum Zerreißen gespannt, ich durfte sie jedoch auf keinen Fall hier und jetzt schon ganz verlieren. In Selbstmitleid versinken war in diesem Moment einfach nicht drin und außerdem machte uns Riley genau das etwas zu gut vor. "Was Faye darüber weiß? Hättest du tief genug gegraben, dann wüsstest du, dass sie schon viel mehr als nur ihren Bruder verloren hat." Das waren die ersten verhältnismäßig sachlich klingenden Worte, die ich an das optisch kleine Übel direkt vor mir loswurde. Ihre Familie stückweise zu verlieren war sicher das schmerzhafteste in ihrem Leben gewesen. Auch danach hatte Faye im Krieg dabei zusehen müssen, wie ihr so mancher Soldat unter den Händen wegstarb wie eine Eintagsfliege. Ich wusste, dass mein Verlust sie wahrscheinlich umbringen würde, weil das andersherum genauso der Fall war. Das änderte aber nichts daran, dass sie sehr wohl längst wusste, wie sich das anfühlte und das Biest hier Bullshit von sich gab. "Weißt du überhaupt irgendwas über uns? Ich habe langsam berechtigte Zweifel.", hängte ich wenige Sekunden später noch an. Womöglich provozierte sie das unnötig, aber zumindest meine Narben waren eigentlich nicht zu übersehen. Natürlich trug ich die meisten davon auf dem Rücken, aber auch unabhängig von der Explosion damals zierten andere Narben überall verteilt meinen Körper, die ich über die Jahre im Krieg gesammelt hatte. Unter anderem auch verheilte Einschusslöcher. Natürlich änderte unsere Folter beim IS nichts daran, dass eine solche auch jetzt die Hölle war - aber noch schlimmer werden konnte es nicht. Ich war damals schon fast gestorben und noch weiter treiben als der Folterknecht in den Hügeln konnte Riley es schlichtweg nicht. Es war ein Wunder, dass ich dem Tod nach diesem immensen Blutverlust überhaupt von der Schippe gesprungen war. Ich konnte sehr lange durchhalten und Zeit schinden, wenn es notwendig war und ich war zum jetzigen Zeitpunkt körperlich nicht weniger fit als damals. Dass diese gestörte Frau mir hier kein schnelles Ende bereiten würde, dessen war ich mir sicher. Das würde ja das Ziel verfehlen, Faye möglichst ausgiebig unter ihren Rachegelüsten leiden zu lassen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Victors Reaktion liess etwas zu wünschen über, das gab sie schon zu. Aber noch war ihr das dezent egal, denn seiner Freundin nahm das alles deutlich weniger entspannt, was immerhin auch das Ziel ihrer Aktion gewesen war. Und die Wunde war hübsch, damit war sie also auch vollumfänglich zufrieden. Da das hier gerade mal Tag - beziehungsweise Nacht - Eins war, konnte sie ihm auch schlecht schon das Messer unter die Haut rammen, damit er schrie. Es lag nämlich eher nicht in ihrem Interesse, ihm dann hier noch Druckverbände basteln zu müssen, damit er nicht zu früh von ihnen schied. Jetzt, wo der Spass endlich beginnen konnte. Riley blickte nochmal zu Faye um sicher zu stellen, dass die Wunde die exakt gleiche Form und Grösse hatte, dann nahm sie einen kleinen Schritt zurück und nickte lächelnd, woraufhin Mateo die Hände ebenfalls senkte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Victor im Anschluss ungefragt den Mund aufmachte. Und ihr erster Gedanke war schlicht wer hat dich bitte gefragt. Was auch ihr unbeeindruckter Blick in sein Gesicht aussagte. "Ach. Ist das so", sie hob eine Augenbraue an und musterte die andere Brünette, die schwer atmend um irgendein Stück Fassung rang. "Sie sieht aber nicht so aus, als hätte sie schon besonders viel durchgemacht. Ich denke, das sollten wir unbedingt noch ändern in der leider viel zu kurzen Zeit, die wir zusammen das Vergnügen haben", war ihre logische Schlussfolgerung. Und gerade, als sie sich wieder Victor zuwenden wollte, gab dieser noch weitere Worte von sich - erneut solche, um die ihn keiner gebeten hatte. Das musste sie ihm dringend abgewöhnen, denn so machte er sie irgendwann tatsächlich noch wütend. Und Riley wollte nicht wütend sein. Sie wollte das hier geniessen, sich konzentrieren, um Sean irgendwann, wenn er wieder bei ihnen war, alles davon erzählen zu können. Sie würde ihm alles aufschreiben und dokumentieren - und in diesen Schriften würde sich ein wütender Ausfall ihrerseits, bloss weil sie sich hatte reizen lassen, wirklich schlecht präsentieren. Ausserdem sah sie den Sinn hinter Victors Frage sowieso nicht. Welches Interesse hätte sie denn dazu antreiben sollen, solche Dinge zu erforschen? Sie wusste, weshalb sie Faye töten wollte und Victor belieferte sie mit laufend mehr Beweisen dafür, dass auch er den Tod herbeisehnte und sie einen zweiten Mord absolut rechtfertigen konnte. Warum hätte sie Fayes Geschichte lesen sollen? Warum hätte Mike ihr mühsam all die tragischen Stationen aus dem Leben der kleinen Schlampe zusammenkratzen sollen, wenn sie sie doch nur vom Angesicht der Welt pusten wollte? Nein, da sah sie wenig Anlass für. Aber wenn sie schon dabei waren... "Was gibt es denn über sie zu wissen, Victor? Oder über dich? Möchtest du noch etwas loswerden oder müssen wir einfach langsam dafür sorgen, dass du gleich wieder aufhörst, dich hier etwas zu sehr aufzuspielen?", vorhin im Hotel hatte er nämlich noch keine so grosse Klappe geschwungen. Und er sollte besser sehr schnell wieder davon absehen, es hier zu tun. "Sonst kann ich ja Gil fragen, ob er dir eine klitzekleine Demo dessen vorführen möchte, was passiert, wenn du nicht artig bist..?", und selbstverständlich war das Schicksal schon bestimmt, bevor Victor überhaupt über den Inhalt der Frage nachdenken konnte. Das wusste auch Gil, der noch immer freundlich zu ihnen lächelte.
Sie wusste ganz genau, dass Riley Victor nicht umbringen würde. Sie wusste auch, dass sie ihn höchstwahrscheinlich auch nicht in die Nähe seines Todes treiben würde. Dafür war es viel zu früh, die Tätowierte wollte ja zuerst Spass haben. Victors Ableben wäre wohl der Höhepunkt ihrer Spielereien - der erste Höhepunkt jedenfalls. Dicht gefolgt von ihrem eigenen Tod. Aber all dieses Wissen konnte die lähmende Panik, die sich wie ein eiserner Mantel um ihr Herz legte, nicht wirklich abwenden. Es war genau wie damals und sie war genauso hilflos. Wieder wusste keiner, wo sie waren und dieses Mal würde es auch keiner herausfinden. Wieder schwenkte jemand ein Messer vor Victors Gesicht - eine Person, die im richtigen Moment keine Sekunde verzagen würde, es ihm ins Herz zu bohren. Wieder missbrauchte jemand die bedingungslose Liebe, die sie mit Victor verband, um ihnen beiden unendlich weh zu tun. Wieder hatte jemand vor, sie langsam und schmerzvoll in den Tod zu stossen, bis sie sich wünschten, nie geboren zu sein. Wieder konnte sie nur zuschauen und betteln - zumindest so lange, bis die Hand auf ihrem Mund ihr auch das verbot. Alles war gleich - mit einem einzigen Unterschied: Dieses Mal hätte sie es verhindern können. Müssen. Und dieses Wissen liess gar nicht zu, dass Faye irgendwie ruhig blieb. Weil jeder Schnitt in Victors Haut, jeder Tropfen Blut, jede Träne und jeder Schmerzenslaut ihre Schuld sein würden. Sie blickte die ganze Zeit auf Rileys Hand, die das Messer durch die dünne Haut zog, während Riley selbst immer wieder zu ihr schaute, um sicher zu gehen, dass sie auch ja keinen Ausrutscher malte. Selbstverständlich waren die Tränen ihr schon in die Augen geschossen, bevor die Spitze des Messers das erste Mal die Haut durchdrungen hatte. Aber war nicht so schlimm, ihre Tränen wurden immerhin sehr liebreizend von den fremden Fingern, welche sich in ihr Gesicht pressten, aufgehalten. So lange, bis Riley endlich fertig war. Und Faye war es auch schon. Fertig - nach nichtmal fünf Minuten. Sie hatte Alpträume gehabt während der vergangenen Monate, unendlich viele. Mehr als zwei Drittel davon hatten genau solche Szenen gezeigt. Sie hatte ihr Unterbewusstsein nie wieder mit solchen Bildern füttern wollen. Aber vielleicht würde sie ja auch nie wieder träumen müssen... Die Brünette fing Victors Blick auf, aber auch wenn sie wusste, was er ihr damit sagen wollte, so konnte sie ihm doch nicht glauben, denn nichts war in Ordnung. Das durfte nicht passieren und sie durften es nicht schon wieder erleben. Sie hörte seine Worte, die sie noch verlorener in seine Richtung blicken liessen. Sie glaubte nicht, dass Riley sich für ihr Schicksal interessierte. Was diese auch umgehend bestätigte. Wobei sie zugleich deutlich machte, dass sie Victors Worte liebend gerne als Provokation verstand, um einen sofortigen Grund zu haben, sie weiter zu quälen. Wobei sie diesmal den Ball tatsächlich abgab. Faye hatte beinahe schon wieder verdrängt, dass Gil scheinbar der Name des Kerls war, der hinter ihr stand. Aber Gil hatte es nicht vergessen und liess sich die Chance, sein Talent als würdigen Bruder zu demonstrieren, natürlich nicht nehmen. "Mach dir keine Sorgen Kleines, das tut nicht lange weh", flüsterte er ihr eine Lüge ins Ohr, bevor seine Finger quälend langsam von ihrer Schulter ihren Arm hinab bis zu ihrer Hand strichen. "Zumindest nicht so lange wie es wehtut, wenn eine kleine Schlampe dir deinen Bruder stehlen will", schob er kühl hinterher. Faye hob den Kopf an, versuchte zu sehen, was er genau vorhatte. Aber Gil stellte sich absichtlich so hin, dass sie ihre Hände nicht sehen konnte - dafür hatte Victor natürlich den besten Blick darauf. Konnte wunderbar beobachten, wie Gil nach ihrem kleinen Finger griff und diesen aus der angespannten Faust löste. Er streckte jedes Fingerglied durch, auch wenn Faye dagegen ankämpfte und ihm die gefesselten Hände entreissen wollte. Und als der Finger gestreckt war, drückte er ihn langsam, in geübter Vorsicht nach oben und als er oben war, drückte er ihn weiter nach hinten gegen den Handrücken. Er machte das so quälend langsam, dass Faye längst begriffen hatte, was er vorhatte, als der Schmerz einsetzte. Was es leider nicht erträglicher machte und die Brünette schlug den Kopf nach links zur Seite weg, um Victor möglichst nichts davon mitbekommen zu lassen. Die Tränen in ihren Augen entsprangen kurzum den Schmerzen und egal wie fest sie sich auf die Lippe biss, war es unmöglich, vollkommen still zu bleiben. Ihre nackten Füsse traten nervös auf dem schmutzigen Boden herum und die verbleibenden neun Finger kämpften verzweifelt gegen den unnachgiebigen Griff an. Bis ein hässliches Knacken ertönte, das das Brechen ihres Fingergelenkes indizierte und Faye trotz all ihren Bemühungen einen gedämpften Schrei entlockte. Finger brechen. Das war eine einfache Foltermethode, die sie noch sehr lange nicht töten würde... Sie hatte ja noch Neun. Und zehnt nackte Zehen. Und selbst wenn alle Knochen in ihrem Körper gebrochen waren, würde sie noch atmen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Sie sieht aber nicht so aus... Darüber ließ sich jetzt streiten. Jeder ging mit einem erlittenen Trauma anders um, was sich allein in meinem Bekanntenkreis sehr gut sehen ließ. Mitch und Aryana zogen Mauern um sich herum hoch - unabhängig davon, ob die irgendwann trotzdem unter dem fortwährenden Beschuss einstürzten oder nicht - während Faye und ich uns einfach von den Erlebnissen begraben ließen. Uns irgendwie mühsam aus den Trümmern wieder herausbuddelten, ohne es dann am Ende besser verarbeitet zu haben als Jemand, der versuchte sein Trauma zu überblenden. Aber an dieser Stelle ein Klugscheißer zu sein war vermutlich nicht die richtige Reaktion. Denn Riley zögerte nicht lange damit den Spieß einfach spontan umzudrehen und Gil dazu anzuweisen, das Ganze noch unterhaltsamer für sie zu machen. Es dauerte nicht lange bis mein Blick von der Brünetten unweit vor mir stattdessen zu Faye glitt. Innerhalb weniger Sekunden schnürte sich meine Brust stückweise immer weiter zu bis ich gefühlt kaum noch atmen konnte, während der zierlichen Brünette nicht nur der psychische, sondern nun auch der physische Schmerz quer übers Gesicht geschrieben stand. Die Anspannung zog sich durch ihren gesamten Körper und sie kämpfte verzweifelt dagegen an... so lange, bis sich mir unter dem ekelhaften Knacken ihres Gelenks die Nackenhaare aufstellten und sich eine abartige Gänsehaut auf meinem gesamten Körper ausbreitete. Die Narben am Rücken sich durch Fayes Aufschrei verpflichtet fühlten in alte Muster zurückzufallen, während sich gleichzeitig das gefühlt eine millionste Messer in mein schon unendlich oft wieder zusammengeflicktes Herz bohrte. Ich konnte es mir nicht ansehen, wo schon allein die Geräuschkulisse vollkommen ausreichte, um mich meinen Verstand beinahe gleich das nächste Mal vollkommen abgeben zu lassen. Also ließ ich den Kopf leicht nach vorne sinken und sah auf den dreckigen Boden, was die Schnittwunde am Hals unnötig reizte und ein paar weitere Blutstropfen fließen ließ, aber ich hielt den Anblick nicht aus. Nicht nochmal. Ich versuchte ein weiteres Mal in mich zu gehen und durchzuatmen. Mir selbst zu erklären, dass ein gebrochener Finger Faye nicht umbringen würde und wir das ein weiteres Mal durchstehen konnten. Dass noch überhaupt gar nichts verloren war, obwohl es in diesem Augenblick wirklich stark danach aussah, weil wir schlicht keine Möglichkeiten hatten uns zu wehren. Dieses Mal gab es leider auch so gar keine Anhaltspunkte für Aryana und Mitch, um uns ein weiteres Mal den Arsch vom Glatteis zu retten. Zwar wussten die beiden inzwischen, dass wir dieses Problem am Hals hatten, wussten wiederum aber nicht mehr als unbedingt nötig war - weil sie ganz einfach genug eigene Probleme hatten. Selbst wenn sie alle Details auf dem Tisch hätten, wüssten sie trotzdem nicht, wo diese selbsternannten Schwerverbrecher gerne ihre Opfer zur Rechenschaft zogen. Und Ryatt? Er schien allgemein nicht viel über die Truppe zu wissen, abgesehen von Sean in Person. Kamen wir hier also nicht allein raus, dann wahrscheinlich gar nicht. Es war schwer mit dieser Gewissheit im Hinterkopf noch irgendwie positiv zu denken und stark zu bleiben. Ich ballte die Hände zu Fäusten und presste die Lippen zusammen, bis ich einige Sekunden später das Gefühl hatte den Schmerz in der Brust mehr oder weniger unter Kontrolle zu haben. Vermutlich eher weniger als mehr, wenn man sich das fast schon apathische Funkeln in meinen Augen ansah, als ich den Kopf erneut anhob und zuerst flüchtig zu Gil sah, der reichlich Spaß daran zu haben schien dem mir wichtigsten Menschen Schmerz zuzufügen. Dann fanden meine Augen zurück zu Rileys Gesicht. "Schön, wenn dir Schweigen lieber ist... das schließt Betteln und Schreien leider mit ein.", gab ich ihr wieder eine andere Antwort, als sie haben wollte. Eine absolut teilnahmslos klingende noch dazu. Wenn sie keine Infos haben wollte, dann bekam sie mich stattdessen eben mundtot. Dass alles andere nichts brachte, hatte uns schon der IS erfolgreich bewiesen. Man konnte um noch so viel Gnade für den anderen oder sich selbst betteln, man bekam sie nicht. Man konnte noch so laut vor Schmerzen oder um Hilfe schreien, es würde kein Ende nehmen und wurde nur immer schlimmer, weil man glaubte jeden Moment unter dem Schmerz ohnmächtig zu werden. Es war genau dieser Moment, der noch einen weiteren Teil von meinem vermeintlich reparierten Herzen und meiner ach so gut verheilten Psyche brechen ließ. Der Moment, in dem ich zu verstehen begann, warum Mitch früher so ein Arschloch gewesen war. Warum er oft so gewirkt hatte, als kümmere ihn absolut nichts von all den schlimmen Dingen, die um uns herum auf dem Schlachtfeld den Bach runter gegangen waren. Es gab offenbar einen Punkt, an dem man den emotionalen Schmerz nicht mehr aushalten konnte und ihn stattdessen auszusperren versuchte. Einen Punkt, an dem man emotional lieber kapitulierte, als weiterzukämpfen. Ich würde wohl niemals so kalt werden wie er es war, das entsprach einfach nicht meinem Charakter - aber bei Allem was mir heilig war, ich konnte einfach nicht mehr. Konnte das nicht noch einmal ertragen. Ich ließ lieber zu, dass Riley mir in diesem Augenblick mit der noch verhältnismäßig milden Folter an Faye das Herz gleich ganz aus der Brust nahm und es beiseite legte, als es mir schon wieder über etliche Stunden hinweg stückweise wegnehmen zu lassen. Denn es fühlte sich dieses Mal nicht mehr so an, als könnte ich es danach ein weiteres Mal zusammensetzen. Danach wäre es endgültig so zerfetzt, dass alles nähen und kleben nicht mehr helfen würde und nur noch eine Kugel in den Kopf eine Lösung war. Das konnte ich Faye aber nicht antun, sollten wir doch noch irgendwie lebend aus der Sache rauskommen. Und wenn nicht... dann war es sowieso egal, dass es in diesem Moment womöglich so aussah, als hätte ich mich mit dem leeren, zurück auf den Boden fallenden Blick gedanklich von ihr verabschiedet.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Sie wusste nicht wirklich, was spannender mit anzusehen war - Victors Reaktion, Fayes Gesicht oder der Finger, der irgendwann einfach nach hinten knickte wie ein Streichholz. Riley verfügte über etwas überdurchschnittliche Anatomiekenntnisse, weil sie das Thema schlicht interessiert hatte - aber dass dieses Gelenk hinüber war, hätte ein Blinder gehört und ein Kind erkannt. Spätestens nachdem Gil den Finger dem Knacken folgend auch noch bis ganz nach unten an Fayes Handrücken gedrückt hatte. Das sah definitiv nicht mehr gesund aus, aber war nicht so schlimm. Erstens würde das noch keinen umbringen und zweitens hatte sie das verdient. Rileys Augen fanden zurück zu Victor, musterten sein Gesicht, welches sie - nicht zuletzt dank ihrer Grösse - ja noch immer bestens sehen konnte, auch wenn er mittlerweile auf seine Füsse blickte. Und sie hatte innerlich wohl schon etwas mehr erwartet. Der Schmerz in seinen Augen war zwar nicht zu übersehen, aber da war auch noch etwas anderes. Eine gewisse Endgültigkeit, als wüsste er längst, wie das hier ausgehen würde. Als hätte er schon aufgegeben, bevor er es versucht hatte. Und das war nicht das, was sie gewollt hatte, weil es alles eben etwas langweilig gestaltete. Genau das versprachen auch seine folgenden Worte, die wieder nicht die im Raum stehende Frage beantworteten, auf ihrem Gesicht aber trotzdem ein seichtes Lächeln erscheinen liessen. "Hm... Da wage ich mal noch dran zu zweifeln, Victor... Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich dich zum Schreien bringen kann, wenn ich das möchte", vielleicht nicht auf diese Art. Vielleicht hatte er sich emotional ja längst von seiner Freundin distanziert. Vielleicht liebte er sie auch gar nicht. Sein Blick liess zwar etwas anderes vermuten, aber war ja auch egal. Jedenfalls schrie so ziemlich jeder ab einem gewissen Mass an Schmerzen zumindest einmal auf. Und Riley war relativ überzeugt von ihrer eigenen Fähigkeit, dieses Mass an Schmerz durchaus erreichen zu können. Vielleicht nicht mit den momentan gegebenen Mitteln - jedenfalls nicht, ohne ihm eine etwas gravierendere Schnitt- oder Stichwunde zuzufügen - aber daran liess sich ziemlich leicht was ändern, gab genügend Möglichkeiten, an die passenden Werkzeuge zu kommen. "Aber wie dem auch sei... du hast meine Frage nicht beantwortet. Und ich mag's nicht, wenn ich ignoriert werde", erklärte sie mit vollkommen überflüssigem Kommentar, hob dabei das Messer wieder an, um mit dessen Spitze ein paar Mal mahnend an Victors Brust zu tippen. "Du hast mich doch so neugierig gemacht... und ich habe leider keine Zeit für nachträgliche Recherchen. Also möchtest du mir nicht doch erzählen, was es denn nun so Wichtiges über euch zu erfahren gibt?", wiederholte sie netterweise das, was sie - mehr oder weniger - interessierte. Ihre Augen wanderten dabei über seinen Oberkörper, während das Messer ihrem Blick folgte und die Spitze über die Punkte kratzte, die sie besonders interessierten. Da waren Narben. Ziemlich viele sogar, je länger sie hinblickte. Sie mochte gute Geschichten, aber wenn er einfach nur mal einen Unfall gehabt hatte und das das ganze Drama war, welches er ihr hier vorenthalten wollte, dann wäre sie schon sehr gelangweilt und enttäuscht. Ihre Augen wanderten für einen Moment zu Faye, deren glasige Augen mittlerweile wieder in ihre Richtung blinzelten, während ihr Freund ein Bisschen inspiziert wurde. Riley lächelte ihr lieblich entgegen und ohne ihre Augen aus denen der angeschlagenen Brünetten zu lösen, stellte sie das Messer auf und die Spitze kratzte unter minimalem Druck einen weiteren, langen roten Strich quer über Victors Rippen. Der Schnitt war noch oberflächlicher als der an seinem Hals, also wirklich kaum gravierend. Sie hatte es auch allein deshalb getan, weil sie das Flehen in Fayes Blick erkannt hatte, das verzweifelt darum bettelte, sie würde den jungen Mann in Ruhe lassen. Es war also quasi ihre Antwort darauf, kurz bevor ihre Augen wieder in Victors Gesicht fanden. Abwartend - aber ihr Geduldsfaden war ja bekanntlich nicht sehr dick. Und trotzdem rechnete sie fest damit, dass er ihn ein weiteres Mal strapazieren würde, weil er einfach keine Lust hatte, mit ihr zu reden. Verwerflich und sehr unverständlich.
Ihr Finger und ihre ganze Hand bis weit in den Arm hinauf fühlte sich taub an. Ein vollkommen unerreichbarer Haufen Schmerz, der ihr den Verstand raubte. Das war sicherlich auch für Gil kein Geheimnis, der sich einen Spass daraus machte, ihren Finger möglichst lange in seiner komplett verdrehten Position festzuhalten, während sie sich an dem Pfahl wand, der ja doch kaum Bewegungsfreiheit zuliess. Immerhin blieb sie nach dem einen Schrei ruhig, bis auf das unvermeidbare, in unregelmässigen Abständen folgende nach Luft Schnappen. Am liebsten hätte sie den Kopf gegen das Holz geschlagen. Mit aller Wucht, so oft und so lange, bis die Schädeldecke brach. Und dann weiter, bis ihr Gehirn zu Matsche verarbeitet war und sie für immer nichts mehr fühlen musste. Aber noch konnte sie sich nicht so komplett irre präsentieren, weil irgendein Teil ihres Geistes noch nicht bereit war für das Messer, welches ihr, sobald sich der Wahnsinn von Seans Familie zu sehr in ihrem Verhalten spiegeln würde, zweifellos sofort ins Herz gerammt würde. Es war der Teil, der das Victor niemals antun könnte. Zumindest nicht wissentlich und selbstständig, bei vollem Bewusstsein. Indirekt hatte sie es ja längst getan. Sie hörte, wie Victor zu Riley sprach und wie diese wenig später zu einer Antwort ansetzte. Aber es dauerte viele lange Sekunden, bis Faye der Meinung war, ihren Gesichtsausdruck weit genug unter Kontrolle zu haben, um einen Blick in seine Richtung zu wagen. Sie wollte nicht, dass er sah, was allein der eine Schnitt an seinem Hals und ein gebrochener Finger ihrerseits unter diesen Umständen mit ihr machte. Weil sie ihm nicht noch mehr weh tun konnte und weil sie stärker sein sollte, nach allem, was sie erlebt hatten. Aber ihr vernarbtes Herz erwies sich leider auch heute wieder als absolut nicht bruchsicher und es schien fast so, als hätte sie aus der Vergangenheit nichts gelernt. Bei ihm sah das anders aus. Er wirkte nicht genauso aufgelöst wie damals in Syrien. Vielleicht sollte sie das beruhigen und sie sollte daran glauben, dass er wirklich irgendwie klar kam, so wie er es vorhin mit seinem Blick angedeutet hatte. Aber das genaue Gegenteil war der Fall. Denn Faye kannte Victor gut genug um zu wissen, dass das kein erfolgsversprechendes Coping war. Er war gebrochen, genau wie sie. Und sie hatte ihn in diese Misere mit reingezogen, weil sie dazu bestimmt war, seinen Untergang zu sein. Sie würde ihm so gerne tausend Dinge sagen. Alles aussprechen, was sie dachte und ihm unbedingt mitteilen musste. Und dann würde sie gerne sterben. Vielleicht war es ganz gut, wenn Riley und ihre Begleiter dafür sorgten, dass ihr Leben hier ein Ende fand. Es war nicht das Ende, welches sie sich gewünscht hatte - aber es ging ja doch immer genau so weiter... War es da nicht logisch, dass es auch so enden würde? Es tat ihr leid für Aryana und Mitch, aber sie konnte das nicht mehr. Der Gedanke daran, auch dieses Mal zu überleben, klang noch nicht einmal reizvoll, wenn sie genau wusste, wie ihr Überleben das letzte Mal ausgesehen hatte. Damals waren sie eine Stufe weniger zerstört eingeliefert worden. Wie vielversprechend konnte das also ausgehen? So viel zu Rileys Frage. Der Frau, deren Blick sie nun ungewollt einfing. Was ausreichte, um die Brünette dazu zu animieren, eine weitere Linie auf Victors Brust zu malen, als wäre sein Körper ihre Leinwand. Eine weitere müde Träne rollte über Fayes Wange, tropfte auf ihr Nachthemd. Die Frage war ein Witz. Ihre Körper erzählten die Geschichten doch schon ganz alleine. Nicht nur Victor war von unzähligen Narben gezeichnet, sondern auch sie. Und würde Gil etwas genauer hinschauen, hätte er die Striemen auf dem oberen Drittel ihres Rückens längst erkannt, die von dem Nachthemd nicht wie üblich gut versteckt wurden. Hatte er aber natürlich nicht, da er zu beschäftigt damit war, ihren Finger zu brechen. Und Riley war zu beschäftigt damit, Picasso zu imitieren. "Welch... Welchen Teil möchtest du denn hören, Riley..? Lieber die Version, in der du nicht die Erste bist, die das hier versucht, oder eher etwas, das schon ein Bisschen weiter zurückliegt?", Fayes Stimme war auch nach einem Husten nicht viel mehr als ein dünnes Hauchen, da Gil sofort wieder ihren Finger drückte - wohl weil sie sich ungefragt zu Wort meldete oder einfach weil er Spass daran hatte. Sie redete auch nicht, weil sie Kraft für ein weiteres aussichtsloses Gespräch hatte, sondern nur, weil sie wollte, dass Riley von Victor wegkam. Dass sie von ihm abgelenkt war und aufhörte, mit dem Messer zu zeichnen. Ausserdem schindete das Reden ein Bisschen Zeit und vielleicht wurden Verbrecher ja auch irgendwann müde und liessen sie allein. Und sie konnte Victor endlich all das sagen, was sie sagen wollte, bevor sie gemeinsam sterben würden.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Sollte sie es ruhig so lange versuchen, wie sie Zeit dafür brauchte. Ich hatte das ungute Gefühl, dass das Biest durchaus kreativ werden konnte wenn es darum ging, anderen Schmerzen zuzufügen. Es war aber ohnehin nicht so, als könnte ich irgendwas dagegen tun diesbezüglich zum Versuchskaninchen zu werden. Ebenso wie Faye, ging ich doch nicht davon aus, dass sie die junge Frau verschonen würde, nur um mich meine vorherigen Worte brechen zu lassen. Im Grunde war das ganze Gespräch völlig überflüssig, aber es war mir doch irgendwie lieber mit Worten eine kleine Ablenkung zu haben. Das änderte nichts an der Situation, aber es machte sie minimal erträglicher. Meine Augen begannen jedoch automatisch dem Messer zu folgen, als Riley es erneut anhob und an meine Haut legte. Sie merkte anscheinend doch langsam mal, dass ich nicht wenige Narben am Körper trug und begann sie mit ihrem Blick eine nach der anderen zu mustern - und dann schien es plötzlich ja doch irgendwie sehr interessant zu sein, was ich denn so zu erzählen hatte, obwohl sie sich darüber echauffiert hatte, dass ich überhaupt so dreist gewesen war den Mund aufzumachen. Zeit für Recherche hatte sie scheinbar auch keine, obwohl sie sich hier alle Zeit der Welt mit uns beiden ließ. Würde mein Kopf sich gerade nicht so taub anfühlen, hätte ich glatt mit den Augen gerollt. Bevor ich irgendetwas dazu sagte verfingen sich jedoch noch einmal die beiden Blicke der Frauen und das reichte scheinbar aus, um mich das Messer ein weiteres Mal mit der Klinge spüren zu lassen. Riley drückte das Metall jedoch gar nicht tief in meine Haut und ich verzog bei dem schmerzhaften Schnitt lediglich kurz das Gesicht, bevor die nächsten paar Tropfen Blut an meinem Oberkörper hinabliefen und mein Blick zurück zu Rileys Augen fand. Dann wanderte er zu Faye, als sie sich zu Wort meldete und danach fragte, welchen Abschnitt unserer beider Geschichten sie denn am liebsten hören wollte. Das war eine gute Frage - denn wir würden in fünf Tagen immer noch hier rumstehen und reden, wenn beide jeweils ganz von vorne unseres persönlichen Dramas beginnen würden. Die Geschichten waren gefühlt endlos und hatten offenbar ja bis jetzt auch noch kein Ende gefunden. "Sehr gute Frage... die Liste ist ziemlich lang.", stellte ich wahrheitsgemäß fest, während ich meine Augen unbeeindruckt und genauso stumpf wie vorher zurück in Rileys richtete. Der Schnitt an den Rippen brannte dabei noch immer ein wenig. "Bei mir gibt's da nach knapp 3 Jahren voll Auslandseinsätzen eine syrische Bombe, die mich fast in die Luft gesprengt hat... daraufhin dann über vier Jahre Phantomschmerz im ganzen Rücken... es ging nochmal zurück an die Front, um da mein scheinbar beschissenes Karma dann mit Fayes zu vereinen... sie hat bis dahin auch schon ihren Bruder und ihre beiden Eltern verloren. Alle in Särgen, die kann sie also nicht im Gefängnis besuchen... und ein paar andere Zwischenfälle später hat uns der IS zu einer persönlichen Folter-Vorstellung eingeladen, bevor wir zurück nach Hause durften... such dir also am besten ein Thema aus.", sagte ich ihr die Kurzfassung so einiger schlimmer Erlebnisse mit kurzen Pausen wie eine gewöhnliche Einkaufsliste auf. Ließ nicht zu mich im selben Moment an sie zu erinnern, sperrte so auch diese schmerzlichen Gedanken konsequent aus. Drehte dabei lediglich beiläufig die Handgelenke minimal in den Fesseln, die sich schon jetzt unangenehm in die Haut zu schnüren begannen. Ich hatte Aryana allerdings ganz bewusst aus der Erzählung herausgelassen. Falls Riley noch nicht wusste, dass Faye hier ganz in der Nähe eine noch lebendige Schwester hatte, war das nämlich gut so. Natürlich nahm das der Geschichte stellenweise dann den Reiz, aber für den Fall, dass ich alleine ihr als zusätzliches Opfer nicht ausreichte um ihre abartigen Rachegelüste zu stillen, wollte ich nicht auch noch die unschuldige Schwester mit reinziehen. Mitch genauso wenig, sonst fühlte er sich am Ende noch zum nächsten Suizidkommando berufen, sobald Aryana ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt war... wobei die drei Geschwister hier im Vergleich zum syrischen Heer irgendwie ein sehr schlechter Scherz für ihn sein mussten.
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Die beiden schienen sich ja kaum entscheiden zu können, wer ihr denn nun von welchem Trauma zuerst erzählen durfte. Wobei Victor es dann war, der ihr eine nette Auflistung ihrer vermeintlich ganzen Auswahl bot. Sie ging einfach mal von deren Vollständigkeit aus, weil das, was er ihr glaubhaft machen wollte, ja doch schon so Einiges an Trauma beinhaltete. Kein Wunder wirkten sie nach fünf Minuten in ihrer Obhut schon wie zwei psychische Krüppel. Lag wohl daran, dass sie ganz genau das eben auch waren. Dass Victor im Krieg gewesen war, klang auch irgendwie plausibel. Daher also die ganzen Narben - kein Unfall, sondern eine Bombe. Und trotzdem hatte er nicht genug gehabt und war irgendwann zurückgekehrt, warum auch immer, das würde sie vielleicht zu gegebener Zeit fragen. In diesem Moment deutlich interessanter fand Riley die Tatsache, dass Victor ihr tatsächlich weiss machen wollte, Faye wäre ebenfalls im Krieg gewesen und sie hätten sich, wenn sie das richtig verstanden hatte, dort kennengelernt. Und noch viel wichtiger - sie hätte ihren Bruder verloren. Und sie wären gemeinsam in der Folterkammer des IS gewesen, aber entkommen. Das war irgendwie etwas zu viel, was auch Rileys etwas kritischer Gesichtsausdruck offenbarte. "Also das mit der Bombe...", ihr Blick wanderte nochmal über seinen Oberkörper, "nehm ich dir ab", begann sie nach einer Pause. "Aber dass die da", sie nickte abwertend in Fayes Richtung, "in Syrien gewesen sein soll... schwierig. Was hat sie denn da gemacht? Klotz am Bein gespielt?", denn das Bild von Faye mit einem Gewehr an der Schulter war einfach lächerlich. Kein Stratege mit etwas Menschenverstand hätte eine Frau wie sie in die Offensive entsandt - selbst wenn sie wirklich bei der Army gewesen wäre. Damit hatte sie sich von Victor abgewandt und stolzierte stattdessen mit argwöhnischem Blick zu Faye, blieb sehr dicht vor ihr stehen und schob - obwohl das gar nicht nötig war - ihr Kinn mit der Spitze des Messers weiter nach oben. Sie merkte gar nicht, wie ihr Bruder wieder nach dem gebrochenen Finger griff, um erneut dessen schmerzvolle Biegekünste zu demonstrieren, was natürlich unweigerlich zu Schnappatmung seitens Faye führte. "Die hätten dich besser dort behalten, hm? Irgendwo in der dreckigen Wüste ohne Wasser. Da hättest du wenigstens eine sinnvolle Aufgabe gehabt, anstatt hier allen nur Ärger zu machen. Dir selbst... meiner Familie... und vor allem deinem Freund", knurrte Riley vor sich hin, starrte einige Sekunden vernichtend ins Grün und Blau von Fayes Augen, bevor sie - einer plötzlichen Eingebung folgend - das Messer sinken liess und stattdessen mit der anderen Hand Fayes Kiefer packte. "Aber dieses Glück hatte die Welt scheinbar nicht, weshalb ich mich nun mit dir befassen darf. Dem Mädchen, das ihren Bruder verloren haben soll und doch nie daraus lernen wollte, anderen nicht das gleiche Elend zuzufügen. Solltest du dann nicht wissen, wie sich das anfühlt? Oder hast du ihn nie geliebt??", ihre Finger krallten sich förmlich in die Kieferknochen der Brünetten, wobei die Wut in Rileys Stimme längst Überhand genommen hatte. Die Hand mit dem Messer war bereits wieder einsatzbereit, weilte gefährlich nahe neben Fayes Gesicht, wo nun auch ihr Blick hin rutschte. Sie legte die Klinge an die Haut neben ihrem Ohr, bedächtig, als würde sie abwägen, wie viel heute denn schon drin lag. Und sie freute sich wirklich auf den Tag, an dem sie sich das nicht mehr fragen musste. Aber so weit waren sie noch nicht. Und Riley setzte die Klinge wieder nur oberflächlich an, dass es zwar bluten, aber sie noch lange nicht daran sterben würde. "Erzähl mir doch mal, was ist denn mit ihm passiert? Mit deinem Bruder, den du begraben musstest?", fragte sie leise, während die Klinge quälend langsam von ihrem Ohr nach unten wanderte, an Rileys Fingern vorbei den Hals hinab. "Wer war Schuld daran? Und hattest du nie das Bedürfnis nach Rache?", konnte wie erwähnt daran liegen, dass Faye ihren Bruder nicht geliebt hatte. Aber was wusste sie schon, sie war ja nur die kleine Wahnsinnige im Raum. "Kannst du denn dann nicht verstehen, dass ich wütend bin?", die Klinge des Messers stoppte, sobald ihre neu gezeichnete Linie mit der ihres Bruders verbunden war. Und Riley krallte sich noch fester an Fayes Gesicht, als könnte sie damit erzwingen, dass Faye die Rechtfertigung ihrer Taten guthiess. Als würde sie das wirklich kümmern.
Sie hatte nicht wirklich das Bedürfnis, auch nur ein Einziges Ereignis ihres Lebens mit Riley zu teilen. Aber Reden war immer noch besser als wenn die Brünette zur Tat schritt und ihren Wahnsinn auf diese Art bewies. Wenn sie denn nicht entscheiden würde, wenig später beides in Einem zu vereinen. Faye hasste es, wie abgeklärt Victor die Dinge aufzählte, die sie beide so kaputtgemacht hatten. Aber es war besser, als wenn sie wirklich darüber nachdachten - denn das hatte noch nie gut geendet und sie brauchten keine zusätzliche Quelle fürs Traurig Sein. Sie sagte nichts dazu - weder zu der Aufzählung noch zu Rileys Reaktion auf ihren Einsatz bei der Army. Sie war ja bei weitem nicht die Erste, die an ihren Fähigkeiten diesbezüglich zweifelte und Faye selbst würde sofort unterschreiben, absolut ungeeignet für den Krieg zu sein. Sie war ja auch nicht gegangen, weil sie so viel Lust darauf gehabt hatte oder jemals daran geglaubt hatte, für den Krieg geschaffen zu sein. Aber das brauchte sie Riley sicher nicht zu erklären, denn ihr war schon aufgefallen, dass Victor in seiner Aufzählung ganz bewusst Aryana übersprungen hatte. Was besser war und auch so bleiben sollte. Ihr Blick folgte automatisch der jungen Frau, als diese sich für den Augenblick genug mit Victor beschäftigt zu haben schien und zu ihr zurück spazierte. Sie wusste nicht genau, was Gil währenddessen dazu animierte, ihren Finger sein Trauma nochmal durchleben zu lassen, aber der Schmerz flutete auch beim wiederholten Mal ihre gesamte Wahrnehmung und trieb ihr weitere Tränen in die Augen, sodass sie kaum verstand, was Riley ihr einreden wollte. Es war auch nicht relevant, sie hatte diese Gedanken längst selbst durchgekaut - tausend Mal in der Klinik nach ihrer Heimkehr. Erst als plötzlich die Wut in den dunklen Augen aufblitzte und Riley ihre Finger in ihre Haut bohrte, blinzelte Faye ein paar Mal und versuchte die pochenden Schmerzen in den Hintergrund zu schieben, während ihr unterstellt wurde, ihren Bruder nie geliebt zu haben. Das war jedoch so vollkommen lächerlich, dass sie beinahe versucht war, es zu dementieren. Wenn sie denn in der Lage wäre, sich ausreichend zu konzentrieren, um einen ganzen Satz von sich zu geben. Sie wusste genau, wie es sich anfühlte, den Bruder zu verlieren. Aber Riley hatte ihren Bruder nicht verloren. Er war nur eingesperrt - weil er Scheisse gebaut hatte. Faye spürte das kalte Metall des Messers und gleich darauf das Brennen eines weiteren exakten Schnittes. Direkt unten neben ihrem Ohr, hinab bis zu ihrem Hals, wo Riley sich scheinbar die Mühe machte, die zwei Linien zu einer zu vereinen. Warum auch immer. Aber auch wenn das Brennen keine Wohltat war, war es nicht zu vergleichen mit dem, was Gil die ganze Zeit mit ihrem Finger anstellte. Sie vermutete auch nicht, dass Riley ihr mit dem fast schon sanften, bedächtigen Schnitt wirklich hatte wehtun wollen. Es ging ihr doch viel mehr nur um das Blut, welches im Anschluss über ihre Finger hinab tropfte, bis es am Rand des Nachthemds oder darunter versickerte. Aber wenn sie ihr wirklich weh tun wollte, würde sie das tun. Zum Beispiel dann, wenn Faye ihr die falschen Antworten bot. Es war nur schwer, die Richtigen zu finden, wenn sie keine Ahnung hatte, was davon Riley gleich sowieso falsch verstehen würde. Und sie wollte nicht, dass das Biest danach wieder zu Victor rannte, weil sie wusste, dass sie Faye damit viel besser kaputtmachen konnte. "Er... er war auch im Krieg... Und ist dabei gestorben...", begann sie zu erzählen, ohne die Hoffnung zu haben, damit irgendwelche Rachegelüste zu besänftigen. "Ich weiss nicht genau... wer ihn umgebracht hat. Aber ich war vor allem wütend auf... das Land, welches ihn entsandt und nicht beschützt hat", Gil hatte ihre Hand für einen Moment fast ganz losgelassen, während sie sprach. Wahrscheinlich, weil sie sonst keine drei zusammenhängenden Worte über die Lippen gebracht hätte. Trotzdem war auf Rileys Gesicht bestens ersichtlich, dass das nicht das war, was sie hatte hören wollen. "Ich habe ihn geliebt, Riley, wirklich. Ich wollte nicht, dass noch mehr Menschen sterben wie er. Darum bin ich nach Syrien geflogen...", unter anderem jedenfalls, "Als Medical - nicht um zu kämpfen. Ich... ich kann verstehen... dass du wütend bist... aber... dein Bruder wird bestimmt nicht für immer weg sein... Und du kannst noch mit ihm reden und... und ich habe ihn nicht umgebracht, Riley, du kannst nicht...", weiter kam sie nicht, weil die Brünette offensichtlich genug gehört hatte, ihr Kinn losliess und ihr stattdessen die flache Hand mit gutem Schwung gegen die Wange klatschte. "Riley, du kannst nicht ist immer ein sehr schlechter Anfang für einen Satz, merk dir das. Vielleicht hast du ihn nicht umgebracht. Und vielleicht werde ich dich auch nicht umbringen. Aber glaub ja nicht, dass du mit ihm", sie griff erneut nach Fayes Kopf, um ihn in Victors Richtung zu drehen, "hier wieder raus kommst. Auge um Auge, kleine Schlampe", passend zu Rileys Worten hob Mateo, der noch immer hinter Victor stand, nun seine Hände an, legte sie langsam um Victors Hals, ungeachtet der blutenden Wunde. Faye wusste nicht genau, wie viel Druck er dabei ausübte, aber das musste sie auch nicht, weil Rileys Worte vollkommen ausreichten, um ihr endgültig den Boden unter den Füssen wegzureissen und jegliche Dämme zu brechen, die sie bisher noch aufrecht gehalten hatte. Sie hatte sterben wollen. SIE. Wenn sie ohne Victor hier raus kam, würde sie über die nächste Klippe springen, weil sie ganz genau wusste, dass sie das niemals, nicht in einer Million Jahren verkraften würde. Nicht nur, weil sie ohne ihn nicht mehr leben wollte - oder konnte - sondern auch, weil sie unter der Schuld vollkommen brechen würde. Das konnte sie nicht. Egal was sie in ihrer Vergangenheit schon durchgemacht und erstaunlicherweise überlebt hatte, sie wusste, dass das die finale Grenze war. Würden sie ihr diesen Menschen wegnehmen, würde sie aufgeben.
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Und damit musste ich mich jetzt glücklich schätzen, oder? Dass Riley mir auch tatsächlich glaubte, was wirklich passiert war und sie es nicht als Märchen abtat - zumindest eben einen Teil davon. Ab da wo Faye ins Spiel kam schien es anders auszusehen, wobei man ihr das nur bedingt verübeln konnte. Meine Freundin war nicht für den Krieg gemacht, daran gab es nichts zu rütteln. Das war auch einer von vielen Gründen, warum ich Faye liebte - ihr weicher, für gewöhnlich nicht gerade draufgängerischer Charakter. Auch wenn sie den körperlichen Prüfungsteil der Army offenbar erfolgreich hatte abschließen können, so war ihr Kopf eigentlich nicht dafür gemacht. Meiner im Grunde auch nicht, aber das hatte ich erst gemerkt, als ich die ersten Kameraden verloren hatte. Davor hatte es sich noch gut angefühlt. War inzwischen sehr lange her. Als Riley sich wieder umdrehte, um zurück zu Faye zu gehen, zuckten meine Schultern kurz. Ich hatte die Arme nach ihr ausstrecken und sie in meinem Radius halten wollen, aber das ging natürlich nicht. Die Handgelenke hingen nach wie vor in den Fesseln und sie lief ungehindert zurück zu der zierlichen Brünetten. Dass Gil sich erneut rührte reichte schon aus, um mich den Kopf an den Pfosten zurücknehmen und nach oben an die mit Spinnenweben verhangenen Holzbretter zu starren, als würden sie mir einen Ausweg aus dieser Misere aufzeigen. Es reichte auch nicht den schmalen Hohlraum zweier Bretter mit den Augen zu verfolgen, um dabei auszublenden, was passierte. Im unteren Augenwinkel sah ich dennoch, dass Riley schließlich zwischen sehr viel blödsinnigem Gerede das Messer anhob und mein Blick legte sich unweigerlich zurück aufs Geschehen. Und da war sie auch schon, die nächste blutige Linie... sicher tat der gebrochene Finger mehr weh und nichts von beidem würde sie umbringen. Die Blutung wurde früher oder später vom Körper gestoppt, auch wenn das bei Schnittwunden häufig sehr lang dauerte. Mir schien der Psychoterror das weit größere Problem zu sein. Es war zu erwarten gewesen, dass sie weiter nachbohrte, wenn ich erwähnte, dass Faye sich Verlustschmerz mehr als bewusst war, dass sie ihn zu gut kannte. Es reichte nicht Faye zu sagen, dass sie am besten in der Wüste geblieben und irgendwann da verrottet wäre, wenn sie zu nichts mehr zu gebrauchen war. Es schien sie nämlich eigentlich gar nicht zu kümmern, was Faye dazu zu sagen hatte. Wollte nicht wirklich eine Erklärung von ihr dazu, dass sie sehr wohl nachempfinden konnte, wie es war ein Familienmitglied zu verlieren. Nein, sie wartete nur auf einen falschen Schritt und der ließ nicht besonders lange auf sich warten. Das klatschende Geräusch, das entstand als Riley ihre Hand auf Fayes Wange schmetterte, klang nicht genauso wie die Peitschenhiebe damals in den Hügeln, aber es hatte doch eine gewisse Ähnlichkeit, was mich die Augen ein weiteres Mal kurz schließen und durchatmen ließ. Auch eine Ohrfeige brachte sie nicht um, wir hatten sehr viel Schlimmeres durch. Vielleicht würde mich dieses Mantra irgendwann tatsächlich entspannen, wenn ich es mir nur lang genug einredete. Allerdings ließen meine noch immer angespannten Schultern auf etwas anderes schließen, als ich die Augen wieder öffnete und geradewegs in Fayes Gesicht sah, weil Riley dabei war ihr sehr unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass ich im Grunde schon Geschichte war. Lange konnte ich mir darüber im ersten Augenblick jedoch nicht den Kopf zerbrechen, weil sich Finger um meinen Hals legten. Ich hatte den Kerl fast schon vergessen, aber er hatte kein Problem damit mich an seine Anwesenheit zu erinnern und in aller Ruhe immer mehr Druck auf meinen Kehlkopf auszuüben, bis ich schließlich kaum noch Luft bekam. Ich unterdrückte den Reflex zur Schnappatmung, sobald der erste Atemzug erfolglos verlaufen war. Mateo reizte das Ganze jedoch weiter aus, bis mein Brustkorb unter dem Sauerstoffmangel sichtbar zu vibrieren anfing und erst dann ließ er meinen Hals los. Die ersten beiden etwas zu hektischen Atemzüge meinerseits verliefen hustend und endeten nach einigen Sekunden in einem leisen, verzweifelten, fast schon ironisch wirkenden Lachen, während ich den dröhnenden Kopf gesenkt hielt, um den noch nachwirkenden Druck von meinem Kehlkopf und von der wieder fröhlich pochenden, blutenden Wunde zu nehmen. Vielleicht hatte ich schon unterbewusst geahnt, dass es irgendwann so enden würde. Dass wir beide irgendwann unter der Liebe zum Anderen draufgehen würden... darauf vorbereitet war ich jetzt aber trotzdem nicht. "Krieg ich am Ende wenigstens eine faire Chance oder reicht die Ganovenehre bei dir so weit nicht?", erhob ich mein Wort wenig hoffnungsvoll schließlich an Riley, wobei ich unweigerlich noch etwas röchelte und den Kopf anhob, um wieder in ihre diabolisch funkelnden Augen sehen zu können. Es war nicht so, als würde ich mir wirklich ein Ja für einen fairen Endkampf erhoffen. Wobei fair dabei sowieso sehr relativ war. Selbst wenn sie mir die Fesseln abnehmen würden, wäre ich zu jenem Zeitpunkt dann sehr sicher schon so gut wie tot, damit meine Chance stark gegen Null ging. Es war leider auch überflüssig, dass sie Faye indirekt sagte vielleicht weiterleben zu dürfen, wenn sie brav war und ganz viel Glück hatte, wenn für mich der Zug sowieso abgefahren war. Für die Frau, die man mehr als alles andere liebte zu sterben, klang im ersten Moment wie ein würdiges Opfer. Klang nach einem letzten, ehrenhaften Schritt. Leider wusste ich aber zu gut, dass Riley die schon jetzt gut sichtbar innerlich krepierende Brünette genauso gut gleich mit umbringen konnte, weil sie danach unmöglich noch lange weitermachen würde... so hatte ich mir unser Ende niemals vorgestellt.
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Es wirkte fast so, als hätte das kleine Miststück endlich final begriffen, welche Stunde für sie geschlagen hatte. Für sie und für ihren Freund. Die Tränen rannen ihr jedenfalls in haltlosen Bächen über die Wangen, mischten sich laufend mit dem frischen Blut, was in einer etwas wässrigen, roten Lösung an ihrem Hals und ihrem Dekolleté endete. Immer wieder zog sie verzweifelt die Nase hoch und drückte die Augen zu, als könnte sie so das Schicksal abwenden, welches das Universum für sie eingeleitet hatte. Aber das würde sie nicht schaffen, solange Riley hier war. Sie würde schon dafür sorgen, dass Gottes Strafe sie möglichst schmerzvoll traf. Sie und ihre Brüder, wie Mateo gleich darauf demonstrierte. Er drückte Victor die Luft nicht besonders lange ab, aber lange genug, um zu erreichen, dass Faye sich wieder ziemlich kopflos gegen die Fesseln zu wehren begann - bis Gil dem Ganzen erneut ein Ende setzte. Kaum bekam er wieder Luft, meldete sich Victor auch direkt wieder zu Wort. Was wohl bedeutete, dass die kleine Strafe - für was auch immer - nicht hart genug ausgefallen war. Er stellte wieder dumme Fragen, die bei Riley erstmal nicht viel mehr als ein Augenrollen zur Folge hatten. "Das werde ich mir wohl zu gegebener Zeit überlegen müssen. Aber wenn du eine faire Chance möchtest, müsst ihr euch die schon verdienen. Denkt euch was aus, vielleicht überzeugt ihr mich ja", war also ihre wage und nicht sehr vielversprechende Antwort. Sie wusste momentan selber nicht, was sich zwei gefesselte Folterpuppen ausdenken könnten, das sie überzeugen würde. Aber vielleicht fiel ihnen ja was ein. Und wenn nicht - war das irgendwie auch nicht ihr Problem, sie hatte ihnen ja die Möglichkeit zugesprochen, zumindest in der Theorie.
Rileys Worte waren der endgültige Todesstoss für Fayes Verstand gewesen. Es wirkte merkwürdig weit entfernt, als sie sah, wie Mateo seine Hände um Victors Hals legte. Sie merkte kaum, dass sie an ihren eigenen Fesseln zerrte. Hörte auch nicht damit auf, als Gil erneut nach ihrem Finger griff, obwohl der Schmerz allgegenwärtig war. Erst als er ihre Schultern packte und sie zurückriss, sie so gegen den Pfahl in ihrem Rücken drückte, dass sie sich sowieso nicht mehr bewegen konnte, hielt sie wieder inne. Auch der folgende Wortwechsel ging vollkommen an ihr vorbei, als wäre sie gar nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft. Sie verstand nicht, was Riley von ihnen wollte, war aber auch zu müde, zu kaputt um zu fragen. Sie wollte nicht aufgeben. Aber irgendwie... irgendwie konnte sie auch nichts anderes tun als aufzugeben. Es war nicht so, als würden ihre Kopfschmerzen etwas anderes zulassen, ihr zersplittertes Herz oder die tonnenschwere Last auf ihren Schultern. Sie fühlte sich wie ein wehrloser Schatten, ein bedeutungsloser Geist, der sich gegen ein Heer von Schwerbewaffneten stellte. Aber eigentlich hatte der Geist gar keinen Willen zu kämpfen, eigentlich wollte er sich gar nicht stellen. Eigentlich wollte er nur sterben, aber das war ihm nicht vergönnt. Gils Griff löste sich, wohl als er die Gegenwehr zu missen begann. Und Faye bemerkte zuerst gar nicht, dass der Mann hinter ihr inne hielt. Nur dass sie plötzlich seine Hand in ihren Haaren hatte und er die Strähnen beinahe andächtig zur Seite, über ihre Schulter nach vorne schob. Dann drückte er ihren Kopf etwas nach vorne und seine zweite Hand strich über ihren Rücken, bevor er diese anhob, um wohl Riley herbei zu winken, die nämlich kurzum ebenfalls um Faye herum ging. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was er faszinierendes entdeckt haben könnte. Die Narben... Er musste sie wohl endlich bemerkt haben, nachdem er sie gegen den Pfosten gedrückt hatte. Es gab nichts anderes, das ihn an ihrem Rücken interessieren könnte. Und Faye fühlte sich noch dreckiger als jemand ihr Nachthemd zurückzog, wohl um zu prüfen, wie weit die Striemen reichten. Sie hatte das nie jemandem gezeigt, lief immer mit Shirts herum, die zumindest die obere, schlimmere Hälfte ihres Rückens verdeckten. Das tat sie nicht, um dann von ein paar Kriminellen, die sich überhaupt gar nicht um ihr Leben scherten, begutachtet zu werden wie ein Stück minderwertiges Fleisch. Sie wollte die Blicke nicht auf sich, wollte die Narben und den Schmerz, die Erinnerungen und Erlebnisse, die sie damit verband, nicht teilen. Aber als sie den Kopf wieder nach oben und den Rücken zurück an den Pfahl drücken wollte, verhinderten zwei eindeutig stärkere Hände das problemlos, hielten sie ziemlich leicht in der gebeugten Position, damit Riley sich in aller Ruhe einen Überblick verschaffen konnte. Als das scheinbar geschehen war, stolzierten die schwarzen Sneakers der Brünetten weiter, vollendeten die angefangene Runde, um dann wieder direkt vor Faye zu stehen zu kommen. "Woher ist das?", war die kühle Frage, die keine weitere Erklärung forderte, weil jeder wusste, wovon sie sprach. "Syrien", war die einzige leise Antwort, die Fayes Lippen verliess. Es gab nicht mehr dazu zu sagen, weil Victors Schilderungen doch bestens erklärten, welchem Teil von Syrien solche Narben entsprangen. Oder glaubten sie, Faye hätte das selbst gemacht? Sich an einem Stein gekratzt? War nackt durch einen Wald gerannt? Nein. Es brauchte nicht viel Fantasie, um das verheilte Schlachtfeld auf ihrem Rücken zu deuten. Diese Meinung vertraten scheinbar alle Anwesenden, denn nicht einmal Riley forderte weitere Details. Im Gegenteil. Sie wirkte nicht direkt verstört, aber etwas nachdenklicher als zuvor, während ihr dunkler - nach wie vor nichts als feindselig gestimmter - Blick zu Victor wanderte, um auch dort noch einmal all die Narben zu mustern, die sein Körper schon vor diesem Tag getragen hatte. All die Schlachten, die sie schon gekämpft hatten. Faye hatte keine Ahnung, was durch ihren Kopf ging, als sie diesen schüttelte, um dann erneut hinter sie zu treten. Schritte entfernten sich und offenbar zogen sich alle drei für einen kleinen Moment zurück. Es verging nicht mehr als eine Minute, bis sie zurück kamen - aber ihre Besprechung hatte die irgendwie überraschende Neuigkeit zur Folge, dass Riley verkündete, für heute Nacht genug zu haben und müde zu sein. Natürlich nicht ohne ihnen klar zu machen, dass sie Morgen wieder hier sein würde. Und übermorgen. Und den nächsten Tag. Sie war schon fast dabei, sich zum Gehen zu wenden, als sie sich nochmal umdrehte und nacheinander Faye und Victor ins Auge fasste. "Ach und... ich finds ja schön, dass ihr zu mir gefunden habt - wirklich. Aber ein kleiner Tipp fürs nächste Mal hab ich trotzdem, auch wenns kein nächstes Mal geben wird: Schenkt den Cops besser nicht so viel Vertrauen. Sie passen nicht immer so gut auf euch auf, wie ihr euch das gerne einredet", sie klang beinahe wütend, als sie ihnen diese Information vor die Füsse spuckte. Fast so, als wäre Riley sich nicht mehr ganz sicher, ob sie wirklich froh drum sein wollte, von Sean und dem Cop zu ihnen geführt worden zu sein und sich jetzt mit ihnen befassen zu müssen. Aber gut möglich, dass Faye sich das in ihrem Delirium nur einbildete, zu sagen, sie wäre fertig mit den Nerven, war in diesem Zustand immerhin mehr als untertrieben.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich bekam wider Erwarten kein absolut vernichtendes Nein, wusste aber auch nicht wirklich, was Riley mir genau mit ihrer Antwort sagen wollte. Wie sollte ich mir sowas denn verdienen? Ich war hier angeleint wie ein ungeliebter Hund, der sich nicht rühren und auch nichts von sich hören lassen sollte. Es war also nicht mehr als ein ziemlich schlechter Scherz mir die Möglichkeit überhaupt in Aussicht zu stellen. Im Grunde doch ein Nein und ich würde wahrscheinlich kampflos an diesem blöden Pfahl zu Grunde gehen. Allein der Gedanke daran war schon furchtbar. Es war nicht allzu verwunderlich, dass die Anwesenden - allen voran wohl Riley, hatten die anderen beiden doch bisher nichts dazu gesagt - ihre Meinung über Faye und den Krieg noch änderten. Wenn sie ihre Narben nicht heute noch entdeckt hätten, dann eben irgendwann anders. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, weil sie in dem Nachthemd eigentlich nicht zu übersehen waren. Mich langsam an die unausweichliche Hilflosigkeit gewöhnend konnte ich nur dabei zusehen, wie sie Faye zu mustern begannen, als wäre sie ein in der Fleischtheke ausliegendes Steak, das kleine Mängel hatte. Bei dem man sich erst überlegen musste, ob es doch den vollen Preis wert war. Rileys Frage war angesichts meiner vorherigen Aufzählung völlig überflüssig, mit ein bisschen Grips hätte sie sich die auch selbst beantworten können. Ja, Syrien. Ich hatte aber nicht erwartet, dass es danach für eine kurze Zeit wirklich derartig still wurde. Nachdem auch ich mich ungewollt einer kurzen, erneuten Fleischbeschauung unterzogen hatte, verschwanden unsere Peiniger für einen Augenblick gänzlich aus unseren Blickfeldern. Als sie wenig später zurückkamen lag mein Blick schon längst wieder auf Fayes tränenüberströmtem Gesicht. Aber für die heutige Nacht schienen wir es hinter uns zu haben. Ich sah das mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil der Leidensweg nicht leichter erträglicher wurde, wenn er ewig andauerte. Vielleicht würde mir ja aber in der Zwischenzeit doch tatsächlich noch eine Idee dafür einfallen, nicht ganz so sang- und klanglos untergehen zu müssen. Auch wenn ich da nicht wirklich dran glaubte und es mir ehrlich gesagt auch vor den langen, stillen Stunden mit Faye graute. Ich wollte sie nicht anschweigen, wusste aber bis jetzt auch nicht, was ich stattdessen hätte sagen sollen. Ich wünschte wirklich es wäre draußen nachts schon kalt genug, um einfach heute Nacht zu erfrieren und dabei langsam einzuschlafen. Das ginge wenigstens schneller als die noch anstehende Folter. Riley zog sich jetzt sicherlich auch nicht grundlos zurück. Sie hatten irgendwas besprochen. Vielleicht fehlte ihnen nur das entsprechende Werkzeug, um die Folter für sie ganz besonders schmackhaft zu machen und nur deshalb gönnten sie uns bis morgen eine Pause. Wenn sie wieder erst am Abend kamen, dann würden Durst und Hunger uns bis dahin schon in sämtlichen Gliedern stecken. Riley hielt aber noch eine andere, besonders nette Information für uns parat. Sie spuckte uns nämlich ins Gesicht, dass wir mit der Polizei an unserer Seite richtig auf die Schnauze gefallen waren. Warum war ich da vorhin nicht drauf gekommen? Wahrscheinlich war die Polizei hier in den Staaten bestechlicher als in jedem anderen gottverdammten Land auf der Erdkugel. Kein Wunder also, dass einer der Beamten sich hatte kaufen lassen. Am Ende hatte Sean schon vorher einen Informanten bei der Polizei gehabt und den jetzt ganz bequem dazu genutzt, uns beide von seiner Verwandtschaft aufspüren zu lassen... ich ließ nur kopfschüttelnd wieder die Stirn nach vorne kippen, während sie endgültig von dannen zogen und das Scheunentor förmlich hinter sich zuknallten. Natürlich erst nachdem sie das Licht ausgemacht hatten. Auch wurden wieder sämtliche Schlösser gewissenhaft verriegelt und erst danach wurde es still in der schwarzen Dunkelheit. Ich musste Fayes Gesicht aber auch gar nicht sehen können, um zu wissen, wie sie in diesem Moment aussah. Trotzdem war es wahrscheinlich weniger schmerzlich, sie nicht beim Weinen ansehen zu müssen...
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Sie wusste nicht wirklich etwas mit der Information anzufangen, dass sie scheinbar von einem Cop verraten und nur darum in ihrer Ruhe gestört wurden. Der Gedanke gesellte sich einfach zu dem ganzen restlichen Chaos in ihrem Kopf, nistete sich zwischen die Selbstvorwürfe und Todeswünsche. Sie würden entspannt in ihrem Hotelbett schlafen, wenn jemand seinen Job richtig gemacht hätte. Sie hätten die letzte Stunde nicht erleben müssen, wenn sich keiner hätte bestechen lassen. Sie müssten nicht schon wieder um das Leben des anderen bangen, wenn ihr Aufenthaltsort nicht weitergegeben worden wäre. Und vielleicht - vielleicht müssten sie nicht einmal sterben, wenn Geld nicht mächtiger wäre als Empathie. Aber was brachte es darüber nachzudenken? Sie waren ja trotzdem hier gelandet. Riley würde sie trotzdem zerreissen. Und sie würden trotzdem sterben. Nachdem sie das Höllenfeuer ein zweites Mal durchlaufen hatten. Barfuss. In Schlafshorts und Nachthemd. Aber vorerst war Ruhe, denn nicht nur Riley, sondern auch Gil und Mateo zogen ab, löschten das Licht und drehten die Schlüssel in den Schlössern. Ihre Schritte waren trotzdem gut hörbar, als sie die kurze Strecke zum Auto zurücklegten, Einstiegen, die Türen zuknallten und wegfuhren. Irgendwohin. Da, wo Verbrecher eben schliefen. Faye hatte keine Ahnung, wo das war und es war ihr auch egal, denn sie würde den Ort niemals sehen. Sie schliefen hier, an zwei Pfähle gefesselt, in einer ungeheizten, undichten Scheune im Nirgendwo. Wobei Schlafen wohl nicht unbedingt besonders weit oben auf der Liste der möglichen Aktivitäten stand. Nicht nur, weil das im Stehen nicht so leicht war, sondern auch einfach, weil sie sich nicht sicher war, ob ihr Kopf das noch zulassen würde. Jetzt oder irgendwann. So kehrte lediglich die unausweichliche Stille ein, die sie nicht abwenden konnte. Was sollte sie Victor auch sagen nach den Worten ihrer Gegenspielerin? Kopf hoch, das wird schon wieder - wenn sie ganz genau wusste, dass das nicht wieder werden konnte? Mach dir keine Sorgen? Lass uns an was Schönes denken? Die meint das schon nicht so? Nein, nichts davon machte Sinn oder würde ihnen helfen. Und so schwieg sie lieber weiter, während die Tränen und das Blut abwechselnd von ihrem Kinn tropften oder unter ihr Nachthemd rutschten. Wann würde die Hexe mit Anhang wohl wiederkommen? Wie lange würde es dauern, bis sie Victor tötete? Wie viel Zeit blieb ihr bis dahin noch? War das möglicherweise schon ihre letzte Nacht zusammen? Oder die Letzte, in der sie noch sprechen konnten? "Victor..?", konnte sie schweigen, wenn sie nicht wusste, ob sie jemals noch die Chance haben würde, sich mit ihm zu unterhalten? Das Sprechen fiel ihr schwer, während die Panik ihre Kehle zuschnürte und sie gleichzeitig versuchte, die Geräuschkulisse nicht mit ihren stummen Schluchzern zu bereichern. "Ich... ich wollte dir nur sagen... ich möchte, dass du weisst... dass ich dich liebe... mehr als alles auf der Welt...", es war dumm, ihm das jetzt zu sagen, oder? Weil es bereits unweigerlich wie eine Verabschiedung klang. Aber sie musste es ihm sagen, weil sie wissen musste, dass er es gehört und verstanden hatte, bevor Riley sie auseinanderriss. "und.. und dass ich dankbar bin... dass ich dich kennengelernt habe... weil... weil du das Beste bist... was mir je passieren konnte...", ihre Stimme brach wieder ab, weil das Schluchzen, welches ihren Hals zu sprengen drohte, sich nicht mehr zurückdrängen liess. Ihre Lippen zitterten aber es fiel ihr nichtmal selber auf, weil ihr ganzer Körper zitterte unter der Anstrengung, Angst und Kälte. Sie hatte keine Verabschiedungsrede vorbereitet für den Menschen, den sie am meisten liebte. Weil sie sich niemals hatte von ihm verabschieden wollen. Aber der Gedanke, es am Ende nicht getan zu haben, war unerträglicher als die Worte, die sie über die Lippen presste.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Schon wenige Sekunden in der Dunkelheit reichten aus, um mir unmissverständlich klar zu machen, dass die folgenden Stunden nichts als schrecklich werden konnten. Wahrscheinlich würden Fayes Tränen irgendwann versiegen. Sie würde aufhören zu weinen und damit dann irgendwann auch aufhören zu schluchzen, wenn einfach keine Tränen mehr da waren. Der Knoten in ihrer Brust würde sich irgendwann lösen und sie könnte wieder normal atmen. Die darauffolgende Stille konnte aber auch nicht angenehmer sein. Am Ende war es wohl egal, wie wir die kommenden, einsamen Stunden zu zweit verbringen würden. Nichts würde etwas daran rütteln, dass ich hier stumpf auf meinen Henker und den Tod wartete, wie auch immer der am Ende aussehen würde. Meine Vermutung fiel dabei auf qualvoll und langsam. Ich hörte auf mit leerem Blick nach unten in die Dunkelheit zu starren, als Faye nach meiner Aufmerksamkeit verlangte. Nicht als könnte sie meine Reaktion sehen, aber ich hob dennoch den Kopf an, um in ihre Richtung zu blicken. Konnte jedoch nicht einmal die Umrisse ihres Gesichts sehen, während sie zu reden begann... und ich wünschte, sie hätte es nicht getan. Denn alles, was sie sagte, klang unweigerlich so, als müsste sie es jetzt sagen, weil sie nicht wusste wie lange sie noch Zeit dafür hatte. Weil sie wusste, dass wir hier in einer Einbahnstraße festsaßen und dieses Mal nicht wieder irgendwie aus der Sache rauskamen. Weil wir nicht wieder das Glück haben würden, dass uns Irgendjemand retten würde. Ich wollte das nicht hören. Es war nicht so, als hätte ich mir an diesem Punkt der Geschichte noch irgendwelche großen Hoffnungen ausgemalt - das war schlichtweg unrealistisch. Trotzdem tat es weh von Faye zu hören, dass sie ebenfalls längst das Handtuch geworfen hatte. So sollte es einfach nicht enden. Nicht hier. Nicht so. Nicht in naher Zukunft. Ich hatte irgendwann alt und mit steifen Knochen mit ihr auf einer Bank sitzen wollen. Wollte dann sagen können, dass wir das Beste aus unserem Leben rausgeholt hatten, obwohl es nicht immer fair gewesen war. Ich wollte nicht wahrhaben, dass es jetzt wirklich so enden sollte, bevor wir überhaupt jemals wirklich gelebt hatten. Bevor wir überhaupt mal aus dem Schneckenhaus gekrochen waren, in dem wir uns jetzt schon seit Monaten verkrochen. "Sag das nicht." Ich antwortete ihr erst nach einigen stummen Sekunden mit diesen drei doch etwas eindringlicher klingenden Worten. Ja, ich liebte sie auch. Ja, ich war trotz gegebener Umstände sehr froh sie kennengelernt zu haben. Ohne Faye wäre ich wahrscheinlich niemals überhaupt bis hierher gekommen. Wäre bei irgendeinem Schusswechsel jämmerlich verreckt, weil ich irgendwann gänzlich den Kopf verloren hätte, hätte sie mir nicht wieder auf die Beine geholfen. Wäre sie nicht da gewesen, um den körperlichen und vor allem psychischen Schmerz zu lindern. Aber ich atmete noch und ich würde noch nicht in den nächsten Minuten abkratzen. "Ich weiß das und ich bin noch da, okay? Rede nicht so, als wär ich schon so gut wie tot... ich... ich ertrag das nicht." Je länger ich redete, desto leiser wurde ich. Danach ließ ich den Kopf mit einem dumpfen Geräusch nach hinten an den Pfosten fallen und schluckte leise. Wurde mir durch die Bewegung ein weiteres Mal schmerzlich über den Schnitt am Hals bewusst, aber das war irgendwie gerade sehr zweitranging. Wir hatten hier größere Probleme als ein bisschen Schmerz, der noch nicht mal wirklich einem Bruchteil von dem entsprach, was aller Wahrscheinlichkeit nach noch auf uns zukommen würde. Es galt Kraft zu sparen wo es nur ging - auch mental, denn wir hatten noch einen langen Weg vor uns.
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Es dauerte einen Moment, bis sie eine Reaktion von ihm zu hören bekam. Und seine Worte klangen dann auch alles andere als einverstanden mit ihrer leisen Verabschiedung. Faye hob den Kopf nicht an, weil es nichts zu sehen gab und sie genauso gut zu ihren Füssen - die sie im Übrigen ebenfalls nicht erkennen konnte - sprechen konnte, wie zu Victor. Und er hatte Recht, das wusste sie schon. Sie sollte nicht so reden, solange sie noch beide lebten und keiner unter Verletzungen litt, die sie zwangsläufig in fünf bis zehn Minuten dahinraffen würden. Sie sollte nicht so reden, solange noch eine Chance bestand, dass sie hier vielleicht doch nicht starben. Auch wenn diese Chance sich aus einer utopischen Vorstellung wie Rileys plötzlich aufkeimendem Mitgefühl heraus bildete. Und trotzdem hatte sie es ihm sagen wollen, nur um sicher zu gehen, dass er es wusste. Nur für den Fall, dass er es vergessen hätte - obwohl sie es ihn praktisch täglich wissen liess. Faye zuckte zusammen, als sein Kopf gegen das Holz schlug, schwieg dann aber eine ganze Weile vor sich hin. "Du... du hast Recht... Es tut mir leid, ich wollte nicht sagen, dass du...", vielleicht sollte sie wirklich besser gar nichts sagen. Wahrscheinlich war ihm sowieso klar, was sie damit gemeint hatte und etwas anderes würde den Weg über ihre Lippen nicht finden. Sie war zu kaputt und zu verloren, um über eine Lösung oder einen Ausweg nachzudenken oder überhaupt irgendeine schlaue Überlegung zu fassen. Die sehr penetrante Vorstellung, dass sie Victor verlieren könnte, war allgegenwärtig und der absolut einzige Gedanke, der in ihrem Kopf noch kreiste. Es fühlte sich an wie Stunden, in denen sie in die Dunkelheit starrte, obwohl wahrscheinlich noch nicht mehr als ein paar Minuten vergangen waren. Ihr Finger pochte vor sich hin und von ihren Wangen tropften Tränen. Ihr Hals brannte - von innen wie von aussen - aber am meisten weh tat ihr Herz, geplagt vom lähmenden Schmerz der Angst, dass Riley Recht behalten könnte. Faye versuchte irgendwann, ihre Arme - möglichst ohne den Pfahl zu sehr zu berühren - abwärts zu bewegen und so vorsichtig nach unten zu rutschen, bis sie schliesslich auf dem Boden sass. Der war zwar kalt und es war bestimmt nicht die gesundeste Unterlage, auf die sie sich setzen könnte, aber auch das war irgendwo einfach irrelevant. Wenigstens konnte sie so für eine Weile die müden Beine entlasten und vielleicht würde es helfen, sich irgendwie zu entspannen. Nicht, dass sie mit Schlaf rechnete, während sie am ganzen Körper fror und ihr Kopf dafür viel zu laut war, aber es konnte ja wenigstens ein Bisschen besser werden, als das es gewesen war, als ihre Peiniger noch hier gestanden hatten. Vielleicht würde es ihr ja sogar dabei helfen, wieder sowas wie Hoffnung oder Zuversicht zu tanken. Einen Ausweg zu sehen. Ihre Zukunft nicht komplett aufzugeben, während sie probeweise an den Fesseln zu zerren begann. Sie waren ziemlich fest gebunden, nur gerade locker genug, dass ihr die Finger nicht abstarben. Aber sie hatten sich noch kein Stück geweitet, seit sie hier angekommen waren. Und waren eindeutig nicht dafür konzipiert, dass sich das noch ändern würde.
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Ich war kurz davor gewesen Faye zu sagen, dass sie sich auch nicht ständig zu entschuldigen brauchte. Es fühlte sich in letzter Zeit wirklich so an, als würde das meiste unserer Gespräche aus ihren Entschuldigungen bestehen. Nicht, dass jene nicht bis zu einem gewissen Grad berechtigt waren - schließlich hatte sie Ryatt angeschleppt und im Endeffekt war das auch der Grund, warum ich in dieser Scheune meine letzten Atemzüge machen sollte. Aber sie änderten eben nichts. Was passiert war, war passiert und keine Entschuldigung dieser Welt würde daran noch etwas ändern. Aber ich wusste eben auch, dass Faye sich hauptsächlich immer dann sehr viel entschuldigte, wenn sie verzweifelt war und sie hatte das nicht böse gemeint. Ich war einfach nur selbst auch schon so angespannt, dass es mir schwer fiel ihre Worte ein bisschen rationaler zu sehen. "Ist okay, Faye.", entschied ich mich dazu, sie lieber leise wissen zu lassen, dass das eben kein Vorwurf gewesen war. Eher nur sowas wie eine leise Bitte darum mir nicht noch weiter unter die Nase zu reiben, dass mein Todesurteil wahrscheinlich schon in greifbarer Nähe lag. Die kommenden Stunden waren wahnsinnig anstrengend. Es wurde so spärlich bekleidet gefühlt von Minute zu Minute kälter und die Dunkelheit machte mich halb wahnsinnig. Mir war auch nicht wohl dabei mich genauso wie die zierliche Brünette auf den Boden sinken zu lassen, nur blieb mir später nichts anderes mehr übrig, weil meine Füße von der Steherei irgendwann richtig unangenehm weh taten. Also sank ich schließlich ebenfalls auf den Boden. Bequem war auch das nicht, aber es hatte zumindest den Vorteil die Knie mehr oder weniger bis an den Oberkörper ranziehen zu können und dadurch ein kleines bisschen weniger Wärme zu verlieren. Schlafen konnte ich nicht, auch nicht nachdem Faye sich beruhigt hatte und nicht mehr alle paar Sekunden ein ersticktes Schluchzen die Scheune ausfüllte. Ich war heilfroh darum, als irgendwann die Sonne wieder aufging. Es blieb zwar relativ dunkel in der Scheune, weil sie nur zwei sehr kleine Fenster hatte, aber die Sonnenstrahlen wärmten zumindest das Holz aus dem Dachstuhl langsam auf. Es dauerte ewig und erforderte auch, dass ich mich sehr mühsam und unelegant zurück auf die Beine hob und mich so gut es ging etwas bewegte, aber irgendwann hörte ich tatsächlich auf zu zittern. Durch das langsame Verschwinden der Kälte drängten sich irgendwann jedoch Hunger und Durst in den Vordergrund. Am Nachmittag - zumindest schätzte ich das, nach einer Uhr suchte man hier drin natürlich vergebens - versuchte ich mir ein paar Möglichkeiten zur Gegenwehr zu überlegen, nachdem ich zumindest zwei oder drei Stunden auf dem Boden gesessen und etwas Schlaf nachgeholt hatte. Auf eine Idee für Riley kam ich nämlich nicht und wahrscheinlich würde es ihr auch sehr sauer aufstoßen, wenn ich aufmüpfig wurde. Aber es war dennoch gut zu wissen, wo meine Möglichkeiten lagen, auch wenn die insgesamt sehr begrenzt waren, weil ich die inzwischen schmerzenden Arme außen vor lassen musste. Ich wäre gern an das schmale, an einem Ende gebrochene Holzstück auf dem Boden rangekommen. Versuchte das auch etwa zehn Minuten lang, aber ich kam nicht mal mit dem großen Zehn ran. Wenn also nicht irgendwer dumm genug war es beim nächsten Besuch in meine Richtung zu treten, war auch das eine Sackgasse. Oder auch dann, wenn sie beschlossen mir nur noch diese eine Atempause zu gönnen und ich beim nächsten Abschnitt schon den Löffel abgeben musste. Abgesehen davon taten Faye und ich den Tag über fast gar nichts, fehlten uns dafür doch schlichtweg die Möglichkeiten. Wir redeten auch nicht besonders viel miteinander, wohl weil wir beide nicht so recht wussten, was wir eigentlich sagen sollten. Also brach die Nacht wieder herein und der langsam richtig herbstlich werdenden Jahreszeit entsprechend wurde es früher wieder dunkel und spürbar kälter, als uns lieb war. Es sollten dennoch nicht volle 24 Stunden werden, bis draußen ein näher kommender Motor zu hören war und sofort die Anspannung zurück in meinen Körper strömte. Ich sah zu dem in Dunkelheit liegenden Holztor, als das Licht der Schweinwerfer für ein paar Sekunden lang zwischen den Brettern durchschien. Ich drehte den Kopf zu Faye, sah sie an. "Ich liebe dich auch.", mein Hals kratzte wegen der langsam eintretenden Dehydrierung und die Antwort kam reichlich spät. So etwa 19 oder 20 Stunden zu spät und drei oder vier Sekunden später ging das Licht des Autos aus. Aber ein ich weiß darauf zu erwidern, dass sie mich mehr als alles andere auf der Welt liebte, war nicht das, was ich normalerweise dazu sagte. Ich wollte, dass sie wusste, dass sich daran nichts geändert hatte und dass das auch unter keinen Umständen jemals passieren würde. Vielleicht war das nicht besonders intelligent. Trotz allem wie ein treudummer Hund bis zum bitteren Ende an ihrer Seite kleben zu bleiben... aber das war ohnehin alles, was ich in diesem Moment noch hatte. Vielleicht auch alles, was ich in meinem Leben noch haben konnte, bis mir das Licht ausgeknipst wurde.
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Es passte ihr überhaupt nicht in den Kram, dass ihr Opfer, dem sie liebend gerne den Denkzettel ihres Lebens verpasst hätte, scheinbar schon gefühlt seit Geburt vom Pech verfolgt wurde. Es war eine Sache, dass Faye und Victor im Krieg gewesen waren – diese Narben hatten sie immerhin selbst zu verschulden. Aber warum musste ausgerechnet diese Frau, für die sie nichts als Abscheu empfand, ihren Bruder verloren haben? Warum mussten ausgerechnet diese beiden Menschen, denen sie hier liebend gern nach Lust und Laune alle Farben und Formen von Schmerz und Verlust aufgezeigt hätte, schon einmal in einer Folterkammer gesessen haben? Wie gross war bitte die Wahrscheinlichkeit, dass einem das im Leben zweimal passierte? Riley verspürte eigentlich kein Bedürfnis, Vernunft und Nachsicht walten zu lassen, ihre Strafe irgendwie auf die Taten von Faye und Victor abzustimmen. Aber so machte das alles eben einfach viel weniger Spass. Sie hatte keine Lust, jemandem Messer durch die Haut zu bohren, wenn dessen Körper bereits von Narben aller Art übersät war. Und auch wenn sie es nicht zugeben wollte und die vergangenen Stunden es kaum vermuten liessen, so besass sie möglicherweise noch sowas wie ein Gewissen, das ihr leise seine Meinung einflüsterte. Und diese Meinung sagte unmissverständlich aus, dass es sehr daneben war, eine Frau, die ihren Bruder im Krieg verloren hatte, so dafür zu bestrafen, dass sie Rileys Bruder ‘nur’ hinter Gitter befördert hatte. Alles in allem war ihre Laune leider nicht wirklich auf Höhenflügen, als sie die Scheune mitten in der Nacht verliessen. Sie fuhren nach Hause und Riley fiel nach der nötigen Dusche ziemlich bald ins Bett, nur um dann tatsächlich auch noch von Alpträumen im Schlaf gestört zu werden. Hatte sie natürlich gerade noch gebraucht. Ebenso wie das, was dann am nächsten Tag folgte. Sie wusste nicht genau, wie ihre Eltern ihnen auf die Schliche gekommen waren, ob ihre Mutter einfach mal wieder die richtige Spürnase bewiesen oder ob doch einer ihrer Brüder irgendein Wort verloren hatte. Natürlich hatten sie mitbekommen, dass etwas im Busch war und Riley hatte am Abend nach Seans Festnahme wohl laut genug über Faye geflucht, um die gezielten Fragen ihres Vaters zu rechtfertigen, mit denen sich die drei Geschwister heute Nachmittag konfrontiert sahen. Wahrscheinlich brauchten ihre Eltern auch keine weiteren Beweise als die trotzige Reaktion ihrer Kinder dafür, dass sie mit ihren Vermutungen richtig lagen. Und dann waren selbstverständlich erstmal die Fetzen geflogen. Riley war sich nicht so sicher, wann sie ihren Vater zuletzt so wütend vor sich hatte toben sehen, aber es war auf jeden Fall höchst unangenehm, zu wissen, selbst der Auslöser dieser Wut zu sein. Am liebsten wäre er wohl sofort losgezogen, um ihre jämmerlichen Opfer in die Freiheit zu entlassen. Aber nachdem keines seiner Kinder Anstalten machte, ihm einen Aufenthaltsort zu nennen, blieb es letztendlich bei der sehr effizienten Drohung, dass sie allesamt keinen Fuss mehr in dieses Haus zu setzen brauchten, wenn sie glaubten, sogenannte Unschuldige für die Fehler ihres Bruders bezahlen lassen zu müssen. Schliesslich hätte Sean gewusst, dass er mit Ryatt besser keine Deals abschliessen sollte und es war natürlich nur logisch, dass Faye die Polizei gerufen hatte. Sein Vater hatte ihn augenscheinlich auch mehrfach vor dem Veteranen gewarnt. Und wenn Mateo, Gil und Riley damit anfingen, Menschen zu töten, die eigentlich gar nicht in die kriminellen Geschäfte ihrer Familie verwickelt waren, dann sollten sie besser sehr weit von Zuhause wegbleiben. Tja und da waren sie nun. Man konnte wohl getrost behaupten, dass überhaupt nichts mehr nach ihrem Geschmack verlief, seit der Fluch namens Faye in ihr Leben getreten war. Zuerst verlor sie den Bruder, der ihr von allen am nächsten gestanden hatte, dann stellte sich heraus, dass der Fluch und ihr Freund ihr ganzes Leben schon von beschissenem Karma begleitet wurden und jetzt war auch noch ihr Vater gefühlt kurz davor, sie zu enterben, wenn sie weiter so viel Scheisse baute. Grossartig. Sie hatte sich gar nicht mit Mateo und Gil darüber zu unterhalten brauchen, was sie nun taten, weil ihnen gar nichts anderes übrig blieb, als es bei einer Strafe in Form von nicht ganz tödlicher Folter zu belassen und Faye und Victor ziehen zu lassen. Familie war heilig und nie im Leben würde sie ihre Eltern wegen einem solchen Zwischenfall verlieren. Es reichte, wenn Sean hinter Gitter gesperrt und somit unerreichbar für sie war. Die Brünette rieb sich mit einem schweren Seufzen das Gesicht, nachdem Mateo den Motor zum Schweigen gebracht hatte. Ihr Vater hatte nicht gesagt, in welchem Zustand sie ihre Opfer laufen lassen mussten. Nur, dass sie bis Morgen wieder draussen sein mussten und sie dafür sorgen sollten, dass keiner zur Polizei rannte. Aber das war wohl ihr kleinstes Problem, denn sie glaubte eher nicht daran, dass Victor oder Faye jemals riskieren würden, dass sie sie in Zukunft nochmals besuchten. Aber jetzt wo das klar war, hatte sie eben auch keine Lust, sie einfach so laufen zu lassen. Die Tatsache, dass sie sie eh nicht töten durften, hatte ihr quasi das schlechte Gewissen darüber geraubt, dass die beiden die Tortur hier womöglich gar nicht verdient hatten. Schwierige Situation. Und sie war sich ziemlich sicher, dass es ihren beiden lieben Brüder ganz genauso ging, als sie das Auto verliessen und zur Scheune stapften. Draussen wehte ein kühler Wind und als sie das Tor aufgeschlossen und das Licht angeknipst hatte um Einzutreten, bewahrheitete sich auch die Vermutung, dass es drinnen nicht unbedingt wärmer war. Zwar windstill, aber eben trotzdem nicht so, dass sie gerne so leicht bekleidet wie die zwei erbärmlichen Gestalten an den Pfählen in der Scheune wandeln möchte. «Guten Abend», grüsste Riley mit noch ziemlich neutraler Stimmlage und trat dabei langsam in die Mitte des Raumes, während sie beide einer sorgsamen Musterung unterzog. «Ich habe eine gute, eine weniger gute und eine schlechte Nachricht für euch. Die gute ist…», sie blieb stehen und ihre Augen wanderten erneut nach links und nach rechts, als müsste sie sich vergewissern, auch ja das gesamte verfügbare Mass an Aufmerksamkeit ihr Eigen nennen zu können. «ihr werdet heute noch nicht sterben. Die weniger gute: ich habe schlechte Laune und bin nicht in Stimmung, weshalb ich beschlossen habe, meinen Brüdern den Vortritt zu lassen», sie fand es ja schon ausgesprochen nett, sie überhaupt vorzuwarnen. «Die schlechte Nachricht ist, dass meine Brüder leider auch schlechte Laune haben», passend zu ihrer Aussage zeigte sich auf den Gesichtern von Mateo und Gil fast synchron ein gefährliches Lächeln, das niemals ihre Augen erreichten, während sie Victor und Faye ins Auge fassten und an Riley vorbei auf ihre jeweiligen Spielzeuge zu spazierten. Riley würde nicht behaupten, hier fertig zu sein. Aber für die nächsten fünf bis zehn Minuten gab sie sich bestens damit zufrieden, ein Bisschen zuzuschauen.
Das Problem war nur, dass es eben nicht wirklich okay war. Aber sie sagte lieber nichts mehr dazu, weil ja doch alles nur weh tat und sie innerlich zerriss. Es wurde auch nicht besser, wie die Stunden vergingen. Sie hörte auf zu weinen, aber die zersplitterten Stücke ihres Herzens klebten sich durch die Stille auch nicht wieder zusammen. Viel mehr fragte sie sich nur je länger je mehr, wie das hier wohl enden würde. Ob schon jemand nach ihnen suchte? War überhaupt aufgefallen, dass sie nicht mehr in ihrem Zimmer schliefen? Der verräterische Cop hatte bestimmt dafür gesorgt, dass auch seine Ablösung noch glaubte, sie würden einfach etwas Ruhe und Zweisamkeit geniessen. Vielleicht hatte er sogar irgendeine falsche Spur gelegt, damit niemandem auffiel, dass er sie in Wirklichkeit regelrecht an ihre Verfolger verschenkt hatte. War also gut möglich, dass bis jetzt noch keiner auf die Idee gekommen war, sie überhaupt zu vermissen. Und selbst wenn, wie sollten sie sie finden, wenn keiner eine Ahnung hatte, mit welchem Auto sie entführt worden waren? In welche Richtung? Es gab keine Anhaltspunkte und wenn sie nicht wie durch ein Wunder selbst rauskamen, würden sie hier drin sterben. Vielleicht sollte sie die Sache also einfach ganz anders angehen und eher damit anfangen, sich einzureden, dass es besser wäre, hier drin zu sterben, als noch einmal nach draussen zu kommen. Dann musste sie sich nämlich auch nie wieder mit ihrem Kopf und dem Chaos darin auseinandersetzen, nie wieder versuchen, sich erneut ein Leben ohne ständige Angst aufzubauen. Und vor allem müsste sie nie mit den Schuldgefühlen klarkommen, die sie schon während der vergangenen Tage beinahe um den Verstand gebracht hatten. Sie wusste bestens, dass jede neue Narbe an Victors Körper sie für immer an ihr Versagen erinnern und sie sich nie ganz verzeihen würde, ihn erneut durch die Hölle geschickt zu haben. Auch wenn er ihr tausend Mal versicherte, dass er ihr nicht oder nicht mehr böse war. Sie war schon einmal in ihrem Leben an dem Punkt gewesen, an dem sie sehr kurz vor dem Aufgeben gestanden hatte. Und dann hatte sie es noch einmal versucht – aber doch nicht, um dann wieder ins gleiche Loch geworfen zu werden. Sie wollte eigentlich nicht sterben, weder jetzt noch in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren. Und schon gar nicht wollte sie dafür verantwortlich sein, dass Victor ebenfalls den Löffel abgab. Entsprechend schwer bis unmöglich war es in der Schlussfolgerung, etwas Gutes in ihrem sehr wahrscheinlich baldigen Ableben zu sehen. Auch Faye versuchte– natürlich nicht zeitgleich mit Victor – noch ein paar Stunden Schlaf zu ergattern, bevor der nächste Abend hereinbrach. Bis dahin war sie bis auf die Knochen durchgefroren, zitterte aber erst dann wieder, als sie das Geräusch von Reifen auf Kies vernahm, das die nächste Session dieses Wahnsinns ankündete. Im Augenwinkel konnte sie erkennen, dass Victor sich ihr zugewandt hatte, was sie dazu animierte, es ihm gleich zu tun. Ihr von dunklen Vorahnungen getrübter Blick lag auf seinem Gesicht, als er die vier Worte aussprach, die wohl die Antwort auf das bildeten, was sie ihm vor vielen Stunden vorgejammert hatte. Es war schön, dass er das noch sagte, riss ihr aber zugleich die nächste klaffende Wunde in die Brust. Weil es auch bei ihm so klang, als würde er es nur darum sagen, weil er glaubte, dass sie es noch hören musste. Sie kam auch nicht so weit, noch etwas darauf zu erwidern, weil da schon die Autotüren aufgerissen und wieder zugeknallt wurden. Wenig später standen die drei Teufel vor ihnen in der Scheune und machten das Licht an. Riley liess sich auch nicht besonders viel Zeit damit, ihre anstrengende Stimme zu erheben, um sie über die Umstände dieses Treffens zu informieren. Und die waren wenig überraschend nicht schön, auch wenn sie ihnen mehr beiläufig versprach, heute Nacht noch keinen von ihnen umzubringen. Das hatte Faye auch nicht wirklich erwartet, wäre die Leidenszeit dafür doch noch viel zu kurz. Ihre Augen sprangen automatisch auf Gil über, als dieser wie gestern auch schon auf sie zu kam. Ihr pochendes Herz nahm sofort wieder unangenehm an Fahrt auf, was wiederum ihre hauptsächlich dem Durst zu verschuldenden Kopfschmerzen verstärkte. Auch ihre Hände verkrampften sich reflexartig in böser Vorahnung, was wiederum schmerzvollen Druck auf die zwei sowieso schon gebrochenen Finger ausübte. Würde er jetzt einfach einen dritten folgen lassen – weil es so schön war? Oder schnappte er sich heute den ganzen Arm? Oder besser gleich das Bein, damit sie auch im Traum nicht mehr auf die Idee kam, wegzulaufen? Oder war er nur wieder hier, um sie festzuhalten, während sie dabei zuschauen durfte, wie Victor langsam bei lebendigem Leib zerfleischt wurde?
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das Übel ließ nicht mehr lange auf sich warten, als ich den Mund aufgemacht hatte. Unweigerlich wanderten meine Augen zurück zum Eingang der Scheune und wenig später klickten die Schlösser, dann auch der einsame Lichtschalter. Das Schummerlicht war nach all den düsteren Stunden wie ein Segen, aber es wäre mir doch deutlich lieber gewesen, dieses Mal nur Rileys Gesicht zu sehen. Natürlich war auch sie allein dazu im Stande uns wehzutun, solange wir hier angebunden waren - aber sie hätte uns nicht wieder gleichzeitig in die Mangel nehmen lassen können. Genau danach schien ihr jetzt jedoch der Sinn zu stehen. Es hätte mich glatt erleichtert heute noch nicht sterben zu müssen, wenn es da nicht die unschöne Kehrseite gegeben hätte, dass Mateo dennoch kurz darauf auf mich zugestiefelt kam. Mit schlechter Laune. Außerdem hieß heute nicht zu sterben ja immer noch nicht, dass ich gar nicht mehr sterben musste und es war daher nur eine minder bis gar nicht wirkende Erleichterung. Bereitete mich eher mental darauf vor, unschön lange leiden zu müssen. Denn kaum hatte Mateo sich in Bewegung gesetzt und ging auf mich zu, sanken seine Mundwinkel rapide ab und seine Augenbrauen zogen sich sichtlich angepisst zusammen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten und ich hob angespannt den Kopf an, um von oben auf ihn herab zu sehen. Mateo war nicht so klein wie Riley, aber wie fast jeder Mensch ein paar Zentimeter kleiner als ich. Er kam unweit vor mir zum Stehen und begann eindringlich meine Gesichtszüge und die inzwischen geschlossene Schnittwunde am Hals, sowie auch die an den Rippen zu mustern. Dann setzte er sich wieder in Bewegung und mein Blick folgte ihm so weit wie möglich, während er langsam um mich herum ging. Mich exzessiv damit auf die Folter spannte, was er auch ganz genau zu wissen schien. "Was ist dir lieber, Victor? Neue Narben oder die alten wieder aufreißen?", stellte er mir eine Frage, als er gerade ziemlich genau direkt hinter mir sein musste. Selbst wenn ich wirklich eine Wahl hätte, was wahrscheinlich nicht der Fall war, wäre es mir egal. Ich trug schon so viele vernarbte Stellen am Körper, dass noch mehr davon kaum den Kohl fett machen würden. "Du machst doch sowieso was du willst." Ich hörte das Zünden eines Feuerzeugs hinter mir und der Qualm stieg mir bereits in die Nase, noch bevor Mateo lächelnd mit der Zigarette vor mich trat und zwei Züge nahm. "Da könntest du Recht haben." Schon während er sprach hob er das Feuerzeug an und hielt es mir unters Kinn. Ich streckte es so weit nach oben wie möglich ohne dem Blickkontakt auszuweichen, als er das Feuer anmachte und trotzdem wurde das sehr schnell eindeutig zu heiß. Nach wenigen Sekunden fast schon unerträglich und als er die Flamme dann noch einmal kurz anhob, um mir endgültig die Haut zu versengen, gab ich dem Reflex nach den Kopf zur Seite wegzudrehen und der Hitze so zu entgehen - wenn auch nicht ohne spürbare Verbrennung am Kinn. Mateo seufzte, als er das Feuerzeug sinken ließ. Stattdessen nahm er noch einen Zug von der höchstens halb verrauchten Zigarette und hob sie anschließend an meinen Hals, um die glühende Asche unweit der Schnittwunde in meine Haut zu drücken. Ich biss die Zähne zusammen, aber das schmerzliche Knurren ließ sich nicht unterdrücken. "Du strapazierst dein Glück.", kommentierte er seine Handlung unnötig, als er die Zigarette losließ und sie auf den Boden fiel. Würde sich der Schmerz der Verbrennung nicht so hartnäckig halten, hätte ich gerne verbittert gelacht. Welches Glück? Sah irgendwas hiervon nach Glück aus?! "Mal sehen, wo deine Schmerzgrenze liegt.", ließ er mich wissen, dass es jetzt gleich noch sehr viel unangenehmer werden würde. Ich schluckte, als er erneut hinter mich trat. Kurz darauf spürte ich eine Hand an meiner Schulter und er drückte mich nach vorne. Augenscheinlich um mich daran zu hindern, die auf diese Weise gänzlich durchgestreckten Arme unnötig zu bewegen. Das Klicken des Feuerzeugs war ein zweites Mal zu hören und er hielt es nahe meines Handgelenks an die äußere Seite meines Unterarms. Ich hatte keine Chance mit meinen jämmerlichen Versuchen der Flamme irgendwie zu entgehen, während er sie langsam bis zu meinem Ellbogen nach oben über meine Haut zog. Und dann wieder zurück zum Handgelenk, wobei ich förmlich spüren konnte, dass er mir damit nicht mehr nur die obere Hautschicht verbrannte. Mein Körper hatte längst unter der Anspannung und dem glühenden Schmerz zu zittern begonnen, während das Knurren erneut meine Kehle vibrieren ließ. Dieses Mal jedoch mit deutlich mehr Druck und aufblitzenden Zähnen. "Immer noch nicht genug?", fragte Mateo süffisant und ich konnte sein Grinsen förmlich hören, als er wieder am Handgelenk angekommen war und die nächste Kehrtwende mit dem Feuerzeug machte. "Hör auf.", es waren nur leise gezischte Worte zwischen dem Knurren. "Wie bitte? Du musst schon ein bisschen lauter sprechen." Er machte keine Anstalten das Feuerzeug von meiner Haut zu nehmen. "Ich hab gesagt hör auf.", knurrte ich dieses Mal deutlich energischer. Es klang nicht wie ein Betteln, sondern wie eine Aufforderung. Und zwar eine mit Nachdruck - ich wendete mich zur anderen Seite weg aus dem Griff an meiner Schulter und drehte mich um. Das war schmerzhaft für mich, weil dadurch nicht nur meine Schulterblätter über die nur mild abgerundeten Ecken des Pfahls kratzten, sondern auch meine Ellbogen- und Handgelenke über die Ecken schrammten. Ich nahm sicherlich den einen oder anderen Holzsplitter in der Haut mit, aber der saftige Tritt an Mateos Kniescheibe und sein völlig überrumpelter Gesichtsausdruck waren die Konsequenzen wert. Ich war es unendlich leid, immer und immer wieder auf mir herumtreten zu lassen, als wäre ich irgendeine unwichtige Made im Dreck, um die sich sowieso keiner scherte - niemand außer Faye. Mateo knickte ein und fluchte vor sich hin. Spanisch, kein Englisch. Er war aber nicht dumm genug sich lange genug am Boden aufzuhalten, um auch noch einen Tritt an den Kopf zu kassieren. Er war strauchelnd schneller wieder auf den Beinen, als mir lieb war und der erste, noch sehr unkoordinierte Fausthieb in mein Gesicht ließ nicht lange auf sich warten. Mit dem zweiten ließ er sich mehr Zeit um zuerst wieder festen Stand zu finden, dafür saß der dann ordentlich. Vom dritten Mal ganz zu schweigen, die linke war wohl seine bessere Schlaghand. Wieder spuckte er mir spanische Worte ins Gesicht, aber ich verstand kaum etwas und mein Kopf tat im Anschluss an die Schläge so weh, dass ich ihn taub geschlagen einfach nach vorne sinken ließ. Ich sah alles doppelt und dreifach, während ich mit der Besinnung rang und mir das Blut von der Unterlippe, schon bald auch aus der Nase tropfte. Dadurch, dass mein Hinterkopf bei jedem Schlag unweigerlich an den Pfosten geknallt war, konnte ich die Stimmen im Hintergrund nicht entwirren und nicht deuten. Vielleicht war es noch mehr Spanisch, vielleicht Englisch. Mein Hirn war so dumpf und leer vom Schmerz, dass selbst die Verbrennung am Unterarm kurz außen vor war. Mein Schädel hing noch immer vorn über, als sich eine Platzwunde am Hinterkopf durch das warme Blut in meinem Nacken bemerkbar machte. Ob sie Faye jetzt wehtaten, weil ich mich gewehrt hatte? Wahrscheinlich schon. Ich konnte den Kopf aber auch nicht anheben um nachzusehen und meine Sinne waren noch immer wie betäubt, als ich von Blut getränkten Speichel ausspuckte. Erst ein sehr schwerer Tritt auf den Fuß, mit dem ich eben noch getreten hatte, vermochte meinen Kopf mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder kurzzeitig anzuheben. War da ein Knacken gewesen? Ich war mir nicht sicher und in diesem Augenblick steckte mir der Schmerz durch die definitiv vorhandene Gehirnerschütterung ohnehin schon gefühlt im ganzen Körper. "Dreh dich gefälligst wieder um, sonst verpasst Faye den ganzen Spaß!", brüllte mir der noch immer hörbar aufgebrachte Mexikaner ins Gesicht, aber ich war noch nicht fähig mich wieder zu rühren. Er drehte mich also kurzerhand selbst absichtlich unsanft zurück in meine Ausgangsposition, wobei ich die Füße nur gerade so irgendwie sortiert bekam und die ungleichmäßigen, ruckartigen Bewegungen führten dazu, dass mir schlagartig so kotzübel wurde, dass ich alles was an Magensäure vorhanden war unweigerlich hoch zu würgen begann. Hätten mich die gefesselten Handgelenke nicht so effektiv am Pfosten festgehalten, wäre ich schon längst gen Boden gesegelt.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es wurde ziemlich schnell klar, wem von ihnen die Ehre zuteil wurde, heute zuerst an der Reihe zu sein. Natürlich war beides scheisse - sowohl wenn Victor gequält wurde, als auch wenn sie den Schmerz am eigenen Leib erfuhr. Und doch würde sie in tausend Jahren nicht auf die Idee kommen, sich zu wünschen, sie würden lieber ihn als sie an die Grenzen des physisch Ertragbaren treiben. Und kaum hörte sie Mateos Stimme, segelten die Splitter ihres Herzens ein weiteres Mal haltlos in Richtung Boden und ihre Augen verfolgten voller Angst jede seiner Bewegungen. Sie sah ihm dabei zu, wie er die Zigarette anzündete und wusste sofort, was das bedeutete. Denn Mateo rauchte nicht, um zu entspannen und den Seelenfrieden zu geniessen. Er rauchte einzig und allein wegen dem Feuer. Welches gleich darauf viel zu dicht unter Victors Kinn aufflammte. Faye zuckte zusammen und schnappte hilflos nach Luft, scheuerte sich nach und nach die Handgelenke an den unnachgiebigen Fesseln blutig, die ihr nicht gewährten, Mateos Hand einfach wegzuschlagen. Zuerst hing ihr Blick wie gebannt an der Flamme, aber es dauerte nicht mehr als ein paar Sekunden, bis ihr selbst das Zuschauen zu viel wurde und sie sich wegdrehte, ohne die sinnlosen Befreiungsversuche zu unterlassen. Natürlich konnte sie nichtmal Blinzeln, bevor Gil diese Handlung rückgängig machte. Er schnalzte kurz tadelnd mit der Zunge, dann zauberte er ein neues Messer hervor und drückte mit der Spitze der Klinge mit langsam aufbauendem Druck gegen ihre Wange. Bis sie letztendlich vor der Wahl stand, sich ein klaffendes Loch in die Wange stechen zu lassen oder sich wieder umzudrehen. Faye war sich nichtmal sicher, wofür sie sich letztendlich entschieden hätte, weil sie das Blut schon an der Wange spürte, als Gil genervt ihren Kiefer packte und sie so dazu zwang, wieder hinzuschauen. "Für jede Sekunde, die du nicht zuschaust, gebe ich Mateo zwei Minuten länger Zeit, um einfach zu machen, was er will", zischte er ihr ins Ohr, blieb dann auch ganz dicht neben ihr stehen, während er sie nicht mehr losliess und sehr genau beobachtete, dass sie auch ja genau das tat, was er von ihr verlangte. Und ihr einziges Glück waren die Tränen in ihren Augen, die sie so selten wie möglich durch ein Blinzeln verdrängte, um möglichst wenig von dem zu erkennen, was am anderen Pfahl geschah. Der Dehydrierung sei Dank blieb das Mass an Tränen aber relativ überschaubar. Und sie verpasste kein Detail von dem, was Mateo mit ihrem Herz veranstaltete. Was kurzum dazu führte, dass sie wie gestern auch schon eine Hand vor ihrem Mund spürte, die das heisere, kaum hörbare Betteln umgehend wieder unterband. "Schhh... deine Zeit kommt bald genug, Kleines", war da wieder diese Stimme an ihrem Ohr, aus der das Lächeln überdeutlich herauszuhören war. Aber sie hörte ihn gar nicht, weil sie mal wieder überhaupt nichts hörte. Ausser den Flammen an Victors Arm und der Haut, die mit absolut ekelhaftem Geruch versengte. Faye würgte mehr als drei Mal, aber dem fehlenden Mageninhalt sei Dank, brauchte Gils Hand dabei keine Kotze auf ihrem Weg nach draussen aufzuhalten. Zum Würgen gesellte sich selbstverständlich wieder das Schluchzen, wobei das heute noch viel schmerzhafter ausfiel als gestern, wo sie doch langsam dabei war, innerlich zu vertrocknen. Noch nicht absolut akut, aber ihr Hals und ihr Mund fühlten sich trotzdem so an. Sie sah, wie Victor sich wehrte, wusste zugleich aber auch, dass das keine Besserung versprach. Und natürlich bewahrheitete sich diese Vermutung umgehend und Mateo schlug noch viel wütender als zuvor zurück, sorgte dafür, dass Victors Kopf so oft gegen das Holz knallte, dass Faye schon glaubte, ihn dabei doch schon verlieren zu müssen. Und wieder wehrte sie sich so kopflos gegen die Fesseln, dass Gil letztendlich seine freie Hand, die nicht damit beschäftigt war, ihren Mund und damit ihren ganzen Kopf gegen den Pfosten zu drücken, um ihre Taille schlang und sie so eng bei sich hielt, dass sie sich praktisch gar nicht mehr bewegen konnte. Sie konnte zwar Victors Gesicht in diesem Moment nicht sehen, aber das brauchte sie auch nicht, um zu wissen, was darin jetzt zu allem anderen hinzugekommen war. Trotzdem sah Mateo natürlich eine gewisse Wichtigkeit darin, ihren Freund wieder in seine Ausgangsposition zu zwingen. Nur damit er im Anschluss fast kotzte. Sein Gesicht sah furchtbar aus, was sie ja bestens erkennen konnte, da sie noch immer dazu gezwungen war, in seine Richtung zu blicken. Überall war Blut. Und dabei konnte sie sich gar nicht vorstellen, wie sich sein Arm anfühlen musste... "Schon schlimm, hm? Zu wissen, dass alles davon deine Schuld ist... Dass er nur leiden muss, weil du nicht geschafft hast, was von dir verlangt wurde... Dabei war das noch nicht mal zu irgendeinem Zeitpunkt ein Bisschen zu viel", raunte Gil weiter in ihr Ohr, woraufhin sie versuchte, den Kopf zu schütteln um irgendwie etwas Distanz zwischen sein Gesicht und ihr Ohr zu bringen. Dieses Vorhaben hatte er allerdings etwas zu schnell durchschaut und seine Hand um ihre Taille schloss sich noch etwas enger, bis kein Blatt mehr zwischen ihre beiden Körper gepasst hätte. Auch mit der Hand um ihren Mund tat er das Gleiche, bis sie so dicht wie möglich bei ihm stand und seinen Atem spürte. "Was soll ich nur mit dir machen, Kleines, hm? Wenn dein Freund sich so schlecht benimmt...", seine Finger rutschten von ihrem Mund nach unten, strichen ihren bebenden Kiefer hinab und legten sich ungeachtet der Wunden um ihren Hals, wo er zupackte. Nicht heftig und nicht, um ihr dabei die Luft abzudrücken, sondern einfach so, dass sie wusste, dass er es könnte. Er beugte sich so nahe zu ihrem Gesicht, bis sein unruhiger Atem ihre Haut streifte, während er tief in ihre Seele starrte. "So viele Ideen und so wenig Zeit...", Faye war sich nicht einmal sicher, ob Mateo - für den Moment - mit Victor fertig war, oder ob Gil einfach für sie entschieden hatte, dass sie nicht mehr zuzuschauen brauchte. Aber die Hand an ihrer Taille strich langsam weiter nach oben, als wäre das Nachthemd einfach gar nichts und sie vollkommen nackt vor ihm.
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Würde ich doch noch heute hier sterben? Es fühlte sich ein bisschen so an, während mein Schädel noch damit beschäftigt war das lädierte Hirn zurück in die Ausgangsposition zu rücken und mein Arm sich so anfühlte, als würde er sich selbst immer weiter zerfressen, obwohl das Fleisch natürlich nicht weiter brannte. Zumindest nicht wortwörtlich, fühlte es sich doch sehr wohl so an, als würde die Flamme noch immer über meine Haut züngeln. Feuer schien mir so ziemlich die barbarischste Art zu sein, jemanden bei lebendigem Leib sterben zu lassen, wo ich doch schon nur mit dem verbrannten Streifen am Arm zu kämpfen hatte. Der war mehr als schlimm genug. Der Schmerz machte es mir in Kombination mit meinem schwer wiegenden Kopf wirklich anstrengend, wieder bewusst am Geschehen teilzunehmen. Scheinbar dauerte es Mateo auch zu lange, bis ich wieder wirklich bei Bewusstsein war und fühlte sich in der Pflicht nachzuhelfen. "Jetzt reiß dich mal zusammen, das war noch nicht alles." Mit diesen gespuckten Worten hielt er mir das Feuerzeug ein weiteres Mal unters tief liegende Kinn und touchierte damit gleichzeitig beinahe die Schnittwunde am Hals, was mich den Kopf aus Instinkt wieder anheben und geradeaus schauen ließ. Ich stöhnte vor Schmerz auf, konnte die Augen kaum offen halten und die Kopfschmerzen raubten mir weiter den Verstand. Es dauerte deswegen etwas länger, bis Gils Worte und Taten tatsächlich auch vollständig von meinen Ohren bis zum Gehirn weitergeleitet waren. Mühsam drehte ich das blutverschmierte Gesicht in Fayes Richtung und blinzelte ein paar Mal in der Hoffnung eine klarere Sicht zu erlangen. Aber eigentlich brauchte ich die gar nicht, um erkennen zu können, dass der Stoff des dünnen Nachthemds - das an sich eigentlich auch nicht unbedingt für fremde Augen bestimmt war - ganz und gar nicht mehr da saß, wo er eigentlich hingehörte. Das erste leidige Wimmern fand den Weg über meine halb offenen, blutigen Lippen und ich war versucht den Kopf wieder sinken zu lassen, konnte ich mir sowas doch nicht noch ein weiteres Mal ansehen. Aber da war es schon wieder, das Feuer - der Kopf blieb also oben und ich sah stattdessen zu Riley, die sich all das so beiläufig im Hintergrund ansah. Ich versuchte ihre Gesichtszüge zu lesen, aber das war im Halbdunkeln mit meiner schwammigen Sicht unmöglich. "Wie kannst du... du das zulassen? Du... bist doch selbst eine Frau... wieso...", stammelte ich unter großer Anstrengung die paar Worte zusammen, die mir auf der Zunge brannten. Ich verstand das nicht. War es nicht der schlimmste Alptraum so ziemlich jeder Frau, ungewollt von irgendeinem widerlichen Kerl angefasst oder gar vergewaltigt zu werden? Und Faye hatte das alles doch schon durch. Dabei war es in meinen Augen irrelevant, dass sie sich Warren einvernehmlich hingegeben hatte - es war und blieb Missbrauch schlimmsten Grades. Und das war ja nicht mal das einzige Male gewesen, sie hatte das vorher schon öfter tun müssen... von dem syrischen Arschloch, das ihr in den Hügeln mit Vergewaltigung gedroht hatte, mal ganz zu schweigen. Auch an dieser Stelle dankte ich Mitch und Aryana gedanklich ein weiteres Mal. "Bitte... nicht... nicht nochmal..." Weiter kam ich nicht, weil ich Blut aushustete, dass mir offenbar von der Nase in den Mund gelaufen war. "Aaah, na da haben wir's ja - das erste Betteln.", flötete Mateo plötzlich wieder bester Laune breit grinsend vor sich hin und klopfte mir dabei fest auf die Schulter, schickte damit ein weiteres Mal höllischen Schmerz durch meinen Arm. "Mach weiter, es wird gerade interessant.", wandte er sich fast beiläufig an Gil, bevor seine Aufmerksamkeit wieder gänzlich auf mir lag und er ein weiteres Mal um mich herumging. Ich rechnete bereits mit dem Feuerzeug, während mein wehleidiger Blick noch immer auf Rileys Gesicht lag. Allerdings war es der Stich eines Messers auf Höhe meiner unteren Rippen im Rücken, der mich reflexartig den Rücken durchbiegen und nach vorne zucken ließ. Er hatte nicht tief gestochen, aber es hatte scheinbar eine ruckartige Bewegung gebraucht, um das dicke Narbengewebe erneut zu durchstechen. Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass genau dort eine der Narben lag. Faye hatte sie oft massiert und eingecremt. Erst im Camp, dann später in der Klapse, als der Phantomschmerz zurückgekommen war... der jetzt nur zusätzlich durch das tatsächliche Verletzen alter Narben angestachelt wurde. "So ist das eben, Victor... alte Narben tun am meisten weh. Man kann sie so schön aufreißen... immer und immer wieder...", faselte Mateo fast schon andächtig vor sich hin. Kurz bevor er die Spitze des Messers in eine der anderen Narben stach, wodurch ich mich erneut unter Aufächzen nach vorne wand und mir dabei versehentlich auf die ohnehin schon geplatzte Unterlippe biss. Der Schmerz brachte mir mehr und mehr mein Bewusstsein zurück, schien er doch noch immer nicht ausreichend zu sein, um mich stattdessen in die Bewusstlosigkeit abdriften zu lassen. Aber auch nach dem zweiten Stich suchte ich mit meinem nur mehr leidenden Blick wieder Rileys Augen, statt zu Faye zu sehen. Erstens weil ich letzteres nicht ertrug und zweitens, weil ich sie als einzigen Ausweg sah. Mateo? Bei ihm war der Mitleidszug sehr offensichtlich abgefahren, so wie er in meinem Körper rumstocherte. Gil? War noch immer keinen Millimeter von Faye weggetreten, seit ich darum gebeten hatte. Mir blieb also nur deren Schwester, um zumindest dieser einen Sache einen Riegel vorzuschieben. Es kümmerte mich kaum, was sie mit mir anstellten und wie sehr sie mir den Körper weiter entstellten, solange sie nur wenigsten was das anging die Finger von Faye ließen. Sie hatte schon mehr als oft genug unter dem männlichen Geschlecht leiden müssen...
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Diese ganze Situation war schon lange eine Reizüberflutung schwersten Grades, aber was Gil veranstaltete, setzte dem eindeutig noch die Krone auf. Sie wusste gar nicht mehr, worum sie hier eigentlich betteln sollte, wenn er ihr so auf die Pelle rückte und sie gleichzeitig die Laute voller Schmerz von Victor vernahm und hörte, dass Mateo offenbar noch lange nicht genug hatte. Aber Gil würde ihr nichts tun, oder? Jedenfalls nicht in diesem Sinne. Sein Bruder und seine Schwester waren anwesend, er würde sie kaum vor deren Augen vergewaltigen, oder? Faye war sich nicht so sicher, wie sie es sich gerne sein würde, aber hatte auch keine Zeit, es sich genauer zu überlegen, weil sie da schon Victors Betteln hörte. Das allerdings scheinbar etwas zu gut ins Programm der Brüder passte, wie Mateo gleich wörtlich verlautete. Gil lachte leicht in sich hinein, starrte weiter in ihre Augen, wobei sich die Gier in seinem Blick mehr und mehr ausbreitete, je weiter aufwärts sich seine Hand an ihrem Körper entlang tastete. Sie sah, dass Mateo sich bewegte und gleich darauf zuckte Victor mit einem Stöhnen zusammen. Aber sie kam nicht wirklich dazu, zu erkennen, woran das jetzt lag, weil Gil alles andere als erfreut darauf reagierte, dass sie ihm weniger als ihr vollstes Mass an Aufmerksamkeit schenkte. Und die Hand, die sich ganz plötzlich in ihre rechte Brust krallte, reichte dann auch aus, um sie tonlos nach Luft schnappen zu lassen und ihn in kompletter Panik anzustarren. Nein nein nein würde er nicht! Je mehr sie zappelte umso enger wurden seine Griffe um ihre Brust und ihren Hals und je tiefer starrte er in sie hinein. Er schien gar nicht zu merken, wie seine Schwester im Hintergrund die Augenbrauen ins Gesicht zog und die Arme vor der Brust verschränkte. Sie wirkte nicht so, als möchte sie sich das unbedingt anschauen, aber doch blieb sie still. "Ich bin aber keine Frau, die zu dumm ist, eine solche Situation zu verhindern", war alles, was sie kühl auf Victors Worte erwiderte, ignorierte dabei laufend die flehenden Blicke, die ihr von links und rechts zugeworfen wurden, als wäre sie auf einmal die einzige Hoffnung der Geschädigten. Riley nahm viel lieber zwei Schritte rückwärts, als bräuchte sie etwas Abstand - Abstand, der am Ende nichts verhindern und niemanden retten würde. Als würde sie einfach darauf vertrauen, dass ihre älteren Brüder schon das Richtige tun würden - wie immer eben. Und wenn Gil der Meinung war, dass das eine faire Strafe für all den Ärger war, den sie Faye und Victor zu verdanken hatten, dann bitte. Gil war ganz genau dieser Meinung, wie er hier bewies, als er sich plötzlich von ihr löste. Aber nicht etwa, weil er glaubte, das wäre genug, sondern weil er sich an das Messer in seiner Tasche erinnerte. Er zauberte die Klinge weiterhin fröhlich grinsend hervor und setzte sie vorsichtig unter Fayes Arm an, da, wo der Stoff des Nachthemdes endete. Denn dieser war, wie sich gleich darauf herausstellte, sein eigentliches Ziel. Die Klinge stach durch ihre Haut, riss aber keine tiefe Furche, als er sie abwärts zog. Viel mehr ging es ihm einfach darum, den Stoff entzwei zu teilen - dass sich dann darunter eine kerzengerade blutige Linie zog, war mehr ein schöner Nebeneffekt als sein eigentliches Hauptanliegen. Die Wunde führte von ihrer Achsel über ihre Rippen hinab bis fast zu ihrer Hüfte, gerade so weit, dass Gil sich nicht zu sehr verbiegen musste, um sie zu malen. Mit zwei weiteren Schnitten auf ihren Schultern waren schliesslich auch die Träger des Nachthemds hinüber und kaum hatte der Teufel sein Werk vollendet und das Messer weggesteckt, schnappte Gil sich die zwei Teile des seidenen Stoffes, um auch das letzte Stück entzwei zu reissen und das ehemalige Kleidungsstück achtlos zur Seite zu schmeissen. Faye hatte in einem letzten Akt der Verzweiflung versucht, den Stoff zwischen ihren Rücken und den Pfahl zu klemmen, aber kein Teil von dem was sie tat, konnte etwas daran ändern, dass sie zwei Sekunden später in nichts als einem schwarzen String in dieser Scheune stand und die Augen eines fremden Mannes auf ihrem Körper spürte. Ohne die geringste Möglichkeit, sich zu verstecken, während er wieder nach ihrem Hals griff, um sie anzuschauen. Sie und ihre ganze Verzweiflung, die Angst und die Hoffnungslosigkeit. Vielleicht sah er aber auch den leisen Wunsch, hier und jetzt sterben zu dürfen, denn ganz genau das sehnte die Brünette sich herbei. Sie hatte für den Rest ihres Lebens nur Victor gehören wollen. Nur ihm, für immer, ohne Ausnahme. Und dann kam dieser Mensch, der sie nicht kannte, der ihren Wert und ihre Ehre mit Füssen trat, nur um sie zu zerstören. Und er machte das so gut. So gut, dass sie gar nicht mehr bei Victor sein wollte. Sie wollte nicht, dass er sie sah. Wollte nicht, dass er in ihrer Nähe war. Weil sie nie wieder genug für ihn sein würde. Er hatte ihr schon so vieles verziehen, aber das hier, das konnte er niemals vergessen oder vergeben. Sie fühlte sich wie in einer fremden Welt, einem Paralleluniversum, das nicht wirklich der Wirklichkeit entsprach. Weil es zu grausam war, um echt zu sein. Alles um sie herum war ein Bisschen in Watte gehüllt, Mateo, Gil, Riley und sicherlich auch Victor, dem sie nie wieder in die Augen schauen würde. Alles war sehr weit weg und keiner würde bis zu ihr durchdringen. Und wenn sie sich ganz viel Mühe gab, konnte ihr hier keiner mehr wehtun. "Wirklich ein Jammer, dass wir uns nicht einfach wann anders über den Weg gelaufen sind, nicht wahr..? Ich hätte dir so gerne so vieles gezeigt", raunte Gil ihr zu, strich ihr mit dem Daumen über den zitternden Kiefer, und knetete mit der freien Hand ihre nackte Brust. Aber es passierte nicht wirklich und es tat nicht weh. Seine Hand löste sich von ihrem Körper, streckte sich ihren Armen entlang bis zu ihren Händen aus und er trat einen Schritt seitlicher an sie heran. Er begann langsam damit, ihre Arme nach oben zu drücken, während sie sich im gleichen Tempo immer weiter nach vorne beugte, um die Spannung auf ihren Schultern und Ellbogen auszugleichen. Bis er ganz plötzlich ihren Hals losliess, um sich stattdessen mit voller Wucht auf ihre rechte Schulter zu werfen und sie so mit einem zeitgleichen Tritt in die Kniekehlen ruckartig auf den Boden zu zwingen. Ihre Hände liess er dabei aber nicht los und eine Sekunde nachdem sie dem hölzernen Pfahl entlang auf die Knie geschlittert war, riss er ihre Arme hoch, was ihre ihm zugewandte Schulter selbstverständlich damit quittierte, dass sie spontan aus dem Dienst ausstieg und auskugelte. Der höllische Schmerz, der durch ihren Körper schoss, riss sie erbarmungslos aus ihrer alternativen Realität zurück in die Gegenwart und selbst wenn sie sich vorgenommen hätte, nicht zu schreien, würde sie spätestens an diesem Punkt elendig versagen. Gil hielt ihre Arme trotzdem oben, was dazu führte, das sie sich hoffnungslos verrenkte, im Versuch, nicht auch noch die zweite Schulter zu verlieren und gleichzeitig dem Schmerz zu entkommen. Sie spürte eine Hand in ihren Haaren, die ihren Kopf zurück riss, damit sie wieder nach oben, in seine kalten, unnachgiebigen Augen blickte. "Na, kleines Mädchen? Bereit für die grosse böse Welt?", kam die überflüssige Frage, die er sich wohl selbst beantworten musste.
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Es war naiv gewesen zu glauben, dass es wirklich noch einen Ausweg gab, oder? Vielleicht hatte ich auch gar nicht wirklich daran geglaubt, irgendwas damit erreichen zu können, an Rileys vielleicht vorhandenen, letzten Funken Empathie zu appellieren. Wahrscheinlich war es einfach der eine, einzige Funke an Hoffnung gewesen, den ich noch nicht hatte aufgeben wollen. Die junge Frau machte aber leider absolut keinen Hehl daraus, dass sie das nicht interessierte. Zerschnitt mit ihren kalten Worten das letzte Seil, das Faye und mich noch gemeinsam mit Ach und Krach gemeinsam zurück ans zumindest ein kleines Stück unserer Beziehung rettende Ufer hätte bringen können. Sie riss uns endgültig auseinander und ließ und jeweils einsam und allein an einem Felsen zerschellen. Und bei Gott - ich versuchte alles, was ich als nächstes hören musste, irgendwie auszublenden. Sowohl Gils Worte, als auch sämtliche Geräusche, die Faye von sich gab. Aber es war schlicht und ergreifend unmöglich. Ich ließ den Kopf wieder sinken, um auf meine Fuße zu starren, von denen einer inzwischen mehr und mehr anschwoll. Allerdings schien das ganz und gar nicht in Mateos Sinn zu sein, denn er kam zurück zu mir nach vorne und hielt mir erneut das Feuerzeug unters Kinn. "Du sollst hinsehen, Arschloch.", murrte er unzufrieden zu mir runter, doch ich sah auch mit erhobenem Kopf weiterhin geradeaus. Es war schon schlimm genug im Augenwinkel mit ansehen zu müssen, wie Gil ihren inzwischen fast gänzlich nackten Körper anfasste, als würde sie ihm gehören. Als hätte er jedes Recht der Welt mit ihr zu machen, was ihm die liebe lange Nacht so in den Sinn kam. Weil ich nicht reagierte, hob Mateo das Feuerzeug von meinem Kinn an meine Wange, um mich so dazu zu kriegen in die entgegengesetzte Richtung zu sehen. Da hatte er sich aber geschnitten. Ich zog den Kopf nur bei Seite, um ihn schwungvoll zurück und gegen seine Hand zu schlagen, wodurch das Feuerzeug auf dem Boden landete. Der ohnehin nach wie vor dröhnende Kopfschmerz wurde dadurch erneut ans Höchstmaß befördert und ich war dankbar dafür, dass er mir für einen Moment lang erneut die Sinne raubte. Mateo teilte diese Meinung natürlich wieder nicht. Aber er begann im selben Moment wieder auf mich einzureden, in dem Fayes Schrei mir gefühlt den Gehörgang sprengte. Sämtliche Nerven in meinem Körper bis aufs Äußerste reizte und mich die Augen weit aufreißen ließ, während die nächste eiskalte Gänsehaut meinen Körper überströmte. Ich sah also tatsächlich noch einmal aus freien Stücken in ihre Richtung, als sich die ersten stummen Tränen den Weg an meinen Wangen hinunter bahnten - nur um mir absolut sicher sein zu können, dass ich jetzt nicht mehr wollte. Es reichte. Ich hatte genug gesehen, genug gehört. Ich wollte nicht mehr. Und eigentlich machte es auch keinen Unterschied, oder? Wenn ich mir jetzt selbst ein Ende bereitete, dann musste ich Faye nicht wenigstens auch noch vor meinen eigenen Augen vergewaltigt mit ins Grab nehmen. Zwischen uns mochte ohnehin schon wahnsinnig viel kaputt gegangen sein, aber ich könnte mir wenigstens dieses eine, winzige Stück Heiligkeit bewahren. Es war egoistisch, oder? Faye mit diesem Abschaum allein zu lassen würde sicher nicht gerade als Heldentat in die Geschichtsbücher eingereicht werden... aber ich war am Ende. War mir sicher, dass ich jetzt zum ersten mal in meinem Leben nicht mehr zu feige dafür war, mein eigenes Leben zu beenden, um mir weiteres Leid zu ersparen. Wahrscheinlich war das das Egoistischste, das ich jemals getan hatte - ich hatte aber verdammt nochmal auch nicht darum gebeten, diese ganze Scheiße noch einmal erleben zu müssen. Ich richtete den Kopf wieder gerade, atmete einmal tief ein und knallte den Hinterkopf mit vor Trän en verschwommener Sicht ein weiteres Mal an den Pfahl. Die Platzwunde am Hinterkopf war noch nicht gravierend gewesen, aber da konnte ich nachhelfen. Und selbst wenn es mich nicht sofort umbrachte, würde es mich wenigstens in die Bewusstlosigkeit treiben. Vielleicht hatte ich Glück und wachte später einfach nicht mehr auf, also schlug ich den Hinterkopf ein zweites Mal gegen den Pfahl. "Was zum Teufel tust du? Willst du dich umbringen?" Mateo stellte sich direkt vor mich, die Frage halb lachend formuliert mit köstlich amüsiertem Blick. Da Dank Fayes immer größer werdendem Leid wieder reichlich Adrenalin durch meinen Körper floss, hatte es bis dahin leider auch noch nicht ganz zur Besinnungslosigkeit gereicht. "Ja.", beschränkte sich meine Antwort auf ein einziges, leises Wort, während mir neuer alter Schmerz den Schädel flutete. "Das ziehst du nicht durch.", erwiderte er. Mateo klang noch fast genauso belustigt wie vorher, aber seine Mundwinkel sanken langsam ab und seine Stirn legte sich in Falten. Ich blickte nur noch einen Moment lang unverändert in seine Augen, danach holte ich erneut mit dem Kopf nach vorne aus, machte die Augen zu und... wurde jäh gebremst, weil der Mexikaner mir den Kopf an den Haaren mit einem Ruck wieder nach vorne zog. "Du wirst jetzt schön die Füße stillhalten, du dreckiger Köter. Wir machen uns die Mühe hier nicht, damit du dich frühzeitig verabschiedest.", murrte er drohend zu mir hoch, unweit mit seinem Gesicht vor meinem. Es änderte nichts an meinem gebrochenen, gleichzeitig jedoch sehr entschlossenen Blick, änderte nichts an den weiter vor sich hin laufenden Tränen. Änderte nichts daran, dass ich mich stattdessen einfach für die andere Richtung entschied. Meine Stirn mit so viel Schwung wie mir möglich war - er hielt mich glücklicherweise nicht so fest, wie er es hätte tun sollen - nach vorne warf und ihm dadurch scheinbar die Nase brach. Ich sah es zwar nicht, war meine Sicht doch durch den Aufprall doch wieder vollkommen getrübt, aber das Knacken war eindeutig nahe genug gewesen, um es unmissverständlich heraushören zu können. Er hatte scheinbar auch so wenig damit gerechnet, dass er mit dem Arsch auf dem dreckigen Scheunenboden landete. Oder sein Schädel war tatsächlich auch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, weil er sich nur mühselig auf die rechte Hand stützen konnte, um sich an die blutende Nase zu fassen. "Lieber bin ich mein eigener Henker... als mir von eurer verschissenen Inzucht-Familie... den Tod diktieren zu lassen.", spuckte ich kaum noch redefähig sehr undeutlich zu ihm runter. Mehr oder weniger wortwörtlich, weil ich dabei unkoordiniert das Blut aus meinem Mund auf seine Stiefel sabberte. Die Wunde am Hinterkopf hatte wieder angefangen zu bluten und die warme Flüssigkeit lief seitlich an meinem Hals bis zu meinem Schlüsselbein, wo es letztlich abtropfte. Und dann kündigte sie sich an - die lang ersehnte Bewusstlosigkeit. Ich bekam gar nicht mehr richtig mit, wie meine Füße nachgaben und mein ganzer Körper nach vorne kippte. Die Fessel gab dem Zug nur immer wieder ein bisschen nach, also rutschte ich stückweise bis auf die Knie runter. Schon dabei wurde meine einst schwummrige Sicht immer dunkler, bis vollkommene Schwärze eintrat und ich reglos mit nach vorn gekipptem Schädel am Balken hing. Ich spürte nichts mehr von all dem Schmerz. Mein Herz hörte auf zu stechen. Der Kopf dröhnte nicht mehr. Keiner der Schnitte und Stiche tat mehr weh. Der wahrscheinlich gebrochene Fuß auch nicht. Die längst wund geriebenen Handgelenke nicht. Es war einfach nur ein seliges, angenehmes Nichts, in dem ich mich dieses Mal mit Freuden für immer verkriechen würde. Ich hätte mich gerne anders von Faye verabschiedet, hätte ihr diesen Anblick auch gerne erspart. Aber ich war lange genug ihr Beschützer gewesen, war damit erfolgreich gescheitert und konnte deshalb genauso gut dieses eine, einzige Mal mich selbst vor Schlimmerem schützen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +