Nein, der Weg zur Schönheitsklinik würde definitiv nicht die Weltreise werden, die sie für irgendwann in weiter Ferne noch planen sollten. Nicht als oberste Priorität, aber eigentlich hatten sie schon von ziemlich vielen Urlaubszielen gesprochen, von denen sie weiterhin kein Einziges von der Liste streichen konnten... Irgendwann müssten sie damit anfangen. Was sich gut mit einem - oder sogar mehreren - der Punkte verbinden liess, die sie heute Nachmittag aufs Papier gekritzelt hatten. Aufhören, ständig von Dingen zu träumen, ohne sie zu verwirklichen. zum Beispiel. Aber das war Thema eines anderen Tages. Für den Moment konnte sie froh sein, dass Herbst war und der Winter kam, sie zuhause bleiben und sich die nächsten Monate unter Hoodies verstecken konnte und an keinem Strand der Welt sonnen musste. Und bis der Sommer kam, wäre das Problem hoffentlich beseitigt, oder? Sie hatte keine Ahnung, wie lange solche Narbenbehandlungen dauerten. Wahrscheinlich lange. Aber von ihr aus trotzdem nicht gleich acht Monate... Faye nickte schwach auf Victors Bemerkung zu Mitch. Vielleicht würde sie sich mit ihm unterhalten, wenn die Zeit gekommen war. Vielleicht auch nicht. Kam ganz drauf an, wie sie bis dahin mit irgendwas hiervon klar kam. Ausserdem hatte sie ja nicht vor, sich einfach irgendwas stechen zu lassen, Hauptsache es deckte gut ab... Irgendeine Bedeutung musste es schon haben, um wiederum die Message der Narbe zu überschatten. Victor schien ihre Überraschung nicht unbedingt erwartet zu haben, wendete aber keineswegs etwas dagegen ein und versuchte auch nicht, noch länger an der vorgehenden Thematik festzuhalten. Nicht weiter erstaunlich, gefiel ihm diese ja genauso wenig wie ihr... Sie hatte das aber schon vorher mit sich ausgemacht - also dass sie nach der Narbe mit dem kleinen Geschenk kommen würde. Eigentlich war das eine Art Notfallplan gewesen, falls sie es nicht geschafft hätte, ihm die Wahrheit zu sagen, er aber schon gemerkt hätte, dass da noch was war. Oder wenn er Fragen gestellt hätte, die sie nicht beantworten konnte, wäre sie damit relativ geschickt und einfach ausgewichen. Aber jetzt diente die angekündigte Sache ihrem eigentlichen Zweck: Einem Bisschen besserer Laune und hoffentlich auch dem Beweis, dass sie, auch wenn sie sich manchmal ungeschickt ausdrückte und sich in ihren Gedanken verlief, ganz genau wusste, welche Gefühle in seinem Herzen wohnten. Faye liess sich von ihm auf die Füsse helfen, zupfte dann aber erstmal ihre verschobene Kleidung zurecht und strich sich nochmal über die feuchten Wangen um Augen, um die Spuren der Tränen bestmöglich zu verwischen. Sie schob ein paar lose Haarsträhnen hinters Ohr und ging dann an ihm vorbei zum Nachttisch. Verbarg jedoch das, was sie gleich darauf aus der einzigen Schublade holte, erst noch an ihrer Brust. "Es ist noch nicht wirklich fertig... Aber das dauert noch ewig, darum... wollte ich dir den ersten Teil trotzdem zeigen...", merkte sie an, wobei schon wieder leichte Unsicherheit in ihrer Stimme lag, da sie sich plötzlich fragte, ob sie vielleicht besser gewartet hätte... Aber jetzt wars irgendwie zu spät. Und sie wollte es ihm ja zeigen, als weitere Manifestation ihrer Gefühle. Dass er diesen Raum nicht mit noch düstereren Emotionen verlassen musste, als ganz zu Beginn seiner Klinikbesuche. Faye schaute über die Schulter zurück, blickte ihn kurz an, bevor sie zum Bett nickte. "Setz dich hin und mach bitte die Augen zu... ich habs nicht eingepackt", wies sie ihn an, wobei ein beinahe entschuldigendes und noch dezent unsicheres Lächeln ihre Mundwinkel möglichst aufmunternd nach oben zog. Sie wartete geduldig darauf, dass er ihrer Bitte nachkam, bevor sie sich zögerlich umwandte, um sich neben ihm auf den Rand der Matratze sinken zu lassen. Faye liess die Hände sinken, nahm das schwarze Skizzenbuch und legte es vorsichtig auf seinem Schoss ab, führte seine Finger an dessen Kanten, damit er es festhielt. Es war nicht besonders gross, die Seiten entsprachen ungefähr einem A5-Format, und auch nicht sehr dick, jedoch mit eleganter Fadenbindung versehen. "Kannst... schauen", erlaubte die Brünette, strich mit ihren Fingern nochmal über die seinen, bevor sie ihn losliess und die Hände fast nervös in ihrem Schoss faltete, um seine Reaktion abzuwarten. Im Bereich oberen rechts des schwarzen Buchdeckels strahlten ihm zwei mit weissen, geschwungenen Buchstaben verfassten Zeilen entgegen.
It took one night to fall in love with you
war alles, was sie verrieten. Und das zog sich auch über den bisher bestehenden Inhalt des Buches weiter. Pro Doppelseite stand jeweils ein kurzes Gedicht, in ebenso geschwungener Schrift wie der Titel des Buches, geschrieben. Und dazu eine Zeichnung oder eine Skizze der Gedanken, die sie an die Worte knüpfte.
It has always been a little bit of heaven but a little bit of hell with us Yet of all things so difficult in life loving you remained effortless through it all
Las die erste Doppelseite. Begleitet von einem Bild, das zu zwei Dritteln aus Sturm und zu einem Drittel aus einer Blumenwiese bestand. Am Rande des Sturms, beinahe in der Wiese angekommen, standen zwei Menschen, die eng umschlungen dem Wind trotzten, den Blick aber stur zur Sonne richteten.
I found you in a place so bitter where love was not supposed to be found But turns out to me you will always be half of my soul and all of my heart
Das zweite Bild stellte unmissverständlich die syrische Wüste dar. Und in deren Mitte das paradoxe Abbild eines kräftigen Apfelbaumes, mit starkem, alten Stamm, dessen Wurzeln irgendwo in der Tiefe das ewige Wasser gefunden haben mussten. Der Baum war voll behangen mit roten, herzförmigen Früchten, die im Licht der gleissenden Sonne glänzten.
You help me to shine in this dark dreaded world and guide me to find the beauty within Cause the stars after all can only be seen when all other lights are out
Es waren wieder zwei Menschen, diesmal jedoch eher nur ihre Umrisse, wobei der Mann die Frau sicher auf die Anhöhe einer Klippe leitete. Unter der Klippe erstreckte sich das endlose Meer und auf den seichten Wogen glitzerten die Sterne, die über ihnen das Himmelsdach strahlen liessen.
If I knew it all then I would chose you again because every time they try to bury us they find out we are seeds the seeds that grow back stronger like weed in the ground and no matter what they always find their way up
Ein weiteres Bild, das nur eine Handvoll Leute als das interpretieren würden, was es war: Der Eingang zu den schrecklichen Hügeln in Syrien. Aber es war kein Eingang des Grauens mehr, der Ort war längst verlassen. Vereinzelt lagen noch Waffenteile zwischen den Steinen und dem Staub, aber alle Fussspuren waren längst vom Winde verweht. Und aus dem Inneren der Hügel wuchsen lange, kräftig grüne Ranken, die sich um die Steine schlängelten und alles Grau umschlossen. Und die blutroten Rosenblüten schienen förmlich zu schwören, die Dunkelheit für immer zu vertreiben.
We will fly like the angels on their way to the sky two free souls guided by a warm summer breeze and the light of the sun so this is where I promise that forever I'll be yours to love and yours to keep
I love you.
Das war die vorerst letzte Doppelseite, die, die er unbedingt hatte sehen müssen und offensichtlich auch die Letzte, die sie gezeichnet hatte. Weil sie nicht nur auf den Engel auf ihrem Nachttisch bezogen war, sondern vor allem auch auf diesen Tag und alles, was sich darin abgespielt hatte. Das Bild zeigte zwei Engel, wieder von hinten gezeichnet. Auf ihren Flügeln war deutlich zu sehen, dass nicht alle Federn die gleiche Länge hatten und ein paar davon erst kürzlich nachgewachsen sein mussten. Einige fehlten auch ganz. Und trotzdem trugen sie die Engel behutsam in Richtung Sonnenstrahlen. In Richtung Leben, in Richtung Zukunft.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
habs dann jetz auch mal geschafft, hatte leider eine sehr stressige Woche zum Ende hin. ˇ︿ˇ ________
Ich machte mich wie von Faye gewünscht auf den Weg zurück zum Bett und ließ mich dort auf den äußeren Rand der Matratze sinken. Zwar schien das, was sie mir gleich präsentieren wollte, noch nicht ganz fertig zu sein, aber offenbar war es einen Blick trotzdem schon jetzt wert. Andernfalls würde die zierliche Brünette wahrscheinlich kein solches Geheimnis aus der Sache machen. Also machte ich wie von ihr gewünscht nach einem kurzen Nicken mit leicht verunsichertem Lächeln die Augen zu. Wartete einfach stumm darauf, dass sie sich schließlich neben mir hinsetzte und etwas auf meinem Schoß ablegte, das sich erstmal nur nach einer ebenen Fläche anfühlte. Als Faye meine Finger an die Überraschung heranführte, war dann auch schnell klar, dass es sich um eine Art kleines Buch handelte. Schließlich bekam ich auch die offizielle Erlaubnis meine Augen zu öffnen und von da an dauerte es wohl maximal noch eine Sekunde, bis meine Lider sich der Neugier hingaben und ich einen Blick auf den Einband warf. An sich war jener zwar schlicht gehalten, aber es ging auch nicht wirklich um den Hintergrund, sondern auf die eindeutig im Vordergrund stehenden Worte. Ich besah mir den zweizeiligen Satz noch einen Moment und strich mit dem rechten Daumen darüber, wobei das zuvor noch etwas instabile Lächeln etwas breiter wurde. Danach schlug ich die erste Seite auf und von da an sollte die Stille erstmal noch eine ganze Weile anhalten. Denn die pure Wahrheit, die schon die Hülle des kleinen Buches geziert hatte, sollte sich fortan durch sämtliche Seiten fädeln. Nicht nur wörtlich, sondern auch bildlich. Es dauerte also nicht lange, bis mich die erste Seite förmlich in ihren Bann zog. Sie bekräftigte mich auf wunderbare Weise darin, weiter daran zu glauben, dass unsere Art der Liebe einfach etwas Besonderes war. Vielleicht war sie nicht immer einfach, aber das waren so innige Gefühle nie. Dafür war sie jedoch unkaputtbar und deshalb war es wohl auch so leicht, weiter daran festzuhalten. Weil wir beide wussten, dass sie nicht schwinden würde. Es war nicht vorhersehbar gewesen, dass wir dieser Liebe begegnen würden - wie Faye auf der nächsten Seite aufgriff - und doch blieb sie bestehen. Hatte sich ungeplant in unsere Herzen und Seelen eingewoben, um uns gemeinsam durch die sandige, syrische Wüste zu tragen. Und irgendwie war es wohl auch wahr, dass ich immer wieder versuchte Faye zu vermitteln, dass wir noch nicht am Ziel angekommen waren, obwohl ich selber nicht wirklich wusste, wie wir da eigentlich hinkommen sollten. Ich sie weiter auf meinem Weg mitnahm und ihre Hand nie dabei losließ - egal wie fern sie physisch war. Loszugehen war das Ziel, oder? Vielleicht war der Sternenhimmel aktuell noch ziemlich wolkenverhangen und es blitzte nur hier und da mal ein heller Stern dazwischen hervor, aber auch die Wolken würden noch verschwinden. Es war jedoch die nächste Seite, bei der ich mit Abstand am längsten hängen blieb. Es war auch die einzige Seite, bei der ich mir zuerst das Bild ansah und erst danach den Text las. Die Hügel in der syrischen Wüste und der Eingang ins Grauen waren nichts, woran ich gerne zurückdachte. Zumindest normalerweise nicht, denn das von Faye gezeichnete Bild zeigte nichts von all dem Blutvergießen mehr. Oder zumindest fast nichts mehr, abgesehen von ein paar spärlichen Überbleibseln unseres damaligen Kampfes um nicht weniger als Leben und Tod. Zumindest dieses Trauma schien überwiegend vergangen und das war schön. Natürlich blieb trotzdem die daraus resultierende Angst davor, Faye zu verlieren... aber dagegen würde ich in nicht allzu ferner Zukunft aktiv vorgehen. Abgesehen von ein paar ungesunden Verhaltensmustern lag also zumindest dieser Abschnitt aus Syrien weit hinter mir. Die Angst vor Messern und auch die Alpträume aus dieser Zeit waren fort, die Narben verheilt. Irgendwie hatten wir uns den Weg zurück an die Luft gegraben und das würden wir auch dieses Mal tun. Ganz das Unkraut, das sich zur Not auch durch den Beton einen Weg nach oben suchte. Darin bestärkte mich auch die nächste und vorerst letzte Doppelseite, die mein Lächeln noch einmal breiter werden ließ. Nicht nur, weil Faye mit dem Bild deutlich zum Ausdruck brachte, dass sie sich unser Gespräch zu Herzen genommen und wirklich verinnerlicht hatte, sondern auch wegen der Worte auf der anderen Seite. Zu dem breiten Lächeln gesellte sich eine einzige, einsame Träne, die aber ganz und gar nicht mehr aus Frustration oder Angst rührte. Denn die zierliche Brünette hatte es mit den paar wenigen, aber so bedeutungsvollen Seiten tatsächlich geschafft, das gerade eben noch so unendlich schwer wiegende Herz wieder etwas höher schlagen zu lassen. Hatte ihm neuen, dringend benötigten Auftrieb gegeben. Glücklicherweise klappte ich das Buch aber zu, bevor die kleine Freudenträne sich von meinem Kiefer löste und daraufhin nur auf den Einband, statt auf eine der Seiten tropfte. Ich wischte sie akribisch mit dem Daumen weg. Dann legte ich das Skizzenbuch neben mir beiseite und wendete mich Faye wieder zu. Den ihr zugewandten Arm legte ich um ihre Taille, während ich die andere Hand nach ihrem schmalen Nacken ausstreckte, um sie vorsichtig für einen liebevollen, innigen Kuss zu mir hinzuziehen. Mit dem Kuss schüttete ich Faye nicht nur mein Herz aus. Dieser Ausdruck purer Liebe gab mir auch noch ein paar Sekunden mehr Zeit dafür, eine ansatzweise ausreichende wörtliche Antwort für all die schönen Worte und Bilder zu finden. Wirklich gefunden hatte ich sie aber noch immer nicht, als meine Lippen sich schließlich von den ihren lösten und ich ihr aufrichtig lächelnd in die Augen sah. "Ich... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist... wirklich sehr schön geworden, Faye." Die Sätze fühlten sich irgendwie nicht nach genug an, aber mir fehlten tatsächlich ein bisschen die Worte. "Ein paar der Sätze werde ich mir einprägen, bis du irgendwann damit fertig bist... und die Bilder sowieso... für immer hat sich hat sich noch nie so zweifellos und leicht angefühlt wie mit dir.", fügte ich ein paar leise Worte an, bevor ich ihr noch einen zärtlichen Kuss auf die Stirn hauchte. Für immer waren für manch anderen Menschen vielleicht schwierige Worte. Aber wenn es um Faye ging, dann war ich mir unserer gemeinsamen Ewigkeit längst sicher. Ich hatte nur ein einziges Mal Zweifel daran gehabt, ob unsere Bindung zueinander wirklich so stark war, wie ich das vom ersten Moment an empfunden hatte. Damals, als Warren seine Pranken nach ihr ausgestreckt hatte... aber ich hatte diese Zweifel auch nur gehabt, weil wir da noch nicht wirklich lange zusammen und alles noch verhältnismäßig frisch gewesen war. Seitdem war ich aber nie wieder skeptisch gewesen, egal was für Berge sich dann und wann auf unserem holprigen gemeinsamen Weg vor uns auftürmten. Es machte einfach keinen Unterschied. Das neue Trauma konnte sich nicht langfristig zwischen uns stellen. Wir würden miteinander verbunden bleiben, jetzt und für immer.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Nicht guuuut, aber ich hoffe, dass es nur vorübergehend war? :3 ________
Sie wusste nicht wirklich, weshalb sie so nervös war, aber ihr Herz hüpfte doch spürbar schneller als üblich in ihrem Brustkorb auf und ab. Wahrscheinlich, weil das - unfertige - Geschenk so persönlich war, weil sie sehr viele Stunden der letzten beiden Wochen damit verbracht hatte, auf die Seiten zu zeichnen und zu schreiben. Weil sie hoffte, dass er alles davon ganz genau so verstand, wie sie es gemeint hatte und weil sie sich wünschte, dass es ihm gefiel. Sie hatte den Kopf leicht geneigt, um gut auf das Buch blicken zu können, und doch huschten ihre Augen immer wieder verstohlen nach oben zu seinem Gesicht, um die Reaktionen daraus zu lesen. Sein Lächeln war ansteckend und liess auch ihre Mundwinkel leicht aufwärts ziehen, während er Seite um Seite durch das Buch blätterte. So lag ihr Blick auch auf seinem Gesicht, als die Träne über seine Wange kullerte und gleich darauf auf den Buchdeckel tropfte, wohin ihre Augen ihr folgten. Bis Victor das Buch schliesslich zur Seite legte und sich stattdessen wieder voll und ganz ihr zuwandte, sie zu sich zog und einen Kuss folgen liess, der eigentlich an sich schon deutlich genug ausdrückte, was er von ihren Bemühungen hielt. Doch als er gleich darauf noch seinen aufrichtigen Dank aussprach, zeigte sich nochmal ein dezent strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. Erleichtert darüber, dass er die Message scheinbar richtig verstanden hatte und sich genauso über das Geschenk freute, wie sie sich über den Engel gefreut hatte, waren die Gedanken an die hässliche Narbe, die vor wenigen Minuten noch den ganzen Raum so erdrückend erfüllt hatten, für einen kleinen Moment vergessen. Oder hatten zumindest ihre gesamte Relevanz verloren, denn egal was Gil auf ihren Körper schreiben wollte - es hatte einfach keinen Einfluss auf das, was Victor und sie verband. Das, was so viel mächtiger war, als irgendeine aussenstehende Person in ihrem Leben es jemals sein könnte. "Ich bin froh, dass es dir gefällt", flüsterte sie erstmal lächelnd zurück, strich zärtlich mit ihrer Hand über seine Wange. Das geschah so automatisch und intuitiv, dass sie sich gar nicht daran erinnerte, wie sie sich noch vor ein paar Minuten nicht getraut hatte, ihm wirklich nahe zu kommen, aus Angst, es könnte plötzlich etwas zwischen ihnen stehen und er könnte die Nähe nicht wollen. "Ich konnte mich nicht wirklich mit den Gruppentherapien anfreunden, weisst du...", hängte sie eine wahrheitsgemässe und doch etwas sarkastische Anekdote zur Entstehung dieses Buches an. "Aber Schreiben und Zeichnen wird ebenfalls als therapeutisch wertvoll angesehen, weshalb ich sie dazu überredet gekriegt habe, mir ein Skizzenbuch und Schreibsachen zu gönnen.", sie lächelte wieder, hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Lippen, bevor ihre Augen nochmal zu dem Buch neben ihm auf dem Bett wanderten. "Wenn du möchtest, kannst du es zur Einprägung auch mit nach Hause nehmen und übermorgen zurückbringen..?", schlug sie nach einer Pause vor. Nach all den Emotionen, die heute Nachmittag / Abend in diesem Zimmer hochgekocht waren, wäre es vielleicht ganz gut für ihn, wenn er noch etwas Schönes mit nach Hause nehmen konnte. Etwas, das er auch Morgen noch anschauen und in den Händen halten konnte, wenn die starken negativen Gefühle Überhand zu nehmen drohten.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Sollte es, ja. x'D Ich glaube die erste Arbeitswoche kann halt auch nur stressig werden, wenn deine Abteilung 2,5 Wochen komplett geschlossen hatte über Weihnachten/Neujahr. Das gibt immer erstmal Chaos... und einen neuen Kollegen nebenbei anlernen musste ich auch noch, war ein super schön stressiger Start ins neue Arbeitsjahr. Absolut das, was man sich wünscht. -_- :'D ________
"Wie könnte es das nicht..? Du musst lange dafür gebraucht haben... aber das hat sich wirklich gelohnt.", erwiderte ich zuallererst eine rhetorische, geflüsterte Frage auf Fayes erleichterte Worte. Wahrscheinlich war es angesichts der vorherigen Narbenpräsentation schon nachvollziehbar, dass sie sich meiner positiven Reaktion auf das kleine Buch nicht ganz sicher gewesen war. Aber irgendwie war es trotzdem abwegig zu denken, ich würde mich über sowas nicht freuen. Die zierliche Brünette hätte sich wohl kaum etwas noch besseres dafür ausdenken können, mir unmissverständlich klarzumachen, dass sie kein bisschen mehr zweifelte. Nicht daran, dass ich sie weiterhin an meiner Seite haben wollte und auch nicht daran, dass wir noch eine bessere Zukunft vor uns haben konnten, wenn wir uns die Mühe machten dort erstmal hinzukommen. Dass Faye keinen besonders großen Gefallen an den Gruppentherapien finden konnte - was letzten Endes scheinbar zu dieser Form der Therapie geführt hatte - wunderte mich nicht unbedingt. Das war schon letztes Mal in der Psychiatrie nicht grade unser Ding gewesen und wenn sie jetzt alleine hier war, wurde es sicher auch nicht unbedingt einfacher. Außerdem beschäftigten wir beide uns ohnehin nicht unbedingt ständig gerne mit neuen Unbekannten. Wir hatten in unserer Nachbarschaft ein paar wenige, aber gute Freunde gefunden. Mehr hatten wir für unser Sozialleben nicht gebraucht. Es war also ganz grundsätzlich naheliegend, dass Faye keine große Lust dazu hatte mit fremden Leuten über die Probleme ihrer Psyche zu reden oder sich in irgendeiner anderen Form mit ihnen zu beschäftigen. "Ist dir kaum zu verübeln...", gab ich nur beiläufig meinen Senf dazu ab und zuckte schwach mit den Schultern. Glücklicherweise hatte sie ja stattdessen das schwarze Buch bekommen und aus dem an sich schlichten Ding etwas sehr Schönes gezaubert. Den nächsten kurzen Kuss nahm ich gerne in Empfang, genoss ihn ebenso sehr wie die kleinen Streicheleinheiten zuvor. Die Bilder und Worte machten nichts ungeschehen, aber sie ließen mich etwas leichter über die Narbe hinwegsehen. Richteten meinen Fokus zumindest für den Moment wieder auf das eigentlich Wichtige, auf den Blick nach vorne. Ich strich Faye gerade mit dem Daumen seitlich über die dünne, empfindliche Haut an ihrem Hals, als sie mir vorschlug das Skizzenbuch einfach für die kommenden zwei Tage mitzunehmen. Eigentlich musste ich darüber auch gar nicht erst lange nachdenken. Denn auch, wenn für den Augenblick die Gedanken an das neue Problem ganz gut kaschiert worden waren, wusste ich, dass sie genauso schnell wieder zurückkommen würden. Dass ich mich nicht davor schützen konnte. Spätestens dann nicht mehr, wenn ich wieder allein in dem Hotelzimmer war und ich den Tag automatisch noch einmal Revue passieren lassen würde. "Das ist... eine sehr gute Idee. Also wenn du bis dahin warten kannst... würd ichs gerne mit ins Hotel nehmen. Ist doch ziemlich einsam abends...", bejahte ich, murmelte zum Ende hin ein bisschen und sah etwas nachdenklich auf Fayes Lippen hinab. Wollte mich aber noch einmal absichern, dass es die zierliche Brünette tatsächlich nicht stören würde, wenn sie mit der Vervollständigung des Skizzenbuches einige Stunden aussetzen musste. Ich wollte sie schließlich nicht in ihrer Selbsttherapie behindern, das wäre ungünstig. Andererseits wäre es wohl aber genauso ungünstig, wenn mein Kopf heute Nacht oder morgen im Laufe des Tages einen Abgang machte. Gils Tat würde ihre Spuren hinterlassen, mindestens im Schlaf. War leider sehr guter Stoff für Alpträume... als hätte ich noch keine oder nicht genug davon.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich seh' schon... Alles Bisschen viel aufs Mal. Ist der neue Mitarbeiter wenigstens gut? xD Da sind wir im Vorteil - wir haben auch jedes Jahr zwei Wochen Betriebsferien, aber da bei uns im Winter verkaufstechnisch Flaute ist (weil wir Bäume verkaufen und jetzt mit Schnee logischerweise keiner pflanzt), ist der Einstieg ins neue Jahr meistens recht sanft.^^
Und was ist hier eigentlich genau der Plan..? Also die gute Frau bleibt ja wie gesagt nicht mehr lange da eingesperrt - will Victor ihr vorher sagen, dass er vorhat, sie in nicht allzu ferner Zukunft eine Weile alleine zu lassen, oder erst wenn sie draussen ist und sie sich auf Wohnungssuche machen?^^ ____________
Sie zuckte schwach mit den Schultern auf seine rhetorische Frage. Klar wäre es sehr untypisch gewesen, wenn er sich tatsächlich nicht über das Buch, die Bilder und die kurzen Gedichte gefreut hätte - aber ihr stark angekratztes Selbstbewusstsein sah eben gerne tausend Gründe, weshalb das alles noch lange nicht gut genug sein könnte. Diese Gründe mussten auch gar nicht rational, geschweige denn relevant sein, es reichte längst, wenn sie in ihrem Kopf existierten und sie sich selbst daran aufhängen konnte. Aber wie dem auch sei, Victor hatte ihr erfolgreich klar gemacht, dass sie sich umsonst darum gesorgt hatte, da er sich offensichtlich sehr wohl über das Geschenk freute. Dass er auch Verständnis für ihr fehlendes Interesse an Gruppentherapien zeigte, war ebenfalls recht naheliegend, da er genau wie sie bestens wusste, wie anstrengend diese Gruppen eben sein konnten. Ausserdem sah Faye einfach keinen persönlichen Vorteil auf ihrem Weg zur Genesung ihrer Psyche darin, sich länger als nötig mit mindestens genauso kranken Menschen zu beschäftigen. Sie war an und für sich eine offene, extrovertierte Person - zumindest mal gewesen - aber sie brauchte sich nicht mit diesen Leuten zu unterhalten, um sich bestenfalls auch noch zusätzlich mit deren traumatischen Geschichten zu belasten. Ihre eigenen Erfahrungen reichten vollkommen aus, um sie ohne Langeweile durch die Therapien zu tragen. Ausserdem hatte sie auch kein Interesse daran, ihr Trauma mit mehr Menschen als nötig zu teilen. Und alle, die nicht in den Kreis bestehend aus Therapeutin, wo nötig Arzt, Aimee, Victor und Aryana gehörten, waren eben in ihrer Rechnung mehr Menschen als nötig. Sie genoss jede der zärtlichen Berührungen seiner Finger in vollen Zügen, während auch ihre Hand immer wieder über seine Haut streichelte. Da sie ihn die ganze Zeit anschaute, sah Faye deutlich, wie sein Blick, nachdem er zu Ende gesprochen hatte, auf ihre Lippen fiel und sie streckte sich automatisch für einen weiteren sanften Kuss nach ihm aus. Erst dann deutete sie ein schwaches Kopfschütteln an, lächelte ihm liebevoll entgegen. "Ich glaube, fünfundvierzig Stunden überlebe ich, ohne zu zeichnen... Notfalls kann ich mir ja schon mal den Kopf darüber zerbrechen, was die nächste Doppelseite schmücken soll", meinte sie gutmütig und ohne grosse Bedenken. Es gab ja auch sonst genügend Dinge, mit denen sie sich befassen konnte und wenn er morgen nicht kam, würde sie vielleicht mit Aryana raus gehen - falls diese denn Zeit hatte. Ein Bisschen beiläufige Exposititonstherapie und so, damit sie vielleicht irgendwann wieder auf die Strassen und in die Stadt konnte, ohne sich dabei mehr oder weniger die ganze Zeit beobachtet und verfolgt zu fühlen.
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Ach doch, der ist eigentlich ganz cool drauf und macht seine Arbeit bisher nach bestem Wissen und Gewissen, da kann ich mich nicht beschweren. :D Daaas ist natürlich gut. :D Wobei bei uns eigentlich im Winter auch Ruhe ist (produzieren hauptsächlich auf Lager/Vorrat), weil da halt nicht so viel Häuser/Gebäude gebaut werden wie in den trockenen Jahreszeiten. xD Der Stress ist eher aus der Inventur vor der Betriebsruhe resultiert... alles mögliche an Material wurde irgendwohin verräumt, wo's erstmal gefunden werden musste und das hat an vielen Stellen unnötig den Produktionsablauf gestört. Hätte man vermeiden können. ^^" ... was mich jetzt irgendwie unweigerlich zu der Frage bringt, ob's sowas wie Baum-Inventur gibt? Werden die gezählt? XD
Eh, gute Frage. Im Endeffekt hat's ja keine so große Auswirkung, ob noch während dem Aufenthalt oder halt kurz danach, weil sie ja sowieso erst wenn Faye draußen ist dann Wohnungen angucken gehen können. Aber wenn Vicky jetzt ganz bestimmt öfter mal träumlichen Besuch von Gil bekommt, wird er vermutlich eher zeitnah mit der Sprache rausrücken. Und womöglich auch einfach der guten Vorsätze wegen, zukünftig bestmöglich immer den Mund aufzumachen und eben nichts in sich reinzufressen. x'D Also das wär jetzt meine Intention, aber wenn es gute Gründe für Aufschub gibt, bin ich da offen. Solltest du an sich nix Wichtiges mehr hier hinzuzufügen haben, darfst du auch springen. :'D ________
Zärtlich erwiderte ich den Kuss und ließ mich gleich darauf ein wenig von Fayes Lächeln anstecken. Streichelte ihr noch einmal am Hals entlang, bevor meine Finger mit einer sanften Berührung ihren Kiefer nach vorne wanderten. Danach ließ ich die Hand langsam sinken, weil sie ein bisschen schwer wurde und legte sie stattdessen auf dem Oberschenkel der zierlichen Brünetten ab, um ihr weiterhin zugewandt zu bleiben. Vermutlich kam sie wirklich bestens vorübergehend ohne das kleine schwarze Buch aus, aber ihre Worte ließen mich dennoch schmunzeln. Irgendwie war mir gar nicht bewusst gewesen, dass Faye was das Zeichnen anging mit solchem Talent strahlte. Sie war vielleicht nicht der nächste Da Vinci, aber es mangelte ihr keinesfalls an Kreativität oder Tiefgründigkeit - letzteres unterstrich sie auch mit den beigefügten Gedichten nochmal sehr gut - und die Ausführung war am Ende auch schön anzusehen. Obwohl wir uns jetzt schon eine ganze Weile lang kannten, gab es hier und da doch immer mal noch neue, wenn auch nur kleine Fassetten, die ich an ihr entdeckte. Das Malen fügte sich auch ganz gut in das Bild mit ihrem kleinen Deko-Wahnsinn ein. "Gut, dann bin ich beruhigt.", ließ ich sie erst einmal wissen. Ich war eben leider bekannt dafür, mir ein bisschen zu viele Gedanken und Sorgen zu machen. Allem voran natürlich was Faye und ihre Genesung betraf, aber sie würde ja auch morgen nicht allein sein. Solange ihre ältere Schwester hier war und Faye noch hier festsaß, kam sie oft vorbei. "Hast du früher öfter gezeichnet? Bevor du zur Army bist, meine ich.", hakte ich nach, um das Gespräch auf eher wenig verhängnisvollem Terrain aufrecht zu erhalten. Früher war eben vieles anders und weniger kompliziert gewesen, auch wenn wir uns da noch nicht gehabt hatten - oder eben genau deswegen. Der Gedanke daran, wie Faye während irgendeiner wahnsinnig langweiligen Unterrichtsstunde in der Schule stattdessen ein bisschen auf einem Block herum kritzelte, war irgendwie ein schöner. Auch wenn sie damals noch nicht wegen mir irgendwelche Herzchen auf den Rand eines vielleicht eigentlich wichtigen Dokuments gekritzelt hätte. Es würde einfach ganz gut zu ihr passen, zu ihrer zeitweisen Verträumtheit. Ich hätte sie gerne schon damals kennengelernt, auch wenn unser beider Charaktere zu jener Zeit etwas anders gewesen sein mussten. Noch weniger geschädigt vom Leben, auch wenn Faye ihre Eltern schon vor ihrem Einzug ins Militär verloren hatte. Ich wäre wahrscheinlich niemals zur Army gegangen, hätte ich damals eine Freundin gehabt, deren Schwester und auch Bruder bereits ihre Hintern aufs Kriegsfeld geschwungen hatten. Das hätte ich nicht mit mir vereinbaren können. Aber es war wohl fragwürdig, ob Faye nicht dennoch Aryana gefolgt wäre... und auch wenn es im Grunde vollkommen sinnlos war, hatte ich mir darüber schon oft den Kopf zerbrochen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Na immerhin, dann ist ja gut.^^ Uh, Inventur... ja, das gibts bei uns auch und es ist sooooo scheisse. Wir machens jeweils im Sommer (wobei es sich dann meist unglücklich bis in den Winter zieht) und es ist ein absolut beschissenes Projekt - leider bin ich auch noch die, die fast am meisten damit zu tun hat, weil das halt Fachpersonen machen müssen, die Bisschen Ahnung von Bäumen und Preisen haben und solche haben wir nicht besonders viele. Also ja, die werden gezählt, aber ist halt etwas anders als bei fix abgemessenen Massenprodukten, weil die Pflanzen nach Grösse / Breite verkauft werden und ja immer weiter wachsen. Heisst, die stehen da alle zusammen und du musst dann zählen, wie viele von welcher Grösse / Breite wir haben. Da die Masse jeweils Schwankungen von 20cm unterliegen, kann es gut sein, dass eine Pflanze, die du als 80/100 ins Inventar aufgenommen hast, dann als 100/125 verkauft wird und dann stimmt die Inventur auch nicht mehr und das macht es sehr frustrierend. Weil es eben nie länger als zwei Tage richtig ist, egal was und wie dus machst. :') ____________
Faye sog seine Berührungen weiterhin förmlich in sich auf, als würde sie diese dringend brauchen, um ihrem inneren Selbst zu bestätigen, dass die Narbe Victor nicht von ihr wegtreiben würde. Auch wenn das gewissermassen einfach utopisch war. Gerade waren sie ja beide angezogen und sie hatten sich auch schon wieder mit einem ganz anderen Thema abgelenkt. Wie die Sache aussehen würde, wenn sie nackt und direkt mit der Problematik konfrontiert wären, war ein ganz anderes Paar Schuhe und es war schwer vorstellbar, dass sie in einer entsprechenden Situation genauso leicht darüber hinwegsehen und die Existenz der Narbe überspielen könnten. Worüber sie sich zu gegebener Zeit den Kopf zerbrechen durften. "Nur wenn mir langweilig war, eigentlich... In der Schule oder Ausbildung, wenn mir die Theorie etwas zu repetitiv vorkam...", beantwortete sie seine Frage. Es wäre übertrieben, das Zeichnen als Hobby ihres früheren Selbst zu bezeichnen - eher als Zeitvertrieb in Situationen, in denen sie nicht viel mehr als das hatte tun können. Aber momentan fand sie doch ziemlich grossen Gefallen darin, die Stifte übers Papier zu führen und Bilder zu kreieren, die zuvor nur in ihrem Kopf existiert hatten. Dabei ging es der jungen Brünetten auch keineswegs darum, dass ihre Zeichnungen perfekt sein mussten. Viel wichtiger war das, was Victor darin erkannte, die Message, die sie transportierten. Die Stimmen der zarten Farben und die Verbindung zu den Worten.
Seit sie ihm die Narbe gezeigt hatte, waren wieder ein paar Tage vergangen. Genau genommen fünf. Fünf Tage, in denen sie weiterhin gute Fortschritte gemacht hatte - so gut, dass sie endlich auch wieder alleine nach draussen durfte und ihr ein Austrittsdatum in Aussicht gestellt wurde, das weniger als eine Woche in der Zukunft lag. Und sie freute sich unendlich darauf, dieses kleine Gefängnis voller Spinner mit mehr oder weniger grossem Knacks ein weiteres Mal hinter sich zu lassen. Faye war einfach noch immer der Meinung, dass ihr die Klapse nicht gut tat, dass sie eigentlich direkt nach der Aufgabe ihres Todeswunsches zur ambulanten Behandlung hätte wechseln sollen. Aber da stiess sie natürlich auf taube Ohren bei den Fachpersonen, die ihrem Urteil in dieser Sache eher wenig Gewichtung schenkten. Und jetzt brauchte sie sich ja auch nicht mehr darüber aufzuregen, wo der Zwangsurlaub bald überstanden war. In der Zwischenzeit nutzte sie rege die neugewonnenen Freiheiten, wobei ihre erste Amtshandlung, sobald sie wieder ein Telefon besass, beinhaltete, die Schönheitsklinik anzurufen, um einen Beratungstermin auszumachen. Sie war längst zur Erkenntnis gelangt, dass zwischen Victor und ihr niemals hundert Prozent Normalität einkehren konnten, solang sie Gils Schmuckstück auf der Brust trug. Und weil sie es selber weiterhin kaum anschauen konnte - jedenfalls nicht ohne Tränen - hatte sie auch wieder damit begonnen, die Narbe zumindest tagsüber abzudecken. Natürlich war das eigentlich unnötig, da keiner durch ihre Kleider hindurchsehen konnte. Aber es war sowieso eher ihre Psyche, die das forderte. Jedenfalls war übermorgen der Tag, an dem sie das erste Mal für eine Besprechung zur Klinik fahren durfte und sie hatte schon jetzt dezent Panik davor, irgendwelche schlechten Neuigkeiten mit auf den Weg zu kriegen. Natürlich hatte sie noch keinen wirklichen Grund zur Sorge - aber das brauchte Faye bekanntlich auch nicht, um sich den Kopf über sowas zu zerbrechen. Was, wenn die Narbe nicht entfernt werden konnte? Wenn es für sowas keine Lösung gab? Wenn es eine unbezahlbare Summe Geld kostete oder Jahre in Anspruch nahm? Es gab viele Möglichkeiten, wie diese Mission schief gehen könnte und sie konnten nur hoffen, dass keine davon eintraf. Und in der Zwischenzeit versuchten sie langsam, mal wieder einen Weg zurück ins Leben zu finden. Heute zum Beispiel durfte sie den ganzen Nachmittag raus und weil Victor eingewilligt hatte, sich mit ihr dieser Herausforderung zu stellen, sassen sie jetzt gemeinsam in einer ruhigen Ecke auf einer Parkbank und blickten auf den Ententeich vor ihnen. Sie hatten sich zuvor durch einige Läden gepflügt, aber auch wenn heute eigentlich ein ganz normaler Dienstag Nachmittag war, so waren letztendlich doch etwas zu viele Leute unterwegs gewesen, als dass das Shopping-Erlebnis wirklich stressfrei vonstatten gegangen wären. Darum sassen sie ja jetzt auch hier und ruhten sich einen Moment in der Stille aus. Vielleicht würden sie nachher noch ein Café besuchen, um sich wieder aufzuwärmen - je nach dem wonach ihnen der Sinn stand. Der Vorteil dieses Ausfluges war auf jeden Fall, dass Faye zwischenzeitlich relativ wenig Gedanken an die Schönheitsklinik verschwendete und so für ein paar Stunden etwas abgelenkt war. Und Victor theoretisch auch... auch wenn es ihr ein Bisschen so vorkam, als würde er ebenfalls noch auf irgendeiner schlechten Nachricht sitzen oder ein ernstes Gespräch vor sich hin schieben. Er wirkte heute allgemein eher etwas abwesend und in Gedanken versunken - sie wusste nur nicht, ob sie ihn darauf ansprechen oder lieber warten sollte, bis er selber damit begann. Die ständige Lotterie zwischen kann ich schlechte Neuigkeiten vertragen oder frage ich lieber nicht nach - kannten sie ja bestens. Nun sassen sie aber schon ein paar Minuten auf dieser Bank und Faye hob sachte den Kopf an, den sie bis jetzt an seine Schulter gelehnt hatte. "Hast du wieder nicht gut geschlafen letzte Nacht..? Oder schlecht geträumt..?", erkundete sie sich nach der Richtigkeit ihrer Vermutung. Das war eben durchaus plausibel, da er sehr oft von nicht näher definierten Alpträumen erzählten, deren Inhalt sie sich schon selbst zusammenreimen konnte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Oh Gott, ich kanns mir vorstellen. x'D Das muss dich ja jedes Mal den letzten Nerv kosten... ^^" ________
Die letzten paar Tage waren ein einziges Auf und Ab und ich wünschte, das kleine schwarze Buch hätte mehr geholfen. Langsam aber sicher fühlte ich mich dezent in der Zeit zurück versetzt, was meine Schlafqualität anging. Zwar schlief ich schon seit dem Absetzen der starken Schmerzmittel im Krankenhaus nur selten mal eine ganze Nacht durch, ohne aufzuwachen und schon da hatten sich dank Fayes Abweisung hier und da die gemeinen Träume blicken lassen. Nach unserer Wiedervereinigung war es kurzfristig besser geworden. Seit die zierliche Brünette mir jedoch die unschöne Narbe gebeichtet hatte, schlief ich nicht weniger als durchgehend beschissen. Es war unmöglich Gils Tat vollkommen auszublenden oder sie nicht an mich ranzulassen. Ich hatte mir die schönen Skizzen und Sätze ganz bewusst durchgelesen, bevor ich an jenem Abend die Augen zugemacht hatte. Allerdings hätte ich mir das wohl genauso gut sparen können. Unzählige Male war ich schweißgebadet von der Matratze hochgeschreckt, bis ich es irgendwann aufgegeben hatte und das zog sich bis jetzt noch fast genauso weiter. Zwar schlief ich nicht mehr ganz so wenig, aber die Alpträume schwanden nicht und das ließ mich auch tagsüber dann nicht kalt. Denn die Physiotherapie fand vorgestern endlich ihr Ende und das hieß wiederum, dass ich von jetzt an sehr, sehr viel Zeit zum unnötig nachdenken hatte. Da hatte auch die gestrige Sitzung bei meinem Psychotherapeuten nur wenig bis gar nichts gebracht. Natürlich hatte er wie immer ein gutes Wort für mich und den einen oder anderen Tipp, aber das beseitigte mir die Alpträume nicht. Ich wusste, dass sie nicht verschwinden würden, bis ich Abstand zu diesem Ort suchte. Es war auch fast unmöglich während meiner Besuche bei Faye nicht daran zu denken. Ich gab mir größte Mühe damit, weil die zierliche Brünette eigentlich wirklich gute Nachrichten im Laufe der Tage bereithielt - sie durfte das Irrenhaus bald endlich verlassen und damit war zumindest dieses eine düstere Kapitel so gut wie abgeschlossen. Ich freute mich darüber, wirklich. Nur konnte sich die Freude darüber langfristig leider einfach nicht gegen den anderen Mist in meinem Kopf durchsetzen. Dass Faye bald aus ihrer Zwangshaft entlassen wurde verstärkte unweigerlich den Druck, dass ich ihr wohl wirklich zeitnah sagen sollte, dass wir jetzt nicht einfach nur eine neue Wohnung suchen und da dann für die nächsten paar Jahre zusammen wohnen würden. Dass ich sie stattdessen allein lassen musste, wenn hier erst einmal alles in halbwegs stabilen Bahnen lief. Auch wenn der Abschied nur vorübergehend war, fühlte es sich falsch an - obwohl ich wusste, dass es das nicht war. Also zerbrach ich mir in den letzten Tagen doch zunehmend verzweifelt den Kopf darüber, wie ich diese unschöne Nachricht verpacken konnte, ohne dass es Faye das nächste Mal sämtlichen Boden unter den Füßen wegriss... nur, um letztendlich zu dem Schluss zu kommen, dass es keine schonende Übermittlung dieser Message gab. Egal wie positiv ich es zu verpacken versuchen würde - es würde nichts daran ändern, dass wir uns vorübergehend voneinander trennen mussten. Keine Worte konnten die schmerzliche Wahrheit nicht verschönern oder erleichtern. Dass Faye und ich heute außerhalb der Mauern der Psychiatrie unterwegs waren, lenkte mich zumindest ein winziges bisschen ab. Nicht so, dass meine Gedanken nicht trotzdem früher oder später immer wieder unweigerlich zurück zum leidigen Thema der ganzen letzten Tage kamen, aber das war wohl auch zu viel verlangt. Es war schwer auf andere Gedanken zu kommen, wenn ich in ihrer Anwesenheit kaum an etwas anderes denken konnte, als dass ich ihr weh tun müssen würde. Auch als wir nach dem nur mehr oder weniger entspannten Bummel schließlich auf der Bank saßen, kehrten meine Gedanken in der Stille unweigerlich zurück zum Ausgangspunkt. Ich sah etwas abwesend geradeaus auf die kaum umherpaddelnden Vögel im Wasser, während mein Arm um Fayes Oberkörper lag. Es war wahrscheinlich unvermeidbar gewesen, dass die Brünette früher oder später nachhaken würde. Schließlich sah ich schon seit Tagen nicht unbedingt ausgeruht aus und dass ich heute wohl auch noch eine Spur weniger gesprächig war als sonst, trug nicht unbedingt zur sowieso nicht vorhandenen Unauffälligkeit meiner Probleme bei. Ich senkte den Blick mit einem etwas tieferen Atemzug auf meine Oberschenkel. Nickte schwach, nur langsam. "Beides.", murmelte ich ein paar schweigsame Sekunden später eine knappe, wenig überraschende Antwort vor mich hin. "Wir sollten... so weit weg wie möglich von hier. Ohne, dass die Distanz zu Aryana und Mitch zu groß wird, meine ich...", redete ich langsam weiter und sah erst etwas später dann zögerlich zu Faye. Kam damit erst einmal auf das Kernproblem an unserer aktuell sowieso schlechten Wohnsituation zu sprechen - wir waren hier sehr viel zu nah an den Monstern dran, die uns überhaupt erst wieder in diese Lage gebracht hatten. Allem voran zu nahe an Gil. Die Wohnungssuche würde bald zum Tagesprogramm werden und es wäre nicht gut, wenn ich mein Vorhaben weiter vor Faye verschwieg. Schließlich musste die neue Wohnung auch dazu passen, dass ich eine Weile lang das Weite suchen würde.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Jap. Aber meinem Chef ists mega wichtig, darum hab ich aufgehört, mit ihm zu diskutieren... x'D ___________
Schien so, als hätte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Oder zumindest einen der Nägel - denn Faye war sich eher nicht so sicher, ob der fehlende Schlaf wirklich das Hauptproblem bei Victors Wohlbefinden darstellte. Auch wenn zu wenig Schlaf und vor allem schlechte Träume selten die besten Voraussetzungen für gute Laune waren und sie durchaus verstand, wenn ihn das zusätzlich belastete. Damit hatte sie ja auch mehr als genug Erfahrungen - sowohl aus der Vergangenheit, als auch jetzt, in ihrer aktuellen Situation, in der auch sie ständig aus den Träumen schreckte und ganz bestimmt keine Nacht ruhig durchschlief. Trotzdem erwiderte sie nichts auf seine Bestätigung, da sie sehr wohl wusste, dass sie ihm da nicht helfen konnte. Vielleicht würde es ein kleines Bisschen besser werden, wenn sie wieder im gleichen Bett schliefen, wenn ihre Körper dem Unterbewusstsein weiterleiten konnten, dass die ständig in Gefahr geglaubte andere Person in Wirklichkeit direkt neben einem lag. Und wenn die Bilder sie zum Aufwachen zwangen, wurde das anschliessende Einschlafen zweifellos leichter, wenn sie dabei direkt sahen, dass sie sich von Lügenbildern ihrer Fantasie bedroht fühlten und sie eigentlich beide in Sicherheit waren. Vielleicht wurden sie häufiger wach, wenn sie nicht nur von ihren eigenen Alpträumen, sondern auch noch von denen des jeweils anderen aufgeweckt wurden, aber abgesehen davon erhoffte sich zumindest Faye eine tendenzielle Verbesserung ihrer Schlafqualität, sobald sie die Klapse hinter sich lassen durfte. Und nicht nur davon. Da war ja auch noch die Sache mit dem Wohnen allgemein, die Victor im nächsten Atemzug ansprach. Wenig überraschend, wo seine Alpträume genau wie ihre mit der Quelle des Übels in Verbindung standen. Seans Familie, die noch immer durch diese Stadt geisterte und dafür sorgte, dass sie selbst auf dieser Parkbank vom ständigen Bedürfnis, sich prüfend umzuschauen, verfolgt wurde. Und der niederschwelligen Angst, per Zufall auf eine dieser abscheulichen Gestalten zu stossen. Sie bemühte sich darum, den durch seine Worte und die Gedanken wieder aufkeimenden Schuldgefühlen zu viel Raum zu lassen, weil sie wusste, dass sie das nicht sollte. Aber es war immer so viel leichter gesagt als getan... Ihr Kopf wollte einfach nicht vergessen, wie ein paar wenige Verhaltensänderungen, ein paar intelligentere Entscheidungen ihrerseits ihr Schicksal so viel erträglicher hätten machen können. Dann würden sie jetzt nicht hier sitzen. Sich nicht um solche Dinge scheren. "Ja... Da bin ich ganz deiner Meinung... Hier - und in einem zu engen Radius um diese Stadt - werden wir mit der Wohnungssuche gar nicht erst beginnen...", stimmte sie murmelnd seinen Worten zu, kam im Anschluss nicht umher, einmal einen Rundblick zu riskieren, bevor ihre Augen wieder Victor suchten. "Hast du... schon einen Plan? Für wohin oder... Sonstiges?", hakte sie weiter nach, musterte dabei sein Gesicht. Sie war sich nicht sicher, was es war, das er wahrscheinlich noch für sich behielt - und wusste wie gesagt auch nicht, ob sie danach fragen wollte - und so tastete sie sich lieber ganz vorsichtig an die unbekannte Materie ran. Dass er sehr weit weg - im Sinne von einem anderen Bundesstaat oder so - ziehen wollte, konnte es ja schon mal nicht sein, nachdem er soeben betont hatte, in gesunder Reichweite von Aryana und Mitch bleiben zu wollen. Und was war es dann? Hatte er etwa bereits einen neuen Job gefunden? Einen, der ihr nicht gefiel? Oder war das Gegenteil der Fall und er hatte eben keinen Job und wusste somit auch nicht, wie sie die Zukunft finanzieren sollten? Soweit sie wusste war ihre finanzielle Lage eigentlich noch nicht so dramatisch... Also schon, dass sie eigentlich arbeiten sollten und nicht ewig Blau machen konnten, aber nicht gerade im Sinne von prekär oder sie konnten sich gar nichts leisten. Das war entsprechend wohl auch nicht das Problem. Aber vielleicht machte sie sich einfach etwas vor und in Wirklichkeit war es "bloss" weiterhin die Narbe.
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So sind sie halt leider, die Chefs... x'D Meiner ist da auch extrem pingelig. Selbst bei Kleinscheiß, der pro Stück nur paar Cent wert ist und es nicht auf zehn mehr oder weniger ankommt... :'D ________
Ich hatte nicht wirklich mit Widerworten seitens Faye gerechnet, was unseren neuen Wohnort anging und dementsprechend wenig überraschend kam auch ihre Antwort darauf. Dennoch erleichterte es mich ein bisschen, obwohl ich schon im Voraus gewusst hatte, dass es kaum noch etwas in dieser Stadt für Faye gab, das sie hier festhalten würde. Es war einfach wichtig, dass ich mir sicher damit sein konnte, dass sie nicht freiwillig hierher zurückkehren würde, solange es die Umstände nicht zwingend erforderten, wenn wir erst einmal weggezogen waren. Natürlich könnte ich ohnehin nichts ausrichten, wenn sie einem der Geschwister hier über den Weg lief und ich nicht schon anwesend war, aber ich klammerte mich gerne an jedes kleine Fitzelchen Sicherheit, das ich für Faye vor meiner Abreise kriegen konnte. Distanz zum Auslöser allen Übels war dabei das oberste Gebot. Aryana wohnte voraussichtlich auch nach dem Umzug noch immer in der Nähe, aber sie und Mitch waren nun mal oft längere Zeit nicht da und was das anging war auch erst einmal kein Ende in Sicht - sofern die beiden nicht mal wieder irgendwelche geheimen Pläne schmiedeten, aber davon ging ich aktuell nicht unbedingt aus. Es wäre zu viel gesagt zu behaupten, ich hätte schon sowas wie einen festen Plan für unseren Umzug oder wüsste schon ganz genau, wo es für uns beide hingehen sollte. Ich konnte bisher nicht wirklich mit einem präzisen Vorschlag glänzen, aber eine ungefähre Richtung hatte ich schon im Hinterkopf. Dennoch zuckte ich erst einmal schwach die Schultern und senkte den Blick wieder ab, musterte nachdenklich den Stoff von Fayes Jackenärmel. "Plan würde ichs nicht nennen... aber ich dachte wir könnten vielleicht... von hier aus gesehen auf die andere Seite. Die Kleinstadt, die von hier aus gesehen hinter Aryana und Mitch liegt, wirkt eigentlich ganz nett... und falls wir da direkt in der Stadt nichts finden gibt's auch noch ein paar kleinere Orte drum herum.", machte ich einen Vorschlag. Ich hatte bisher nur flüchtig im Internet danach geschaut, ob es dort überhaupt freien Wohnraum gab und die eine oder andere Wohnung stand schon zur Anzeige. Viele davon lagen zwar in etwas älteren Häusern, aber bis auf im ersten Moment gewöhnungsbedürftige Grundrisse oder vielleicht ein klein wenig höhere Heizkosten aufgrund minimal veralteter Technik dürfte das nicht weiter schlimm sein - sofern sie eben gepflegt waren. Letzteres war sowieso in jedem Fall das A und O, mit allem anderen hatte man langfristig sonst nur Ärger. Ich wusste nicht, wie ich am besten in Worte fassen sollte, dass auch ein paar Quadratmeter Wohnfläche weniger sinnvoll wären, weil ich für eine Weile nicht hier sein würde. Sich dadurch unnötig hohe Wohnkosten vermeiden ließen, da Faye alleine schlichtweg weniger Platz brauchte. Ich würde die andere Hälfte der Miete natürlich trotzdem weiterhin zahlen, weil ich ja noch keinen Schimmer davon hatte wie lange ich am Ende weg sein würde, aber das war auch nicht der springende Punkt an der Sache. Ich löste meinen Arm von der zierlichen Brünette, um mich stattdessen für einen Moment lang nach vorne auf die Knie abzustützen und mir dabei übers Gesicht zu reiben. Konnte schon wieder spüren, wie sich mein Puls unter all der inneren Unruhe beschleunigte. Ich sah für einige Sekunden noch über die vor meinem Gesicht ineinandergelegten Hände hinweg auf den Teich, bevor ich sie langsam sinken ließ und den nächsten tiefen Atemzug nahm. "Und wir sollten... vielleicht auch eine etwas kleinere Wohnung nehmen, weil...", setzte ich dazu an endlich mit der Wahrheit rauszurücken. Der unangenehme Druck auf der Brust und ein leichtes Stechen machten sich unmittelbar bemerkbar und ich schluckte tonlos, den aufgewühlten Blick inzwischen auf den Boden vor meinen Füßen gerichtet. "...weil ich für eine Weile gehen muss.", vollendete ich den Satz erst einige quälende Sekunden später. Konnte mich dabei auch absolut nicht dazu überwinden Faye anzusehen. Ich fühlte mich auch ohne einen Blick in ihren wahrscheinlich nicht weniger als vollkommen entsetzten Gesichtsausdruck schon schlecht genug mit Alledem.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Hätte sie auch erstaunt, wenn er schon fix eine Lösung für ihre Wohnsituation vorbereitet hätte, so ganz ohne ihre Hilfe. Nicht, dass sie ihm nicht zutrauen würde, das zu schaffen, aber es machte eben nicht so viel Sinn, wo sie doch gesagt hatten, sie würden gemeinsam auf Wohnungssuche gehen. Letztendlich mussten sie sich ja beide wohlfühlen am neuen Ort, auch wenn eine Übergangslösung notfalls sicher ausreichen würde. Die erwähnte Kleinstadt war für sie vollkommen in Ordnung, da sie relativ ähnlich wie ihr momentanes Zuhause aufgebaut war und sich somit bestimmt nicht allzu fremd anfühlen würde. Sofern sie beide auch Arbeit in der Nähe fanden. Ein Gespräch zu diesem Thema stand ihr noch bevor, sie hatte einen Termin mit ihrem ehemaligen Chef vereinbart und zwar direkt am Tag nach ihrem Austritt aus der Klinik. Mal schauen wie das ausgehen würde... Faye hätte beinahe etwas zu Victors Vorschlag gesagt, da löste er aber auch schon den Arm von ihr und zog damit unweigerlich erneut ihre Aufmerksamkeit auf sich. Und sie wurde das Gefühl nicht los, dass etwas so gar nicht im Argen war, was ihr Gesichtsausdruck deutlich verriet. Er wirkte unruhig, um nicht zu sagen nervös. Diese Aufregung ging bald schon auf sie über, Faye faltete die Finger im Schoss und rieb sie unsicher an ihren Oberschenkeln. Und scheinbar hatte sie allen Grund, nervös zu sein, sich Sorgen zu machen. Denn nichts in der Welt hätte sie auf das vorbereiten können, was Victor ihr gleich darauf offenbarte. Sie hätte fast damit begonnen, über die etwas kleinere Wohnung nachzudenken. Suchte schon nach möglichen Gründen dafür, die ja fast nur finanzieller Natur sein konnten. In ihrem Kopf jedenfalls. Aber Victor belehrte sie umgehend eines Besseren, zeigte ihr einen sehr viel relevanteren Grund für die paar eingesparten Quadratmeter. Einen Bewohner weniger. Sie erstarrte in der Bewegung, ihre Finger verkrampften sich unbemerkt zu Fäusten und ihr Mund stand leicht offen, während ihre Augen dezent entgeistert auf seinem von ihr abgewandten Gesicht lagen. Sie hatte für einen Moment jegliche Kontrolle über ihre Mimik verloren und ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. Aber keine freudigen. Eher komplett verwirrte, um nicht zu sagen panische. "Du... du musst... weg?", waren die ersten tonlos gestotterten Worte, die sie von sich gab. Inzwischen nahm ihr Körper auch wieder Fahrt auf, das zwischenzeitlich ausgesetzte Klopfen ihres Herzens setzte in voller Geschwindigkeit wieder ein, liess das Blut durch ihre Adern rauschen, als ihr immer grössere Brocken der mit seinen Worten verbundenen Wahrheit klar wurden. Es war wie ein umgelegter Schalter - die Panik, ihn zu verlieren, die sie nicht kontrollieren konnte. Die Angst, dass er ging oder ihr genommen wurde. Sie könnte sich an das für eine Weile klammern, anstatt das ich muss gehen zu sehen. Aber das war nicht so einfach, wenn ihr Herz schon so laut schrie. Denn es wäre nicht eine kurze Weile, wenn sie deswegen eine kleinere Wohnung suchen sollte. Es wären nicht zwei Wochen - dabei wären zwei Wochen schon gefühlt ewig. Es wären wohl auch nicht zwei Monate. "Wo... wohin..? Wie... lange?", ihre Stimme war nicht viel mehr als ein ersticktes Piepsen, obwohl es eigentlich nur drei Worte waren, die sie loswurde. War es wegen der Arbeit..? Hatte er sich bereits umgeschaut deswegen, ohne dass sie etwas wusste davon? Oder war es... war es einfach wegen ihr. Vielleicht brauchte er Abstand. Ruhe. Eine Weile, in der er sich nicht um sie kümmern musste, weil sie verdammt anstrengend war. Auch wenn er ihr ständig einredete, dass sie das nicht denken und schon gar nicht sagen durfte. War es, weil er müde war? Selber krank? Und sie hatte es nicht gemerkt, weil sie so darauf fokussiert gewesen war, sich endlich selbst aus der Klapse zu befördern? Eigentlich hatte sie versucht, sich immer auch um ihn zu kümmern, wenn er kam, ihm zuzuhören, herauszufinden, wie es ihm wirklich ging. Aber vielleicht hatte sie nicht genug aufgepasst, nicht genug zugehört, vielleicht hatte sie die Augen ganz fest zugemacht, wenn es schlecht ausgesehen hatte. Vielleicht hatte sie sich eingeredet, dass sie nur wieder gemeinsam draussen sein mussten, um alles wieder gut werden zu lassen. Sie hatten doch eine Liste geschrieben, oder? Wie sollten sie an dieser Liste arbeiten, wenn er... nicht da war? Wollte er das gar nicht mehr? Wollte er lieber eine... eine Pause? Wie das die Paare machten, die eigentlich einfach keine Lust mehr aufeinander hatten, aber irgendwie doch nicht wirklich bereit waren, sich für immer loszulassen? Vor fünf Tagen hatte er gesagt, dass sie beide für immer waren. Für immer - aber erst nach einer Weile..?
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Es dauerte nicht lange, bis mir klar wurde, dass ich Fayes Gesicht gar nicht sehen musste, um den Druck auf meinem Herzen zu verschlimmern. Der Klang ihrer Stimme, die sich erneut nach der Richtigkeit meiner Worte erkundigte, reichte schon vollkommen aus. Leider hatte es eben einen guten Grund gehabt, weshalb ich mich bisher hiervor gedrückt hatte. Es tat weh und ich hatte langsam eigentlich wirklich genug davon, immer und wieder diese Stiche ins Herz zu kassieren. Vermeidung oder Vertagung bestehender Probleme war aber keine Option mehr. Wir hatten uns schon das letzte Mal ausreichend bewiesen, dass wir nur bedingt fähig dazu waren uns gemeinsam zu heilen, weil wir dabei nie ausreichend auf uns selbst fokussiert waren. Oder ich zumindest nicht... ich sah immer zuerst Fayes Probleme und danach dann meine eigenen. War wohl einfach nicht mehr dazu fähig mich auch ausreichend um mich zu kümmern, solange die zierliche Brünette in meiner Nähe war. Ich war mir selbst schon längst nicht mehr die nächste Person und das musste sich ändern. Natürlich wollte ich nicht stattdessen zum anderen Extrem und damit zu blankem Egoismus switchen, aber ich schien einfach keine Balance finden zu können, wenn ich immer Fayes Leid vor Augen hatte. Dass sie noch immer zu dünn war, dass sie mit sich selbst und mit dem Trauma kämpfte. Ich konnte nicht beides. Zuerst nickte ich nur langsam, um überflüssigerweise noch einmal meine vorherigen Worte zu bestätigen. Merkte dabei, wie sich schon wieder ein Kloß in meinem Hals festsetzen wollte. Ich hasste es, wie sehr ich im Moment dazu neigte meine Emotionen sofort überkochen zu lassen. Wie wenig Kontrolle ich darüber hatte und wie leicht meine Gemütslage zu beeinflussen war - es war nur ein weiteres, verräterisches Anzeichen dafür, dass die Mauer, die ich in den Wochen im Krankenhaus sorgfältig um mich herum aufgebaut hatte, längst in Schutt und Asche lag. Fayes Fragen waren auch gar nicht so leicht zu beantworten. "Ich... ich weiß nicht, wie lange... das kommt drauf an, wann ich...", ließ ich den Satz offen stehen, seufzte angestrengt bis verzweifelt und richtete mich wieder auf, sah nach oben in den um diese Jahreszeit eher düsteren Himmel. Suchte nun in den Wolken nach einer Antwort, die mir keiner geben konnte. Ich sollte wohl ganz von vorne anfangen, um Faye das zu vermitteln, was hinter meiner zukünftigen Abreise steckte. "Ich kann hier nicht wieder gesund werden, Faye... nicht vollständig... und das ist nicht deine Schuld. Ich bin einfach nur... selbst nicht fähig dazu mich genug auf mich selbst zu fokussieren, wenn ich... bei dir bin. Und es ist ja nicht nur die... die Folter, die wir erlebt haben... ich hab schon ein Trauma mit in unsere Beziehung gebracht, das ich nie verarbeitet habe... es ist inzwischen einfach... viel zu viel, um es alles aufzuarbeiten und nebenher noch unsere Beziehung und den Alltag zu kitten... ich... ich pack das nicht alles auf einmal.", versuchte ich der zierlichen Brünetten zu schildern, was mein Problem war. Warum ich gehen musste, warum ich hier nicht wieder fit werden würde - zumindest nicht vollends. Natürlich könnten wir jetzt auch einfach hier unsere Beziehung so gut es ging hinbiegen und wieder arbeiten, aber ich würde jedem, der mir das raten würde, Brief und Siegel darauf geben, dass das langfristig auch dieses Mal nicht genug sein würde. Dass wieder irgendwelche Löcher ungeflickt bleiben würden, die uns dann irgendwann später zum Verhängnis wurden. "Ich gehe nicht, bevor hier nicht alles geregelt ist... aber wenn es nichts Wichtiges mehr zu erledigen oder unterschreiben gibt...", murmelte ich vor mich hin und zuckte mit den schweren Schultern. "Dann werde ich wohl erstmal meiner Familie einen Besuch abstatten... mich für einiges entschuldigen und revanchieren." Das Verhältnis zu meiner Familie lag momentan alles andere als im Gleichgewicht. Oder zumindest fühlte es sich für mich so an. Ich wusste nicht wie sie das sahen, aber ich fühlte mich einfach hundsmiserabel damit eigentlich nie da zu sein, während sie immer sofort angetrabt kamen, wenn ich es für nötig hielt mal wieder im Krankenhaus zu landen. Außerdem tat es mir inzwischen wirklich leid, dass ich meine kleine Schwester so angefahren hatte. Sie hatte es schließlich nur gut gemeint. "Und wenn ich mich dann irgendwann wieder einigermaßen im Griff habe... möchte ich zumindest ein paar Wochen rumkommen... ich hab das ganze Security-Ding noch nicht aufgegeben und es würde mir helfen richtig Fuß zu fassen... mir nicht nur dunkle Ecken an irgendwelchen alten Clubtüren anzusehen, sondern zu schauen, wo das Geld besser fließt. Ich... brauche klare Ziele, Perspektiven... und die finde ich leider eher nicht hier in irgendeiner Kleinstadt.", redete ich weiter, schloss damit ein weiteres Problem ein. Senkte erst jetzt den Blick und sah zögerlich wieder zu Faye, obwohl mir noch immer nicht danach war. Es schon wieder schrecklich wehtat. Aber ich wollte nicht für immer im Durchschnitt stecken bleiben, nicht für immer nur von Monatsanfang bis Monatsende leben. Ich wollte mehr für mich - mehr für uns beide, für unser gemeinsames Leben. Vielleicht fühlte ich mich in einer Kleinstadt sehr viel wohler als in größeren Städten, aber genau das war auch einer der Knackpunkte. Man konnte sich nicht einfach vor dem Leben und seinen Ängsten verstecken, wenn man glücklich - und angstfrei - werden wollte. "Bitte versteh das nicht falsch, Faye... auch wenn ich noch nicht sagen kann, wie lang das alles dauert - ich komme zurück. Das verspreche ich dir mit allem, was mir heilig ist.", versicherte ich und streckte ein paar zögerliche Sekunden später mit einem Schlucken meine Hand nach ihrer aus. Wusste nicht, ob sie meine Finger überhaupt mit ihren verschränkt haben wollte, nachdem ich ihr gerade gesagt hatte, dass ich sie monatelang allein lassen würde. Ich würde es ihr nicht einmal übel nehmen, wenn sie gerade nicht empfänglich für meine Nähe war. Meine Worte saßen bei ihr womöglich genauso tief wie bei mir das Narbengeständnis.
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Natürlich nickte er und natürlich hatte sie das nicht falsch verstanden. Das hatte sie schon gewusst. Sowas drückte man nicht aus Versehen falsch aus. Trotzdem hatte sie genau das gehofft, und als er ihre unschöne Erkenntnis mit dem Nicken bestätigte, wandte Faye den Blick langsam ab, um stattdessen dezent verstört auf ihre Hände hinunter zu starren. Er wollte weg. Und er konnte ihr nichtmal einen Zeithorizont nennen, an den sie sich klammern konnte, bis er wieder bei ihr war. Das machte auch Sinn bei dem, was er sich vornahm, da er ja nicht planen konnte, wann es ihm wieder gut gehen würde. Es machte die Neuigkeiten aber auch nicht leichter ertragbar. Faye schluckte leer als er ihr offenbarte, dass er bei ihr nicht fähig war, sich genug auf sich selbst zu konzentrieren. Nicht als hätte sie das nicht gewusst. Es war ja genau der Punkt, über den sie sich schon so oft unterhalten hatten. Weil ständig immer alle glaubten, dass sie sich nicht um sich selbst kümmern konnte. Dass sie ihr helfen mussten. Victor stand ganz oben auf diesem Treppchen voller Leute, deren ausgeprägte Beschützerinstinkte ihnen ständig mitteilten, dass Faye nicht alleine klar kam, nicht stark genug war, dass Faye jemanden brauchte, der sie beschützte, der auf sie aufpasste. Sie hatte ihm - und auch Aryana - schon gefühlt drei Millionen Mal gesagt, dass das nicht so war. Dass sie nicht auf sie aufpassen mussten, als wäre Faye ihr kleines Kind, das unbeholfen durchs Leben stolperte. Aber scheinbar reichte es nicht aus, wenn sie das sagte, weil sie trotzdem den Anschein weckte, dass sie Hilfe und mindestens einen ständigen Beschützer brauchte. Besser zwei oder drei, wie man sah. Und darum tat es weh, wenn er es sagte. Auch wenn er betonte, dass es nicht ihre Schuld war. Das war ja doch nur eine weitere Aussage, die er machte, um sie zu schützen. Ein Versuch, dass sie sich nicht ganz so scheisse dabei fühlte. Naja, er könnte ihn sich sparen, denn wirklich helfen tat es nicht und wirklich glauben konnte sie es auch nicht. Nicht jetzt. Dafür war sie selbst noch viel zu wenig gesund, vermisste noch viel zu grosse Stücke ihres Selbstbewusstseins und einfach ihrer ganzen Resilienz. Sie würde bestimmt irgendwann wieder damit aufhören, alles auf sich zu beziehen und sich wegen allem gleich schlecht und schuldig zu fühlen, aber das dauerte noch einen Moment. Zeit, die sie offenbar sehr bald zuhauf hatte - sie brauchte sich ja nicht mit ihrer Genesung zu beeilen, wenn Victor sich nicht an ihrem Knacks stören konnte. Gott, das war ein dummer Gedanke. Sie schüttelte unbewusst leicht den Kopf, als er meinte, nicht zu gehen, bevor alles geregelt war. Wenn das der einzige Grund war, dass er noch hier blieb, dann brauchte er nicht zu bleiben und sich weiter mit diesem Ballast zu foltern. Sie konnte auch selber eine Wohnung suchen und einen Vertrag unterschreiben... oder gehörte das zu den Dingen, die ihr keiner zutraute, weil sie dafür zu kaputt und hilfsbedürftig war? Auch möglich. Dann konnte sie noch immer Aryana fragen. Oder einfach eine Freundin, die eine eigene Wohnung hatte, sich damit auskannte und ausserdem psychisch stabil war. Und für den Umzug würde sie auch Leute finden oder eben Leute bezahlen. Wirklich, das würde sie schaffen. Wobei sie sich in diesem Moment irgendwie auch fragte, warum sie sich die Mühe gemacht hatten, eine Liste mit ihren Beziehungsproblemen zu formulieren - die nebenbei bemerkt auch schon schmerzhaft genug gewesen war - wenn Victor gar nicht vorgehabt hatte, jetzt an diesen Problemen zu arbeiten. Für später? Damit sie schon direkt wussten, was ihnen bevorstand, falls er irgendwann wieder hier sein wollte..? Sollte sie sie einrahmen und übers Bett nageln, damit sie sie jeden Abend vor dem Schlafengehen lesen und sich so vor Augen führen konnte, was sie alles verkackt hatte? Again - ganz dummer Gedanke, Faye... Dass er erstmal plante, zu seiner Familie zu gehen, war an sich eine beruhigende Tatsache. Erstens, weil sie dann Gewissheit hatte, dass er nicht alleine irgendwo in der Pampa sass und zweitens, weil sie dann ebenfalls wusste, wo er ungefähr war. Das war vielleicht falsch und würde sie auch nicht betonen, aber es war ja nicht so, dass sie sich einfach sagen konnte, dass er ja hatte weggehen wollen und sie sich entsprechen einfach nicht mehr dafür interessierte, wie es ihm gerade ging und was passierte und wo er war. Ausserdem wusste er ja auch, wo sie war. Nämlich hier. Oder zwei Städte weiter. Womit sie dann beim Thema irgendeiner Kleinstadt wären. Er hätte ihr auch anders sagen können, dass die Kleinstadt nicht in Ordnung für ihn war. Sie würde mit ihm nach LA oder New York oder ans Ende der Welt ziehen, wenn er glaubte, da glücklicher werden zu können. Keine Frage, denn sie würde nicht weniger als alles für ihn tun. Fände sie zwar nicht zu hundert Prozent toll, aber Aryana und Mitch würden ja vielleicht ebenfalls umziehen, da sie ja nicht unbedingt in der Nähe ihres Arbeitgebers wohnen mussten, wenn sie eh ständig auf Einsätzen und dann wochenlang zuhause waren. Und wenn nicht, dann… ja, keine Ahnung, sie hätten schon eine Lösung gefunden. Ohne das. Nur war die Kleinstadt eben lediglich eines von vielen Problemen, die sich scheinbar endlos kumulierten. Es war nicht so, als hätte sie das alles nicht längst gewusst. Sie hatte nur geglaubt, dass es nicht so kommen würde, weil sie nie die Energie gehabt hatte, sich auf diese Art mit den Themen auseinanderzusetzen. Und jetzt musste sie auch gar nicht mehr darüber nachdenken, ob es nicht auch eine schönere Lösung gebe würde. Denn nein, gab es sicher nicht und wenn, dann hatte Victor ja doch schon längst entschieden, dass er gehen würde. Sie hatte es nur nicht gewusst, bis jetzt. Darum war sie auch komplett überfahren, kam weder mit seinen Worten noch mit ihren Emotionen, den Gedanken in ihrem Kopf oder der Panik in ihrem Herzen klar. Es war einfach mal wieder alles ein Bisschen viel. Und es hätte kein schöneres Beispiel dafür gegeben, wie er erfolgreich ihre jahrelang kultivierten Trennungs- und Verlustängste triggern könnte. Sie hörte seine letzten Sätze eigentlich schon, aber Faye musste sich unendlich darauf konzentrieren, hier keinen Nervenzusammenbruch zu präsentieren, mit dem sie sich mindestens eine weitere Woche in ihrem Hotel buchen würde. Darum waren das stumme Zittern ihrer Lippen und die Tränen, die ungefragt auf ihren Schoss tropften, alles, was sie dazu sagen konnte. Sie sah seine Finger etwas verschwommen, fühlte sich aber vollkommen blockiert darin, nach seiner Hand zu greifen oder überhaupt irgendwas zu tun. Am liebsten würde sie aufstehen und weglaufen, ein dringendes Bedürfnis, das sie jedes Mal verspürte, wenn sie sich in einer solchen, beschissenen Situation befand. Aber Victor hasste es, wenn sie weglief - auch wenn sie es eigentlich nur tat, um den Kopf frei zu bekommen, da sie hier und jetzt sowieso nicht rational denken konnte. Darum blieb sie noch sitzen und starrte auf seine Finger. Inwiefern das besser war als Weglaufen, konnte er selbst beurteilen... Aber was gab es dazu denn noch zu sagen..? War nicht irgendwie alles gesagt? Er hatte immerhin auch keine Frage gestellt, es war mehr einfach eine Präsentation seines Plans und die Erklärung dazu gewesen. Und sie sollte das alles besser erstmal verdauen und versuchen, irgendwie rational darüber nachzudenken, bevor ein emotionaler Schwall Wahnsinn und Panik aus ihr herausbrach. "Okay...", nicht wirklich, aber das eine Wort sagte bereits ziemlich deutlich aus, dass sie nicht in der Lage war, sich jetzt mit ihm über die Vorteile seines Vorhabens zu unterhalten. Sie streckte mühsam die Finger aus, um sie um seine zu legen und kurz schwach seine Hand zu drücken, bevor sie diese auf seinen Schoss zurück legte und sich wieder von ihm löste. "Ich... glaube... ich... geh' jetzt besser... zurück...", gab sie stockend von sich, ohne ihn wieder anzuschauen, weil sie auch das gerade einfach nicht hinkriegte. "Wir... wir können... vielleicht... morgen... darüber reden..?" Sie wusste, dass es schlimm für ihn war, wenn sie ihn damit einfach sitzen liess. Aber zu mehr war sie gerade schlicht nicht im Stande. Was sollte sie denn tun? Ihm ihr Herz auskotzen? Ihm panisch um den Hals fallen, wie ihre Seele das verlangte? Das waren auch keine Optionen. Sie konnte ihm ein Gespräch versprechen für Morgen, ihm versichern, dass sie dann mit ihm reden würde, eben sinnvoll und rational. Aber jetzt ging das einfach nicht. Nicht nach solchen Neuigkeiten, die sie unmöglich in zehn Minuten verdauen konnte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich war froh darüber, die Narbe auf Fayes Brust nicht auch noch zwischen all den anderen Problemen angesprochen zu haben. Ihr nicht noch einmal wortwörtlich gesagt zu haben, dass ich ständig Gils gehässiges Grinsen vor Augen hatte, dass er sich wie eine lästige Zecke in meinem Kopf eingenistet hatte und einfach nicht mehr verschwinden wollte. Dass auch das ein Grund dafür war, warum ich es hier nur noch bedingt lange aushielt und meine Reise nicht wie ursprünglich geplant noch etwas hinausschieben würde. Denn es zerriss mir das Herz, wie aufgelöst die zierliche Brünette hier auch ohne noch mehr zusätzliche Schuldgefühle saß. Wieder weinte, als wäre das inzwischen unser liebstes gemeinsames Hobby, während ich meine eigenen, aufkommenden Tränen einfach runterzuschlucken versuchte. Auch wenn es im Grunde sinnlos war, weil sie dann später zurückkommen würden, wenn ich wieder alleine war und mit den Gedanken - und jetzt auch Schuldgefühlen - nicht mehr zurechtkam. Denn es war eben absolut gar nichts okay. Daran änderte auch der kurze Händedruck überhaupt nichts. Das verdeutlichte mir viel mehr auch ohne ihre Worte wie tief der Schmerz und die Enttäuschung saßen. Es sollte eigentlich keine große Überraschung für mich sein, dass die Brünette völlig überfordert mit diesen Neuigkeiten war und nicht wusste, was sie hier und jetzt dazu sagen sollte. Trotzdem hatte ich still gehofft, dass es nicht so kommen würde. Dass sie sich nicht wieder von mir abwenden würde, weil das Gespräch gerade etwas zu schwierig wurde. Dass sie nicht wieder weglief. Es war aber wohl einfach zu viel verlangt, wo ihre Psyche noch kaum stabil war... was mich wiederum unweigerlich zu dem Gedanken führte, ob ich sie nach diesem Gesprächsausgang jetzt überhaupt alleine zurück gehen lassen konnte. Ich konnte nicht einschätzen, was genau gerade in ihrem Kopf vor sich ging und auch, wenn ich eigentlich daran glaubte, dass wir die Etappe mit den Suizidgedanken hinter uns gelassen hatten, war ich mir nicht ausreichend sicher damit, dass sie sich nicht einfach vors nächstbeste Auto werfen würde, weil sie den Schmerz nicht ertrug. Weil es einfach zu viel war. Weil sie natürlich nicht wollte, dass ich ging. Mir ging es damit ja auch nicht anders - ich wollte nicht gehen, aber ich wusste, dass ich es ganz einfach tun musste, wenn ich irgendwann wieder eigenständig lebensfähig sein wollte. Nicht, um mich endgültig von dem Engel mit den lädierten Flügeln loszusagen, sondern um ihr endlich eine richtige Stütze, eine wirklich gute bessere Hälfte für sie sein zu können. Damit uns später absolut nichts mehr vom Himmel runterziehen konnte, wir für immer zusammen fliegen konnten. "Ich will nicht, dass du gehst... aber wenn du das musst...", murmelte ich ein paar dünne Worte, senkte den Blick auf meine einsame Hand und führte sie zu meiner anderen. Hielt die eine mit der anderen fest. Wenn Faye meine Gegenwart gerade nicht mehr aushielt, dann musste sie wohl zurückgehen, ja. Dass ich mich damit alles andere als wohlfühlte, machte das krampfhafte Herumnesteln an meinen Fingern deutlich genug. Mein ganzer Körper stand unter Anspannung und es fühlte sich schon wieder so an, als würde meine Brust zeitnah explodieren. Es war niemals gut, wenn man so auseinanderging und es fühlte sich so an, als hätte ich gerade noch mehr von dem bisschen unserer Beziehung, das noch ganz war, kaputt gemacht. Ich wollte nichts lieber, als sie gerade einfach hier an Ort und Stelle zu halten oder sie zumindest auf ihrem Weg zu begleiten, aber das war nicht richtig. Stünde erneut vollkommen im Gegensatz dazu, dass ich lernen musste, Faye wieder alleine zurechtkommen zu lassen. "...dann pass' bitte auf dich auf und... meld' dich zumindest kurz, wenn du angekommen bist.", vollendete ich meinen vorherigen Satz verzögert mit noch immer alles andere als fester Stimme. Eine kurze Nachricht war alles, was ich von ihr verlangte. Sie müsste sich ja nicht mal absichtlich vor ein Auto werfen - dermaßen von Emotionen überladen übersah man auch gerne mal eins beim Überqueren einer Straße. Erst recht mit einem dicken Tränenschleier. Ich musste also zumindest wissen, dass sie sicher angekommen war, wenn ich im Lauf der nächsten Stunden nicht vor Sorge umkommen wollte. Selbst einem psychisch gesunden Menschen würde es nicht gut damit gehen, eine geliebte Person dermaßen aufgewühlt einen Heimweg antreten zu lassen. Es war also überflüssig zu erwähnen, was es mit mir anstellte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Alter das ist schon wieder so eine Ich-heul-fast-beim-Schreiben-Situation. Langsam glaub ich, dieses RPG ist für mich psychisch belastender als für Faye... Zum Glück geht Victor bald in den Urlaub, dann kann ich wieder durchatmen. x'DD ___________
Das war jetzt irgendwie ein Bisschen ironisch und wäre sie nicht zu sehr mit Weinen und Nicht-Schluchzen beschäftigt, hätte sie gelächelt. Sein Ich will nicht, dass du gehst, nachdem er ihr offenbart hatte, dass er aber sehr wohl gehen würde. Und zwar nicht nur nach Hause. Es war dezent offensichtlich, dass er sich genauso beschissen fühlte wie sie, auch wenn er nicht mit ihr weinte. Seine Finger brachten seine Unruhe sehr deutlich zum Ausdruck und seine Stimme war nicht annähernd so fest, dass sie glauben könnte, dass irgendwas davon für ihn jetzt in Ordnung wäre. War es nicht, genau wie es für sie auch nicht in Ordnung war, wie es für sie beide nicht in Ordnung sein würde - zumindest nicht, bis sie darüber geredet hatten. Aber wahrscheinlich auch später nicht. Wie sollte sowas jemals in Ordnung sein? Sie wollte gar nicht daran denken, dass er gehen wollte, und wenn sie es doch tat, wuchs der Druck auf ihrer Brust zu einem regelrechten Felsen an, der sie zu erdrücken drohte. Fast so schmerzhaft, dass sie sich wünschte, er würde es tatsächlich tun. Faye blieb sitzen, obwohl er gesagt hatte, dass sie gehen konnte, wenn sie es eben tun musste. Aus dem simplen Grund, dass wenn sie jetzt wirklich ging, dies die schrecklichste Art eines Abschiedes wäre, die sie wählen konnte. Und wenn es nur ein Abschied für einen Tag wäre - ihr Leben hatte ihr vor langer Zeit gelernt, dass sich auch Abschiede für immer am liebsten als Abschiede für einen Tag verkleideten. Oder nur für ein paar Stunden. Darum sass sie noch immer hier. Und weil sie keine Kraft hatte, um auf die Beine zu kommen, weil sie mal wieder jegliche Koordination abgegeben hatte und nicht mehr wusste, wie man Aufstand, ohne Richtung Boden zu segeln. "Ich... kann... halt jetzt gerade... einfach nicht... mit dir darüber reden... Weil ich zuerst... halt nachdenken muss... damit... damit ich dich... auch... ein Bisschen verstehen kann... weisst du..?", versuchte sie ihm irgendwie ohne Next-Level-Meltdown zu erklären, dass sie nicht grundsätzlich weglaufen wollte, sondern einfach nachdenken musste, verstehen musste und ihre eigenen Gedanken reflektieren sollte, bevor sie sie aussprach. Dass sie zuerst begreifen wollte, was er ihr gerade warum gesagt hatte. Sie wollte nicht von ihm weg, weil sie der Meinung war, er würde diese Folter verdienen, sondern weil sie ihn nicht anschreien wollte, weil sie nicht in panischer Angst versuchen wollte, ihm seine Entscheidung auszureden. Denn selbst wenn sie das tun würde und er dann wegen ihr nicht gehen würde, hatte er das jetzt gesagt und sie wusste es. Sie würde wissen, dass er nur wegen ihr hier war. Und dann würde sie auch wissen, dass er nur wegen ihr nicht glücklich werden konnte, seiner Psyche nicht die Erholung und Heilung bieten konnte, die sie verdiente. Was dann im Umkehrschluss dazu führen würde, dass sie niemals mit den Schuldgefühlen abschliessen könnte, weil sie immer wissen würde, dass er nur wegen ihr nicht wieder gesund wurde. Es war ein Teufelskreis und sie sollte besser die Chance in seiner Lösung sehen. Dass sie ihm diese Zeit gab, die er brauchte, damit er heilen konnte und sie sich dann, irgendwann in weiter Ferne, vielleicht nicht mehr schuldig fühlen musste für alles, was er wegen ihr durchgemacht hatte und was sie ihm indirekt angetan hatte. Sie könnte das als Wiedergutmachung für ihre Fehler anschauen. Ganz egal, was er davon halten würde. Würde er ja nicht erfahren. Weil sie ihm sicher nicht sagte, dass sie genau jetzt schon längst wieder dabei war, sich allein die Schuld dafür zu geben, dass Victor für längere Zeit weg musste. "Vielleicht... kann ich auch... einfach... ein Bisschen spazieren gehen... im Park... und... und wir treffen uns in... einer Stunde oder so wieder..? W-wenn ich dann... glaube... dass ich immer noch nicht... reden kann, dann... dann muss ich halt trotzdem gehen...", versuchte sie einen etwas produktiveren Vorschlag als ein Tschüss für Heute zu finden. Das wäre dann immerhin nur eine Stunde und sie würde auch nicht weggehen, sondern nur im Park alleine sein und Nachdenken. Und ziemlich hässlich weinen, denn in diesem Moment liess sich auch der erste Schluchzer nicht länger zurückdrängen. Darum sollte sie jetzt nicht reden. Weil sie damit ihre nicht vorhandene Selbstbeherrschung nur weiter untergrub. Sie glaubte nicht, dass eine Stunde wirklich ausreichen würde, um seinen Hammer auch nur annähernd zu verdauen. Aber vielleicht würde es ausreichen, damit sie ihn ein Bisschen besser verstand oder wenigstens wieder seine Hand halten konnte, ohne sich verraten zu fühlen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Same tho. :'DD Man trennt seine Charas halt aber auch nicht alltäglich im RP, da darf man schonmal mitheulen find ich, haha. x'D ______________
Ich rechnete eigentlich damit, dass Faye jetzt aufstehen und gehen würde. Sie eigentlich nur auf meine Freigabe gewartet hatte, um sich der vernichtenden Situation zu entziehen und das Weite zu suchen. Trotzdem saß sie auch ein paar Sekunden, nachdem ich ihr gesagt hatte, dass sie gehen konnte, noch immer neben mir auf der Bank. Obwohl sie nicht von mir weggerutscht war und lediglich keinen Körperkontakt mehr suchte, fühlte es sich schon wieder so an, als würde sie mindestens am anderen Ende der Bank sitzen. Als würde die selbe Distanz zwischen uns herrschen, die auch bei ihrem Geständnis vor ein paar Tagen Einzug gehalten hatte. Vielleicht war sie seitdem auch gar nicht mehr ganz verschwunden, sondern nur die ganze Zeit unter dem fast gänzlichen Totschweigen des Themas getarnt. Ich hatte nicht mehr mit ihr über die Narbe geredet, als ich das musste. Ich fand es natürlich gut, dass sie den Kontakt zur Klinik schon hergestellt hatte und sich das Problem mit der hoffentlich erfolgsversprechenden Behandlung mehr oder weniger auflösen würde. Aber das war auch so ziemlich alles, worüber wir in jener Hinsicht noch geredet hatten. Einfach weil wir beide wussten, was diese Narbe zwischen uns ausgelöst hatte und keiner von uns erpicht darauf war, diese Gefühle wieder wach zu kitzeln... und trotzdem fühlte ich genau das gleiche, beschissene Gefühl von einziehender Kälte in diesem Moment. Ich hatte uns noch weiter auseinander gerissen, oder? Hatte weitere Fäden des einst dicken, inzwischen aber sehr beschädigten Seils, das uns noch zusammenhielt, zerschnitten. Vielleicht hatte ich unsere Verbindung zueinander überschätzt und das Seil hielt jetzt nicht mehr lange. Würde unter der immer größer werdenden Last nun endgültig abreißen. Das würde ich mir nicht verzeihen. Niemals. Es würde mir wahrscheinlich sehr viel besser damit gehen, das Gespräch nur auf eine Stunde später zu verlegen und es nicht auf den morgigen Tag zu verschieben. Wenn Faye es denn schaffen würde sich innerhalb von 60 Minuten tatsächlich weit genug zu sammeln, um eine halbwegs brauchbare Konversation führen zu können. Im Gegensatz zu ihr hatte ich mich schon ungefähr eine Million Mal auf dieses Gespräch vorbereitet - hatte mir so ziemlich jede Frage, die sie mir dahingehend stellen könnte, schon durchgekaut. Hatte mich auch schon für unzählige mögliche Vorwürfe gewappnet, aber es schien mir in diesem Augenblick kaum zu helfen. Ich hatte gewusst, dass die Brünette alles andere als begeistert sein würde und trotzdem fühlte ich mich vollkommen von ihrer Reaktion überrollt. War unfähig dazu richtig klare Gedanken zu fassen oder mich gar bewusst zu bewegen, statt nur meine Finger zu kneten bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. "Ich... versteh dich schon. Es ist... ist okay. Ich kann solange... hier warten.", stammelte ich mit zum Ende hin kratzig werdender Stimme mehr schlecht als recht eine Antwort zusammen, während der Druck in meiner Kehle mir allmählich den Hals zu sprengen vermochte. Hob den Blick auch jetzt nicht an, starrte zwischenzeitlich auf den Beton des schmalen Weges vor unseren Füßen und räusperte mich leise. Zwar war auch das irgendwie nicht okay für mich, aber es war besser als bis morgen zu warten und ich wusste, dass ich Faye diesen Freiraum jetzt geben musste. Dass sie ihn brauchte, damit wir mit dieser neuen Hürde noch irgendwie auf einen grünen Zweig kommen würden. Dass sie Zeit brauchte, um sich das Ganze überhaupt erst einmal bewusst zu machen und auch nur ansatzweise zu begreifen, dass es wirklich nicht meine Absicht war, sie einfach im Stich zu lassen. Ich war nur leider schlichtweg am Ende meiner Kräfte und brauchte neue Luft zum Atmen. Einen sehr radikalen Tapetenwechsel, um ansatzweise aus dem Gefängnis schlüpfen zu können, das ich dank all den vergangenen Erlebnissen in meinem eigenen Kopf konzipiert hatte. Ich wusste schon jetzt, dass ich mich in der kommenden Stunde kaum von dieser Parkbank wegbewegen würde. Viel zu viel Angst davor hatte, andernfalls ausgerechnet in dem Moment nicht hier zu sein, wenn Faye zurückkam. Falls sie denn überhaupt nach einer - oder zwei, oder drei... - Stunden zurückkam und nicht doch lieber den Weg zurück zur Psychiatrie einschlug...
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Schon so, vor allem nicht DIE ZWEIIII KRISENKINDER. x'D _________
Ja nein, es war halt nicht okay. Aber genau genommen war eben nichts hiervon wirklich okay und daher war das noch die Option, die am nächsten an 'Okay' herankam. "Danke...", murmelte sie also lediglich zur Antwort, schaffte es aber nicht, ihm noch einen Blick zuzuwerfen, bevor sie sich auf die schwächelnden Beine quälte. Aber das war auch nicht nötig, denn erstens schaute er sie eh nicht an und zweitens würde ihr Blick ihm nur zusätzlich wehtun, was absolut nicht zielführend wäre. Sie wollte ihm ja nicht wehtun, mit nichts davon. Auch wenn sie das zwangsläufig tat, wenn sie ihn hier im Elend sitzen liess - es wäre am Ende weniger schmerzhaft, wenn er eine Weile warten musste, als wenn sie direkt neben ihm und doch so unendlich weit weg ihre quälenden Emotionen auskotzte. Eigentlich war sie nicht wirklich im Stande, zu gehen und hatte auch kein Ziel vor Augen. Sie wollte sich auch gar nicht wirklich die Beine vertreten, da sie dafür sicher keine Energie aufbieten konnte. Nur ein Bisschen weg von ihm, damit er sie und sie ihn nicht mehr sah und nicht mehr hörte. So stolperte sie tiefer in den Park hinein, den Blick wann immer möglich ziemlich stur nach unten auf den Weg gerichtet. Es war so schon schlecht zu übersehen, dass sie weinte, sie wollte den paar Leuten, die ihr entgegenkamen, nicht auch noch in die Gesichter voller Mitleid, Urteil oder Verachtung blicken. Dafür war sie ja nicht unterwegs. Als sie nach ein paar Kurven und Baumgruppen der Meinung war, genügend Abstand zwischen sich und ihren Freund gebracht zu haben, verliess sie den Weg und wandelte über die Wiese wie ein verlorener Geist, der sich ein Zuhause suchte. Etwas abseits, bei einer weiteren Baumgruppe, schien ihr Kopf sein Ziel auch erreicht zu haben und sie liess sich kraftlos ins Gras fallen, lehnte sich, vom Weg und den Leuten abgewandt, an den Baum in ihrem Rücken. Es war nicht schlimm, dass ihre Hose bestimmt schmutzig wurde, vielleicht auch nass, immerhin war Herbst und der Boden grundsätzlich meist eher feucht als trocken. Es war auch egal, dass ihr bestimmt bald kalt würde hier am Boden. Musste ja nicht bequem sein, wenn nichts in ihrem Leben sich gerade in irgendeiner Weise bequem anfühlte. Sie hatte sich wohl mal wieder zu gut gefühlt, zu optimistisch, zu positiv. Hatte geglaubt, dass alles gut werden würde, wenn sie erstmal draussen wäre. Haha. Süsse Illusion. Faye zog die Beine an und legte die Arme um die Knie, bettete ihren Kopf dazwischen und liess erstmal zu, dass die angestauten Emotionen Luft holen und nach draussen dringen durften. Versuchte nun auch nicht mehr, das Zittern und die Schluchzer zu unterdrücken. Und als wären die pechschwarzen Gedanken um Victors Neuigkeiten nicht längst genug, schwang sich sehr bald schon wieder Gils Lachen mit auf das in schwindelerregender Geschwindigkeit kreisende Karussell in ihrem Kopf. Er lachte sie aus, ganz im Sinne von ich habs dir ja gesagt. Er hatte es nicht nur gesagt, er hatte es auf ihre Brust geschrieben, in tiefroten Buchstaben. Dass sie ihm gehörte. Und für immer, hatte er gesagt. Vielleicht wollte Victor auch deswegen weg, aber das konnte er ihr nicht sagen. Vielleicht wollte er weg, bis sie die Narbenbehandlung hoffentlich erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Damit er Gils Klauen vergessen konnte, sich nie wieder anschauen musste, was dieses Scheusal getan hatte. Das machte Sinn, da sie wie gesagt nicht verstand, warum sie sonst diese Liste hätten schreiben sollen, wenn er da schon vorgehabt hatte, sie hier auf unbestimmte Zeit sitzen zu lassen. Wenn er dann, irgendwann, im Verlaufe ihrer rosigen Zukunft, wieder zu ihr zurückkommen würde, hätten sie sich ja sowieso beide wieder verändert, da würden sich die Schwerpunkte erneut verschieben, oder nicht? Wahrscheinlich schon. Machte das irgendwas besser? Nein. Eher schlimmer, wie ihre Schluchzer zum Ausdruck brachten. Sie krallte die Fingernägel in die Ärmel ihrer Jacke, wünschte sich einmal mehr, die Narbe einfach aus ihrer Brust kratzen und schreien zu dürfen. Beides lag nicht drin. Und darum weinte sie weiter, bis irgendwann keine Tränen mehr kamen und sie sich komplett ausgelaugt, leer, irgendwo in der Dunkelheit wiederfand. Es war natürlich noch nicht wirklich dunkel, aber es fühlte sich so an. Alles um sie herum und alles in ihr drin. Alle Gedanken und alle Gefühle. Und doch war sie nicht wirklich weiter gekommen. Sie wusste nicht, was sie mit Victor reden sollte. Wie sie ihm gegenübertreten sollte, nachdem er ihr gesagt hatte, dass er mit ihr an seiner Seite nicht heilen konnte. Uuund da waren sie schon wieder, die Tränen. Was gab es darauf auch bitte zu erwidern? Es tut mir leid? Sorry, dass ich eine solche Last für dich darstelle? Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass du das nicht tragen musst und ich möchte dir ja helfen? Das war hoffnungslos. Er wollte ihre Hilfe ja offensichtlich nicht. Er wollte alleine wieder gesund werden und wenn er gehen musste, weil sie dabei ein Hindernis darstellte, dann ja, sollte er gehen. Was nicht hiess, dass es dadurch irgendwie auch nur das winzigste Stückchen leichter erträglich und weniger schmerzhaft wurde. Im Gegenteil. Es tat einfach nur weh, mehr weh als jede Schnittwunde auf ihrem Körper, weil diese Messer direkt in ihr Herz stachen. Weil sie komplett versagt hatte als Freundin, wenn ihr Freund Abstand von ihr brauchte, um sich von seinem Trauma zu erholen. Das war nicht der Sinn einer Beziehung und so sollte es nie sein. Und doch waren sie in diese Sackgasse geschlittert, aus der es nur einen einzigen Weg nach draussen gab. Einen Weg, den sie aber scheinbar nicht zusammen gehen konnten. Und dieser Gedanke löste die blanke Panik aus, egal, was sie dagegen auszurichten versuchte. Die Panik, dass ihm etwas zustossen könnte, die Panik ihn zu verlieren und wieder alleine zu sein, die Panik, dass er nie wieder zurückkam, obwohl er es versprochen hatte. Er wusste ja am allerbesten, wie unberechenbar diese Welt war und wie selten das Schicksal es gut mit ihnen meinte. Faye wusste, dass fast alles davon krankhafte Gedanken waren, die sie über die Jahre erlernt hatte, nachdem ihr ein geliebter Mensch nach dem anderen durch die Finger geronnen war. Aber gerade weil sich diese vermeintlichen Wahrheiten über so lange Zeit in ihrem Gehirn verbreitet und sich festgesetzt hatten, weil sie mit so viel Angst und Trauer verbunden waren, war es sehr schwierig, ihnen kein Gehör und keinen Glauben zu schenken. Stattdessen auf die rationale Seite von Victors Offenbarung zu blicken. Zu erkennen, dass es durchaus Sinn machte, wenn sie endlich wieder lernten, ohne den jeweils anderen klar zu kommen. Wenn sie lernten, sich nicht ständig Sorgen zu machen, einander leben zu lassen. Wenn sie an sich selbst arbeiteten und glücklich wurden, bevor sie den jeweils anderen glücklich machen wollten. Aber sie schaffte es einfach nicht, mit mehr als nur ihrem leeren Verstand hinter diese Argumente zu blicken. Auch nicht, nachdem sie es gefühlt ewig versucht hatte. Faye wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war, seit sie aufgestanden war. Sie hatte keine Uhr dabei. Aber die Dämmerung brach bereits herein und sie zitterte längst am ganzen Körper, weil sie komplett durchgefroren war. Das war auch eher der Grund, weshalb sie irgendwann wieder auf die Füsse kam - nicht wirklich, weil sie sich bereit fühlte oder bewusst wahrnahm, dass die Zeit um sein könnte. Sie putzte sich ziemlich abwesend die Nase und wischte sich nochmal über die geröteten Augen, bevor sie den langsamen, unsicheren Rückweg antrat. Sie wusste nicht wirklich, womit sie gerechnet hatte, aber irgendwie nicht damit, dass Victor tatsächlich noch auf derselben Bank sitzen und warten würde, wenn sie zurückkam. Vielleicht eher damit, dass er schon abgereist war oder irgendwo seine Sachen packte, um noch Heute zu gehen. Und nun, da er noch hier sass... war da wieder die Frage, was sie denn sagen sollte..?? Die hatte sie nämlich noch nicht beantwortet, innerlich. Sie setzte sich auf die Bank, mit etwa zwei handbreit Abstand zwischen ihnen. Eigentlich würden sie besser nicht hier sitzen, wahrscheinlich waren sie beide schon total durchgefroren. Aber sie brachte den Mund nicht auf, um einen Vorschlag in diese Richtung zu machen. "Ich... weiss nicht... wie viel weiter, dass ich... schon gekommen bin...", murmelte sie die ernüchternde Wahrheit vor sich hin. Aber immerhin waren für gefühlt zehn Sekunden die Tränen verstummt. Vielleicht konnte er ja das als Fortschritt sehen.
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Mir kamen während all der endlos lang wirkenden Minuten, die nur nach und nach träge auf der Uhr an meinem Handgelenk verstrichen, nicht wirklich neue Erkenntnisse. Alles, was ich dachte, hatte ich vorher schonmal gedacht. Nichts davon half mir eine bessere Lösung zu finden, weil es keine gab. Nichts davon half dabei den Schmerz, der so vehement meinen Brustkorb umklammerte, loszuwerden. Nicht einmal die Aussicht darauf, dass nach meiner Reise alles viel besser sein würde, als es das jetzt war. Dass Faye und ich dann endlich wirklich richtig durchstarten konnten - gemeinsam, ohne all den Ballast, der uns aktuell zu schaffen machte. Gerade fühlte es sich nämlich einfach nicht so an, als würden wir nach dem vorübergehenden Abschied überhaupt wieder zusammenfinden und das war schwer zu ertragen. Ich sah Faye lange nach, als sie aufgestanden war und das Weite suchte. Musste dabei den starken Drang unterdrücken, einfach aufzustehen und ihr nachzulaufen, um sie doch aufzuhalten. Noch während sie kurz davor war ganz aus meinem Sichtfeld zu verschwinden, kullerte die erste Träne über meine rechte Wange und ich lehnte mich erneut nach vorne. Ließ die schweren Lider einfach zufallen, weil das Brennen in den Augen so vermeintlich leichter zu ertragen war. Ich das Gesicht so wieder erfolgreich in der Dunkelheit meiner Handflächen betten konnte. Irgendwann fing ich an mit dem rechten Bein zu wippen, kaum noch imstande dazu unter all der geballten Last von tiefen, schmerzhaften Emotionen auf den Holzlatten der Bank sitzen zu bleiben. Nach etwa einer halben Stunde voll stummer Verzweiflung begann ich zu zittern - wohl hauptsächlich wegen der langsam in sämtliche meiner Glieder kriechenden Kälte von außen, aber zu Teilen vielleicht auch durch die anhaltende Angst. Davor, dass Faye heute nicht mehr zurückkommen würde, ich hier und heute einen Schritt übers Ufer in den reißenden Fluss gemacht hatte. Als ich die Kälte und die negativen Gefühle nicht mehr aushielt, stand ich schließlich auf. Tigerte unruhige Schritte in großem Kreis um die blöde Bank herum, die in diesem Augenblick meine einzige Konstante bot. Irgendwann kam ein älterer Herr vorbei und ich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er nicht das Gespräch mit mir gesucht hätte. Er stützte sich auf dem Gehweg innehaltend auf seinen Gehstock und fragte mich, worüber ich mir denn an diesem schönen Abend so sehr den Kopf zerbrach. Ich sah ihn fast schon giftig an, weil ich nicht das Bedürfnis dazu hatte mit einem Wildfremden darüber zu reden, aber er rührte sich nicht. Sah mich weiterhin fragend mit einem Lächeln an, während er durch seine etwas schief sitzende Brille zu mir hinsah. "Es ist eine Frau, oder? Es ist immer eine.", vermutete er ins Blaue und klang dabei so, als würde er täglich Männer therapieren, die um diese eine Bank streunten. Ich seufzte und sagte ihm kurz angebunden, dass ich nicht darüber reden wollte, bevor ich mich wieder auf die kalte Bank setzte. Er nickte lächelnd und richtete sich auf, bevor er wieder seines Weges ging. Allerdings nur, um zwanzig Minuten später wieder aufzutauchen. Mit einem Pappbecher in der Hand, den er mir ohne zu Zögern entgegenhielt. "Ich wusste nicht, wie sie ihren Kaffee trinken. Ich hab noch ein Päckchen Zucker mitgenommen...", erklärte er und ich starrte den Kaffeebecher an, als würde ich die ganze Welt nicht mehr verstehen. Genau so fühlte ich mich im Augenblick auch. "Sie hätten nicht... danke.", war alles, was ich aufgelöst und irritiert vor mich hin murmelte, bevor ich zögerlich die Hand nach dem 2-Go-Becher ausstreckte. Wahrscheinlich konnte ich den Kaffee wirklich gut brauchen. Er war angenehm warm zwischen meinen mittlerweile kalten Fingern und das Koffein war auch nicht so verkehrt. Wer wusste schon, wie lange ich hier noch sitzen und warten würde... also nahm ich einen vorsichtigen Schluck von dem mit Milch versetzten Kaffee. Starrte auf den Deckel des Bechers, als würde er mir verraten, wann Faye wiederkam, weil die erste Stunde gleich um sein würde, während meine eisigen Finger unter der Wärme zu kribbeln anfingen. "Ich hoffe sie kommt noch bevor sie hier erfrieren..?", schmunzelte er und ich sah zu ihm auf, musterte sein von Falten übersätes Gesicht. "Weiß ich nicht.", war alles, was ich sagte, bevor ich mich erneut auf den Becher fokussierte und einen vorsichtigen Schluck nahm. "Dann muss sie das Warten ja wirklich wert sein.", redete er weiter und ich nickte, musste über seine Worte gar nicht erst nachdenken. Ja, Faye war es wert hier auf der kalten Bank zu sitzen und zu warten, selbst wenn es mentale Folter für mich war. Außerdem war ich auch einfach selbst schuld. Wahrscheinlich hätte ich ihr das schon bald nachdem sie von ihrem Todeswunsch losgekommen war sagen sollen. Dann wäre sie zumindest schon darauf vorbereitet gewesen und wäre jetzt nicht ganz so tief gefallen, weil ich es aufgrund gewisser neuer Erkenntnisse vorverlegte... es wäre trotzdem nicht schön gewesen, aber es hätte sie jetzt nicht so hart getroffen. Ich hatte es besser gewusst und es trotzdem wieder falsch gemacht in dem sturen Glauben, sie damit noch eine Weile zu schützen. Es war wirklich ein elender Teufelskreis. Wenigstens schien der Kerl jetzt mal zu merken, dass mir nicht wirklich danach war mich zu unterhalten. Also wünschte er mir trotz der Umstände noch einen schönen Abend und ich hob mit einem verkrampften Lächeln den Becher zum Abschied. Sobald er sich abgewendet hatte sackten meine Mundwinkel zurück ins Bodenlose und ich saß noch ungefähr zehn Minuten länger auf der Bank, ohne dass die zierliche Brünette auftauchte. Dann aber war sie endlich im Schein der nach und nach anspringenden Laternen am Wegesrand zu sehen und zumindest ein Teil des riesigen Brockens auf meinem Herzen zerbröselte dadurch. Ließ mich einen tiefen Atemzug in der Gewissheit nehmen, dass sie nicht einfach zurück zur Psychiatrie gegangen war, obwohl schon mehr als eine Stunde verstrichen war. Sie kam wieder her - das war alles, was zählte. Dennoch schaffte ich es nicht sie mit mehr als flüchtigen Blicken anzusehen, als sie die letzten Schritte zur Bank machte und sich hinsetzte. Kurz darauf wenig positive Worte vor sich hin murmelte, die mir unweigerlich den nächsten Dämpfer verpassten, wofür man Faye aber wirklich keinen Vorwurf machen konnte. Diese Neuigkeit in so kurzer Zeit abschließend verdaut zu haben war eben schwierig. "Ich bin froh, dass du... überhaupt wieder hergekommen bist, Faye... und es ist nicht schlimm, wenn du heute noch nicht darüber reden kannst. Fällt mir ja auch nicht leicht...", erwiderte ich mit leicht zittriger Stimme, während sich die Nervosität und die Angst wieder tief in meinem Herzen einnisteten. Hob dann den Kaffeebecher an, um den letzten Schluck zu nehmen und ihn in den Mülleimer direkt neben der Bank zu werfen. Mehr zur Ablenkung als des Nutzens wegen. "Wir können auch einfach nur zurückgehen, wenn dir das lieber ist... oder irgendwo anders hin... ich..." Ich was? Will dir damit nicht weh tun? Wollte ich vielleicht nicht, aber es war absolut vorhersehbar gewesen, dass diese Neuigkeiten sie förmlich in Stücke reißen würden. Genauso wie der früher oder später anstehende Abschied an sich. Ich will nicht gehen aber ich muss? Eine unumstößliche Tatsache, allerdings ebenfalls überflüssig zu erwähnen. Also sagte ich einfach nichts mehr. Es gab nichts, dass Fayes Schmerz in diesem Moment lindern konnte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ja, da war sie durchaus ebenfalls froh drum. Denn wenn sie es nicht getan hätte, wäre sie wohl in einer Versenkung liegen geblieben, da sie grundsätzlich zu ihrem Wort stand. Sie hätte ihm nicht gesagt, dass sie zurückkommen würde, wenn sie das nicht wirklich vorgehabt hätte. Aber eben, auch der zweite Teil seines Satzes entsprach der Wahrheit. Ihr fehlten jegliche Worte und wie das gewissermassen vorhersehbar gewesen war, hatte sich dieser Zustand in der letzten Stunde oder was auch immer nicht wirklich gebessert. Sie war genauso verloren wie zuvor. Im Augenwinkel sah sie, dass er den Kaffeebecher leerte und wegschmiss, wobei sie sich nicht einmal fragte, woher er den Kaffee denn gehabt hatte. Die logische Schlussfolgerung wäre, dass er ihn geholt hatte und wahrscheinlich hatte er das auch getan, denn wirklich andere Optionen wollten ihr nicht einfallen. Aber es war eine Nebensache, irgendwie nicht wichtig. Nur Ablenkung, der unschuldige Versuch, einen normalen Gedanken zu fassen, um sich nicht stattdessen auf das Zittern in seiner Stimme zu konzentrieren, das ihr nochmal klarer werden liess, dass sie beide mental mal wieder komplett am Anschlag kratzten. Irgendwo anders hin klang richtig, da sie am ganzen Körper zitterte und sich allgemein nur noch maximal halb lebendig fühlte, die Kälte längst in den Knochen spürte. Und wahrscheinlich war zurück zur Klinik auch die beste Option. Wo sollten sie auch sonst hin, hier in der Stadt, wenn sie weniger als gar keine Lust auf Gesellschaft hatten? Faye nickte langsam, erhob sich dabei auch schon wieder von der ebenfalls kalten Parkbank. "Ich denke, das ist besser, ja...", meinte sie, brauchte nicht lange darauf zu warten, bis er ebenfalls auf den Füssen war und sie sich auf den Weg zum Parkhaus machen konnten. Ein schrecklich einsamer Weg, wenn sie mit gesenkten Köpfen nebeneinander her trotteten, so unendlich weit voneinander entfernt, dass es sich anfühlte, als würde dieser Graben, der da nie sein sollte, immer unüberwindbarere Ausmasse annehmen. Es war wirklich kaum zu ertragen, aber Faye schaffte es einfach nicht, nach seiner Hand zu greifen. Sie schaffte es nicht, weil sie nicht nur verletzt, sondern auch komplett verunsichert war, einfach nicht wusste, was sie mit diesen Informationen tun sollte, wie sie damit umgehen sollte, dass er Abstand brauchte, sie verlassen würde. So verlief der Gang zu Victors Auto komplett schweigend und Faye verkrümelte sich weiterhin wie ein Geist auf dem Beifahrersitz, starrte aus dem Fenster, als der Wagen losrollte. Es war kein weiter Weg zur Klinik, theoretisch wäre das auch mit dem Bus oder mit etwas Ausdauer sogar zu Fuss möglich. Aber sie musste ja nicht alle Grenzen an einem Tag austesten, weshalb sie sich eben auf das Auto geeinigt hatten. Erst nach etwa zehn Minuten Fahrt, sie hatten soeben die dicht befahrenen Strassen der Stadt verlassen und hatten lediglich noch das kurze Naherholungsgebiet zwischen Stadt und Psychiatrie zu durchfahren, entschied die Brünette, doch noch eine Sache herausfinden zu wollen. "Kannst du vielleicht... da vorne nochmal... anhalten?", fragte sie und deutete flüchtig in Richtung einer nicht asphaltierten Seitenstrasse, die aber nur etwa hundert Meter weit auf eine kleine Anhöhe mit Parkplatz führte. Von dort aus leiteten einige Wege durch die neugebaute "Natur", aber Faye hatte eher nicht vor, jetzt mit ihm spazieren zu gehen. Sie wartete nur, bis er den Motor ausgemacht hatte, weil sie nicht wollte, dass er ein Auto lenkte, während sie eine Thematik besprachen, die für ihn nicht wesentlich leichter sein dürfte als für sie... wenn sie nicht alles komplett missinterpretiert hatte, was er ihr die letzten Wochen über erzählt hatte. Als er dann soweit war, zwang sie sich wenigstens für einen kurzen Moment dazu, ihren Blick von der Scheibe loszureissen und in seine Richtung zu lenken. Allerdings rutschten ihre Augen zurück auf die unruhigen Finger in ihrem Schoss, noch bevor sie mit dem Sprechen begonnen hatte. „W-wenn du… gehst…“, Gott, sie konnte die Worte kaum aussprechen und es war unvermeidbar, dass sie damit direkt die nächsten Tränen ans Tageslicht beförderte. Obwohl sie geglaubt hatte, längst alle ausgeweint zu haben. „Wirst du dich dann… irgendwann… melden..? Bei… bei mir oder… bei Aryana oder Mitch… Also… n-nur… nur damit ich weiss… dass es dir gut geht… und…“, und du mich nicht vergessen hast, aber dieser Teil versank im nächsten Schluchzer, der sich unangekündigten einen Weg nach draussen suchte. Sie wusste nicht, wie genau er sich das vorstellte. Ob er gehen und dann einfach monatelang verschollen wäre oder ob sie ihm schreiben oder ihn anrufen durfte, wenn sie ihn so sehr vermisste, dass ihr Herz ein weiteres Mal senkrecht durch die Mitte riss. Vielleicht wollte er lieber gar nichts von ihr hören, um sie nicht zwischen sich und seine persönliche Genesung zu schieben. Was wusste sie, sie verstand das Konzept - wie bestens zu erkennen war - überhaupt nicht. Jedenfalls noch nicht, weil sie dazu viel zu aufgewühlt war. Und möglicherweise war das eine der Fragen, die sie nicht stellen sollte, falls sie nicht plante, gleich wieder weglaufen zu wollen. Aber was spielte es jetzt noch für eine Rolle… Sie glaubte nicht, dass sich ihre Stimmung heute noch aufhellen würde, konnten sie auch gut alle schlechten Neuigkeiten an einem Tag einsammeln.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich nickte nur schwach, bevor ich mich von der Bank erhob und den stummen Weg zurück zum Parkhaus mit Faye gemeinsam einschlug. Mehr oder weniger gemeinsam... ich hatte mich wahrscheinlich noch nie so einsam gefühlt, während ich neben ihr her gegangen war. Wäre sie nicht körperlich anwesend, hätte ich fast behaupten können, sie wäre gar nicht da. Normalerweise waren wir das klischeehafte Vorzeigepärchen schlechthin, das oft und gerne Händchen hielt und fast immer irgendwas fand, worüber es sich auf dem Weg unterhalten konnte. Jetzt aber wärmten nur meine Jackentaschen meine Hände und es fiel kein einziges Wort, während die fast schon krampfhafte Anspannung in meinem Körper allgegenwärtig war. Ich die Hände in den Taschen zu Fäusten ballte im verzweifelten Versuch die Angst damit zu kanalisieren und in den Griff zu kriegen, aber der kalte Weg zum Wagen zeigte mir mal wieder überdeutlich, wie krank und kaputt wir beide eigentlich waren. Auch unsere Beziehung zueinander. Natürlich waren Fernbeziehungen niemals schön, man wollte seinen geliebten Partner grundsätzlich gerne bei sich haben und der Grund, aus dem ich gehen musste, war an und für sich schon hässlich genug... aber wie ungesund unsere beidseitigen Verlustängste waren, machte die Situation leider schon wieder mehr als deutlich. Denn auch mit dem Wagen auf der Straße angekommen herrschte noch eine ganze Weile eisiges Schweigen und die schwere, verhängnisvolle Atmosphäre. Das Fahren lenkte mich auch nicht ansatzweise ausreichend von den Umständen ab, als dass ich nicht ab und an unruhig mit dem Daumen auf dem Lenkrad herum zu tippen begann, wenn ich an einer Ampel oder Kreuzung halten musste. Ich sah öfter in den Rückspiegel, als ich es musste. Wenn ich nicht auf dem Lenkrad rum tippte, dann auf dem Schaltknüppel. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Anhaltepause, die Faye vorschlug kurz bevor wir final an der Klinik angekommen wären, wirklich vertragen konnte. Ob ich es überhaupt selbst aushielt mein eigenes Herz noch weiter zu löchern, während ich der zierlichen Brünetten Rede und Antwort stand. Es zu verschieben wäre aber alles andere als zielführend und so bog ich mit einem knappen "Klar." in die gewünschte Seitenstraße ein. Ich wusste gar nicht wohin mit den plötzlich arbeitslosen Händen, als ich den Motor auf dem Parkplatz angekommen abgestellt hatte. Deshalb ließ ich die linke Hand im unteren Teil des Lenkrads hängen und legte die rechte untätig auf meinem Oberschenkel ab, bevor meine Augen für einen kurzen Moment auf Fayes trafen. Sie anzusehen und all die unschönen Anzeichen in ihrem Gesicht dafür zu sehen, wie sehr ich ihr weh getan hatte, war aber nicht weniger als unerträglich. Deshalb rutschte auch mein eigener Blick sehr bald wieder von ihr weg und zurück auf meine Hand am Lenkrad. Ich atmete bebend ein und wieder aus, als Faye die Frage gestellt hatte, die ihr jetzt auf der Seele brannte. Versuchte nicht glatt wieder bei dem Weinen mit einzusteigen, aber es wurde gefühlt sekündlich schwerer, wenn Fayes Schluchzer immer tiefere Krater in meine Seele rissen. Es mir schwer machten, mich auf eine Antwort zu konzentrieren. "Ja... ich denke nicht, dass... dass wir absolute Funkstille brauchen, damit... es funktioniert.", murmelte ich stockend, zog danach dann die Hand vom Lenkrad und verschränkte meine Finger miteinander. Nur um wieder Druck auf meine Hände auszuüben. "Aber wir sollten nicht... nicht ununterbrochen Kontakt haben...", fügte ich weitere Worte an, die leider ebenso schmerzhaft wie wichtig waren. Die Reise würde gänzlich am Ziel vorbeischießen, wenn wir uns willkürlich täglich irgendwelche Nachrichten schrieben oder telefonierten. Dann könnte ich fast genauso gut auch einfach hierbleiben. "Deswegen dachte ich an... vielleicht... ein Telefonat alle vier Wochen... nicht stundenlang, aber...", ließ ich den Satz offen stehen und schluckte stattdessen, kurz bevor ich die rechte Hand von meinem Bein anhob und mir die Haare raufte. Versuchte dadurch die hochgradig angespannte Kopfhaut etwas zu lockern, es versprach jedoch wenig Erfolg. Es würde für mich nicht weniger hart sein Fayes Stimme wochenlang nicht hören zu können, als es umgekehrt der Fall war. In meinen Augen war aber leider nicht mehr drin als ein Belohnungsgespräch alle paar Wochen. Es mussten lange Ruhepausen dazwischen sein, weil ich mich einfach gut genug kannte, um zu wissen, dass ich sonst jeden Morgen mit dem 'Nur noch x Tage, dann kann ich wieder mit Faye reden'-Gedanken aufstehen würde. Auch der wäre nur hinderlich dabei mein neues altes Ich wieder auszugraben...
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