Seine Reaktion auf den Waschlappen fiel nicht besonders positiv aus, was aber wohl auch wieder verständlich war. Sie wusste ja selber, dass sie ihm damit wehtun würde, aber es war leichter, das Blut jetzt wegzuwischen, bevor es komplett eingetrocknet war. Ausserdem wollte sie auch kein frisches Pflaster auf eine vollgeblutete Wunde kleben. Da musste Ryatt also einfach durch, egal wie begeistert er darauf reagieren wollte. Sie hob eine Augenbraue an und blickte in sein Gesicht, als er mit einer entsprechenden sarkastischen Bemerkung seinen Unwillen bekannt gab. "Nein... Aber das beruht auf Gegenseitigkeit", antwortete sie mit dem gleichen Unterton, was weniger auf die Wundversorgung in diesem Moment bezogen war, als viel mehr auf die eher belastende Gesamtsituation, in der sie hier steckten. Klar, es war ihre eigene Entscheidung gewesen, ihn hier anzuschleppen, aber das wollte eben auch nicht heissen, dass sie deswegen nicht genauso in Schwierigkeiten geraten würde, wenn die falschen Leute zu viel davon erfuhren. Aber genug davon, sie konnte sich nicht gleichzeitig mit diesen unangenehmen Gedanken wie mit seiner Wunde befassen, sonst würde das hier in einem Pfusch enden, der sicherlich keine guten Folgen nach sich ziehen würde. So wartete sie, bis er es sich einigermassen bequem gemacht hatte, bevor sie sich auf seiner Hüfthöhe neben das Sofa kniete. Faye kleidete ihre Hände in ein paar Handschuhe, griff dann zur Sicherheit noch zum Desinfektionsmittel, mit dem sie ihre eingepackten Finger ausgiebig einrieb. Besser einfach so wenig Risiko wie irgendwie möglich eingehen, lautete die Devise, an die sie sich so gut wie möglich zu halten plante. Die junge Frau begann mit grösster Vorsicht den Rand des Pflasters zu lösen und dieses behutsam abzuziehen. Allein das dürfte leider mehr als ein Bisschen unangenehm sein, aber daran liess sich leider nur mit sehr viel stärkerem Schmerz- oder Betäubungsmittel wirklich was ändern. Nichts von beidem war hier gerade vorrätig, weshalb der gute Herr leider die Zähne zusammenbeissen und an etwas Schönes denken musste. Sie könnte ihm zwar zum zweiten Mal heute eine Infusion stecken, aber ohne etwas, das sie dann darüber verabreichen konnte, machte das herzlich wenig Sinn. Als das dunkelrote Pflaster schliesslich Geschichte war und sie es in einen behelfsmässigen Abfalleimer in Form eines kleinen Plastiksackes gesteckt hatte, wanderte ihr Blick zum ersten Mal wieder zum Gesicht des Dunkelhaarigen. Er sah nicht glücklich aus, aber sie ersparte sich dumme Fragen zu seinem Wohlbefinden lieber. "Wenns gar nicht geht dann musst das sagen, okay? Dann mach ich eine Pause", war alles, was sie noch anmerkte, bevor sie sich den Waschlappen schnappte. Natürlich nicht, um die - glücklicherweise soweit noch intakte - Naht zu strapazieren, sondern nur um sehr sanft deren Umgebung von dem Blut zu befreien, welches durch das Pflaster gut verteilt worden war. Alles, was näher als einen Zentimeter zu der Wunde lag, liess sie lieber mal so stehen, das konnte auch in drei Tagen noch weggewischt werden. Ihre kleine Reinigungsaktion nahm trotzdem ausreichend Zeit in Anspruch, da sie sich so langsam vortastete, und nicht nur Ryatt war froh, als sie es endlich geschafft hatte. Auf den Waschlappen folgte nur noch eine gute Portion Desinfektionsmittel auf die Wunde, bevor sie nach dem frischen Pflaster fischte, dieses aus der sterilen Verpackung holte und es sorgsam auf die Wunde legte und diese letztendlich abklebte. Das war dann auch der Moment, in dem ihr die anderen, längst abgeheilten Narben wieder bewusst ins Auge fielen. Und wieder spielte sie eine Sekunde mit dem Gedanken, einfach zu fragen, ob ein Zusammenhang zwischen diesen und seiner Halluzination heute Nachmittag bestand. Aber auch diesmal besass sie wohl ausreichend Taktgefühl, um zu erkennen, dass er zu den ganzen Schmerzen jetzt nicht auch noch mit unangenehmen Erinnerungen konfrontiert werden musste. Darum packte sie mit einem leisen aber durchaus erleichterten "Fertig", ihre Sachen weg, brachte den Abfall in die Küche und den Lappen in die Wäsche, den Verbandskasten zurück in den Schrank und die Handschuhe ebenfalls in den Eimer, bevor sie sich mit langsamen Schritten wieder dem Sofa näherte und ihn einer finalen, besorgten Inspektion unterzog. Wie gerne sie ihm einfach ein paar wirksamere Drogen als das bereits eingenommene Schmerzmittel gegönnt hätte... Aber das lag nicht in ihren Händen und so blieb sie ein weiteres Mal etwas verloren vor dem Sofa stehen. "Möchtest du jetzt noch ein Shirt anziehen oder lieber einfach liegen bleiben..?", fragte sie, da er vorhin sowas erwähnt hatte. Es war Sommer, theoretisch also warm genug um sich mit der Decke allein durchaus wohl zu fühlen. Aber wenn er sich lieber noch was überzog, würde sie ihm dabei natürlich noch helfen, bevor sie sich selber mal dem Zu-Bett-Gehen - oder eher ihrem Freund - widmete.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Da hatte sie wohl Recht. Ich war grade nichts anderes als eine reine Bürde für alle Beteiligten, daran ließ sich nichts rütteln. Meine Augen ruhten unentwegt auf Fayes Handgriffen, während sie die nötige Vorbereitungen noch traf und obwohl sie dafür durchaus einige Sekunden brauchte, ging mir das deutlich zu schnell. Ich würde mir die Schmerzen einfach wahnsinnig gerne ersparen. Nur stand das nicht zur Debatte, also biss ich die Zähne etwas fester zusammen, während sie das überdimensionale Pflaster abzulösen begann. Dabei war es logischerweise eher nicht das bisschen Klebestreifen, das mir beim Abzug wehtat, sondern der zwangsläufig entstehende Zug an der Haut um die Wunde herum. Deswegen verzog ich schon dabei etwas das Gesicht und entspannte meine Züge erst wieder, als die Wundabdeckung gänzlich abgelöst war. Ich sah gerade auf die mit Blut gesäumte Naht herunter und musterte sie, als die junge Frau ihr Wort erneut an mich richtete. Ich nickte daraufhin allerdings bloß, sparte ich mir die Energie doch gerne für die noch folgende Prozedur auf. Wie bereits zu erwarten war wurde es nämlich auch nicht unbedingt angenehmer, als Faye damit begann meine Haut zu reinigen und so biss ich mir dabei doch die ganze Zeit über sehr angespannt auf die Unterlippe. Ich konnte es nicht vermeiden, dass ich ein oder zwei Mal etwas zusammenzuckte oder den Oberkörper - absolut ungünstig für die Wunde - kurzzeitig etwas anspannte, parallel dazu auch leise grummelte. Dass sie eine Pause einlegen sollte, sagte ich ihr aber dennoch nicht. Einfach deshalb, weil ich das Ganze so schnell wie möglich hinter mich bringen wollte, um danach danach meine Ruhe vor dem Schmerz zu haben. Oder zumindest dann eben später, nachdem ich mich dann noch in eine bequemere Hose gequält hatte. Das Desinfektionsmittel brannte dann nochmal richtig schön unangenehm an der äußeren Naht, aber danach hatte ich es im Grunde geschafft. Als kurz darauf das neue Pflaster dann auf meiner Haut klebte, atmete ich schließlich etwas tiefer durch. Ließ auch den bisher dauerhaft angehobenen Kopf nach hinten in den Nacken sinken, legte ihn auf der Lehne ab und gab Faye mit diesem ruhigen Moment zum wieder runterkommen mehr als genug Zeit, um den Müll zu entsorgen. Dass sie noch ein weiteres mal auf die anderen Narben an meinem Körper gesehen hatte, hatte ich dieses Mal allerdings tatsächlich nicht mitbekommen. Der Schmerz war zu penetrant gewesen, als dass ich mich auf etwas anderes hätte konzentrieren können. Bis die junge Frau dann wieder zu mir aufschloss, hatte sich das schmerzhafte Gefühl schon wieder ein wenig beruhigt. Dennoch hob ich den Kopf noch nicht wieder von der Lehne an, sondern drehte ihn lediglich vermehrt in ihre Richtung, während sie auf das Shirt zu sprechen kam. Im Grunde hatte ich vorhin nur das Shirt erwähnt, damit ihr werter Mitbewohner sich nicht auch noch darüber aufregen musste, dass ich hier halbnackt herumlag. Zwar wäre Eifersucht in meine Richtung wirklich unbegründet, aber jenes Gefühl machte auch nicht immer zwangsläufig Sinn und ich hatte ihn nicht mehr provozieren wollen, als ich das ohnehin durch meine bloße Anwesenheit schon getan hatte. Andererseits wäre es hinsichtlich der bisher noch kein bisschen verheilten Wunden sicher am besten, wenn ich in der Nacht nicht mehr schwitzte als unabdingbar war. Ich wiegte den Kopf einen Moment lang unschlüssig hin und her, bis ich Faye schließlich wieder direkt ansah. "Vielleicht doch kein Shirt... aber könntest du mein Zeug trotzdem herholen? Ich brauch' noch was anderes als die blutige Jeans.", änderte ich meinen einstigen Wunsch etwas ab und fragte sie aber ganz bewusst nicht danach, ob sie mir auch dabei noch helfen würde. Ihre Hilfe in allen Ehren, war es doch wirklich nett von ihr mir so zu helfen, aber da zog ich dann doch eine Grenze. Ich lief eben nicht umsonst auch im Hochsommer fast ausnahmslos mit langen Jeans oder Jogginghosen herum. Vermutlich sollte ich auch die Boxershorts darunter noch wechseln - wenn die Hose vorhin Blut abbekommen hatte, dann sicher auch der Stoff unmittelbar darunter -, aber das entschied ich wohl dann, wenn ich wusste, wie viel mir die Hose allein schon abverlangt hatte. Auch wenn das bisschen Unterwäsche darunter sicher der weniger unangenehme Teil der Geschichte sein würde.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Sie schien nicht die Einzige zu sein, die wirklich froh darum war, die Prozedur hinter sich gebracht zu haben und nun erstmal über die ganzen Geschehnisse schlafen zu können. Ryatt sah ziemlich erschöpft aus, als sie wieder ins Wohnzimmer trat, was sie durchaus verstand und auch teilte. Sie hatte ja erst um 22:00 Uhr das Krankenhaus verlassen und dann hatte es auch fast eine Stunde gedauert, bis sie schliesslich hier angekommen waren. Ein kurzer Blick zur Uhr, welche an der Wand unweit des Fernsehers hing, bestätigte ihre Vermutung, dass es nach dem - ersten - Gespräch und der Wundversorgung mittlerweile schon gegen Mitternacht ging. Also definitiv langsam Zeit, ihnen allen ein Bisschen Schlaf und Erholung zu gönnen. Vielleicht konnte sie ja sogar einigermassen gut schlafen, hatte der Anblick der Wunde sie seltsamerweise tatsächlich ein Bisschen beruhigt. Die Naht war nicht aufgerissen und die Wundumgebung weder geschwollen noch komplett blau. Ausserdem schien die Stichverletzung auch nicht ganz so gross und dramatisch zu sein, wie sie vermutet hatte - sie hatte ja bisher keinen Blick darauf geworfen, da der Polizist auf der Unfallstelle schon alles verbunden hatte, bevor sie eingetroffen waren. Natürlich waren Verletzungen in der Bauchgegend nie zu unterschätzen und er wäre trotzdem um Einiges besser aufgehoben, wenn er da geblieben wäre, wo man ihn hin verfrachtet hatte. Aber sie wagte innerlich eine zurückhaltend optimistische Prognose zu stellen, in der seine Genesung durchaus auch so möglich war. Mit mehr Schmerzen und weniger Sicherheit natürlich, aber das hatte er gewusst, als er sich aus den Mauern der Klinik geschlichen hatte. Ryatt schien sich in der Zwischenzeit nach einigem Nachdenken gegen das Shirt entschieden zu haben, äusserte stattdessen einen anderen Wunsch, der sie kurz die Stirn in Falten legen liess, bevor sie doch nickte. Eine andere Hose war sicher auch keine schlechte Idee, schon nur, weil es sich in einer Jeans schlicht nicht angenehm schlafen liess. Faye holte seine Tasche aus dem Flur und stellte sie dicht neben dem Sofa ab, bevor sie ihn wieder mit ihren Blicken streifte. "Brauchst du... noch Hilfe dabei oder geht das so?", fragte sie zögerlich, strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, welche sich nach all den Stunden so langsam gegen das Haargummi zu sträuben begannen. Sie würde ihm wohl auch bei der Jeans helfen, wenn er sie explizit darum bitten würde, aber trotzdem wäre es ihr deutlich lieber, wenn er das irgendwie selber hinkriegte. Natürlich nicht, wenn er es nicht schaffte, ohne sich dabei was kaputt zu machen - aber sonst halt schon. Einfach weil sie es nicht unbedingt genoss, mehr oder weniger fremden Männern aus den Hosen zu helfen und auch weil Victor ein Zimmer weiter vor sich hin vegetierte, sie ihm nicht erklären wollte, ihrem vorübergehenden Mitbewohner auch noch aus den Hosen geholfen zu haben, während er als ihr Freund ganz entspannt auf sie warten durfte. So lag ihr fragender Blick auf Ryatt, bis dieser zur finalen Antwort ansetzte, welche sie dann entweder zu einer letzten Leistung vor Feierabend animieren oder direkt ins eigene Schlafzimmer entlassen würde.
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Der kurzzeitig recht kritische Blick der Brünetten entging mir nicht, aber sie verschwand dennoch schon kurz darauf noch einmal in den Flur, nur um mit meiner Tasche zurückzukommen. Kaum standen meine Sachen unweit von mir direkt neben dem Sitzpolster folgte auch schon die Frage, auf die ich im Grunde nur gewartet hatte. Dieses Mal zögerte ich mit der Antwort allerdings kein bisschen, sondern schüttelte leicht den Kopf. So gut, wie das im Liegen eben ging. "Schaff ich schon, danke.", ließ ich Faye ohne Umschweife wissen, dass sie sich jetzt guten Gewissens aus dem Wohnzimmer verkrümeln konnte. Sie bekam quasi mein Wort darauf, dass ich das auch ohne ihre Hilfe noch irgendwie hinbekam und damit konnte sie dann hoffentlich halbwegs gut schlafen. Vorausgesetzt natürlich, dass der gute Victor nicht mit einer Reihe an Vorwürfen im Schlafzimmer auf sie wartete. Ich hoffte selbst ebenfalls darum, weil ich mir wirklich keinen Streit der beiden durch die Wände hinweg anhören wollte, für den ich auch noch selbst verantwortlich war. Zwar würde mich die blanke Erschöpfung meines Körpers früher oder später wahrscheinlich trotzdem in den Schlaf wiegen, aber schön wärs halt nicht. Weder für die beiden, noch für mich selbst. "Dann... Gute Nacht, Faye. Ich hoffe, er... nimmts dir nicht allzu krumm.", verabschiedete ich mich mit ein paar letzten Worten und einem indirekten Wunsch für uns beide für den heutigen Tag. Oder eher die heutige Nacht, war es inzwischen doch schon ziemlich spät. Dabei schenkte ich der jungen Frau auch noch ein verhaltenes, aber möglichst aufbauendes Lächeln. Das dürfte ihr zwar kaum beim Bewältigen der Situation Abhilfe leisten, aber vielleicht machte es ihr das Ganze zumindest ein klein wenig erträglicher. Nachdem die Brünette kurz darauf noch eine Stehlampe nahe des Sofa angeschaltet, das Licht an der Decke ausgeschaltet und den Raum schließlich verlassen hatte, atmete ich ein weiteres Mal tief durch und versuchte mich mental darauf vorzubereiten, gleich noch ein weiteres Mal durch eine kleine, aber feine Hölle zu marschieren. Ich wartete damit allerdings noch, bis auch die Geräusche im Flur restlos verschwanden und vermeintlich Stille in der Wohnung eingekehrt war. Erst danach rollte ich mich so halb auf die Seite, um den Reißverschluss der Tasche aufzuziehen und nach einer bequemen Hose zu suchen. Mir wäre wohl eine der wenigen, kurzen Jogginghosen vom Bequemlichkeitsfaktor her am liebsten, aber ich griff ja doch wieder zu einer langen. Nur für den Fall, dass hier morgen früh irgendwer in den Raum kam und mein Bein unter der Decke vorhing. Ich ließ die Hose und eine Boxershort oben auf der Tasche liegen, bevor ich mich mühsam und nicht gerade schnell aus der Jeans schälte. Kaum war ich draußen kickte ich jene mit einem Fuß vom Sitzpolster und besah mir nur flüchtig meine Unterwäsche, bevor ich jene deutlich zügiger - wenn auch nicht unvorsichtig - loswurde und gegen die neue tauschte. Auch in die Jogginghose reinzukommen war wesentlich einfacher, als sich aus dem Jeansstoff zu quälen. Vielleicht setzte aber auch einfach die Wirkung des Schmerzmittels langsam ein, als ich die dreckigen Klamotten vorübergehend in einer der leeren Seitentaschen der Reisetasche verstaute, weil ich mich einfach nicht gut damit fühlte mein Zeug hier rumliegen zu lassen. Danach griff ich dann nur noch nach der Decke und dem Kissen, versuchte es mir mit möglichst wenigen Handgriffen bequem zu machen und löschte schließlich das Licht der Stehlampe, ehe ich endgültig kaputt ins Kissen sank. Eine kleine Weile sah ich noch mit immer schwerer werdenden Lidern an die Decke, dann fielen mir die Augen aber doch irgendwann zu und mich beschlich das Gefühl, dass ich heute wahrscheinlich so gut schlafen würde wie schon sehr, sehr lange nicht mehr - sofern mich Niemand aus dem improvisierten Bett warf oder meine Wunden sich dazu entschlossen, noch irgendeinen Terror zu machen jedenfalls.
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Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass er ihre Hilfe fürs Wechseln der Hose noch weiter in Anspruch nehmen wollte. Schon nur, weil sie wahrscheinlich auch nicht so ausgesehen hatte, als würde sie sich unbedingt um diese Aufgabe reissen. Trotzdem war sie gewissermassen erleichtert, als sie die wörtliche Resonanz zu hören bekam, nickte darauf ebenfalls kurz. Nur wenig später kam dann auch die Verabschiedung, als Ryatt ihr eine gute Nacht wünschte, von der sie wirklich hoffte, dass sie sie alle drei haben würden. "Gute Nacht, erhol dich ein Bisschen... Und keine Angst, spätestens wenn ich ihm all meine unglaublich guten Argumente aufgezählt habe, wird er sich über deine Anwesenheit genauso freuen", erwiderte sie wiederum mit einem dezenten Hauch Sarkasmus. Vielleicht sollte sie besser nicht darauf abzielen, dass Victor sich über seinen eigentlich unbewilligten Besuch freute, sonst würde sie wohl niemals schlafen gehen. Aber er würde sich sicher noch etwas besänftigen lassen, irgendwie. Hoffte sie. Einfach, weil sie nie lange böse aufeinander sein konnten, das lag einfach nicht in ihrem Blut. Allein schon weil sie besser als viele andere wussten, dass das, was sie hatten, nicht selbstverständlich war und ihnen so leicht genommen werden konnte, wenn sie nicht aufpassten. Und dass sie einander brauchten, um ihren Seelenfrieden zu bewahren. Sie hasste es zwar, sich mit Victor zu streiten, aber wenigstens wusste sie, dass diese Streits niemals lange dauerten. Nachdem die Sache mit dem Licht gelöst war, füllte sie sein Wasserglas noch ein weiteres Mal auf, da der Krug noch immer ziemlich voll und damit auch ziemlich schwer war und er sicherlich nochmal Durst bekam - heute oder in der Nacht oder morgen. Die zweite Pille liess sie daneben liegen und das war dann auch wirklich alles, was sie vor dem Verlassen des Wohnzimmers zu tun plante. Ein letztes, kleines Lächeln in seine Richtung und sie liess den jungen Mann für die Nacht alleine, verkniff sich auch einen weiteren Kommentar wie dass er sich melden sollte, falls irgendwas war. Hatte sie möglicherweise mittlerweile oft genug gesagt, ausserdem war er auch keine Fünf mehr und konnte sich das schon selber denken. Im Flur steuerte sie direkt das Schlafzimmer, allerdings nur, um dort frische Kleidung zu holen und dann mit den gemurmelten Worten: "Ich muss noch kurz duschen", in Victors Richtung wieder nach draussen zu schlüpfen. Genau das erledigte sie dann auch als nächstes, hielt sich aber wie versprochen kurz. Hauptsächlich aufgrund ihrer plötzlich einkehrenden Müdigkeit und nicht etwa, weil sie das Gespräch mit ihrem Freund so dringend herbeisehnte. Faye putzte sich die Zähne, schlüpfte in das Schlafshirt und die kurze Hose und erledigte den ganzen anderen Kram ihrer Abendroutine, bevor sie zum finalen Gang ins Schlafzimmer ansetzte. Diesmal schob sie die Zimmertür noch ein wesentliches Stück behutsamer auf, schlüpfte nach drinnen und legte ihre Klamotten über den mehr oder weniger dafür konzipierten Stuhl, ehe sie sich zum Bett umdrehte. Faye hatte ihre Unterlippe ohne es zu merken wieder zwischen ihre Zähne geklemmte, schaute Victor einen Moment absolut schuldbewusst an, als sie die paar Schritte zur Matratze in seine Richtung schlich und sich schliesslich auf ihrer Bettseite niederliess, dabei den Blick auch wieder abwandte. "Es... es tut mir wirklich leid... dass ich dich ungefragt mit reinziehe und... dass ich nicht angerufen habe... ich... ich weiss schon, dass es keine besonders intelligente Lösung ist, aber...", wieder wusste sie nicht, was sie dem Aber am besten anhängen würde, brach darum auch diesmal den leisen Satz ab, ohne ihn zu beenden. Aber ich konnte nicht anders, weil er mir leid getan hat, war ja vermutlich nicht das, was sie Victor unter die Nase reiben sollte.
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Ich glaubte zu wissen, dass es einfach besser war, wenn ich mich von meinen beiden Sorgenkindern abwendete und stattdessen meine Ruhe suchte. Zwar war zuerst noch der routinemäßige Gang ins Badezimmer erfolgt, aber danach hatte ich mich ohne Umwege ins Schlafzimmer verzogen. Hatte auch die Tür hinter mir ins Schloss fallen lassen, weil ich dachte gar nicht hören zu wollen, worüber die beiden sprachen. Das wäre wahrscheinlich wieder etwas ganz anderes gewesen, wenn der Kerl nicht so gut sichtbar komplett erledigt gewesen wäre. Wenn ich Angst darum hätte haben müssen, dass er es sich mit der Übernachtung kurzerhand anders überlegte. Stattdessen womöglich selbst ein Messer zückte, eingesammelt hätte was er tragen konnte - nicht, als hätte er hier wirklich sehr viele Wertgegenstände gefunden - und am Ende noch Faye zur Gefahr geworden wäre. So allerdings hatte ich was das anging eher keine Bedenken, weil man ein solches Schmerzgesicht schlichtweg nur schwer imitieren konnte, wenn man nicht wirklich Schmerzen hatte. Meine Freundin mochte von zierlicher Natur und alles in allem im Vergleich zu einem Mann wohl auch nicht besonders stark sein, aber gegen einen derartig Verletzten würde sie sich definitiv auch selbst zur Wehr setzen können. Außerdem machte es mich einfach so sauer, dass sie diese Sache so über meinen Kopf hinweg entschieden hatte, dass ich doch etwas Angst davor hatte am Ende wirklich noch irgendwas Gemeines zu einem der beiden zu sagen und meinen Anstand kurzerhand beiseite zu legen. Wahrscheinlich konnte man es Ryatt nicht einmal wirklich übel nehmen, dass er die Chance ergriffen hatte sich hier ein Dach über dem Kopf zu sichern. So ziemlich jeder andere Obdachlose - und noch dazu auch Verletzte - hätte sicherlich das Gleiche getan. Das hieß aber nicht, dass mir das Ganze deswegen besser schmecken musste. Ich wusste schon, warum Faye mich hier in den sauren Apfel beißen ließ. Vielleicht hatte sie das gar nicht bewusst getan, aber sie kannte mich gut genug um zu wissen, dass ich dieser Übernachtung niemals zugestimmt hätte. Nicht unter der Tatsache, dass wir es hier mit einem kriminellen Kriegsveteran zu tun hatten. Solche Menschen hatten fast immer irgendeinen irreparablen Schaden im Kopf, sonst wären sie ja niemals in dieser Situation gelandet - ohne das irgendwie negativ zu meinen. Ich wusste selbst ja bestens wie schwer es war nach einem Kriegstrauma wieder auf die Beine zu kommen und machen wir uns an dieser Stelle auch nichts vor... ohne Faye wäre ich nicht da, wo ich gerade saß. Vermutlich hätte ich mich am Ende noch selbst an der Front mehr oder weniger bewusst hingerichtet, oder aber ich würde in irgendeiner Klapse stecken und da nie wieder rauskommen. Ich verdankte es der Brünetten, dass ich jetzt hier in unserem gemeinsamen Bett sitzen und ein zumindest ansatzweise normales Leben führen konnte. Dass der praktische Abschlussteil meiner Prüfungen jetzt auch langsam in greifbare Nähe rückte, weil ich selbst mit der Messergeschichte inzwischen fast sowas wie abgeschlossen hatte. Hatte ja auch nur gefühlt eine Million Zusatzstunden und immer wieder ihre guten Zusprüche gebraucht. Ich war noch nicht wirklich zu einem Entschluss dazu gekommen, was ich Faye sagen wollte, wenn sie sich zu mir gesellte, als sie das erste Mal kurz ins Zimmer huschte. Allerdings nur für ein paar Klamotten, war ich kurz darauf doch wieder im leicht schummrigen Licht der Nachttischlampe allein. Letzten Endes war es dann also an der jungen Frau den ersten Schritt der Konversation zu machen, als sie schließlich endgültig im Schlafzimmer ankam. Sich bei mir im Bett angekommen erneut entschuldigte und damit im Grunde nicht wirklich viel mehr dazu sagte, als sie das vorhin schon getan hatte. Ich hob mit einem etwas schwereren Seufzen die rechte Hand, um mir einmal von oben nach unten über das müde Gesicht zu streichen. "Das glaub ich dir schon..." Dass es ihr wirklich leid tat und sie wusste, dass das im Grunde alles ziemlich dämlich gewesen war. "Aber du kannst nicht einfach spontan... Kriegsveteranen adoptieren. Du weißt doch so gut wie ich, dass solche Leute Großbaustellen sind. Und dann die Verletzungen... du glaubst doch nicht wirklich, dass du ihn morgen guten Gewissens wieder vor dir Tür setzen kannst. Er kann nicht mal grade stehen und es wird ihm dann noch kein bisschen besser gehen als jetzt." Gut, vielleicht war er morgen nach einer guten Mütze voll Schlaf auf dem Sofa ein bisschen weniger müde als heute, weil so eine Flucht nach einer Operation eben extra-anstrengend war, aber an den Schmerzen würde sich in ein paar Stunden noch genau gar nichts geändert haben und die Nähte würden auch nicht auf wundersame Weise schon verschlossen sein. "Von der Diebstahlgeschichte mal ganz zu schweigen... wenn er nur ein oder zwei Mal ein bisschen was geklaut hätte, müsste er kaum Angst vor ernsthaften Konsequenzen haben. Ich weiß zwar nicht, was er wirklich ausgefressen hat, aber mir ist echt verdammt unwohl dabei einen wahrscheinlich gestörten Kriminellen mit Halbwahrheiten auf meinem Sofa zu verstecken.", musste ich all meinen Bedenken zu Fayes Leidwesen nun doch einfach mal Luft machen. Hängte dem Ganzen noch einen verständnisloses Kopfschütteln an, bevor ich schließlich zu der Brünetten rüber sah. Ich wollte mich so wie grundsätzlich immer nur ungern streiten, aber ich konnte die Sache auch nicht einfach mit einem 'Ist schon gut' abtun und so tun, als würde es mich nicht stören. Denn das tat es offensichtlich sehr wohl.
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Er wirkte weniger genervt als einfach nur gänzlich nicht begeistert von ihren Bemühungen, sein Leben so spannend wie möglich zu gestalten, sah darin deutlich mehr Probleme als Vorteile. Was wohl auch verständlich war, aber das hatte ja auch keiner in Frage gestellt. Sie konnte also nicht mit Kriegsveteranen antanzen und er machte dann Luftsprünge. Interessant. Auch wenn sie die meisten seiner Argumente durchaus schon kannte und wusste, warum sie Sinn machten, legte sie dann doch nachdenklich die Stirn in Falten, als er die Tatsache ansprach, dass Ryatt morgen wohl kaum besser auf den Beinen sein würde als heute. Ehrlich gesagt hatte sie sich über Morgen oder die Möglichkeit, dass es ihrem Gast dann noch nicht besser gehen könnte, bisher noch kein Stück weit sinniert. Auch wenn es Sinn machte, jetzt, wo sie es sich überlegte, und sie eigentlich längst selbst hätte drauf kommen können. Hmm. Sie hatte keinen Plan dafür, was sie tun würde, wenn sie ihn morgen noch immer nicht guten Gewissens auf der Strasse absetzen konnte. Die Frage war halt nur, ob sie das denn überhaupt jemals tun könnte. Aber das sprach sie lieber erstmal nicht aus, wartete lieber, bis Victor auch den zweiten Teil seiner Begründung dafür, warum er ihre Tat als ungeschickt bewertete, losgeworden war. Natürlich waren auch hier durchaus stichfeste Argumente dabei, seine Kriminalität war ja auch der Hauptgrund dafür, dass Faye sich so unwohl dabei gefühlt hatte, ihm überhaupt erst ihre Hilfe anzubieten. Wäre er nicht kriminell, hätte er ihre Hilfe nämlich gar nicht gebraucht, weil er dann jetzt noch ganz regelkonform im Krankenhausbett liegen würde. Und sie hatte auch keine Ahnung, wie schlimm seine Verbrechen waren. Nur, dass er ihr beteuert hatte, dabei niemanden verletzt oder getötet zu haben und vorhin eben die Tatsache, dass es sich um Diebstahl gehandelt hatte. Was ja irgendwie auch das Naheliegendste war bei einem Obdachlosen, der bestimmt öfter pleite war als Geld hatte. Trotzdem - das war es halt erst, was die Sache wirklich kompliziert machte. Wären ihm die Cops nicht auf der Spur, wäre ihre kleine Beherbergung hier auch kein Problem. Aber so konnten sie sich halt nie ganz sicher sein, nicht gleich mit in irgendwelche verbotenen Affären gezogen zu werden. Faye beschloss einfach mal spontan, die aber er ist wirklich nett - Karte nicht zu spielen, gab stattdessen ein tonloses Seufzen von sich, während sie ihre Beine unter der Bettdecke parkte, um sich unterdessen ein Bisschen Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Nicht, dass sie danach besser gewusst hätte, was sie noch sagen sollte, aber es war ein Versuch gewesen. "Ja, ich weiss... Das mit den Cops ist scheisse... Ich... ich habe auch ein Bisschen darauf gepokert, dass einfach niemand gesehen hat, dass er bei mir eingestiegen ist... Also ich habe schon nicht drinnen mit ihm gesprochen, aber halt vor dem Krankenhaus, nicht sehr weit vom Eingang...", murmelte sie vor sich hin, was sie vielleicht besser gar nicht erst erwähnt hatte, weil es die Sache einfach nicht besser machte. "Ich glaube aber nicht, dass wir uns wegen seiner Kriminalität Sorgen machen müssen... Also abgesehen von dem, was die Polizei mit sich bringen könnte. Ich denke nicht, dass er etwas mit Diebstahl am Hut hätte, wenn er nicht durch seine Wohn- und Arbeitssituation mehr oder weniger reingerutscht wäre...", fügte sie an, sprach damit nun doch mehr oder weniger aus, was sie vorhin für sich behalten hatte. Nämlich, dass sie Ryatt für einen nicht grundsätzlich verkehrten Menschen hielt. Was bei ihr aber auch nicht sonderlich überraschend kam, da sie so gut wie keinen Menschen einfach als schlecht und böse einstufte. "Als wir ihn auf der Strasse eingesammelt haben, da... da hatte er einen Flashback... irgendwas vom Krieg... Dass jemand ihn brauchte und es ihnen nicht gut ging... und dann weiter, dass es so laut sei... Ich... ich habe natürlich nicht gefragt, worums ging...", setzte sie zu einer Erklärung an, die vielleicht etwas besser veranschaulichte, warum sie sich vor dem Krankenhaus letztendlich dazu entschieden hatte, ihn nicht wieder nach drinnen zu schleppen. "Ich kam halt nicht um den Gedanken herum, dass das genauso gut ich und du sein könnten... wenn wir damals alleine gewesen wären und uns nicht gehabt hätten...", zumindest so ähnlich hätte es enden können. Wahrscheinlich hätte sie dem allen vorher ein Ende gesetzt, aber ob das besser war, sei dahingestellt. Und wie es mit Victor nach dem Krankenhausaufenthalt weitergegangen wäre, wusste sie nicht, aber sie hatten oft genug darüber gesprochen, dass sie sich ungefähr denken konnte, dass das auch nicht schöner ausgegangen wäre.
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Womöglich hatte ich die junge Frau mit meinen Bedenken gerade ein bisschen sehr überrollt, aber es hatte eben einfach raus gemusst. Ich beobachtete sie abwartend dabei, wie sie sich zumindest teilweise unter die Bettdecke verkrümelte. Meine Augen lagen auch noch immer auf ihr, als sie dann zu einer Antwort ansetzte und die war... nicht gerade zufriedenstellend, mild ausgedrückt. Ich hatte bis jetzt noch nicht einmal spezifisch über den Hergang der Dinge nachgedacht und dass Faye auch ihre Arbeit irgendwie da mit reingezogen hatte, wurde mir erst so richtig bewusst, als sie das aussprach. War eigentlich nur logisch, aber so weit hatte ich bisher einfach nicht gedacht und es entlockte mir das nächste bedauernde Seufzen. Vielleicht brauchte die Brünette den Job nicht unbedingt was unsere Finanzen anging, weil wir beide noch ein Polster von der Zeit bei der Army hatten. Ihr Job war aber allein schon wegen ihrer psychischen Stabilität eigentlich wichtig. Er gab ihr einen Rhythmus im Alltag, etwas zu tun. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, was es für Auswirkungen haben würde, wenn sie den Job tatsächlich deshalb verlieren sollte. Mal ganz davon abgesehen, dass das dann sicherlich auch irgendeine Strafe nach sich ziehen würde. "Das wird echt immer besser.", stellte ich ziemlich überflüssig und trocken fest. Dabei ließ ich auch den Hinterkopf an die Rückwand des Betts sinken und machte dann einen Moment lang die Augen zu, während Faye weiterredete. Ihre These dazu warum Ryatt kriminell geworden war und dass er vielleicht gar kein so schlechter Mensch war, stand für mich einfach auf einem wackligeren Gerüst, als mir lieb war. Ich kannte den Dunkelhaarigen auch viel zu wenig, um mir ein richtiges Bild von ihm machen zu können. Vielleicht lag meine Freundin mit dieser Vermutung also sogar goldrichtig, aber ich konnte mir damit einfach nicht sicher sein. "Deswegen ist er trotzdem auf der Flucht und ein Problem.", war alles, was ich dazu grummelig vor mich hin murmelte. Außerdem sah Faye meistens grundsätzlich lieber die guten Seiten eines Menschen, als sich mit potenziell schlechten Seiten zu befassen. Ich liebte sie für diese etwas blauäugige Eigenschaft, nur war das gerade jetzt eben wirklich ungünstig. Ich machte die Augen erst wieder auf und drehte den Kopf in Richtung der Brünetten, als sie dann auf die Kriegsgeschichte zu sprechen kam. Dass Ryatt scheinbar einen Flashback gehabt hatte, der unter den falschen Umständen womöglich ebenso gut mir oder Faye hätte passieren können. Ich verstand auch, dass das wahrscheinlich der ausschlaggebende Punkt dafür gewesen war, dass sie sich am Ende dazu entschieden hatte dem Veteran unter die Arme zu greifen. Dass sie es nicht übers Herz gebracht hatte, ihn mehr oder weniger zurück in sein Verderben zu schubsen. Dass sie damit vielleicht einfach nicht hätte leben können, weil er mit seiner Vergangenheit - und sei sie auch nur oberflächlich zutage gekommen - etwas in ihr getroffen hatte. Vielleicht hätte er das bei mir auch und ich hätte am Ende nur deswegen einfach umdrehen und gehen können, weil ich nicht so ein chronisches Helfersyndrom wie Faye besaß. "Ja aber Faye, wir... wir sind damals aus der Klinik raus, um mit diesem ganzen Mist so gut es eben geht irgendwie abzuschließen." Es würde immer ein Teil von uns bleiben. Etwas, das wir jeden Tag im Spiegel sahen, weil die Narben aus dieser Zeit niemals verschwinden würden. Unabhängig davon sollten wir jedoch nicht mal ansatzweise riskieren irgendwas von unserem Trauma wieder aufzuwühlen, weil das ganz mächtig nach hinten losgehen konnte. "Ich verstehe, dass diese Sache... was in dir ausgelöst hat. Aber bitte versprich mir, dass du statt in deiner eigenen jetzt nicht auch noch in seiner Vergangenheit rumwühlst. Wir haben mit unserem Trauma schon genug zu tun...", bat ich sie darum davon abzusehen, mehr darüber herausfinden zu wollen. Vielleicht könnte man Ryatt hier und da besser verstehen, wenn man mehr über ihn, sein Trauma und den Rest seiner schlechten Lebensumstände wüsste. Nur je mehr man darüber herausfand, desto eher bekam man noch mehr Mitleid und Mitgefühl mit dem Kerl.
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Und wieder war sie ein Bisschen klüger, wusste jetzt nämlich, dass sie auch diese Worte besser gar nicht erst ausgesprochen hätte. Sie fühlte sich echt immer beschissener, je länger dieser Tag dauerte. Und es gab niemanden, den sie dafür verantwortlich machen konnte, ausser sich selbst. Dumm dumm. Die Brünette blickte auf die Decke runter, die sich an ihre Beine schmiegte, aber nicht mal der kuschelig weiche Stoff schaffte es irgendwie, ihr ein Gefühl von Wärme und Ruhe zu vermitteln. Vielleicht war das für heute einfach gelaufen und sie konnte nur hoffen, dass es morgen nicht genauso weiterging... Nur irgendwie hatte sie es Victor ja sagen müssen, nur für den Fall, dass plötzlich tatsächlich die Polizei vor ihrer Tür stand. Sie wollte echt nicht damit rechnen und wünschte sich natürlich das komplette Gegenteil, aber es lag nunmal nicht in ihrer Macht, diesbezüglich etwas zu kontrollieren. Nicht mehr, jedenfalls. Dass Victor sich nicht unbedingt besänftigen liess von ihrem Versuch, ihm die grundsätzlich nicht falsche Art ihres Übernachtungsgastes einzureden, half ebenfalls nicht gerade viel weiter. Er sagte eh nur das, was sie schon wusste und nicht nochmal hören wollte. Sie würde Ryatt zwar nicht direkt als ein Problem bezeichnen, weil sie das ganz einfach keinen angebrachten Ausdruck für einen Menschen fand, der ihnen überhaupt nichts angetan hatte, aber dass er auf der Flucht war, konnte sie schlecht bestreiten. So war es daraufhin an der jungen Frau, erstmal zu schweigen und die Blümchen auf der Bettdecke zu zählen, weil sie nicht wusste, wie sie ihn noch runterbringen könnte. So langsam klang Schweigen und möglichst leise Atmen einfach echt wie die beste Option. Sie merkte auch gar nicht, dass ihr Freund sie wieder anschaute, weil sie zu beschäftigt damit war, ein Problem zu lösen, dessen Ausgangslage ihr noch gar nicht im vollen Ausmass bewusst war. So hörte sie ihm auch bei seinen nächsten Worten nicht viel weniger begeistert zu, während er ihr weitere Gründe aufzählte, weshalb das alles einfach nicht geschickt gewesen war. "Ich will auch gar nicht an alte Muster anknüpfen, Victor... Wir haben damit abgeschlossen", grösstenteils zumindest, so weit das eben ging, wenn man jeden Tag ein paar weiterhin dezent unschöne Narben begutachten konnte, "und daran wird sich auch nichts ändern", sie war sich ziemlich sicher, dass das Ausmass von Ryatts Schwierigkeiten sie zumindest vorerst gut davon abhalten würde, über ihr eigenes Trauma nachzudenken und wieder mit Bildern der Hölle konfrontiert zu werden. Vielleicht nicht im Traum, das würde sich zeigen, aber sie hatte nicht das Gefühl, tagsüber wieder die Kontrolle zu verlieren. Sonst wäre das ja heute schon passiert, oder? Abgesehen von dem kurzen, unglücklichen Moment im Krankenwagen hatte sie sich bestens im Griff gehabt - und auch da war weiter nichts ausgeartet. Es war Victors letzte Forderung, die sie doch dazu brachte, den Kopf wieder anzuheben, um ihn etwas verstört anzublicken. Sie sollte ihm versprechen, nicht mit Ryatt über den Krieg zu reden? "Wie soll ich dir das denn versprechen..?", war ihre erste Antwort, wobei ihre Stimme kaum noch mehr als ein Flüstern war. "Ich habs natürlich nicht vor...", aber sie machte keine Versprechungen, von denen sie nicht wusste, ob sie sie halten konnte oder nicht. Sie würde morgen nicht aus dem Bett hüpfen mit dem Ziel, ein Bisschen Erfahrungen mit einem mehr oder weniger Fremden auszutauschen, natürlich nicht. Aber was, wenn das Thema doch irgendwann aufkam? Sollte sie dann mit 'sorry, Victor hat mir verboten, darüber zu reden' antworten? Wäre ihm wohl egal, wenn sie das genau so sagen würde, aber ihr nicht. Aber Victor war auch nicht allwissend - vielleicht würde es Ryatt ja helfen, darüber reden zu können. Wenn er wüsste, dass sie ihn vielleicht sogar ein Bisschen verstehen konnten. Noch so eine Sache, die sie wohl besser nicht aussprechen sollte, wenn sie hier noch irgendwann auf einen grünen Zweig kommen wollte, bevor einer von ihnen vor Erschöpfung einfach einschlief. "Er tut mir halt einfach leid... Und ich möchte nicht, dass er so leben muss...", murmelte sie in sich hinein, als hätten diese Worte allein schon die Kraft, das Leben ihres Gastes irgendwie positiv zu beeinflussen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das sagte sich so schön leicht. Ich glaubte auch die meiste Zeit über gerne, dass ich inzwischen ausreichend über all die schlimmen Dinge hinweg war, die ich im Krieg erlebt hatte. Das war ja bei Weitem mehr gewesen als nur die Sache mit der Entführung in den Hügeln, die an und für sich schon mehr als schlimm genug war. Ich glaubte immer so lange daran, dass ich den ganzen Mist endgültig hinter mir gelassen hatte, bis irgendeine Kleinigkeit mich daran erinnerte, dass all die Erinnerungen und Erlebnisse niemals wirklich weg sein würden. Es ließ sich jetzt inzwischen ganz gut mit alledem leben, aber es würde immer ein Teil von uns bleiben. Einer, der mittlerweile zwar vielleicht relativ friedlich vor sich hin schlummerte, mit Pech aber im Grunde jederzeit wieder heraufbeschworen werden könnte. Ich verkniff mir die rhetorische Frage 'Ach, haben wir das?' in letzter Sekunde, schüttelte stattdessen nur ein weiteres Mal mit dem Kopf. Wollte dieses potenzielle Risiko einfach nicht akzeptieren, weil es nicht weniger als völlig unnötig war. Mehr oder weniger... ich war ja kein Unmensch und ja, vielleicht wäre Ryatt am Ende noch draußen irgendwo in der hintersten Gasse der Stadt elendig vor sich hin krepiert, wenn er stumpf versucht hätte, sich um sich selbst zu kümmern. Das ging einfach schlecht, wenn man nicht wirklich sowas wie ein Bett oder zumindest eben ein Sofa hatte, auf dem man ganz entspannt liegen konnte. Wo hätte er sich denn stattdessen ruhighalten wollen? Auf der Ladefläche des Trucks, in dem er wohnte? Denkbar ungünstige Umstände für das Auskurieren einer Stichwunde am Oberkörper, aber das hatte er sich nun mal selbst ausgesucht. Er war selbst aus dem Krankenhaus und vor dessen Versorgung geflogen. Genauso wie wir nur darüber mutmaßen konnten, warum er eigentlich kein Dach über dem Kopf hatte. Oder ob er jemals wirklich versucht hatte, da wieder rauszukommen. Ob es andere Leute gab, die ihm sehr wohl auch helfen würden - von denen er sich vielleicht einfach nur nicht helfen lassen wollte. Die Liste der offenen Fragen war endlos und sie wurde nicht erträglicher dadurch, dass Faye nicht tunlichst vermeiden wollte an Kriegsgeschichten unseres tollen Gastes zu kommen. "Mir tut die alte Dame, die mir immer erzählt wie wenig sie von ihrer Rente hat, während sie bezahlt, auch immer leid. Nehm' ich sie deswegen mit nach Hause und bezahl' ihr ihren Lebensabend, um abends im Wohnzimmer mit ihr Scrabble zu spielen?", stellte ich Faye eine rhetorische, sehr bitter ironische Frage. Langsam aber sicher war mir anzuhören, dass es mich zunehmend mehr ärgerte, wie gerne Faye über all die negativen Aspekte gerade hinwegsah. Es kam nicht selten vor, dass irgendeiner der Kunden in dem Kiosk, bei dem ich neben den Trainingsstunden aushalf, mit irgendwas in den Ohren lag. Teilweise waren das Geschichten, bei denen ich mich selbst fragte, warum die Welt zu manchen Menschen so ungerecht sein musste. Dennoch lag es weder in meiner, noch in Fayes Hand, Unrecht oder die Probleme Anderer aus der Welt zu schaffen. So oder so wurde mir das Ganze hier langsam zu blöd. Ich schien ohnehin nur gegen eine Wand zu reden, weil die Brünette nichts anderes als den armen, hilfsbedürftigen Ryatt vor Augen hatte. Es war wohl egal was ich dazu sagte, solange ich nur keine Anstalten machte den Kerl vom Sofa zurück in den Hausflur zu schubsen. Deshalb richtete ich mich mit genervt ins Gesicht gezogenen Augenbrauen auch etwas mehr auf, um mein Kissen aufschütteln und mich danach hinlegen zu können. "Deine Liebe dafür anderen zu helfen in allen Ehren, Faye, aber das geht wirklich zu weit.", grummelte ich noch einige weitere Worte vor mich hin, als ich die Decke höher zog.
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Es schien so, als wollte er sich genauso wenig von seinem Standpunkt trennen wie sie. Als würden sie sich gegenseitig mit ungefähr dem gleichen Ausmass an Verständnis gegenübertreten. Oder auch nicht, denn sie hatte grundsätzlich ja schon Verständnis für seine Argumente. In ihrem Kopf waren seine Sorgen aber zum Teil etwas zu weit hergeholt oder an den Haaren herbeigezogen, standen ausserdem einfach unter den Problemen, mit denen jemand anderes in dieser Wohnung klarzukommen versuchte. Sie würde es niemals als ideal bezeichnen, was sie heute getan hatte, das nicht. Ideal wäre gewesen, wenn Ryatt im Krankenhaus geblieben wäre, wie es ihm angeordnet wurde. Aber da das nicht geschehen war... Ja, was dann? Victor hätte ihn bestimmt auch nicht so zu seinem Truck humpeln lassen, das konnte sie nicht glauben. Vielleicht hätte er ihn nach drinnen gebracht. Aber damit hätte er sich auch schlecht gefühlt, oder? Ach verdammt, sie wusste langsam echt gar nichts mehr und war sich noch weniger irgendwobei sicher. Und Victor zog den nächsten Vergleich herbei, den er in ihren Augen so nicht machen konnte und der sie nur noch etwas verständnisloser die Augenbrauen ins Gesicht ziehen liess. Die alte Dame tat ihm leid, okay, aber sie war nicht direkt in Lebensgefahr. Und ausserdem würde Faye ganz bestimmt nichts ablehnendes dazu sagen, wenn er sie nach Hause bringen würde, um mit ihr Scrabble zu spielen. Das mit dem Lebensabend bezahlen war was anderes... Aber ja, der Vergleich war sowieso nur rhetorisch und eigentlich musste sie sich auch keine Gedanken dazu machen, weil er eh keine Antwort darauf hören wollte. Weil er jetzt definitiv wütend auf sie war und das war bei allem echt das Letzte, was sie sich jetzt noch gewünscht hatte. Sie wusste nicht, was sie sich von seiner Reaktion auf ihre wunderbare Heldentat erhofft hatte - eigentlich ja nichts. Aber bestimmt auch kein solcher Anschiss, wie er ihr gerade lang und breit zuteil gekommen war. Faye sagte erstmal gar nichts mehr sondern tat es Victor gleich, schlüpfte bis zum Hals unter die Bettdecke, nachdem sie sein vermeintlich letztes Statement zu hören bekommen hatte. Und das hatte nochmal gesessen, obwohl sie längst nicht mehr danach gefragt hatte. Sie schwieg eine ganze Weile vor sich hin, lauschte seiner Atmung, die sich mit der ganzen Aufregung etwas beschleunigt hatte. Auch das Licht hatte sie mittlerweile ausgemacht, obwohl an Schlafen jetzt irgendwie doch nicht mehr zu denken war. Bestimmt zehn Minuten herrschte Stille im Schlafzimmer, bis sie sich sehr vorsichtig wieder regte und in Victors Richtung drehte. "Ich habe eingesehen, dass es dumm war, okay?", flüsterte sie fast tonlos in seine Richtung, wartete einen Moment um sicher zu sein, dass die Wut ihn nicht in ein plötzliches Schlafkoma versetzt hatte oder so. "Es tut mir leid, auch wenn das nichts mehr daran ändert, dass ich’s getan habe...", auch das hatte sie schon gefühlt fünfzig Mal gesagt. Aber es tat ihr eben immer noch leid. "Ich will nicht mit dir streiten, Victor... Ich... ich bringe ihn Morgen wieder zu seinem Truck zurück, wenn du das willst", und das meinte sie ernst. Weil sie wusste, dass es nicht fair war, ihn in die Sache rein zu ziehen, ohne ihn zu fragen. Weil sie Ryatt ja doch nicht hier behalten konnten, wenn sie beide arbeiteten. Und weil sie keinen Ärger mit dem Mann wollte, dessen Zustimmung und Meinung für sie am allerwichtigsten waren. Sie würde Ryatt zum Truck zurück bringen und ihm ihre Nummer geben, falls er ein Handy hatte. Hatte er bestimmt, oder? Er hatte ein Auto. Dagegen war ein altes Smartphone wirklich kein Luxusprodukt. Und dann würde sie ihn einfach jeweils abends nach der Arbeit besuchen, um sicher zu stellen, dass es ihm einigermassen gut ging. Oder er entschied sich doch dafür, ins Krankenhaus zu gehen. Das würde Victor bestimmt nicht stören. Und wenn, dann war es einfach der Kompromiss, den er dann auch akzeptieren musste...
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Im Grunde wusste ich wahrscheinlich gar nicht, was genau ich nun von Faye erwartete. Welche Worte ich mir von der jungen Frau erhoffte, wo es ziemlich sicher ganz einfach keine gab, die die Situation irgendwie verbessern würden. Es war heute schlichtweg nicht alles optimal gelaufen und das galt es jetzt vermutlich einfach auszubaden, auch wenn ich selbst ungefähr gar nichts dafür konnte. So war das einfach in einer Beziehung - man war nicht immer mit jeder Entscheidung des Anderen vollauf zufrieden, aber man hing da eben oft zusammen drin und musste dann das beste daraus machen. Vielleicht reagierte ich auch ein bisschen über. Schließlich war bis jetzt nichts passiert und wenn die Brünette ihn morgen wieder wegbrachte, dann war ich aus dieser Sache schnell wieder raus. Nur wusste ich gar nicht, ob ich das wollte. Natürlich wollte ich eigentlich nicht, dass Ryatt länger hierblieb, als das unbedingt nötig oder sinnvoll war. Er könnte Probleme machen, die ich nicht haben wollte und die weder für Faye, noch für mich selbst gut sein konnten. Ich war gerade vielleicht dezent angepisst von der ganzen Aktion, aber ich war eben trotzdem kein Unmensch. Es wäre schon sehr gemein den Typen einfach wieder zurück auf die Straße zu setzen, wo es ihm doch offensichtlich wirklich beschissen ging. Mir hatte das Messer im Bein damals schon gereicht, ich wollte es mir im Bauch also nur ungern vorstellen. Der Oberkörper ließ sich eben auch einfach nicht so still halten wie ein Bein, das man mit Krücken recht gut entlasten konnte. Egal wie ich es drehte und wendete - ich fühlte mich nicht gut damit ihn hier zu behalten, damit ihn einfach wieder vor die Tür zu setzen aber genauso wenig. Deswegen hätte ich mir gerade wirklich gerne einfach das Kissen über den Kopf gezogen und so getan, als würde mich diese Entscheidung und allgemein die ganze Situation irgendwie nichts angehen, in der Hoffnung, dass sie sich dann von selbst auflöste. Würde halt nur leider so nicht passieren. Ich hob beide Hände an, atmete mit einem unterschwelligen Seufzen tief durch und rieb mir ein weiteres Mal übers Gesicht. Dieses Mal nur mit etwas mehr Nachdruck und deutlich ausgiebiger. "Ich weiß nicht, ob ich das will.", stellte ich unzufrieden etwas leiser fest, was in diesem Fall aber mehr mir selbst galt. Zwar sollte man sich das eigentlich nicht wünschen, aber hier und da wäre es mir ganz lieb, wenn ich mir von Mitchs kalter Schulter ein bisschen was abschneiden könnte. "Ich... keine Ahnung, schlaf drüber...", murmelte ich und ließ im selben Moment die Hände wieder von meinem müden Gesicht rutschen, nur um dann noch einen schweigsamen Moment lang an die Decke zu starren. Erst danach drehte ich den Kopf wieder in Fayes Richtung und streckte schließlich mit den wieder etwas ruhigeren Worten "Na komm schon her." den Arm nach ihr aus. Es würde wohl keiner von uns beiden besser schlafen können, wenn wir einander den Rücken zudrehten und uns nicht wie gewohnt unsere kleine Kuscheleinheit abholten, bei der uns dann für gewöhnlich einfach die Augen zufielen. Zwar half das Gekuschel eher nicht hinsichtlich anstehender Entscheidungen, aber es half zumindest beim Schlafen und gut ausgeruht dachte es sich besser nach. Auch wenn ich die Schlafqualität in der folgenden Nacht auf nicht allzu gut einschätzte, war das sicher besser als sich wach liegend jetzt weiterhin den Kopf zu zerbrechen und Faye mit Abstand zu strafen. Es war ja nicht so, als hätte sie mir etwas Böses gewollt. Sie war ihrem Instinkt einfach nur in eine irrtümliche Richtung gefolgt.
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Irgendwie hatte sie eher mit Ja, mach das als mit dieser Antwort gerechnet. Einfach weil er sich schon die ganze Zeit so unzufrieden mit Ryatts Anwesenheit zeigte. Doch seine Reaktion bewies wohl mal wieder, warum sie so gut zusammen passten... warum sie ihn so liebte. Vielleicht war er etwas realistischer und pragmatischer, weniger impulsiv und gefühlsgesteuert veranlagt als sie, aber Victor würde ganz genauso niemals jemanden vorsätzlich leiden lassen, niemals einen potenziell Schwerverletzten ohne Perspektive oder Vorsorge auf die Strasse stellen, nur weil er ihn in ihrer Wohnung störte. Seine Antwort machte die Lösungsfindung auf ihr selbstgemachtes Problem zwar nicht wesentlich einfacher, aber sie nahm immerhin ein paar Steine aus dem vielseitigen Ballast, der ihr gerade auf die Seele drückte. Die Sorge um Ryatt und seine Wunden, das tonnenschwere Mitgefühl und das mulmige Gefühl wegen allfälligen Augen, die sie heute Abend beobachtet haben mochten, reichten auch wirklich aus, wenn man sie fragte. Da war sie froh, wenn immerhin nicht auch noch ein richtiger Streit mit Victor dem Ganzen die Krone aufsetzte. Faye sagte nichts zu seinen Worten, aber wenn man genau hinhörte, war das leise, erleichterte Aufatmen wohl Antwort genug. So liess sie sich sicherlich auch nicht zweimal bitten, als er den Arm ausstreckte, ihr auch mit einer wörtlichen Resonanz klarmachte, dass sie trotz allem auch heute nicht auf seine Nähe verzichten musste. Es dauerte nur ein paar kurze Sekunden, da hatte sie sich schon an seiner Brust verkrochen, die in den letzten Monaten wieder deutlich breiter geworden war und keine Zweifel mehr darin zuliess, dass sie auf der ganzen Welt an diesem Ort den allerbesten Schutz fand. Ausser eben vor ihrem eigenen Kopf und ihren eigenen spontanen, potenziell folgenschweren Risikoentscheidungen. "Gute Nacht...", nuschelte sie zu ihm hoch und versuchte sich dann auch ohne weiter drüber nachzudenken darin, die Augen zu schliessen und zu schlafen. Ihre Finger strichen dabei aber noch eine ganze Weile hauchzart über seine Haut und auch als die Bewegungen verklangen, war das mit dem Schlafen eben doch nicht so einfach wie erhofft. Wie sollte sie auch schlafen, wenn ihr Kopf dabei die verrücktesten Theorien auslegte? Zu Ryatts Vergangenheit, seiner Zukunft, den Folgen ihrer Entscheidungen und so weiter. Es war schwer einzuschätzen, wie viel später sie dann tatsächlich einschlief, aber sie war auf jeden Fall froh, als ihr Bewusstsein endlich kapitulierte und Ruhe gab. Die Nacht verlief mehr oder weniger ruhig, Faye wachte nur einmal auf und wurde mit unschöner Heftigkeit wieder an die Tatsachen erinnert. Sie beschloss wenig überraschend, auf ihrem kurzen Ausflug zur Toilette noch einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen. Da sich in diesem Raum keiner die Mühe gemacht hatte, die Jalousien zu schliessen, bewies ihr das fahle Licht von Mond und Strassenleuchten nach einem kurzen Moment der Beobachtung, dass Ryatt wirklich noch atmete - was die Brünette wiederum erleichtert zurück ins Bett verschwinden liess. Abgesehen von einer zweiten schwierigen Einschlafphase geschah von ihrer Seite aus mehr oder weniger gar nichts mehr und sie schlief durch bis am nächsten Morgen. Es war noch nicht sehr spät, der Wecker auf dem Nachttisch zeigte erst kurz nach Neun, was in Anbetracht der Tatsache, dass Sonntag war und sie spät geschlafen hatten, noch gefühlt keine Zeit zum Aufstehen war. Aber das änderte herzhaft wenig am penetranten Klingeln an der Haustür, welches die Brünette sofort die flackernden Lider aufreissen und verwirrt blinzeln liess. Sie hatte keinen herbestellt und auch kein Bedürfnis, jemanden willkommen zu heissen. Trotzdem schälte sie mit einem höchst unzufriedenen Grummeln die Beine aus der Decke, als die Klingel sich erneut bemerkbar machte. Jemand war echt geduldig, wies schien. Was sie nur noch mehr ankotzte, an einem Sonntagmorgen, nach einer Nacht mit zu viel Wach-Liegen und zu wenig Schlaf.
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Leider half auch Fayes Geruch, der mir wie gewohnt in die Nase stieg, als sie sich an meine Brust flüchtete, nur sehr bedingt dabei die Umstände zu vergessen. Zwar beruhigte ich mich innerlich bald ein wenig mehr, aber die Gedanken schwirrten ja doch noch eine ganze Weile durch meinen Kopf, weil ich nicht wusste wie ich zu einer Entscheidung kommen sollte. Ich wollte Ryatt nicht hier haben, jedoch wäre es eben einfach unmenschlich ihn in seinem Zustand zurück auf die Straße abzuschieben. Es war wohl auch eher nicht davon auszugehen, dass er sich freiwillig am Krankenhaus oder bei der Polizei absetzen ließe, so ganz ohne Gegenwehr, wäre er sonst doch kaum geflüchtet. Ich drehte mich gedanklich also so lange im Kreis, bis mein Körper die Segel strich und mich einnicken ließ. Hauptsächlich vermutlich wegen der recht intensiven Trainingseinheit, die ich nach der Arbeit am Kiosk noch absolviert hatte. Der Sport half mir ungemein dabei mental die Waage zu halten und ich fühlte mich insgesamt wieder deutlich besser, seit ich ein gewisses Level meiner alten Form erneut erreicht hatte. Es ließen sich halt nur nicht alle Probleme mit ein bisschen Sport mildern. Ich schlief die Nacht über zwar durch, aber besonders gut konnte ich nicht geschlafen haben. Zumindest war es das, was mir mein Körper ziemlich eindeutig vermittelte, als er durch das schrille Geräusch an der Haustür ruckartig in Alarmbereitschaft verfiel. Mich die Augen irritiert öffnen ließ, kurz bevor ich feststellte, dass ich offenbar die Nacht über ungünstig gelegen hatte und mir deshalb jetzt der Nacken wehtat. Faye erhob sich bereits auf die Beine, weshalb ich mich anfangs nicht sofort in der Pflicht dazu sah ihr hinterher zu hechten. Dennoch setzte ich mich auf und rieb mir mit der rechten Hand unter Druck den Nacken, wonach er sich zumindest schon ein klein wenig besser anfühlte. Ich folgte der anfänglichen Konversation an der Haustür durch die offene Schlafzimmertür zuerst nur mit halbem Ohr. Als sich die ortsansässige Polizei vorstellte, hob ich allerdings sofort den Kopf und war mit einem Schlag hellwach. Ich brauchte deshalb auch nicht lange, um die eigentlich noch zu müden Beine aus dem Bett zu schieben und aufzustehen, um meiner Freundin an die Haustür zu folgen. Dabei wäre ich am Ende womöglich gar keine Hilfe, wenn es einfach nur um eine Befragung zu unserem netten Hausgast ging. Solange die Tür zum Wohnzimmer nicht aufging und er sich nicht rührte, hoffte ich einfach nur darauf, dass die Cops keine allzu verzwickten Fragen stellen und sich leicht wieder loswerden ließen. "Morgen, Officers... was führt sie her?", begrüßte ich die beiden Männer, die jeweils einen guten Kopf kleiner waren als ich, als ich schräg hinter Faye zum Stehen gekommen war. Allerdings gab es auch nicht allzu viele Menschen, die mit meiner Körpergröße mithalten konnten. Ich hatte sie zweifelsfrei von meinem Vater, auch wenn der selbst nicht ganz so groß war wie ich selbst. In jedem Fall war es aber ein gutes Gefühl meistens so ein bisschen erhaben zu sein. Zwar war ich in der Regel der letzte Mensch, vor dem man sich zu fürchten brauchte, aber es trichterte meinem Gegenüber nicht selten von vornherein etwas mehr Respekt ein. Blieb wohl zu hoffen, dass sowas hier jetzt nicht nötig sein würde, um die Uniformträger wieder loszuwerden. Mir schwante nämlich schon Böses vor, als der Blick des Älteren nach einem begrüßenden Nicken in meiner Richtung wieder zurück auf Fayes Gesicht fiel. "Wir möchten Ihnen gerne ein paar Fragen zu einem Patienten stellen, den Sie gestern in die Notaufnahme eingeliefert haben, Miss Cooper.", schilderte der ungebetene Besucher sein Anliegen in ruhigem, vollkommen sachlichem Ton. Ließ damit gleich mal eine meiner Befürchtungen bezüglich Ryatt wahrwerden, worauf ich bestens hätte verzichten können. Der Tag startete hier wirklich schon super...
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Sie hatte mit vielem gerechnet, als sie den verschlafenen Weg in Richtung Wohnungstür angetreten hatte, aber nicht damit, gleich in nichts als einer kurzen Sporthose, ihrem Schlafshirt und einer dünnen Jacke, in die sie unterwegs geschlüpft war, zwei Cops gegenüberzutreten. Hätte ja auch Susan sein können, der das Mehl für ihre Pancakes ausgegangen war. Oder Jeff, der sie mal wieder an einem Sonntagmorgen nett darum bitten wollte, ihr Auto woanders zu parken, weil er Besuch kriegte. Oder Mitch und Aryana, die nichts von Ausschlafen hielten und einer plötzlichen Eingebung folgend antrabten. Ihr wäre auch ganz genau alles davon lieber gewesen, als das, was sie wirklich erwartete. Sie hätte die Tür beinahe wieder ins Schloss geknallt, blickte aber stattdessen einfach nur ziemlich perplex in die beiden Gesichter, die ihr putzmunter entgegenglotzten. "Guten Tag... Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte sie mit dezent verunsicherter Stimme, räusperte sich einmal, um vielleicht ja wenigstens ein kleines Bisschen ihrer Überforderung zu schlucken. Die Polizei stellte sich - höflich wie eh und je - in aller Ruhe vor, ehe sie nach ihrem Namen fragten, den Faye gerade so ohne Gestotter rückmelden konnte. Sie hätte sich am liebsten direkt hinter Victor verkrümelt, als dieser sich in das ach so wertvolle Gespräch einmischte. Aber die Worte, die der Officer im direkten Anschluss an sie richtete, waren relativ eindeutig. Sie hatte sich nicht zu verkriechen, sondern seine dämlichen paar Fragen zu beantworten. Und das bitte möglichst geschickt, oder sie kletterte in der Skala für verdächtiges Verhalten gleich die nächsten zweihundert Schritte Richtung Himmel. Wenn sie das nicht erfolgreich löste, zog sie ausserdem auch Victor mit sich. Ganz zu schweigen von ihrem Besucher im Wohnzimmer, der bitte einfach dort bleiben und keinen Ton von sich geben sollte. Folglich war Versagen gar keine Option und wenn sie nicht lügen konnte, würde sie es jetzt wohl lernen müssen. Faye nickte etwas verzögert, trat dann einen Schritt zur Seite, um die beiden ungebetenen Gäste in die Wohnung zu lassen. Sie hatten in ihr nicht den Anschein erweckt, als möchten sie sich im Treppenhaus unterhalten, was die Brünette zwar bevorzugt hätte, um sie schneller wieder los zu werden, aber im Hinblick auf ihre hyperaufmerksamen und neugierigen Nachbarn, war das vielleicht auch nicht optimal. Jedenfalls gab ihr der Moment, in dem die beiden eintraten, ein kleines Bisschen Zeit sich zu fangen und als sie die Tür schliesslich wieder zuschob, bemühte sie sich darum, den anfänglichen Schock über den - eigentlich nicht mal so unerwarteten - Besuch zu vergessen. "Wir können uns in die Küche setzen, falls das für Sie passt", schlug sie mit wenigstens wieder einigermassen fester Stimme vor, trat dann auch ohne eine ausführliche Resonanz abzuwarten, den Weg in ebendiesen Raum an. Ein Glück, dass da ein Esstisch stand, der als plausiblen Grund für die Wahl dieses Raumes durchgehen sollte. Sie wies den Cops die zwei Stühle auf der einen Seite des Tisches zu, bevor sie sich auf die andere Seite bewegte und sich dort niederliess. Sie verzichtete darauf, etwas zu trinken anzubieten, weil das nur lächerlich höflich rübergekommen wäre, sie ausserdem so gar keine Lust hatte, die Gesetzeshüter hier länger als nötig zu unterhalten. Am liebsten keineswegs so lange, wie sie brauchen könnten, um eine Tasse Kaffee oder auch nur ein Glas Wasser zu trinken. Ihr wachsamer Blick lag indes wieder auf den Gesichter der beiden Männer, beobachtete sie, während einer von ihnen sich darauf vorbereitete, das Gesprächsprotokoll zu führen. Was ihr wiederum die unmittelbare Frage in den Kopf setzte, ob sie überhaupt reden sollte oder wie in all den tollen Filmen besser schwieg, bis sie einen Anwalt hatte. Aber das wäre lächerlich, oder? Sie war ja keine Verbrecherin oder so. Wobei sie zugleich keine Ahnung hatte, ob sie unter irgendeinem Verdacht stand oder so. Und sie durfte auch nicht darüber sinnieren, weil sonst ihre mühsam erkämpfte Fassade gleich wieder bröckeln würde und in Wahrheit war es so schon echt schwer genug, das Auf-die-Lippe-Beissen und gleichzeitige nervöse Herumnesteln mit ihren Fingern zu unterdrücken. Sie strich sich einmal durch die wahrscheinlich noch relativ zerzausten Haaren, versuchte ein Stück symbolische Ordnung zu schaffen, als schliesslich die erste der angedrohten Fragen erklang. "Sie haben gestern einen jungen Mann mit Stichverletzungen eingeliefert, ich nehme an, Sie erinnern sich..?", das war eine rhetorische Frage und so brauchte Faye auch herzlich wenig Zeit, sich eine Antwort zu basteln. "Ich erinnere mich, ja. Der, der mir weder seinen Namen noch den Grund der vorangehenden Auseinandersetzung nennen wollte, nehm' ich an", antwortete sie, weiterhin unter bestmöglicher Unterdrückung ihrer wilden Gefühlslage. "Gut möglich. Worüber haben Sie sich auf dem Weg ins Krankenhaus unterhalten? Gab es irgendwas, das Ihnen suspekt vorkam?", noch immer eher harmlos, die Brünette dachte nach und zuckte sachte mit den Schultern. "Über seinen Unwillen, mit mir zu reden, denke ich... Er litt unter einem Flashback, das mit dem Krieg zu tun hatte... Ich habe ihn darauf angesprochen, aber das war alles, was er gesagt hat... Und er wollte wissen, wie lange Sie brauchen, bis sie im Krankenhaus aufkreuzen würden. Aber das wusste ich nicht", führte sie ihre Erinnerungen an gestern Abend mehr oder weniger vollständig aus. Blieb ihr ja nicht viel anderes übrig - Gab war dabeigewesen, wenn sie ihn auch noch befragten, wäre es von Vorteil, wenn sich ihre Aussagen decken würden. Der befragende Cop nickte unter seinem Pokerface. "Mhm... Und das ist Ihnen nicht ein Bisschen suspekt vorgekommen, dass er so direkt nach der Polizei gefragt hat?", wollte er wissen, aber damit hatte die Brünette schon fast gerechnet. Also zuckte sie erneut mit den Schultern. "Nur mässig. Es ist eine spezielle Frage für jemanden, der mit einer Wunde im Bauch beschäftigt sein sollte, ja... Aber ich habe seine Verletzungen zumindest mehr oder weniger gesehen und bin eher nicht davon ausgegangen, dass sein Wille mit Euch zu reden etwas an der Tatsache ändern könnte, dass er mit Euch reden würde", murmelte sie, hob nun ihrerseits leicht eine Augenbraue an, um ihn beinahe fragend anzublicken. Als würde sie nach dem Grund für sein Versagen suchen und nicht umgekehrt. "Gehen Sie jetzt davon aus?", fragte er weiter, was sie automatisch auch die zweite Augenbraue in Richtung Haaransatz schieben liess. "Ihre Fähigkeiten in allen Ehren, aber offensichtlich ist etwas nicht nach Plan gelaufen, wenn sie uns an einem Sonntagmorgen aus dem Bett klingeln...", das liess ihn kurz sowas wie ein gefaktes Lächeln andeuten, was die Brünette ungefähr genauso herzlich erwidern konnte. "Miss Cooper, kennen Sie seinen Aufenthaltsort?", whoops, da war sie, die erste direkte Fangfrage, auf die sie nicht antworten konnte, wenn sie keine Ahnung hatte, wie viel ihre Gegenüber wussten. "Nein.", das war nicht das, was er hatte hören wollen, aber es hatte glaubwürdig geklungen, oder...? Hoffentlich. Wahrscheinlich hätte er sich mehr gefreut, wenn sie sowas wie Sicherlich im Krankenhaus gelogen hätte, aber das entsprach eben nicht der Wahrheit, die sie vorspielte. Sie wusste es nicht, weil er genauso gut im Krankenhaus wie überall sonst auf der Welt sein konnte. So zum Beispiel in ihrem Wohnzimmer, eine Tür weiter. "Darf ich fragen, warum Sie hier sind, Officers? Was ist passiert oder was hat er getan, dass sie ihn suchen? Und was gibt Ihnen das Gefühl, dass ich Ihnen bei dieser Suche behilflich sein kann? Ich bekomme selten Polizeibesuch an einem Sonntagmorgen... Oder irgendwann", drehte Faye den Spiess um, blickte ihrerseits abwartend zur anderen Seite des Tisches, während ihre innere Anspannung langsam ins Unermessliche wuchs. Wenn er ihr gleich Bilder von Überwachungskameras vor die Nase knallte, auf der sie im Gespräch mit ihrem neuen Bekannten zu sehen war, dann hatte sie nämlich ein Problem namens bitterer Erklärungsnot. Aber dann möchte sie das gerne jetzt wissen, bevor sie sich in ihren eigenen Worten verrannte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich begann gedanklich schonmal damit zu beten. Zu welchem Gott auch immer, letztlich spielte das keine Rolle. Es blieb in jedem Fall zu hoffen, dass Ryatt entweder sowieso noch schlief oder sich zumindest nicht mal ein winziges bisschen rührte, sobald die Polizisten unsere Wohnung betraten. Prompt machte sich ein unangenehmes, leicht mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breit und ich hätte sie liebend gerne direkt wieder vor die Tür geschoben. Stattdessen trat ich nur bei Seite und wahrte die ruhige Maske, die ich schon vor einer ganzen Weile erlernt hatte. Hauptsächlich wegen der Therapeuten und den ätzenden Therapiesitzungen, um mehr als nötig davon zu vermeiden, aber die Seelenklempner blickten in der Regel ziemlich schnell hinter solche Fassade und ließen sich nicht an der Nase herumführen. Es blieb wohl zu hoffen, dass die beiden Gesetzeshüter da weniger gut gewappnet waren. Ich für meinen Teil folgte dem Dreiergespann aus meiner Freundin und den Polizisten als Schlusslicht in die Küche. Setzte mich dort auch nicht gleich mit an den Esstisch, weil ich an und für sich mit der Sache ja nichts zu tun hatte - mehr oder weniger eben. Dennoch wollte ich dem Gespräch gerne folgen können, also lenkte ich mich mit der möglichst geräuschlosen Zubereitung meines Frühstücks ab. Bis auf das Schneiden von etwas Obst für das Müsli in der Schüssel machte ich mich kaum bemerkbar, folgte dem Wortwechsel mit dem Rücken zum Geschehen. Es folgte ein bisschen Geplänkel und ein paar schon vorhersehbare Fragen bezüglich dem verschwundenen nicht verschwundenen Ryatt, der auf unserem Sofa vor sich hin dösen dürfte. Zuerst ein paar wenig verfängliche, dann aber wurden die Fragen doch etwas präziser und potenziell verhängnisvoll. Ich zog die Augenbrauen etwas tiefer ins Gesicht, während ich die Milch über das Müsli schüttete. Entspannte meinen Gesichtsausdruck auch nicht, als ich zwei Meter weiter nach links zur Kaffeemaschine ging und eine Tasse drunterstellte. War mir auch nicht sicher damit, ob Faye sich am Ende einen Gefallen damit tat so direkt danach gefragt zu haben, was hier eigentlich vor sich ging und warum hier Polizisten an unserem Tisch saßen. Ich sah nach wie vor nicht zum Tisch hin, sondern wartete innerlich nervös werdend darauf, dass der Kaffee fertig durchlief, als der Befragende einmal etwas tiefer einatmete und zur Antwort ausholte. "Wir sind hier, weil wir Grund zur Annahme haben, dass Sie wissen, wo er sich aufhält. Sie sind sehr wahrscheinlich die Letzte, die sich gestern mit ihm unterhalten hat." Ich nahm die voll gelaufene Kaffeetasse heraus und drehte mich nun doch zum Tisch um. Lehnte mich allerdings lediglich an die Küchentheke, statt aufzuschließen und hielt die warme Tasse mit beiden Händen vor meinem Bauch fest. Innerlich hochfahrend, äußerlich zumindest bis jetzt keine Miene verziehend. Mein Gesichtsausdruck blieb lediglich so kritisch, wie ich das Müsli vorhin schon angesehen hatte. Der Polizist, der schon die ganze Zeit über Stichpunkte mit einem Kugelschreiber notierte, zauberte jetzt einen Fotoabzug hervor und schob ihn zu Faye über den Tisch. Aus der Ferne erkennen was darauf zu sehen war konnte ich natürlich nicht, aber das nahm mir der befragende Cop kurzerhand ab. "Ryatt Hayes hat seinem geplanten Zimmergenossen einen grauen Kapuzenpullover gestohlen und der Mann auf den Videoaufnahmen hinkt gut sichtbar, bis er angehalten und sich mit Ihnen unterhalten hat.", erklärte er und deutete auf das Bild. Ich wollte ja jetzt nicht sagen, dass ich sowas schon hatte kommen sehen... aber genau so wars. "Er wird wegen mehreren Verbrechen gesucht und hat Gebrauch von einer Schusswaffe gemacht, die er längst nicht mehr führen dürfte. Das erklärt sich Ihnen sicherlich von selbst, wo Sie doch offensichtlich von seinem psychischen Zustand wissen.", redete er weiter und so langsam formte sich ein Bild vor meinem inneren Auge. Ja, vielleicht mochte der junge Mann auf der anderen Seite der Wand nur etwas geklaut haben, aber wenn es dabei um bewaffneten Raubüberfall ging, dann sahen die Strafen dafür gleich nochmal fataler aus. "Noch ist Niemand ernsthaft zu Schaden gekommen und es liegt in unser aller Interesse, dass das so bleibt. Warum haben Sie ihn also nicht zurück ins Krankenhaus geschickt? Oder Hilfe geholt? Es konnte Ihnen ja laut eigener Aussage unmöglich richtig vorkommen, dass Mr. Hayes mit diesen Verletzungen schon entlassen worden ist.", redete er weiter und verwies Faye damit noch einmal auf ihre vorherigen Worte. Ich wiederholte die Worte des Polizisten noch ein weiteres Mal in meinem Kopf. Hauptsächlich um mich gedanklich beschäftigt zu halten, während ich mich wohl zwangsweise aus dem Gespräch heraushalten musste. Keine Möglichkeit dazu hatte, Faye in dieser Sache zu verteidigen. Jedoch fiel mir auf, dass der werte Herr nicht wortwörtlich gesagt hatte, dass Ryatt auf den Bildern der Videokamera eindeutig zu erkennen gewesen war. Grauer Kapuzenpullover und hinkt. Vielleicht formulierte er es aber auch nur sehr offen und wollte meine Freundin damit beabsichtigt aufs Glatteis führen. Es waren nicht mehr als blanke Vermutungen, was mich langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb. Allerdings konnte ich Faye ohnehin nicht sagen, wie sie darauf nun am besten reagieren sollte. Mir blieb wohl nichts übrig als vermeintlich ruhig an meinem noch etwas zu heißen Kaffee zu nippen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Sie bekam ihre Antwort ziemlich bald. Und es gefiel ihr so gar nicht, was der Polizist ihr mitteilte. Fuck. Fuck fuck fuck. Es wurde echt mit jedem Wort, das in ihre Richtung gesprochen wurde, noch um Einiges schlimmer. Das Worst Case Szenario war gewesen, dass jemand - oder eher etwas, in Form einer Kamera - sie dabei beobachtet hatte, wie sie sich mit Ryatt vor dem Krankenhaus unterhalten hatte. Das Einzige, was das noch übertreffen könnte, wäre, wenn zufällig auch dort, wo sie ihn in ihr Auto hatte steigen lassen, eine Kamera gestanden hätte. Aber das war nicht möglich, oder? Das war zu weit weg vom Krankenhaus gewesen. Sie war ja nicht ganz komplett bescheuert. Da hatte keiner sie sehen können. Aber sie hatte auch wirklich gehofft, dass das, was nun eingetroffen war, nicht passiert wäre. Und jetzt das… Sie hatte keinen Plan für dieses Drama bereitgelegt, keine Ahnung, was sie jetzt sagen sollte. Und sie war eine verdammt schlechte Lügnerin, also musste ihre erfundene Wahrheit sehr dicht am Geschehenen des gestrigen Tages liegen, damit der Schwindel nicht direkt auffiel. Faye betrachtete das Bild, welches ihr netterweise vorgelegt wurde, fast so, als müsste sie die Überraschung, die es mit sich brachte, erstmal sehr gut verarbeiten, biss dabei auf ihrer Unterlippe herum, bis sie Blut schmeckte. Und länger, weil sie auch dann noch keine Lösung gefunden hatte. Sie nickte langsam auf die Erklärung des Cops zu den Umständen von Ryatts begangenen Verbrechen, wobei sich eine wachsende Falte in der Mitte ihrer Stirn bildete. Was, wenn sie einfach sagte, dass er in ihrem Wohnzimmer lag? Das war die wahrscheinlich letzte Chance, die sie hatte, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sein Leben war nicht ihre Verantwortung, seine Taten nicht ihre Schuld. Auch wenn sie ihn dann gewissermassen in die Falle gelockt hatte. Hätte sie ihn einfach gehen lassen gestern, wäre das alles nicht passiert. Aber sie hatte sowohl verhindert, dass er sich einfach davonschlich, als auch, dass er zurück ins Krankenhaus ging. Wunderbar. Falls Victor nicht eh schon an ihrer Intelligenz und Urteilsfähigkeit zweifelte, würde er das spätestens jetzt tun, wo er die Geschichte nochmal druckfrisch von den Cops zu Ohren bekam. Ihre Augen lösten sich vom Papier, suchten bei dem Gedanken ganz von selbst nach ihrem Freund. Wobei sie den Blick auch sofort wieder senkte, kaum war er auf seinen getroffen. Das war alles beschissen. Sie wollte nicht kriminell sein, sie wollte nicht ihre Beziehung zerstören, sie wollte sich keinen Ärger einheimsen, den sie nicht brauchte... Aber sie konnte auch echt nicht einfach einen verletzten Obdachlosen ausliefern, bloss weil er den Fehler gemacht hatte, ihr gestern ein Bisschen zu sehr zu vertrauen. Sie wusste nicht, was ihm für eine Strafe blühte, aber vor der Polizei zu fliehen, milderte die Umstände sicherlich nicht. Es war schon zu viele Sekunden still, seit der Polizist seine Rede geschlossen hatte. Ihr war kotzübel und sie konnte froh sein, dass ihre Finger nicht zitterten und die Tränen sich noch hinter ihren Dämmen gefangen halten liessen. Sie konnte die Fragen nicht beantworten, weil sie keine Ahnung hatte, warum sie das nicht getan hatte. Mitgefühl war sicherlich kein plausibler Grund, der sich vor Gericht besonders gut machte. "Ich... Ich wusste das mit... den Verbrechen nicht...", setzte sie zu einer mühsamen Erklärung an, die sich aber auch auf genau diese Worte beschränkte, weil sie mehr nicht zu sagen hatte. "Ich kann Ihnen aber trotzdem nicht sagen, wo er jetzt ist...", lag ich kann es nicht sagen nahe genug an ich weiss es nicht, dass keiner mehr explizit nachfragen musste? Oder würde sie gleich mit einer kompletten Lüge geradestehen müssen, wenn sie sich nicht noch verdächtiger verhalten wollte? Sie hob erneut vorsichtig den Blick, ohne sich wirklich zu wagen, die Cops direkt anzuschauen. Betrachtete den, der es sich zur Aufgabe gemacht zu haben schien, ihr das hier möglichst unangenehm zu gestalten, dann trotzdem aus wachsamen, wenngleich auch dezent verloren blinzelnden Augen. "Ich... hab' schon damit gerechnet, dass es kein guter Plan war, ihn nicht... aufzuhalten... Und ich kann Ihnen auch keine plausiblen Gründe nennen, warum ich's nicht getan habe... Aber...", tja. Es gab leider kein Aber. Konnte sie also nur weiter verwirrt vor sich hin stottern. "Ich... das war eine beschissene Idee...", was für eine Erkenntnis, als hätte das nicht längst jeder in diesem Raum festgestellt. "Müssen Sie das jetzt meinem Arbeitgeber mitteilen..?", ihre Augen spiegelten den bettelnden Ton ihrer Stimme ziemlich gut wider, als sie diese Frage stellte. Mussten sie nicht, oder? Es hatte ja nichts mit ihrem Job zu tun, dass sie nicht fähig war, Kriminelle zur Polizei zu bringen. Und es war ausserhalb der Arbeitszeit passiert. Ausserdem war das alles zwar dumm gewesen, aber letztendlich war es ja auch nicht ihre Aufgabe, die Verbrecher zu jagen, die der Polizei aus reiner Unvorsichtigkeit durch die Lappen gingen. Es war nicht ihre Verpflichtung gewesen, Ryatt wieder nach drinnen zu begleiten. Rein theoretisch konnten Sie ihr also überhaupt nichts anhängen, weil sie nicht wissen konnten, was Faye gewusst hatte und was nicht. Die einzige Tat, die definitiv illegal war, war, dass sie in diesem Moment in ihrem Wohnzimmer ganz bewusst einen Mann versteckte, den die Polizei suchte. Alles andere war eigentlich Grauzone. Zumindest redete sie sich das ein, weil sie es sich nicht leisten konnte, hier hysterisch loszuheulen oder anderweitig die Nerven zu verlieren.
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Das war nicht wirklich eine Lüge, oder? Faye dürfte zu diesem Zeitpunkt vermutlich wirklich nicht gewusst haben, dass Ryatt ein gut begründet gesuchter Krimineller war. Selbst wenn sie es während dem Gespräch vor dem Krankenhaus herausgefunden hatte, dann konnte ihr das so keiner nachweisen. Zwar änderte das auch nichts an der Tatsache, dass sie ihn nicht zurück in die Einrichtung gebracht hatte, aber immerhin konnte man dann eher nicht sagen, dass sie ihm effektiv bei der Flucht vor der Polizei hatte helfen wollen. Weil keiner der beiden Polizisten so wirklich begeistert von den gestammelten, insgesamt doch verunsichert klingenden Worten meiner Freundin zu sein schien, schluckte ich tonlos. Musterte die beiden Gesichter nach möglichen Anzeichen dafür, dass gleich der nächste Sturm hereinbrechen würde. Die Frage von Faye zum Abschluss sorgte für nur noch mehr Unwohl in meiner Magengegend und wirklich Lust auf das Müsli hatte ich wohl auch nicht mehr. Würde sie jetzt ihren Job verlieren? Und noch viel wichtiger - würde sie mit dieser Begründung für ihre Kündigung irgendwo anders wieder einen Job als Sanitäterin kriegen? Durfte sie deswegen überhaupt gekündigt werden? Für meinen Geschmack waren das nur für diesen einen Punkt schon zu viele Fragen. Der eine Cop kritzelte weiter auf seinem Papier rum, der andere atmete schließlich tief ein und seufzend wieder aus. Sichtlich unbeeindruckt davon, dass die Brünette offensichtlich Angst davor hatte ihren Job zu verlieren. "Können sie es nicht sagen, weil sie es nicht wissen, oder weil er sie bedroht hat, oder weil...?", hakte er zuerst einmal was diese Sache anging weiter nach und gab sich mit ihrer vorherigen, eher schwammigen Aussage keineswegs zufrieden. "Was hat er denn zu ihnen gesagt, als sie sich mit ihm unterhalten haben? Und was war danach? Sind sie direkt nach Hause gefahren?", bohrte der Polizist noch weiter nach. Am liebsten hätte ich sofort ein 'Ja, ist sie.' in den Raum geworfen, obwohl das sicherlich nur eine wenig effektive Verteidigung wäre. Dann hatte sie ihm offiziell zwar nicht erst noch zu seinem Truck gefahren - denn dafür hatten sie scheinbar keine Beweise, würde er sonst doch nicht so blöd fragen, was passiert war -, aber die Unterhaltung hatte dann trotzdem stattgefunden und sie hätte ihn dennoch eigentlich zurück ins Krankenhaus bugsieren müssen. Egal wie man es drehte und wendete, die entscheidende Tatsache lag nun schon auf dem Tisch und die Situation war beschissen, gelinde gesagt. "Unabhängig davon, ob wir es mitteilen müssen, wird ihr Arbeitgeber sowieso davon erfahren. Wir werden die Verantwortlichen des Krankenhauses bezüglich der Ermittlungen auf dem Laufenden halten, weil sie ein eigenes Interesse daran haben, dass Mr. Hayes gefunden wird. Schließlich lag er in der Obhut des Personals und die Einrichtung wird mindestens die Kosten für die Suche nach ihm übernehmen müssen, was sich allein schon auf mehrere tausend Dollar belaufen wird. Eben je nachdem, wie lang er unauffindbar bleibt. Auch davon abgesehen wäre es wirklich schlechte Publicity, wenn er jetzt sterben oder gar weitere Verbrechen begehen würde. Also ja - ihr Arbeitgeber wird davon erfahren, was bei unserem Gespräch herauskam. Was die Personalabteilung dann mit dieser Information macht, liegt nicht in unserer Hand.", holte er gleich mit dem nächsten Brett aus, um es Faye - und damit auch mir - vor den Kopf zu knallen. Ich nahm die rechte Hand von der Kaffeetasse und legte sie mir einfach vors Gesicht, senkte den Kopf dabei ein wenig. Dabei fielen mir einige meiner zu dieser Tageszeit noch wirren Strähnen über die Finger und ich begann mir schließlich die Schläfen zu massieren. Leider war das gegen die Anspannung nur minder effektiv. Ryatt zu verpfeifen war auch keine Lösung, oder? Half das Faye? Dann hätte sie immerhin etwas weniger fahrlässig gehandelt, weil sie ihn zumindest in ihrer Obhut gelassen hätte. Sie war vielleicht kein Arzt, aber sie verstand etwas von solchen Verletzungen und hatte auch auf dem Schlachtfeld einige sehr unschöne, fatale Wunden versorgen müssen. War es glaubwürdiger, dass sie nichts von seinem kriminellen Hintergrund gewusst hatte, wenn sie ihn bei sich Zuhause schlafen ließ? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Allgemein standen zu viele Vielleichts im Raum, als dass ich den Kerl auf dem Sofa verpfeifen konnte. Zu viele Ungewissheiten und außerdem auch etwas zu viel Menschlichkeit meinerseits.
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Dieses ganze Gespräch war ein einziger, riesiger Alptraum. Und es wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Sie konnte die unnachgiebige Schlinge, welche sich um ihren Hals zog, förmlich in ihre Haut schneiden spüren und sah dabei immer klarer vor sich, dass genau gar nichts sie davor bewahren würde, richtig übel auf die Schnauze zu fliegen. Ziemlich zeitnah sogar, denn die Luft wurde langsam dünner. "Was..? Nein, ganz bestimmt nicht", war ihre erste verwirrte, von einem Kopfschütteln begleiteten Reaktion auf die Frage, ob Ryatt sie denn bedroht hatte, um die polizeiliche Suche zu behindern. Er hatte sie keineswegs bedroht. Nur darum gebeten, einfach zu gehen und ihnen beiden keine unnötigen Schwierigkeiten zu machen. "Ich kann es nicht sagen, weil ichs logischerweise nicht weiss - er wäre kein besonders intelligenter Krimineller, wenn er mir erzählt hätte, wo er vor hat, sich vor der Polizei zu verstecken, denke ich. Ist nicht so als hätte ich ihm tausend Gründe gegeben, mir zu vertrauen", stützte sie ihre Lüge auf einer mehr als plausiblen Logik, die doch dabei half, irgendwie glaubwürdiger zu sprechen. Auch wenn noch immer alles sehr rhetorisch klang und ihre Stimme sich so dünn weiterzog wie sie zuletzt geendet hatte. Es konnte eben keiner etwas dagegen einweden, dass das die absolut logischste Variante des Geschehens war. Dass sie dabei trotzdem nicht der Wahrheit entsprach, war ein anderes paar Schuhe. Faye atmete mühsam durch, versuchte durch den Sturm in ihrem Kopf das Gespräch des gestrigen Tages zu rekonstruieren, um dem Cop die vermeintlich gewünschten Informationen um die Ohren hauen zu können. "Natürlich bin ich nach Hause gefahren, es war ja auch schon fast halb Zwölf... Das ist keine Zeit für gemütliche Stadtrundfahrten oder Einkaufstouren nach der Arbeit...", beantwortete sie zuerst ohne lange zu zögern den einfacheren Teil der Fragen, bei dem sie nichtmal drüber nachdenken musste, ob sie lügen oder die Wahrheit erzählen wollte, da die Wahrheit ganz einfach nicht zur Auswahl stand. Der Rest war dann etwas komplizierter, weshalb sie wieder schwieg, ihre Unterlippe zwischen die Zähne klemmte und erst ihre Gedanken ordnete - als gäbe es dabei wirklich Aussicht auf Erfolg... haha... "Ich habe gefragt... warum er nicht im Krankenhaus bleibt... Und... und ob er... ob er jemandem etwas getan hat... und darum auf der Flucht ist... Weil ich eben genau das hier nicht wollte", sie hatte keine Ahnung, wie geschickt oder ungeschickt es war, so nahe an der Wahrheit zu bleiben. Aber sie konnte nicht gut genug lügen, um eine erfundene Geschichte bei Bedarf mehrmals in der gleichen Version, vollkommen widerspruchsfrei zu erzählen, ohne mit der Wimper zu zucken und sich selber in den Details zu verfangen. Sie konnte nur sagen, wie es gewesen war - auch wenn das kein besseres Licht auf sie warf. Mit etwas Pech wurde das nur gleich zum nächsten Strick, an dem sie sich letztendlich selbst aufhängte, weil es so deutlich machte, dass ihre Empathie ihr sachliches Denken dezent überstieg. Was sie je nach Gesichtspunkt entweder sehr perfekt oder einfach absolut ungeeignet für ihren Job machte. "Ich wollte wirklich keinem Kriminellen auf der Flucht helfen... Aber... er hat Nein gesagt... Und mir erklärt, dass er niemanden verletzt hat und es auch niemals vor hat... Und das... das war die Wahrheit und ich war mir... wirklich sicher, dass es die Wahrheit war...", Faye hatte aufgehört, die Polizisten beim Reden anzuschauen, weil sie ihre emotionslosen, unbeeindruckten Gesichtsausdrücke kaum aushielt. Am liebsten hätte sie sie angeschrien um ihnen zu erklären, dass sie sich doch bitte um die fetten Fische in ihrem Teich kümmern sollten, anstatt hier Plankton zu jagen. Aber Plankton war eben einfacher zu fangen - besonders dann, wenn es von Stichwunden im Bauch und Oberarm auch noch so geschwächt war. Plankton verschaffte dem auf Erfolg gedeihenden Selbstwert von Cops dieser Sorte schneller den heissbegehrten Boost, den sie erlebten, wenn sie den Schlüssel einer Gittertür vor der Nase eines Verbrechers drehen und im Ausmass ihrer überlegenen Macht baden konnten. "Er hat gesagt, er komme schon klar... und ich habe gesagt, dass er mindestens die nächsten 24 Stunden nicht alleine sein und sich nicht anstrengen sollte... und dass er mich anrufen soll, wenn etwas ist... aber er hat nicht angerufen. Also nein - ich habe keine Nummer. Und ich weiss auch nicht, wo er hingegangen ist", schloss sie ihre Erklärung mit einem alternativen Ende, hatte wirklich nicht vor, noch mehr dazu zu sagen. Dass dann der Teil kam, bei dem sie nach Hause gegangen war, konnten sich die Typen selber denken, oder? Jedenfalls hatte sie nicht vor, das noch extra zu erwähnen, während ihre Augen wieder durch das Bild vor ihr auf dem Tisch starrten. Auch während der unbarmherzigen Erklärung, die ihr bezüglich der offenbar nicht vorhandene Privatsphäre gegenüber ihrem Arbeitgeber danach ins Gesicht geschleudert wurde. Wieder zogen ihre Augenbrauen sorgenvoll in Richtung Haaransatz und sie konnte förmlich spüren, wie ihr Herz in sich zusammensank, während ihr so langsam die Ressourcen ausgingen, um die Dämme aufrecht zu erhalten, hinter denen sich ihre Tränen stauten. Sie hatte hart darum gekämpft, nach Syrien wieder in dieses Berufsfeld einsteigen zu können. Ihr Arbeitgeber und das ganze Team waren unendlich verständnisvoll gewesen, hatten ihr den Wiedereinstieg so leicht wie möglich gestaltet und mehr als einen Ausrutscher ihrerseits ignoriert, die ihr anderorts einzeln schon den Job gekostet hätten. Es war nicht so, dass sie die meiste Zeit ihre Arbeit schlecht machte, das glaubte sie nicht, weil sie oft genug das Gegenteil gesagt bekam. Aber irgendwann war die Geduld zu Ende. Und ein solch fataler Fehler wie dieser, der seinerseits irgendwie unschwer wieder mit ihrem Trauma in Zusammenhang zu bringen war, durfte einfach nicht passieren, konnte sehr leicht der finale Todesstoss für dieses Arbeitsverhältnis sein. Es war naheliegend, dass niemand ihr das mehr durchgehen liess, sie jetzt letztendlich doch durch eine zuverlässigere, ausgeglichenere und weniger emotionsmissgeleitete Person ersetzt wurde. Jetzt, wo sie endlich das Gefühl hatte, angekommen zu sein und ein mehr oder weniger geregeltes Leben führen zu können. "Warum..?? Warum soll es meine Schuld sein, dass Sie ihre hinkenden, verletzten Kriminellen in die Nacht spazieren lassen?? Bloss weil ich zum falschen Zeitpunkt zur Tür raus gegangen bin?!", sie wollte gar nicht wirklich eine Antwort auf diese Fragen. Es war mehr die aufkeimende Verzweiflung, die aus ihr sprach und sich Gehör verschaffen wollte. Die es einfach absolut unfair fand, dass sie Steuergelder dafür bezahlte, ihren Job zu verlieren und Obdachlose jagen zu lassen, wo diese Stadt und das ganze Land doch viel grössere Probleme zu lösen hätte. Sie wünschte sich gerade nichts sehnlicher, als dass die beiden sie einfach in Frieden liessen, sagten, dass sie Recht hatte und sie ihr in Wahrheit überhaupt nichts anhängen konnten, sie ausserdem besseres zu tun hatten, einen schönen Tag wünschten und sich endlich verpissten, bevor der Schaden, den sie anrichteten, irreparable Ausmasse annahm. Falls das nicht längst geschehen war.
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Je länger Faye sprach, desto schwerer erträglich wurde das Ganze. Es war für mich einfach überdeutlich herauszuhören, wie hart sie an der Grenze ihrer Selbstbeherrschung war. Wie sehr sie sich auf einem immer schmaler werdenden Grat bewegte, weil ihre doch langsam emotionaler werdenden Aussagen eben nicht unbedingt dazu beitrugen, dass sie weniger aufgewühlt wirkte. Nicht, als würde ich ihr das vorwerfen - es mochte ja ihre Entscheidung gewesen sein, aber sie hatte wohl genauso wenig wie ich selbst damit gerechnet, dass die Cops gleich am nächsten Morgen vor der Tür stehen würden. Andernfalls hätte ich Ryatt schließlich nicht hier bleiben lassen. Ich brauchte nicht einmal zu ihr hinzusehen, um zu wissen, an welchem Punkt sie emotional gerade angekommen war. Selbst kleinste Nuancen and Veränderungen ihrer Tonlage hörte ich mittlerweile spielend leicht heraus und gerade war das noch nicht einmal schwer. Ich wäre wahnsinnig gerne zu ihr rüber gegangen, nur um sie vom Stuhl hoch und in meine Arme zu ziehen. Weil mir die beiden Herren auf der anderen Seite des Tisches bisher aber eher wie stumpfe Marionetten des Staats vorkamen und weniger wie menschlich mitfühlende Wesen, war das wohl eher keine so gute Idee. Zum Teufel mit Amerika. Das bisschen Ausbildung, das man hier für die Ausübungen des Berufs Polizist brauchte, war wirklich nichts als erbärmlich enttäuschend. "Waren Sie Zuhause und können das bestätigen, Mr...?" Es dauerte einen kurzen Moment, bis mein Gehirn umschaltete und merkte, dass der Kerl mit mir sprach. Ich hob also den Kopf wieder aus der Hand an und sah zu den beiden rüber, nur um mich restlos zu versichern, dass wirklich ich gemeint war. Dann aber stieß ich mich mit einem schwachen Nicken von der Theke ab, um zu Faye aufzuschließen. Um meinen Nachnamen herauszufinden hätten sie auch einfach das Klingelschild lesen können, aber gut - ich wollte mal nicht so sein. Wenn ich mich hier schon mehr oder weniger an Fayes teilweise sehr grenzwertigen bis nicht ganz ehrlichen Antworten beteiligte, dann konnte ich mich wohl auch im selben Zug nochmal vorstellen. "Rivera. Und ja, kann ich bestätigen.", hielt ich mich mit meiner eigenen Aussage eher knapp, bejahte aber. An sich klang ich wohl auch ruhig, aber unterschwellig etwas gereizt. Konnte man mir in meinen Augen aber auch nicht übel nehmen, so wie sie die zierliche Brünetten hier Stück für Stück auseinander legten. Ob Fayes Entscheidung dabei am Ende richtig oder falsch gewesen war spielte für mich überhaupt keine Rolle. Sorgte Jemand dafür, dass sie sich nicht gut fühlte, machte er sich damit zwangsweise unbeliebt bei mir. Der Cop nickte auf meine Worte hin jedenfalls nur einmal und sah dann wieder zu meiner Freundin, als sie wohl auch das letzte bisschen Fassung noch abgab und die Fassade endgültig zu bröckeln begann. Der Polizist war blinzelnd im ersten Moment ein bisschen mit diesen emotionsgeladenen Fragen überfordert, zog nun seinerseits die Augenbraue etwas nach oben. Noch bevor er zur Antwort ausholte, streckte ich die freie Hand nach Fayes Schulter aus und begann sie mit dem Daumen etwas zu streicheln. "Es ist nicht ihre Schuld, dass er aus ärztlicher Obhut geflüchtet ist, weil er nicht für seine Taten geradestehen möchte. Ohne jeden Zweifel hätten sie es aber verhindern können.", war sein Fazit mit einem kaum sichtbaren Schulterzucken dazu und ich hätte wahnsinnig gerne die Augen verdreht, um ihm deutlich zu machen, wie dämlich er gerade klang. War wohl kaum so, als hätte Faye auf ihre Fragen unbedingt eine Antwort gewollt. "War es das dann jetzt, Officers? Brauchen Sie noch irgendwas?", stellte ich ihnen die Frage danach, ob sie sich nicht gerne langsam mal wieder verdrücken wollten. Weil sie meine morgendliche Ruhe und mein allgemeines Wohlbefinden störten - allem voran aber meine Freundin zerpflückten, als wäre sie eine frisch aus dem Ofen geholte Weihnachtsgans. Sein Blick wanderte also zurück zu mir, bevor er zu seinem Begleiter sah. Der wiederum nickte und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. "Für's erste, ja.", folgte auch noch eine mündliche Bestätigung darauf, dass sie an Aussagen offenbar erst einmal alles hatten, was sie sich hatten holen wollen. "Sollten rechtliche Konsequenzen oder anderweitig eine Vorladung auf Sie zukommen, werden Sie darüber natürlich umgehend auf dem Postweg informiert. Diktieren Sie meinem Kollegen aber doch bitte noch eine Nummer, unter der Sie für weitere Rückfragen erreichbar sind." Das übernahm ich kurzerhand einfach selbst, weil ich Fayes Handynummer wohl selbst im Schlaf auswendig hätte aufsagen können. Nachdem die Telefonnummer notiert war, schob der Schreibende der Brünetten das Klemmbrett mitsamt Kugelschreiber und kurzer Erklärung unter die Nase, weil sie auf dem letzten Blatt wohl eine Unterschrift zu ihrer Aussage setzen musste. Kaum hatte die junge Frau das erledigt, löste ich meine Hand wieder von ihrer Schulter und machte eine eindeutig ausladende Handbewegung in Richtung Flur. Es dauerte noch einen kurzen Moment, bis die menschliche Schreibmaschine ihren Kram inklusive dem Foto wieder zusammengepackt hatte, dann aber standen sie beide auf und schoben nur noch die Stühle zurück an den Tisch, ehe der einst befragende Cop sich mit den Worten "Schönen Tag noch, Miss Cooper." verabschiedete. Der meinte diese Floskel scheinbar wirklich ernst, obwohl sie kaum ironischer hätte sein können. Ich folgte den beiden noch bis zur Wohnungstür und entließ sie zurück in den Hausflur. Lächelte ihnen eher künstlich noch zu, als sie sich auf den ersten Treppenstufen nach unten noch einmal halb zu mir umdrehten, dann schloss ich die Tür. Mit einem tiefen, angestrengten und doch auch etwas aufgeschmissenen Seufzen versuchte ich die Szenen von gerade eben erst einmal kurz sacken zu lassen, bevor ich mich nach einem Schluck Kaffee schon jetzt erschöpft von diesem Tag auf den Rückweg in die Küche machte. Ich sagte erst einmal gar nichts, während ich das Müsli von der Theke einsammelte und es mit dem Kaffee zum Tisch trug. Wusste auch ehrlich gesagt nicht, was ich hätte sagen sollen, als ich mich schließlich auf den freien Stuhl neben meiner Freundin sinken ließ. Deshalb rutschte ich letztlich einfach nur mit meinem Stuhl direkt neben ihren und streckte meinen Arm nach ihren schmalen Schultern aus. Vielleicht sollte ich ihr noch immer wegen diesem ganzen Schlamassel böse sein, aber ich konnte es ja doch nicht, wenn ihr all das so unheimlich nahe ging.
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