Das war genau die Antwort, welche sie hatte hören wollen und das dazu passende Lächeln seinerseits - das sie so nur erwidern konnte - kam einem erfreulichen Bonus gleich. Sie startete das Auto und steuerte es zurück auf die Strasse, als sie die leisen Bedenken ihres Freundes bezüglich seiner verbliebenen Spielkünste vernahm. "Ach, das kommt schon wieder. Ich unterstützte dich gerne beim Üben - auch wenn mir die Fehler wohl nichtmal auffallen werden", meinte sie lächelnd, was wohl auch wirklich der Wahrheit entsprach. Sie war zwar nicht ganz musikalische Analphabetin, aber mit besonders viel Feingehör für Zwischentöne und die perfekte Reihenfolge einzelner Klänge konnte sie dann doch nicht glänzen. Gut, dass Mitch das längst wusste und ausserdem auch sicherlich keine Hilfe darin brauchen würde, zurück zu seiner alten Höchstform zu finden. Wo ein Wille war, war auch ein Weg - und den Willen besass er ja offensichtlich schon, sonst hätte er sich kaum ein so teures Einzelstück einer Gitarre zugelegt. Das Singen und Spielen wäre ausserdem die folgenden Tage und vor allem Wochen über sicher ein guter Ausgleich zu dem Alltag, der sie erwartete. Wenn tagsüber körperlich so viel von ihnen gefordert wurde, würde ihm das eher weniger Kraft erfordernde Gitarrenspiel abends vielleicht helfen, etwas zur Ruhe zu kommen. Oder ihr, beim Zuhören. Seine Bemerkung holte sie zurück aus den Gedanken, in denen sie sich gerade mal wieder ihre ungewisse Zukunft ausgemalt hatte, und sie warf ihm einen etwas fragenden Blick zu, bevor ihre Augen zurück auf die Strasse fanden. "Wieso meinst du? Hat er was gesagt?", schob sie ihrem Blick auch noch die dazugehörende Frage nach, die er wohl schon hatte kommen sehen. Sie hatte jetzt nicht sonderlich darauf geachtet, aber einfach so wäre ihr nicht aufgefallen, dass der alte Herr sie schräg angeblickt hätte oder irgendwas anderes an seinem Verhalten auf einen entsprechenden Gedanken hingedeutet hätte. Also musste er fast eine entsprechende Bemerkung fallen gelassen haben, als Mitch mit ihm hinten in der Werkstatt gewesen war. wobei sich auch da die Frage stellte, warum sie überhaupt darüber geredet hatten. Wovon der Verkäufer sich hatte dazu verleiten lassen, einen Kommentar zu ihrer Beziehung fallen zu lassen. Waren sie so offensichtlich gestört? Glaubte sie eigentlich nicht, Aryana war nämlich allgemein nicht der Meinung, sich im Alltag besonders auffällig vom Rest der Bevölkerung abzuheben. Hatte ein Jahr lang gut beobachtet, wie sich die Menschen hier aufführten, um sich dieses Verhalten nach all den Jahren wieder erfolgreich zu verinnerlichen und sich anzupassen, da sie ausnahmslos nie das Bedürfnis hatte, auf irgendwelche Sonderheiten angesprochen zu werden. Ausserdem konnte das, was Benjamin zu Mitch gesagt hatte, kaum allzu negativ behaftet sein, so zufrieden wie die beiden aus der Werkstatt zurückgekommen waren und wie sie sich letztendlich verabschiedet hatten. Also machte sie sich diesbezüglich eher wenig Sorgen. Und alles andere würde ihr Freund wohl umgehend erklären, während sie das Auto aus der Stadt auf eine Landstrasse mit wenig Verkehr lenkte, die jetzt erstmal etwa zwanzig Minuten geradeaus nach ausserhalb zu ihrem Ziel, dem Fuss der Hügel führte.
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Vermutlich würde es einfach nur ein bisschen Zeit brauchen, ja. Es war ja auch nicht so, als hätte ich es komplett verlernt. Musste einfach nur die schon vorhandenen Künste wieder auffrischen und aufleben lassen. Dass Aryana mir dabei unter die Arme greifen wollte kommentierte ich in erster Linie damit, dass ich belustigt die Luft aus meinen Lungen stieß. "Na dann hoffen wir mal, dass zumindest mein Gehör nicht nachgelassen hat.", meinte ich nur kopfschüttelnd. Auf ihre Hilfe konnte ich mit den schiefen Tönen ja scheinbar nicht zählen, da musste ich mir also vermutlich weiterhin selbst behilflich sein. Ich hatte im Gefängnis durchaus hier und da einen gefühlten Gehörsturz gekriegt, wenn irgendwer im selben Zellengang randaliert hatte. Es hatte eben auch immer so furchtbar gehallt, in den ansonsten so leeren Fluren. Es hatte auch ganz am anderen Ende des Gangs was sein können, man hatte es trotzdem immer überdeutlich gehört. Ich tauschte den Gedanken lieber wieder gegen meine Gitarre und deren Hersteller aus, war das doch weit weniger unangenehm. Ich drehte den Kopf der Fensterscheibe neben mir zu und begann die vorbeiziehende Landschaft zu mustern. Es ging aus der Stadt raus und es fühlte sich ohne jeden Zweifel gut an, die Zivilisation Stück für Stück hinter sich zu lassen, auch wenn sie nicht außer Reichweite rückte. Ich brauchte auf jeden Fall noch eine Weile, um mich daran zu gewöhnen jetzt wieder so normal zu wohnen. Weder in einer Zelle, noch in einem Armeezelt zu schlafen. Vielleicht würde ich mich aber auch nie wirklich dran gewöhnen wieder in der Stadt zu wohnen. Womöglich war das einfach nichts für mich, wo ich bekanntlich doch nicht selten gern meine Ruhe hatte. Dafür war eine belebte Wohnsiedlung unter Umständen nicht ganz das Richtige, aber vielleicht würde ich mich trotzdem irgendwann daran gewöhnen und brauchte nur meine Zeit. Blieb abzuwarten. Aryanas Frage bezüglich meine Anmerkung kam nicht wirklich überraschend. Ich ließ den Blick aus dem Fenster gerichtet, als ich zu einer Antwort ansetzte. "Naja... bei der Gravur ging's mir um uns beide. Ich hab ihm aber nur wenig Input gegeben, weil ich mir vorher keine Gedanken drüber gemacht hab. Also hat er mir nur eine Frage dazu gestellt... und dann echt das Beste draus gemacht. Ich meinte er sei ein kleines Genie und seine Antwort dazu war, dass er das gar nicht sein muss. Weil wir beide so wirken, als würden wir ständig über den jeweils anderen wachen." Jetzt, wo ich das alles nachdenklich erneut in meinem Kopf abspielte, klang es irgendwie gleich doppelt seltsam. "Ich meine, vielleicht denk ich zu viel drüber nach oder er hat einfach auch 'ne kleine Schraube locker, aber... es klingt schon irgendwie ziemlich schräg.", redete ich weiter vor mich hin und zuckte schließlich mit den Schultern. Es war ja auch gar nicht so, als würde ich Aryana und mich für normal halten. Das waren wir nicht und das war zwischen uns auch ganz sicher kein Geheimnis. Aber ich fragte mich einfach, inwiefern der gute Benjamin sich das nur einbildete, oder ob da wirklich was dran war. Ob wir zumindest im Doppelpack wirklich eine etwas andere Ausstrahlung hatten, als man sie sonst so sah. Das musste ja auch gar nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein, wir wären dann eben nur sichtbar ein bisschen... anders. So, wie wir es eigentlich immer waren, weil man uns schlichtweg nicht mit einem normalen Bürger vergleichen konnte, der nie auch nur einen Fuß in die Armee und ihre Intrigen gesetzt hatte. Der noch nie direkt vor seinen Augen mit dem oft sehr brutalen Tod konfrontiert worden war. Es verändert einen eben zwangsläufig, wenn man solche Dinge sah und womöglich auch vorher schon den einen oder anderen Knacks in der Psyche hatte. Meine Liste war dahingehend sicher endlos. Die Hügel kamen langsam in Sicht, als ich den Blick wieder nach vorne durch die Frontscheibe richtete und meine Mundwinkel hoben sich erneut ein kleines bisschen an. Ich vermisste die Natur wohl einfach - auch, wenn ich auf eher sandige Hügel in naher Zukunft gut verzichten konnte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
"Daran hege ich keine Zweifel", erwiderte die Brünette zuversichtlich. "Und wenn doch, ists ja auch nicht schlimm, da ich die Fehler wie gesagt ohnehin nicht höre und du in diesem Fall ja auch nicht mehr - womit sie keinen mehr stören können", schlussfolgerte sie leicht sarkastisch untermauert, dass sie sich zumindest um dieses Thema wirklich keine Sorgen mehr zu machen brauchten. Wenig später erklärte Mitch auch seine vorausgehende Aussage etwas genauer, erklärte ihr auch den Zusammenhang zwischen dem Besuch in der Werkstatt und Benjamins Kommentar zu ihrer Beziehung. Aryana merkte gar nicht, wie sich ihre Augen in durchwegs positiver Überraschung etwas weiteten, als er kund tat, dass die Gravur nicht irgendwas mit seiner Vergangenheit zu tun hatte oder ein gutes Mantra für die Zukunft darstellte oder irgendwas in diese Richtung, sondern sie viel mehr ihnen beiden galt. Sie wusste gar nicht, wieso es so überraschend für sie war, aber sie hatte schlicht nicht damit gerechnet, dass er in diesem Moment an sie gedacht hatte. Interessant war zweifellos aber auch der Rest seiner Aussage. Es war natürlich gut möglich, dass Benjamin einen etwas sensibleren Riecher hatte, was solche zwischenmenschlichen Dinge anbelangte. Dass er aber nach kaum fünf Minuten direkt solche Beobachtungen anstellte, war definitiv ungewöhnlich und sprach wohl für die Wahrheit seiner Worte, über die sie sich nun doch einen Moment Gedanken machte. "Hmm... Vielleicht etwas schräg, ja...", murmelte sie vor sich hin, gefolgt von einer kleinen Pause. "Aber auch irgendwie gar nicht so abwegig. Dass wir auf die Dinge - Menschen - die uns was bedeuten besonders gut aufpassen müssen, hat uns das Leben wohl einfach zu gut gelernt", führte sie ihre Worte aus, zuckte nun auch leicht mit den Schultern. Es machte eben Sinn. Auch wenn sie sich dessen selbst vielleicht gar nicht wirklich bewusst waren, bisher gar nie erkannt hatten, dass dieser Beschützerinstinkt nach draussen durchdrang, so war es wohl einfach ein unterbewusster Akt der Gewohnheit. Sie waren ständig irgendwie auf der Hut, selbst wenn sie gefühlt entspannt waren und ihrer Meinung nach nicht wirklich auf die Umgebung achteten. Solche Ticks aus dem Kriegsalltag legte man eben nicht so einfach ab, genau wie man nicht einfach vergass, was einem im Leben schon alles genommen worden war und wie es sich damals angefühlt hatte. Sie hatte Julian auf keinen Fall verlieren wollen und sie fühlte den Schmerz, der sie damals beinahe erschlagen hatte, als die Nachricht zu ihr durchgedrungen war, noch immer so präsent wie am ersten Tag. Genauso wollte sie nun auch Mitch auf keinen Fall verlieren, weil sie genau wusste, was sonst auf sie wartete. Weil sie das nicht noch einmal überleben würde, weil sie ihn so unendlich liebte und weil sie ihn brauchte wie kaum jemand sonst. Also war es in Anbetracht ihrer Vergangenheit nur logisch, dass sie gewissermassen ständig unbewusst über ihn wachte und umgekehrt. Die Brünette blickte auf die Hügel, die langsam näherrückten und das Ende ihrer Ausfahrt ankündigten. Ganz oben auf dem Grössten davon thronte eine Gruppe von drei einsamen Bäumen - ihr heutiges Ziel. Der Aufstieg würde sich kaum fünfzehn Minuten ziehen und war die Aussicht und Ruhe allemal wert. Denn sie war sich ziemlich sicher, dass, wie auch sonst immer, heute keiner ihnen dort Gesellschaft leisten würde, sie also ungestört über alles reden konnten, was ihnen auf dem Herzen und im Weg lag. Also durch und durch das, was sie suchten.
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Ob Easterlin uns noch Hör- und Sehtests unterziehen würde? Wahrscheinlich. Es war eben schon wichtig, dass man bei gefährlichen Missionen seine Umwelt optimal wahrnehmen konnte und da war seine Toleranz sicher nicht unbedingt größer, als die bei der Army. Blieb wohl zu hoffen, dass sich dabei keine Notwendigkeit für Kontaktlinsen herausstellte, auch wenn ich so bewusst eigentlich keine Verschlechterung meiner Sehstärke wahrnahm. Es sollte für gewöhnlich ein eher schleichender Prozess sein, musste also im frühen Stadium nicht zwangsläufig auffallen. "Zumindest so lange nicht, wie keiner vorbei kommt, um sich zu beschweren.", blieb ich weiter auf der ironischen Schiene und schüttelte ein klein wenig den Kopf. Wenn wir beide die schiefen Töne nicht wahrnahmen, dann würden es uns die Nachbarn sicher nur ungerne abnehmen. Was die andere kleine Geschichte anbelangte, zeigte Aryana sich im ersten Moment kaum weniger nachdenklich, als das bei mir selbst der Fall war. Normalerweise urteilte eben auch eher keine wildfremde Person über uns als Paar, es war als also an und für sich schon ungewohnt. Dazu kam dann eben noch der Inhalt Bejamins Worte, der nicht gerade für klarere Gedanken sorgte. Allerdings wusste die Brünette dazu im Folgenden noch ganz gute Worte zu finden und so betrachtet klang das Ganze dann doch relativ logisch. Womöglich war das einfach auch einer der Ticks, die wir uns über die Zeit hinweg angewöhnt hatten, auch wenn hier auf Nicht-Kriegsgebiet eigentlich nicht wirklich Gefahr lauerte. Hier musste man wohl höchstens beim Übergehen von Kreuzungen zwei Mal gucken, bevor man einen Schritt machte. In der Vergangenheit war das ganz anders gewesen und auch in nicht ferner Zukunft würde es wieder brenzlig für uns zwei werden. "Ja, stimmt schon... ist vermutlich auch besser, wenn wir uns das gar nicht erst abgewöhnen.", seufzte ich, gegen Ende hin leiser werdend. Ich war wohl einfach kein Mensch, der besonders lange im Hier und Jetzt schwelgen konnte, ohne über die Zukunft nachzudenken. Die war nun mal ziemlich entscheidend dafür, wie das Leben noch so werden würde und vorerst waren die Aussichten beschissen, gelinde gesagt. Die Brünette hielt den Wagen schließlich auf einem kleinen Parkplatz am Fuße der Anhöhe an und der Motor verklang. Ich atmete kurz durch, während ich den Gurt löste und packte dann die Wasserflasche zurück in den Rucksack, den ich vorübergehend einfach zwischen meinen Füßen geparkt hatte. Nachdem jener wieder verschlossen war, reichte ich ihn Aryana rüber und suchte dabei nur flüchtig noch einmal ihren Blick, bevor ich ausstieg. Die Beifahrertür fiel hinter mir locker in den Rahmen zurück und ich streckte mich dann einmal kurz in der Hoffnung, dass das die verspannten Schultern etwas auflockern konnte. Mein Blick fiel dabei durch das hintere Fenster des Wagens auf das Holzinstrument und ich war irgendwie versucht, es mitzunehmen. Ich wusste, dass wir hier waren, um zu reden und es konnte einfach nicht wirklich angenehm werden. Ich wusste Wogen besser mit Liedern, als mit Worten zu glätten. Könnte am Ende damit vielleicht zumindest für einen halbwegs neutralen Ausgang der Dinge sorgen. Aber vielleicht war das auch eine blöde Idee, ich wusste es nicht. Fühlte mich in letzter Zeit nicht selten mit eigentlich simplen Situationen überfordert. "Soll ich sie mitnehmen oder besser hier lassen..?", war es diesmal also an mir, Aryana eine Frage für den weiteren Ablauf zu stellen. Erst nachdem ich die Worte ausgesprochen hatte, suchte ich ihren Blick über das Autodach hinweg,
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Ach, sie hatte ihre Nachbaren bisher als reichlich unkompliziert erlebt. Beziehungsweise überhaupt nicht erlebt, da sie bekanntlich eher nicht der offene, kommunikative Typ Mensch war, der gerne Beziehungen knüpfte und mit jedem ein Gespräch führte, der ihr begegnete. Sie wusste zwar, welche Menschen ungefähr in welche Wohnungen gehörten, zu behaupten, dass sie nach einem Jahr aber alle Namen kannte, wäre masslos übertrieben. Sie kannte zwei. Nämlich Bob Jackson, ein alleinstehender - oder zumindest glaubte sie, dass er alleinstehend war - Mann Mitte vierzig, der in der Wohnung gegenüber, auf dem gleichen Stock wie sie wohnte und Jill Andrews aus dem Erdgeschoss, die wirklich jede erdenkliche Möglichkeit ergriff, sie anzuquatschen. Und zwar auch dann, wenn Aryanas Ausstrahlung zu hundert Prozent klarmachte, dass sie kein Interesse an einer Unterhaltung hegte. Die Namen konnte sie sich im Übrigen auch nur darum merken, weil sie auf die Briefkästen gekritzelt waren und relativ einfache Klänge innehielten. Aber genug zu diesem kleinen Exkurs, vielleicht würde Mitch sich ja eher mit dem Rest des Hauses anfreunden, als das bei ihr passiert war. Oder es würde eben durch das neue Musikinstrument passieren, was sie aber für eher unwahrscheinlich hielt. Dann sollten die zwei gefühlten Grossfamilien im Haus erst einmal ihrem Nachwuchs die Mäuler stopfen oder sie anderweitig zum Schweigen bringen, bevor irgendwer sich über Musik beschweren konnte. Mitch's Stimme zog sie schliesslich erfolgreich zurück in die Gegenwart und leider musste sie ihm in seiner Aussage Recht geben. Es war tatsächlich so, dass sie auch in Zukunft gut aufeinander aufpassen mussten. Vielleicht sogar besser als je zuvor, wenn auch in ewig neuen, bisher unbekannten Umgebungen. "Ja... Du hast wohl Recht", pflichtete sie selbst mit einem müden Seufzen bei. Das Gute war, dass sie es sich sowieso kaum hätten abgewöhnen können, selbst wenn sie es versucht hätten. Also blieb ihnen hier zumindest eine Mühe erspart und sie konnten sich ganz auf ihre zweieinhalbtausend andere Probleme konzentrieren. Den Hügel vor sich beispielsweise, zu dessen Fuss der Wagen mittlerweile geparkt war. Auch Aryana stieg schliesslich aus, packte den Rucksack und schob die Tür hinter sich wieder zu, blickte bei seiner Frage übers Auto weg zu Mitch rüber. Sie musste nicht lange darüber nachdenken, was sie von der Gitarrenbegleitung hielt und warf ihm ein schwaches Lächeln zu. "Nimm sie mit. Schlimmstenfalls trägst du sie hoch und wieder runter ohne darauf zu spielen - dann hat sie wenigstens erstmals etwas frische Luft geschnappt. Und ausserdem möchte ich schon gerne baldmöglichst hören, wie ihr beide denn zusammen harmoniert...", antwortete sie, ohne, dass das Lächeln direkt wieder verblasste. Es würde sich wohl erst nach dem Gespräch zeigen, ob der Moment zur Einweihung der Gitarre wirklich passend war. Aber wenn doch, dann war es sicher von Vorteil, wenn sie das Instrument direkt mitgebracht hatten. Aryana wandte sich wieder von ihm ab und trat stattdessen zum Kofferraum, welchen sie öffnete, um eine klassisch weiss-blau karierte Decke herauszufischen, die sie noch in ihren Rucksack stopfte. War eben meist etwas komfortabler, als ständig von halb eingetrockneten Grashalmen in den Arsch gepikst zu werden. Dann war sie bereit, schloss das Auto per Knopfdruck ab und verstaute den Schlüssel im Aussenfach des Rucksacks, welchen sie schliesslich schulterte, um zu Mitch zu treten und sich mit ihm gemeinsam an den kurzen aber sonnigen Aufstieg zu machen.
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Meine bessere Hälfte schien nichts gegen die Gitarre einzuwenden zu haben und ich ließ mich von ihrem Lächeln ein klein wenig anstecken. Meine Mundwinkel zuckten ebenfalls kurz nach oben, als ich ihr übers Dach hinweg zunickte und kurz darauf trennten sich unsere Blicke auch schon wieder voneinander. Ich öffnete die Tür zur Rückbank und zog die Gitarre heraus. Als ich die Autotür wieder geschlossen hatte, besah ich mir das Instrument noch einen kurzen Augenblick. Der Kofferraum fiel unweit von mir wieder zu und so löste ich meinen Blick von dem schwarz eingefärbten Holz, um die Gitarre zu schultern. Erst danach musterte ich erstmals aktiv auch das Gurtband, das sich ebenfalls in einfachem, schwarzen Leder hielt. Alles andere hätte vermutlich auch weniger passend gewesen. Das Auto war abgesperrt und Aryana kam zu mir, weshalb ich mich ebenfalls in Bewegung setzte. Meine Augen glitten den Hügeln nach oben und eigentlich schien es mir auch auf den ersten Blick schon kein weiter Weg nach oben zu sein. Früher hätte ich eine solche Strecke bergauf vermutlich problemlos im Laufschritt genommen. Sogar mit Gepäck auf dem Rücken, wie die Army es einem zum Training nicht selten zusätzlich aufgehalst hatte. Aber jetzt gerade fürchtete ich doch ein bisschen, dass es anstrengend werden könnte, was womöglich einfach an dem Kater lag. Ich war auch sonst weit davon entfernt körperlich in Höchstform zu sein und der Alkohol hatte es bestimmt nicht besser gemacht. Aber gut - ich hatte ein ruhiges Plätzchen gewollt, also musste ich mich jetzt auch mit dem Weg dahin arrangieren. Die anfängliche Sorge über meine Kondition zeigte sich zwar mehr oder weniger unbegründet, trieb das aufwärts Gehen doch lediglich meinen Puls ein kleines bisschen hoch und das Gefühl förmlich nach Atem ringen zu müssen blieb aus, aber wir schlugen auch ein insgesamt eher gemütliches Tempo an. Irgendwo auf halber Strecke suchte ich mit meiner Hand wieder nach Aryanas. Ich war früher für diesen ganzen typischen Pärchen-Kram kaum bis gar nicht empfänglich gewesen, aber gerade brauchte ich es fast schon. Wir schwiegen auf dem Weg nach oben und meine Gedanken fingen schon bald an um die Frage zu kreisen, wie oder womit ich überhaupt bei diesem Gespräch anfangen sollte. Es war ja nicht so, als würde ich ausschließlich nur hinterfragen, wie ich meine Vergehen irgendwie akzeptieren und damit zu leben lernen konnte. Im Grunde hinterfragte ich viel mehr mein ganzes Leben, meine gesamte Existenz in diesem Universum. Ich verlor mich also zunehmend in der Frage, wie ich einen halbwegs guten Einstieg in die Unterhaltung kreieren könnte und weil auch das allein schon wieder den einen oder anderen unliebsamen Gedanken in meinem Kopf freiließ, suchte ich den mental fehlenden Halt stattdessen an der Hand der Brünetten neben mir. Es tat an sich wirklich gut mal wieder ein bisschen durch die Natur zu wandern, auch, wenn ich es nicht wirklich richtig genießen konnte. Denn je näher wir dem Gipfel kamen, desto präsenter wurde auch die innere Unruhe wieder. Vielleicht wäre es gar nicht so übertrieben zu sagen, dass ich fast schon Angst vor Aryanas Reaktionen hatte. Außerdem war ich noch immer nicht auf einen wirklich guten Anfang fürs Reden gekommen, als wir die kleine Baumgruppe schließlich erreicht hatten und ich die Hand der jungen Frau zwangsweise loslassen musste, weil das Ausbreiten der Decke andernfalls sicherlich schwierig geworden wäre. Als die Brünette sie aus dem Rucksack geholt hatte, griff ich mir das zweite Ende und legte sie im Schatten eines Baumes mit ihr auf dem Boden ab. Erst danach richtete ich mich noch einmal auf, um die Gitarre bequem von meiner Schulter runterzuholen. Einen Moment lang stand ich dann mit dem Instrument in der Hand einfach nur da und sah in die Ferne. "Ist fast ein bisschen wie damals...", stellte ich murmelnd fest, als ich meine Augen nach ein paar Sekunden wieder von dem Anblick losriss, um mich langsam auf der Decke niederzulassen und die Gitarre am Rand jener neben mir abzulegen. Zwar saßen wir hier nicht auf einem der Türme im Camp, aber trotzdem irgendwie erhöht und weite Aussicht gab es auch. Die hier war nur weit grüner als die in Syrien. Aber die Sorgen nehmen konnte mir auch die menschenfreundlichere Umgebung in den Staaten nicht. Ich schwieg wieder eine Weile, bis ich mit einem Seufzen schließlich die rechte Hand anhob und mir damit übers Gesicht rieb. "Ich weiß nicht, wie ich... anfangen soll. Gib mir... irgendwas.", gab ich mich murmelnd ziemlich aufgeschmissen, während ich mich mit dem anderen Arm nach hinten auf die Decke abstützte. Vielleicht brauchte ich nur einen Schubs in die richtige Richtung, um besser über den ganzen Mist reden zu können.
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Der Aufstieg war wie erwartet weder besonders lang noch besonders anstrengend. Die leichte Steigung war in ihrem durchweg gemütlichen Tempo doch gut zu meistern, brachte somit keine Probleme mit sich und Aryana nahm gerne seine Hand, als er damit unterwegs nach ihrer fischte. Es war wirklich bemerkenswert, wie oft er momentan nach ihrer Nähe suchte, was früher in diesem Ausmass doch nicht wirklich üblich gewesen war. Jedenfalls nicht mit Händchenhalten oder ähnlichen Gesten. Sie hatte auch wirklich nichts dagegen, so war das nicht, aber sie kam nicht umhin, dahinter eine etwas schwerere Bedeutung zu vermuten als nur das Bedürfnis nach der Nähe, die er ein Jahr lang vermisst hatte. Als sie schliesslich am geplanten Ort angekommen waren, blieb Aryana noch einen Moment stehen und blickte in die Ferne, liess die Ruhe und Weite auf sich wirken, bevor sie die Decke aus dem Rucksack holte und mit der Hilfe des jungen Mannes ausbreitete, damit sie es sich im Anschluss darauf gemütlich machen konnten. So gemütlich wie die Umstände und die Gewissheit des unangenehmen Gespräches es eben zuliessen. "Ja, schon... nur dass uns hier ganz bestimmt keiner belauschen kann und es ausserdem keinen interessieren wird, was wir hier gerade tun", stimmte sie ihm durchaus zufrieden zu. Immerhin dieses Problem würden sie nie wieder haben. Von ihrem Austritt aus der Army und dem Ende der Gerichtsverhandlungen an hatte keiner mehr irgendein übermässiges Interesse an ihrer Beziehung mehr gezeigt und seit er das Gefängnis verlassen hatte, kam auch niemand mehr aktiv auf die Idee, ihnen Teile davon ernsthaft zu verbieten. Und das war gut so, hatten sie doch augenscheinlich wirklich auch ohne dieses Problem genügend Hürden zu bewältigen. Aryana blickte wieder stumm in die Ferne und liess ihren wirren Gedanken freien Lauf, lauschte den paar Spatzen, die den höchsten der drei Bäume zu ihrem vorübergehenden Standort erklärten. Es war nicht besonders lange her, seit sie das letzte Mal hier gewesen war, höchstens vier Wochen. Aber es war trotzdem spannend, wie sich die Felder zum Fuss der Hügel ständig wandelten und jedes Mal ein Bisschen anders aussahen, wenn sie kam um sie zu betrachten. Ihre Augen wanderten langsam zu Mitch, als sie eine Bewegung wahrnahm und gerade noch sah, wie er sich übers Gesicht rieb. Es war auf den ersten Blick erkennbar, dass er sich weit weniger entspannt fühlte als sie sich selbst. Und das war auch wenig erstaunlich, immerhin war er es, der sich letzte Nacht fast ins Koma betäubt hatte. Sie war selbst nicht unbedingt ruhig, weit entfernt von innerem Frieden und stattdessen erfüllt von Fragen, Ängsten und Zweifel. Aber sie hatte seit da, wo sie heute Morgen gemeinsam wieder ins Bett gegangen waren, viel Zeit damit verbracht, wieder ein Stück weit runter zu kommen, weshalb es ihr wohl gerade doch deutlich besser ging als ihm. Jedenfalls in diesem Moment noch. Seine einleitenden Worte waren durchaus verständlich, wenn auch die Brünette noch einen Moment darüber nachdenken musste, was sie denn darauf sagen sollte. Dann aber entschied sie sich für eine eigentlich sehr simple Frage, die aber, wenn sie ehrlich beantwortet wurde, einen ziemlichen Sturm losreissen und unendlich tief gehen konnte. Je nach dem, wie Mitch eben entschied, darauf zu reagieren. "Erzähl' mir, wie es dir wirklich geht... Nicht unbedingt körperlich, ausser du möchtest auch darüber reden, sondern halt... in allem anderen", bat sie ihn, blickte dabei tief in seine Augen in der Hoffnung, sie würden ihr heute die ganze Wahrheit sagen. "Wenn du willst, kannst du auch sagen, was dich letzte Nacht um drei Uhr mit der Flasche auf den Balkon getrieben hat...", fügte sie an, wobei ihre Stimme dabei ganz bestimmt keinen Vorwurf in sich trug. Sie waren nicht hier, um sich gegenseitig anzuklagen, sondern um weiter zu kommen. Um sich zu retten. Um zueinander zu finden. Um wieder aufzustehen. Um sich kennen zu lernen.
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Nein, kein Lauschen mehr. Ich hatte auch spätestens jetzt, nachdem ich für fast ein ganzes Jahr 24 Stunden am Tag unter Überwachung gestanden hatte, wirklich die Schnauze voll davon. Endlich wieder ansatzweise in Freiheit zu leben war für mich aber ebenso Fluch, wie auch Segen. Es wäre gelogen zu sagen, dass es mich nicht in manchen Punkten wirklich überforderte. Nur von der Army aufs normale Leben umzusteigen wäre ziemlich sicher wesentlich einfacher gewesen. Was das anging in Selbstmitleid zu versinken kam allerdings gar nicht erst in Frage. Schließlich war das Gefängnis eigentlich nur die gerechte Strafe dafür gewesen, dass ich es zugelassen hatte, mich in ein Monster zu verwandeln. Wobei der Knast das ziemlich sicher nicht gerade besser gemacht hatte, viel mehr all die schlechten Dinge in mir Stück für Stück wieder rausgekehrt hatte. Mich all das, was in mir schon seit einer ganzen Weile nicht mehr rund lief - zwischendurch aber sehr gut von Aryana gefixt worden war -, nun wieder hinaus in die Welt tragen ließ. Dabei hatte ich meinen Kopf im Grunde durch die offensichtlich anhaltende Depression und die Gefühle, die ich wieder zuzulassen gelernt hatte, sogar noch weniger unter Kontrolle als früher. Und doch war es genau das, worüber ich hier jetzt wohl reden sollte. Dass mein Körper mit Easterlins Training ohnehin wieder fit werden würde, solange ich mich erfolgreich von weiteren alkoholischen Eskapaden fernhielt, war ja klar. Wonach Aryana mit ihren Worten und auch ihrem Blick fragte, war all das, was in meinem Kopf nicht rund lief. Wie es mir psychisch ging. Aber selbst jetzt, wo die Brünette mir das so unmissverständlich gesagt hatte, rang ich noch einen kurzen Moment lang mit der Blockade in meinem Hirn, die mir gerne weiterhin weiß machen wollte, dass ich nicht mehr nach außen tragen sollte, als unbedingt notwendig war. Dafür war ich nur leider nicht hier, aber mein Blick rutschte mit einem schweren Atemzug ja doch erstmal auf die Decke zwischen uns und ich brauchte wieder erst ein paar stille Sekunden, bevor ich den Mund schließlich aufmachte. "Nicht... gut." Ach wirklich, Mitch? "Ich meine, ich... ich hab mich gefreut, als du mich rausgeholt hast. Und ich bin dir dankbar dafür, im ersten Moment war ja auch mehr oder weniger alles gut...", wenn man eben mal den Streit außen vor ließ, der am ersten Tag schon dezent eskaliert und ein ungutes Omen gewesen war. "Aber es... es ist alles wieder da. Es ist als... hättest du mich gar nicht aus der Zelle geholt, weil... in meinem Kopf alles genauso ist wie vorher." Ich redete absolut langsam und nur stückchenweise vor mich hin. Traute mich auch gar nicht den Blick wieder von der Decke anzuheben, weil ich nicht wirklich sehen wollte, was ich bei Aryana mit diesen Worten auslöste. "Ich kann einfach nicht aufhören, mir immer wieder die gleichen Fragen zu stellen... und die Alpträume sind eigentlich auch genau die selben... es staut sich alles nur immer weiter an." Je länger ich darüber redete, desto unangenehmer wurde der Druck in der Brust. Ich merkte, wie mein Körper Adrenalin auszuschütten begann, weil er sich der für mich extrem stressigen Situation nicht anders zu stellen wusste. Dass ich dadurch nur noch hibbeliger wurde, machte es nicht unbedingt besser. Kurzzeitig rief ich mir Bruchstücke von Träumen ins Gedächtnis und den größten Part nahmen dabei mit Sicherheit die gesichtslosen Angehörigen der Soldaten ein, die auf meine Kappe gingen. Dicht gefolgt von einem überdimensionalen Berg aus Leichen unter meinen Füßen. Auch Aryana war häufiger aufgetaucht und das gerade gegen Ende nur noch sehr selten im positiven Sinne. Eher nur noch in Form von Vorwürfen und 'was ist nur aus dir geworden'. Danach waren es wohl immer noch meine Mitinsassen und die Angst, im Schlaf erstochen zu werden. Noch dazu erwischte ich mich schon wieder bei dem Gedanken mir zu wünschen, dass es irgendwer wirklich versucht und geschafft hätte. "Und gestern... hab ich's nach dem Streit einfach nicht mehr ausgehalten. Erst war's auch nur ein Glas... aber ich konnte trotzdem nicht schlafen. Ich wollte einfach ein einziges Mal für ein paar Stunden... absolut gar nichts fühlen." Doch, so rückblickend und etwas nüchterner betrachtet konnte das der einzige Grund dafür sein, warum ich mir die Birne mit dem Nervengift zugeknallt hatte. "Das schlimmste ist, dass ich... nichts davon unter Kontrolle habe. Meinen Kopf nicht... und noch weniger das, was ich deswegen tue. Das macht's nur... noch viel unerträglicher.", murmelte ich weiter vor mich hin und konnte mich noch immer nicht dazu bewegen, den Kopf wieder anzuheben. All der gedankliche Schutt in meinem Schädel war an und für sich wirklich schon schlimm genug. Wenn dann auch noch irgendwelche Überreaktionen von mir selbst dazu kamen, weil ich deswegen austickte und mir dann im Nachhinein auch nur Vorwürfe dafür machte, wurde es eben auch nicht gerade besser. Außerdem war ich manchmal ja selbst in der Einzelhaft noch ziemlich böse ausgetickt, ohne dass es dafür einen wirklich nennenswerten Auslöser gegeben hätte. Natürlich war der Umstand des eingesperrt seins hier und jetzt nicht mehr gegeben, aber ich würde wirklich nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass ich nicht mal Schlimmeres tun würde, als Jemanden anzuschreien. Es entzog sich einfach meiner Kontrolle, sobald der Schalter in meinem Kopf umgelegt war und es hing vollumfänglich von meinem Gegenüber ab, wie die Ausmaße der Katastrophe dann am Ende aussahen. Wenn das Jemand war, der nicht so wie Faye gestern unterwürfig den Kopf senkte und sich sofort geschlagen gab... ja, na dann gute Nacht.
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Sie hatte selbstverständlich sehr genau gewusst, dass ihr nicht gefallen würde, was er auf ihre Frage antworten würde. Aber das hiess noch lange nicht, dass sie wirklich darauf gefasst gewesen war oder wüsste, was sie damit anfangen sollte, was sie erwidern sollte, wie sie reagieren musste, um dieses Gespräch nicht schon nach ein paar Minuten in die Hölle zu schicken. Wahrscheinlich lagen ihre Augen auch nur darum noch immer auf seinem Gesicht, als er zu sprechen begann, weil er seinen Blick nach kurzer Zeit noch bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hatte auf die Decke fallen liess und sie somit nicht alles sah, was seine Worte in ihm auslösten. Der reine Inhalt der Sätze, seine Körpersprache und der Klang seiner Stimme reichten aber vollkommen aus, um ihr deutlich genug klar zu machen, dass alles, was er ihr letzte Nacht anvertraut hatte, der hässlichen, schmerzvollen Wahrheit entsprach. Dass Mitch genauso tief in den Abgrund gerutscht war, wie sie längst vermutet hatte aber nicht hatte wahrhaben wollen, weil sie nicht wusste, wie man einem Menschen in dieser Situation helfen konnte. Wie man das Schlimmste, das sie weder denken noch aussprechen wollte, erfolgreich verhinderte. Aryana schwieg vorerst, nachdem er den ersten stockenden Fluss seiner Worte losgeworden war. Sie war nie gut darin gewesen, Menschen zu trösten oder ihnen zu helfen, Worte waren einfach nicht ihre Stärke. Das hatte nichts mit Empathie zu tun - Empathie konnte sie schon. Aber wie man diese dann schlau ausdrückte, damit dabei auch wirklich etwas rauskam, das in diesem Fall Mitch helfen konnte, das wusste sie einfach nicht. Sie streckte in der Stille ziemlich hilflos ihre Finger nach ihm aus, strich damit zwei Mal vorsichtig über seine Wange und seinen Hals, bevor die Hand über seinen Arm hinab zu seinen Fingern glitt und sich um diese schloss. Sie wollte ihm zeigen, dass sie hier war, dass es richtig war, dass er ihr das alles erzählte. Gleichzeitig war sie aber einfach selber so masslos überfordert mit allem, was diese Welt mal wieder für sie bereit hatte, weil erneut alles vollkommen neu und unbekannt für sie war. Sie noch nie in einer solchen Lage gewesen war, noch nie jemanden, der ihr so viel bedeutete, wie das bei Mitch der Fall war, dazu hatte bringen müssen, den Lebenswillen nicht komplett aufzugeben, das Licht nicht einfach ausgehen zu lassen. Sie wusste nicht, wie man mit Depressionen umging, mit Suizidgedanken und mit allen anderen psychischen Problemen, die die menschliche Seele zu bieten hatte. Sie wusste ja nichtmal, wie sie mit dem Mist in ihrem eigenen Kopf klarkommen sollte - weder heute noch je zuvor. Ihre Methode war bisher gewesen, das Elend mit irgendwas zu ersticken. Im letzten Jahr war das die unbedingte Notwendigkeit, Mitch wieder aus dem Gefängnis zu befreien, gewesen. Sie hatte sich damit abgelenkt, wann immer ihr Kopf unter dem Druck hatte explodieren wollen. Wenn sie in einem Laden oder überhaupt irgendwo am Rande einer Panikattacke gestanden hatte, weil jemandem eine Dose Erbsen auf den Boden gefallen war, dann war sie nach Hause gegangen, hatte eine halbe Stunde die komplette Krise geschoben und sich dann daran erinnert, dass sie sich um andere Dinge zu kümmern hatte, dass sie jetzt nicht schwach sein konnte, wenn jemand so sehr auf sie angewiesen war, sie so dringend brauchte wie ihr Freund hinter Gitter. Und vor diesem Jahr war es der Krieg gewesen, der in keiner Minute zugelassen hatte, dass sie schwach wurde. Weil zu viele Menschen auf ihre Stärke und vor allem auf ihren Kopf angewiesen waren, sie nicht einfach über all den anderen Mist nachdenken und sich davon beirren lassen konnte. Und noch früher war es ihre Schwester gewesen, die immer zu ihr hochgeblickt hatte, der sie immer das starke Vorbild vorgespielt hatte. Da hatte sie sich genauso wenig mit den Abgründen der menschlichen Psyche auseinander gesetzt. Also wie man sah, war sie darin weder gut noch geübt, hatte absolut keine Erfahrungen, auf die sie zurückgreifen konnte. Entsprechend hilflos und überfordert fühlte sie sich auch in diesem Moment, in dem sie wohl schon eine Weile zu lange vor sich hingeschwiegen hatte, was das Wohlbefinden seitens ihres Freundes mit Sicherheit ebenfalls nicht steigerte. Aryana räusperte sich leise, hatte die ganze Zeit über die Augen nicht von ihm genommen. "Was... sind das für Fragen, die du dir stellst..?", wollte sie wissen, in der Hoffnung, darauf irgendwas Hilfreicheres zu sagen zu wissen. Denn bisher war da absolut nichts, ausser dem immensen Wunsch, ihn aus dieser Scheisse ins Glück zu ziehen, ihm diesen tonnenschweren Schmerz zu nehmen, der ihn unter sich begraben hatte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich war mir im ersten Moment ehrlich gesagt nicht sicher, was ich davon halten sollte, als Aryana ihre Finger nach mir ausstreckte. Das war nur allzu ironisch, hatte ich bis vor kurzem doch noch aus freien Stücken ihre Hand gehalten. Irgendwie war es aber wieder etwas anderes, wenn ich gerade drauf und dran war, mich kaputter und verletzlicher zu zeigen, als ich es wohl jemals zuvor getan hatte. Ich wollte kein Mitleid und irgendwie fühlte sich ihre Hand im ersten Moment genau danach an, obwohl mir gleichzeitig auch bewusst war, dass die Brünette das nicht tat, um mich damit zu ärgern. Sie wohl eher nur für mich da sein und mich damit beim Reden unterstützen wollte, aber ich brauchte dennoch einen Moment lang, um mich damit erstmal abzufinden. Um das Bedürfnis zu unterdrücken, mich aufgrund dessen zu bewegen oder gar deutlich sichtbar auszuweichen. Ich blieb einfach wo ich war und versuchte es zuzulassen, mich darauf einzulassen. Ließ sie auch meine Hand nehmen, wobei es doch einige Sekunden dauerte, bis ich meine Finger dann auch um ihre schloss, statt meine Hand einfach nur halten zu lassen. Es verunsicherte mich dann auch noch zusätzlich, dass es eine ganze Weile dauerte, bis Aryana irgendwas sagte, nachdem ich selbst aufgehört hatte zu reden. Mir kroch die Angst davor, mit Alledem nun doch einen falschen Schritt gewagt zu haben, bis in den Rachen nach oben und ich begann aus all der Unruhe heraus mit den Kiefermuskeln zu mahlen. Als sich die Brünette dann aber räusperte und doch ein paar wenige Worte von sich gab, huschte mein Blick für eine kurze Sekunde zu ihrem. Meine Augen klebten aber ebenso schnell wieder an der Decke am Boden, wie sie nach oben gewanderte waren. Was das für Fragen waren? Wo zum Teufel sollte ich da denn anfangen? Die Liste war im Grunde endlos, weil mit jedem Tag, an dem ich mir Gedanken machte, nur noch unnötig mehr neue dazu kamen. "Wo soll ich da anfangen..?", erwiderte ich im ersten Moment eine von einem unruhigen Schnauben begleitete, rein rhetorische Frage. Schwieg dann ein paar Sekunden, weil ich überlegte, wie ich das alles am besten in einer Kurzfassung wiedergeben konnte. Weil ich gleichzeitig drauf und dran war auch noch eines meiner Knie anzuziehen, um nervös damit auf und ab wippen zu können, beschloss ich, mich lieber mit dem Rücken auf die Decke sinken zu lassen. Einen Moment lang in die nur ganz leicht wogenden Äste hochzusehen und leise durchzuatmen, was zumindest ein kleines bisschen half, hier nicht gleich komplett am Rad zu drehen. "Also eigentlich... hinterfrage ich absolut alles. Mein ganzes Leben, vorwärts und rückwärts... frage mich, warum ich... so bin, wie ich jetzt bin. Warum ich... nichts von dem Jungen retten konnte, der ich ganz früher mal war... ob ich einfach nur so einen Dachschaden habe, weil ich nie Eltern hatte... oder, weil ich immer allein war, obwohl ich's nicht hätte sein müssen... es gibt so unendlich viele Dinge, die ich besser und anders hätte machen können, wenn ich's gewollt hätte. Ich frage mich einfach, wie... ich es hätte verhindern können, dass ich mich zu so einem... Monster entwickle. Kann nicht aufhören, mich zu fragen, ob ich es nicht irgendwie zumindest ein bisschen wieder gutmachen kann... obwohl ich weiß, dass das nicht geht und dass es mir auch nichts bringt, wenn ich mir den Kopf über diese ganze Scheiße zerbreche. Ich weiß nicht, wie ich... jemals damit fertig werden soll. Wie ich damit leben soll, dass ich so viele unschuldige Leute auf dem Gewissen habe. Es... es geht einfach nicht.", redete ich planlos eine halbe Ewigkeit genauso stockend und unruhig wie vorher vor mich hin, wurde zum Ende hin leiser. Wusste einfach nicht so recht, wo ich anfangen und wo ich aufhören sollte und sagte deshalb alles, was ich irgendwie über die Lippen bekam. "Und ich weiß, dass du das bestimmt nicht hören willst, aber... ich kann auch nicht aufhören, mich zu fragen, was jetzt wäre, wenn du mich... da drin zurückgelassen hättest. Ich... hab's mir gewünscht... mehr als einmal. Was du gestern gesehen hast, das... war wirklich gar nichts, verglichen mit den letzten Monaten. Ich wusste einfach vorher schon, dass... es nicht gut gehen kann, wenn du mich da jemals rausholst." Ich sprach nur leise, konnte es aber doch nicht für mich behalten und ließ meinen Blick danach zögerlich ein weiteres Mal auf Aryanas treffen, drehte meinen Kopf minimal in ihre Richtung. Es war nun mal eine der Kernfragen, eine der häufigsten. Und ich wünschte mir noch immer, dass die Brünette stark genug dazu gewesen wäre, ihren Weg einfach ohne mich weiterzugehen. Dann müsste ich mir nicht mehr jeden Tag die gleiche Misere antun und sie hätte unzählige Sorgen weniger. Ich würde ihr Brief und Siegel darauf geben, dass ich irgendwann in vermutlich nicht ferner Zukunft mal weit mehr austicken würde, als bei dem gestrigen Streit. Vermutlich zwar eher nicht gegenüber Faye, Victor oder Aryana selbst, aber die Einordnung in Easterlins Armee sah für mich ziemlich schwarz aus. Dass ich es nicht so damit hatte, mich Irgendjemandem unterzuordnen, war schließlich kein großes Geheimnis. Ich für meinen Teil wollte nur ungern daran denken, was passieren würde, wenn viele von den Soldaten dort einen ähnlich dominanten Charakter wie ich an den Tag legen sollten. Das Ganze konnte im Grunde nur gewaltig schiefgehen.
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Der kurze Blick, den er ihr zuwarf, bevor er wieder zu sprechen begann, wich nicht besonders weit von ihrer Erwartung davon ab. Er sah ziemlich genau so aus, wie sie sich das vorgestellt hatte. Nämlich absolut aufgewühlt und durcheinander, verloren in einer Welt voller Zweifel, Wut, Angst, Hass. Sie wollte das nicht, wünschte sich doch einfach nur das zurück, was mal in seinen Augen gelegen hatte, als die Zeiten noch gefühlt einfacher gewesen waren. Sie hatte es kaum wirklich geschätzt damals, weil sie geglaubt hatte, es würde nach dem Krieg besser werden. Jetzt wünschte sie, sie hätte es doch getan. Weil es jetzt noch viel schlimmer war als damals... Seine rhetorische Frage überging sie genauso, wie er das wohl erwartet hatte, weil sie schlicht keine Ahnung hatte, wo er anfangen sollte. Es wäre von vorne wie von hinten wahrscheinlich schrecklich mit anzuhören, also spielte das auch überhaupt keine Rolle für sie. Aryana wartete noch einen Moment, nachdem er sich hatte auf den Rücken sinken lassen, weil sie gerade nicht wirklich im Stande war, eine solche scheinbar entspanntere Haltung einzunehmen, wenn sie hier tatsächlich auf Nadeln sass. So blickte sie einfach auf ihn runter, konnte es mit weiteren Worten auch kaum mehr verhindern, dass in ihren Augen mehr und mehr Besorgnis und Bestürzung aufzuflammen begannen. Es klang einfach absolut ungesund, verzweifelt, ohne Ausweg. Sie wollte ihm sofort widersprechen, als er sich als Monster bezeichnete, wollte ihm sagen, dass es bis zu einem gewissen Punkt nicht sein Fehler war, was alles passiert war, das er seine Kindheit unmöglich auch noch mitverantworten konnte und dass sie wusste, dass er eben kein Monster war. Da war ein Monster in ihm, das würde sie nichtmal bestreiten. Es ruhte in ihnen allen, aber seine Vergangenheit und sein Kopf hatten es bei ihm eben zu einem unerträglichen Ausmass heranwachsen lassen. Aber er war es trotzdem nicht. Es war nur ein Stück von ihm, aber schon lange nicht mehr der überwiegende Teil. Doch Aryana schwieg erstmal weiter, weil er ohnehin noch nicht geendet hatte, wohl noch viel mehr zu sagen hatte. Und sie verstand, dass er sich fragte, wie er das, was er getan hatte, wieder gut machen konnte, obwohl er gleichzeitig wusste, dass keiner der Menschen, die indirekt durch seine Hand den Tod gefunden hatten, wieder zum Leben erweckt werden konnte. Aber war es nicht genau diese Reue, diese Gedanken, die ihn so grundlegend von einem Monster unterschieden? Monster interessierte es nicht, was sie getan hatten. Wenn überhaupt, dann dachten sie nur daran zurück, um sich über ihre vergangenen Taten zu erfreuen. Das tat Mitch offensichtlich keineswegs und das machte den entscheidenden Unterschied, den er nicht sehen konnte oder wollte. Mit dem zweiten Teil seiner Worte war es dann zwangsläufig sie, die das erste Mal den Blick abwandte, als er sie anschaute. Er... was? Sie konnte nichts gegen den Schmerz tun, der sich in ihrer Brust ausbreitete, der sie sofort hinterfragen liess, ob die eine Handlung, auf die sie das ganze letzte Jahr ausgerichtet hatte, möglicherweise wirklich komplett verkehrt gewesen war. Ob sich unter dem Deckmantel seiner Rettung vielleicht ganz einfach ein absolut egoistisches Motiv versteckte - nämlich den einzigen Menschen zurück zu bekommen, der sie so akzeptierte und hinnahm, der ihr vergab und nichts hinterfragte, der sie liebte, wie sie war, ohne zu ihrer Familie zu gehören. Hatte sie es darum getan? Hatte sie vergessen, weiter zu denken? Sie war davon ausgegangen, dass er da raus wollte. Hatte er das nicht sogar gesagt? Oder hatte sie sich das auch einfach eingeredet, weil sie es so sehr hatte glauben wollen, weil es für sie sonnenklar geklungen hatte und zu ihren Idealen gepasst hatte? Mein Gott, allein der Gedanke tat in ihrem Kopf weh, liess sie ihre Hand wieder von seinen Fingern nehmen, um nun ihrerseits über ihr Gesicht zu reiben, sich einen Moment mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken zwischen ihren Augen zu drücken, als würde das den Sturm in ihrem Kopf wieder stoppen. „Aber du... du wärst... untergegangen da drin... ich... ich konnte das nicht... was hättest du den getan an meiner Stelle? Hättest du mich einfach aufgeben können? Selbst wenn ich dich darum gebeten hätte...?“, was er wiederum seinerseits auch nicht getan hatte... ihre Stimme klang aufgewühlt und verunsichert, Aryana bemühte sich ungefähr genauso erfolglos darum, die Fassung und Ruhe zu wahren, wie das bei Mitch auch der Fall war. Sie hatte sich ja gewissermassen auf ein sehr schwieriges Gespräch eingestellt. Aber das machte es eben nicht leichter zu ertragen, nichts davon. Das machte sie nicht intelligenter, zeigte ihr nicht automatisch den gewünschten Ausweg. Kurz: Es war trotzdem absolut zum Kotzen. „Vielleicht kannst du... versuchen, den Unterschied zu sehen..? Zwischen dir und dem Monster, das diese Taten begangen hat... auch wenn es ein Teil von dir ist - es ist nicht alles, was du bist. Nicht mal die Hälfte. Ich... ich weiss nicht, ob ich es dir jemals so sagen kann, dass du es glaubst, weiss nicht, ob du mir je zustimmen wirst... aber du bist doch so viel mehr... Du bist kein Monster, wenn du bereust, was du getan hast, wenn du wünschtest, alles davon rückgängig machen zu können, was es mit dir angestellt hat... Du bist nicht mehr das, was du damals warst...“, versuchte sie leise irgendwie bis zu ihm durchzudringen, ihm das beizubringen, was sie schon lange wusste. Aber das war nicht so einfach. Sie hatte ihm damals ohne wirklich darüber nachzudenken alles vergeben, was er vor langer Zeit getan hatte. Nicht direkt - im ersten Moment hatte sie ihn gehasst für den Betrug und den Tod und das Leid. Aber dann hatte er Victor und Faye gerettet und gezeigt, dass er dieses schreckliche Etwas längst abgelegt hatte, dass er alles bereute und nicht mehr der gleiche Mann war wie damals. Und das hatte ihr gereicht, um darüber hinweg zu sehen und ihm zu vergeben. Weil sie ihn liebte. Und da lag das Problem. Mitch hasste sich zu sehr, um sich zu vergeben. Und er war gefühlt immun gegen alles, was man dagegen sagte. Weil der Hass für ihn die gerechte Strafe war. Hass und Vorwürfe und Wut und Tod.
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Ich wusste schon, warum ich normalerweise bestmöglich Niemandem gegenüber mehr von meiner Seele und meinen Gefühlen preisgab, als es unbedingt notwendig war. Ich lag hier auf dem Rücken rum und ertrug mich ja selbst kaum, wieso sollte es Aryana dann besser tun können? Wenn es nach mir ging, dann würde ich die Zeit schon wieder gern um ein paar Minuten zurückdrehen und mich doch lieber weigern, dieses Gespräch zu führen. Es war schon schwer genug mit meinen eigenen Emotionen und Gedanken klarzukommen, dass war es nur umso schwerer auch noch mit ansehen zu müssen, was ich mit all meinen Worten in der Brünetten auslöste. Sie anzusehen tat weh und deshalb wendete ich selbst auch bald wieder den Blick ab, nachdem ihrer meinem schon längst ausgewichen war. Meine Augen hefteten sich wieder an die Blätter über mir, während ich etwas durchzuatmen versuchte. Ich konnte mein Herz schlagen spüren und das, obwohl ich keinen Mucks machte. Mich nicht bewegte und eigentlich sowas wie einen ruhigen Puls haben müsste. Dass es mir sichtbar schwerfiel mich zu öffnen kam wohl auch mit auf die Liste der Dinge, die an mir nicht gesund waren und schief liefen. Als Aryana dann schließlich zum Reden ansetzte, wurde es eben leider auch kein Stück besser. Ich hatte Mühe mit meinem inneren Zwiespalt, als ihre in sich so ungewohnt verunsicherte, unruhige Stimme meine Ohren erreichte. Wäre gerne aufgestanden und einfach wieder gegangen, weil es nur der nächste Dolch war, der sich in mein Herz bohrte. Ich hatte ihr damit ja nicht mal einen Vorwurf machen wollen... auch, wenn es rückblickend betrachtet vielleicht schon ein bisschen so geklungen hatte. Ich schüttelte leicht den Kopf, was in meiner liegenden Person mehr nur ein leichtes hin und her schwenken war. "Nein, natürlich nicht. Ich hätte auch die halbe Stadt angezündet, um dich da rauszuholen, wenn's der einzige Weg gewesen wäre.", stellte ich mit einem Hauch Sarkasmus im zweiten Abschnitt erst einmal fest, dass ich es selbst genauso wenig ertragen hätte, sie im Gefängnis eingehen zu sehen. Allein der Gedanke daran war schon furchtbar genug. Allerdings unterstrich meine Wortwahl wohl mal wieder, dass ich mindestens halb wahnsinnig war und eindeutig weniger für meine Mitmenschen übrig hatte, als das bei einem halbwegs normalen Menschen der Fall war. Mir wäre vermutlich fast jedes Mittel recht gewesen, um sie hinter den Gittern vorzuholen. Ob da Jemand drunter litt, den ich nicht kannte, war dann wohl erstmal irrelevant. "Deswegen war das auch kein Vorwurf... aber es ist eben trotzdem in meinem Kopf.", murmelte ich wieder leiser. Schloss dann die Augen, während Aryana ein weiteres Mal zum Reden ansetzte und auf die Sache mit meinem inneren Dämon zu sprechen kam. Mir einzureden versuchte, dass der im Grunde eigentlich gar kein so großer Teil von mir war und ich zu unterscheiden lernen sollte. Aber wie sollte das denn funktionieren? Er war ja trotzdem in mir drin und führte aktuell quasi sein Eigenleben. Fragte mich nicht wirklich nach meiner Meinung, sondern riss immer wieder spontan das Ruder an sich und steuerte uns auf den nächsten Eisberg zu. Zwar hatte ich es vor einer halben Ewigkeit geschafft das Biest davon abzuhalten den Hebel dauerhaft in seinen Pranken zu halten, aber es streckte seine Finger immer öfter wieder danach aus. War immer da und im Moment war ich kaum stark genug dazu, es regelmäßig in die Schranken zu weisen. Es war nicht so, als könnte ich nicht sehen, dass ich in der Zeit unmittelbar vor dem Gefängnis ein andere Mensch gewesen war. Ein anderer als wiederum davor und auch ein anderer, als ich jetzt war. Ich hatte nur leider keinen Schimmer davon, wie ich zu dieser Höchstform meiner selbst zurückfinden sollte. "Es ist leider ziemlich schwer, sich von etwas zu differenzieren, mit dem man jahrelang so war.", seufzte ich und hob dabei die rechte Hand an, kreuzte Mittel- und Zeigefinger miteinander. Als ich die Hand zurück auf die Decke sinken ließ, öffnete ich auch die Augen wieder. "Kann schon sein, dass das nicht... wirklich ich bin. Aber nachdem ich dem Arschloch in letzter Zeit ziemlich viel Platz zum Amoklaufen gegeben habe, weiß ich nicht... wie ich's dieses Mal wieder kleinkriegen soll." Meine Augen wanderten von den Blättern zu den Ästen und von dort aus weiter zum Baumstamm. Als würde mir die Maserung der Rinde zeitnah eine Antwort auf meine Probleme geben, wenn ich sie nur lange genug mit meinem Blick ärgerte. Ein zweites Mal verlieben hatte ja offenbar schonmal nicht funktioniert. Die Gefühle für Aryana waren im Knast irgendwann etwas dumpf geworden, etwas in die Ferne gerückt. Der zweite Frühling direkt nach meiner Entlassung hatte weder lange angehalten, noch hatte er meine zweite Persönlichkeit in die Schranken gewiesen. Ich liebte die Brünette mehr als alles andere. Spürte das in diesem Moment allein dadurch schon sehr deutlich, dass es mir leid tat, dass ich ihr all meine Sorgen nun auch noch mit auflud. Als hätte sie keine eigenen. Als wäre ihr Leben nicht auch ohne meine Pseudo-Schizophrenie nicht schon kompliziert genug. Aber mich ein zweites Mal in die junge Frau zu verlieben reichte an positiven Gefühlen scheinbar nicht aus, um alles Andere zu begraben und damit zu ersticken. "Momentan ist es eher mehr als die Hälfte.", stellte ich abschließend fest und drehte erst dann meinen Kopf zögerlich erneut in Aryanas Richtung.
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Ach... Hätte er also. Genau wie sie erwartet hatte. Genau wie sie es selbst getan hätte, wenn sie es nicht vorher irgendwie hingekriegt hätte. Unter trotzdem komplett beschissenen Umständen, natürlich. Es war gut, dass er ihr gleich darauf noch wörtlich versicherte, dass diese Aussage kein Vorwurf gewesen war, sondern eben nur ein Gedanke von vielen, die ihm den Verstand zerfrasen. Dadurch wurden sie zwar für ihn nicht leichter erträglich, aber immerhin für sie, die ein Bisschen Trost im Wissen fand, dass er dasselbe getan hätte und sie so auch nicht hatte voraussehen können, was nun mit ihm passierte. Abgesehen davon, dass sie mit dem Gedanken an ihn im Gefängnis einfach noch viel weniger klargekommen war und sie - wäre er im gleichen Zustand, in dem er hier neben ihr lag, noch immer dort - wohl langsam aber sicher verzweifelt wäre. Sie konnte kaum einschätzen, wie gut ihre Chancen, je wieder auf einen grünen Zweig zu kommen, wirklich standen, wollte das vielleicht auch gar nicht wissen, weil sie Angst vor noch mehr von dieser hässlichen Wahrheit hatte. Sicherlich wären diese aber nicht besser geworden, wenn er noch länger drei Betonwände und ein Gitter von innen betrachtet hätte. Aryana hatte die Beine angewinkelt und stützte sich mittlerweile mit beiden Armen darauf, während sie zwischen ihren Fingern halb nachdenklich, halb verzweifelt ein paar Grashalme zerrupfte, als würde sie daraus ihre Weisheit ziehen. Sie lauschte seinen Worten, als er wieder zu sprechen begann, warf ihm einen flüchtigen Blick zu, um die Geste zu erkennen, die er mit seinen Fingern signalisierte. Und wieder lag zu viel Wahrheit in seinen Worten. Zu viel Logik. Zu viel Dunkelheit. Zu viele Dinge, die sie nicht einfach ignorieren konnte, um sich die Welt ein Bisschen schöner zu malen. Sie spürte das mittlerweile beinahe vertraute, hässliche Brennen in ihren Augenwinkel, den Klos in ihrem Hals. Aber sie würde hier nicht heulen, presste die Augen einen Moment fest zu und versuchte tief durchzuatmen. Sie konnte nicht schon wieder vor ihm weinen, damit er sich am Ende noch die Schuld dafür gab und sie ihn noch weiter runter zog, bloss weil sie ihre Emotionen genau gar nicht unter Kontrolle hatte. Das war nicht sie. Und weinen hatte wirklich noch nie geholfen. Es lenkte nur vom eigentlichen Problem ab, welches es dringend anzupacken galt, weil sie sonst sehr bald den Punkt passierten, an dem sie nicht mehr zurück konnten. Und dann würde sie sich wünschen, die Zeit nicht mit Weinen vergeudet zu haben... Aryana holte noch einmal tief Luft, ehe sie den Kopf wieder anhob und in seine Richtung drehte. In ihren Blick hatte sich ein Bisschen Trotz gemischt, ein Bisschen Entschlossenheit. Der Unwillen darüber, die Situation so zu akzeptieren, wie sie war und darin zu verzweifeln. Das hatten sie nie getan, oder? Das waren nicht sie. Sie verzweifelten nicht und sie gaben nicht auf. "Weisst du, warum wir noch am Leben sind, Mitch?", stellte sie eine leise, momentan ziemlich zusammenhanglose Frage, für alle, die ihr dabei nicht in den Kopf blicken konnten. "Das ist nicht nur Glück. Das ist auch, weil wir niemals aufgegeben haben. Weil wir nie akzeptieren konnten, dass das Ende gekommen war. Weil wir immer, egal, wie aussichtslos eine Situation war, den Weg ans Licht und ins Leben gesucht haben. Das ist, weil wir ihn jedes Mal gefunden haben. Und diesmal wird das nicht anders sein, okay? Ich lassen nicht zu, dass unsere Vergangenheit uns all das nimmt, was wir nach Jahren des Leidens endlich haben könnten. Ich werde nicht zuschauen, wie du langsam verschwindest. Ich habe dich ausgesucht, unter all den Männern, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, habe ich nur dich je gewollt. Und du mich - und ich habe dich bekommen und du mich. Du solltest mich gut genug kennen, dass du sicherlich schon ahnst, dass ich das, was ich liebe, das, was ich habe, nicht wieder hergeben werde. Auch nicht wegen... dem allem", eine etwas hilflose Geste ins Nichts sollte den Berg an Schwierigkeiten andeuten, der ihnen zu Füssen lag, der so schwer zu überwinden schien. Und doch würden sie genau das tun. Irgendwie. Jetzt und in den kommenden Wochen, Monaten, vielleicht Jahren. Es war egal, wenn es nur am Ende irgendwie wieder gut wurde. Die Brünette wandte sich einen Moment lang ab, um aus dem Rucksack den Block mit Stift zu fischen, sich im Anschluss bäuchlings neben Mitch zu legen und die leere Seite vor sich anzustarren. Der Weg nach draussen platzierte sie einen ziemlich belanglosen Titel, der ihr spontan durch den Kopf gegangen war. "Was kann ich tun, Mitch? Gibt es irgendwas, von dem du glaubst, dass es dir helfen würde? Etwas, mit dem ich dich unterstützen könnte? Etwas, was du selber versuchen willst? Bevor ich mir hier irgendwelche Dinge zusammenreime, die ich mal in Psychologie gelernt habe oder so...", fragte sie, während sie selber nachdenklich auf das Papier starrte, dann den Blick anhob, um wieder das Gesicht ihres Freundes zu mustern. Sie musste das Ganze einfach anders angehen. Es war eine Schlacht, die sie gewinnen mussten. Eine sehr schwierige, eher aussichtslose Schlacht. Aber das war doch genau ihr Fachgebiet, nicht? Sie konnten Pläne schmieden. Sie konnten strategisch denken. Sie waren beide nicht auf den Kopf gefallen. Und sie konnten mit eiserner Disziplin auf ein Ziel hin arbeiten. Wenn sie nur nicht den Kopf in den Sand steckten, wenn sie nur niemals aufgaben...
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Als Aryana mich das nächste Mal wieder anzusehen schaffte, sah sie mich doch etwas anders an als die Male zuvor. Lange gehalten hatten sich unsere Blick vorher zwar nicht, aber ein Unterschied war trotzdem zu sehen. Der Ausdruck in ihren Augen war dank der noch gemischten Emotionen vielleicht eher nicht mit ihrer Ausstrahlung damals bei der Army vergleichbar, aber ich meinte doch etwas von dem gleichen Ehrgeiz darin zu erkennen, als sie mir nach einem stillen Moment schließlich eine Frage stellte. Die kam ziemlich aus dem Nichts, knüpfte sie doch nur mehr oder weniger an unser vorheriges Thema an. Wahrscheinlich versuchte die Brünette die Sache nun von einer anderen Seite aufzurollen, weil wir uns anders ganz dezent im Kreis drehten. Letzteres war angesichts der Tatsache, dass ich das schon seit etlichen Wochen so tat, nicht wirklich verwunderlich. Ich kam selbst aus diesem geschlossenen Kreis nicht heraus und so war es wohl leider an meinen Mitmenschen, mich da raus zu schubsen. Ich brauchte mir auch gar nicht lange Gedanken über diese Frage zu machen, weil die Brünette bald schon dazu ansetzte, sie selbst zu beantworten. Und es war gar nicht so, als käme irgendwas von dem, was sie zu Beginn sagte, wirklich überraschend. Schließlich wusste ich selbst mit am besten, in was für Situationen wir beide unseren eisernen Willen und Überlebensinstinkt auf dem Silbertablett serviert hatten. Wusste, dass wir uns aus den aussichtslosesten Momenten überhaupt erfolgreich rausgekämpft hatten, wenn auch vielleicht nicht ohne Einbußen. Geschafft hatten wir's am Ende trotzdem immer irgendwie auf Biegen und Brechen, komme was da wolle. Der einzige maßgebliche Unterschied zu dem Tief, in dem wir gerade zwangsweise beide festsaßen, war, dass ich gegen mich selbst und nicht gegen Irgendjemanden sonst kämpfte. Ich hatte nun wirklich kein Problem damit gegen Irgendjemanden anzutreten, der mir an den Kragen wollte. Im Knast ja auch nicht, obwohl es mental doch relativ bald langsam abwärts mit mir gegangen war. Es schien als würde ich mich einfach instinktiv dagegen wehren, mir von einer anderen Person das Leben aushauchen zu lassen. Es war doch irgendwie zweifelhaft, dass ich Selbstmord da für die bessere Lösung hielt. Schließlich war das nüchtern betrachtet feiger als alles andere. Im Gefecht zu sterben wäre wenigstens sowas wie ehrenhaft gewesen - als hätte es bei der Army viele Leute gegeben, die es überhaupt interessierte, wie ich abdankte. Ich konzentrierte mich also doch lieber darauf, dass Aryana mir desweiteren zu vermitteln versuchte, dass wir nicht grundlos zusammen hier auf der Decke waren. Dass wir uns nicht gesucht, aber gefunden und einander ausgesucht hatten. Obwohl das Universum ihr eigentlich genug gute Gründe gegeben hatte, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken, hielt sie auch noch immer an mir fest. Hatte offensichtlich nicht vor, sich von dem allem noch irgendwie von ihrem Pfad abbringen zu lassen. Das alles waren Worte, die ich erst noch einen Augenblick lang sacken lassen musste, während die junge Frau selbst etwas aus dem Rucksack zu kramen begann. Mein Blick folgte ihr, als sie sich schließlich mit einem Block und einem Stift wieder zu mir umdrehte und es sich auf dem Bauch unweit von mir bequem machte. Ich drehte mich wohl allein aus Neugier schon etwas auf die Seite, um besser sehen zu können, was sie da aufs Papier kritzelte. Es dauerte nicht lange, bis sie mich dann auch danach fragte, wie sie mir denn helfen konnte. Tja, wenn ich das wüsste. Mit einem Seufzen drehte ich mich ebenfalls auf den Bauch. Vermutlich hauptsächlich deswegen, weil ich mich in dieser Position weniger von ihr beobachtet fühlte. Meine Augen wanderten ein weiteres Mal über die Worte auf dem Papier und ich legte schließlich den Kopf in die rechte Hand, verdeckte mir damit einen Moment lang die Augen. "Ich weiß es nicht... Faye meinte auch schon ich soll irgendwelche Dinge aufschreiben und machen, die mich schon mal glücklich gemacht haben... aber da gibt's außer dir glaube ich nicht viel.", dachte ich eher laut vor mich her, als wirklich eine brauchbare Antwort anzustreben. Ich tat mir einfach schwer damit irgendwelche von den wenigen Dingen, die mich jemals glücklich gemacht hatten, aus meinem Leben herauszufiltern. Deshalb schwieg ich ziemlich ratlos sicher eine weitere Minute, in der ich mir auch leicht die Schläfen massierte, bevor ich meine Hand schließlich sinken ließ und zurück aufs noch ziemlich leere Papier starrte. "Vielleicht hilft's schon, wenn ich einfach... keine Zeit und möglichst wenig Gründe zum den Kopf schleifen lassen habe... wenn ich irgendwie beschäftigt bleibe, meine ich. Also mit anderen Dingen als Einkaufen, bei sowas raubt mir die Menschheit irgendwann noch den letzten Nerv.", grummelte ich nachdenklich und war heilfroh darüber, dass das Wichtigste des organisatorischen Krams schon abgehakt war. "Aber von Freizeitgestaltung hab ich keine Ahnung." War eben so, wenn man meine Gitarre mal außen vor ließ. Ich war jahrelang bei der Army im Hamsterrad gelaufen und danach im Knast war der Alltag auch strikt vorgetaktet gewesen. Fest stand für mich nur, dass je öfter ich nur rumsaß oder meine Zeit mit Dingen verbrachte, die einfach ätzend waren, desto mehr kippte auch meine Laune und desto wahrscheinlicher wurde es, dass ich mich nur wieder in dem Gedanken verlor, wie ätzend mein Leben und ich selbst eigentlich waren. Natürlich ließen sich solche Situationen nicht immer vermeiden, aber sie zumindest zu eliminieren, wo es möglich war, wäre sicher nicht verkehrt. Blieb dann nur die Frage mit welchen Mitteln genau.
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Sie wusste nicht, ob er überhaupt Lust darauf hatte, sich hier mit ihr einen Schlachtplan zurecht zu legen. Aber im Grunde spielte das auch nicht wirklich eine Rolle, denn sie würden es trotzdem tun. Notfalls faselte sie alleine etwas zusammen und er musste dann einfach mit den Folgen dessen umgehen, was sicherlich eine nicht sehr effiziente Methode zur Problembewältigung war, aber gut. Er musste dringend aufhören, sich in seinem Kreis zu drehen und in seinem Hamsterrad des Selbsthasses, was letztendlich das Hauptziel ihrer kleinen Mission hier war. Sein erster Kommentar zu ihren Fragen liess sie kurz etwas irritiert die Augenbrauen zusammenziehen. Faye hatte ihm das gesagt..? In welchem Zusammenhang? Hatte er ihr möglicherweise tatsächlich von seinem Übel gebeichtet? Wenn sie nämlich einfach so aus dem Nichts mit solchen gut gemeinten Ratschlägen bei Mitch aufgekreuzt wäre, wären die beiden sicherlich nicht auch nur annähernd als Freunde zurück ins Wohnzimmer getreten. Interessant... Sie hätte beinahe nachgefragt, was ihre Schwester ihm sonst noch alles zugeflüstert hatte - aber letztendlich war das seine Sache und sie war sich auch nicht sicher, ob es gerade wirklich was zur Lösungsfindung beitragen würde. Nüchtern betrachtet hatten nämlich auch Fayes Worte Mitch nicht erfolgreich davon abgehalten, sich letzte Nacht fast ins Komma zu saufen. So schwieg Aryana zu diesem Teil des Satzes, konzentrierte sich lieber auf den zweiten und kritzelte folglich ein paar weitere Worte aufs Papier. Was Mitch glücklich macht: beschrieben die ersten Buchstaben, gefolgt von einem durchaus ironischen Beispiel in der bisher noch sehr spärlichen Aufzählung. Mein einziger Lieblingsmensch, Aryana Maria Cooper, brachte sie seine eigene Aussage auf den Block, umrahmte ihren leicht abgeänderten Namen mit vielen kleinen Herzchen. "Ich nehme an in etwa so?", fragte sie ironisch, hob eine Augenbraue und warf ihm einen prüfenden Blick zu. "Und das ist ja gut. Dann wird dich die Nachricht sicher sehr freuen, dass du mich ohnehin nicht loswirst und noch viele lange Jahre aushalten musst", erklärte sie ihm so simpel, als wäre damit alles gerettet und die Welt wieder perfekt. Tja, wenn es nur so einfach wäre... Sein nächster Versuch zur Beisteuerung irgendeines nützlichen Beitrages, war dann schon etwas hilfreicher. Nicht, dass sie mit Freizeitgestaltung viel mehr Erfahrung hätte, als er. Aber es war etwas, womit man arbeiten konnte, etwas, das sie tatsächlich tun konnte, das sie nicht zum hilflosen Zuschauer machte. Sie konnte die Welt und ihr linkes Bein darauf verwetten, dass sie heute Abend das Internet nach allen möglichen Freizeitaktivitäten durchstöbern würde, die dem jungen Mann auch nur ein kleines Bisschen gefallen könnten. "Naja, es lässt sich bestimmt etwas finden, das den Versuch wert ist. Noch bleiben uns ja ein paar Tage Zeit, die wir mit den tollsten Ideen füllen können", meinte sie, deutete ein Schulterzucken an, welches in dieser Position leider etwas schwer auszuführen war. Dabei blickte sie wieder auf den Block vor sich und den Stift in ihrer Hand, den sie dabei gedankenverloren zwischen den Fingerkuppen drehte. Dinge, die einen Versuch wert sind: Umschrieb sie die nächste Rubrik - und ja, sie kritzelte wohl gerade gerne jedes zweite Wort, das ihr einfiel, aufs Papier, damit dieses am Ende wenigstens halbwegs hilfreich aussah. Dann galt es aber einen Moment nachzudenken, um gedanklich irgendwelche Möglichkeiten zu durchforsten, die ihr vielleicht sogar spontan einfallen würden. Zusammen schön Essen gehen. Das hatten sie nämlich ausser in Australien noch nie getan. Ans Meer fahren. Weil sie das vielleicht zumindest ein Bisschen an ihren Urlaub zurückerinnern würde und weil das Meer gar nicht so weit weg war, sie also nichtmal zwangsläufig einen ganzen Tag dafür opfern müssten. Selber Sushi rollen. Also du. Und ich esse. Wieder warf sie ihm einen Seitenblick zu, stellte sicher, dass er auch ja mitlas und ihm das wichtige Detail nicht entgangen war.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Meine Augen folgten ganz automatisch wieder der Mine des Stifts, als Aryana erneut zu schreiben begann. Wobei malen es vielleicht doch besser traf, weil sie dazu ansetzte einen gewissen Teil der Worte mit so einigen Herzchen zu umranden. Nicht, als würde sie mir ihrer Wortwahl übertreiben - sie war ja mein einziger Lieblingsmensch und es würde ohne jeden Zweifel nie Jemand schaffen, ihr Podest zu erklimmen und sie von da oben runterzuschubsen. Aber die vielen Herzen waren dann für meinen Geschmack wieder etwas zu kitschig. So oder so führte es dazu, dass sich meine Mundwinkel für einen Moment lang ein kleines bisschen anhoben. "Eigentlich brauchst du jetzt einen neuen Spitznamen, nachdem Maria ja ziemlich hinfällig ist...", stellte ich fest, wobei auch da ein kleines bisschen Sarkasmus mitschwang. War nicht so, als bräuchte man Spitznamen unbedingt um eine funktionierende Beziehung zu führen. Aber nachdem Maria jetzt ihre imaginäre Jungfräulichkeit sogar noch vor unserer Ehe abgetreten hatte, passte das einfach nicht mehr so gut wie früher und ich hätte gerne einen ähnlich witzigen Ersatz dafür. Ich hatte auch gar nichts dagegen einzuwenden, dass die Brünette den festen Standpunkt vertrat mir nie wieder von der Seite zu weichen. Ich hatte zwar aktuell einen ziemlich starken Hang zur Selbstzerstörung, aber ganz so dringend wollte ich dann doch nicht auch noch die eine, letzte Person verlieren, die mich weiter am Leben hielt. Die gerade auch drauf und dran war, mir möglichst effektiv helfen zu wollen, wobei sich aber erst mit der Zeit zeigen würde, was denn nun wirklich effektiv eine Besserung meines Gemüts brachte. Sie war schon wirklich ein bisschen viel zu gut für mich. "Aber ja, klar... ich hätte ganz bestimmt auch Herzchen gemalt.", ließ ich Aryana mit hörbar ironischen Worten in dem Glauben, dass sie auch kein bisschen mit der Ausführung übertrieben hatte. Immerhin nahm es dem Blatt Papier aber ein bisschen was von der Ernsthaftigkeit, für die es eigentlich da war. Wir beide waren in ernsten Gesprächen nicht besonders gut - wie wir uns auch grade nochmal bewiesen hatten -, da fiel mir das ironische Geplänkel doch gleich wesentlich leichter. Was die zukünftigen Freizeitaktivitäten zur Bekämpfung meines inneren Schweinehunds anging zeigte sich die junge Frau neben mir auch relativ optimistisch. Ich nickte erst einmal nur schwach und konnte wenig später wieder dabei zusehen, wie sie den Stift aufs Blatt setzte, um ein paar spontane Einfälle diesbezüglich aufzulisten. Es kam doch etwas überraschend, dass sie mit einem gemeinsamen Essen anfing und es ließ meine Augenbrauen flüchtig nach oben zucken. Das letzte Mal war jetzt doch schon sehr lange her und ich rief mir gedanklich unser letztes gemeinsames Abendessen in Australien auf den Schirm. Ob es nochmal anders sein würde, sie jetzt als meine feste und nicht nur als eine Freundin an den Tisch zu begleiten? Ein bisschen bestimmt, aber sicher eher im positiven Sinne. Auch das Meer verband ich unweigerlich mit unserem gemeinsamen Urlaub und ich würde in diesem Moment wahnsinnig gerne einfach einen Abstecher nach Australien machen. Mal kurz die Seele fernab der Problemzone meines Lebens baumeln lassen... wobei da ein Strand hier im Umkreis vielleicht auch schon ausreichen würde, um ein paar Erinnerungen und positive Gefühle zu wecken. Mit ihrer Idee zum Sushi holte Aryana mich dann aber ziemlich schnell von der Urlaubswelle herunter und ich zog die linke Augenbraue nach oben, als ich ihren Blick auffing. Das letzte Mal, das ich selbst in einer Küche gestanden hatte, war im Kinderheim gewesen und da hatte ich ungefähr gar nichts getan, außer zugesehen und vielleicht mal im Topf umgerührt. Glaubte sie wirklich, dass ich mit meinen nicht vorhandenen Skills für sämtliche Kochaktivitäten die Reisröllchen hinkriegen konnte? Meines Wissens nach waren die eher schon in der Kategorie Kunst einzuordnen und viele Laien bissen sich daran erstmal die Zähne aus. Trotzdem begann ich der Reihe nach am Anfang der Liste, als ich die Aryana zugewandte Hand nach dem Block ausstreckte und auf den ersten Unterpunkt zeigte. "Also damit warten wir bitte mindestens noch zwei Tage, weil ich den Frisörtermin gerne vorher abhaken würde. Sonst wird das nichts mit dem schön.", meinte ich und neigte den Kopf bei dem Blick aufs Papier unbewusst etwas nach vorne. Als hätte sie meine Worte bewusst aufgenommen sah eine der deutlich zu langen Haarsträhnen ihre Chance zu glänzen und fiel mir an die Stirn. "Meer klingt gut..." Mein Finger rutschte eine Zeile nach unten. "...auch, wenn das Wasser gerade sicher noch deutlich kälter ist, als in Australien.", dachte ich laut weiter nach. Es war eben noch nicht Hochsommer und es dauerte meistens eine Weile, bis auch das Meer eine etwas wärmere Temperatur annahm - zumindest nahe des Ufers, weiter draußen blieb es sowieso kalt. Andererseits wäre ein kaltes Bad vielleicht auch gar nicht so schlecht, um den Kopf ein bisschen frei zu kriegen. Solange es draußen dann fast windstill und so tendenziell ab der Mittagszeit warm war, war das sicher auch auszuhalten. Mein Finger rutschte zum dritten und letzten Unterpunkt, tippte dort mehrfach auf das Blatt, ohne, dass ich die Hand dabei anhob. "Aber warum du ausgerechnet das für eine gute Idee hältst, ist mir wirklich ein Rätsel. Wenn du unsere Küche im Chaos versinken sehen willst, geht das bestimmt auch ohne misslungenes Essen im Mülleimer verschwinden lassen zu müssen.", meinte ich doch wieder sehr sarkastisch, schüttelte leicht den Kopf und nahm meine Hand dann zu mir zurück. Ich mochte Sushi zwar unheimlich gerne, aber es war dann wiederum auch nicht so unverzichtbar, dass ich es unbedingt selbst kochen können musste. Ab und zu liefern lassen oder irgendwo abholen war mir da vermutlich doch lieber.
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Sie brauchte einen neuen Spitznamen? Das war ja mal eine Ansage. Aber ja, eigentlich hatte er Recht. Wenn man die Gründe betrachtete, aufgrund derer sie überhaupt je auf Maria zu sprechen gekommen waren, dann ja - sollte sie sich langsam von diesem Idealbild lossagen, dem sie längst nicht mehr entsprach. Wäre ja auch eine etwas traurige Beziehung, die sie leben würden, wenn sie weiterhin Maria wäre, oder? Nicht, dass das je zur Diskussion gestanden hätte. Spätestens Mitch hätte bei einem solchen Vorhaben sicherlich bald sein Veto eingelegt. "Hmm ja. Schon. Vielleicht Jesus der Erretter?", stimmte sie ihm zu und legte damit gleich ihren nächsten, durchaus ironischen Gegenvorschlag breit. Klang doch sinnvoll oder? Sie war zwar nicht unbedingt ihr eigenes, gottgesandtes Kind und auch nicht gerade männlich, geschweige denn ohne Sünde, aber darüber liesse sich doch sicherlich hinwegsehen. Genau wie über die Tatsachen, dass sie Menschen im allgemeinen überhaupt nicht mochte, keineswegs darauf erpicht war, jedem zu helfen, der ihr über den Weg latschte und auch sicher nicht mit engelsgleicher Geduld gesegnet war - alles Attribute, die dem heiligen Sohn Gottes wohl gerne zugeschrieben wurden und ihr ganz bestimmt nicht. Hm, wenn sie so darüber nachdachte, war der Vorschlag vielleicht doch nicht ganz so passend... "Oder auch nicht.... Möglicherweise fällt uns noch was besseres ein, irgendwann", gab sie das von sich, was er sich wohl längst schon gedacht hatte. Immerhin mit den Herzchen waren sie sich voll und ganz einig - hätte sie auch gewundert wenn nicht. Seine Worte diesbezüglich liessen ihre Mundwinkel ein Bisschen nach oben wandern, wie sie zufrieden auf das Blatt blickte, insbesondere natürlich auf diese eine kleine Sequenz. "Ja eben, hab ich mir schon gedacht... Ist halt genau unser Stil, hm?", pflichtete Aryana ihm ebenfalls zu, wobei das Lächeln dabei sicher nicht kleiner wurde. Vielleicht bewies sie gerade, dass man mit ihr nicht über ernste Themen sprechen konnte, weil sie ganz einfach nicht wusste, wie man mit solchen Emotionen umging. Aber ihr war es einfach unendlich viel lieber, wenn sie nicht beide fast heulten in ihrer Verzweiflung. Ausserdem war sie indirekt ja noch immer mit dem eigentlichen Problem beschäftigt, nur unter einem etwas weniger hoffnungslosen Aspekt. Dass sie sich bis zu ihrem gemeinsamen Abendessen noch ein Bisschen gedulden musste, fand sie noch gerade so verkraftbar. Wegen der paar Tage würde die Welt kaum untergehen, wenn dafür dann zumindest sein Haarschnitt zu seinem alten Glanz zurückgefunden hatte. "Deal. Notfalls wird's halt einfach ein Picknick, dann haben wir wenigstens unsere Ruhe - was vielleicht auch nicht verkehrt wäre", fügte sie dem noch mit einem erneuten, angedeuteten Schulterzucken an. Vielleicht sollte sie sich nicht ständig vor allem unnötigen Kontakt mit ihren Mitmenschen drücken. Aber sie waren ihr halt einfach doch zuwider. Auch, wenn sie sich für einen Restaurantbesuch entschieden, würde dieser Aspekt mit in die Auswahl einfliessen - alles, was zu viel Kundschaft anzog und laut war, würde dann wohl automatisch ausscheiden. Ganz egal, wie gut das Angebot dabei aussehen oder riechen mochte. Der zweite Punkt war dabei etwas einfacher zu gestalten, da Aryana durchaus schon einen Plan hatte, an welchem Strand sie Mitch zum Wasser führen würde. Es waren gut dreissig Minuten Fussweg dahin, aber das war der entscheidende Vorteil, da genau diese Tatsache die meisten Menschen von einem Ausflug dorthin abhielt. Und die Wassertemperatur war vielleicht noch nicht ganz ideal, aber sie mussten ja auch nicht zwei Stunden schwimmen gehen. Oder sie wartete damit einfach noch ein Bisschen und zogen stattdessen ihren Sushiabend vor. "Unsere Küche ist schon öfter im Chaos versunken, als du glaubst - die überlebt das schon. Und wenn du lieb fragst, würde ich dir vielleicht ja doch helfen... Ich glaube, so viel kannst du bei Sushi auch nicht falschmachen, dass du das Essen am Ende wegwerfen musst. Die einzigen Herausforderungen sind das Reis-Kochen und das Rollen der Sushis. Das Reis kriegen wir irgendwie hin - sonst frag ich einfach Faye, ob sie das erledigt - und wenn wir das mit dem Rollen vermasseln, gibts halt am Ende etwas improvisierte Sushi-Bowls...", zeigte sie sich mehr oder weniger zuversichtlich, wobei die Vorstellung, dass sie ihre Schwester fragen mussten, um Reis zu kochen, doch dezent lächerlich war. "Wir schauen uns vorher noch ein paar Tutorials an und dann passt das schon", war ihr Fazit, als ihr Blick zurück auf die Liste fand, die sich bestimmt noch ergänzen liess. Zum Beispiel durch den spontanen Einfall, der ihr nun nach einer ganzen Weile wieder kam und den sie sofort anfügte. Eine Schlange tätowieren. Das war doch eigentlich der Plan gewesen, sobald er draussen war, oder? Also eigentlich jetzt.
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Was die Angelegenheit mit dem Spitznamen betraf schien Aryana zumindest schonmal keine Einwände zu haben und ich würde meiner Kreativität freien Lauf lassen können. Sie war so frei sogar zeitnah einen eigenen Vorschlag vorzubringen, der allerdings prompt wieder meine Augenbraue nach oben zucken ließ. Jesus? Ich schüttelte den Kopf, noch bevor die Brünette ihren Einfall revidierte. Mal ganz abgesehen davon, dass sie da von einer männlichen Person redete, verband sie eben auch sonst nicht wirklich viel mit dem Sohn Gottes. Natürlich war sie auch nicht gerade Marias Abbild, aber da hatte das halt irgendwie trotzdem gepasst. "Ungefähr alles in mir sträubt sich dagegen, mit einem Jesus zusammen zu sein.", setzte ich sie etwas überflüssig noch in Kenntnis, als sie ihre Idee bereits zurückgenommen hatte. Es eilte aber auch nicht. Ihr erster Spitzname war schließlich ebenfalls nicht in Planung gewesen, sondern nur spontan zustande gekommen und das würde bestimmt auch noch ein zweites Mal so funktionieren. Einfach nicht zu viel darüber nachdenken, sondern irgendwann aus dem Moment heraus einen neuen zu finden, versprach ziemlich sicher mehr Erfolg. Außerdem konnte es kaum schlimmer als Jesus werden. "Hat auch gar keine Eile, ich find schon wieder was Passendes.", zeigte ich mich was das anging dementsprechend geduldig. Der neue Spitzname lief uns ja nicht weg. Was die terminliche Legung unseres gemeinsamen Abendessen anbelangte, war Aryana offen für meine Anregung und schob im selben Atemzug gleich auch noch eine alternative Lösung mit ein, nur für den Fall der Fälle. Natürlich war ein Picknick nicht wirklich das selbe, wie sich in ein Restaurant zu setzen und sich ganz faul bedienen zu lassen, aber es konnte sicher genauso schön sein. War in jedem Fall dann ruhiger und weniger vorbelastet durch die Anwesenheit anderer Menschen, wobei ich die wahrscheinlich ausblenden könnte - sofern sie mich nicht primär mit ihrer Anwesenheit belästigten oder ihre Kinder schreiend herumrennen ließen zumindest. "Warum nicht einfach beides?" Ich zuckte kaum sichtbar mit den Schultern und sah vom Blatt auf, um stattdessen zu ihr rüber zu sehen. Das eine schloss das andere ja nicht wirklich aus und wir hatten mehr als nur einen Tag, an dem wir die Liste hier abhaken würden. Wenn wir einfach beides machten, dann hatte ich schonmal an zwei Tagen etwas weniger Zeit, um mir über etwas anderes als das Essen auf einer Picknickdecke oder an einem Restauranttisch den Kopf zu zerbrechen. Es kam sicher auch wieder ein bisschen auf meine - oder unsere - Laune an, was uns im Endeffekt dann lieber war. Es gab eben einfach Tage, da kam man mit fremden Leuten besser zurecht und welche, wo es weniger leicht zu dulden war. Wir waren beide tendenziell mehr dazu veranlagt unsere Ruhe vor sämtlichen unnötigen Störenfrieden haben zu wollen, als Gesellschaft zu suchen. Was das Sushi anging musste ich dann aber schließlich mit einem belustigten Seufzen für einen Moment die Stirn in die Hand legen, die bis kurz davon noch auf dem Blatt gelegen hatte. Meine Motivation war was das anging weiterhin eher nur schwindend gering. "Ich bin gestern schon tief genug gesunken. Da frag ich ganz bestimmt nicht deine Schwester, ob sie uns Reis kocht. Noch hab ich sowas wie ein kleines bisschen Stolz.", redete ich ironisch vor mich her, ehe ich die Hand wieder sinken ließ und zurück zu Aryana blickte. Ein bisschen Reis zu kochen konnte eigentlich nicht so endlos schwer sein. Ich meine, es war sowieso irgendwie dämlich, dass wir beide uns durch weiß Gott welche tödlichen Missionen boxten und dann im Gegenzug aber so komplett am Kochen zu scheitern vermochten. "Also schön, von mir aus... aber nur mit deiner Assistenz, dann blamieren wir uns wenigstens gegenseitig.", willigte ich nach wie vor etwas skeptisch ein. Ich war mir relativ sicher, dass ich allein zeitnah das Handtuch werfen würde, weil mich am Kochen einfach nichts reizte. Also wirklich so gar nichts. Zu zweit konnten wir uns wenigstens gegenseitig aufziehen oder so. Das versprach in meinen Augen etwas mehr Unterhaltung. Meine Augen fixierten sich dann wieder auf das Papier, als Aryana ein weiteres Mal zum Schreiben ansetzte. Ach ja, die Schlange. Damit müssten wir jetzt wohl entweder verdammt schnell sein oder darauf hoffen, dass wir freitags mal früher aus dem Stützpunkt rauskamen. Frische Tätowierungen unter sportlicher Betätigung waren nicht unbedingt gut, irritierte das doch nur unnötig den Heilungsprozess. Gerade mit dem Schweiß sehr unangenehm und nicht zu empfehlen, sollte man die verletzte Haut zu Beginn doch eigentlich tunlichst schützen. "Das wird wohl nicht ganz so einfach, wenn wir jetzt nicht sehr viel Glück haben und sofort einen Termin kriegen... bei einem Tätowierer, den ich jetzt noch nicht mal kenne.", dachte ich laut nach, wobei gen Ende unweigerlich wieder ein amüsierter Unterton einfloss. War halt gerade keine so ideale Ausgangslage für ein neues Tattoo, aber jetzt, wo die Brünette das wieder ins Spiel brachte, wollte ich es schon gerne haben. Allerdings auch nicht so dringend, dass ich auf mindestens zwei Tage Ruhe nach dem Stechen verzichten konnte. Sich eine Tätowierung durch schlechte Wundheilung gleich im Anfangsstadium kaputt zu machen und Vernarbung zu riskieren war schließlich nicht Sinn und Zweck des Unterfangens.
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Daran hatte sie in der Tat nicht einmal gedacht - also dass Mitch sich mit Jesus grundsätzlich lieber nicht anfreunden wollte, was ihrer Beziehung wohl nicht gut tun würde. Seine Aussage entlockte ihr ein leises, aber durchaus amüsiertes Lachen. "Na was ein Glück, dass wir den Jesus hinter uns gelassen haben", meinte sie ironisch, zeigte sich im Anschluss aber zufrieden damit, dass er irgendwann in Zukunft einen neuen Spitznamen für sie erfinden würde. Die Kreativität würde sicher auch ein zweites Mal Früchte hervorbringen, wenn sie sich wieder mit irgendeiner dummen Aussage ins Aus spielte wie damals mit Maria. Vielleicht ja bei ihrem Picknick oder dem Abendessen im Restaurant, was bei Mitch offenbar beides auf Anklang stiess, wie er ihr wenig später bestätigte, was seinerseits dazu führte, dass sie den Stift ein weiteres Mal aufs Blatt senkte, um auch das Picknick auf der Liste zu verewigen. "Klingt durchaus reizend", kommentierte sie zufrieden, würde sich sicher nicht gegen die Vorstellung eines gemütlichen Picknicks alleine mit ihm sträuben. Vorzugsweise ohne diese ganze belastende Scheisse im Kopf - aber das würde wohl schwierig werden, wenn sie das nicht ewig aufschieben wollten. Aber sie konnten es ja dann wiederholen, in ein paar Jahren, wenn das Leben ein anderes war. Hoffentlich diesmal wirklich auch ein besseres, wobei sie diesbezüglich schwach optimistisch war - schlimmer konnte es ja kaum werden, wenn nicht jemand von ihnen vorher gehen musste. Sie schob den Gedanken mit einer imaginären Handbewegung zur Seite, um sich lieber der Sushigeschichte zu widmen, die sie ein zweites Mal ein Bisschen Grinsen liess. Sowas in diese Richtung hatte sie schon fast kommen sehen, natürlich war Mitch dagegen, tatsächlich Hilfe zu holen um Reis zu kochen. Weil das auch einfach ziemlich lächerlich und peinlich für sie beide wäre. Faye wusste zwar bestens, dass sie nicht kochen konnte, aber selbst ihre jüngere Schwester würde sie auslachen, wenn sie wegen Reis vorbeikamen. "Gut, dann weiss ich jedenfalls schon, wer diesen Part übernimmt. Ich werde derweil ein Bisschen Fisch schneiden oder so", verkündete sie zufrieden mit dieser Arbeitsteilung, billigte damit auch seine Bedingung, dass sie ihm dabei zu helfen hatte. Es würde ein glorreicher Moment werden, in dem er feststellen musste, dass nichts von allem, was sie über ihre Kochkünste erzählt hatte, gelogen war, sie also wirklich genau gar nichts in diese Richtung beherrschte. Vielleicht würden sie sich auch gegenseitig so sehr nerven, dass sie am Ende pissig und hungrig Pizza bestellen mussten, wer weiss. Würde sich dann eben zeigen, zumindest am Anfang würde es aber sicher unterhaltsam werden. Die Sache mit dem Tattoo stimmte schon, das hätten sie am besten direkt abgeklärt, als sie ihn rausgeholt hatte. Oder schon um Einiges früher, je nach dem, welchen Künstler sie sich aussuchten und wie voll dessen Bücher waren. Aber auf die Liste gehörte es ihrer Meinung nach trotzdem, denn sie wollte das Tattoo wirklich und er soweit sie wusste auch, also sah die Zukunft doch irgendwann sowas vor. "Ich habe mich schon ein Bisschen umgeschaut im letzten Jahr und anhand ihrer Referenzfotos ein paar Favoriten ausgesucht. Ich wollte dich sowieso mal fragen, welcher davon für dich am vertrauenswürdigsten aussieht, aber hab' immer vergessen, die Bilder zu drucken. Ich zeig dir meine Auswahl zu Hause, vielleicht findest du ja einen davon gut genug. Und sonst schauen wir weiter", legte sie ihm den Stand ihrer Ermittlungen offen, bevor ihr Blick abermals aufs Papier rutschte, welches sie schliesslich einen Moment lang musterte. "Hast du noch irgendwelche Ergänzungen oder meinst du, wir belassen's für Heute dabei?", richtete Aryana sich erneut an ihn. Vielleicht wollte er auch noch über andere Dinge reden. Oder dieser eine Ansatz zur Lösungsfindung war ihm nicht genug, weil er nicht helfen würde, sobald Mitch sich wieder in einer Krise befand. Aber sie war eben keine Psychologin und wusste nicht, was sie ihm hier und jetzt sonst noch anraten sollte.
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Es war schön, dass zumindest Aryana wieder ein klein wenig Lachen konnte. Natürlich waren damit die Probleme - also meine - nicht plötzlich aus der Welt geschafft, doch gerade mein verkatertes Hirn fand die jetzige Unterhaltung wesentlich weniger anstrengend als meine endlose Krise mit mir selbst. Es würde sicher noch des Öfteren vorkommen, dass die Brünette gute Gründe dafür hatte die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und wegen mir zu verzweifeln... aber das Lachen war eben trotzdem schöner. Auch dann, wenn mir selbst gerade vielleicht nicht so nach herzhaftem Lachen zu Mute war. Wenn ich mich gegen Jesus weigern und mir an Sushi die Zähne ausbeißen musste, damit die Frau an meiner Seite lachen konnte, war das schon irgendwie okay. Ich hatte trotzdem weiterhin meine Zweifel daran, dass nicht entweder die Küche oder wir selbst Amoklaufen würden. "Mit dem größten Vergnügen.", säuselte ich hochgradig ironisch und rollte flüchtig die Augen nach oben, wobei aber doch meine Mundwinkel leicht nach oben zuckten. Schön, dann ging der Reis eben auf meine Kappe. Ich könnte jetzt schon darauf schwören, dass er am Ende nicht klebrig war und nur zum in die Schüssel hauen taugen würde, aber was solls. Sollte der Reis jedoch tatsächlich wider Erwarten brauchbar sein... "Sollte ich das wirklich auf die Reihe kriegen, was ich nicht glaube, dann übernimmst du aber das Rollen. Eine unmachbare Aufgabe für Jeden, wir wollen ja fair bleiben.", schob ich ihr die andere tendenziell schwere Aufgabe zu. Vermutlich erforderte das Feingefühl, das ich gar nicht besaß. Ich brachte zwar genug Koordination fürs Gitarre spielen mit, aber ich glaubte nicht, dass sich Präzision aus anderen Lebensbereichen auch aufs Kochen übertragen ließen. Dafür brauchte man wahrscheinlich genauso ein ganz eigenes Händchen, wie für das Spielen eines Instruments. Da dürfte das Aussuchen eines geeigneten Tätowierers doch wesentlich leichter fallen. Was das anging war ich ein alter Hase. Selbst mochte ich noch Niemanden tätowiert haben - was angesichts meiner mangelnden Geduld sicher auch besser so war -, aber ich konnte doch ziemlich gut beurteilen, wer seine Arbeit ordentlich machte und wer nicht. "Klingt nach einem Plan.", willigte ich nickend ein. Dass Aryana schon hier und da mal nach geeigneten Künstlern Ausschau gehalten hatte, verkürzte uns die Suche sicherlich. Zwar hing es am Ende zumindest für mich auch vom jeweiligen Stil ab, ob ich mich an der richtigen Adresse fühlte oder nicht, aber wir würden uns da schon einig werden. Das war aktuell sicher unser kleinstes Problem. Es folgte ein ruhiger Moment, in dem meine Augen ebenfalls zurück aufs Papier wanderten. Dort blieben sie dann auch gleich kleben, als die Brünette mir eine Frage stellte, über die ich erst einen Moment nachdenken musste. Wahrscheinlich waren wir mit unserer Lösungsfindung noch nicht wirklich weit, wenn ich mir das Blatt so ansah... ich versuchte mir also Fayes Worte noch einmal abzurufen, weil ich ihr das in meinen Augen nach meiner gestrigen Aktion wirklich schuldig war. Und es gab wohl tatsächlich eine recht essentielle Sache, die während der letzten Monate in der Army nennenswert zu einem positiven Gemüt meinerseits beigetragen hatten. "Vielleicht sollten wir unser... Ritual wieder einführen. Solange wir noch nicht auf Easterlins Gelände rumstreunen ist es eher überflüssig, aber wenn wir wieder jeden Tag irgendwas finden, über das wir uns aufregen können, dann... wär's vielleicht gar nicht so verkehrt, wenn wir uns wieder unsere fast täglichen 30 Minuten Wachturm einräumen... in abgewandelter Form eben.", redete ich etwas nachdenklich vor mich hin, ehe ich meinen Blick schließlich wieder in Aryanas Augen legte. Worüber wir dabei redeten war am Ende dann auch egal. Wichtig war nur, dass wir da jedes Mal mit besserer Laune rauskamen, als wir ins Gespräch reingegangen waren. Auch das war kein plötzliches Heilmittel, aber es war eines der wichtigsten Ventile, das mir im letzten Jahr dringend gefehlt hatte. Öfter weniger schlechte bis sogar gute Laune zu haben war mit Sicherheit essentiell dafür, mich von meiner Existenzkrise loszusagen. "Aber ansonsten... keine Ahnung. Mein Kopf ist auch grade echt nicht in Höchstform.", seufzte ich, bevor ich mich langsam zurück in eine sitzende Position aufrichtete, weil mir die Ellenbogen langsam etwas wehtat. In naher Zukunft würde ich es wirklich tunlichst vermeiden Alkohol in die Finger zu kriegen. Effektives Denken wurde durch einen Kater nicht gerade leichter und ich fühlte mich aktuell auch um die 10 Jahre älter. Mindestens. Der Kopfschmerz war zwar verschwunden, aber der unangenehme Druck im Kopf war von der Schmerztablette nicht wirklich beeindruckt.
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