Dann ist ja guuuut. XD Ja, ich eben auch ständig, das ist mir echt noch nie oder jedenfalls schon sehr lange nicht mehr passiert… dass ich beim Schreiben einer selbst erfundenen Geschichte so oft Tränen in den Augen hatte. v.v Eine wahrlich belastende Situation, die wie da gezaubert haben. x‘D ____________
Sie… sie machte alles falsch, oder? Darum weinte er jetzt auch. Weil sie ein emphatieloses Stück Dreck war. Weil sie ihn nicht mehr verstand und er sie nicht. Wenn das am meisten weh tat, also mehr als das, was in der Scheune passiert war, wollte er dann in diesem Moment schon wieder wegen ihr sterben? Das hatten sie nämlich schon durch und eigentlich hatte sie gehofft, damit abgeschlossen zu haben, weil er verdammt noch mal nicht sterben sollte. Sie hätte ihn nie so sehr an sich binden sollen. Eigentlich hätte sie von Tag Eins an wissen können, dass das in einem Desaster endete und sie ihn kaputtmachen würde. Aber sie hatte es ignoriert, obwohl sie auch da schon gewusst hatte, dass ihr Leben eine ziemliche Talfahrt war. Aber er hatte es auch gewusst. Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht und Victor hatte sich trotzdem für sie entschieden. Für sie - inklusive Talfahrt-Risiko. Hatte er sich damit auch für diese Katastrophe hier entschieden? Vielleicht. Aber hätte er das vorausgesehen, wäre er bestimmt längst abgesprungen. Denn es war nichts als einfach nur grausam. Sie wollte nicht, dass irgendwer gewann, der versuchte, sie auseinander zu treiben. Zugleich war es nahezu unmöglich, dagegen anzukämpfen, wenn die Gefühle derart hoch kochten und ihre Ressourcen so aufgebraucht waren wie jetzt. „Ich w…wollte dir… n…nicht… wehtun, Victor… Alles, was ich… immer wollte… war, dir nicht… weh zu tun… dich zu schützen...“, das Sprechen war unglaublich schwierig, während ihre Brust und ihr Hals sich so eng anfühlten und sie sich mit dem Denken und ihrem benebelten Hirn so schwer tat. Es tat so weh und zu wissen, dass es ihn wegen ihr genauso schmerzte, war das Schlimmste von allem. "Aber ich... ich weiss nicht... mehr wie... ich das machen kann... Irgendwie... passiert... ständig... das Gegenteil...", ihre Stimme verlor sich im Nichts und Faye liess die Hand ebenfalls sinken, um sich stattdessen an die Tischkante zu klammern. Der Schwindel und das Zittern sogen ihr jegliche Stabilität aus den Beinen und sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt stehen bleiben konnte oder ob sie gleich von ihrer Schwäche in die Knie gezwungen wurde. So kippte auch ihre Hüfte sehr bald gegen das Holz, um der drehenden Welt wenigstens ein kleines Bisschen Halt zu gebieten. Immer eher mässig erfolgreich, besonders, als Victor weiter sprach. Aber für sie machte es eben einen Unterschied, selbst wenn sie das nicht wollte. Es war falsch, dass sie an ihm oder seinen Gefühlen zweifelte, aber ihr gings ja auch gar nicht darum. Sie glaubte nicht, dass es an ihm liegen würde, wenn er mit dem, was passiert war, nicht klar kam. Nur konnte sie ihm auch das nicht sagen, weil sie nicht erklären konnte, woran es denn sonst lag. Vielleicht könnte sie das ohne die Medikamente, wenn sie ruhig und rational argumentieren könnte. Aber ganz bestimmt nicht in diesem Zustand. Sie waren immer noch beide hier, sagte er. Und das war das Einzige, was sie beide sicher wussten. Dass sie noch lebten, obwohl das nicht so sein sollte. Obwohl sie beide mindestens an einem Punkt einen quasi irreversiblen Todeswunsch verspürt hatten. Es war wirklich ironisch, dass ihnen selbst in diesem Bereich des kleinsten Masses an Autonomie die Selbstbestimmung vorenthalten wurde. Selbst hier andere Menschen glaubten, besser zu wissen, ob sie nun reif für die ewige aber friedliche Dunkelheit waren oder nicht. Und scheinbar waren die alle der Meinung, dass es nicht so war. Ausser ihr, irgendwie. Auch wenn sie eigentlich genaugenommen gar nichts mehr wusste. Faye hatte keine Ahnung, was sie tun sollte, um seinen Schmerz zu stillen. Sie hatte eine Idee, aber sie verstand sie nicht und da war so vieles, das sich in ihr dagegen sträubte. All der Selbsthass, der nicht zulassen wollte, dass sie sich versöhnten, weil sie das einfach nicht verdient hatte. Aber er hatte es verdient, oder? Das war das Zweite, was sie sicher wusste, weil Victor alles verdiente. Nicht nur von ihr, sondern von der ganzen Welt. Und er war hier, um ihr zu sagen, dass er sich das wünschte. Und sie stand ihm gegenüber und war nicht fähig, irgendwas zu tun oder zu sagen. Wie eine verdammte Marmorstatue, die unter dem Erdbeben, das sie zittern liess, sehr bald zerbrechen und zerbröseln würde. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie es schaffte, ihre zweite Hand, die noch immer von der Schiene begleitet wurde, zu heben, weil sie es nicht wagte, auf der anderen Seite die Tischkante loszulassen. Weitere zähe Minuten, bis ihre Finger weit genug ausgestreckt waren, um ihn tatsächlich zu berühren. Ihr Zeigefinger legte sich an seine Wange, so vorsichtig, als hätte sie Angst, ihn mit dieser Berührung zu verbrennen. Es war schwierig, überhaupt eine gezielte Bewegung auszuführen, wenn ihre Finger Endstufe Parkinson vortäuschten. Sie senkte die Hand erneut, als sie festgestellt hatte, dass er tatsächlich nicht wie erwartet einfach wegschmolz, sobald sie ihn anfasste. Löste sehr vorsichtig ihre andere Hand von der Tischkante, um den Verschluss der Schiene zu lösen und diese im Anschluss auf dem Tisch abzulegen, bevor ihre Finger sich, diesmal etwas weniger zögerlich und ohne Hindernis, erneut an seine Wange legten. Trotzdem blieb ihre Berührung sehr zart, gerade so, dass sie die Tränen vorübergehend von seiner Wange wischen konnte. Es fühlte sich an wie Feuer unter ihren Fingerspitzen, wie Flammen, die sich in ihre Haut frassen. Es brannte, aber sie wollte so gerne mehr. Sie hatte ihn über einen Monat überhaupt nicht mehr angefasst, kein einziges Wort mit ihm gewechselt. Ihn nicht mehr gesehen und es war unmöglich, die Gefühle, die ihr Herz gerade zerrissen, noch irgendwie zu verbergen oder wegzusperren. Er erinnerte sich an alles. Er wusste ganz genau, was passiert war. Und trotzdem stand er einfach hier und... und tat so, als wäre das nicht so schlimm. Als würde das nicht alles kaputt machen. Als hätte sie die ganze Zeit über umsonst geglaubt, ihn für immer von sich gestossen zu haben.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja, ist bei mir auch schon sehr, seeehr lange her… und war allgemein selten so krass. :'D Was das angeht haben wir also wohl einen sehr guten Job gemacht, hahaha. x'D _______
Mich schützen… ja, genau da lag eines unserer Probleme. Wir waren so sehr darauf fokussiert, dem jeweils anderen das Leben so leicht und schadlos zu machen, wie es nur irgendwie möglich war, dass wir dabei das eigentliche Ziel aus den Augen verloren. An sich war es ja gut, dass wir uns als höchste Priorität ansahen. Wenn das aber so ausartete, dass man immer wieder selbst zurücksteckte und sich nicht mal wirklich zu streiten traute, nur weil man wusste, dass der jeweils andere sensibel war, dann hatte das nichts mehr mit einem gesunden Beschützerinstinkt zu tun. Es war eher ein fast schon krankhaftes Verhalten und die niemals endende Angst darum, den jeweils anderen zu verlieren oder ihn gar selbst zu verscheuchen. Viele Momente hatte es noch nicht gegeben, in denen wir beide ein ganz normales, nicht von Traumata geschädigtes Paar abgegeben hatten… aber die wenigen Momente, in denen wir uns wirklich frei und glücklich gefühlt hatten, waren Gold wert gewesen. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wäre es natürlich sehr viel leichter gewesen dieses Mal endgültig draufzugehen, als zum gefühlt tausendsten Mal die Ärmel hochzukrempeln und wieder aufzustehen. Aber man sollte nicht aufgeben, nur weil es leichter war. Vielleicht konnte ich es jetzt auch einfach deshalb nicht mehr, weil ich es nicht übers Herz brachte all die Menschen zu enttäuschen, die hinter mir und meiner Genesung standen. Ein Mitgrund war es sicherlich. Dennoch hatte ich den letzten Wochen alleine wahnsinnig viel Zeit zum Nachdenken gehabt und war mir sicher damit, dass Faye und ich zumindest versuchen sollten, das Blatt ein für alle mal zu wenden. Das würde schwierig werden. Das würde sicher weh tun. Wir würden ganz bestimmt noch das eine oder andere Mal zusammen hinfallen. Aber ich glaubte daran, dass wir so viel stärker zusammen aus diesem Labyrinth rausgehen konnten, als andere Paare es überhaupt jemals schaffen konnten. Weil wir schon so unendlich viel zusammen geschafft und überlebt hatten. Vielleicht war das naiv. Vielleicht war ich einfach nur ein Träumer, der nicht einsehen wollte, dass das Ende der Fahnenstange irgendwann schlichtweg erreicht war. Lieber verrannte ich mich aber in dieser Hoffnung, als einfach zu akzeptieren, dass wir beide dazu bestimmt waren todunglücklich zu sterben. Das war nämlich ganz bestimmt nicht das, was ich mir für uns gewünscht hatte, als ich damals die alles entscheidende Grenze in der Campdusche überschritten hatte. "Das weiß ich, Faye… aber wir… wir versuchen so krampfhaft den anderen zu schützen, dass es… uns am Ende nur voneinander wegtreibt. Verstehst du nicht... wir...", stammelte ich, während sich die Verzweiflung tief in meiner Stimme und auch in meinem Blick festkrallte. Genau deswegen passierte das Gegenteil. Genau deswegen waren wir der Hölle auf Erden gerade so viel näher als dem Himmel, in dem wir uns eigentlich längst befinden sollten. Und ich hatte noch so viel zu sagen. Ich hatte mir fast unendlich viele Sätze im Kopf zurechtgelegt, bevor ich hergekommen war und jetzt war ich kaum imstande dazu irgendwas davon abzurufen. War völlig durch den Wind allein durch die Tatsache, dass Faye noch immer nicht bei mir war. Dass sie noch immer Distanz hielt, obwohl ich ihr keinen Grund dafür gab. Ihr sogar gesagt hatte, dass sie doch bitte einfach nur zu mir kommen sollte. Meine Augen rutschten zurück auf den tristen Boden zwischen uns, weil ich Fayes zittrigen Anblick nur schwer ertrug. Ich wusste nicht, wie lange ich wortlosnach unten geschaut hatte, bis ich schließlich Fayes Bewegung wahrnahm und den Kopf wieder anhob. Mit meinem tränenverschleierten Blick erneut nach ihrem suchte - darum bangend, dass sie es sich ein zweites Mal anders überlegen könnte. Aber das tat sie nicht. Es war als würde die Zeit für den Moment einfach stehenbleiben, so lange wie die zierliche Brünette brauchte, um ihre Hand weit genug anzuheben. Doch schließlich streifte ihr Finger kaum spürbar meine Haut und meine Lider flackerten einen kurzen Moment. War das der Moment? War das die Kehrtwende? Reichte Berührung, um sie vom Abgrund, an dem sie schon seit Wochen stand, zumindest ein kleines Stück wegzuziehen? Ich fürchtete schon, dass sie sich in meiner Nähe endgültig nicht mehr wohlfühlen konnte, als sie die Hand kurz darauf schon von meiner Wange nahm. Mein unruhiger Blick folgte ihren Handgriffen, als sie die Schiene abnahm und ich verstand den Sinn dahinter erst, als ihre schmalen Finger sich erneut an mein Gesicht legten. Ich machte die Augen zu, als sie mir die Tränen von der Haut strich und konnte förmlich hören, wie zumindest einer der riesigen Steine, die mir auf die Brust drückten, von der Spitze des Berges hinab rollte. Erst ein paar Sekunden später, nachdem ich die Berührung halbwegs ausreichend realisiert hatte, schmiegte ich meinen Kopf vorsichtig etwas mehr gegen ihre Hand. Nicht zu sehr, der noch nicht verheilten Finger wegen... aber ich brauchte mehr. Brauchte jedes noch so kleine Fitzelchen, das ich von Faye kriegen konnte. Jede noch so winzige Bestätigung dafür, dass der Zug für uns beide noch nicht endgültig abgefahren war. Meine Augen waren noch immer geschlossen, als ich den letzten Schritt auf sie zuging, der noch fehlte. Sich unsere Körper beinahe endlich wieder berührten und ich die Augen nur öffnete, um auch die zweite Krücke noch an den Tisch lehnen zu können. Ich konnte eine ganze Weile lang ohne sie stehen, nur Schritte machen ging ohne Gehhilfe lediglich begrenzt. Aber ich brauchte beide Hände. Hob die rechte Hand schließlich an, um sehr behutsam Fayes noch markanter gewordenen Kiefer mit dem Daumen entlang zu streichen. Meine Finger in einer langsamen, aber fließenden Bewegung an ihren Nacken unter den geflochtenen Zopf zu schieben. Dann senkte ich zögerlich den Kopf und lehnte meine Stirn übervorsichtig an ihre, als könnte sie allein durch diese Berührung schon in tausend Einzelteile zerfallen. Ich mahlte nervös mit dem Kiefer, versuchte durchzuatmen. "Lass das nicht zu... das hier kann nicht das... das Ende sein. Wir... wir hatten noch so viel zusammen vor...", meine Stimme war nicht mehr als ein hauchdünnes Flüstern. Darüber hatten wir in der Therapie geredet. Manchmal auch danach noch. Geschafft hatten wir von unseren einstigen Zukunftsträumen und -Zielen eigentlich noch gar nichts. "Wir haben noch eine Chance... und ich weiß, dass wir sie beide eigentlich nicht wollten und... es leichter wäre aufzugeben... aber wir waren noch nie wirklich lang glücklich, Faye... seit wir aus Syrien raus sind... eigentlich gar nicht mehr. Das... das kann doch nicht alles gewesen sein, was für uns drin ist... wir haben noch gar nicht richtig... gelebt." Natürlich hatten wir kurzzeitige Glücksgefühle empfunden, seit wir die Klinik nach der Therapie verlassen hatten. Hauptsächlich war aber einfach nur alles anstrengend gewesen. Immer wieder waren hier und da neue Probleme aufgetaucht, um uns erneut ins Wanken zu bringen. Wir waren nie wirklich richtig stabil geworden - allein nicht und als Paar auch nicht. "Ich wollte nie mehr, als einfach nur glücklich mit dir zu werden... und wir... wir haben noch so viel Zeit, um das... endlich wahrwerden zu lassen... bitte... stoß mich nicht weg... ich..." Brauche dich. Vermisse dich. Liebe dich. Will immer noch nur dich. Brauche auch nur dich. Während meiner letzten Worte streckte ich auch die linke Hand noch nach ihr aus, um sie unsicher an ihre schmale Taille zu legen. Es dauerte einige stumme Sekunden, bis sich mein Griff etwas verfestigte und ich Faye vom Tisch weg, zu mir hinzuziehen versuchte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Scheint so, machen wir uns ganz erfolgreich selber fertig. x'D __________
Das wusste sie. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie sich weinend gegenüberstanden, weil sie sich zu schützen versucht hatten und dabei nur noch mehr Schmerz auslösten, als die ursprünglichen Umstände es je gekonnt hätten. Aber das fiel ihr erst auf, als er es mehr oder weniger klar erwähnte. Dass es in der Vergangenheit passiert war, war das eine, aber dass ihr aktuelles Verhalten wieder in diese Richtung ging, das hatte sie irgendwie gar nicht realisiert. Weil sie die letzten Wochen über mit so vielen anderen Gedanken beschäftigt gewesen war. Weil sie ganz eifach wirklich nicht damit gerechnet hatte, dass Victor hier ins Zimmer spazieren und ihr sagen würde, dass alles keine Rolle spielte und er sie noch immer wollte, wie er sie an Tag 1 gewollt hatte. Sie hatte wie gesagt nicht an seiner Liebe gezweifelt oder an seinem Willen. Aber welche Liebe, welcher Wille konnte dem standhalten, was sie nun bereits ein zweites Mal erlebt hatten? War es möglich, nach einem solchen Genickbruch einfach wieder aufzustehen, sich gegenseitig an den Händen zu packen und eisern zurück ins Leben zu stapfen - gemeinsam? Gab es für Liebe überhaupt solche Grenzen wie möglich und unmöglich? Sie hatte es sich schon so oft überlegt, aber hatte die Gedanken nie zu Ende geführt, wie das momentan so üblich war, weil sie allgemein nie zu einem Ende kam, zu einem vernünftigen, vertretbaren Schluss. Aber sie hatte nicht daran geglaubt, das war offensichtlich. Hatte nicht damit gerechnet, dass Victor wirklich zurückkommen und ihr nicht nur verzeihen, sondern sie auch noch darum bitten würde, ihn endlich nicht mehr von sich zu schieben und wenigstens dieses eine Mal noch zu kämpfen. Wahrscheinlich war es für sie so undenkbar, dass er ihr verzeihen konnte, weil sie das selbst nicht hinbekam. Weil sie persönlich in den Vorwürfen und dem Selbsthass badete und diese nicht loswurde, weil sie sich nicht mehr würdig fühlte, seine Liebe zu empfangen. Zum einen wegen ihrer Schuld, zum anderen wegen dem Dreck, der an ihr klebte mit all den wasserfesten Fingerabdrücken, die sich anfühlten, als würde sie sie niemals erfolgreich von ihrer Haut schrubben können. Und dem Dreck in Form von Narben, die sie eben auch für immer mit sich rumtragen musste. Sie spürte den leichten Druck unter ihrer Hand, als Victor sich ein kleines Bisschen an ihre Finger schmiegte. Ihr deutlich zeigte, dass er mehr wollte, dass ihre Berührung ihn nicht wie erwartet umbrachten oder anwiderten oder wegtrieben, sondern noch immer den alten Wunsch nach Nähe, der zu ihrer Beziehung gehörte wie Adam zu Eva, weckten. Es dauerte nicht lange, bis er diesem Wunsch ebenso vorsichtig und zögerlich nachgab, wie sie das gerade eben getan hatte und Fayes Augen rutschten der Bewegung folgend von seinem Gesicht zu den Krücken, die er nun beide vorübergehend am Tisch deponiert hatte. Allerdings kam ihre Aufmerksamkeit nicht lange den Gehhilfen zu und sobald er die Hand nach ihr ausstreckte, fielen auch ihre nassen Augen endlich zu. Das Schluchzen wurde nicht wirklich weniger, aber es bekam eine andere Bedeutung, sobald er sie berührte. Sobald sie seine Worte hörte, die sie darum baten, nicht aufzugeben, noch einmal irgendwie hochzukommen und zu kämpfen. Aryana hatte ihr auch gesagt, dass sie nicht aufgeben sollte, dass es noch Licht gab und noch nicht alles verloren war. Es war nur ein wesentlicher Unterschied, ob die Worte von ihrer unbeteiligten Schwester stammten oder von Victor, der ganz genau wusste, warum sie überhaupt in diesem Bett hier schlief und alleine nicht mehr hoch kam. Alles, was er sagte, entsprach der Wahrheit. Dass sie ihre Pläne noch kaum umgesetzt hatten, dass es leichter war, den Löffel abzugeben, dass sie dem Glück noch kaum begegnet waren, dass sie zuerst leben sollten, bevor sie starben... Sie wusste es, irgendwo in den Scherben ihres Herzens stand es geschrieben. Aber das hatten sie nach Syrien auch gesagt, oder? Nicht mit der Absicht, dann nochmal so heftig an einem Felsen zu zerschellen - und doch waren sie jetzt hier. Es war sein letzter Satz, der es endgültig unmöglich machte, sich noch länger gegen seine Nähe zu sträuben. Stoss mich nicht weg - es war nicht das erste Mal, dass er sie um sowas in der Art bat. Obwohl das niemals ihre Absicht gewesen war. Es war nicht mehr wirklich zu erschliessen, ob das Zittern ihres Körpers vom Adrenalin, der Nervosität oder dem haltlosen Schluchzen stammte. Aber es war gut, dass seine Hand sich bereits an ihre Taille gelegt hatte, bevor sie mehr oder weniger nach vorne kippte, um erfolgreich das letzte Bisschen Distanz zwischen ihnen zu überbrücken. Ihr dröhnender Kopf kam an seiner Brust zu liegen, da wo er immer am besten aufgehoben gewesen war, wenn ihr alles zu viel wurde. Ihre nun freie Hand, die sich von der Tischplatte gelöst hatte, schlang sich haltsuchend um seinen Körper. Sie klammerte sich fester an ihn, als sie das möglicherweise beabsichtigt hatte. Erstens, weil sie ihm schon viel zu lange viel zu fern gewesen war, zweitens, weil sie ihm so gerne beweisen würde, dass sie ihn nie von sich stossen wollte, drittens, weil sie ihn unendlich vermisste und viertens, weil der Schwindel in ihrem Kopf sie sonst einfach zu Boden gerissen hätte. Auch ihr zweiter Arm schlang sich um seinen Oberkörper und die Nähe löste sofort einen neuen Schwall unendlicher Emotionen aus. Es waren schon immer Berührungen, Nähe und Zärtlichkeiten gewesen, die ihre Beziehung stabil gehalten hatten, weil sie beide sich ständig so sehr danach ausstreckten. Es war ihre Sprache der Liebe, ihre Art der Heilung, der Vergebung, des Beweises, wie viel sie sich bedeuteten, wie sehr sie sich liebten. Faye hatte es in den letzten Wochen nie wirklich wahrhaben wollen, weil sie versucht hatte, nicht daran zu denken - aber die Zeit ohne ihn, die Zeit allein mit ihren grausamen Gedanken und Zweifel, mit ihrer Scham und ihrer Schuld, die Zeit ohne seine Liebe, ohne seine Nähe war die grösste Folter gewesen, die ihr irgendwer antun konnte. Und sie hatte sie sich selbst angetan. Nicht nur sich, sondern ohne es zu wollen eben auch Victor. Sie wusste nicht genau, wo die neuen Narben an seinem Rücken lagen, weil sie zum Zeitpunkt derer Entstehung überhaupt nichts mehr wirklich zuverlässig mitgeschnitten oder gesehen hatte. Aber sie hoffte stumm, dass es nicht dort war, wo ihre Hände sich an ihn klammerten, während sie unfähig blieb, mit ihren bebenden Lippen auch nur ein einziges Wort zu formen. Er hatte so viel gesagt, aber alles was sie von sich gab, waren die unfreiwilligen Laute der Trauer, des Schmerzes, aber vor allem auch der Erleichterung und der Sehnsucht, die sich in Form von Schniefen und Schluchzen in seinem Shirt verloren. Es dauerte wirklich lange, bis sie es schaffte, den Mund aufzumachen, um etwas zu erwidern. Wieder mehr nur unkoordiniertes Stottern, aber vielleicht verstand er es ja. "Es... tut mir leid... dass ich... dich weggestossen... und dir wehgetan... habe... Ich w-wusste... nur nicht... ob... ob das noch... irgendwie... geht... alles… nach… nachdem…", die Worte krochen so zerstückelt und genuschelt über ihre Lippen, mit so vielen Abständen, das sie sich am Ende nicht mehr sicher war, ob die Sätze überhaupt einen Sinn ergaben. Dass sie sprachlich korrekt waren, hatte sie sowieso aufgegeben, aber das war hier und heute auch nicht wichtig. Genau wie sie sich auch das Ende des Satzes sparen konnte, den sie zuletzt angeschnitten hatte. Wenn er sich wirklich erinnerte - und daran zweifelte sie nicht - dann wusste er, welchen Teil von allem was passiert war, sie meinte. Oder welche Teile.
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Es dauerte nur noch einen kurzen Augenblick, bis ich endlich aufatmen konnte. Bis ich mich nicht mehr mit der Frage herumquälen musste, ob es einfach schon zu spät war, um noch die Kurve zu kriegen. Ob zu viel passiert war, um die zierliche Brünette noch einmal dazu bewegen zu können, sich zurück auf die Beine zu kämpfen. Und selbst wenn Faye es nur für mich tat und nicht für sich selbst, weil sie glaubte nichts davon mehr zu verdienen - alles was in diesem Augenblick zählte, war dass sie diesen einen, entscheidenden Schritt zu mir zurückkam. Dass sie aufhörte sich gegen meine Nähe zu wehren und ihren Kopf endlich an meine Brust bettete. Dass sie die Mauer, die sie zwischen uns aufgebaut hatte, endlich überwand und zu mir kam. Mein Arm schlang sich langsam um ihren dünnen Körper, als Faye sich mit beiden Händen an mich klammerte und nach wenigen Sekunden schwebte mir endlich ihr Geruch um die Nase, die nahe an ihrem Haar war. Ihr Duft mischte sich mit irgendeinem Parfum, das sie normalerweise nicht trug und dem Waschmittel des Hauses, aber das spielte keine Rolle. Genauso wie ein paar Kilo weniger an ihrem Körper absolut nichts an ihrem Wert für mich änderten. Alles was zählte, war dass sie sich an mir festhielt. Dass sie nicht mehr alleine weinte und immer wieder mit einem Taschentuch - oder dem erstbesten Kissen - nachhelfen musste, sondern ihre Tränen an meinem Shirt verlor. Auch mir lief noch immer das salzige Wasser über die Wangen, als ich die rechte Hand aus ihrem Nacken löste und stattdessen damit anfing, ihr sanft über den Hinterkopf zu streicheln. Gleichzeitig den Arm noch etwas enger um sie schlang, als wäre das wirklich nötig gewesen, so sehr wie sie sich an mir festhielt. Es dauerte lange, bis die nächsten Worte fielen. Bis Faye mir eine wörtliche Antwort geben konnte, aber ich brauchte die von Schluchzern und Zittern getränkten Minuten selbst, um ein bisschen durchzuatmen. Meine Tränen waren fast versiegt und ich hatte noch immer nicht mit dem zärtlichen Streicheln aufgehört - das gleichzeitig auch meiner eigenen Beruhigung diente -, als die Brünette sich zu entschuldigen begann. Beinahe hätte ich gleich wieder damit angefangen den Kopf zu schütteln... aber dieses Mal war die Entschuldigung vielleicht gar nicht so verkehrt. Auch wenn es kaum ihre Absicht gewesen sein dürfte, hatte es trotzdem verdammt weh getan. Hatte mich mehr zerfressen, als es der körperliche Schmerz überhaupt je schaffen konnte. Ich hatte es - wie so vieles andere... - überlebt, aber die psychischen Blessuren der letzten Tage standen mir überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Also ja - für einmal war ihre Entschuldigung sogar angebracht, auch wenn ihr Verhalten in den Augen anderer Menschen wahrscheinlich gar nicht so abwegig war. Für mich war es das, weil ich sie niemals von mir stoßen könnte. Nicht so. Weil sie der Grund dafür war, dass ich meinem Leben damals nochmal eine Chance gegeben hatte, obwohl ich es schon da eigentlich nicht mehr gewollt hatte. "Nie... Niemand kann sich zwischen dich und mich stellen... das lass' ich nicht zu...", sprach ich noch immer sehr leise, aber nicht mehr ganz so zittrig wie zuvor und hauchte danach einen vorsichtigen Kuss auf ihren Haaransatz. Wenn weder Warren, noch der Syrer das damals geschafft hatten, dann würde es auch Gil nicht schaffen. Der Gedanke an ihn reichte schon aus, um das Kopfkino starten lassen zu wollen, was ich im Keim zu ersticken versuchte, indem ich die brennenden Augen langsam wieder öffnete und den Kopf anhob. Ich zog schwach die Nase hoch, als ich meine Hände von ihrem Haar und ihrem Rücken nahm, um stattdessen vorsichtig ihren Kopf in meine Hände zu nehmen. Sie dazu zu bringen, mich wieder anzusehen. "Du wirst immer die Frau bleiben, die... die mir wieder Hoffnung gegeben hat. Damals... als ich zurück in den Krieg bin, weil nichts anderes mehr Sinn gemacht hat. Und ich... ich bin immer noch froh, dass ich nicht umgedreht bin, als du in der Dusche gestanden hast. Sonst wäre ich längst..." Tot. In einen dieser schicken schwarzen Leichensäcke gehüllt worden. In einem von amerikanischer Flagge bedecktem Sarg zurück in die Staaten geflogen worden, wenn Faye und ich uns weiter auf Distanz gehalten hätten, weil man im Krieg halt eigentlich keine Beziehung anfing. Vielleicht hätte ich vieles nicht oder nicht so erlebt, wenn wir beide uns nicht so ineinander verliebt hätten. Dafür hätte ich aber auch nichts anderes mehr erlebt. Hätte mein zu jenem Zeitpunkt nur 26 Jahre langes Leben gegen die Wand gefahren. "Bitte hör auf dir die Schuld dafür zu geben… das hast du schon nach Syrien gemacht… und da hat das genauso wenig gestimmt. Ich weiß ganz genau, dass du mir nie etwas Böses wolltest. Und du weißt das eigentlich auch, Faye…", versuchte ich ihr auch das murmelnd auszureden und strich ihr mit beiden Daumen jeweils über die etwas mehr als gewöhnlich hervorstehenden Wangenknochen. Es war einfach nicht wahr, es war nicht ihre Schuld. Die Schuld lag einzig bei den kranken Köpfen, die all das angerichtet hatten. Selbst wenn es unsere Schuld wäre, müsste sie die mindestens zwischen uns beiden aufteilen. Ich hatte kommen sehen, dass etwas Schlimmes passieren könnte und ich hätte Ryatt rausschmeißen müssen. Schon das erste Mal, als Faye und ich im Schlafzimmer darüber diskutiert hatten. Das hätte dann genau den Streit gegeben, den ich durchs Nichtstun vermieden hatte - aber wir säßen wahrscheinlich nicht hier. Ryatt wäre nicht wiedergekommen und Faye hätte ihm ihre Nummer nicht gegeben. Könnte, hätte, wenn, vielleicht… es brachte uns jetzt sowieso nichts, wenn wir uns den Kopf darüber zerbrachen. Es war passiert und nichts ließ sich noch ändern. Wir konnten aber anfangen es endlich besser zu machen. Endlich glücklich zu werden, weil wir beide nach all diesen Qualen das ganz einfach verdienten.
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Es war eine ganze Weile her, seit sie zum letzten Mal hier gewesen war - aber trotzdem würde sich dieser Platz nie im Leben fremd anfühlen. Er war für immer ihr Zuhause, offensichtlich auch dann, wenn sie sich selbst nicht mehr in der Lage sah, den Weg nach Hause selber zu finden. Wenn sie sich irgendwo in der Dunkelheit verlaufen hatte und glaubte, hier einfach sterben zu müssen. Sie hatte nicht vergessen, wie gut es sich anfühlte, aber sie hatte die Hoffnung darauf irgendwie aufgegeben, dass sie hier jemals wieder Heilung finden könnte. Er roch nach Heimat und Liebe, nach Vertrauen und Versöhnung, nach Rettung und Trost. Der einzige Mensch, der es je schaffen würde, ihr Herz selbst dann noch vom Boden zu kratzen und ihr das Gefühl zu geben, dass es vielleicht doch nicht ganz verloren war, wenn sie eigentlich längst abgeschlossen hatte. Mehr oder weniger jedenfalls. Vielleicht hatte sie unterbewusst doch noch nicht ganz so sehr abgeschlossen, wie sie das geglaubt hatte. Denn wenn doch, hätte sie sicherlich trotz allem einen Weg gefunden, noch in der ersten Woche in einem zweiten Versuch das Ende erfolgreicher herbeizuzwingen als beim ersten Mal. Hatte sie aber nicht, weil ein winziger Teil ihrer Seele dazu viel zu sehr an ihm hing. Mit ihm verwoben war, sich nicht einfach losreissen und in den Tod springen konnte, während sie wusste, dass er damit überhaupt nicht einverstanden war. Obwohl sie sich fühlte, als müsste sie erstmal drei Tage lang Rotz und Wasser heulen, hatten seine Nähe und das leichte Streicheln die gleiche beruhigende Wirkung auf sie wie immer schon. Die Tränen trockneten nicht ganz so schnell, aber immerhin liess das Schluchzen wieder nach und sie verstand seine Worte, die bald darauf ihr Ohr erreichten. Ihr Kopf deutete ein sehr schwaches Nicken an, wobei sie die Augen geschlossen hielt, auch als sie den vorsichtigen Kuss spürte. Nein, er hatte Recht. Augenscheinlich schaffte das niemand, denn wenn Gil, Riley, Mateo und Sean erfolglos blieben, dann standen die Chancen für allen anderen Abschaum dieser Welt wirklich schlecht. Und sie würde sich hüten, je wieder daran zu zweifeln, dass sie gemeinsam alles schaffen konnten. „Ich auch nicht… nie mehr…“, hauchte sie zur Antwort, sowohl für ihn als auch für sie selbst, damit sie endlich aufhörte, zu zweifeln, wo es keine Zweifel gab und geben sollte. Er gehörte zu ihr und sie gehörte zu ihm und in diesem Moment wusste sie nicht, wie sie je an dieser Tatsache hatte zweifeln können, wenn es das Einzige war, was Sinn ergab. Zumindest jetzt, wo er es ihr gesagt hatte und sie sich daran erinnerte. Faye hob den Kopf an, als sie seine Hände an ihren geröteten Wangen spürte, blickte zu ihm hoch und blinzelte ein paar Tränen weg, die nach wenigen Sekunden von Frischen ersetzt wurden. Seine Worte klangen beinahe surreal, wie ein Traum einer verzauberten Nacht. So weit entfernt wie die Erinnerung und zugleich glasklar wie die Bilder in ihrem Kopf. Die Frau, die ihm Hoffnung gegeben hat. Wie hatte sie vor ein paar Wochen einfach für ihn entscheiden können, dass er diese Hoffnung nicht mehr wollte, nicht mehr brauchte - dass er sie aufgab, bloss weil Faye das getan hatte? Falls er glaubte, ohne sie längst tot zu sein, dann konnte sie diese Befürchtung direkt erwidern. Sie wäre ohne jegliche Zweifel ebenfalls längst unter der Erde, wenn Victor sie in Syrien nicht davor bewahrt hätte, den Verstand zu verlieren. Sie wäre ganz genauso gestorben wie er. Hätte irgendwann einfach nicht mehr gekonnt und wäre dank der mentalen Überlastung im Kreuzfeuer zum Löchersieb gemacht worden. Was das anging, war sie also schon irgendwo seiner Meinung. Zumindest jetzt wieder. Dass er sie darum bat, sich nicht länger die Schuld für das Geschehene zu geben, war hingegen ein anderes paar Schuhe. Faye blinzelte ein paar Mal unsicher und blickte etwas zur Seite weg. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte und war alles in allem leicht überfordert mit der direkten Konfrontation mit ihren Gewissensbissen durch ihn. Sie sah schon ein, dass sie das unter keinen Umständen gewollt hatte und dass es nicht ihre Schuld war, dass einige Menschen einfach böse waren. Trotzdem war es nicht die gleiche Situation wie in Syrien, wo sie von Vorgesetzten dazu angewiesen worden waren, einen Einsatz zu fahren, auf dem sie dann überfallen und verschleppt wurden. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass Ryatt Ärger mit sich bringen könnte und hatte ihn trotzdem mit nach Hause geschleppt. Und als sie Sean begegnet waren, hatte sie mit ihm geredet, obwohl sie einfach die Klappe hätte halten können, damit er nie ihre Stimme gehört hätte. Als Sean sie mit Riley zusammen aufgesucht hatte, hätte sie ihm einfach seine Frage beantworten können und sie würden jetzt nicht hier in einer Psychiatrie vor einem Scherbenhaufen stehen. Es hätte zweifellos viele Möglichkeiten zur Umkehr gegeben und doch hatte Faye lieber riskiert, dass Victor in die Folgen ihrer Fehler mit eingezogen wurde, als Ryatt zu verraten. Eine sehr fragwürdige Setzung von Prioritäten, das konnte wohl jeder Beteiligte - oder auch Unbeteiligte - bestätigen. Ihre Augen suchten wieder seine, obwohl er dadurch nur umso besser erkennen konnte, dass sie in dieser Sache nicht wirklich bei ihm war. Sie hob sachte die müden Schultern, brauchte erneut mehrere Anläufe, um etwas über die Lippen zu bringen, weil sie die richtigen Worte nicht finden konnte. Vielleicht konnte sie den Psychiater ja davon überzeugen, die ganzen betäubenden Medikamente zumindest ein Bisschen niedriger zu dosieren, damit sie ihren Verstand wieder etwas konstruktiver nutzen konnte. Jetzt, wo der akute Todeswunsch wohl soweit beseitigt war, dass sie ihr Gehirn nicht nur zum Schmieden irgendwelcher Suizidpläne missbrauchen würde, lag das vielleicht drin. "Ich... ich werds versuchen... aber du weisst auch, dass... dass es diesmal nicht hätte sein müssen... und ich es... nicht nur theoretisch hätte verhindern können...", versuchte sie ihm aufzuzeigen, dass sie nunmal wirklich nicht so frei von aller Schuld war, wie sie sich das wünschte und er es sich vielleicht gerne ausmalte. Auch sie löste vorsichtig eine Hand von seinem Rücken, um sie stattdessen zu seinem Gesicht anzuheben. Strich ihm über die Haut, die sich mittlerweile von all den blauen Flecken und Schlägen erholt zu haben schien. "Ich... brauche nur noch etwas Zeit... Aber das letzte Mal... da haben wirs auch geschafft", bemühte Faye sich nun ihrerseits darum, zuversichtlicher in die Zukunft zu blicken, als sie das seit Wochen je geschafft hatte. Ihre Finger malten die Konturen seines Gesichtes nach, strichen über seine Schläfe und seinen Kieferknochen hinab, um dann wieder oben anzusetzen und sich in seinen Haaren zu verlieren, bis sie letztendlich in seinem Nacken liegen blieben. Sie legte den Kopf erneut an seine Brust und schloss zum wiederholten Mal die Augen, atmete zwei oder dreimal tief durch. "Und du wirst immer der Mann bleiben, der mich tausend Mal gerettet hat... der mich immer wieder hochgezogen hat, wenn ich eigentlich... schon fertig war... der einfach kommt und sagt, dass alles gut ist, obwohl ich...", sie stockte, weil sie die Schuldzuschreibung lieber nicht nochmal aussprach, nachdem er ihr schon gesagt hatte, dass sie das nicht tun sollte, "...obwohl ich dachte, dass... es diesmal nicht mehr gut werden konnte...", entschied sie sich für eine Alternative, die aber mindestens genauso viel Wahrheit in sich trug. Sie wusste nicht, womit sie einen Mann wie ihn verdient hatte. Aber dann war da eben auch der Punkt, dass man einen Menschen sowieso grundsätzlich nicht verdienen konnte. Menschen entschieden sich für oder gegen sie und das ständig aufs Neue. Victor schien seine Meinung in den ganzen Jahren kein einziges Mal geändert zu haben.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Von Faye zu hören, dass sie nicht vor hatte uns beide irgendwann in Zukunft noch einmal aufzugeben, war wie Balsam für meine geschundene Seele. Das machte nichts ungeschehen, aber es ließ die Zukunft weniger schwarz aussehen. Es war ein guter Anfang, um jetzt gemeinsam wieder auf die Beine zu kommen. Um dieses Mal auch wirklich erfolgreich an uns zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass sowas nicht noch einmal passieren würde - so weit wir eben Einfluss darauf hatten. Das kaum sichtbare Lächeln, das sie durch diese paar wenigen Worte hervorrief, sollte aber erstmal nicht lange anhalten. Es war wohl nicht zu erwarten gewesen, dass Faye ihre Meinung darüber, wer nun dieses Mal die Schuld an diesem Unheil trug, so schnell ändern würde. Ich hoffte dennoch darauf, dass sie das irgendwann sehen konnte oder es sie zumindest dazu anregte, in der nächsten Zeit noch einmal darüber nachzudenken. Sich mehr als nur so oberflächlich damit auseinandersetzte, wie sie das bisher getan hatte. In diesem Fall war die Angelegenheit eben nicht einfach nur schwarz oder weiß. Faye konnte leider genauso wenig aus ihrer Haut was das anbelangte, wie ich, wenn es darum ging ihr die Schuld für Irgendetwas zuzuschreiben. Das tat ich nämlich nicht gerne und versuchte es zu vermeiden. Ja, sie hätte es verhindern können, rein theoretisch gesehen - aber ich hatte eben auch nichts anderes getan, als bei ihren Taten zuzusehen. Es war als hätte ich die ganze Zeit über bei Ebbe am Ufer gestanden und dann nach und nach dabei zugesehen, wie das Wasser mit der Flut immer höher stieg. So lange, bis die immer stürmischer werdenden Wellen mich einfach begraben hatte. Ich hatte nicht einmal versucht dem Ganzen auszuweichen und das war nicht weniger als absolut hirnrissig. Ich hätte es genauso besser wissen müssen wie Faye. "Dann... gib mir wenigstens ein bisschen was von der Schuld ab, okay? Ich hätte auch was dagegen tun können. Hätte Ryatt von Anfang an rausschmeißen können wie ich es eigentlich wollte und hab's aber nicht, weil ich anscheinend... lieber vor Streit mit dir weglaufe, als vor... dem allem hier. Ich hab wirklich viel darüber nachgedacht in den letzten Tagen... und wir hätten beide bessere Wege einschlagen können. Ändern lässt sich daran jetzt nichts mehr... also lass es uns einfach nur von jetzt an besser machen. Zusammen." Je länger ich redete, desto leiser wurde ich und desto schwerer fiel es mir. Körperliche Sprachbarriere hatte ich keine mehr, aber es war einfach ein schwieriges und alles andere als schönes Thema. Diese ganze Scheiße wurde eben auch nicht leichter erträglich dadurch, dass mir inzwischen bewusst war, dass wir beide auch wieder lernen mussten als eigenständiges Lebewesen zu existieren. Ja, Liebe konnte einen stark machen - andernfalls wäre ich nicht mehr hier. Sie machte aber auch sehr abhängig, wenn man nicht aufpasste und wir beide waren ein wirklich grauenvolles Paradebeispiel dafür. Faye hatte sich umbringen wollen, weil sie geglaubt hatte, dass wir beide nicht mehr zusammen sein konnten und ich hatte schon angefangen abzuwägen, welche Sterbemethode wohl die friedlichste sein würde, falls ich sie nicht mehr vom Boden des Brunnens und zurück ans Licht holen konnte. Wir existierten nur noch füreinander und ja, natürlich wollte ich den Rest meines Lebens mit der zierlichen Brünetten verbringen - das ging aber nur, wenn wir diesen wahnsinnig toxischen Anteil in unserer Beziehung zu eliminieren schafften. Sonst würde es für immer eine Berg- und Talfahrt mit uns beiden bleiben. Sonst war irgendwann der Punkt erreicht, an dem wir uns gegenseitig die Überdosis reichten und gemeinsam in den ewigen Schlaf abdrifteten. Das durfte nicht passieren. Zeit brauchten wir sicherlich beide noch, um die Geschehnisse zu verarbeiten und restlos zu analysieren. Deshalb nickte ich langsam auf Fayes Worte und meine Mundwinkel zuckten erneut kurz nach oben, was jedoch viel mehr daran lag, dass sie ihre Finger über mein Gesicht wandern ließ. Von da aus weiter durch meine unweigerlich etwas länger gewordenen Haare, weil ich den nächsten Friseurtermin langsam dringend nötig hatte. So kurz nach dem Koma hatte man einfach andere Sorgen, wenn die Freundin in gefühlt ewig weiter Ferne von der Klippe springen wollte. Ich löste meine Finger automatisch von Fayes Gesicht, als sie sich erneut an mich schmiegte. Legte ihr die Arme wieder um den Körper, hielt sie dicht bei mir. "Und ich würd's weitere tausend Mal tun, wenn's nötig wäre.", nuschelte ich ihr leise ins Haar, schmunzelte dabei unwillkürlich. Begann ihr langsam mit der rechten Hand am Rücken auf und ab zu streicheln, bewusst nicht direkt auf der sicher wieder etwas hervorstechenden Wirbelsäule. Vielleicht war noch lange nicht wieder alles gut mit uns beiden, aber es war jetzt auf jeden Fall schon sehr viel besser als gestern und die einsamen Tage davor. Also vielleicht wurde es von jetzt an ja jeden Tag ein bisschen besser und leichter. Ich hoffte es wirklich. Ich schwieg sicherlich eine ganze Minuten lang und verlor mich währenddessen einfach in ihrer wohlig warmen Nähe, bis ich schließlich zu einer Frage ansetzte. "Wann... passt es bei dir eigentlich am besten? Ich bin vorhin einfach auf gut Glück hergefahren...", worden. Selber Autofahren wäre noch ein bisschen zu waghalsig. Zwar wusste ich wann Aryana immer ungefähr zu Fayes Besuchen aufgebrochen war, aber in der Zwischenzeit könnte sich am Tagesprogramm der zierlichen Brünetten schon etwas geändert haben. Deshalb fragte ich zur Sicherheit einfach mal nach, damit ich morgen - und alle die Tage darauf, bis sie endlich wieder raus durfte - nicht vor einem leeren Zimmer stand. Außerdem wusste ich nicht, wann ihre mir weniger bekannte Verwandtschaft sie für gewöhnlich besuchte. Dass unsere Besuche kollidierten wollte ich gerne vermeiden, weil mir wahrscheinlich alle Menschen aus Fayes Blutlinie, die nicht ihre ältere Schwester waren, im Moment viel zu anstrengend wären. So wie meine eigene Familie auch. Ich brauchte Zeit für mich, vor allem aber brauchten Faye und ich Zeit für uns beide und nur für uns beide. Davon hatten wir in den letzten Wochen schließlich keine Sekunde gehabt.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Seine Gedanken waren wirklich nett, aber so funktionierte das doch irgendwie auch nicht. Es war ihrer Meinung nach ein wesentlicher Unterschied, ob man etwas bloss nicht verhindert oder eben aktiv herbeigeführt hatte. Sonst wäre ja jeder Mensch gefühlt an allem irgendwo mitschuldig, weil man sehr oft im Leben die Möglichkeit hätte, bei etwas dazwischen zu gehen oder eine andere Entscheidung zu treffen, es aber eben nicht tat. Weil nunmal keiner von ihnen hellsehen konnte. Victor hatte nicht gewusst, welches Unheil sie angeschleppt hatte... Ja, sie auch nicht, aber spätestens als sie Sean gesehen hatte und mit dem Hintergrundwissen, dass er Ryatt zuvor lebensbedrohlich abgestochen hatte, hätte sie wesentlich intelligenter handeln können, als das, wofür sie sich entschieden hatte. "Dann arbeite ich lieber daran, die Schuld komplett auf jemand anderes zu schieben, als sie mit dir zu teilen...", murmelte sie zur Antwort, zeigte sich diesbezüglich eher nicht kompromissbereit. Sie machte sehr viel lieber den Ursprung des Übels für dessen Hergang verantwortlich, als diesen Mann, der sich scheinbar unendlich verständnisvoll und nachsichtig mit ihr zeigte. "Aber es von jetzt an besser machen, klingt gut... Ich denke das... können wir schaffen", zeigte sie sich ein weiteres Mal vorsichtig optimistisch. So nach den letzten Wochen, in denen sie eigentlich überhaupt nichts Positives hatte sehen wollen und auch nicht daran geglaubt hatte, überhaupt noch etwas hinzukriegen, war das schon ein grosser Fortschritt, oder? Eigentlich war dieser ganze Tag ein einziger grosser Fortschritt, da sie bis heute ja nicht einmal mehr hatte leben wollen. Sie war sich nicht sicher, diese Hürde wirklich für immer überwunden zu haben, aber wenigstens würde sie von jetzt an wieder einen Grund sehen, zu kämpfen und sich anzustrengen. Vielleicht würde sie zur Therapie gehen und tatsächlich über etwas reden. Wobei sie sich noch sehr gut überlegen musste, worüber sie sich denn wirklich unterhalten wollte. Oder konnte - wollen war ein Bisschen zu weit entfernt und eben auch nicht die primäre Funktion einer Psychotherapie. Wenn sie nur über Dinge redete, über die sie auch reden wollte, konnte sie sich genauso gut mit Chelsea unterhalten. "Das hoffen wir aber wirklich nicht, hm?", nuschelte sie an seine Brust, als er ihr versicherte, sie auch noch sehr viel öfter aus der Scheisse zu ziehen, wenns denn nötig sein sollte. Sie wünschte sich wirklich, es wäre das letzte Mal gewesen. Zumindest das letzte Mal in diesem Ausmass. Ihre Zuversicht was das betraf, hatte zwar dezent gelitten, aber hoffen konnte man ja trotzdem mal... Genau wie sie nach Syrien gehofft - und da eigentlich auch noch geglaubt - hatte, dass sowas nie wieder passieren würde. Auch ihre Finger strichen über seinen Rücken, zumindest die von ihrer linken Hand. Die Rechte war weiterhin damit beschäftigt, sich mehr oder weniger an ihm festzuhalten, weil ihr noch immer schwindlig war. Es war dabei aber kaum in Worte zu fassen, wie sehr sie seine Berührungen genoss und sich nach mehr sehnte. Wären da nicht so viele Medikamente, würde sie sich möglicherweise mal wieder darum sorgen, dass er ihre Knochen spürte, schlimmstenfalls noch irgendwo eine Narbe. Was unwahrscheinlich war durch den dicken Pulli, aber bekanntlich machte sie sich gerne Sorgen um alles, besonders dann, wenn sie psychisch angeschlagen war. Doch zumindest für den Moment hatte er ihr die erdrückende Sorge genommen, dass er sie wegen dem was passiert war oder den Folgen davon nicht mehr lieben könnte. Für den Moment dachte sie auch nicht an die fette Narbe auf ihrer Brust, die sie ihm irgendwann noch erklären musste. Aber das war gut so, würde das doch lediglich die ganze Stimmung ruinieren. Sie würde sich einen anderen Tag dafür aussuchen, aber erst, wenn sie überhaupt selbst irgendwie damit klar kam. Die Frage nach der besten Zeit für seine Besuche war gar nicht so leicht zu beantworten. "Chelsea kommt oft zweimal am Tag. Aber da sie arbeitet und manchmal noch Meetings hat, ist sie fast immer über den Mittag da und dann irgendwann nach 17:00 Uhr nochmal. Ich hätte noch verschiedene Therapien… aber die sind grösstenteils flexibel und wenn ich weiss, wann du Zeit hast, kann ich das bestimmt so weiterleiten“, hielt sie die Antwort relativ offen. Ausserdem war fraglich, wie lange Chelsea noch in der Stadt bleiben würde, wenn sie wusste, dass Faye einen anderen Besucher, der ihr deutlich näher stand, ins Zimmer liess. Sicher noch ein paar Tage, abhängig von dem, was Aryana ihr ins Ohr flüsterte und dazu zu sagen hatte. Aber länger dann wohl eher nicht. "Wohnst du... zuhause?", stellte Faye ihrerseits eine Frage, legte den Kopf leicht in den Nacken, um ihn wieder anzuschauen. Sie war sich weder sicher, ob sein Gesundheits- und Geisteszustand dies bereits zuliessen, noch ob er überhaupt nach Hause gehen wollte, obwohl sie beide wussten, dass dieses Zuhause keine wirklich sichere Zuflucht mehr war. Faye glaubte zwar nicht, dass Riley und Brüder wieder auftauchen würden, nachdem sie einen derart irritierenden Abgang hingelegt hatten, aber sie wusste ja auch nicht, was Victor bereits in ihrer Wohnung vorgefunden hatte.
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Das war es auch, was sie am ehesten tun sollte. Die Schuld weder bei sich selbst, noch bei mir zu suchen. Sie endlich denjenigen in die Schuhe zu schieben, die sie sich rechtmäßig verdient hatten - Sean, Riley, Mateo und Gil. Ich müsste allerdings auch lügen, um zu sagen, dass ich Ryatt nicht auch etwas davon abgeben wollte. Vielleicht war das nicht ganz richtig, aber eigentlich war mir das vollkommen egal. Er hätte Fayes Hilfe nie annehmen dürfen. Hatte gewusst, was das auslösen konnte - hätte es zumindest grob abschätzen können und entsprechend handeln müssen. Wahrscheinlich war das egoistisch von mir, weil er die Hilfe dank seiner Verletzung gebraucht hatte, aber er hätte eben auch das Krankenhaus nicht verlassen müssen. Im Endeffekt hatte ihm das gar nichts gebracht. Ich hatte ihm einen Besuch abstatten wollen, kurz bevor ich das Krankenhaus verlassen durfte - er war aber nicht mehr da, saß inzwischen in Untersuchungshaft und wartete dort auf seinen Prozess. Er war also umsonst geflüchtet und nichts von alledem hätte passieren müssen, hätte er einfach zu seinen Diebstähle gestanden. Er täte sehr gut daran, mir nicht zeitnah unter die Augen zu treten. "Das wäre mir sowieso am liebsten.", kappte ich meinen eigenen Gedankengang mit einer Antwort für Faye. Ganz recht - sie sollte die Schuld einfach dem Rest der Welt geben und nicht uns. "Ja, das werden wir... dieses Mal wirklich.", bekräftigte ich auch ihre nächsten Worte, wurde zum Ende hin etwas leiser. Es war eben leider recht offensichtlich, dass wir das letzte Mal nicht wieder richtig zusammengewachsen waren. Zumindest eben nicht so, dass wir in absolut jeder Hinsicht gut miteinander funktionierten. Ich würde auch lieber auf weitere Eskapaden verzichten in Zukunft, so weit es sich vermeiden ließ. Eigentlich sollte man meinen, dass sowas in der Zivilisation leichter war, aber wo Menschen waren, gab es auch immer irgendwo das Böse. Zumindest sah es inzwischen genau danach für mich aus und das förderte unweigerlich meine Paranoia. "Ich könnte ganz gut drauf verzichten, ja.", war ich auch in dieser Sache bei der zierlichen Brünetten und hauchte einen weiteren, flüchtigen Kuss an ihren Haaransatz. Zwei Vollkatastrophen diesen Ausmaßes in so verhältnismäßig kurzer Zeit waren schon weit mehr als genug gewesen... Was meine künftigen Besuche anging, schien Fayes Zeitplan zumindest relativ flexibel zu sein. Das war ganz gut so, weil ich die noch ein paar Wochen fortlaufende Therapie grundsätzlich weiterhin vormittags hatte und sich das eher weniger verschieben ließ, solange es keine wirklich triftigen Gründe dafür gab. Schließlich hatten die Therapeuten noch andere Patienten und das nicht nur vor Ort in der Klinik, auch außerhalb. Immerhin konnte ich Caldwell aber davon überzeugen, dass es hinsichtlich Psychotherapie am meisten Sinn machte, wenn er mich zurück in meine ambulanten Sitzungen bei meinem alten Therapeuten ließ. Bei einem neuen Therapeuten müsste ich alles von vorne durchkauen und darauf konnte ich bestens verzichten. Schließlich war meine Leidensgeschichte jetzt schon gefühlt endlos und es dauerte immer schon mehrere Sitzungen überhaupt mal die Grundlagen zu vermitteln. Außerdem war mein bisherigen Therapeut schwer in Ordnung, menschlich gesehen. Mein Blick legte sich in Fayes, als sie zu mir hochsah und ich löste die linke Hand wieder von ihrem Körper, um ihr stattdessen das letzte bisschen an verbliebener Feuchtigkeit von der Wange zu wischen. Ihre Haut war noch immer heiß und gerötet, aber zumindest war der Ausdruck in ihren Augen nicht mehr so durchweg verzweifelt und aufgelöst. "Hmm, vielleicht... 15 Uhr? Am Vormittag hab ich leider noch weiter die Reha...", fragte ich murmelnd, etwas nachdenklich. Ich für meinen Teil war eigentlich der Meinung, dass ich nicht noch mehr Bewegungstherapie und Co. brauchte, aber Caldwell hatte es verordnet, also würde ich wohl oder übel weiter hingehen. Die Frage, die kurz darauf dann noch folgte, ließ mich einen Moment lang nach unten auf den Stoff von Fayes Pullover sehen. "Ich... nein.", war meine erste, noch nicht besonders koordinierte Antwort. Es brauchte ein paar Sekunden, bis ich meinen Blick erneut in ihren anhob. "Ich bin entlassen worden... und ich war auch schon in unserer Wohnung, gestern. Nicht allein, meine Mom ist noch hier... sie waren irgendwann dort, Faye... wir haben alles aufgeräumt, aber ich... ich konnte nicht dableiben... also werde ich wohl erstmal eine Weile lang im Hotel bleiben. Da bin ich auch nicht allein, falls doch etwas sein sollte...", redete ich etwas planlos vor mich hin. Wusste einfach nicht, wie man es am besten in Worte verpackte, wenn sich das eigene räumliche Zuhause eben ganz und gar nicht mehr wie jenes anfühlte. Ich würde wohl nie wieder ruhig dort schlafen können in dem Wissen, dass diese Monster innerhalb dieser Wände gewesen waren. Jederzeit wieder kommen konnten, falls sie es sich anders überlegten und uns doch noch umbringen wollten. Wo wir dann wieder an dem Punkt waren, dass ich nicht wusste, wieso Faye und ich überhaupt verschont worden waren, weil ich nicht mehr wusste, was nach meinem Suizidversuch passiert war. "Faye, ich... wieso sind wir überhaupt da rausgekommen? Ich... versteh es nicht... erinnere mich nicht daran... wenn du noch nicht darüber reden kannst, ist das okay. Dann sag mir nur... muss ich die Augen offen halten?", stellte ich ihr nur sehr zögerlich und stockend die Frage, die mir nun schon eine halbe Ewigkeit durch den Kopf geisterte und schluckte leise. Eigentlich hatte ich Faye nicht danach fragen wollen, oder zumindest jetzt noch nicht. Aber falls dieser Abschaum noch hinter uns her war, dann musste ich das wissen. Schließlich wandelte ich jetzt wieder außerhalb der klinischen Mauern umher, sie könnten hinter jeder Straßenecke lauern. Ich wäre ein leichteres Ziel denn je.
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Dieses Mal wirklich war ein echt guter Plan, mit dem sie sich bestens anfreunden konnte. Denn dass sie das letzte Mal nicht ganz so gut geheilt waren, wie sie das vielleicht zwischenzeitlich angenommen hatten, war leider kaum zu übersehen. Man konnte nicht sagen, dass es wenig gebraucht hätte, um sie wieder an diesen Punkt zu bringen, denn es war nicht wenig gewesen. Aber kaum hatten sie in dieser verdammten Scheune gestanden - eigentlich schon weit vorher - war ihr Kopf komplett hinüber gewesen. Und das war definitiv zu schnell gegangen und war noch immer dem Trauma nach Syrien zu verschulden. Und ihrer endlosen Panik, die Menschen zu verlieren, die sie liebte. Was leider ein sehr wichtiger Punkt in ihrem Leben darstellte, den Faye bis heute selbst in den Therapien sehr gerne aussen vor gelassen hatte. Weil sie sich davor fürchtete, dass ihr gesagt wurde, sie müsste sich von diesen Menschen trennen, um irgendwann damit klar zu kommen. Und es war überflüssig zu erwähnen, dass sie das wirklich nicht wollte, also ein Schnitt in den Beziehungen, die sie am meisten brauchte. Dass ihr davor ebenfalls graute, weil es genau das war, was sie eben niemals erleben wollte - ihn verlieren. Es hatte sicherlich auch mit den vielen Fachpersonen zu tun, die ihnen beiden nach Syrien so vehement einzureden versucht hatten, dass sie besser nicht ständig zusammen sein sollten, dass die jeweils andere Person das Trauma nur anfeuerte, dass sie zumindest eine gewisse Zeit getrennt bleiben sollten etc., dass sie sich nun nicht mehr wagte, etwas davon auszusprechen und sie sich vor der Resonanz fürchtete. Sie war jetzt auch noch längst nicht an dem Punkt, an dem sie wirklich rational über solche Massnahmen nachdenken konnte. Vielleicht irgendwann... Wenn sie überhaupt wieder richtig denken konnte eben. Sie genoss den zarten Kuss an ihrer Stirn, einen von der Sorte, wie er sie ihr im Alltag ziemlich oft schenkte. Einen der Heimat bedeutete und Liebe. Zuflucht und Zuversicht. Alles Dinge, nach denen sich ihre verletzte Seele seit Wochen ausstreckte, ohne das Recht gewährt zu bekommen, diesen Wunsch wirklich zu äussern. Eigentlich hatte sie nicht geglaubt, diese Küsse je wieder zu spüren oder je wieder zulassen zu können. Aber Victor zeigte sich mal wieder als unumstösslicher Meister darin, ihre Meinung umzukrempeln, sie neu zu formen wie Wachs zwischen seinen wohlig warmen Händen. So liess sie ihn auch die Tränen von ihrer Wange streichen, genoss diese Berührung ganz genauso und hätte vielleicht sogar das erste Lächeln in sechs Wochen hingekriegt, wenn ihre Augen nicht nach oben gerichtet gewesen und ihr das Brandmal an seinem Kinn in die Augen gesprungen wäre. Sie hatte es vorhin noch nicht wahrgenommen, weil sie hauptsächlich seine Augen gesucht und sich nur darauf fokussiert hatte. Jetzt aber schien es eben doch bis zu ihr durch und sie schluckte tonlos, liess den Blick ein paar Sekunden darauf liegen, unfähig, sich einfach wieder abzuwenden. Sie berührte es nicht, weil sie irgendwie nicht so sicher war, ob das nicht wehtun würde, obwohl die Wunde längst verschlossen und verheilt war. Obwohl das vor ihren Augen nur ein winziger Vorgeschmack dessen sein dürfte, was sich an seinem Arm abzeichnete. Reichte trotzdem aus, um sie erfolgreich aus dem Konzept zu werfen, sodass das gestammelte: "Ja... ich... denke 15 Uhr passt sicher", reichlich spät folgte. Sie durfte jetzt nicht darüber nachdenken, warum er diese Narben trug oder warum er dorthin gekommen war. Sonst wären sie am Ende wieder sehr erfolgreich im Kreis des Selbsthasses angelangt, den sie - zumindest während seines Besuches - wirklich nicht schon wieder betreten durfte. Hatte er vorhin ja mit Nachdruck drum gebeten. Dank Victors Antwort auf die Sache mit der Wohnung erübrigten sich weiter Gedanken in diese Richtung aber auch, da ihre Augen wieder seinen Blick fanden und sie zunehmend bestürzt seinen Erzählungen folgte. Sie waren in der Wohnung gewesen? In dem, was sie ihr Zuhause genannt hatten? Hiess das jetzt... schon wieder Umzug, kaum waren sie irgendwie annähernd angekommen? Zum Glück hatten sie die Hinweise auf ihre Verwandtschaft und Freunde vorher entfernt, nicht auszudenken, was die Irren getan hätten, wenn sie was gefunden hätten... Aber sie hatten nicht umziehen wollen... Eigentlich war die Wohnung so passend für ihre Bedürfnisse, mit der netten Nachbarschaft und der Nähe zu Stadt und Natur. Eigentlich... Sie konnte sich nicht so viele Sorgen auf einmal machen. Das hatte sie schon die letzten Wochen über gelernt, weil davon der Schwindel wieder stärker wurde, die allgemeine Schwäche und vor allem auch die Kopfschmerzen, die sie kurzzeitig fast vergessen hätte. Spätestens seine Frage zum Hergang des Endes ihrer Folter weckte das Böse in ihrem Kopf aber umgehend wieder aus seinem Schlummerzustand. "Ich... können wir... uns vielleicht hinsetzen?", war somit das, was anstelle einer Antwort über ihre Lippen kam. Sie hatte sich unbewusst Halt suchend wieder mehr an ihn geklammert, noch bevor sie sich kurz im drehenden Zimmer umschaute. Leider waren diese Psychiatriezimmer kaum herzlicher eingerichtet als die Patientenzimmer eines Krankenhauses und so gab es ganz genau zwei Sitzmöglichkeiten: Die Stühle oder das Bett. Die Stühle waren aber zu weit voneinander entfernt und Faye hatte nicht vor, so viel Distanz zwischen sie zu bringen, weshalb sie stattdessen aufs Bett deutete, um ihren Gedanken mit Victor zu teilen. Er dürfte aber längst selbst darauf gekommen sein, weil die Möglichkeiten wie gesagt ziemlich begrenzt waren, und so löste sie sich sehr vorsichtig von ihm, um die paar Schritte zu machen. Sie wusste nicht, ob er die Krücken brauchte - das Zimmer war nicht wirklich gross, weshalb auch der Weg nicht weit war, aber sie kannte seinen genauen Gesundheitszustand eben auch nicht. Ihre Beine waren vom Stehen bereits etwas eingerostet und durch die ganzen Emotionen noch schwächer als sonst, weshalb das bei ihr in Kombination mit dem Schwindel eine ziemlich unsichere Angelegenheit wurde. Sie stützte sich erst noch kurz am Tisch ab, bevor sie sich zum Bett wagte und dieses auch erfolgreich erreichte, sich auf die Matratze sinken liess und erstmal durchatmete. "Hab... ein Bisschen Probleme... mit dem Kreislauf... Schwindel und Kopfschmerzen... Aber das liegt... an den Medikamenten...", fühlte sie sich verpflichtet, ihren jämmerlichen Zustand zu erklären, bevor sie komplett besorgte Blicke erntete, sobald sie die Augen wieder aufmachen konnte. Nein, es lag wohl nicht nur an den Medikamenten, aber das war ein einfacher Vorwand, den sie gerne nutzte, um sich nicht noch mehr Schwäche einzugestehen. Es war leichter zu akzeptieren, dass es ihr - körperlich - sofort besser gehen würde, wenn sie die Drogen absetzte, als einzusehen, dass das die Folgen ihrer psychischen Belastung und körperlichen Vernachlässigung der letzten Wochen waren. Sie einfach krank war, weil sie sich zusätzlich zur Folter kaputt gemacht hatte. Nach einigen Minuten schlug sie die Lider aber wieder hoch blinzelte zuerst ein paar Sekunden ins Nichts, bevor sie sich Victor zu wandte, um vielleicht doch mal noch auf seine Frage einzugehen. "Das mit... der Wohnung... das ist nicht gut...", schob sie leise vor, was sie beide wussten. "Aber ich... ich glaube eigentlich nicht, dass sie... uns einfach wieder besuchen werden...", was nicht hiess, dass sie sich im Gegensatz zu ihm in der Wohnung wieder sicher fühlen könnte. Dazu hingen ihr Gils letzte Worte viel zu deutlich in den Ohren. Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung, hatte er gesagt. Sie wusste nicht, wie weit er ihr damit einfach nur einen Floh ins Ohr hatte setzen und ihre Paranoia füttern wollen, aber das Risiko, ihn wiederzusehen, würde sie trotzdem nie so fahrlässig eingehen. "Ich glaube... nicht... dass sie... hinter uns her sind... Sie haben uns... einfach... weg...gebracht... In einem Waldstück an einer Strasse... ausgesetzt... und sind weggefahren... Sie", Rileys Name sprach sie lieber nicht aus, "...sie hat gesagt, dass ich... am Highway Hilfe holen soll... damit du ins... Krankenhaus kommst... Das hab ich dann auch gemacht... Und... und sie hat gesagt, dass wir mit... keinem darüber reden dürfen... weil es sonst... wieder passiert", die leise Wiedergabe der Geschehnisse dieser verdammten Nacht erfolgte nur sehr stockend, weil Faye sich auf die Fakten zu konzentrieren versuchte und sich zugleich darum bemühte, sich nicht in den Erinnerungen zu verfangen. Trotzdem stiegen die Tränen ungerufen erneut in ihre Augen und Faye streckte die Finger aus, im Versuch, das Wasser diesmal selber etwas erfolgreicher zu stoppen.
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Die Brünette wirkte kurzzeitig ein wenig abwesend und es dauerte lange, bis ich verstand, woran das lag. Natürlich fiel mir die Brandverletzung am Kinn immer dann auf, wenn ich in den Spiegel sah oder mir mit der Hand das Kinn rieb. Die Wunde war im Gegensatz zu meinem Arm jedoch nur oberflächlich, wenn auch sichtbar, aber ich spürte sie eigentlich gar nicht mehr. Hatte auch noch nicht gänzlich die Hoffnung aufgegeben, dass mit etwas Glück der Bart an dieser Stelle nicht komplett ausbleiben würde, sondern die Haare wieder nachwuchsen. Selbst wenn nicht, war aber auch das nur ein Schönheitsfehler, der mich im Alltag nicht beeinträchtigen würde - außer eben wenn Faye ihn plötzlich etliche Sekunden lang anzustarren begann. "Okay, gut.", erwiderte ich nur noch auf ihre Bestätigung. Wenn 15 Uhr in ihren Plan passte, beziehungsweise sich jener daran anpassen ließ, dann würde ich das so einrichten. Inzwischen hatte ich auch mein Handy wieder, auf das ich so oder so eine ganze Weile lang hätte verzichten müssen. Auf Bildschirme zu gucken war mit einer Gehirnerschütterung nämlich alles andere als ratsam. Da hatte die Polizei meinem Arzt also glatt eine Aufgabe abgenommen, als sie unsere Sachen im Hotel eingesackt hatten. Faye und ich hatten unsere Simkarten glücklicherweise noch vor unserem Abenteuer gewechselt - was uns erstaunlich wenig geholfen hatte - also musste ich das jetzt nicht mehr in Angriff nehmen. Ich würde also sicherlich noch erwähnen, dass ich wieder fast vierundzwanzig Stunden am Tag für die junge Frau erreichbar sein würde. Erst einmal gab es aber ein wesentlich düstereres Thema abzuhaken. Fayes Bitte darum uns hinzusetzen, statt uns weiterhin die Beine in den Bauch zu stehen, nickte ich umgehend ab. Beobachtete dann im Anschluss, wie unsicher sie auf den Beinen unterwegs war. Sie hatte ja vorhin schon nicht gut ausgesehen, als sie ihre Hüfte zur Sicherheit am Tisch geparkt hatte, um nicht stattdessen einen Abgang zu machen. Aber jetzt, wo ich mich mehr oder weniger etwas besser darauf konzentrieren konnte - weil keine akuten Suizidgedanken und Schuldgefühle mehr den Raum ertränkten - war das unschöne Bild kaum zu übersehen, geschweige denn zu ertragen. Normalerweise wäre ich ihr in diesem Moment wohl nicht von der Seite gewichen, aber wenn ich jetzt versuchte sie zu aufzufangen, falls sie wirklich fallen sollte, würde sie mich am Ende noch unglücklich mit zu Boden reißen. Faye war für mich zwar selbst in gesünderer Verfassung ihrerseits nicht schwer, aber meine eigenen Schritte waren doch noch etwas zu instabil, um sie zuverlässig stützen zu können - hauptsächlich wegen dem einst stark geprellten Fuß. Er tat noch immer etwas weh und bei plötzlich starker Belastung könnte ich durchaus einfach einknicken. Zumal meine Reaktionszeiten sowieso noch etwas zu wünschen übrig ließen. Mein Kopf war hier und da noch etwas langsam, was Bewegung anging. Vor allem dann, wenn es plötzlich und ohne Vorbereitung darauf gefordert war. Mein Blick verfolgte Fayes Schritte voller Sorge, während ich selbst noch nahe des Tisches stand. Mich schließlich etwas damit abzulenken versuchte, die Papiertasche von meinem Gürtel loszubinden und sie auf dem Tisch zu deponieren, damit sie mich im Folgenden nicht mehr störte. Dann fiel mein Blick auf die Krücken und ich dachte einen Moment lang darüber nach zu riskieren, sie einfach da stehen zu lassen, als Faye gerade auf dem Bett Platz nahm. Vielleicht kam ich dann aber schlecht wieder vom Bett hoch, so ohne Unterstützung... also nahm ich sie am Ende doch lieber mit. Die Brünette hatte nichts davon, wenn ich jetzt hier versuchte den noch zeitweise instabilen Gang zu vertuschen, nur um dann nachher am Aufstehen zu scheitern. Als ich die paar Schritte zu ihr aufschloss saß sie schon einige Sekunden lang und ich lehnte die Krücken seitlich ans Bett nahe dem Kopfende, bevor ich mich ebenfalls auf der Bettkante niederließ. Es beunruhigte mich sehr, dass Faye unter dermaßen heftigem Medikamenteneinfluss stand, aber ihr Psychologe würde vermutlich einfach schnaubend und kopfschüttelnd von Dannen ziehen, wenn ich ihm zu vermitteln versuchen würde, dass das echt zu viel war. Zwar dürfte das kaum der einzige Auslöser für ihre miserable körperliche Verfassung sein, aber es war einer der Faktoren. Es dauerte eine ganze Weile, bis die junge Frau direkt neben mir sich zu Wort meldete und ich hatte längst einen Arm um sie gelegt - mich bewusst auf der momentan einzig richtigen Seite positioniert, damit ich den unverletzten Arm dafür nehmen konnte. Nein, dass mit der Wohnung war nicht gut. Ich glaubte nämlich nicht, dass sich mein Gefühl hinsichtlich jener wieder ändern würde. Auch nicht, wenn Riley offenbar gesagt hatte, dass sie nicht wiederkommen würden, wenn wir die Klappe hielten, nachdem sie uns ausgesetzt hatte wie Haustiere, die ihren Besitzern zu anstrengend geworden waren… wieso hatten sie das gemacht? Hatte sie nicht am Anfang noch mindestens sinnbildlich gesagt, dass Faye ohne mich aus der Sache herausgehen sollte? Ich war wirklich verwirrt. War meine Erinnerung daran falsch? Das ergab doch keinen Sinn. Als Faye ihre neuen Tränen wegzuwischen versuchte hob ich fast schon automatisch die Hand an, um ihren Kopf vorsichtig an meine Schulter zu ziehen. Selbst einen Moment lang die Augen zu schließlich und leise zu schlucken, bevor ich anfing ihr mit der zweiten Hand zart über den Oberschenkel zu streichen. Das löste zwar stichelnden Schmerz an der Brandnarbe meines Unterarms aus, aber das half wenigstens vorübergehend etwas gegen die erneut aufkommende, innere Unruhe. "Das... ist irgendwie... wirklich absurd.", stellte ich leise murmelnd fest, als ich die Augen langsam wieder aufmachte und nachdenklich auf den Schrank an der gegenüberliegenden Wand richtete. "Also nicht, dass ich dir nicht glaube... es ist nur...", hängte ich noch weitere, recht irritierte Worte an und schloss den zweiten Satz nicht einmal ab. Ich war einfach fest davon ausgegangen, dass sie mich so oder so umlegen würden - nur deshalb ja der Suizidversuch, weil es vermeintlich sowieso keinen Ausweg gegeben hatte. Ich begann mich unweigerlich noch schlechter damit zu fühlen, dass ich in jenem Moment so schwach gewesen war, weil mein Tod scheinbar gar nicht das Ziel, sondern nur eine leere Drohung gewesen war...
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Es war echt jämmerlich, wie sie jedes Mal derart mit ihrem Körper zu kämpfen hatte, kaum versuchten die eigentlich so gut gedämpften Emotionen wieder mal überzukochen. Von der physischen Anstrengungen konnte ihr Schwächezustand ja kaum kommen, die paar Schritte vom Tisch zum Bett waren schlecht auch nur annähernd dafür verantwortlich zu machen. Ihrem Gefühl nach zu urteilen, war sie eher einen Marathon gerannt als zwei Meter gestolpert. Naja. Immerhin hatte sie es geschafft ohne zu stürzen und sie spürte, wie die Matratze etwas später unter Victors Gewicht nachgab, er also ebenfalls bis hierher gekommen war. Als sie die Augen wieder öffnete, lag sein Arm bereits um ihren Körper und er lauschte ihrer stockenden Erzählung, die allerdings erneut Stille nach sich zog. Faye lehnte sich gerne an seine Schulter, als seine Hand sie dazu motivierte, hatte die Augen auch wieder geschlossen und ihre eigene Hand gesenkt, um sich stattdessen erneut vollständig auf seine Nähe und seine beruhigende Anwesenheit zu konzentrieren. Auch wenn sie spürte, dass ihre Worte ihn ebenfalls nicht kaltliessen, was aber relativ naheliegend war hinsichtlich deren Inhalt. Mit seiner wörtlichen Reaktion auf ihre Berichterstattung hatte er leider auch Recht. Sie hatte anfangs wirklich stark an der Richtigkeit ihrer Erinnerungen gezweifelt, weil sie eben keinen Sinn ergaben, nachdem Riley doch versprochen hatte, ihr Victor für immer wegzunehmen. Aber letztendlich war sie zum Schluss gekommen, dass sie der Wahrheit entsprechen mussten, weil es zum einen auch keine sinnvollere Lösung gab - eine selbstständige oder assistierte Flucht ihrerseits war komplett ausgeschlossen, da sie dafür viel zu schwach gewesen wären und wenn jemand daran beteiligt war, hätte die Person längst ihre Aussage bei der Polizei abgelegt - und sie zum anderen eben auch alle anderen Erinnerungen klar wiedergeben konnte. Faye glaubte nicht, dass ausgerechnet dieser Teil sich verfälscht hatte. Ab dem Punkt, an dem sie den Autofahrer auf dem Highway angehalten hatte, musste ja alles wahr sein und wie hätten sie sonst dort in den Wald gekommen sein sollen? "Ich weiss...", pflichtete die Brünette ihm zuerst bei. "Aber es muss so gewesen sein... oder so ähnlich, irgendwie...", bekräftigte sie ihre eigene Erzählung nochmal, weil das nunmal das Ergebnis langen Kopfzerbrechens und ihres Erachtens nach wahr sein sollte. "Irgendwas muss ihre Meinung geändert haben... Als sie realisiert haben, dass... dass du sonst halt... naja...", eine erneute Blockade in ihrem Denkvermögen verhinderte erfolgreich, dass sie die Möglichkeit seines Ablebens überhaupt aussprach und so endete ihr Satz genauso unvollendet wie seiner zuvor. "Jedenfalls hast du... damit... scheinbar erfolgreich verhindert, dass es... noch schlimmer wurde...", auch diesen Gedankengang führte sie nicht weiter aus, weil sie glaubte, dass Victor auch so verstehen würde, was sie meinte. Wer wusste schon, was passiert wäre, wenn er wach geblieben wäre? Auch das hatte sie sich schon gefühlt tausend Mal überlegt. Zuerst war sie damals sehr sicher gewesen, dass Gil sie nicht wirklich vergewaltigen würde, während seine Schwester und sein Bruder anwesend waren. Aber diese Sicherheit hatte der werte Herr damals sehr schnell erfolgreich zerstört, weshalb sie mittlerweile eher glaubte, dass Victor sie durch seine Tat allein davor bewahrt hatte, die letzte Facette der Hölle von einer anderen, grausamen Seite ein weiters Mal zu erleben. Vielleicht würde sie die physische Narbe jetzt nicht auf ihrer Brust tragen, wenn Gil nicht so wütend geworden wäre. Dafür wäre ihre Psyche noch viel schlimmer zugerichtet - was wiederum zur sehr berechtigten Frage führte, ob es dann überhaupt noch eine Rettung durch Victor hätte geben können oder ob die Schäden dafür zu irreversibel gewesen wären. Es war so schon schlimm genug, aber eben trotzdem weit entfernt von so schlimm wie es hätte enden können. Alles Hypothesen und wirre Fragen, endlose Möglichkeiten und Unsicherheiten, weil die Antworten eben nur die Menschen liefern konnten, die sie nie wieder sehen wollte. Wenn überhaupt. Wahrscheinlich wussten nicht einmal die Geschwister selbst, wohin ihre Spielchen geführt hätten, wenn irgendwas ein Bisschen anders abgelaufen wäre. Fakt war, dass sie sich ausgetobt hatten, aber sie zugleich, sobald sich abgezeichnet hatte, dass Victor nicht mehr konnte, die Übung sehr schnell abgebrochen und ihre Opfer weggebracht hatten. Offenbar verkrafteten sie viel in ihrem Lebenslauf - aber eben nicht alles. Es war ihnen egal, wenn Entführung, Folter, Nötigung und Missbrauch ihre Akten zierten, aber Mord war wohl die Endstufe, die sie nicht erklimmen wollten.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich zweifelte nicht wirklich daran, dass es so gewesen war, wie Faye es eben erzählt hatte. Es war nur einfach sehr merkwürdig und mir erschloss sich der Sinn dahinter nicht. Sie hatten sich für Seans Einbuchtung rächen wollen und in meinen Augen hatten sie das auch so mehr als ausreichend getan, aber es hatte ursprünglich schlichtweg so ausgesehen, als hätte es eigentlich noch sehr, sehr viel schlimmer enden sollen. Mit meinem Tod und damit mindestens Fayes psychischer Hinrichtung. Beides war auch auf diese Weise beinahe passiert - aber eben nur beinahe. Wir hatten lediglich einen sehr grenzwertigen Punkt erreicht, an dem es noch einen Weg zurück nach oben gab, wenn wir beide am gleichen Strang zogen und uns wirklich darauf fokussierten. Wahrscheinlich hatte wirklich irgendwas die Meinung der Geschwister geändert, denn anders ließ sich dieser Wandel kaum erklären. Es war im Grunde ja auch gar nicht so wichtig, wieso sie sich letzten Endes dazu entschieden hatten Niemanden umzubringen. Warum Gil scheinbar nicht damit weitergemacht hatte, Faye zu... nein, ich wollte und sollte daran jetzt wirklich nicht denken. Zwar war es schwer die zierliche Brünette neben mir nicht explizit danach zu fragen, ob er ihr noch Irgendetwas angetan hatte, von dem ich nichts wusste, weil ich mich selbst ausgeknockt hatte, aber es ging mir wahrscheinlich deutlich besser damit, es nicht zu wissen. Ich wusste, dass wir früher oder später noch darüber und auch über viele andere Dinge reden mussten, weil wir einfach absolut offen und ehrlich miteinander umgehen sollten - ich bevorzugte aber es vorübergehend noch hintenan zu stellen. Ich wollte Faye auch nicht mit der Frage danach erneut dazu bringen, dass sie kaum mehr Luft wegen all der Tränen und Schluchzer bekam. Wollte sie um Himmels Willen bloß nicht aktiv daran zurückerinnern, weil sie das in diesem Augenblick wirklich nicht gebrauchen konnte. Für den Moment sollte ich einfach froh darüber sein, dass mein vorübergehendes Koma immerhin einen einzigen, wirklich guten Zweck gehabt hatte, wenn Faye wirklich dachte, dass ich dadurch Schlimmeres verhindert hatte. Es war schließlich auch so schon traumatisch genug. Außerdem verkraftete ich die Wahrheit gerade vermutlich auch selbst noch nicht, sollte dieser abstoßende Typ ihr tatsächlich noch Irgendetwas angetan haben. "Ja, kann sein...", waren meine einzigen, nicht wirklich anwesend klingenden Worte dazu. Jene bezogen sich irgendwie sowohl auf Fayes erste, als auch auf ihre zweite Feststellung. Es war schwer all die Gedanken und Bilder dazu im Zaum zu halten, während wir hier darüber redeten. Ich versuchte mit einem tiefen Atemzug und ein paar Mal ganz bewusstem blinzeln die dunklen Erinnerungen, die gerade wieder viel zu präsent waren, zu vertreiben. Es half aber nicht wirklich, also ergriff ich die einzige andere Möglichkeit, die mir als Ausweg blieb - Fayes Nähe. Ich drehte mich ihr etwas mehr zu, bis ich schließlich halbwegs bequem beide Arme um sie legen und sie ein paar sehr lange Sekunden einfach nur festhalten konnte. Meine Gedanken erneut erfolgreich in ihrem vertrauten Geruch und ihrer Wärme ertränkte. Das war sehr gegensätzlich zu dem Prozess, den wir beide noch durchlaufen musste: Wieder alleine auf beiden Beinen stehen zu können, ohne jeden Moment umzuknicken, hinzufallen und dann einfach liegen zu bleiben. Momentan war es aber leider das einzige, das half. Das musste sich noch ändern, wenn wir beide etwas stabiler waren - nur konnte von stabil gerade im Moment eben einfach noch kein bisschen die Rede sein. "Ich liebe dich, Faye.", hauchte ich leise zu ihr runter. Das musste sie unbedingt wissen und ich hatte ihr diese drei so wichtigen Worte noch gar nicht gesagt, weil sie mir vorhin einfach im Hals stecken geblieben waren. Weil ich da noch nicht gewusst hatte, ob sie mich weiter abstoßen und noch tiefer in ihrem Elend versinken würde. Noch eine kleine Weile später legte ich meine rechte Hand vorsichtig an ihr Kinn, um es anzuheben. Ihr noch einen kurzen Moment lang in die feuchten Augen zu sehen, bevor ich mich zu ihr runterbeugte und mir den längst überfälligen, wenn auch erst einmal nur sehr vorsichtigen, zarten Kuss abzuholen. "...und ich hab dich schrecklich vermisst.", hängte ich danach noch ein paar leise, dünne Worte an. Blieb ihren Lippen dabei sehr nahe und strich sanft über ihr Kinn. Selbst wenn ich in den letzten beiden Wochen Besuch im Krankenhaus gehabt hätte, hätte Niemand die Lücke füllen können, die Faye durch ihre Nicht-Anwesenheit hinterlassen hatte. Die Leere, die für immer geblieben wäre, wenn ich heute nicht zu ihr hätte durchdringen können.
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Sie war froh, dass er ebenfalls nicht weiter über die schmerzvollen Geschehnisse der verdammten Nacht reden wollte, weil es dazu einfach noch viel zu früh war. Sie würde ihm die Narbe sowieso irgendwann zeigen müssen - es sei denn, er verzichtete den Rest seines Lebens darauf, sie nackt zu sehen, was aber irgendwie auch nicht in Frage kam und sehr umständlich wäre. Ausserdem auch einfach nicht schön. Sie wollte sich von diesen Ausgeburten der Hölle nicht auf ewig ihr Leben bestimmen lassen und auch wenn sie jetzt gerade nicht den geringsten Gedanken an Sex verschwendete, so war doch klar, dass sich das irgendwann sehr wohl wieder ändern würde. Wenn sie erstmal hier raus war und sie beide den anstrengendsten Teil der Traumabewältigung hinter sich gebracht hatten. Denn natürlich merkte und wusste sie, dass das Erlebte ihn genauso belastete wie sie, auch wenn er nicht ein weiteres Mal in der geschlossenen Abteilung einer neuen Psychiatrie steckte und er es bereits geschafft hatte, irgendwie zuversichtlicher und weniger komplett verloren aus der Sache heraus zu gehen als sie. Nur reichte das Erwähnen des Schreckens eben auch bei ihm schon vollkommen aus, um die Erinnerungen mit den damit behafteten Emotionen zu triggern. Das wusste sie, weil er einen Moment ziemlich abwesend wirkte und sich ihr gleich darauf noch mehr zuwandte, beide Arme um ihren Körper legte, um die Sorgen in der Umarmung zu ertränken. Sie tat es ihm gleich, weil die Nähe auch ihr unendlich viel half, sie genauso beruhigte und den Sturm in ihrem Kopf wieder besänftigte. Natürlich hatte sie die Augen wieder geschlossen, während ihr Weinen langsam ein erneutes Ende fand. Und dann hauchte er plötzlich, vollkommen unerwartet vier Worte, auf die sie eigentlich bis zu seinem Besuch nicht einmal mehr zu hoffen gewagt hatte. Er sagte es so einfach, ohne zu zögern, genau wie immer und die Tränen, die jetzt aus ihren Augenwinkeln drückten, waren ohne jegliche Zweifel Tränen der Freude. Ihre Mundwinkel zuckten nach oben und sie schlang die Arme für einen Moment noch viel enger um seinen Oberkörper, um ihm so deutlich wie möglich zu machen, wie unendlich dankbar sie ihm dafür war. Dass er sie liebte und es auch sagte, dass er hier war, dass er ihre Welt ein weiteres Mal gerettet hatte... Sie hatte so viele gute Gründe. Und als sie wenig später in sein Gesicht blinzelte, strahlten in ihren Augen nichts als pure Liebe und Dankbarkeit und Erleichterung. Sie erwiderte den zärtlichen Kuss liebevoll, der so viel Heilung versprach, so viel Hoffnung und Zukunft in sich trug. Ein leises, glückseliges Lächeln ersetzte die nicht weit zurückliegenden Schluchzer, verliess ihre Lippen als Antwort auf seine Worte, bevor sie sich den nächsten Kuss von seinen weichen Lippen stahl. Und einen dritten und vierten und fünften. Jeweils relativ kurz, vielleicht unspektakulär. Aber jeder Kuss von diesem Mann bedeutete ihr die Welt. "Danke... dass du mich schon wieder nicht aufgegeben hast...", war ihre erste leise Antwort, nachdem sie die Augen wieder geöffnet hatte und ihn anschaute, dabei beide Hände an seine Wangen gelegt hatte. "Ich liebe dich auch, Victor. Für immer. Nichts und niemand kann daran jemals etwas ändern", versprach sie ihm, dass auch sie trotz ihrem abweisenden oder zumindest vermeidenden Verhalten der letzten Wochen nie wirklich damit aufgehört hatte, sich nach ihm zu sehnen und ihn zu lieben. "Du bist die wunderbarste... stärkste... aufrichtigste... anziehendste... und liebenswerteste Person, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe... mit dem reinsten Herz, das ein Mensch überhaupt haben kann", hauchte sie an seine Lippen, unterbrach die Aufzählung immer wieder mit sanften Küssen. Sie hatte schon viele gute Menschen kennengelernt und konnte einige davon auch bis heute zu ihren Freunden oder ihrer Familie zählen. Aber so perfekt wie Victor passte keiner zu ihr und sie würde ihm das immer wieder ins Ohr flüstern, bis sie gemeinsam alt waren. Und auch dann noch, bis sie irgendwann friedlich einschliefen und gemeinsam über die Regenbogenbrücke wanderten.
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Sie lächelte. Endlich, nach all den Tränen. Der heutige Tag war eine wirklich sehr turbulente, nervenaufreibende Achterbahn der Gefühle, aber ihre angehobenen Mundwinkel färbten unweigerlich auf die meinen ab. Machten noch mehr Hoffnung darauf, dass wir den richtigen Kurs noch finden und das Auto des Lebens erfolgreich zurück auf die Straße steuern würden. Selbst wenn das noch eine ganze Weile dauern würde, bestärkten Fayes Zuneigung, all die kleinen Küsse und auch ihre aufrichtigen Worte mich darin, dass ich heute zumindest halbwegs beruhigt nach Hause gehen können würde. Dass wir morgen am Nachmittag hoffentlich weniger Turbulenzen auszusitzen hatten als heute, dass es von jetzt an ein bisschen leichter werden würde. Zumindest überwiegend, denn die eine oder andere hochgradig unangenehme Situation würde sich in naher Zukunft nicht vermeiden lassen. Dazu hatten wir zu viel zu bereden, zu viel zu klären... zu viele Erinnerungen an das, was passiert war. Wir beide hatten nie wirklich richtig über das geredet, was in Syrien damals passiert war und vielleicht war das eines der Probleme, die wir unbewusst weiter miteinander herumgeschleppt hatten - dass wir uns nie zusammen damit auseinandergesetzt hatten, nur jeder für sich. Es würde also einer der Punkte werden, die ich noch auf die Liste setzen würde, die ich bereits schriftlich angefangen hatte. Eine Liste von Aufgaben, die wir ohne Ausnahme erledigen sollten, um das Trauma dieses Mal wirklich hinter uns lassen zu können. Viel stand da noch nicht drauf, aber es war genauso wie mein Besuch hier und heute ein Anfang. Es tat auch wirklich gut von Faye zu hören, dass sich an ihrer Liebe zu mir nichts geändert hatte. Ihr Verhalten in den letzten Wochen hatte das nicht unbedingt widergespiegelt, auch wenn ich nie wirklich daran gezweifelt hatte, dass sie mich trotz ihrer Abweisung noch immer liebte. Es war also weniger ein Zweifel an ihrer Liebe an sich gewesen, sondern viel mehr ein Zweifel daran, ob sie mir das je wieder zeigen und auch sagen würde. In dieser Hinsicht war der Moment für mich also nicht weniger als Gold wert. Ich strich der zierlichen Brünetten gerade eine schmale, lose gewordene Strähne hinters Ohr, als sie all die kleinen Komplimente aufzuzählen begann. Streichelte ihr danach einen Moment lang über die Wange, während ich über ihre Worte nachdachte. War mein Herz wirklich noch rein? Hinsichtlich der unkaputtbaren Liebe zu Faye sicherlich, aber was andere Dinge anging... ich merkte, wie ich mich langsam doch ein wenig veränderte. Ich war nie ein besonders rachsüchtiger Mensch gewesen, aber es nagte inzwischen immer mehr an meinem einst reinen Charakter, dass andere Menschen sich immer und immer wieder das Recht herausnahmen, auf so bestialische, tyrannisierende Art und Weise in meines und damit auch in Fayes Leben einzugreifen. Würde ich also die Hinrichtung der drei Geschwister und auch der Syrer abnicken, wenn mich dabei keinerlei Konsequenzen erwarten würden? Ja, wahrscheinlich sogar ohne auch nur eine einzige Sekunde zu zögern. Das waren Gedanken, die ich mir früher selbst nicht erlaubt hätte, weil man sich nicht wie ein Gott aufspielen und über das Leben anderer Menschen richten sollte - aber wenn das alle anderen scheinbar machten, wie es ihnen gerade passte, wieso sollte ich mich damit zurückhalten? Ich hatte inzwischen so viel Leid und auch Tod um mich herum erleben müssen, dass ich mir selbst erlaubte, damit dieses einzige Mal wirklich im Recht zu sein. Solche Menschen verdienten es nicht zu atmen. "Ich bin mir fast sicher, dass ich schonmal stärker und anziehender gewesen bin, als jetzt grade...", beschloss ich meine sehr düsteren Gedanken lieber mit einem ironischen, leisen Witz zu übermalen. Ich war auf jeden Fall schon in weit besserer Form gewesen, als ich es im Moment war - rein optisch, aber auch was körperliche und mentale Verfassung anging. Dass ich nicht selber auch in der Klapsmühle gelandet war, lag lediglich daran, dass ich mein noch sehr instabiles, psychisches Gerüst quasi perfekt vertuscht hatte. Das hatte so gut funktioniert, weil ich eben in den Therapien immer 100% und nicht weniger gegeben hatte. Weil ich nie ein Anzeichen dafür gezeigt hatte, mich gerne in Depression unter der Bettdecke vergraben zu wollen, obwohl mir durchaus danach gewesen war. Es hatte nur einfach nicht zur Debatte gestanden und tat es auch weiterhin nicht. "Aber wir werden stärker zusammen aus Alledem rausgehen, als wir's jemals waren... dafür sorge ich, versprochen.", flüsterte ich ein Versprechen an Fayes Lippen, das ich gleich darauf mit einem etwas innigeren, längeren Kuss besiegelte. Ja, dieses Versprechen konnte ich guten Gewissens geben. Denn ich würde nicht ruhen, bis die zierliche junge Frau endlich glücklich war, bis in die tiefste Faser ihres Körpers. Würde alle meine Sinne und Gehirnzellen auf die Genesung unserer inzwischen leider ungesunden Beziehung polen, auch wenn das nicht immer nur angenehm sein würde. Es diente einem höheren Zweck, dem großen Ganzen. "Und dafür, dass du endlich glücklich wirst... dass wir glücklich werden.", hängte ich danach noch leiser an, bevor ich ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen hauchte. "Hast du irgendwelche Wünsche? Süßigkeiten? Die Pasta unseres Lieblingsitalieners? Blumen? Bestimmte Klamotten?", fing ich gleich damit an, meinen vorherigen Worten nachzugehen ohne mich dabei von ihr zu distanzieren. Natürlich würden solche Kleinigkeiten Faye nicht urplötzlich in die Glückseligkeit stürzen, aber ich konnte ihr den Aufenthalt hier drin zumindest so angenehm wie möglich gestalten. Da war ich mir für nichts zu schade. "Ich hab übrigens mein Handy wieder... ich glaube zwar nicht, dass ich das extra erwähnen muss, aber du kannst mich natürlich jederzeit anrufen.", ließ ich sie murmelnd wissen. Die Reha-Zeiten und wöchentlichen Sitzungen bei meinem Therapeuten würden wohl die einzigen Stunden bleiben, in denen sich schlecht mit ihr reden ließ. Ich würde auch mitten in der Nacht abheben, wenn sie nicht schlafen konnte - wobei sie zu solchen Uhrzeiten wahrscheinlich eher nicht auf dem Gang herumspazieren und zu den Telefonzellen gehen durfte, weil sie schlafen und zur Ruhe kommen sollte. Ob es dumm wäre zu versuchen, ihr Handy hier rein zu schmuggeln? Vorhin hatten sie mich nicht kontrolliert, beim Reingehen. Ich wusste aber nicht, inwiefern das Personal hier Zimmerkontrollen durchführte. Die eine oder andere Psychiatrie war leider eher wie Knast.
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Er schien nicht bei ganz allem, was sie erwähnte, ihrer Meinung zu sein, das war offensichtlich. Aber sie blieb trotzdem dabei. Es mochte sein, dass er körperlich mal stärker gewesen war und es bestimmt auch wieder sein würde - schon nur, weil die Krücken sicher nicht auf ewig bleiben würden. Aber darum gings ihr ja nicht, was er eigentlich auch wusste. Sie schüttelte trotz dem offensichtlichen Sarkasmus in seiner Stimme leicht den Kopf, streichelte ebenfalls seine Wangen, bevor die rechte, gesunde Hand sich mal wieder in seinen Haaren verlor. "Nein, ich glaube nicht... Wie soll man denn stärker sein als du es jetzt bist..? Stärker als ein Mann, der zweimal durch die Hölle gegangen ist und trotzdem wieder aufsteht und kämpft, weil aufgeben nie eine Option ist?", fragte sie eher rhetorisch, da sie nicht wirklich eine Antwort erwartete, es ihm einfach sagen wollte, damit er hoffentlich verstand, was sie meinte - was sie in ihm sah. Sie wusste schliesslich bestens, wovon sie sprach, da sie im Gegensatz zu ihm sehr wohl aufgegeben hatte. Eine Geschichte ihrer dunkelsten Stunde, die die Narbe an ihrem Handgelenk für immer erzählen würde. "Und da ich einfach unsterblich auf diese starken, unbesiegbaren Kerle stehe, die mit aller Kraft um mich kämpfen, warst du auch noch nie anziehender", beschloss sie nach all den ernsten Worten ebenfalls ein kleines Bisschen Ironie beizusteuern, die dem heutigen Besuch gerne eine etwas lockerere Note verleihen durften. Auch wenn das eine praktisch unmögliche Aufgabe war, nach dem holprigen Start, den sie hingelegt hatte. Scheinbar war das aber kein Hindernis für einen optimistischen Blick in die Zukunft, wie Victor im Anschluss versprach und damit verfestigte sich auch das Lächeln auf ihren Lippen. Zumindest bis zu dem Kuss, für den sich ihre Mundwinkel vorübergehend wieder etwas absenkten, da sie sonst schlecht all die Emotionen hätte übermitteln können, die ihr Herz für ihn bereit hatte. "Ich will aber auch mithelfen, okay?", flüsterte sie ihm daraufhin zu, dass er sie nicht alleine stark machen musste, er nicht alleine für eine bessere Zukunft kämpfen sollte. Klar sollte sie ihren Fokus wohl am dringendsten und zuallererst auf ihre eigene Psyche legen, damit sie überhaupt wieder funktionierte, damit die Medikamente weg konnten, die ihre Seele betäubten. Dafür hatte sie heute aber schon einen sehr wesentlichen Schritt in die richtige Richtung genommen, würde sie also hinkriegen - etwas anderes stand ohne hin nicht zur Diskussion. Und wenn sie das geschafft hatte, würde sie ihm dabei helfen, an ihnen beiden und ihrer Beziehung zu arbeiten. Daran, dass sie gemeinsam ebenfalls wieder nachhaltig funktionierten. So richtig - besser als bisher, besser als je zuvor. Glücklich, wie er gleich darauf anhängte. Ja. Sie mussten daran arbeiten, glücklich zu werden. Nicht nur zu funktionieren und zu leben, sondern auch Freude an diesem Leben zu haben. Auch dabei wollte sie ihn unterstützen, ihre 50% übernehmen - sobald sie eben dazu im Stand war. Hoffentlich bald. Denn sie wollte hier raus. Zu ihm, ins Leben, da, wo sie sich auch nachts wieder an seine Brust kuscheln konnte und nicht mehr alleine aus ihren Alpträumen hochschreckte, um festzustellen, dass niemand ihr so wirklich zu hundert Prozent versichern konnte, dass es Victor gut ging und ihre Träume nicht der Realität entsprachen. Aber dahin war es noch ein weiter Weg... auch wenn sie es nicht gerne einsah, war es eben doch besser, wenn sie noch eine Weile hier blieb. Erstmal lernte, wieder wie ein gesunder Mensch zu agieren. Seine Frage war etwas überfordernd, weil sie sich wirklich keine Gedanken dazu gemacht hatte in den vergangenen Tagen, also nicht unbedingt mit einer Liste der Dinge, die sie vermisste, dienen konnte. "Ich weiss nicht... ich bin nicht so hungrig im Moment, wegen... dem Zeug und den Medikamenten", murmelte sie erst einen schlecht zu übersehenden Fakt vor sich hin, während sie nachdachte. Die Pasta klang zwar gut, aber sie würde lieber mit ihm zusammen zum Restaurant gehen, um sie zu essen oder zumindest abzuholen. Blumen hatte sie noch auf dem Tisch von Sam. Sobald diese verwelkt wären, würde sie sich sicher über Frische freuen, da sie die farbigen Blüten schon sehr gerne betrachtete. Aber das ging noch ein paar Tage. "Bringst du mir ein Shirt von dir? Oder einen Pulli?", fand sie schliesslich doch einen Gegenstand, der ihr dienlich sein und einen gewissen Seelenfrieden schenken könnte - gerade nachts, wenn sie alleine in dieses Zimmer gesperrt war. "Und wenn du das nächste Mal in unsere Wohnung gehst... findest du ja vielleicht eine oder zwei meiner Lieblings-CDs im Wohnzimmer... Irgendein Gerät um die dann abzuspielen, kann ich sicher organisieren, damit ich nicht mehr ständig in Stille hier sitze oder liege", kam ihr noch eine zweite Idee. Er musste bestimmt ab und an vorbeischauen, wenn er was brauchte, das er bisher vergessen hatte. Das eilte ja auch keineswegs, sie hielt die Stille sicher noch ein paar Tage aus. Aber ihrer Stimmung würden die Klänge von ABBA und Take That - Erbstücke ihrer Eltern, die sie zwischendurch noch immer abspielte, wenn sie kochte oder putzte oder sich sonstwie zuhause beschäftigte - sicher nicht schaden. "Das ist gut, danke. Kannst du mir aber vielleicht nachher noch deine Nummer aufschreiben..? Die Neue kann ich noch nicht auswendig", erwiderte sie auf seine Bemerkung mit dem Handy. War eben problematisch, wenn sie kein Mobiltelefon mit vorgespeicherter Kontaktliste auf sich trug. Sie würde sicherlich auch seine neue Nummer in kurzer Zeit ohne zu spicken wiedergeben können, aber momentan würde sie noch etwas verloren vor dem Telefon sitzen und auf die Tasten starren, wenn sie ihn anrufen möchte. "Gibt es denn auch irgendwas, das ich für dich tun kann..? Ich weiss, meine Möglichkeiten sind etwas beschränkt... Aber ich würde es trotzdem gerne tun, falls dir ein Wunsch einfällt", wollte Faye wissen, blickte ihn fragend an. Falls er jetzt noch nichts wusste, kam ja vielleicht Morgen was. Sie mochte es einfach nicht besonders, wenn er sie so umsorgte und sie im Gegenzug nur warten und möglichst bald gesund werden konnte, damit sie hier raus kam und wieder mehr als ein kaputtes Anhängsel in der Reha für ihn spielen konnte.
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Es war sicherlich nicht unbedingt für jeden Menschen selbstverständlich, dass ich nach all dem, was passiert war, noch immer so hinter Faye stand und weiterkämpfte. Damit hatte sie also im Grunde schon Recht - ich hatte halt nur leider erst wieder mit dem Kämpfen angefangen, nachdem ich mich durch meinen eigenen, selbst herbeigeführten Tod eigentlich ganz in die Dunkelheit voll Nichts hatte verkriechen wollen. Zwar nicht um dem jetzt anstehenden Kampf, sondern der damaligen Situation zu entgehen, aber ich hatte zwischendrin durchaus meine schwachen Momente. Auch wenn man das kaum so ausdrücken konnte, das hätte sich schließlich auch sonst Niemand freiwillig angeschaut. Es hätte aber trotzdem schon da enden können, wären unsere Folterknechte nicht plötzlich mit weiß Gott welcher Gnade gesegnet worden. Wobei Faye mit dem Adjektiv unbesiegbar ironischerweise schon irgendwie den Nagel auf den Kopf traf. Es schien egal zu sein, wie übel ich zugerichtet war - mein Körper wollte einfach nicht draufgehen. Scheinbar musste da wirklich ein Messer durchs Herz oder eine Kugel durch meinen Kopf, wenn man auf Nummer Sicher gehen wollte. Zumindest solange die zierliche Brünette noch lebte, war sie doch der Anker, der mich immer wieder ins irdische Leben zurückzuholen schien. Anders war das kaum noch zu erklären. "Jetzt wo du's sagst... ja, das klingt nach mir.", erwiderte ich nicht minder ironisch. Ich war charakterlich eben einfach eher ein Softie in Großformat. Die Army hatte mich zwar gelehrt zu kämpfen und mit der nötigen Disziplin durchzuhalten, wenn es überlebenswichtig war - in diesem Fall eben auch nicht nur für mich, sondern auch für Faye -, aber den sehr weichen Kern würde ich immer behalten. Mir weiterhin Dinge zu Herzen nehmen, die bei Anderen nur zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder raus gingen. Dass Faye sich quasi sofort dazu bereit erklärte, auch ordentlich mit anpacken zu wollen, was unsere gemeinsame Zukunft anging, ließ das Lächeln auf meinen Lippen gleich breiter werden. "Das sollst du auch... wenn ich's allein mache bringt's ja nichts.", bekräftigte ich ihren Wunsch danach, mir beim Kitten unserer Beziehung und ganz allgemein unseres gesamten Lebens unter die Arme greifen zu dürfen. Ich führte die Beziehung schließlich nicht allein und wenn am Ende nur ich dann wieder auf festen Beinen stand oder nur ich glücklich war, dann konnten wir uns den Weg bis dahin gleich von vornherein sparen. "Aber erstmal solltest du dich darauf konzentrieren hier rauszukommen, hm?", hängte ich dennoch an, dass die Priorität erstmal auf ihr selbst liegen sollte. Wahrscheinlich wusste sie das, aber ich wollte eben sicher gehen, dass sie selbst nicht gleich zu Beginn auf der Strecke blieb. In der Zwischenzeit würde ich versuchen ihr das so leicht wie möglich zu machen und auch an mir selbst zu arbeiten, wenn ich nicht hier bei ihr oder den Therapien war. Meine vermeintlich etwas stabilere Psyche würde mit dieser Verdrängungstaktik nicht mehr ewig halten, ich sollte die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen also besser nicht zu lange aufschieben. Was ihren Hunger anging überraschte Faye mich nicht, aber diese Problematik hing wohl eher an ihrem Appetit fest. Ihr Körper musste fast schon wahnsinnig vor Hunger sein, so eifrig wie er die sowieso nicht vorhandenen Fettpolster noch weiter abgebaut hatte. Ich sagte jedoch nichts dazu, weil sie das bestens selbst wusste. Essen musste sie nun mal leider selbst, da hatte ich schon bei unserer letzten, gemeinsamen Therapie nur wenig bis gar nicht nachhelfen können. Ihre anderen Wünsche hingegen ließen sich recht leicht erfüllen. Zwar würde mir nicht wohl dabei sein wieder einen Fuß in die Wohnung zu setzen, aber da kam ich so oder so langfristig nicht drum rum. "Ja, bring ich dir mit.", bejahte ich lächelnd und strich ihr ein weiteres Mal über die Wange. Ich würde vermutlich eher einen Pulli als ein Shirt nehmen, einfach weil die kalte Jahreszeit sich inzwischen immer vehementer bemerkbar machte. Zwar war mein Kleidungsstück seitens Faye vermutlich eher nicht dazu gedacht es anzuziehen, aber falls sie sich das anders überlegte hatte sie es damit wenigstens kuschlig warm. Die CDs waren auch kein Problem, hatte ich die doch gestern erst zurück ins Regal gestellt und musste sie demnach nicht einmal suchen. Sollte Faye doch keine Möglichkeit finden die Scheiben abzuspielen, ließ sich bestimmt irgendwo in der Stadt noch einer dieser uralten, portablen CD-Player finden. Wenn nicht, dann sicher im Internet. Ich nickte auch hinsichtlich meiner Telefonnummer, sah mich daraufhin einen kurzen Moment lang im Raum um. Auf den ersten Blick sah ich jedoch weder Stift, noch Block. Es würde wohl eine der Schwestern damit aushelfen müssen. Was die Brünette für mich tun konnte war schwierig zu beantworten. Mal ganz abgesehen davon, dass meine Mom die ganze Zeit über sehr erpicht darauf war, dass es mir auch ja an absolut gar nichts mangelte, wüsste ich nicht wirklich, was Faye von hier drinnen aus für mich tun konnte - außer eben wieder gesund zu werden und das möglichst schnell. Während ich über ihre Frage nachdachte streifte mein Blick erneut die Tüte auf dem kleinen Tisch. "Du kannst später, wenn ich weg bin, den Inhalt aus der Tüte holen... und dann sagst du mir morgen, was du darin siehst.", stellte ich sie vor eine kleine Hausaufgabe, blickte lächelnd zu ihr runter. Und wenn es nicht das Gleiche war, das ich in der Figur sah, dann würde ich ihr daraufhin meine Sicht der Dinge schildern. Eigentlich war der kleine Engel ursprünglich dazu gedacht gewesen ihr notfalls auch bildlich schildern zu können, dass sie in meinen Augen niemals aus dieser Rolle rutschen würde - sie würde immer der Schutzengel bleiben, der mich durch die letzten, sehr harten Jahre geflogen hatte. Der dabei ein paar Federn verloren, mehr als einmal verzweifelt und trotzdem immer noch da war. Aber es hatte die kleine Figur nicht gebraucht, um die Brünette umzustimmen, also konnte er kurzerhand eine andere Aufgabe übernehmen. Vielleicht fiel mir bis zu meinem morgigen Besuch auch noch eine andere Kleinigkeit ein, die Faye für mich tun konnte, selbst wenn sie hier drin feststeckte.
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Scheinbar hatte sie ihn damit überzeugen können, so wie seine Antwort ausfiel. Zumindest wenn man die Ironie in seinen Worten einfach ignorierte, die ihr zartes Lächeln weiter anstachelte. Ausserdem zeigte Victor sich auch einverstanden damit, ihre Hilfe beim weiteren Verlauf ihrer gemeinsamen Genesung durchaus zu wollen und zu brauchen. Natürlich war sie nicht davon ausgegangen, dass er alleine die Beziehung rettete, die hauptsächlich sie gegen die Wand gefahren hatte. Aber er tendierte eben generell im Leben sehr gerne dazu, möglichst viel selbst zu machen und sie zu entlasten, wo immer es ging. Das war ehrenwert und nett und rücksichtsvoll - aber trotzdem nicht fair, wenn er dafür eine solche Mehrbelastung ertragen musste. Darum würde sie sicher erstmal alles tun, um genau das zu schaffen, was er gleich darauf erwähnte: Hier raus kommen, damit sie dann gemeinsam weiterkommen konnten. "Mach ich... Aber dauert wohl noch ein paar Tage, bis ich die netten Menschen hier davon überzeugt habe, dass deine Anwesenheit mich tatsächlich erfolgreich aus dem Loch gezogen hat", warnte sie ihn erneut leicht ironisch unterlegt vor, auch wenn er das wahrscheinlich schon geahnt hatte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob abgesehen von Aimee noch jemand daran glaubte, sie überhaupt je wieder auf dem Weg zur Besserung zu sehen. Oder ob sie eher fest damit rechneten, sie eines Tages tot im Zimmer zu finden, weil entweder ihr Körper ebenfalls den Willen aufgegeben hatte oder sie doch eine Möglichkeit gefunden hatte, es selbst zu beenden. Aber das würde nicht passieren. Sie musste schnell wieder fit werden und damit Victor, allen anderen und vor allem auch sich selbst beweisen, dass sie das ein zweites Mal schaffte. Faye war sich einfach noch nicht ganz sicher damit, wie sie das mit den Therapien hinbekam. Denn eigentlich war der Wille, mit einer Fachperson zu reden, noch immer nicht wirklich da. Vielleicht mit ihrer üblichen, ambulanten Therapeutin - aber das war ja gerade keine Option, da sie erstmal mit dem Psychiatriepersonal Vorlieb nehmen musste... Und hier mochte sie leider bis jetzt absolut keinen bis auf Aimee, vertraute niemandem und wollte sich niemandem öffnen. Es war nur fraglich, ob sie dieses Gebäude jemals wieder unbegleitet von aussen anschauen durfte, wenn sie an dieser Strategie festhielt... Victor versicherte ihr, den zwei Wünschen ihrerseits gerecht zu werden, was doch auch Grund zur Freude war. Es gab ja sonst in diesem fremden Zimmer herzlich wenig persönliche Gegenstände ihrerseits, was sich damit wenigstens ein Bisschen ändern liess. Allzu wohnlich wollte sie es sich hier zwar nicht einrichten, aber bei einem Pulli und zwei, drei CDs konnte man auch noch nicht von Zuhause reden. Die Brünette löste sich etwas von ihm, als er die Tüte erwähnte, die auf dem Tisch stand und zu der ihr Blick nun auch schweifte. Sie hatte gedacht, er hätte da einfach... keine Ahnung, seinen Geldbeutel drin. Oder er war vorhin in der Stadt gewesen und hatte was eingekauft für später. Dass er etwas mitgebracht hatte, das scheinbar sie betraf, weckte aber unweigerlich ihre Neugier und sie legte leicht den Kopf schief, ohne den Blick abzuwenden. Auch wenn die Tüte herzlich wenig über ihren Inhalt Preis gab. "Was hast du denn mitgebracht..?", fragte sie etwas verwundert aber auch eindeutig neugierig, obwohl sie wusste, dass er diese Frage nicht beantworten würde. Ihre Augen fanden wieder in sein Gesicht, wobei ihre Mundwinkel sachte nach oben zuckten. Sie mochte Überraschungen. Aber eben meistens nur so lange, bis sie wusste, dass eine Überraschung wartete. Und dann wollte sie unbedingt herausfinden, was es war - was diesmal eigentlich gar nicht mal so schwer zu beantworten wäre, wenn sie einfach aufstehen und zum Tisch eilen würde. Theoretisch wäre sie auch schneller als er, da er sich noch um seine Krücken kümmern müsste. Aber wenn sie tatsächlich auf die Füsse springen würde, würde sie wiederum sehr unsanft wieder kippen - was dann am Ende keinen glücklich machen würde. Also blieb ihr wohl diesmal nur Abwarten übrig. "Ich bin mir sicher, die bieten hier irgendeine Stricktherapie oder so an... Dann kann ich dir bis in einer Woche auch ein Geschenk vorbereiten. Vielleicht ein paar Socken oder so", erklärte sie, weil die Tatsache, dass sie so gar nichts zurückgeben konnte, nicht so wirklich ihrem Geschmack entsprach. Sie liebte Geschenke - hatte aber mindestens genauso viel Freude daran, andere Leute zu Beschenken und ihnen etwas zurückzugeben. Sie würde sich also die nächsten Tage mal mit dem Angebot der Psychiatrie auseinandersetzen müssen, das sie bisher herzlich wenig interessiert hatte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Davon war leider auszugehen. Wenn Faye bis vor kurzem noch Suizidgedanken gehegt hatte, dann würde das zuständige Personal sie kaum innerhalb weniger Stunden von lebensunfähig auf wieder vollkommen stabil umschreiben. Sie durfte erst dann wieder entlassen werden, wenn sie absolut sicher keine Gefahr mehr für sich selbst darstellte. Ausnahmen gab es dabei keine, weil es unweigerlich auf das Personal zurückfallen würde, wenn sie sich dann doch etwas antat und deutlich ersichtlich war, dass sie zu früh entlassen worden war. "Schaffst du schon, ich glaub an dich.", war alles, was ich am Ende dazu sagte und unterstrich diese Worte mit einem flüchtigen Kuss auf ihre noch etwas gerötete Wange. Es war eben leider nicht so einfach das psychologisch geschulte Fachpersonal hinsichtlich der eigenen, psychischen Leiden hinters Licht zu führen. Faye würde wohl oder übel also relativ ehrlich sein und den Grund ihres Sinneswandels früher oder später offenlegen müssen, wenn sie nicht für immer hinter diesen Mauern hocken bleiben wollte. Lächelnd beobachtete ich wie der Blick der zierlichen Brünetten zu der von mir erwähnten Tüte glitt. Neugierig war Faye schon immer gewesen. Was Geschenke anging war sie nicht mit viel Geduld gesegnet worden, aber genau das war auch einer der Gründe, warum ich ihr gerne Geschenke machte. Natürlich nicht ständig, aber wenn es sich ergab oder es einfach gerade passte. Der bronzefarbene Engel hatte einen Zweck und er würde sie spätestens dann immer an mich erinnern, wenn ich ihr gesagt hatte, was ich darin sah. Es war gut, wenn sie Dinge sah und anfassen konnte, die sie immer wieder daran erinnern würden, warum wir uns diesen harten Weg noch ein weiteres Mal antaten - wie beispielsweise eben meinen Pulli oder den Engel mit den leicht lädierten Flügeln, der sich gerne vor der Welt verstecken zu wollen schien, weil sie nichts Gutes für ihn bereithielt. "Das wirst du noch früh genug sehen, Kleines.", mahnte ich sie indirekt zur Geduld und strich ihr dabei ein weiteres Mal kurzzeitig am Rücken auf und ab. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde noch breiter und wirkte vielleicht sogar einen Hauch amüsiert über ihre Reaktion. Es war wahnsinnig schön ein kleines bisschen Normalität in ihrem Gesicht wiederzuerkennen. Zu sehen, dass sie sich trotz all der dunklen, letzten Tage darüber freuen konnte. Obwohl sie noch nicht einmal wusste, was sie in der Tüte erwartete. Stricktherapie? Ja, die würden hier bestimmt irgendeine Art von Beschäftigungstherapie haben. Die gab es überall - mal was es stumpfes Ausmalen von Mandalas, ein anderes Mal handelte es sich um das Formen von Ton... vielleicht wurde hier also gestrickt und ich bekam ein Paar neue Socken. Das hätte sogar auch was Praktisches in der kalten Jahreszeit. Ich fror ab und an immer wieder ein bisschen. Selbst dann, wenn ich mich eigentlich drinnen im Warmen aufhielt. Es kam und ging. War sicherlich wieder die angeknackste Psyche - in Kombination mit meiner nicht so guten körperlichen Verfassung - die das mit sich brachte. Außerdem würde ich mich so oder so darüber freuen, es wäre schließlich ein Geschenk von Faye. Da war es dann auch egal, ob die Socken kunterbunt waren. In Stiefeln sah man das nicht und um es auf dem Sofa kuschelig zu haben brauchten Socken auch keine einheitliche Farbe. "Warme Socken könnte ich sogar ganz gut brauchen, jetzt wo ich wieder raus kann.", stellte ich wahrheitsgemäß fest und wiegte den Kopf einen kurzen Moment lang schwach hin und her. "Und die Therapeuten werten das sicher auch positiv, also zwei Fliegen mit einer Klappe.", hängte ich kurz darauf noch an und zuckte schwach mit den Schultern. Zweifelsohne würde jeder ihrer Betreuer es gerne sehen, wenn sie endlich damit anfing sich etwas mehr einzubringen, statt sich nur teilnahmslos in ihrem Zimmer zu verschanzen und die Therapie zu verweigern. Ich selbst würde mich aber wahrscheinlich mit Abstand am meisten darüber freuen. Es war einfach wahnsinnig trostlos und ungemütlich, wenn man die ganze Zeit von ausgerechnet dem Menschen getrennt war, den man am dringendsten in seiner Nähe brauchte, um vollständig zu heilen. Selbst wenn es also nicht mehr das Bett in unserem Schlafzimmer sein würde, sondern vorübergehend nur das Bett in einem Hotel, konnte ich es kaum erwarten die zierliche Brünette wieder neben mir auf dem Kissen zu haben.
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Das war gut, wahrscheinlich brauchte sie genau das nämlich auch, um ihr Trauma wirklich erfolgreich zu bewältigen und nicht plötzlich unterwegs doch wieder den Glauben, die Motivation oder die Hoffnung zu verlieren. Sie war nicht jemand, der grundsätzlich schnell aufgab, aber zugleich war sie sich im Klaren darüber, dass es immer leichter war, an etwas festzuhalten, wenn man dabei nicht unter einem psychischen Supergau litt wie sie das momentan eben tat. "Das ist gut", liess sie ihn diesbezüglich ebenfalls an ihren Gedanken teilhaben. Sie wusste ja noch nicht, wie genau sich ihr Zustand in den nächsten Tagen entwickeln würde, wenn sie tatsächlich damit begann, sich aktiv mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Das hatte sie ja bisher tunlichst vermieden, weil sie ganz einfach keinen Sinn darin gesehen hatte, sich diesem Schmerz und den Erinnerungen hinzugeben, wenn sie sowieso nächstens den Löffel abgab. Aber jetzt sollte sie langsam in die Tiefen ihres Bewusstseins eintauchen, wenn sie dieses Meer von Trauer und Angst und Schmerz und Schuld je hinter sich lassen wollte. Nachdem die Medikamente irgendwie sinnvoller, weniger betäubend eingestellt worden waren jedenfalls, darum musste sie sich morgen kümmern. Vielleicht hatte sie ja Glück und stiess diesbezüglich auf Gehör, wenn sie nur ausreichend beteuerte, jetzt doch am Leben bleiben zu wollen und mit dieser Dosis von Psychopharmaka niemals heilen würde. Sie blieb ja eh weiterhin hier und wenn das dann in einer Katastrophe endete, würde sie bestimmt schnell genug wieder vollgepumpt werden. Auch wenn sie hoffte, dass das nicht nötig sein würde. Vielleicht liess sich das Trauma an sich ja diesmal leichter bewältigen, wo sie schon mit Erfahrung vom letzten Mal glänzen konnten. Ganz umsonst waren die vielen Therapiestunden ja nicht gewesen, sie hatte eigentlich schon sehr viele Bewältigungsmethoden kennen und nutzen gelernt, auf die sie nun zurückgreifen konnte. Auch wenn es eine andere Art von Trauma war, gab es leider doch viele grausame Parallelen zum Folterkeller in Syrien. Wieder waren sie vollkommen machtlos gewesen, wieder hatten fremde Menschen ihnen jegliche Würde und Rechte entzogen und wieder - und das war das absolut Schlimmste an allem - war es Victor gewesen, mit dem sie die Privatvorstellung der Hölle geteilt hatte. Es waren erneut seine Schmerzenslaute gewesen, sein Betteln und auch diesmal hatten ihre Feinde die Liebe, die sie verband, gegen sie benutzt, um ihre Herzen in tausend Stücke zu zerschmettern. Und sie sollte sich wirklich nicht jetzt Gedanken darüber machen, sonst ruinierte sie die wertvollen Minuten, während derer sie seine Gesellschaft geniessen durfte. Sie hatte zwar keine beschränkten Besuchszeiten - also schon im Sinne von 9:00 Uhr bis 21:00 Uhr oder sowas, sie wusste es nichtmal so genau, weil ihre zwei Besucher das bestens selbst in Erfahrung gebracht hatten - aber wahrscheinlich konnte er trotzdem nicht ewig bleiben. Vor allem leider nicht nachts, wenn sie ihn am meisten vermisste. Es fühlte sich komisch an, alleine in einem Bett zu liegen und sie konnte jetzt jedenfalls sehr überzeugend Rückmelden, dass das nichts für sie war und sie die Einsamkeit hasste. Da hiess es jetzt aber erstmal Augen zu und durch - und wenigstens würde sie ab heute etwas haben, das sie anschauen und festhalten konnte, wenn sie wach lag und ihn vermisste. Nämlich das, was sich in der Tüte versteckte und über dessen Eigenschaft er sie nicht aufklären wollte. "Wenn ich schneller aufstehen könnte als du, würde ich es jetzt schon sehen, selber Kleiner", klärte sie ihn mit einem amüsierten Augenrollen darüber auf, dass sie sich die Tüte längst geschnappt hätte, wenn diese Bewegung momentan in Frage käme. Oder jedenfalls erzählte sie das - ob sie es wirklich tun würde, war fraglich, wobei zumindest das Ende ihres Satzes die Ironie eigentlich deutlich genug ausgedrückt hatte. Sie war zwar ebenfalls nicht wirklich klein, auch wenn er sie gerade so genannt hatte, aber zu ihm fehlten ihr dann trotzdem nochmal gute fünfzehn Zentimeter, was die Bemerkung ziemlich hinfällig machte. Leider musste sie ihn aber was die Socken anbelangte wohl doch nochmal enttäuschen. "Hmm... Vielleicht doch nicht stricken, mir ist gerade eingefallen, dass ich zwei frisch verheilte Knochenbrüche in den Fingern habe, die wahrscheinlich noch zwei bis drei Wochen geschont werden möchten...", gab sie zu bedenken, während sie schon über eine Alternative nachzudenken begann. "Aber ich find schon was. Die haben ziemlich viele Angebote hier... oder jedenfalls kommt es mir so vor, weil sie ständig versucht haben, mich für das eine oder andere davon zu begeistern. Somit ja, die werden sich bestimmt freuen, wenn ich einen Abnehmer für die Werke psychisch angeknackster Personen gefunden habe, für den ich mich sogar zur Teilnahme motivieren lasse", nickte sie überzeugt, tätschelte dann anerkennend seine Wange. "Wie lange kannst du hier bleiben? Also heute...", schob sie kurz darauf eine etwas zusammenhanglose Frage nach, da sie immerhin nicht wusste, ob er noch Programm hatte oder nicht. Sie hatte nämlich genabgenommen gar keine Ahnung von seiner momentanen Tagesstruktur.
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Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell wir einander halbwegs gut auf andere Gedanken bringen konnten, sobald der schlimmste Punkt vorübergehend erst einmal überwunden war. Vor ein paar Minuten hatten wir uns noch weinend in den Armen gelegen, wovon auch die immer noch leicht geröteten Wangen und Augen zeugten, während wir jetzt schon in einem mehr oder weniger positiven Status angekommen waren. So positiv, wie er eben sein konnte, bei dem was wir vor etwas über einem Monat erlebt und uns seitdem nicht mehr gesehen hatten. Sogar kleine Witze waren drin, selbst wenn sie stellenweise noch eher verzweifelt wirkten oder lediglich die Ernsthaftigkeit überdecken sollten. Das war besser, als wenn wir den Rest meines Besuches über weiter gequält vor uns hin litten. "Schneller aufstehen kannst du wahrscheinlich sogar wirklich, nur wie es dann mit dem Laufen aussieht...", meinte ich seufzend und zuckte leicht mit den Schultern. Natürlich ganz den billigen Sarkasmus beibehaltend. Ja, sie kam ganz bestimmt schneller auf die Beine als ich das tat. Nur schneller vorwärts kam sie nicht, erst recht nicht wenn sie zwischendurch eine Bruchlandung hinlegte. "Ich erinner' dich gerne dran wie klein ich bin, wenn ich dir nochmal dabei helfen soll irgendwelche Lichterketten ganz oben ins Fenster zu hängen, damit du keinen Hocker benutzen musst.", kommentierte ich meinen neuen Spitznamen mit hochgezogener Augenbraue. Faye war für eine Frau wirklich nicht gerade klein, wenn man sie am Durchschnitt maß und das war nur einer von vielen Gründen, warum sie so gut zu mir passte - eben auch optisch, weil sie neben mir nicht so verloren aussah wie Jemand, der noch ein Stück kleiner war. Trotzdem kam sie nur schwer an die obere Kante des fast deckenhohen Fensters im Wohnzimmer, wenn der Winter mitsamt seiner Festtage lockte und entsprechende Dekoration hermusste. Aber gut - vielleicht würde unser neues Heim kein so hohes Fenster mehr haben... was schade wäre. Ich mochte es, dass das Wohnzimmer selbst in den dunklen Jahreszeiten durch das große Fenster neben der Terrassentür noch recht viel Licht abbekommen hatte. Mochte die Wohnung eigentlich ganz allgemein sehr, aber das brachte uns nichts mehr, wenn wir uns in diesen Wänden nicht mehr wohlfühlen konnten. Das neue Paar Socken konnte ich mir wohl leider in die Haare schmieren. "Ich könnte dir nicht mal sagen, welche Finger man dazu alle braucht...", stellte ich nachdenklich fest. Ich hatte zwangsweise irgendwann in einem meiner ersten Schuljahre mal im Werkunterricht gestrickt. Das hatte mir, wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich ließ, weder besonders gefallen, noch hatte es mir Spaß gemacht. Dementsprechend war nichts davon bei mir hängengeblieben. Wahrscheinlich brauchte man am Ende wirklich jeden Finger dazu, weil man die Nadeln irgendwie stabil halten musste oder so. Keine Ahnung. "Aber ich nehm' auch was anderes, so ist's nicht.", hängte ich kurz darauf noch ein paar Worte an. Nein, an ihren noch nicht verheilten Fingern sollte meine Freude nicht scheitern. Faye würde bestimmt Irgendetwas anderes Schönes hinkriegen, ich ließ mich da gerne überraschen. "Wie... geht's eigentlich deiner Schulter?", hakte ich kurz drauf murmelnd nach und mein Blick fiel an jener Stelle auf den Stoff ihres Pullovers. Sie schien vorhin nicht tausend Tode gestorben zu sein, als sie die Schlinge ausgezogen hatte. Nur musste das nicht unbedingt was heißen, falls sie genauso wie ich Schmerzmittel bekam. Das wusste ich jedoch nicht - wir hatten in den Briefen ja mehrheitlich nur über meine Gesundheit gesprochen, ihre eigene schien Faye völlig egal gewesen zu sein. Wann ich gehen musste? Mein Blick fiel auf die Uhr auf dem Nachttisch unweit meiner Krücken. Ich war jetzt doch schon länger hier, als es sich anfühlte, aber das war wohl normal, wenn man Jemanden sehr vermisst hatte. "Ich hab nichts weiter vor. Die Therapien sind weiterhin alle am Vormittag, da hab ich noch am meisten Energie. Bis auf die Psychotherapie einmal die Woche am Montag, die ist wiederum erst später abends... und nachdem ich nicht wusste, wie lang mein Besuch hier ausfällt, hab ich meiner Mom gesagt, dass ich ein Taxi zurücknehme, damit sie nicht auf mich warten muss.", legte ich erst einmal die Fakten auf den Tisch. Selbst wenn Faye mich weiterhin hätte loswerden wollen oder mich gar nicht erst zu sich gelassen hätte, hätte ich sicherlich nicht so schnell locker gelassen. Es war also zumindest bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar gewesen, dass ich nicht nach fünf Minuten schon wieder nach draußen spazieren und nach Hause gehen wollen würde. "Es liegt also eigentlich ganz bei dir, wann du mich wieder loswirst.", schlussfolgerte ich mit einem sanften Lächeln und beugte mich zu ihr nach vorne, um einen zärtlichen Kuss auf ihre Stirn zu hauchen. Ich würde kaum freiwillig früher dieses Zimmer verlassen, als ich es musste. Würde auch dieses Mal einen Teil von mir hier zurücklassen, so wie jedes Mal, wenn ich Faye vorübergehend verließ. Mein Herz blieb immer bei ihr, hatte ich es doch schon vor langer Zeit an sie abgegeben.
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