Sie hatte ihre aufgekratzten Nerven noch kein Stück beruhigt, als die Beifahrertür vorsichtig aufgezogen wurde und sich das heutige Opfer ihres zu ausgeprägten Helfersyndroms nach drinnen quälte. Normalerweise machte sie keine solchen Fehler. Normalerweise war sie eine ausgesprochen gesetzeskonforme Durchschnittsbürgerin. Aber normalerweise traf sie auch keine kleinkriminelle Kriegsveteranen, die nur, weil sie von irgendwem abgestochen worden waren - der wohlbemerkt höchstwahrscheinlich ohne Strafe davonkam, weil sie nicht annahm, dass die Polizei allzu viele Steuergelder in seine Fahndung investierte - jetzt zur Rechenschaft für irgendwelche dummen Fehler gezogen werden sollten. Fehler, die sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf den Schaden zurückführen liessen, den der Krieg hinterlassen hatte. Faye wartete, bis er sich angeschnallt hatte, bevor sie den Wagen möglichst vorsichtig zurück auf die Strasse lenkte, dabei aber natürlich nicht verhindern konnte, dass der Bordstein zwei wohl nicht besonders angenehme Schläge auslöste. Dabei erklärte er ihr auch bereits, wohin er denn gerne eskortiert werden würde, nannte einen Truck irgendwo da, wo sie heute schon einmal gewesen waren. Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, bevor sie nickte und erstmal ohne weitere Fragen diese Richtung ansteuerte. Wieso hatte er ihr nicht die Adresse eines hübschen Apartments nennen können..? Ein Truck, in dem sein ganzes Zeug drin war, stellte sie fast zwangsläufig in sehr kurzer Zeit vor das nächste Problem. Sie konnte immer noch hoffen, dass er das Auto da nur abgestellt hatte und dann nach Hause fahren würde (auch wenn er gerade eher nicht im Stande war, ein Auto zu lenken). Aber eigentlich wusste die Brünette ganz genau, was das bedeutete. Sie hatte nur bis jetzt irgendwie überhaupt nicht darüber nachgedacht. War automatisch davon ausgegangen, dass er sich auf der Strasse nur gestritten hatte und vorher wie nachher nach Hause gehen konnte. Wenn er tatsächlich obdachlos war, was machte sie dann? Ihn auf der Strasse abladen und hoffen, dass er sich einfach so, ohne weitere medizinische Kontrolle, von seinen Gebrechen erholte? Dass er nicht nochmal angegriffen wurde, jetzt, wo er doch sehr nahe an wehrlos war? Vielleicht wäre es sogar besser für ihn gewesen, wenn sie ihn der Polizei überlassen hätte. Er mochte daran nicht glauben und das war verständlich, aber wenn sie ihn festgenommen hätten, wäre wenigstens die medizinische Versorgung gewährleistet gewesen und ein paar Wochen ein Dach überm Kopf. Wenn er niemanden verletzt hatte, würde er sicher nicht zu lange hinter Gitter wandern, oder? Und wenn er dann wieder rauskam, hatte er vielleicht eine bessere Chance, wieder vorne anzufangen... Oder auch nicht - siehe Beispiel Mitchell Warwick. Ach verdammt. Wahrscheinlich war sie es, die dringend mal wieder ein Bisschen psychische Betreuung nötig hatte, damit sie aufhörte, solche Dinge nach Bauchgefühl und Mitleid durchzuziehen. Faye war froh, als ihr Beifahrer das Wort ergriff und somit ihre wirbelnden Gedanken unterbrach, ein Bisschen ihrer Aufmerksamkeit forderte, indem er sich selbst tatsächlich mal einen Namen gab. Ihr Mundwinkel zuckte ein wenig nach oben, wie sie auch eine Augenbraue anhob und kurz in seine Richtung blinzelte. "Ich schätze, es hätte dir wohl besser gepasst, wenn du mich heute nicht kennengelernt hättest... Aber ja, freut mich auch, Ryatt", antwortete sie mit dem gleichen ironischen Unterton, weil diese Gefühle wohl auf Gegenseitigkeit beruhten. Hätte er die Messerstecherei nicht erlebt, hätte er nicht ins Krankenhaus gemusst und hätte sie ihn dort nicht aufgegabelt, würde sie jetzt nicht knietief in potenziellen Schwierigkeiten stecken. "Ich bin Faye", beantwortete sie seine nachfolgende Frage, stellte sich ihm damit ein zweites Mal an diesem Tag vor. Dass er es beim ersten Mal nicht mitbekommen hatte, war aber nicht weiter schlimm, er war weder der Erste noch der Letzte, der ihr bei der knappen Vorstellung etwas weniger Aufmerksamkeit schenkte, als es brauchen würde, um die vier Buchstaben im Kopf zu behalten.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Es ließ sich nur schwer verneinen, dass es mir lieber gewesen wäre sie heute nicht zu treffen. Zumindest in ihrer Uniform als Krankenwagenbesatzung hätte ich sie mir gerne erspart, ja. Logischerweise hätte ich auch auf die Verletzungen bestens verzichten können, aber an denen war ich bis zu einem gewissen Grad leider selbst schuld. Ich würde mich von nun an wohl besser davor hüten Sean noch einmal dermaßen zu reizen, dass er der Meinung war sein Messer zücken zu müssen. An und für sich hatte ich aber nichts gegen die Bekanntschaft mit der Brünetten, weil sie mir grundsätzlich kein schlechter Mensch zu sein schien. Es ließ sich kaum anders als durch ein etwas zu gutes Herz erklären, dass sie mich jetzt gerade zu meinem Truck fuhr und sich dadurch potenziell Probleme einbrockte, die sie definitiv nicht hätte kriegen können, wenn sie mich einfach rechtmäßig verpfiffen hätte. "Was die Sache mit dem dreckigen Messer in meinem Körper angeht... ja.", bestätigte ich sie schmunzelnd darin, dass ich auf den Krankenhausaufenthalt und die damit verbundenen Komplikationen wirklich bestens hätte verzichten können. Das Leben spielte aber eben nur selten so, wie man das gerne hätte und ich hatte langsam aber sicher wirklich das Gefühl, dass all die Jahre bei der Army vor meinem Fall für mich zu glatt gelaufen waren. Dass, wer auch immer dafür verantwortlich war, einfach Spaß daran hatte, mich jetzt einer Scheiße nach der anderen auszuliefern und mich absichtlich zu quälen. Faye war so gut mir ihren Namen noch ein zweites Mal zu nennen und ich nahm ihn mit einem Nicken, sowie einem schwachen Lächeln zur Kenntnis. Ich ließ es mir nicht nehmen daraufhin einen Moment lang noch ihre feinen Gesichtszüge zu mustern, drehte erst danach den Kopf wieder nach vorne. War froh darüber, dass die Wunde beim Fahren zumindest deutlich weniger Zicken machte als beim Laufen. Wo die Straße nicht vollständig eben war ließ das eine oder andere Ziepen zwar nicht vermeiden, aber es war auszuhalten. Ich konnte dann nicht anders als während der Fahrt einen kurzen Blick unter den unteren Saum des Pullovers zu werfen, um danach zu sehen, ob an dem Wundpflaster schon Blut zu sehen war. Bisher war da nur ein einziger, eher kleiner Fleck, den ich so zur Kenntnis nahm und dann ließ ich den Stoff auch schon wieder sinken. "Aber abgesehen davon bin ich eigentlich froh drüber, dass du mit von der Partie warst. Ich glaube nicht, dass mir der alte Sack oder der Schisser jetzt geholfen hätten.", gab ich den anderen beiden Sanitätern, von denen mir nur die Gesichter und der eine Schlag gegen die Hand im Gedächtnis geblieben waren, ihre ganz eigenen Titel, während Faye das Auto weiter die Straße entlang lenkte. Es ließ sich doch etwas leichter und schneller im nächtlichen Verkehr ins Viertel kommen als tagsüber. Zwar war Wochenende, aber die meisten jungen Wilden saßen um diese Uhrzeit sicher schon längst an der Bar und waren nicht noch auf dem Weg zu jener. So jedenfalls meine Theorie dazu. Ich war wohl schon aus dem Alter raus, in dem man gerne feiern ging. Ein paar gemütliche Bier waren okay, aber mehr brauchte ich schlichtweg nicht mehr. Jedenfalls lotste ich die junge Frau hinterm Steuer ganz gezielt weiter zu meinem Truck, der dann schließlich auch in einer Parklücke am rechten Straßenrand zu sehen war. Die Straße war nicht viel befahren und eigentlich parkten hier sonst nur Anwohner, weshalb ich mir um eine zeitliche Begrenzung auf diesem Parkplatz keine Sorgen machen musste. Ein Strafzettel, den ich nicht bezahlen konnte, war gerade nicht unbedingt das wonach mir der Sinn stand.
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Es hätte sie auch wirklich schwer verwundert, wenn er etwas anderes darauf gesagt hätte. Wahrscheinlich würde sich kein Mensch diesen Vorfall für sich selbst wünschen und ausserdem war es ja genau die Sache gewesen, die ihm dann den ganzen unliebsamen Rest heute eingebrockt hatte. Die doch recht lockere Art, wie er mit ihr redete, wie auch die Tatsache, dass sie langsam doch etwas Distanz zwischen sich und das Krankenhaus gebracht hatten und bislang noch keine Polizeisirenen zu hören waren, liess Faye dann auch langsam etwas durchatmen und die Begebenheiten etwas pragmatischer sehen. Schlimmstenfalls würde sie von der Polizei eingeladen werden und musste sich dafür verantworten, warum sie sich mit Ryatt unterhalten, dann aber trotzdem nicht Alarm geschlagen hatte. Und bis es dazu kam, würde sie sich eine gute Ausrede überlegen. Es war aber auch gut möglich, dass keiner das überhaupt mitbekommen hatte, oder? Und dann hätte ihr kleiner Ausflug hier überhaupt gar keine Folgen. Und darauf wollte sie jetzt erstmal hoffen, während sie sich zugleich einen Plan B zurechtlegen konnte. Und eine Erklärung für ihren Freund, dem sie das alles noch beichten musste... Sie könnte es ihm natürlich auch verheimlichen, indem sie lediglich die Tatsache erwähnte, dass sie einen Kriegsveteranen aufgegabelt und behandelt hatte und sie das ziemlich fertigmachte. Aber es war allseits bekannt, dass solche Halblügen in ihrer Beziehung jeweils das grössere Desaster auslösten, als die Wahrheit an sich es je könnte... Faye sah im Augenwinkel, wie er sich den Wundverband anschaute, sah aber vorerst davon ab, ihn nach dem Ausmass der Verletzung zu fragen, da er gleich darauf lieber noch ein paar Worte zum vorangehenden Thema von sich gab. Sie lächelte leicht bei dieser Aussage, schüttelte dann etwas den Kopf. "Die sind beide ganz in Ordnung, Jackson ist ein todlieber Mensch und Gab in der Ausbildung, also einfach noch etwas unerfahren", verteidigte sie ihre Mitarbeiter, die sie alles in allem doch mochte. Zumindest diese zwei. "Vielleicht halten sie auch einfach etwas mehr von den Gesetzen und dem Justizwesen dieses Landes als ich...", schob sie etwas leiser nach, bekannte sich damit wohl ein weiteres Mal eher kritisch eingestellt gegenüber den Regeln und Normen, die teilweise so rigoros durchgesetzt werden sollten. Wenn man eben nicht in Begleitung eines superteuren Staranwalts vor Gericht erscheinen konnte. Die Brünette lenkte das Auto seinen Anweisungen folgend durch die Strassen, welche sie tatsächlich in die gleiche Richtung führten wie wenige Stunden zuvor. Und es dauerte auch diesmal nicht lange, da schienen sie sich ihrem Ziel zu nähern, bis Ryatt schliesslich das finale Stop bekanntgab. Das war es dann auch, was ihr Unbehagen wieder steigerte, als ihre Augen auf den Truck fielen, den er wohl sein eigen nannte. Einen Moment begutachtete sie das Auto, dann wanderte ihre Augen von selbst zurück zu ihrem Beifahrer, den sie nachdenklich betrachtete - nicht ganz so, als möchte sie ihn jetzt einfach ausladen und dann selber abfahren. "Entschuldige die Frage, aber... wohnst du... in dem Truck..?", rang sie sich schliesslich selbst dazu durch, die Worte auszusprechen, die ihr schon seit der Erwähnung dieses Fahrzeuges durch den Kopf spukten. Sie wusste, dass sie das im Grunde überhaupt nichts anging. Dass er ihr darauf selbstredend auch nicht antworten musste. Aber es war halt trotzdem scheisse. Er hatte kein fliessendes Wasser hier, kein frisches Verbandszeug, vielleicht nichtmal Schmerzmittel. Kein Bett. Niemand, der da war, wenn es Komplikationen geben sollte.
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Es war nicht weit hergeholt, dass Faye - im Gegensatz zu ihren Kollegen - vielleicht nicht ganz so begeistert von dem Raster der amerikanischen Justiz war. Inwieweit Jackson und Gab in Ordnung waren konnte ich nicht beurteilen. War also sehr gut möglich, dass sie damit schon recht hatte. Zwar sah ich das Ganze nicht wirklich nur Schwarz und Weiß, aber mir war dennoch schon häufiger aufgefallen, dass Frauen eher dazu neigten das vermeintlich Richtige zu tun, als sich strickt an vorgegebene Regeln zu halten. Vielleicht lag das einfach am genetisch veranlagten Instinkt - nicht unbedingt spezifisch mütterliches Getue, weil die ganz hübsche Brünette doch sehr weit davon entfernt war meine Mutter zu sein, aber doch irgendwas Ähnliches in dieser Richtung. Damit wollte ich jetzt nicht sagen, dass mir nicht auch ein Mann hier und jetzt unter die Arme hätte greifen können, aber ich hielt es allem in allem ganz einfach für unwahrscheinlicher. "Gut möglich.", war am Ende also alles, was ich dazu noch sagte. Damit bezog ich mich auf beide ihrer Aussagen, weil für mich einfach beides blankes Mutmaßen wäre. Sie konnte das besser einschätzen als ich, also äußerte ich mich nicht weiter dazu. An meinem Wagen angekommen brauchte ich aber doch noch einen kurzen Moment, um mich zu sammeln. Fürs Aussteigen, weil ich einfach wusste, wie anstrengend und schmerzhaft das jetzt schon wieder werden würde, obwohl ich mich gerade erst fast sowas wie von meinem Alleingang in und vor der Klinik erholt hatte. Das gab Faye scheinbar ausreichend Zeit dafür sich noch etwas genauer nach meinen Lebensumständen zu erkundigen. Wieder war sie damit für mein Empfinden eigentlich eine Spur zu neugierig. Einfacher wäre es für mich jetzt sicherlich gewesen, wenn ich ihr nur nochmal meinen Dank ausrichten und dann ohne Weiteres hätte aussteigen können. Wenn das dieses Mal dann wirklich der Moment geworden wäre, in dem sich unsere Wege abrupt und auch endgültig trennten. Unter anderen in diesem Viertel wohnenden - oder campierenden - Leuten brauchte ich mir keine Gedanken darüber zu machen, was es für ein Licht auf mich warf, dass ich nur ein Auto mein Eigen nennen konnte und ansonsten kein Dach über den Kopf hatte. Es gab andere, die es noch schlimmer getroffen hatte. Die wirklich gar nichts außer ein dürftiges Zelt unter einer Brücke hatten, das sie sich am Ende noch mit irgendwelchen extrem drogenabhängigen Leuten teilen mussten, um keinen Ärger zu kriegen. Trotzdem war es für meinen Scherbenhaufen aus Stolz nicht unbedingt angenehm diese Frage jetzt von einem Normalo gestellt zu bekommen. Deswegen seufzte ich auch leise und senkte den Blick für den Moment auf meinen Schoß, wollte sie dabei ungern ansehen. Natürlich könnte ich Faye auch einfach sagen, dass sie das nichts anging, aber sie würde mir wohl kaum einen Strick aus meiner Wohnsituation drehen wollen. Zumindest fiel mir dafür auf Anhieb kein plausibler Grund ein. "Ja. Eine Wohnung kann ich mir nicht mehr leisten und er ist zumindest besser als gar kein Dach über dem Kopf. Anderen geht's schlechter.", versuchte ich das Ganze irgendwie ein bisschen runterzuspielen, nur um mich selbst etwas weniger scheiße dabei zu fühlen. Allerdings half das nur wenig bis gar nicht, also räusperte mich im verzweifelten Versuch das leicht beklemmende Gefühl loszuwerden, bevor ich die Hand and den Türgriff legte und die Beifahrertür aufschob. Ich hegte die leise Hoffnung, dass Faye es jetzt dann einfach gut sein lassen und mich meiner Wege gehen lassen würde, damit ich mich nicht noch erniedrigter fühlen musste. Also halt nicht mehr, als ich das ohnehin schon tat, während ich mich vom Beifahrersitz nach draußen hievte. Ich wäre dabei fast wieder in den Sitz zurückgefallen, weil die Wunde so heftig stach, dass ich beinahe reflexartig die Hand vom Türrahmen, an dem ich mich festhielt, genommen hätte. Zur Hölle mit Sean.
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Je länger sie darüber nachdachte, umso mehr Sinn schien dieser ganze Abend langsam zu ergeben. Sie hatte es sich bis vorhin nicht wirklich überlegt, weil sie diese Möglichkeit nunmal nicht automatisch in Betracht zog, aber eigentlich hätte sie selber darauf kommen können, dass der junge Mann kein richtiges Zuhause mehr hatte. Es passte doch alles sehr gut in dieses Bild, das sich nun vor ihrem inneren Auge zeichnete. Von der Meinungsverschiedenheit, die ein Messer inkludierte, über sein Kriegstrauma, das ein normales Leben so schwierig machte, bis hin zu seinem Haarschnitt - und das meinte sie nicht abwertend, es passte einfach ebenfalls wie die Faust aufs Auge. Sogar das mit seinem kriminellen Hintergrund machte mittlerweile Sinn. Und langsam hegte sie doch so gut wie keine Zweifel mehr daran, vorhin das Richtige getan zu haben. Das Gesetz war viel zu hart mit Menschen, die sich nicht wehren konnten, während sie die reichen Betrüger vollkommen nachlässig, ja fast mit Blumen über den Roten Teppich in der Freiheit hinaus tanzen liessen, solange sie irgendwann noch ihre lächerlichen Strafgebühren zahlten, die ihnen nichtmal weh taten. Faye hatte den Blick ebenfalls von Ryatt abgewandt und stattdessen auf sein fahrbares Zuhause gerichtet, solange er nach ihrer Frage schwieg. Ja, vermutlich hätte sie das nicht fragen sollen, weil es eine ziemlich erniedrigende Information darstellte. Aber irgendwie... Keine Ahnung, wenn sie ihn jetzt einfach hier parkte und sich selbst überliess, hatte sie ihm dann wirklich geholfen? Wenn er dann in der Nacht alleine verblutete, war das dann nicht auch ihre Schuld? Ja, sie konnte sich nicht verantwortlich für die Wünsche und Entscheidungen anderer Menschen machen blahblah, das wusste sie, hatten ihr wahrscheinlich ein Duzend verschiedener Therapeuten oft genug eingetrichtert. Es war nur... trotzdem gefährlich und trotzdem scheisse. Als schliesslich seine Antwort auch noch wörtlich erfolgte - als hätte sie sich nicht längst ihren eigenen Teil gedacht - fanden ihre Augen langsam wieder zurück zu ihm, auch wenn eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung in ihrem Blick lag. Sie wollte ihn nicht mitleidig begutachten, wusste ganz genau, das Mitleid oft das Letzte war, was eine Person in solchen Momenten aus den Blicken ihres Gegenübers lesen wollte. Auch hier - eigene Erfahrungen zeigten ihre Wirkung. Anderen gehts schlechter, hatte er gesagt und das stimmte auch. "Nur weil es anderen schlechter geht, heisst noch lange nicht, dass es dir gut gehen muss...", sie murmelte die Worte fast mehr zu sich selbst, weil auch dieses Sätzchen einem Automatismus aus der Therapie gleichkam. Aber einem, hinter dem sie ausnahmsweise tatsächlich stehen konnte. Ihr Kopf arbeitete wieder auf Hochtouren, während Ryatt schon dabei war, sich aus dem Sitz zu quälen und aufzustehen, nur um sich dann eindeutig unter Schmerzen an die Autotür zu klammern. "Ryatt du... du kannst auch bei mir übernachten, wenn du willst", gut möglich, dass sie wieder schneller sprach als sie denken konnte, aber doch war sie sich sicher, dass sie das Angebot ernst meinte. Er musste sich ganz dringend sehr gut erholen - wie sollte das unter diesen Umständen bitte möglich sein? "Ich... ich finds nicht so gut, wenn du mit diesen Wunden alleine hier draussen schläfst...", und für ihn war es bestimmt auch sehr wichtig, dass sie seinen Übernachtungsort gut fand. "Ich kann dich morgen auch wieder zurück fahren, es ist nicht so weit...", aber sie hatte Schmerzmittel Zuhause. Ein doch sehr bequemes Sofa. Eine Dusche. Etwas Anständiges zu Essen. Und einen Freund, den sie gerne mit Obdachlosen überraschte, damit sie gemeinsam ihre guten Taten abarbeiten konnten.
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Im ersten Moment glaubte ich ehrlich mich verhört zu haben. Welcher Mensch, dem auch nur Irgendwas an seinem Hab und Gut lag, ließ denn bitte einen wildfremden Obdachlosen bei sich übernachten? Die Chance darauf, dass jener aus Verzweiflung heraus mitten in der Nacht Wertgegenstände einsackte und damit die Biege machte, um sie zu verkaufen, stand wahrscheinlich bei mindestens fünfzig Prozent. Ohne, dass viele davon es wirklich böse meinen würden. Gerade auf der Straße lernte man jeden müden Penny zu schätzen, aber das verleitete einen eben zwangsläufig in der Not auch zu Dingen, die man normalerweise nie tun würde. Dafür war ich selbst ja auch ein ausgezeichnetes Beispiel. Ich mochte ja schon früher öfter mal gegen den Strom geschwommen sein, aber ich war nie kriminell gewesen. Das einzige, was ich früher gestohlen hatte, war eine Stange Kaugummis an einem alten Kiosk. Eine dieser 0815-Jugendsünden eben, mit denen man sich wie die großen, bösen Jungs fühlen wollte. Jetzt hingegen konnte ich kaum mehr anders Geld verdienen oder zumindest mein Essen bezahlen. Ich hatte in den letzten Monaten sichtbar ein paar Kilos abgenommen, mein Gesicht war schmaler geworden - dabei war das vorher schon kantig gewesen. Vor allem hatte ich auch Muskelmasse verloren, weil die sich ohne Energiezufuhr zwangsläufig abbaute. Jedenfalls war es ziemlich wahnsinnig von Faye mich einfach so zu sich nach Hause einzuladen, ohne mich wirklich zu kennen - und sei es nur für eine Nacht. Ganz genau das sagte wohl auch mein Blick, als ich mich auf der Autotür abstützend noch einmal zu ihr umdrehte und zu ihr ins Auto sah. Nein, es ging mir nicht gut. Schon seit Monaten nicht mehr. Aber ging es Faye denn gut damit, mir dieses Angebot zu machen? "Faye, du musst wirklich nicht...", setze ich an, wusste aber eigentlich gar nicht wirklich, was ich sagen wollte. Nein, sie musste mir nicht helfen, das hatten wir schon vorher festgestellt. Aber ich müsste eben auch lügen, um zu sagen, dass das Angebot nicht zumindest ein bisschen verlockend war. Die letzte Dusche war schon drei Tage her, ich könnte dringend mal wieder einen richtigen Spiegel brauchen, um mir zumindest den Bart mal vernünftig zu stutzen und selbst jede Luftmatratze war wahrscheinlich bequemer als ein nur zurückgesteller Autositz. Erst recht mit der Stichwunde am unteren Bauch. Ich wandte den Kopf noch einmal ab und sah meine Unterlippe malträtierend zu meinem Truck rüber. Ich müsste zumindest ans andere der Stadt fahren, wenn ich bezüglich der Cops halbwegs ruhig schlafen können wollte. Allein der Gedanke daran mehrfach mit der Verletzung ein Pedal durchtreten zu müssen löste alles andere als Wohlbefinden in mir aus. Noch ein paar sehr lange Sekunden legte ich die Stirn auf dem oberen Rand der Autotür ab, bevor ich mich mit einem Seufzen schließlich wieder der Brünetten zuwendete. "Nur, wenn's dir wirklich nichts ausmacht. Ich will dir nicht noch mehr zur Last fallen, was dann eigentlich... zwangsläufig passiert.", gab ich mich doch relativ schnell breitgeschlagen, weil ich in meiner Verfassung zu so einem verlockenden Angebot einfach nur schwer nein sagen konnte, obwohl ich mir Schwäche eher nicht so gern eingestand. Sowas tat man als Sergeant halt auch einfach nicht. Dennoch wollte ich noch einmal betonen, dass sie sich wirklich nicht dazu verpflichtet fühlen musste mir noch mehr zu helfen, als sie das mit der Autofahrt nun ohnehin schon getan hatte. Noch bevor ich was das anging eine endgültige Antwort von ihr hatte, wendete ich mich aber von ihr ab, um die zwei bis drei Schritte zum Truck zu gehen. Ließ dabei allerdings die Beifahrertür ihres Wagens offen, um sie weiterhin verstehen zu können. Ich angelte nach dem Autoschlüssel in meiner rechten Hosentasche und öffnete die Zentralverriegelung, zog dann die Fahrertür auf. Ganz bewusst hievte ich mich mit dem Bein der aktuell unverletzten Körperhälfte - was ironischerweise das rechte, einst verbrannte Bein war - in das etwas höher liegende Auto. Bezog mit größter Vorsicht den Sitz, um mich von dort aus langsam zu der Tasche auf dem Beifahrersitz zu lehnen. Ich nahm nicht wirklich oft mehr aus jener heraus als das, was ich unbedingt brauchte. Einfach um halbwegs Ordnung auf meinen zwei Quadratmetern hier zu halten. Sollte ich die Nacht also tatsächlich bei Faye verbringen, müsste ich wohl nur noch meinen Geldbeutel mitsamt Ausweispapieren aus dem Handschuhfach einstecken.
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Ja, spätestens jetzt hielt er sie wohl wirklich für verrückt oder leicht geistesgestört, das sagte zumindest sein Blick relativ deutlich aus. Aber irgendwie... Was hätte denn jemand anderes, jemand Normales an ihrer Stelle gesagt, als er meinte, dass er in diesem Auto wohnte? Achso ok, cool, dann gute Nacht? Irgendwie nicht, oder? Nein, wenn sie das einfach hätte ignorieren wollen, dann hätte sie ihn nicht nach seiner Wohnsituation fragen dürfen. Alles was danach kam, war irgendwie die logische Folge dieser Frage gewesen. Jedenfalls wenn man dabei ihre Logik als Richtschnur nahm - was vielleicht keine gute Idee war, was wusste sie. Faye sagte nichts, während er noch einen ganzen Moment mit sich zu ringen schien. Aber genau das bestärkte sie nur wieder in ihrem Vorhaben, ihm zumindest für eine einzige Nacht sowas wie eine angenehmere Umgebung zu bieten, etwas Ruhe, damit sein Körper sich überhaupt auf die Wundheilung konzentrieren konnte und nicht die ganze Zeit die Hälfte seiner Energie ins Wachsam-Sein stecken musste, um nicht wieder auf Typen wie den, der ihn heute abgestochen hatte, zu stossen. Da sie nicht unbedingt vorhatte - oder dazu veranlagt war - zu schreien, liess sie sich, nachdem er sich fürs Erste seinem Auto zugewandt hatte, doch etwas mehr Zeit zum Nachdenken, als sie eigentlich brauchte. Ihre Augen wanderten von ihm, beziehungsweise seinen Beinen, weil sie viel mehr von hier aus gerade nicht mehr sehen konnte, da ihr Auto tiefer lag als seines, zurück zu ihren Händen, die mit leichter Unsicherheit übers Lenkrad strichen. Faye wickelte sich eine Haarsträhne um den linken Zeigefinger, liess diese einige Runden um ihren Finger drehen, bevor sie wieder in Ryatts Richtung blickte. Sie beugte sich ein Stück weit über den Beifahrersitz, damit sie sein Gesicht wieder sah, wartete, bis er sie ebenfalls anschaute. "Ich weiss, dass ich das nicht muss… Nur kann ich ja doch nicht schlafen, wenn ich mir stattdessen die ganze Nacht Sorgen mache, weil ich weiss, dass ich dich einfach hier abgeladen habe, obwohl du im Moment ganz bestimmt nicht alleine hier draussen schlafen solltest… Da spielt es faktisch dann auch keine Rolle mehr, ob du auf unserem Sofa liegst oder eben in deinem Auto. Mit dem Unterschied, dass ich dann am Morgen wenigstens weiss, wies dir geht", führte sie ihm ihre Beweggründe ein kleines Bisschen klarer auf, damit er vielleicht verstand, dass es jetzt irgendwie auch keine Rolle mehr spielte. "Also nein, es macht mir wirklich nichts aus und du fällst niemandem zur Last", immerhin hatte er sich ja keinesfalls selber eingeladen. Und wenn sie es ihm überzeugend genug erklärte, würde bestimmt auch ihr Mitbewohner das Gleiche sagen. Nicht, dass sie ihn mit dieser Aktion wirklich vor eine Wahl stellte, aber sie war doch einigermassen zuversichtlich, dass Victor ihre Beweggründe nachvollziehen konnte. Vielleicht nicht mit Begeisterung, aber das war in Ordnung. Würde ihr möglicherweise genauso gehen, wenn er einfach eines Tages ohne Vorwarnung einen Gast anschleppte, den sie nicht kannte und der auf den ersten Blick durchaus Probleme versprach. Aber das war nicht Ryatts Problem und sie würde es auch nicht zu seinem werden lassen. Er hatte bei Gott schon genug Dinge, um die er sich sorgen musste.
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Es dauerte eine kleine Weile, bis ich merkte, dass Faye mit ihrem Blick nach meiner Aufmerksamkeit suchte, dann aber sah ich sie an. Hörte ihr zu und stellte dabei fest, dass ich wahrscheinlich niemals auch nur eine Nacht ruhig schlafen können würde, wenn ich mir genauso viele Sorgen und Gedanken machen würde, wie sie das tat. Vielleicht lag das auch viel an meinem einstigen Posten bei der Army - man hörte irgendwann auf sich um Dinge kümmern zu wollen, für die man nicht verantwortlich war, weil man sonst nichts anderes mehr tun würde. Das, was die Brünette sagte, ergab an und für sich aber eben schon Sinn. Man wurde vermutlich auch nicht Sanitäter, wenn man nicht ein gewisses Faible dafür hatte, sich um andere Menschen zu kümmern. Ich gestand mir das nach wie vor nur ungern ein, aber ich war wohl auch wirklich auf ihre Hilfe angewiesen. Es konnte schon sein, dass ich auch die Nacht hier draußen problemlos überleben würde, nachdem ich die Wunde unnötig viel Stress ausgesetzt hatte, aber es konnte durchaus auch anders ausgehen, was mir wohl erst so richtig bewusst wurde, als sie indirekt darüber redete. Also nickte ich schließlich nach ein paar Sekunden und kramte meinen Geldbeutel aus dem Handschuhfach, um ihn in einem Seitenfach der alten Reisetasche zu verstauen. Es war die selbe, mit der ich damals immer meine Reisen vom Krieg in den Urlaub und wieder zurück überbrückt hatte und sie tat noch immer einen ausgezeichneten Dienst, auch wenn hier und da langsam eine Naht einriss. Die Tasche allerdings vom Beifahrersitz zu heben und dann zur meiner anderen Seite aus dem Truck auf den Teer fallen zu lassen, war nochmal eine wirklich schmerzhafte Aufgabe. Allerdings glaubte ich mir auch keinen Schmerz ersparen zu können, indem ich stattdessen extra nochmal um den Wagen herumging und sie so vom Beifahrersitz zu nehmen. Natürlich hätte ich rein theoretisch Faye fragen können, ob sie mir das abnahm, aber da war dann doch eindeutig wieder der Haken mit meinem Stolz. Ich musste nicht auch das letzte bisschen davon noch unter den Tisch kehren und ihn gänzlich in Vergessenheit geraten lassen. Ich versuchte also stattdessen danach den Schmerz mit ein paar tiefen Atemzügen wieder wegzuatmen, bevor ich mich vorsichtig vom Sitz und zurück auf die Beine rutschen ließ. Ich ließ die Fahrertür zurück in den Rahmen fallen und sammelte dann meine Sachen vom Boden auf, bevor ich sie kurzerhand auf der Rückbank von Fayes Wagen parkte. Das war einfacher, als sie noch ein Stück höher in den Kofferraum zu heben und so musste ich zumindest drei oder vier Schritte weniger machen, ehe ich mich neben ihr zurück auf den Beifahrersitz sinken lassen konnte. Auch dieses Mal gefühlt in Zeitlupe, aber ich sollte es wohl nicht noch mehr provozieren doch noch zu verrecken. Ich zog die Tür im Anschluss ohne Umschweife zu und legte auch den Sicherheitsgurt wieder an. Auch wenn ich bei einem richtigen Autounfall mit den schon vorhandenen Wunden wahrscheinlich so oder so eine Arschkarte ziehen würde. Nachdem Faye den Wagen angefahren hatte und wir uns damit auf den Weg zu ihrer Wohnung machten, schwieg ich kurze Zeit. Letztendlich kam ich aber doch nicht drum herum noch einmal zu ihr rüber zu sehen und ihr erneut meinen aufrichtigen Dank zukommen zu lassen. "Danke... nochmal. Ich würde mich wirklich gerne dafür revanchieren, weil das echt nicht selbstverständlich ist, aber meine Möglichkeiten sind leider... ziemlich begrenzt.", dankte ich ihr zuerst ehrlich. Die darauffolgende Feststellung wurde von einem leisen Seufzen begleitet, wobei ich beinahe wieder mit den Schultern gezuckt hätte. Die Schnittwunde war sicher froh über den Verzicht darauf und ich drehte den Kopf schließlich zum Beifahrerfenster, um die vorbeiziehenden Häuserfassaden und Autos abwesend zu beobachten. Jedenfalls fiel mir auf Anhieb kein Gefallen ein, den ich der jungen Frau im Gegenzug machen könnte, wenn ich irgendwann wieder auf den Beinen war. Ich konnte ihr ja nicht mal ein Essen im nächstbesten Fast Food Restaurant zur Entschädigung anbieten.
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Es war ziemlich offensichtlich, dass er mit dem Gewicht der Tasche zu kämpfen hatte und gleichzeitig war wohl auch beiden von ihnen durchaus klar, dass er sich theoretisch nicht so anstrengen sollte, wie er das schon die ganze Zeit tat, seit er das Krankenhausbett verlassen hatte. Aber Faye hielt sich weitgehend zurück, um ihm nicht zu Hilfe zu eilen, weil sie sich schon vorstellen konnte, dass das für ihn als weiteres Zeichen der Erniedrigung gedeutet würde. Also wartete sie doch relativ unruhig hinter dem Steuer darauf, dass er sich wieder neben sie setzte, atmete innerlich auf, als er sich endlich wieder still hielt und sie den Motor starten konnte. Das Autofahren diente wenigstens teilweise ihrer Ablenkung, half Faye dabei, alles etwas pragmatischer zu sehen. Darum fiel ihr die kurzzeitige Stille auch nicht wirklich auf - in ihrem Kopf war es begleitend selbstverständlich alles andere als ruhig. Ihre Augen fanden erst dann ihren Weg zurück zu Ryatt, als dieser das Wort ergriff, um sich abermals zu bedanken. Faye lächelte leicht, hob die rechte Schulter einen Moment ein Stück an. "Wir überlegen uns noch was Schönes. Und wenn uns nichts einfällt, ist das auch sehr egal", erwiderte sie darauf, wobei aus ihrer Stimme doch gut herauszuhören war, dass sie die Revanche definitiv nicht als Bedingung für die Übernachtung sah. Vielleicht fiel ihr ja etwas Nicht-Materielles ein, das ihm das Gefühl gab, etwas zurückgegeben zu haben. Aber sie würde kaum darauf bestehen. Wäre ja auch nicht fair, wenn sie die Konditionen erst nach dem Leistungsbezug bekanntgab und dann trotzdem von ihm forderte, einverstanden damit zu sein und seinen Teil der nicht vorhandenen Abmachung zu erfüllen. Es dauerte eine Weile, bis sie das Auto in den Stadtteil lenkte, in dem ihre Wohnung Zuhause war. Auch, weil der vom Krankenhaus aus genau in die entgegengesetzte Richtung lag, die sie, um zu seinem Truck zu gelangen, eingeschlagen hatten und sie nicht vorhatte, allzu nahe an ihrem Arbeitsort vorbeizufahren, der in diesem Moment doch noch mittelmässiges Unbehagen bei ihr auslöste. So war es letztendlich fast eine halbe Stunde, die es sie kostete - obwohl die Stadt gar nicht so riesig war. Ihre Strasse lag am Stadtrand, nicht ganz im Nichts, aber definitiv in einer weitaus ruhigeren Gegend. Faye lenkte den Kleinwagen auf ihr Parkfeld vor dem Haus, in welchem sie lebte. Die kleinen, perfekten Vorgärten, die hier den Strassenrand säumten, waren ihr dabei fast peinlich. Wie es wohl auch bei allem sein würde, was er drinnen vorfinden würde. Natürlich wohnte sie nicht in einem leeren Haus mit nichts als Matratze, Tisch und Stuhl. Aber sie hatte eben ein etwas ausgeprägteres Faible für Dekoartikel und eigentlich unnötigen Schnickschnack, der nur dazu existierte, in ihrer Wohnung schön auszusehen. Sie mochte es, weil es ein Gefühl von Zuhause vermittelte, weil es ihre Wohnung von anderen unterschied und dem Ganzen etwas Wärme und Leben verlieh. Aber im Grunde war es wohl trotzdem eine Geldverschwendung und jemandem, dessen Hab und Gut in eine Reisetasche passte, würde das wohl zwangsläufig auffallen, ihn zu einem innerlichen Augenrollen animieren. Oder er war zu müde, um es überhaupt zu merken, würde sich bald zeigen. Jetzt musste sie aber erst noch etwas anderes, nicht ganz Irrelevantes klären. Sie zog den Schlüssel langsam aus der Zündung und blickte ein paar Sekunden auf ihren Schoss, ehe ihre Augen wieder zum Beifahrersitz rutschten. „Also… es ist halt so, dass ich nicht alleine wohne, sondern mit meinem Freund zusammen… und er ist zuhause… und weiss logischerweise noch nichts von diesem spontanen Besuch“, erklärte sie, blickte ihn dabei wohl ein kleines Bisschen nervös an. "Also er ist wirklich sehr nett, das wird nicht das Problem sein. Aber nur damit du's weisst", schob sie mit einem kleinen Lächeln nach, weil sie wirklich nicht wollte, dass Ryatt ein falsches Bild von Victor hatte, obwohl dieser ein durch und durch herzensguter Mensch war. Dann drehte sie sich aber langsam ab, um ihre Tür aufzuschieben. Wenn sie zu lange hier sass und sich überlegte, wie sie das gleich erklären sollte, würde ja doch nichts dabei rauskommen und sie sich nur selber verrückt machen. Ausserdem fragte Victor sich wohl schon längst, wo sie blieb - nachdem sie ihre Heimkehr schon vor fast einer Stunde angekündigt hatte.
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Faye sah den ziemlich riesigen Gefallen, den sie mir hier gerade tat, weiterhin äußerst gelassen. Zwar wäre es wohl auch etwas sehr unhöflich gewesen, wenn sie nun plötzlich ernsthaft irgendetwas im Gegenzug hätte verlangen wollen, aber ich würde ihr eben dennoch gerne in irgendeiner anderen Form meinen Dank zeigen. Mit mehr als nur ein paar Worten, die jeder einfach so daher sagen konnte, auch wenn ich jene natürlich aufrichtig ehrlich gemeint hatte. "Ich bin gespannt.", meinte ich etwas sarkastisch, weil ich bis jetzt einfach nicht wirklich daran glaubte, dass wir beide da etwas finden würden. Dennoch war ich was Vorschläge in dieser Sache anbelangte vollkommen offen. Es störte mich nicht, dass die restliche Fahrt über Schweigen eintrat. Eigentlich kam mir das wahrscheinlich sogar sehr gelegen, weil ich dann in Ruhe etwas durchatmen konnte. Das stille Herumsitzen führte allerdings dazu, dass mir von Minuten zu Minute öfter die Augenlider zufielen. So ein nicht autorisierter, anstrengender Spaziergang direkt nach einer Operation machte einen doch ziemlich müde und deshalb war mir selbst gar nicht wirklich bewusst, dass die Brünette beabsichtigt einen Bogen um das Krankenhaus fuhr. Selbst wenn ich es mitgekriegt hätte, würde ich es aber sicher gutheißen, hatte ich da ja nicht ohne Grund schleunigst weggewollt. So oder so kamen wir nach einigen Minuten dann scheinbar am Ziel an, weil die junge Frau das Auto schließlich in eine Parklücke bugsierte und die Kiste zum Stehen kam. Erst daraufhin schob ich mich langsam wieder ein Stück an der Rückenlehne nach oben und Faye richtete ein paar Worte an mich. Ich drehte den Kopf in ihre Richtung und wusste im ersten Moment nicht so recht, was ich davon halten sollte, dass sie mir ihren Mitbewohner bis jetzt verschwiegen hatte. Womöglich hätte ich mich lieber anders entschieden, wenn sie mir das vorhin schon gesagt hätte. Dass ihr Freund laut ihrer Aussage ein ganz netter Kerl war garantierte mir nämlich eher nicht, dass er sich nicht darüber echauffieren würde, dass sie mich mit zu ihnen nach Hause geschleppt hatte. Auch wenn ich in meinem Zustand wahrscheinlich für Niemanden eine Konkurrenz sein konnte. Angefangen ja allein schon bei der vernachlässigten Frisur. Wenn mir der Sinn danach stehen würde, wäre ein Zopf inzwischen sicherlich schon möglich, aber ich blieb lieber dabei die zu langen Haare einfach nur mehr oder weniger ordentlich nach hinten aus meinem Gesicht zu halten, weil sie sonst nervten. Eine ernstzunehmende Bedrohung war ich ich jetzt auch nicht grade, aber so oder so hatte einfach nicht jeder gerne einen fremden Obdachlosen in seinen Räumlichkeiten. Deshalb seufzte ich schließlich leise und wusste nicht so recht, was ich dazu nun sagen sollte. Es blieb bei einem knappen, etwas nachdenklichen "Okay.", das erklang während ich ebenfalls die Beifahrertür aufschob. Wieder brauchte ich eine kleine Weile, um mich von dem Sitz zu quälen und als ich dann auf den Beinen stand, brauchte wiederum mein Kreislauf noch zwei, drei ruhige Sekunden, um den Anflug von Schwindel loszuwerden. Danach holte ich die Tasche wieder vom Rücksitz und besah mir auf dem beschwerlichen, wenn auch kurzen Weg zum Haus flüchtig die Umgebung. Wirklich daran aufhängen tat ich mich aber nicht, weil dafür der Schmerz an der Hüfte schon wieder viel zu penetrant war. Mein Stolz musste sich dann aber doch noch in die letzte Ecke meines Gehirns verkriechen, als es darum ging die Treppe im Inneren des Wohnhauses nach oben zu kommen. Ich versuchte mich sage und schreibe fünf Stufen daran, die Tasche selbst nach oben zu tragen. Die Wunde zwang mich dort dann zum Innehalten und ich fluchte leise, bevor ich den Kopf hängen und die Tasche auf die Stufe sinken ließ. "Kannst du sie nehmen..?", versuchte ich mein Gepäck also unzufrieden grummelnd an Faye loszuwerden. Sie hatte mich ohnehin schon wieder so kritisch - oder eher besorgt - dabei beobachtet, wie ich hier mein eigenes Ding durchzuziehen versuchte. Deswegen hatte sie wohl auch kein Problem damit die paar Stufen nach oben meine Sachen zu übernehmen, während ich mich mithilfe des Geländers Stück für Stück nach oben angelte. Sie dann schließlich dabei beobachtete, wie sie die Wohnungstür aufschloss. Ich stand schräg hinter ihr, als sie jene Tür letztlich nach innen aufschob und da war auch schon ihr Freund zu sehen, der mit dem Telefon in der Hand im Türrahmen der Küche lehnte. Im ersten Moment sah er gar nicht zu uns hin, sondern seufzte - vermeintlich erleichtert - und schob sein Handy in seine Hosentasche. "Endlich... ich dachte schon dir ist was p..." Er löste sich während jener Worte aus dem Türrahmen und sah in unsere Richtung. Brach wohl auch deswegen seinen Satz ab, um stattdessen sichtbar überrascht und dezent verwirrt zwischen Faye und mir hin und her zu sehen. Letzten Endes blieb sein Blick aber nach einer Erklärung suchend an seiner Freundin hängen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Die Reaktion fiel verständlicherweise ziemlich mager aus, auch wenn ihrem Begleiter das neugewonnene Wissen nicht unbedingt zu gefallen schien und er auch offensichtlich nicht wusste, was er jetzt damit anfangen sollte. Ja, vielleicht hätte sie es ihm theoretisch besser früher gesagt, aber das war eben wieder typisch sie. Genau die gleiche Faye, wie die, die im ersten Moment nicht darauf gekommen wäre, dass Victor ihrer eigenmächtigen Entscheidung vielleicht nicht zustimmen könnte, hatte auch nicht darüber nachgedacht, dass Ryatt die Tatsache, sich vor zwei Menschen so vermeintlich erbärmlich zu zeigen anstatt nur vor einem, möglicherweise nicht schätzte. Sie ging einfach automatisch davon aus, das alle Menschen so leichtgläubig und bedenkenlos Vertrauen fassten wie sie, was manchmal nicht unbedingt ideal war. Naja, jetzt war es aber auch zu spät, um dieses Verhalten zu reflektieren und sie schloss stattdessen das Auto hinter ihnen ab, konzentrierte sich lieber auf das, was unmittelbar bevorstand. Was erstmal die Treppe zu ihrer Wohnung war, welche die ersten Schwierigkeiten bot. Sie nahm Ryatt die Tasche selbstverständlich kommentarlos - eher fast erleichtert - ab, ging dann langsam vor, bis sie ihre Wohnungstür erreicht hatten. Dort fischte sie mit ihrer freien Hand wieder den Schlüssel, welchen sie in der Zwischenzeit unnötigerweise in die Tasche gesteckt hatte, hervor, um damit die Tür zu ihrem kleinen aber feinen Reich zu entsperren. Ein kurzer Blick zurück und sie schob die letzte Barriere zur Seite, trat ein und erblickte natürlich keine halbe Sekunde später ihren Freund. Die plötzliche - wenn auch nur kurzzeitige - Erleichterung stand ihm quer übers Gesicht geschrieben und es tat ihr sofort leid, ihm nicht wenigstens Bescheid gesagt zu haben, dass es etwas später werden könnte. Entsprechend schob sie sich auch nur die Schuhe von den Füssen und stellte beide Taschen an der Wand in der Nähe der Tür ab, bevor sie, begleitet von den entschuldigenden Worten: "Sorry, ich hätte dir Bescheid sagen müssen, aber gab ein paar Überraschungen", auf ihn zuging, um ihm zumindest einen flüchtigen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Nur kurz, da sie das Ganze echt nicht unangenehmer als nötig für Ryatt gestalten wollte und Victor momentan sowieso zu verwirrt für eine innigere Begrüssung war. Dann wanderte ihr Blick zurück zu ihrem Gast, der da etwas verloren im Eingang stand und sie machte wieder einen Schritt zurück, deutete dann von Victor zu Ryatt und umgekehrt. "Victor, das ist Ryatt... und umgekehrt", begann sie mit einer sehr simplen Vorstellungsfloskel, bevor es dann aber auch schon stockte. Okay, vielleicht hätte sie sich doch wenigstens ansatzweise überlegen sollen, wie sie die Geschichte nun am geschicktesten an den Mann brachte. Sie wollte nicht, dass Victor gleich dachte, sie hätte vollkommen ungerechtfertigt einen Schwerverbrecher angeschleppt. Aber es war schon schwer genug, das alles überhaupt in Worte zu fassen. Und sie hatte auch nicht vor, es zwischen Tür und Angel zu klären, weshalb ihre Augen wieder die ihres Freundes suchten. "Ich erklärst gleich, aber können wir dafür ins Wohnzimmer..? Er ist verletzt...", und sollte faktisch gesehen im Krankenhaus liegen. Aber das sparte sie sich noch auf, wartete die kurze Bestätigung seitens Victor ab, ehe sie sich aufmachte, um die Sitzgelegenheiten in Form des grossen Sofas und Sessels zu erreichen. Natürlich nur langsam und nicht ohne dabei auf Ryatt zu warten. Und auch nachdem sie sich alle in die Polster hatten sinken lassen, liess sie sich noch ein paar Sekunden länger Zeit, weil sie wirklich keinen Plan hatte, wo sie anfangen sollte und wie sie die Dinge am geschicktesten aussprach, ohne zu viel Ärger heraufzubeschwören. Gerade, weil zumindest einer von ihnen wirklich dringend nichts als sehr viel Ruhe brauchte. "Also... Ryatt wurde heute mit einem Messer angegriffen und jemand hat - glücklicherweise - einen Krankenwagen gerufen", begann sie mit dem ersten und einfachsten aller Fakten, sah schon hier davon ab, unnötige Details wie der Grund des Messerangriffs - den sie immerhin selber nicht wirklich kannte - überhaupt erst anzusprechen. "So sind wir dann auf ihn gestossen und wir haben ihn ins Krankenhaus gebracht... Und auf dem Weg sind wir halt darauf zu sprechen gekommen, dass er auch seine unschöne Zeit bei der Army abgesessen hat...", schon wieder liess die Brünette die unangenehmeren Stücke der Geschichte, wie beispielsweise warum sie darauf zu sprechen gekommen waren, aussen vor, genau wie eine Erklärung zu dem auch in Verbindung mit der Army. Irgendwann später würde sie Ryatt vielleicht erklären, was es damit auf sich hatte - wer denn ausser ihm ebenfalls die Kugeln von Nahem hatte fliegen sehen. Aber nicht jetzt, wo sie mit ausreichend Pausen noch länger damit beschäftigt sein dürfte, erstmal das Fragezeichen auf einem anderen Gesicht zu lösen. "Also wir haben ihn wie gesagt ins Krankenhaus gebracht und ja... Jedenfalls war ich auf dem Nachhauseweg, als ich später draussen auf der Strasse wieder auf ihn gestossen bin... Und er wollte nach... Hause", was auch immer das heissen mochte, "laufen. Aber er hat diese Verletzungen und wenn er so irgendwo hingeht, dann können die Nähte aufgehen oder es passiert sonst was und da hab ich mir halt Sorgen gemacht, weshalb ich ihm angeboten habe, ihn zu fahren", schon wieder sparte sie die unangenehmen Teile höchst grosszügig aus, obwohl sie wusste, dass das nur ganz genau so lange funktionieren würde, bis Victor Fragen stellte, denen sie nicht mehr in diesem Stil ausweichen konnte. Aber jetzt musste sie erstmal das Ende der ersten Runde erreichen. Und jetzt kam der Teil, den sie beim besten Willen nichtmal Ryatt zuliebe mehr schönreden konnte, weil sich die Tatsache, dass er kein richtiges Zuhause mehr hatte, eben nicht anders ausdrücken liess, als genau so. "Ich... ich hab ihn gefahren, aber... er lebt halt in seinem Truck, und... da ist er auch alleine und nicht richtig geschützt und wie gesagt, die Wunden sind frisch... Darum dachte ich, dass er vielleicht heute Nacht hier schlafen kann..?", formulierte sie ihren Plan mehr als Frage, wobei sie nun endlich wieder von ihren unruhigen Fingern aufsah, um Victors Reaktion nicht zu verpassen. Als wäre ein Nein jetzt wirklich eine Option - er konnte ja wohl kaum einen verletzten Obdachlosen wieder auf die Strasse setzen. Ausserdem wusste er, dass sie das eher nicht zulassen würde. Weil sie eben Faye war und sich ausnahmsweise etwas in den Kopf gesetzt hatte.
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ich werd' sie vermutlich erstmal immer beide in einen Charakter quetschen, weil mir zwei grade zu anstrengend sind... x'D ______
Inzwischen brauchte ich nicht mal mehr eine Uhr, um zu wissen, wann Faye nach Hause kam. Manchmal war ich zwar selbst noch auf der Arbeit, wenn sich unsere Schichten voneinander unterschieden, aber wenn ich Zuhause war, dann war meine innere Uhr sehr präzise was ihren Nachhauseweg anging. Die zierliche Brünette kündigte sich eigentlich immer an, wenn sie wusste, dass ich Zuhause war. Schrieb mir nicht selten auch dann eine Nachricht, wenn ich auf der Arbeit war und sie vielleicht sogar erst lesen konnte, wenn sie schon in der Wohnung war. Dennoch schätzte ich diese Geste sehr, wo es doch nicht allzu viel brauchte, damit sich eine Sorgenfalte auf meiner Stirn bildete, wenn es um die junge Frau ging. Deshalb wunderte ich mich zunehmend mehr, je länger sie heute für den Heimweg brauchte. Es kam schon manchmal vor, dass sie mal fünf oder gar zehn Minuten später kam, weil sie sich noch kurz mit einem Kollegen unterhielt oder Ähnliches, bevor sie letztendlich wirklich ins Auto stieg und losfuhr. Allerdings war es heute mit ein paar Minuten nicht getan, wenn es um ihre Verspätung ging. Deshalb wurde ich immer unruhiger. Ich wollte wirklich nicht so überfürsorglich sein, aber ich konnte das Gefühl mich nach ihr erkundigen zu müssen nicht unterdrücken. Ich hatte mich nach der Arbeit längst in eine Jogginghose, sowie ein bequemes Shirt geschmissen und tigerte zuerst nur ein, zwei Mal etwas unschlüssig quer durch die Wohnung, ohne dabei ein richtiges Ziel zu haben. Dabei sah ich auch mehrfach aufs Display meines Handys, nur um es jedes Mal danach wieder in meiner Hosentasche zu versenken. Blieb dann schließlich in der Küche stehen und wieder fünf Minuten später lehnte mich in den Türrahmen jener, um mein Handy aus der Hosentasche zu ziehen. Zögerte noch einen Moment lang und war dann drauf und dran Fayes Nummer zu wählen, als die Haustür aufging. Ich war wohl so vertieft in meine Sorge gewesen, dass ich die Schritte vor der Tür nicht einmal gehört hatte. Mir fiel sofort ein Stein vom Herzen, als ich das Gesicht meiner Freundin erblickte. War dann kurz darauf aber wiederum etwas zu perplex, um den kurzen Kuss richtig zu erwidern und tat es deshalb nur beiläufig. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass Faye irgendwas von einem Besucher erwähnt hatte - noch weniger von einem, den ich nicht kannte. Deshalb war es nur allzu gütig, dass sie mich bald in Kenntnis darüber setzen wollte, wer Ryatt war... oder eben zumindest wieso er hier war. Er schien noch auf sowas wie mein offizielles Okay zum Betreten der Wohnung zu warten, weshalb ich schließlich gut sichtbar nickte. Dass es dem Dunkelhaarigen nicht gut ging war wohl spätestens dann ganz deutlich sichtbar, als er sich zwar möglichst gerade, aber doch gut sichtbar humpelnd und sich die untere Bauchgegend haltend in die Wohnung schleppte. Wollte Faye ihre Patienten von nun an Zuhause behandeln? Ich ließ die beiden noch immer ziemlich überrumpelt voraus ins Wohnzimmer gehen und trottete ihnen kopfschüttelnd hinterher. Ließ mich dort dann in den Sessel sinken, weil ich zugegeben gerade einfach gerne beide im Blick hatte. Beide Gesichter sehen können wollte, als wir allesamt saßen - Ryatt nur mehr oder weniger gerade, versuchte er wohl seinen Bauch zu entlasten - und ich auf eine Erklärung für den Spuk hier wartete. Ich folgte Fayes Erzählung über den Hergang der Dinge aufmerksam, sah dabei immer mal von ihr weg und zu unserem Gast auf der anderen Hälfte des Sofas. Das erste Mal, als die Brünette erwähnte, dass er auch der Armee gedient hatte. Das zweite Mal und etwas länger, als sie sagte, dass er das Krankenhaus wohl irgendwie auf eigene Faust verlassen hatte. Das dritte Mal fand mein Blick den seinen, als Faye erzählte, dass er im Grunde obdachlos war und er so ja nicht sachgemäß die Wunde ausheilen lassen konnte. Ich hätte gerne ein bedauerndes bis gequältes Geräusch von mir gegeben, lehnte mich stattdessen aber nur mit einem Seufzen nach vorne, stützte die Ellenbogen auf den Knien ab und rieb mir langsam mit etwas mehr Druck übers Gesicht. Heute Nacht, sagte sie. Mal von den weiterhin vorhandenen Fragezeichen meinerseits ganz abgesehen, wusste ich schon jetzt, dass es niemals im Leben bei nur einer Nacht bleiben würde. Stich- und Schnittwunden heilten beschissener als alles andere und es würde ihm morgen noch kein bisschen besser damit gehen. "Gott, Faye...", murmelte ich mehr an mich selbst gewandt an meine Handflächen, kurz bevor ich die Hände wieder sinken ließ und noch einen Moment zwischen den beiden hin und her sah. Ich konnte den Kerl unmöglich guten Gewissens wieder vor die Tür setzen, hing er hier doch wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Wenn wir keine Probleme hatten, dann suchte uns Faye wohl welche. "Also... ja, von mir aus kannst du heute hierbleiben...", ließ ich ihn erst einmal wissen, dass er nicht befürchten musste sich jetzt wieder nach unten zu kämpfen und ein Taxi zu rufen. "Aber dann wüsste ich trotzdem gerne, warum du nicht stattdessen einfach im Krankenhaus liegen geblieben bist..?", hakte ich nach und sah Ryatt dabei nachdenklich an. Ich meine, sowas wie Grundversorgung mussten sie ihm so oder so leisten, auch wenn er als Obdachloser sehr sicher keine Krankenversicherung mehr hatte. Der junge Mann räusperte sich leise, sah einen Moment lang auf seinen Schoß und erst nach ein paar sehr langen Sekunden wieder zu mir, was ich schon für ein schlechtes Omen hielt. "Ich will nicht lügen..." Ja, mein Lieber, das war jetzt auch das mindeste an zu erbringender Eigenleistung für einen Schlafplatz. "...ich bin wegen den Cops gegangen. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte sein, dass sie seit ein paar Tagen nach mir suchen." Ich kam nicht drum herum die Hand an meine Stirn zu legen und nach wie vor leicht nach vorne geneigt auf den Couchtisch zu sehen. Ich wusste ja von Fayes chronischem Helfersyndrom und manchmal hatte das auch seine Vorteile, aber in diesem Fall ganz sicher nicht. "Wegen..?" Ich sah ihn noch nicht wieder an, war mit der Fragerei aber weniger barmherzig als meine Freundin. Ich wollte schließlich wissen, ob ich heute Nacht sowas wie indirekte Wache schieben musste. "Mehrfachem Diebstahl... sonst nichts.", war alles, was er an für meinen Geschmack zu knapper Auskunft gab. Ich sah erneut zu ihm hin. Wollte sehen, ob sich die Lüge vielleicht aus seinem Gesicht lesen ließ, aber er sah einfach nur wahnsinnig kaputt und erledigt aus. Also wanderten meine Augen nach Längerem das erste Mal zurück zu Faye. Ich wusste wieso sie ihn mit hierher gebracht hatte, aber das rechtfertigte für mich gerade einfach nicht ausreichend, dass sie quasi einen Verbrecher bei uns Zuhause verstecken wollte. Ich wusste ja noch nicht mal, ob Ryatt die Wahrheit sagte und er könnte weiß Gott was alles angestellt haben. Deshalb sah ich die junge Frau doch etwas entnervt und unzufrieden an, sagte sonst aber nichts. Gerne hätte ich sie postwendend gefragt, was das alles sollte und warum sie mich nicht einmal vorher fragte, aber ich war zu gut erzogen worden, um vor den Augen unseres vorübergehenden Mitbewohners damit loszulegen. Das würde warten müssen, bis er schlief. So oder so hatte ich das ungute Gefühl, dass ich meine eben getroffene Entscheidung noch irgendwie bereuen würde.
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Ja sehr verständlich, passt für mich..^^ ___________
Logischerweise fand sie es eher nicht so geil, gleich mit der nächsten Negativreaktion auf ihre überstürzten Taten konfrontiert zu werden. Selbstverständlich hatte sie nichts anderes erwarten können und natürlich hatte Victor jedes Recht dazu und seine Worte waren durchweg nachvollziehbar. Aber sie fühlte sich dadurch auf jeden Fall nicht wohler in ihrer Haut, hatte unbewusst schon wieder angefangen, an ihren Nagelhäutchen zu kratzen und dabei auf ihrer Unterlippe herumzubeissen. Ihr Name in Verbindung mit dem Allmächtigen aus dem Mund ihres Freundes klang keineswegs begeistert. Eher so wie ein Vater, der sehr genervt von seinem kleinen dummen Kind war und kaum glauben konnte, dass dieses den gleichen Fehler schon zum hundertsten Mal begangen hatte, während er selber daneben so langsam an die Grenzen seiner Weisheit stiess. Sie hob dabei den Blick nicht von ihren Fingern, die indes unruhig auf ihren Knien lagen. Lohnte sich nämlich gar nicht, wenn Victor gleich im Anschluss die Fragerunde eröffnete, welche sie mit einem innerlichen Stöhnen gleich noch etwas tiefer in die Kissen tauchen liess. Denn natürlich stellte er all die falschen Fragen... Die, die unumgänglich die Antworten folgen liessen, welche sie lieber noch etwas aufgeschoben hätte. Vielleicht war es gut, Victor gleich auf denselben Wissensstand zu bringen wie sie - oder sogar noch etwas darüber hinaus, so wie Ryatt beschloss, auf die Frage einzugehen. Aber vielleicht war das auch schlecht, weil er die Sache etwas realistischer betrachtete als sie und somit etwas weniger nur den Hilfeaspekt darin sah, als auch die ganzen Gefahren und vor allem den Ärger, der ihnen das einbrocken könnte. Sie fand es scheisse, dass er ihr Gegenüber auf dem Sessel sass, während sie sich das Sofa mit Ryatt teilte. Nicht wegen ihrem Besucher, sondern weil sie in solchen Momenten einfach ein kaum zu bändigendes Bedürfnis verspürte, sich bei Victor zu verkriechen oder zumindest seine Finger mit den ihren zu verschränken. Falls er das denn überhaupt zulassen würde, weil es in diesem Moment doch eindeutig sie war, die Scheisse gebaut hatte. Und seinem Blick nach zu urteilen, den sie sich einfing, als sie nach einer Weile des Schweigens dann doch sehr vorsichtig den Kopf anhob, um ihn anzuschauen, würde das noch seine Konsequenzen nach sich ziehen. In Form eines sehr unangenehmen Gespräches, in dem sie ihm erklären konnte, warum sie so eigenmächtig gehandelt und ihn nicht wenigstens kurz angerufen hatte. Tja. Warum hatte sie das nicht getan? Weil sie gewusst hatte, dass er ihren Plan Kacke fand. Und sie hatte Ryatt weder auf der Strasse alleine lassen, noch zurück ins Krankenhaus schleppen wollen. Trotzdem baten ihre Augen jetzt ziemlich flehentlich um Entschuldigung und Verständnis, als wäre das eine Sache, über die man einfach mal eben hinwegsehen konnte. Sie hatte auch echt keinen Nerv, sich noch mit ihm zu streiten, weder heute noch morgen oder sonst irgendwann. Aber besonders nicht heute nach einer Spätschicht, die ihr doch so Einiges abverlangt hatte. Schade nur, dass es nicht an ihr war, in diesem Moment Forderungen zu stellen. Stattdessen zuckte sie beinahe hilflos mit den Schultern, weil sie auch keine Ahnung hatte, was sie dazu jetzt noch sagen sollte. "Es tut mir leid... Ich... ich hätte dir wie gesagt Bescheid geben sollen... Aber ich...", ja, keine Ahnung. Es änderte eben nichts mehr an den Fakten, wenn sie sich jetzt auch ein zweites Mal entschuldigte. Und dass sie ihn weder einfach alleine hatte stehen lassen können, noch es übers Herz gebracht hatte, ihn zu den Cops zu bringen, war irgendwie offensichtlich. "Es ist einfach für diese Nacht und morgen schauen wir weiter, okay?", ihre Augen lagen noch einen Moment schuldbewusst auf Victor, ehe sie schliesslich, nach einem Zwischenhalt auf ihren Händen, zu Ryatt rutschten. Sie wusste echt nicht, was es sonst noch zu sagen gab - zumindest nicht, während sie hier zu dritt sassen. Und da Victor mehr oder weniger sein Okay gegeben hatte und sie alle müde waren, war es am naheliegendsten, sich erstmal dem zu Bett gehen zu widmen. Fand sie jedenfalls, auch wenn sie sich wohl künftig besser nicht mehr allzu sehr auf ihre persönliche Wahrnehmung verlassen sollte. „Möchtest du noch was essen..?“, fragte sie etwas unsicher in seine Richtung, ihre Stimme noch immer eher leise. Sie hatte ja keine Ahnung, wann er zuletzt etwas gegessen hatte, aber Nahrung war eben grundsätzlich vorteilhaft, um die Wundheilung voran zu treiben. Und da Victor sowieso grundsätzlich eher nicht ganz einverstanden war mit dem, was sie hier veranstaltete, spielte es irgendwie auch keine Rolle mehr, ob Ryatt noch was ass oder nur schlief. Sie hatte sowieso erstmal verkackt und konnte nur hoffen, dass das keine weiteren Folgen nach sich zog.
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Unangenehm war irgendwie keine ausreichende Bezeichnung dafür, wie ich mich hier gerade fühlte. Wahrscheinlich hätte ich wissen müssen, dass diese Sache irgendeinen Haken haben würde, als ich vorhin zugestimmt hatte. Zwar hätte ich schwer ahnen können, dass Faye nicht alleine wohnte, aber andererseits war es eigentlich doch naheliegend. Eine attraktive Frau in ihrem Altern - welche Jahreszahl denn nun auch genau auf ihrer Geburtsurkunde stehen mochte - war einfach selten single. Im Grunde spielte es aber auch gar keine Rolle. Ich war jetzt hier und würde nur sehr ungern ein zweites Mal die Treppe benutzen. Zwar war der Weg nach unten vielleicht etwas weniger schmerzhaft als aufwärts, aber ich hatte mein Glück in Sachen Bewegung heute ohnehin schon strapaziert. Also hatte ich auf dem Sofa Platz genommen, zwangsweise auch auf Victors Fragen geantwortet. Ehrlich gesagt wirkte er mir nämlich nicht so, als hätte er irgendwas anderes als die Wahrheit akzeptiert. Zwar ließ ich doch weiterhin gerne Details aus - obwohl es für die beiden hier sicher einen Unterschied gemacht hätte, ob ich dabei mit einer Pistole bewaffnet gewesen war oder nicht -, jedoch ging ich zumindest ein bisschen mehr auf das Thema ein als zuvor bei Faye. Überflüssig zu erwähnen, dass ihrem Freund meine Antworten nur wenig bis gar nicht zu gefallen schienen. Wahrscheinlich ginge es jedem Menschen in seiner Situation genauso, ich verurteilte ihn also keinesfalls dafür. Dennoch wünschte ich mir innerlich seufzend einen Moment lang, ich wäre doch einfach in meinen Truck gestiegen und eben nicht mehr rausgekommen. Hätte der Brünetten noch einen schönen Abend gewünscht und ihr gesagt, sie sollte sich keine Sorgen machen, weil ich schon alleine klarkam. War fragwürdig, inwiefern das der Wahrheit entsprochen hätte, aber dann hätte ich uns dreien hier diese wirklich unangenehme Situation erspart. Victor war unterschwellig angepisst, Faye entschuldigte sich ein weiteres Mal und ich saß hier so richtig schön unangenehm zwischen den Stühlen. Zwar nickte der großgewachsene Kerl auch noch ein weiteres Mal zähneknirschend ab, dass ich heute Nacht hierbleiben konnte und die Frage, was im Verlauf dann noch mit mir passieren sollte, erst einmal auf morgen vertagt werden konnte, aber er wirkte weiterhin nicht gerade begeistert davon. Ehrlich gesagt graute es mir bei dem Gedanken daran morgen irgendwann die Stufen wieder runter zu müssen genauso sehr, als wenn ich jetzt wieder hätte gehen müssen, aber gut. Es war von Anfang an nur um die heutige Nacht gegangen, weshalb ich mich nicht dagegen wehren würde, sollte ich morgen wieder vor die Tür gesetzt werden. Schließlich hatte ich noch sowas wie Verstand - meistens zumindest - und konnte nachvollziehen, warum der junge Mann nur wenig begeistert von meinem Auftauchen war. Ich hatte eine kleine Weile lang schweigsam zwischen Faye und Victor hin und her gesehen, bis die Brünette schließlich eine Frage an mich richtete. Wahrscheinlich hatte ich schon ein bisschen Hunger, wo meine letzte Mahlzeit doch schon im heutigen Vormittag zurücklag, aber ich war mir nicht so sicher damit, dass mein Magen das genauso sah. Ich könnte aber zumindest versuchen ein oder zwei Bissen runterzuschlucken. Deshalb nickte ich nach ein paar stummen Sekunden schließlich, wenn auch noch etwas zögerlich. "Ja... vielleicht aber lieber nur ein Brot oder was anderes Kleines.", gab ich mit inzwischen leicht trockener Kehle zu verstehen, dass ich mich höchstens an einer Kleinigkeit versuchen wollte. Räusperte mich dann auch leicht, bevor ich noch eine kleine Bitte anhängte: "Und Wasser... bitte." Mein Körper war sicher ausgelaugt von all den Strapazen, da konnte etwas zu trinken nicht schaden. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis mich richtiger Durst heimsuchte und ich wollte nur ungern in der Nacht aufstehen müssen, um mir selbst etwas zu holen. Ich sah Faye noch an, bis sie verschwand. Dann wieder zu Victor. Er kam um ein weiteres Kopfschütteln wohl nicht rum als er aufstand. Wortlos. Allerdings kam er wider Erwarten ein paar Minuten später mit einer Decke und einem richtigen Kissen zurück.
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Sie war tatsächlich aus mehr als einem Grund sehr froh darüber, dass Ryatt nach einer kurzen Denkzeit entschied, noch was essen zu wollen. Erstens hatte sie dann was zu tun, das sie zumindest kurzzeitig von ihren selbstgeschaffenen Problemen ablenkte, zweitens war es wirklich von Vorteil, wenn er versuchte, wieder etwas Energie zu tanken und drittens konnte sie dem Raum mit seiner angespannten Atmosphäre entfliehen, da sie ja in die Küche musste. Also nickte sie unverzüglich, machte sich dann auch sofort daran, der Bitte nachzukommen, indem sie in der Küche das Brot hervorholte und erstmal zwei Stück davon auf einen Teller packte. Den Teller stellte sie wiederum auf ein Tablet, auf das sie ebenfalls noch Butter und Marmelade legte, bevor sie einen Krug mit Wasser füllte und ein Glas dazustellte. Sie bezweifelte stark, dass er im Moment mehr als das Brot essen konnte, weshalb sie es auch ausnahmsweise dabei belassen konnte, ihm nicht mehr als das Gewünschte aufzutischen. Dafür war sie dann aber für ihren Geschmack etwas zu bald fertig, gönnte sich erstmal selbst ein Glas Wasser. Faye lehnte sich ein paar Sekunden mit der Hüfte gegen die Küchenablage und schloss die Augen, strich sich mit beiden Händen über das müde Gesicht. Das reichte zwar kaum, um wirklich zu verarbeiten, was heute alles geschehen war, aber diesen Anspruch konnte sie auch schlecht haben. Es war nicht mal sicher, ob sie das heute Abend oder Nacht noch fertig brachte, ganz egal wie viele Stunden sie im Bett verbringen würde. Nun gesann sie sich aber vorerst wieder ihrer Aufgabe, beziehungsweise ihrem ursprünglichen Plan, Ryatt sein Abendessen ins Wohnzimmer zu bringen. Da fehlte nur noch eine Kleinigkeit, für die sie zuerst die entsprechende Kiste aus dem mittleren Wandschrank im Flur holte. Diese war mit allerlei Medikamenten und Verbandsachen gefüllt und Faye brauchte ihre Hirnzellen eher nicht übermässig anzustrengen, um sich für das stärkste Schmerzmittel zu entscheiden, mit dem sie auf Vorrat und ohne Rezept glänzen konnte. Auch das würde nicht reichen, um Ryatt ganz alle Schmerzen zu ersparen, aber vielleicht konnte er damit zumindest einigermassen ruhig schlafen. Alles andere war leider rezeptpflichtig und nach solchen OPs wurden die Schmerzen zumindest in den ersten 24 Stunden normalerweise eh intravenös betäubt. Zu Recht, wagte sie mal zu behaupten. Aber da konnte sie auch nichts mehr tun, dafür hätte er an sein Krankenbett gefesselt bleiben müssen… Die junge Frau schnappte sich das vorübergehend ausreichend bestückte Tablet und trug es nach einem kaum hörbaren Seufzen ins Wohnzimmer zurück. Da schien Victor ihrem Gast mittlerweile aus mehr oder weniger freien Stücken die Bettsachen gebracht zu haben, was sie durchaus als positiv werten wollte. Sie stellte ihren Ballast auf dem Beistelltisch vor der Couch ab, blickte wieder zu Ryatt, welchen sie erneut irgendwo zwischen besorgt und prüfend musterte. Sie versuchte irgendwelche Emotionen aus seinen Gesichtszügen herauszulesen, aber das gestaltete sich doch relativ schwer, weshalb ihre Augen zurück zum Tablet fanden. "Es ist selbstverständlich noch mehr da, aber ich wusste nicht, wie viel du essen magst... Einfach sagen, wenn du dann noch hungrig bist, okay? Und ich hab ein Schmerzmittel dazugepackt... Kann dir auch noch eine Pille mehr geben, falls du heute Nacht nicht schlafen kannst - aber du darfst nicht mehr als eine alle vier Stunden einnehmen", erzählte sie vor sich hin, griff im gleichen Atemzug nach dem Krug, um das Glas schonmal zu füllen, weil sie sich vorstellen konnte, dass der volle Krug mit seinem Gewicht sicherlich auch nur unnötige Schmerzen auslösen würde. "Ich weiss nicht... brauchst du sonst noch irgendwas? Das Bad ist im Flur die erste Tür rechts...", sie wusste nicht so Recht, was sie ihm sonst noch anbieten konnte, weil es irgendwie nichts mehr gab, das ihr für so eine Übernachtung einfallen wollte. Ihr Blick suchte also wieder nach Victor, weil sie nicht wusste, ob er noch was zu sagen hatte oder ob ihm ergänzend noch was eingefallen war. Oder ob er sich lieber so rasch wie möglich ins Bett verkroch, wo er sich über ihre unheilbare Intuition aufregen konnte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich beobachtete zuerst Victor dabei, wie er das Bettzeug ablud, nach dem ich nicht einmal hatte fragen müssen. Er sah noch immer alles andere als begeistert aus, weshalb ich es ihm erst recht hoch anrechnete und auch ihm noch ein schlichtes "Danke." zukommen ließ. Ich hätte es ihm nicht mal übel genommen, wenn er sich einfach verzogen und mich mit Nichtachtung und blanker Missbilligung gestraft hätte. Mir schien als hätten die beiden ihre helfenden Adern gemeinsam, auch wenn der Dunkelhaarige das etwas besser versteckte als seine Freundin. Er erwiderte auf meinen Dank auch nichts, sondern nickte nur schwach und sah dann zu Faye, als sie sich wieder zu uns gesellte. Hörte ihr wohl genauso aufmerksam zu, wie ich auch. Meine Augen hingen dabei an dem Tablett und schon auf den ersten Blick hätte mir nur ein Brot wirklich gereicht. Ich versuchte mich möglichst vorsichtig etwas aufzurichten, weil es sich so tief im Polster hängend einfach schlecht essen ließ. Beide Wunden zwickten dabei ziemlich ordentlich, aber ich verzog lediglich den Mundwinkel. "Ich bin schon froh, wenn ich mehr als eins schaffe.", ließ ich Faye mit einem schwachen Kopfschütteln schon vor meiner Mahlzeit wissen, dass ich vermutlich ohnehin nicht allzu viel runterkriegen würde. Meine Priorität lag natürlich aber auf dem Schmerzmittel, weshalb ich mich jetzt langsam nach dem Tablett ausstreckte. Mir zuerst eine der Pillen aus dem Blister drückte und dann mit der linken Hand nach dem Glas griff, um die Tablette mit Wasser meinen Rachen runterzuspülen. Danach widmete ich mich dann dem Brot - weigerte mich auch da wieder indirekt aber sehr offensichtlich dagegen, noch mehr Hilfe von der Brünetten anzunehmen, als ich das ohnehin schon die ganze Zeit tat. Da litt ich lieber noch ein bisschen mehr Schmerz, ich würde gleich noch lang genug reglos auf dem Sofa rumliegen. Ich strich mir gerade noch das Brot zu Ende, als die junge Frau sich danach erkundigte, was sie sonst noch für mich tun könnte. An und für sich wäre ich wahnsinnig gerne ins Badezimmer - für eine Dusche. Eine extra lange, richtig ausgiebige. Das ging gerade aber nicht und demnach fiel meine Antwort darauf etwas anders aus. "Ich werd' mir jeden weiteren Schritt verkneifen, solange es geht.", meinte ich, als ich das Messer bei Seite legte. Sollte ich später in der Nacht dann aufs Klo müssen, ließ sich der Gang zum Badezimmer leider nicht endlos weiter verschieben, aber ich würde mich nicht mehr vom Sofa wegbewegen, solange es sich vermeiden ließ. Damit würde heute Abend also das Zähneputzen ausfallen, aber ich hatte gerade auch wirklich größere Probleme. Es gab Schlimmeres. Eine Stichwunde beispielsweise. Ich dachte dennoch beim ersten Bissen in das frische Brot darüber nach, was es noch geben konnte, das ich brauchen könnte. Etwas, das ich Faye auch nur guten Gewissens noch abverlangen könnte. Deshalb sah ich auch nachdenklich an mir herunter, während ich kaute. Dann sah ich weiter zu dem Bettzeug, das der junge Mann auf dem Sitzpolster abgelegt hatte und da machte es dann Klick. Ich schluckte aber natürlich erst runter, bevor ich Faye wieder ansah und einen weiteren Wunsch äußerte. "Kannst du mir aus dem Pullover helfen, wenn ich fertig bin? Sonst wird mir später wahrscheinlich zu warm... ich hab ein paar Shirts in der Tasche.", richtete ich eher vorsichtig meine Frage mitsamt kurzer Erklärung an sie, bevor ich einen Seitenblick zu Victor warf. Er seufzte genervt, drehte sich mit einem "Gute Nacht." um und machte Kehrt. Ich wünschte ihm guten Schlaf, dann war er auch schon verschwunden. Ich würde seine Freundin wirklich nicht darum bitte, mir aus dem Pullover zu helfen, wenn ich nicht schon vorher wüsste, dass mir die langen Ärmel vermutlich Probleme machen würden. Erstens wegen meinem unteren Bauch und zweitens noch etwas mehr wegen der Schnittwunde am Arm. Es war eben beides denkbar ungünstig, um aus langen Ärmel rauszuschlüpfen. Reinzukommen war grundsätzlich einfacher. Blieb wohl zu hoffen, dass der junge Mann nach einer Mütze voll Schlaf morgen ein bisschen entspannter war. Zugegeben würde ich aus der Jeans mit getrocknetem Blut nicht weniger gern bald raus, aber um die würde ich mich wohl doch lieber selbst kümmern. Wenn auch in Zeitlupe. Das war mir lieber, als hier Fragen zu meiner elendig großen Brandnarbe zu beantworten oder deswegen angestarrt zu werden. Zwar ragte die bis zu den Rippen auch an meinem Oberkörper hoch, aber das war eben nur ein kleiner Bruchteil des eigentlichen Ausmaßes und dabei würde ich es gerne belassen. Das Bein sah deutlich... bemitleidenswerter aus, trotz stellenweiser Hauttransplantationen.
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Es war ziemlich offensichtlich, dass ihm selbst die Bewegung, die das gerade Hinsitzen erforderte, nicht zu geringe Schmerzen bereitete. Und das war nicht gut, weil sie sich unverzüglich fragte, ob es nicht doch einfach sehr viel besser für ihn wäre, wenn er weiterhin im Krankenhaus liegen würde, bis er zumindest einigermassen wieder intakt war. Dann konnte er ja immer noch weglaufen, oder? Wenn er ihr hier auf dem Sofa krepierte, war das nämlich ihre Schuld. Sie war die Sanitäterin, eigentlich hätte sie schlauer sein sollen als das. Und was, wenn er heute Nacht starb und sie es nicht mitbekam? Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was das für Folgen nach sich ziehen würde, aber eins war sicher - ihr Leben wäre gelaufen und das war keineswegs übertrieben dramatisch ausgedrückt. Sie würde ins Gefängnis kommen, weil sie keine Hilfe gerufen hatte, ihn viel mehr hierher gebracht und geglaubt hatte, das würde schon von selbst wieder gut werden. Aber das Gefängnis wäre nichtmal das Schlimmste. Ihr Kopf würde sie nämlich schon vorher sehr grausam umbringen. Und sie musste sofort aufhören, darüber nachzudenken, weil ihr allein von diesen Gedanken schon schlecht wurde und ihr Herz zu rasen begann, als hätte es einen Grund dazu. Entsprechend abwesend und weiterhin durch und durch besorgt war auch ihr Blick, als sie auf seine Worte langsam nickte. Sie hatte schon angenommen, dass er wohl nur von einem Stück Brot gesprochen hatte vorhin, aber es wäre eben trotzdem besser, wenn er zwei essen würde. Ausserdem wollte sie nicht riskieren, ihm weniger gebracht zu haben, als er tatsächlich essen mochte. Sie wusste nicht, wie schlecht es um seine finanzielle Lage wirklich stand und wie viel er normalerweise essen konnte, aber zumindest für die Zeit, die er bei ihnen wohnte, sollte er nicht hungern müssen. Dass er sich nur so weit wie unbedingt nötig zu bewegen plante, stand in diesem Moment ganz in ihrem Sinne, weshalb sie auch darauf nochmal nickte. "Das ist sicher ein guter Plan...", murmelte sie in sich hinein, innerlich noch immer dezent durch den Wind dank ihrem Gedankengang von vorhin. Sowieso stand sie etwas verloren neben dem Beistelltisch, wusste nicht Recht wohin mit sich, während er mit seinem Brot beschäftigt war. Und das war nicht gut, weil Stillstehen und nichts zu tun haben zwangsläufig zum Nachdenken animierten. Faye fasste sich bereits wieder an die Stirn, um sich den Haaransatz zu massieren, als würde das irgendwie dabei helfen, ihren Kopf leer zu räumen, da erreichte sie die leise Bitte von Ryatt, die sie unverzüglich wieder aufschauen liess. Noch bevor sie wirklich verstanden hatte, was er gerade gefragt hatte, vernahm sie auch schon das genervte Seufzen, das sie den Kopf zu ihrem Freund drehen liess, der sich dabei aber bereits verabschiedete, um zu gehen. Sie machte den Mund auf, um was zu sagen, wäre ihm beinahe hinterher gestolpert, bevor sie es sich doch anders überlegte und ihm nur etwas verloren hinterher blickte, von einem Fuss auf den anderen trat und einen Moment lang den Holzboden begutachtete. Es war eigentlich nichts dabei, Ryatt mit dem Pullover zu helfen. War bei Gott nicht das erste Mal in ihrer Karriere, dass sie einen Mann aus seinen Kleider schälte. Nur tat sie das halt normalerweise nicht in ihrem Wohnzimmer. Es sei denn, es handelte sich dabei um Victor, natürlich. Aber das war wirklich ein ganz anderes Thema, das neben all dem Rest in ihrem Kopf gerade echt nicht auch noch Platz fand. "Ja, klar, kann ich machen...", es hatte wohl etwas zu lange gedauert, bis sie diese Antwort zusammengekratzt hatte, um sie genauso bedenkenlos klingen zu lassen, wie sie das beabsichtigt hatte. Aber was spielte das noch für eine Rolle. Faye betrachtete den jungen Mann ein paar Sekunden lang nachdenklich, bevor sie sich schliesslich doch dazu entschied, sich ihm gegenüber in den Sessel sinken zu lassen, solange er noch mit Essen beschäftigt war. Brachte ja doch nichts, wenn sie jetzt Victor hinterher eilte, nur um dann nochmal zurück zu kommen, um Ryatt mit dem Pulli zu helfen. Ihre Augen lagen die meiste Zeit aber trotzdem nachdenklich auf ihren Fingern, die schon wieder unruhigen auf ihrem Schoss nestelten. Bis sie dann mal den Kopf hob, um wieder ihr Gegenüber zu mustern, als hätte sich an seinem Allgemeinzustand irgendwas geändert in den letzten paar Minuten. "Ryatt du... du musst mir wirklich sagen, wenns schlimmer wird mit den Schmerzen, kannst du mir das bitte versprechen? Ich hab' einfach Angst, dass plötzlich was passiert... Und dann liegst du alleine hier und niemand merkts...", bat sie ihn mit deutlichem Nachdruck, der ihre Sorge ziemlich klar nach Aussen trug. "Und kann ich mir die Verbände nochmal anschauen, bevor du schläfst? Wechseln sollten wir wohl erst morgen, aber je nach dem wie die Sache nach all der Bewegung und Aufregung aussieht, ist schon heute vielleicht doch angebracht...", schob sie ihrerseits eine kleine Bitte nach. Sie wollte nicht unbedingt die Nähte freilegen, aber wenn die Verbände schon blutig waren, blieb ihnen diesbezüglich wenig anderes übrig. Bedeutete ja auch keinen Mehraufwand für ihn, immerhin wollte er den Pullover ja sowieso ausziehen.
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Ab und zu hatte ich vielleicht auch gute Pläne, ja. Dieser hier war in jedem Fall blankem Eigennutz zu verschulden. Was die Sache mit meinem Pullover anbelangte, dauerte es erstmal eine kleine Weile, bis die Brünette sich dazu schließlich äußerte. War aber sicher auch kein Wunder angesichts der Tatsache, dass ihre bessere Hälfte sich gerade sichtbar wenig erfreut verdünnisiert hatte. Dennoch stimmte Faye meiner Bitte am Ende zu, während ich auf einem weiteren Bissen Brot herumkaute. Ich nickte daraufhin und schenkte ihr ein eher verhaltenes Lächeln, was einfach der Tatsache zugrunde lag, dass ich mir vollauf darüber bewusst war, dass ich in diesem Haushalt ungewollt für Ärger sorgte. Vielleicht hielt der sich jetzt noch recht gut in Grenzen, aber ich war mir doch sehr sicher, dass das hier noch ein, zwei Konsequenzen nach sich ziehen würde. Für mich wahrscheinlich am wenigsten, wenn Victor nicht gerade aus eigenen Stücken die Polizei kontaktierte, aber den Eindruck machte er mir eigentlich nicht. Er war so rein vom Verhalten her bisher nicht der Typ Mensch, dem ich sowas Hinterlistiges ohne jede Vorwarnung zutrauen würde. Erste Eindrücke konnten zwar auch mal täuschen, aber in diesem Fall war ich mir da doch recht sicher. Was allerdings das Versprechen anging, das Faye nur wenig später von mir haben wollte, kam ich um ein leises Seufzen nicht herum. Wahrscheinlich war ihre Dimension von schlimmer auch absolut weit von meiner entfernt und ich würde wohl erst dann zu schreien anfangen, wenn ich wirklich das Gefühl kriegen würde, in der nächsten Stunde irgendwann zu verrecken. Aber sollte wirklich eine der inneren Nähte aufgehen, würde ich das merken, oder? Das wäre dann sicher eine andere Art von Schmerz als nur das brennende Stechen, das ich jetzt spüren musste. Allerdings konnte ich diesbezüglich eher nur mutmaßen, weil ich meine letzten Messerwunden damals im Krankenhaus parallel zu den Brandwunden sachgemäß auskuriert hatte und sich die auch nicht im Bauchraum befunden hatten. Da hätte ich auch nicht mal weglaufen können, wenn ich es gewollt hätte. War einfach nur froh gewesen über jede Dosis Schmerzmittel, die ich verabreicht bekommen hatte, um in irgendeinem Delirium aus Opiaten vor mich hinzuschweben. Ich sah also einen Moment lang auf die letzte Ecke Brot in meiner Hand, bevor ich den Blick schließlich in Fayes legte. Das war jetzt auch einfacher, nachdem sie nicht mehr herumstand, sondern gegenüber im Sessel saß. "Ja, versprochen.", war am Ende aber alles, was ich knapp dazu sagte. Einfach weil ich das Gefühl hatte, dass ich unglaubwürdiger dabei klingen würde, je länger meine Antwort ausfiel. Was die Verbände anging hatte ich kein Problem damit, dass Faye lieber noch ein bis zwei sehr gründliche Blicke darauf werfen wollte. Um die genähte Wunde am Arm machte ich mir ehrlich gesagt auch nur wenige bis gar keine Sorgen, weil ich die beim Gehen vorhin eher nicht in Mitleidenschaft gezogen hatte. Auch hatte ich die Tasche vorhin bewusst mit dem anderen Arm genommen. Da dürfte also ohnehin alles im grünen Bereich liegen. Mit der Stichwunde sah es vielleicht ein wenig anders aus, wo da doch vorhin schon der kleine Blutfleck gewesen war. Bisher fühlte sich jene Körperstelle aber nicht feucht oder dergleichen an, wenn ich wirklich richtig bluten würde hätte ich das sicher längst gemerkt. "Du würdest wahrscheinlich sowieso keine Ruhe geben, egal was ich davon halte.", warf ich erstmal eine Feststellung in den Raum, wobei ich aber nicht negativ behaftet klang und meine Mundwinkel wieder kurzzeitig nach oben zuckten. Sie war halt nun mal Sanitäterin und eine ganz besonders aufopfernde scheinbar noch dazu, weil sie mit ihrem Job scheinbar gerne in ihrer Freizeit weitermachte. Allerdings könnte das gut und gerne der Tatsache mit dem auch im Krieg gewesen zugrunde liegen. Was es damit auf sich hatte wusste ich bis jetzt noch nicht, aber ich wollte es definitiv noch herausfinden. Jedenfalls war es so oder so naheliegend, dass sie in jedem Fall noch einen Blick auf die Verbände werfen wollte, bevor sie sich ansatzweise beruhigt zu ihrem Freund verziehen konnte. "Aber ja, mach ruhig. Kann mir ja nicht schaden.", willigte ich dann auch in diese Sache mit einem kaum sichtbaren Schulterzucken noch ein, bevor ich den letzten Bissen Brot aß. Allerdings bekam ich schon jetzt langsam ein leicht flaues Gefühl im Magen, weshalb ich wie prophezeit von der zweiten Scheibe absah. Stattdessen griff ich ein weiteres Mal zu dem noch halbvollen Wasserglas und machte es mit ein paar größeren, aber langsamen Schlucken leer. Ich stellte das Glas danach weg und war daraufhin quasi bereit für meine Behandlung, was ich Faye sowohl mit einem Blick signalisierte, als auch damit, dass ich schlichtweg nicht weiter aß. Vielleicht plagte mich morgen früh dann ja endloser Hunger, aber ich war ohnehin nur unregelmäßige und zumeist eher kleinere Mahlzeiten gewohnt.
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Sie war sich nicht so sicher, ob sein Versprechen sie jetzt wirklich beruhigte. Auch wenn sie mal davon ausging, dass er sie dabei nicht absichtlich belog - irgendwie war es ja schon in seinem Interesse, an diesen Wunden nicht zu sterben - war eben doch noch ein sehr grosser Spielraum vorhanden, wenn es darum ging, dass er sich meldete, sobald es schlimmer wurde. Sie hatte ja nicht erwähnt, wie viel schlimmer es dabei sein musste. Ausserdem wusste sie nicht, wie es sich gerade für ihn anfühlte, ob die Schmerzen theoretisch schon stark genug wären, um ihn hier und jetzt sofort zurück ins Krankenhaus zu bringen, er das aber einfach auch nicht sehen wollte. Mit seiner nächsten Bemerkung hatte er allerdings Recht, was auch ihre Mundwinkel kurz nach oben zucken liess. "Gut erkannt...", bestätigte sie seine Vermutung. Theoretisch müsste sie wohl akzeptieren, wenn er keine Lust hätte, ihr seine Wunden zu zeigen. Hiess aber nicht, dass sie dann nicht einfach so lange Terror machen konnte, bis er sie ihr von selbst zeigte, weil sie nicht aufhörte, ihn zu nerven. Faye wartete geduldig den Moment ab, in dem er den letzten Bissen Brot geschluckt hatte. Wie erwartet sah er davon ab, sich ein weiteres Stück zu streichen, griff lieber nochmal nach dem Wasserglas, bevor er augenscheinlich soweit fertig war. Sie wartete noch einen Moment, bis ihre Blicke sich trafen und er ihr so definitiv signalisierte, dass sie sich an ihre nächste Aufgabe wagen konnten. Faye erhob sich aus dem gut gepolsterten Sessel, ging um den Couchtisch herum zu ihm rüber und blieb kurz etwas zögernd stehen. "Also zuerst musst du mit dem unverletzten Arm raus...", erklärte sie das relativ Offensichtliche, damit sie sich wenigstens gemeinsam mit dem gleichen Problem beschäftigten. Es hatte diese ganze Zeit gedauert, aber jetzt fragte sie sich doch plötzlich, woher der Pulli überhaupt kam. Er hatte ihn nicht getragen, als sie ihn von der Strasse gepflückt hatten. Auch hatten sie ihm nicht gerade eine Tasche mit Habseligkeiten oder ähnlichem mit ins Krankenhaus geschleppt. Also musste er das neue Kleidungsstück wohl während seines kurzen Abstechers im Haus der Heilung irgendwo ausgeliehen und sich selber reingerutscht haben. Sie wischte die Gedanken wieder beiseite, half ihm lieber dabei, den Ärmel des Pullis festzuhalten, damit er mit dem Arm rausschlüpfen konnte, ohne sich mehr als nötig zu verrenken. Dann griff sie etwas zögerlicher nach dem unteren Saum, der mit der Stichwunde das grössere Übel unter sich versteckte. Aber da es wirklich keine Rolle spielte, ob sich die Wahrheit jetzt oder in vier Minuten zeigte, hob sie den Stoff schliesslich an, um Ryatt komplett übervorsichtig und behutsam in Zeitlupe dabei zu helfen, sich zuerst mit dem Kopf und letztlich noch mit dem ebenfalls in Mitleidschaft gezogenen Arm aus dem Hoodie zu schälen. Wenigstens war sie so darauf fokussiert, ihm nicht mehr Schmerzen als nötig zuzufügen, dass sie sich nicht auch noch komisch dabei fühlen musste, auf ihrem Sofa einen fremden Mann auszuziehen - und wenn es glücklicherweise nur zur Hälfte war. Die Brünette faltete das Kleidungsstück grob, ehe sie den Pulli beiseite legte und sich dann wieder ihrem Gast und dessen Verletzungen zuwandte, dabei neben dem Sofa in die Hocke ging, um sich das Elend genauer anschauen zu können. Wie erwartet war das Pflaster, welches sich über die Wunde an seinem Bauch spannte, nicht mehr ganz so weiss wie gewünscht. Das Positive war, dass es sich nicht komplett vollgesaugt hatte - sie also davon ausgehen konnten, dass die Wunde nicht aufgerissen war und dauerhaft blutete. Aber trotzdem wäre es wohl angebracht, den Verband zu wechseln. Vorausgesetzt, sie hatte Pflaster in dieser Grösse da. Sie wandte sich vorerst ohne einen Kommentar von sich zu geben, wieder davon ab, um ihren Blick aufwärts wandern zu lassen. Eigentlich mit dem Ziel, seinen Arm anzuschauen, aber es war fast unausweichlich, dass ihre Augen dabei auch kurz an den Brandnarben hängen blieben, die in ihr sofort die Frage auslösten, ob ein Zusammenhang zwischen seinem Kriegstrauma und dem Feuer, das hier gewütet haben musste, bestand. Natürlich war sie aber zu gut erzogen, um diesen Verdacht tatsächlich bestätigen oder widerlegen zu lassen, löste ihre Augen auch rasch wieder davon, um sich stattdessen dem Pflaster an seinem Arm zu widmen. Dieses sah aber tatsächlich noch ziemlich frisch aus, weshalb sie mit einem leisen Seufzen die Hände auf ihren Oberschenkel rieb und sich dann erhob. "Ich denke, das Pflaster an deinem Bauch würde sich besser anfühlen, wenn es frisch wäre... Aber ich muss erstmal schauen, ob ich überhaupt was in dieser Grösse da habe. Sonst muss ich morgen früh was organisieren, denke ich", offenbarte sie ihre wenig überraschende Bilanz, blickte ihn noch einen Moment an, ohne aber mehr zu sagen, bevor sie sich abwandte, nach den Resten seines Abendessens fischte, um diese auf dem Weg gleich in die Küche zu bringen. Danach holte sie den Verbandkasten aus dem Flur und kehrte damit zu ihm zurück, legte das Teil auf den Tisch und suchte einen Moment nach dem passenden Verband. Tatsächlich fand sie noch was einigermassen Angemessenes, das für heute seinen Zweck erfüllen würde, stand dann aber nach einem weiteren Einfall erneut auf, um nochmal ins Bad zu gehen und sich dort einen sauberen Waschlappen zu organisieren, diesen feucht zu machen und damit bewaffnet dann zurück zu kommen. "Du solltest dich wahrscheinlich besser hinlegen...", meinte sie, da das Pflaster einfacher anzubringen sein dürfte, wenn sich die Haut darunter etwas spannte. Weh tun würde ihm das gleich sowieso, aber das liess sich einfach gerade echt schlecht vermeiden.
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Lange dauerte es nicht, bis Faye sich von dem Sessel erhob und zu mir herüberkam. Ich bereitete mich mental darauf vor, dass mich gleich wieder ein paar unangenehme Schmerzen in Empfang nehmen würden noch während die Brünette zu mir aufschloss. Auf ihre Anweisung hin zuerst mit dem unverletzten Arm aus dem Ärmel zu schlüpfen nickte ich, bevor es auch schon ans Eingemachte ging. Ich versuchte den Oberkörper dabei insgesamt so still wie nur irgendwie möglich zu halten, aber ihn gar nicht dabei zu bewegen war quasi unmöglich. Zwar machte Faye das geschickt - wohl auch nicht zum ersten Mal - und behandelte mich quasi wie die zerbrechlichste, teuerste Vase auf dem Planeten, aber das allein reichte eben nicht für ein absolut schmerzfreies Wunder. Deswegen war ich einfach nur froh, als der Pullover weg war und ich daraufhin wieder einen Moment stillsitzen konnte, bis der Schmerz sich verflüchtigte. Die Brünette machte sich nach der Aktion mit dem Kleidungsstück auch ohne große Umschweife wieder an die Arbeit und begann sich die Wundverbände zu besehen. Die und auch kurzzeitig die Narbe, was sich nicht übersehen ließ, wo ich sie doch während der flüchtigen Augeninspektion nie aus dem Blick ließ. Aber es war nicht so als hätte ich damit nicht ohnehin gerechnet, weshalb ich mich davon nicht stören ließ. Jene Zeichen des Krieges ließen sich nicht mehr ausradieren und solange ich nicht absolut penetrant deshalb angestarrt wurde, versuchte ich mir nicht mehr Gedanken als nötig darüber zu machen, was Andere darüber dachten. Oder auch nur Faye in diesem Fall. Ganz professionell sagte sie dazu auch gar nichts, sondern teilte mir stattdessen mit, dass sie den Verband an meinem Unterbauch gerne wechseln würde, kaum hievte sie sich zurück auf ihre schlanken Beine. Allerdings schien sie nicht zu wissen, ob sie überhaupt etwas Passendes zur frischen Wundabdeckung da hatte und so war "Okay." mein einziger Kommentar dazu, bevor sie mich kurzzeitig allein im Wohnzimmer zurückließ. Erst in dem Moment, als sie mit dem Tablett verschwunden und ich das erste Mal gänzlich allein im Raum war, begann ich mich ein wenig umzusehen. Ich befand mich hier jetzt nicht in einem überdurchschnittlich luxuriösen Haushalt, aber die beiden schienen ein gutes, durchschnittliches Leben zu führen und ich konnte nicht vermeiden, dass ich ein bisschen neidisch darauf war. Selbst wenn es tatsächlich einer der beiden war, der sich ebenfalls durch zischende Kugeln gekämpft hatte, dann hatte derjenige sich offenbar besser von seinem Trauma erholt, als das bei mir der Fall war. Oder hatte nur mehr Glück mit einem neuen Job gehabt. Wobei es mir im Grunde ja gut ging - ich konnte wahrscheinlich froh sein überhaupt noch zu leben und bis auf zeitweise, hartnäckige Verbitterung, sowie hier und da ein paar vorübergehende Halluzinationen, die eher nicht aus dem Nichts auftraten, hatte ich keine Probleme. Es brauchte schon einen Trigger, damit ich meinen eigens projizierten Film fernab der Realität zu schieben begann. Sogar mein Bein hatte ich behalten können, obwohl einer der Ärzte es damals lieber amputiert hätte und auch von der Rauchvergiftung von damals merkte ich meiner Lunge nichts mehr an. So angesichts aller schlechter Umstände ging es mir also fast sowas wie richtig gut und trotzdem war ich damit ganz und gar nicht zufrieden. Ich unterbrach die Gedanken mit einem Blinzeln, als Faye zu mir zurückkam. Aufmerksam beobachtete ich sie dabei, wie sie den Kasten voll Verbandszeug nach etwas Brauchbarem durchwühlte und schließlich wurde sie sogar fündig. Jedoch war sie kurz darauf schon wieder kurz weg und kam mit einem Lappen zurück. Wohl um die Wunde nochmal etwas zu reinigen, was schon bevor es überhaupt dazu kam ein unbehagliches, leises Grummeln meinerseits auslöste. Wahrscheinlich hätte ich schon vorher drauf kommen können, dass es sinnvoller war mich für dieses Prozedere hinzulegen. "Du machst's mir aber auch nicht leicht.", versuchte ich meine durch den Schmerz angekratzte Laune mit trockenem Sarkasmus über Wasser zu halten, bevor ich mich daran machte mühselig die Beine aufs Polster zu legen und mich dadurch allgemein etwas umzupositionieren. Wüsste ich nicht, dass mich jetzt erneut Schmerz erwartete, wäre ich fast dankbar um diese an sich eher bequemere Liegehaltung gewesen. So hingegen wartete ich nur darauf, dass die Tortur nach dem Abziehen des ursprünglichen Wundpflasters gleich möglichst schnell wieder ein Ende nehmen würde.
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