Im Grossen und Ganzen schien Mitch ungefähr das Gleiche zu denken wie sie. Nämlich, dass dieses Land sich schon lange nicht mehr nach Heimat und Zuhause anfühlte, er entsprechend wenig gute Gründe sah, für immer hier zu bleiben. Sie wusste auch, worauf sein Seitenblick anspielte und das war eben wirklich der einzige Grund, ein Leben in diesem Land doch in Betracht zu ziehen. Ob sie Faye und Victor wirklich zurücklassen konnte, falls sie sich für ein Leben in der Ferne entschieden? Schwer zu sagen. War also ganz gut, dass sie noch ein paar Jahre Zeit hatte, sich das gut zu überlegen. "Mal sehen... ich denke, das werden wir zu gegebener Zeit entscheiden. Grundsätzlich brauch ich auch nicht hier zu bleiben, aber das werd' ich mit Faye besprechen, wenns wirklich zum Thema wird. Vielleicht kommen sie ja mit?", meinte sie mit einem Schulterzucken, wobei die Wahrscheinlichkeit dafür wohl eher gering war. Gerade weil Victor auch noch Familie hier hatte und soweit sie das bisher rausgespürt hatte, hing er ebenfalls ziemlich an ihnen und sie an ihm. Aber eben, das hatte sowieso alles noch Zeit. Erstmal mussten sie die anderen Neuigkeiten überbringen und im Anschluss dann das Elend auch noch überleben. "Ja, ein weiteres Mal Australien richten wir uns so bald wie möglich ein", bekräftigte sie seinen Plan, ihrer Lieblingsdestination nochmal einen Besuch abzustatten. Das war dann auch tatsächlich etwas, was sie realistischerweise planen und worauf sie sich freuen konnten. Vielleicht würden sie sich dann schon direkt in einen Ort verlieben, der ihnen die Entscheidung sehr viel leichter machte. Falls das überhaupt noch nötig war - eigentlich hatten sie das letzte Mal ja auch schon alles ziemlich perfekt erlebt. "Und nein, die Iglus brauch' ich auch nicht unbedingt, ich denke, ich kann mich mit wärmerem Klima sehr gut anfreunden", womit dann immerhin diese Frage bereits geklärt wäre. "Falls das mit dem Auswandern sich allzu schwer gestaltet, können wir also immer noch nach Florida oder noch besser nach Hawaii umsiedeln...", merkte Aryana etwas sarkastisch an. Denn ihr war durchaus auch bewusst, dass für permanente Aufenthaltsvisa mehr oder weniger zwangsläufig ein Hintergrundcheck einherging, der ihnen letzten Endes sehr gut einen Strich durch die Rechnung machen könnte. War dann also etwas, das sie sicherlich ganz zu Beginn einer allfälligen Umzugsplanung abklären müssten, um eine allzu grosse Enttäuschung zu verhindern. Wenn das Auswandern sich so nämlich schon erledigt hatte, dann blieben ihnen bereits alle damit verbundenen Entscheidungen und Überlegungen erspart. Wäre natürlich schade, wenn sie sich schon wieder irgendwelchen ihnen übermächtigen Kräften beugen müssten, die mit der amerikanischen Politik zu tun hatten. Aber davon würden sie sich den Spass auch nicht nehmen lassen, der auf sie wartete, wenn sie diese nächste dunkle Episode erst einmal durchlaufen hatten. Aryana gab mit einem leisen Gähnen bekannt, dass zumindest ihr Körper diesem Tag so langsam ein Ende schenken wollte. Sie wusste nicht, wie spät es war, aber sie wär früh aufgestanden heute und ihr Körper hatte sich längst an etwas mehr Schlaf gewöhnt, als das in der Army noch so üblich gewesen war. Zudem trugen die Aufregung und die Nerven, die der heutige Tag sie gekostet hatte, sicher auch ihren Teil dazu bei - genau wie letztendlich der Alkohol auch. "Kommst du nachher auch langsam ins Bett oder willst du noch etwas draussen bleiben..?", richtete sie sich mit einer Frage wieder an ihren Freund. Natürlich hatte sie noch Geduld, bis er die Zigarette zu Ende geraucht hatte oder auch noch etwas länger. Aber gleich auf der Bank einzuschlafen, wollte sie nicht unbedingt riskieren.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ja, zum Glück hatte das Ganze noch ein wenig Zeit. Nicht, als würde ich gerne mehr Tage als notwendig unter Easterlins Fuchtel stehen, aber in jedem Fall würden wir uns erst einmal eine ganze Weile lang mit ihm herumärgern müssen, bevor sowas wie Auswandern - oder eben generell ein Umzug - überhaupt zur Debatte stand. Vorerst waren wir hier vor Ort festgenagelt und Faye brauchte noch nicht zu fürchten, dass ihre Schwester ihr abhauen wollte. Dafür würden wir der jüngeren Cooper aber schon sehr bald ein paar andere große Sorgen bereiten und am Ende wäre es ihr wohl doch lieber, wenn Aryana ins Ausland verschwinden würde, statt wieder in irgendeiner Armee zu dienen. Das Leben war nur leider kein Wunschkonzert und unser beider erst recht nicht. "Ja, hat ja noch Zeit.", bestätigte ich Aryana etwas überflüssig noch einmal in dieser Feststellung. Was eine bloße Reise nach Australien angeht zeigte sie sich auch sehr aufgeschlossen, was mich auflächeln ließ. Eigentlich hatte ich gar nichts anderes erwartet, würde es mich doch sehr wundern, wenn die Brünette nicht auch noch einmal gerne die Seele am australischen Meer baumeln lassen wollen würde. Trotz unseres etwas unschönen Erlebnisses im Outback - das wir so ganz sicher nicht wiederholen würden - war Australien einfach ziemlich perfekt gewesen und es hatte uns beide zweifelsfrei näher zusammenrücken lassen. Vielleicht nicht so nah, wie es mir schon damals recht gewesen wäre, aber ich erinnerte mich an die trunkene Partynacht und jede einzelne Ohrfeige irgendwie gern zurück. Hatte zwar durchaus weh getan, aber es war einfach witzig, jetzt wo Aryana sich doch noch an mich und meinen nur zeitweise vorhandenen Charme verloren hatte. Sollte das mit dem Auswandern aber so ganz allgemein eher nichts werden, dann tat es Florida womöglich auch. Hawaii war zwar schön, aber das waren... naja, kleine Inseln. Natürlich nicht unzivilisiert, wenn man sich allein schon die ziemlich moderne und auch nicht klein geratene Hauptstadt ansah, aber das war mit Australien wohl eher nicht vergleichbar. Allerdings hätte ich wohl nichts dagegen, da trotzdem mal vorbeizusehen und mir alles anzugucken - Hawaii hielt meines Wissens nach teils ziemlich spektakuläre Landschaft bereit und ich war fast immer gerne draußen unterwegs. Sehenswert war es sicher und mit den Iglus waren wir uns auch schon einig. Die waren nicht so wichtig, Grönland wurde also getrost von der Liste gestrichen. "Bin schon gespannt, wohin es uns am Ende dann verschlägt.", stellte ich wahrheitsgemäß fest, weil das bis jetzt doch noch ein fast unbeschriebenes Buch war. Unsere Vergangenheit ließ sich schlecht ausradieren und an genau diesem Fleck Erde hier würden wir sicher nicht bleiben, aber alles andere war doch noch sehr offen und hing auch zu großen Teilen davon ab, was Faye nun davon hielt. Einen genauen Standort für unser neues Leben auszusuchen war zum aktuellen Zeitpunkt nicht machbar und so blieb es vorerst wohl eher dabei, dass wir uns ausmalen würden, was wir abgesehen von eventuell auswandern sonst noch mit unserem gemeinsamen Leben anfangen wollten. Zuallererst standen aber erst einmal ein paar Stunden Schlaf für uns an. Aryana wurde sichtbar müde und auch, wenn ich die letzten Wochen gefühlt für zehn Jahre vorgeschlafen hatte, würde ich sie nicht allein unter die Bettdecke kriechen lassen. Allein weiter hier draußen rumzusitzen stand mir eher nicht im Sinn. Wenn sie also gerne nach drinnen wollte, dann würde ich folgen. "Gib mir noch zwei Minuten.", erwiderte ich ruhig und hob vielsagend die Hand mit der Kippe an, bevor ich sie erneut an meine Lippen legte und den Rauch inhalierte. Am Ende brauchte ich dann wohl eher doppelt so lang, aber auf zwei Minuten mehr oder weniger kam es gerade wohl kaum an. Ich löste meine Finger dann schließlich aus Aryanas, um beim letzten Zug aufzustehen und danach auch diese Zigarette gewissenhaft auszudrücken. Allerdings nahm ich die nicht mit rein, sondern ließ sie bei der anderen liegen. Vielleicht war ich da irgendwie merkwürdig pingelig, aber ich persönlich fand Zigaretten im Hausmüll irgendwie unangebracht, weil sie doch durchaus unangenehm riechen konnten. Außerdem war die jetzt sowieso noch heiß und ich ging sicher morgen nach dem Aufstehen auch wieder eine rauchen, dann konnte ich sie irgendwann im Laufe des Vormittags - oder eben später, kam wohl drauf an wann wir aufstanden - mal runter zur Mülltonne bringen und danach einen Aschenbecher besorgen. Ich musste so oder so morgen mal los und zumindest ein paar Dinge einkaufen. "Ich werd' morgen wohl mal los müssen wegen dem ganzen Drogeriezeug... ich riech' nicht so gern nach einer Elfe.", stellte ich auch für die junge Frau hörbar und recht sarkastisch fest, als ich mit dem Glas in der linken, sowie Zigarettenschachtel und Feuerzeug in der rechten Hand noch vor ihr wieder das Wohnzimmer betreten hatte. Letztere fühlten sich drinnen über Nacht wohler und so blieben sie unweigerlich auf der Küchentheke zurück, als ich das leere Glas wegräumte. Selbst eine ach so simple Spülmaschine war für mich gerade noch ziemlich ungewohnt, aber ich war mir sicher sie schon sehr bald zu schätzen zu wissen. Abspülen gehörte nämlich ganz bestimmt nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Ja, ihre Zukunftsplanung lag eben momentan noch irgendwo genau da - in der Zukunft. Und mit Zukunft waren auch eher nicht die nächsten zwei, drei Tage oder Wochen gemeint, sondern viel mehr eben die Jahre, die noch kamen. Bis dahin blieb zu hoffen, dass die Tage nicht alle so anstrengend wären wie der Heutige, sie nicht immer so stark mitnehmen und aufwühlen würden. Denn dafür würde sie nicht lange die Nerven und die Geduld haben, das wusste sie schon jetzt. Auf seine Feststellung hin wurde das Lächeln auf ihrem Gesicht ebenfalls noch einen Moment etwas versonnener. Ja, auf das Ende ihrer ewigen Reise, bei der sie nie irgendwo wirklich angekommen waren, freute sie sich auch. Auf den Moment, in dem sie endlich wussten, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, dass sie aufhören konnten, immer weiter zu laufen und sich zu fragen, wo oder was Zuhause für sie eigentlich sein sollte. Klar, im Moment war es diese Wohnung und sie würde es auch noch eine ganze Weile bleiben. Aber sie würden nicht für immer hier leben, das war doch auch schon prädestiniert. Also ja - ein weiterer Bereich ihrer Zukunft, der für den Moment einem einzigen, grossen, ominösen Fragezeichen glich. Nur dass dieser Teil mit deutlich weniger Stress und negativen Emotionen verbunden war, als andere. Aryana wartete geduldig, bis er in Ruhe seine Kippe zu Ende geraucht hatte. So eilig hatte sie es mit dem zu Bett gehen nun auch nicht, immerhin lagen noch ein paar Tage Urlaub vor ihnen. Diese würden zwar mehrheitlich mit organisatorischen Dingen draufgehen, aber ausreichend Schlaf lag bestimmt trotzdem für sie beide drin. Als Mitch sich dann schliesslich erhob, tat sie es ihm gleich, wobei sie noch ein paar Sekunden vor der Bank stehen blieb, ehe sie sich dann auch wirklich in Bewegung setzte um nach drinnen zu folgen. Der leichte Schwindel im Zusammenhang mit dem Alkohols war eben doch noch bemerkbar, auch wenn es sie kaum daran hindern sollte, im Anschluss erfolgreich die Türschwelle zu passieren und in die Wohnung zurück zu kehren. Sie schloss die Balkontür hinter sich, lächelte dabei noch immer etwas, als seine Worte ihre Ohren erreichten. "Du musst wahrscheinlich eh noch sehr viele andere Dinge besorgen... Ich denke nicht, dass das Elfenshampoo dabei dein grösstes Problem sein sollte", meinte sie, während sie ihr Glas ebenfalls in der Spülmaschine verschwinden liess, sich ihm dabei nochmal für einen Moment zuwandte. Ihre Finger wanderten zu seinem Gesicht und verirrten sich von da in seinen Haaren, die leider schon lange nicht mehr die Aufmerksamkeit hatten bekommen können, welche sie eigentlich verdienten. Aber auch daran würde sich sicherlich bald etwas ändern. Natürlich sollten sie das dreckige Geld, welches sie bei Easterlin verdienten, zu möglichst grossen Teilen so sparen, dass sie spätestens nach sechs Jahren irgendwie genug zusammengekratzt hatten, um von ihm los zu kommen. Aber ein Besuch beim Friseur lag trotzdem ab und an drin. Genau wie im Tattoostudio - denn auch diese Pläne hatte die Brünette sicherlich nicht vergessen. Und sie hatte abgesehen davon auch nicht vor, jetzt weitere sechs Jahre absolut unten durch zu gehen. Mitch und sie hatten lange genug wenig bis gar nichts vom Leben gehabt und sie wussten beide bestens, wie schnell letztendlich auch einfach alles vorbei sein konnte. Also sollten sie geniessen, was sie bekommen konnten und sich gleichzeitig über all das freuen, was sie sich leisteten. Aryana wandte sich nach einem kurzen Blick in seine Augen, der weiterhin von einem kleinen Lächeln begleitet wurde, wieder von Mitch ab, um stattdessen nun das Badezimmer anzusteuern und sich dort ihrer abendlichen Routine zu widmen. Kaum zehn Minuten später führten ihre Füsse sie dann schliesslich ins Schlafzimmer, wo sie sich aus den ganzen Klamotten schälte, um sich stattdessen ihr Schlafshirt über zu ziehen und sich damit unter die Decke zu verkriechen, wo sie langsam doch etwas müde auf die Gesellschaft wartete, die ihr so lange so sehr gefehlt hatte.
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U ALIIIVE, hahaha :D Prüfungen gut gelaufen? :3 und wo machen wir weiter dann? Wenn sie die andern besuchen? Oder gibts bis dahin noch was anderes Wichtiges, das mir einfach nur entfallen ist? xD _________
Irgendwie war das so eine Sache, die ich nicht gerne hören wollte. Ich hatte nur wenig Lust dazu die nächsten Tage damit zu verbringen kreuz und quer durch die Stadt zu tigern und weiß Gott was alles zu erledigen. Leider war auch das ziemlich unumgänglich und ich würde mich dem ganzen organisatorischen Mist widmen müssen, ob ich nun wollte oder nicht. Das einzig gute am Knast war wohl gewesen, dass man sich nicht wirklich Gedanken darum machen musste, was man so zu erledigen hatte. Bis auf den Job, der mir irgendwann abgenommen worden war, weil ich mich negativ gezeigt hatte, hatte es da nämlich schlichtweg nichts gegeben. Es schien als müsste ich meinen alten Elan erstmal irgendwo ausgraben gehen, weil er gerade so gar nicht spürbar war. "Nimm' mir nicht meine Illusion von den paar Tagen erholsamem Urlaub, das ist gemein.", äußerte ich mich dazu gespielt getroffen. Der theatralische Gesichtsausdruck löste sich allerdings bereits in Luft auf, als Aryana ihre Finger an mein Gesicht legte und meine Mundwinkel unweigerlich nach oben zuckten. Für zwei Sekunden schloss ich dann die Augen, als sich ihre Fingerspitzen bis in meine Haare vorarbeiteten. Ja, die Frisur stand definitiv auch noch auf der To-Do-Liste voll Dingen, die ich zu erledigen hatte. Solange ich unter dem immer nur grob nachrasierten Teppich noch nicht schwitzte, war es zwar erträglich, aber schön war eben anders. Ich öffnete die Augen wieder und hielt einen Moment lang den Blick in die dunklen Augen der Brünetten, dann löste sie sich von mir. Mit der Hüfte seitlich leicht an die Theke gelehnt sah ich Aryana nach, bis sie durch den Türrahmen in den Flur verschwunden war und danach glitten meine Augen in Richtung des Fensters nahe der Terrasse. Zwar hatte ich Stille in den letzten Wochen zu hassen gelernt, aber erstens war es nicht vollkommen still - meine bessere Hälfte war ja im Badezimmer zu Gange - und zweitens tat die kurze, alleinige Ruhe tatsächlich ganz gut. Gab mir Zeit dazu, den Tag noch einmal für mich Revue passieren zu lassen. Dadurch wurde er natürlich nicht besser. Es tat jedoch trotzdem gut das alles bei einem tiefen Atemzug noch einmal zu verinnerlichen und mir darüber bewusst zu werden, was in naher Zukunft zwangsweise auf mich wartete. Mir auch noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, dass nicht alles an meiner Situation schlecht war - schließlich hatte ich endlich den einzigen Menschen, dem ich vertraute, wieder an meiner Seite und mit ihr zusammen würde es erträglicher sein. Ich war nicht mehr eingesperrt und auch nicht mehr allein. Das war, was für den Augenblick am meisten zählte. Über den ganzen beschissenen Rest konnte ich mir dann den Schädel zerbrechen, wenn es in ein paar Tagen so weit war. Als ich die Badezimmertür hörte löste ich mit einem kaum sichtbaren Kopfschütteln den Blick vom Fenster und stieß mich von der Theke ab, um selbst noch kurz im Bad zu verschwinden. Das beschränkte sich allerdings auf nicht mehr als fünf kurze Minuten, weil ich nicht viel mehr tat als meine Blase nochmal zu entleeren und Zähne zu putzen - Aryana hatte glücklicherweise an eine zweite Zahnbürste gedacht. Selbst die fühlte sich besser an als die billige hinter Gittern. Es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt hatte wieder wie ein normaler Mensch und nicht gefühlt wie ein Tier zu leben. Nach einem kurzen, abschließenden Blick in das verspiegelte Glas über dem Waschbecken schloss ich zu der Brünetten auf, die sich bereits unter die Bettdecke verkrümelt hatte. Allein dieser Anblick ließ mich unbewusst schwach vor mich hin lächeln, während ich bis auf die Boxershorts alle Klamotten loswurde. Es würde unter der Bettdecke zu zweit sicher ziemlich warm werden, also hielt ich ein Shirt nicht für angebracht. Ich zögerte nach dem Löschen des Lichts an der Decke nicht damit mich zu Aryana unter die Bettdecke zu verkriechen und es mir bequem zu machen - beziehungsweise uns. Ich hatte mir in den letzten Monaten angewöhnt überwiegend flach auf dem Rücken zu schlafen, weil alles andere einem schreckliche Schulter- und Nackenschmerzen auf den fast nicht existenten Matratzen bescherte. Jetzt drehte ich mich aber fast wie selbstverständlich auf die Seite und zog die schlanke Brünette zu mir ran. Störte mich kein bisschen daran, dass mich ihre Locken etwas an der Nase kitzelten und mir vielleicht irgendwann später der Arm einschlafen würde. Wollte sie wahrscheinlich allein deshalb schon umarmen und festhalten, weil ich dem Frieden noch immer nicht so recht traute und einfach dem Fall vorbeugen wollte, dass sie mir doch noch Jemand wegnahm. Legte den Arm um sie und schob die Hand an ihrem Bauch unters Shirt, während mir ihr Duft um die Nase wehte. Und vielleicht brauchte ich das Gekuschel auch einfach, ganz gleich wie sehr ich oft den knallharten Kerl implizierte, der ich im Grunde ja auch war. Größtenteils eben. Am Ende des Tages brauchte selbst ich dann eine Zuflucht und die fand ich in nichts anderem, als Aryanas Nähe und Wärme. Ein leises, zufriedenes Seufzen fand den Weg über meine Lippen, als ich endgültig die Augen schloss. "Schlaf gut.", murmelte ich die wohl letzten Worte für heute vor mich hin, bevor ich noch einen zärtlichen Kuss an ihren Nacken hauchte und einmal mit dem Daumen über ihren Bauch strich.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Jaaa hab das erste Semester überlebt, jetzt nur noch 8 weitere! xD Keine Ahnung, Einige gut, andere weniger, Mal schauen was es für Ergebnisse gibt...^^ Ich spring jetzt mal bis zu dem Besuch, da ich selber keine bessere Idee habe.. x'D _________
Vieles an diesem Tag mochte nicht ganz perfekt gelaufen sein und Einiges davon nicht nur annähernd nach ihren Vorstellungen. Aber das Schlafengehen gehörte definitiv nicht dazu. Denn als Mitch schliesslich zu ihr unter die Bettdecke kroch, war das genau so, wie sie es sich gewünscht hatte. Dann fühlten sich seine Nähe und seine Wärme genau so an, wie sie das in ihren Träumen getan hatten. Und für diesen Moment wirkte alles perfekt. Möglich, dass das noch mit ihrem etwas alkoholbelasteten Gehirn und mit der Müdigkeit zusammenhing, aber das spielte keine Rolle. Aryana wollte einfach nur hier sein, in seinen Armen und sich an seine Brust kuscheln und seinem Herzschlag lauschen. Das reichte und es war wunderschön. Besonders darum, weil sie so lange darauf gewartet hatten, weil sie sich so lange in einsamen Betten, gefühlt Welten voneinander entfernt hatten ausmalen müssen, wie es werden würde, wenn sie sich wiedersahen. Wieder in den Armen halten durften. Gemeinsam einschliefen. Weil sie es sich ausgemalt hatten und gleichzeitig stetig die Zweifel hatten zurückdrängen müssen, die immer wieder ihre Gedanken vergiften wollten, um zu sagen, dass das vielleicht gar nie wieder passieren würde. Dass sie fünfundzwanzig Jahre unmöglich überstehen würden. Aber das mussten sie nicht. Ein Jahr war schlimm genug gewesen und es sollte bitte für immer das einzige Jahr bleiben, welches sie getrennt hatten verbringen müssen. Aryana war trotz all den Bedenken und neuen Sorgen, die dieser Tag heraufbeschwört hatte, schon nach wenigen Minuten eingeschlafen. Und sie schlief bis am Morgen durch, wachte kein einziges Mal auf und wurde von keinem Alptraum gestört. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war Mitch noch immer direkt neben ihr und das allein reichte aus, um ihr augenblicklich wieder ein Lächeln aufs Gesicht zu zeichnen. Sie waren überhaupt noch an gar keinem einzigen Morgen entspannt nebeneinander aufgewacht - zumindest nicht so dicht nebeneinander. Im Krieg war ganz sicher nie irgendein aufwachen wirklich entspannt gewesen und im Krankenhaus auch eher weniger. Und das waren eben abgesehen von Australien die einzigen Situationen, in denen sie sich nebeneinander aus den Laken geschält hatten. Dass sich das nach all den langen Monaten nun endlich geändert hatte, war wirklich ein grosser Grund zur Freude und zumindest verhaltenen Optimismus gegenüber dem, was die Zukunft brachte. Das wollte die Brünette jedenfalls wirklich glauben. Den nächsten Tag verbrachten sie tatsächlich mehrheitlich damit, all die Dinge zu organisieren und erledigen, die zwangsläufig anstanden, wenn jemand aus dem Gefängnis entlassen wurde. Verschiedene Sachen wollten dringend eingekauft werden und Mitch musste sich auf der Gemeinde anmelden, sowie den ganzen restlichen administrative Kram, der anstand, abhaken. Natürlich mit ausreichend Pausen, immerhin waren das allesamt sehr anstrengende Beschäftigungen, die sowieso unmöglich an einem einzigen Tag erledigt werden konnten. Das Treffen mit Faye und Victor buchte Aryana für den nächsten Abend ein, weil das diese Woche irgendwie der einzige mögliche Zeitpunkt zu sein schien, an dem die beiden zusammen zu Hause waren. Ihr war noch immer nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, bald die Wahrheit offenbaren zu müssen. Aber trotzdem wollte sie es baldmöglichst hinter sich bringen - Warten würde das Drama mit sehr grosser Sicherheit nicht gerade lindern... Und so verbrachten sie auch einen zweiten Tag mit viel Einkaufen und Telefonieren, wobei Aryana sich doch noch die Zeit nahm, Mitch wenigstens ein Bisschen zu Fuss durch die Gegend zu führen. Einfach, damit er sich etwas besser zurecht fand, sich mit den paar Strassen vertraut machen konnte, die ihre Wohnung umgaben. Und dass er den Weg zum nahen Wald kannte, weil Aryana den doch sehr mochte. Also den Wald. Mit all dem war der Tag jedenfalls gut gefüllt, bis sie sich gegen 18:00 Uhr schliesslich bereit machten, um zu gehen. Der Fahrtzeit betrug gerade mal an die dreissig Minuten, aber Aryana hatte trotzdem das Gefühl, dass die Stille im Wagen eine Ewigkeit dauerte. Als sie den Wagen dann auf einen der Besucherparkplätze vor dem Haus, in dem ihre Schwester mit Victor wohnte, manövriert hatte, gab sie doch ein eher widerwilliges Seufzen von sich. "Vielleicht freuen sie sich ja trotzdem... Wenn sie merken, dass es in allem noch immer die beste Lösung war, die sich uns geboten hat", murmelte sie mit einem Schulterzucken mehr zu sich selber, warf Mitch aber doch noch ein etwas unsicheres Lächeln zu. Es spielte am Ende auch keine Rolle. Tatsache war, dass sie es alle akzeptieren mussten, weil die Würfen schon gefallen waren.
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Das tut schon beim Lesen irgendwie weh. XD Aber sind wir für die Ergebnisse mal zuversichtlich. ^^ auch gut, haha. :D _________
Wirklich wenig geschlafen hatte ich in den letzten Wochen zwar nicht, aber so richtig erholsam gewesen war es trotzdem nie. Hier bei Aryana schlief ich das erste Mal seit langem mehr oder weniger mehrere Stunden durch. Ob ich nach einem für meine Verhältnisse nur sehr milden Alptraum wirklich aufgewacht war, oder er sich von selbst im Schlaf verlaufen hatte, konnte ich nicht sagen. War aber auch nicht wichtig, wirklich gestört haben konnte es mich jedenfalls nicht. Dementsprechend entspannt wachte ich am nächsten Morgen auch auf und für eine kleine Weile, in der ich mit der Brünetten noch seelenruhig in den Laken liegen konnte, schien die Welt in Ordnung zu sein. An diese Art von Nichtstun hätte ich mich durchaus gewöhnen können, auch wenn ich das besser nicht sollte, weil es in ein par Tagen damit wieder vorbei war und wir mindestens unter der Woche immer zeitig aufstehen müssen würden. Bis dahin würde ich die junge Frau aber wohl immer dazu anhalten zumindest noch ein paar Minuten untätig mit mir im Bett rumzuliegen, bevor wir schließlich aufstanden. Letzteres holte mich leider auch an diesem Tag schon zwangsweise zurück auf den Boden der Tatsachen, weil sich die lästigen Erledigungen nun mal nicht von selbst abhakten. Ich empfand all die Einkäufe und Anmeldungen doch etwas anstrengend - wesentlich mehr nervlich, als körperlich. Auch, wenn Aryana mich nur allzu freiwillig bei diesem ganzen Mist begleitete, so empfand ich häufig schon die Anwesenheit von zu vielen Leuten im Geschäft wahnsinnig anstrengend. Das lag sehr wahrscheinlich an der gnadenlosen Isolation der letzten Wochen und ich bemühte mich wirklich damit, deswegen nicht durchzudrehen. Trotzdem verteilte ich sicher den einen oder anderen giftigen Blick, wenn ich der Ansicht war, dass sich Irgendjemand nicht angemessen verhielt oder mir ganz einfach zu nahe kam. Das war sicher besser als auszusprechen, was mir zeitweise an unfreundlichen Worten durch den Schädel schwirrte. Ich verkniff mir das auch hauptsächlich nur wegen der Brünetten an meiner Seite. War nicht so als hätte ich selbst ein Problem damit Blicke auf mich zu ziehen, aber ihr wollte ich das ersparen. Im Gegensatz zu all den nervtötenden Besorgungen tat der kleine Spaziergang in naher Umgebung unserer Wohnung an Tag Drei doch ziemlich gut. War allein deshalb schon angebracht, um mir noch ein bisschen seelisch angenehmen Auslauf zu gönnen, bevor wir zu Faye und Victor aufbrachen. Klang vielleicht blöd, war aber angesichts unsere noch anstehenden Besuchs bei den beiden dringend notwendig. Zwar sagte ich das nicht, sondern akzeptierte nur den eigentlichen Sinn hinter dem Spaziergang - dass ich die Straßen rundherum eben ein bisschen besser kennen lernte -, aber ohne das bisschen gemütlich um den Block laufen wäre mir wohl wirklich noch der Schädel geplatzt. Auch die Zigarette währenddessen schaffte etwas Linderung, aber hauptsächlich war es wohl wirklich der milden Bewegung zu verdanken, dass ich danach wieder ruhiger war. Die leise Aufregung am Abend vor der Reaktion unserer psychischen Krüppelchen konnte der Spaziergang mir leider nicht nehmen. Die Fahrt über gab wieder nur das Radio Töne von sich und das gab mir nur unnötig mehr Zeit, um darüber nachzudenken, was in ein paar Minuten passieren würde, obwohl ich logischerweise keine Antwort darauf finden konnte. Mein Blick verlor sich automatisch zu Aryana, als sie den Wagen angehalten hatte und ihr Wort an mich richtete. Ich kam selbst auch nicht um ein leises Seufzen herum, blieb ich eben doch eher ein pessimistischer Realist. Nicht, weil mein Leben noch immer nur Schwarz war so wie früher, sondern weil einem das Enttäuschungen ersparte. "Ja, vielleicht.", zeigte ich mich ihrer Aussage gegenüber dennoch verhältnismäßig neutral, obwohl ich mir selbst auf eine positive Reaktion nur wenig Hoffnung machte. Ich streckte doch noch einmal die Hand nach ihrer Wange aus und streichelte sie dort flüchtig, als ich mich für einen kurzen Kuss über die Mittelkonsole zu ihr hin lehnte. Danach sah ich die Brünette noch einen Moment lang an, stieg danach dann aber recht bestimmt aus. Wollte es einfach hinter mich bringen, statt weiter in der Ungewissheit herumzusitzen. Ich wartete nur noch auf Aryana, ehe ich mit ihr zur Haustür ging. Die beiden erwarteten uns - oder zumindest Aryana - bereits, also war die Haustür auch ohne Kontakt über die Sprechanlage bald für uns offen. Auf dem Weg die Treppe nach oben atmete ich noch einmal etwas tiefer durch, aber auch das half nicht wirklich die Aufregung zu beseitigen. Es war Victor, der an der Wohnungstür auf den Besuch wartete. Sein Blick wirkte schon skeptisch, als wir gerade erst in sein Sichtfeld traten und von da an dauerte es kaum noch eine Sekunde, bis ihm die Kinnlade runterklappte. Deshalb kam ich trotz der eher ernsten Situation nicht um ein Grinsen nicht herum, als wir an der Türschwelle ankamen und ich den hochgewachsenen Kerl mit einem ganz schlichten "Hi, Victor." begrüßte. Wenigstens sah er auf den ersten Blick schon mal deutlich gesünder aus als noch vor einem Jahr.
Es war nicht ganz einfach die letzten Monate in Worte zu fassen. Seit dem Streit mit Faye, dem meine Unehrlichkeit zugrunde lag, hatte sich doch zumindest ein bisschen was gebessert. Zwar merkte ich noch eine ganze Weile lang, dass die zierliche Brünette mir nicht immer auf Anhieb mit allen meinen Aussagen Glauben schenken wollte, weil ich einfach ein grundlegendes Misstrauen mit meiner Heimlichtuerei bei ihr geweckt hatte, aber das war inzwischen wieder etwas abgeflacht. Ich selbst hatte nicht mehr ganz so viel Mühe damit die Dinge mit ihr zu teilen, die schwer auf meinen Schultern lasteten und weil Faye nicht dumm war, mich in- und auswendig kannte, merkte sie das natürlich. Schenkte mir im Gegenzug auch wieder etwas mehr Vertrauen und wir schienen zumindest diese Sache mittlerweile weitgehend gefixt zu haben. Wieder ein recht gesundes Vertrauensverhältnis zueinander zu haben, auch wenn ich mich selbst nach wie vor hier und da dazu ermahnen musste, Dinge nicht allein in mich hineinzufressen. Es half meinem Kopf ungemein, dass ich versuchte öfter rauszugehen, statt Zuhause rumzusitzen, wenn Faye nicht da war. Was die Schulung im Securitybereich anging hatte ich den theoretischen Teil schon in der Tasche und das hatte zumindest mal für einen kurzzeitigen Höhenflug meinerseits gesorgt. Hatte mir ein Erfolgserlebnis und einen kleinen Grund zum Feiern gegeben. Leider nahm mir das aber nicht einfach so die Hürde für den Praxisteil. Ich bewegte mich was das anging immer wieder auf der Stelle und es war lästig. So mühselig, dass selbst mir langsam die Motivation dafür flöten ging noch weiterzumachen. Unter bestimmten Grundvoraussetzungen kam ich mit dem Messer - beziehungsweise der Attrappe - inzwischen schon klar. Eher passive Entwaffnung bekam ich hin, aber wenn der Trainer dann man wirklich aktiv-aggressiv damit auf mich zukam bekam ich noch immer Herzflattern und war nur semi-sicher mit dem, was ich tat. Daran konnte auch der ambulante Therapeut, den ich nun seit einer Weile etwa alle zwei Wochen routinemäßig aufsuchte, nicht wirklich was ändern. Selbst er schien inzwischen an einen Punkt zu kommen, an dem er sich sicher damit war, dass ich mir lieber ein anderes Ziel suchen sollte. Wollte ich aber nicht. Irgendeinen Weg musste es geben das Trauma und die Angst von ihrem Thron zu schubsen und wieder ich selbst zu werden. Ich hatte die Angst einfach satt. Die unnötige Paranoia, die mir gerne eintrichterte, dass mir jedes Messer früher oder später ins Bein gerammt oder an die Kehle gehalten wurde. Ich benutzte ja selbst die großen Küchenmesser nach wie vor nicht wirklich gern, was wirklich bescheuert war. Dass die sich plötzlich selbstständig machen würden war schließlich absolut utopisch. Nur funktionierte mein Kopf logisch ganz offensichtlich nicht, also musste womöglich einfach eine andere Art von Therapie her. Mir einfach nur einzureden, dass mir nicht jedes Messer zwangsweise schaden wollte, funktionierte ja nicht. War nur die Frage, was stattdessen noch möglich war. Kurzzeitig hatte ich mal darüber nachgedacht Faye zu fragen, ob sie mir damit half. Andererseits wollte ich sie als einzige Person, die unweigerlich auch in mein Trauma inbegriffen war, eigentlich doch lieber nicht daran beteiligen. Aryana kam aber nicht in Frage, weil ich Angst davor hatte, dass meine bessere Hälfte das dann wegen gewisser Vorkommnisse negativ auffasste. Gar dachte, dass ich mich lieber ihrer Schwester anvertraute, was nun wirklich nicht der Fall war. Nur tickte auch Faye nicht immer ganz logisch, was die Eifersuchtsszene in der Klapse damals recht gut gezeigt hatte. Dass ich die Theorie inzwischen abgeschlossen hatte erlaubte mir aber wenigstens einen kleinen Nebenjob in einem Laden um die Ecke, weil ich jetzt ja deutlich weniger Unterricht hatte. Das glich zumindest einen Teil der weiterhin anfallenden Kosten aus. Dass die ältere Cooper uns beide heute besuchen kommen wollte bot sicher eine nette, kleine Abwechslung und ich freute mich deswegen doch gewissermaßen darauf, obwohl sie nichts besonderes angekündigt hatte. Ich machte mich gerade vom Bad aus auf den Weg in die Küche, als ich den Flur passierte und es an der Tür klingelte. Also machte ich mich stattdessen auf zur Wohnungstür und hielt sie offen, während der Besuch noch auf dem Weg nach oben war. Allerdings kam es mir schon da merkwürdig vor, dass ich mehr als nur ein Paar Schritte auf den Stufen im Treppenhaus hörte. Könnte theoretisch der Nachbarn von gegenüber sein, der gleichzeitig mit Aryana hochkam, aber das wäre wohl einfach eine zu banale Erklärung dafür gewesen. Stattdessen war es ein altbekanntes Gesicht, dass neben Fayes Schwester auf der Treppe auftauchte. Während die beiden noch dabei waren die letzten Stufen zu erklimmen, entglitten mir wohl wirklich sämtliche Gesichtszüge, weil ich es einfach nicht recht glauben wollte. Weil Halluzinationen meinerseits allerdings sehr untypisch wären, musste es wirklich Mitch sein, der mir letztlich grinsend gegenüberstand. Auch da war ich noch überfordert mit der Situation, weil ich ganz einfach nicht verstand, was er hier auf freiem Fuß zu suchen hatte. Nicht, dass das etwas schlechtes war. Es war nur wirklich komisch und mir allein nicht erklärbar. Ich hatte ja nicht vergessen, was er getan hatte, um hinter Gitter zu wandern - gerade rückte das jedoch wirklich gänzlich in den Hintergrund. Ich brauchte noch einen kurzen Moment, dann aber streckte ich ihm die Hand entgegen und umarmte ihn flüchtig, freundschaftlich. "Scheiße man, was machst du hier?", stellte ich ihm noch hörbar verwirrt dabei eine vorerst rhetorische Frage, die einfach nur meine blanke Überraschung ausdrücken sollte. "Hab mich mit 'nem Löffel rausgegraben.", war seine einzige sarkastische Aussage dazu, als ich den beiden letztlich Platz zum Eintreten machte. Wenigstens schien er seinen Humor im letzten Jahr schon mal nicht gänzlich verloren zu haben.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Jaja, aber man hats ja selbst gewählt und ich bin eigentlich noch immer motiviert dafür... Meistens, wenn nicht gerade Prüfungen anstehen. xD ____________
Das Leben wurde ein Bisschen weniger kompliziert und schwarz, wie die Zeit verging... Aber irgendwie auch nie sehr viel einfacher. Faye hatte akzeptiert, dass es wohl noch Jahre dauern würde, bis sie beide wirklich da waren, wo sie sein wollten. Bis sie an einen Punkt gelangten, an dem sie sich von einem normalen Pärchen, das nie durch das Trauma einer Entführung und anschliessender Folterung hatte gehen müssen, nicht mehr so signifikant unterscheiden würden. Das hiess aber nicht, dass es nicht unendlich viele Tage gab, an denen sie sich wünschte, es wäre nicht so und sie könnten das Ganze endlich hinter sich lassen. Auf der Arbeit lief es bei ihr eigentlich relativ gut, sie hatte glücklicherweise mit wenig Problemen zu leben, was den Umgang mit Patienten betraf. Hatte in den Monaten, die sie nun wieder in ihrem alten Job arbeitete, nur zwei grobe Ausfälle zu verbuchen. Beide Male waren es Opfer von Messerstechereien gewesen, die ihren Kopf in einen absolut unbrauchbaren Panikmodus versetzt hatten, während sie die Hölle und das Fegefeuer von Syrien mental ein weiteres Mal durchlaufen hatte. Beide Male war sie im Anschluss eine Woche krank geschrieben worden, weil sie komplett neben der Spur gewesen war und unmöglich hätte arbeiten können. Der Vorteil an ihrem Arbeitgeber war, dass er äusserst tolerant und verständnisvoll auf ihre Panikattacken reagierte, obwohl eine solch unvorhersehbare Eigenschaft bei einer Rettungssanitäterin absolut unbrauchbar und eigentlich ein ziemliches No-Go war. Aber sie bemühte sich jeden Tag darum, besser zu werden, gegen den Sturm in ihrem Kopf, der immer mal wieder aufblühte, anzukommen. Auch sie befand sich in ambulanter Psychotherapie - was eine Bedingung dafür war, dass sie ihre Anstellung überhaupt behalten konnte - aber dass die Sprechstunden wirklich was brachten, würde sie jetzt eher nicht behaupten. Es war eben ähnlich wie bei ihrem Freund. Einige Dinge wurde man einfach nie - oder zumindest nicht so schnell - wieder los. Das war eine unendliche Belastung, für die sie beide eigentlich nicht geschaffen waren, aber es gab eben auch wenig, was sie dagegen tun konnten. Faye konnte Victor nicht helfen, mit seinem ewigen Stolperstein namens Messer klarzukommen und Victor konnte Faye nicht helfen, ihren Kopf dazu zu zwingen, auch in Situationen zu funktionieren, in denen alles in ihr eben lieber Panik schob. Aber alles in allem ging es ihnen ja gut. Immer, solange sie sich gegenseitig hatten. Und es verging wohl kein einziger Tag, an dem Faye nicht dankbar dafür war, diesen Mann an ihrer Seite zu haben, der ihr so viel Halt bot und alle Liebe, die sie brauchte und sich je wünschen konnte. Auch wenn sie es vielleicht nicht immer verdiente, so schien Victor niemals daran zu zweifeln, dass sie die richtige Entscheidung für ihn war, dass sie zu ihm gehörte und sie zusammen der Ewigkeit entgegenschreiten sollten. Und das war das absolut Beste, was ihr in Syrien hatte passieren können. Er war das Beste, was sie im Leben gewonnen hatte und das würde sie ihm für immer jeden Tag eintrichtern, damit er es niemals vergessen konnte. Aryana hatte sich Mühe gegeben und sich nichts anmerken lassen, als sie angerufen hatte. Somit hatte auch Faye absolut keine Ahnung, was ihnen an diesem Abend blühte, bis die Überraschung auch schon in der Wohnung stand. Sie hatte gehört, dass Victor zur Tür ging, weshalb sie für ihren Teil noch den Artikel der Zeitschrift zu Ende hatte lesen wollen, bevor sie sich aus dem Polster des Sofas löste. Allerdings hob sie sofort den Kopf, als sie statt nur die Stimmen von Aryana und Victor auch noch eine dritte Person hörte. Sie wusste, wer das war. Nur war es vollkommen unmöglich, dass Mitch vierundzwanzig Jahre zu früh plötzlich in ihrer Wohnung stand. Trotzdem war sie auf die Füsse gehüpft und zum Flur gelaufen, blieb aber augenblicklich im Türrahmen stehen, als ihre Augen beschlossen, ihr den gleichen Streich zu spielen wie ihre Ohren. Was zum...?? "Mitch?!", gab sie dezent fassungslos das eine und einzige Wort von sich, welches gerade in ihrem Kopf vorzufinden war. Ihre Schritte setzten wieder ein, sie ging dezent verlangsamt auf die drei Menschen zu, während ihre Augen sich erst nach ein paar langen Sekunden wieder von dem ehemaligen Häftling lösten, stattdessen zwischen ihm, ihrer Schwester und Victor hin und her hüpften. Victor für seinen Teil sah nicht weniger erstaunt aus als sie sich fühlte, konnte also kaum etwas hiervon geahnt haben. Aber wie war das überhaupt möglich? Er hatte fünfundzwanzig Jahre bekommen, dessen war sie sich absolut sicher. Aber es war erst ein Jahr davon verstrichen. Ein Jahr und er stand bei ihnen im Flur. Und sie hatte keine Ahnung, was sie denken oder sagen sollte. Da war so vieles, was plötzlich in ihrem Kopf auftauchte und anfing, Runden zu sprinten. Die pure Freude, die ihr ein absolut fassungsloses Lachen entlockte. Darüber, dass er offensichtlich frei war. Die Tatsache, dass sie mal eben auf Besuch kamen und dabei auch ganz konventionell die Haustür benutzten, liess nämlich nicht darauf schliessen, dass irgendwas davon besonders illegal war, Mitch und Aryana gar auf der Flucht wären. Gleichzeitig die riesige Frage, wie und warum das so plötzlich passiert war. So spontan, dass Aryana es nie auch nur in einem Nebensatz erwähnt hätte. Klar hatte sie gesagt, sie würde ihn rausholen, aber sie hatte nie geklungen, als hätte sie wirklich einen Plan, wie sie diese unmögliche Aufgabe bewältigen wollte. Und mit dieser Frage und der ganzen Verwunderung tauchte unweigerlich auch Misstrauen in ihrem Kopf auf. Misstrauen, dass es irgendeinen Haken geben musste. Weil Mitch nach einem Jahr auf freiem Fuss geradezu nach einer höchst riskanten, mehr oder weniger unmöglichen Nummer klang. Also... "Wie zur Hölle habt ihr das gemacht??", fand die Frage auch schon den Weg über ihre Lippen, als sie schliesslich zu Victor aufgeschlossen hatte. Ihre Stimme klang vollkommen verwundert, wenn auch pure Freude darin mitschwang. Sie nach kurzem Zögern auch einen Schritt auf Mitch zumachte, um ihn, genau wie Aryana, ebenfalls mit einer Umarmung zu begrüssen. Was vollkommen surreal war. Alles davon. "Ähm... Willkommen bei uns Zuhause... Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst, dann... hätte ich... hätte ich was vorbereitet", gab sie dezent überfordert von sich, zuckte sichtlich durch den Wind mit den Schultern. Vielleicht hätte sie was besonderes gekocht, oder irgendwelche lächerliche Deko aufgehängt. Sekt kühlgestellt. Was wusste sie... naja, offensichtlich mal wieder ziemlich wenig.
Vielleicht war definitiv das Maximum an Optimismus, das sie diesem Abend gegenüberstellen konnten. Alles andere wäre übertrieben, wo sie doch schon jetzt ganz genau wussten, dass Fayes Reaktion unmöglich positiv ausfallen würde. Aber mal schauen... Aryana erwiderte den kurzen Kuss, hatte auch ihre Finger noch einmal über seine Wange streichen lassen, bevor sie sich dann gemeinsam auf den Weg machten. Die Haustür ging sehr bald nach dem Betätigen der Klingel auf, aber die Brünette würde lügen, wenn sie behaupten würde, ihr Herz würde nicht trotzdem sehr bald schon einen Gang hochfahren, als wäre sie persönlich hier der Überraschungsbesuch. Sie erklommen die paar Treppenstufen, die sie zur Wohnungstür der beiden brachten. Und weiter mussten sie dann auch gar nicht gehen, denn da stand schon Victor, der nach wenigen Sekunden Inbegriff purer Verwirrung wurde. Und das wiederum zauberte nun doch erstmal ein Grinsen aufs Gesicht der jungen Frau, die Mitch einen kurzen Seitenblick zuwarf. Die kurze Wortfolge zwischen Victor und Mitch entlockte Aryana ein gespielt genervtes Augenrollen, das unter dem Grinsen aber nicht wirklich ernstzunehmend wirkte. "Aber keine Angst, sie haben noch nicht gemerkt, dass er fehlt... Einer mehr oder weniger, spielt da nicht wirklich eine Rolle", gab auch sie ein paar sarkastische Worte von sich, während sie sich an Victor vorbei ins Wohnungsinnere schob, um dort ihre Schuhe loszuwerden. Nicht, dass eine solche Flucht aus dem Gefängnis tatsächlich irgendwie besser wäre als das, was wirklich passiert wäre. Aber sie liess sich leichter verdauen, weil jeder wusste, dass es so nicht gelaufen sein konnte. Also würden sie diese Schiene fahren, so lange das funktionierte. Was bestimmt nicht besonders lange sein dürfte, denn sobald die Frage noch einmal in Ernst gestellt wurde, war der Spass vorbei. Aber zuerst einmal wollte sie sich noch einen Moment darüber freuen, dass sie das erste Mal nach dieser ganzen Ewigkeit wieder zu Viert zusammen sein durften. Apropos zu Viert... Mittlerweile hatte sich ein weiterer Schatten aus der Wohnzimmertür gelöst und Faye kam auf sie zu, als hätte sie einen Geist gesehen. Aber das konnte man ihr kaum verübeln. Genau wie die Frage, die sie stellte, die wohl als riesiges Fragezeichen im Raum stehen würde, bis jemand den Mut fand, sie zu beantworten. Aber noch nicht jetzt. Aryana war durchaus bereit, die Wahrheit (zwangsweise) offen zu legen, später. Aber nicht schon hier im Flur, zwischen Tür und Angel, wo sie noch einen Moment einfach glücklich sein konnten, sich alle wiederzuhaben. Ohne Konditionen und Verbote. Die Brünette lächelte ihre Schwester glücklich an, schloss sie kurz in ihre Arme, als Faye auf sie zukam. Und begrüsste im Anschluss auch Victor noch mit einer kurzen Umarmung, da das bisher logischerweise eher etwas untergegangen war.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Das Übliche eben... x'D Da hat Faye ja tatsächlich auch noch mal ihr Update gekriegt. *Dir stolz den Kopf tätschel* x'D __________________
Kaum hatte ich Victor nach der kurzen Umarmung hinter mir gelassen und war in den Flur getreten, da huschte mir auch schon die jüngere Cooper ins Sichtfeld. Obwohl ihr Freund die unweigerlich im Raum stehende Frage schon angeschnitten hatte, war das Grinsen noch nicht ganz aus meinem Gesicht gewichen und wurde auch noch einmal breiter, als Faye ähnlich viel Überraschung zeigte. Auch, wenn die Verwirrung bei ihr im ersten Moment wohl genauso überwiegte wie bei Victor, schlug sie bei ihr ebenso etwas später noch in Freude um. Das tat gut. Zwar wusste ich, dass sie vermutlich nicht allzu lang anhalten würde, aber für den Moment fühlte es sich gut an. Zu wissen, dass sie mich auch nach längerer Bedenkzeit noch immer nicht in die Schwerverbrecher-Schublade steckten. Mich beide mit einer vielleicht noch etwas überforderten Umarmung begrüßten, mich im ziemlich eng gesteckten Kreis wieder willkommen hießen. Allerdings schmälerte sich das Grinsen dann doch langsam zu einem dezenteren Lächeln, als auch Faye noch einmal danach fragte, warum ich hier war. Einmal ließ sich das Ganze noch leicht mit einem kurzen Witz abtun, aber noch ein zweites Mal wäre das sicher schon weniger witzig und außerdem irgendwie schräg. Nur wollte ich dieses große Fragezeichen ungern schon jetzt gleich aus dem Weg räumen, waren wir doch grade erst angekommen. Ich schüttelte auf Fayes letzte Worte hin nur leicht den Kopf, als ich mir die Schuhe von den Füßen schob. "Ach, Quatsch. Aryana sorgt im Moment noch gern dafür, dass es mir an nichts fehlt.", baute ich auch hier noch einen kleinen Witz ein und überging ihre Frage erstmal gekonnt. Stimmte natürlich trotzdem bis zu einem gewissen Grad. Die charakterlich starke, sonst immer so unabhängige Brünette hatte sich Mühe damit gegeben mir den Einstieg so leicht wie möglich zu machen. Mich sogar mit Sushi versorgt und Peanut Butter Cups gekauft, von denen ich doch schon ein paar in meinen Bauch hatte wandern lassen. Ich war also wirklich bestens versorgt, aber dieser Zustand würde so eher nicht lange anhalten. Ich würde mich an dem ganzen normalen Alltagskram beteiligen müssen, sobald ich richtig angekommen war und der vorübergehende Welpenschutz damit ablief. Für jetzt schwebte ich aber noch ganz gern ein bisschen auf einer Wolke herum, bevor der Absturz auf den harten, unbarmherzigen Alltagsboden kam. "Aber ein Bier würd ich nehmen, wenn du eins hast..?", hängte ich einen Getränkewunsch an. Vielleicht würde Faye sich darüber freuen, mir zumindest einen kleinen Wunsch erfüllen zu können, wenn sie sonst schon nichts vorbereitet hatte, was sowieso aber Niemand erwartet hatte. So oder so war sie mit dem Organisieren eines entsprechenden Getränks kurz beschäftigt und das war gut so. Ich wusste, dass wir nicht drum herum kommen würden den beiden zu sagen, was Aryana und ich für die Freilassung nun bezahlen mussten, aber ich schob es gerne noch ein paar Minuten auf. Ich konnte die Neugier zwar absolut nachvollziehen, wollte die anfängliche Freude aber nicht sofort im Keim ersticken. Uns allen zu Liebe und auch ein bisschen, weil ich nach wie vor etwas Schiss vor der Reaktion hatte. Vorrangig natürlich seitens Faye, weil die sicher ein größeres Problem damit haben würde als ihr immer so endlos verständnisvoller Freund.
Aryana stieg gleich auch noch ein bisschen mit auf den Witz ein und ein Augenrollen bekam sie zwar nicht, dafür aber einen Blick mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, der Ähnliches signalisierte. Wieso sollte es auch Jemandem auffallen, wenn plötzlich ein Insasse fehlte? Vollkommen abwegiger Gedanke. Die Zelle war ja dann auch nicht plötzlich leer oder so. Allerdings konnte ich mir durchaus vorstellen, dass das Personal im Gefängnis ganz froh war, wenn es plötzlich einen Häftling weniger zu bedienen hatte. War sicher kein leichter Job da drin und so verbittert, wie Mitchs letzter Brief von vor zwei Wochen geklungen hatte, dürfte er sicher auch kein Liebling gewesen sein. Umso schöner war es, dass er gerade... na ja, fast normal wirkte. Er sah insgesamt etwas schmaler und nicht wirklich fit aus, aber seine Mundwinkel hoben sich und das lose Mundwerk von früher hatte er auch behalten. Wie es in seinem Kopf aussah ließ sich leider nur erahnen. Fürsorglich, wie Faye es nun einmal war, äußerte sie auch gleich ihr Bedauern darüber, dass sie nichts vorbereitet hatte. Niemand hier würde von ihr verlangen unwissend in die Zukunft zu blicken und hellzusehen, aber so war sie eben. Enttäuschen müssen würde sie den Tätowierten mit seinem Wunsch glücklicherweise nicht, waren meines Wissens doch noch zwei oder drei Bier da. Ich kaufte nicht oft welches, griff aber eben auch nicht häufig zu Alkohol. War sicher noch ein bisschen was da. Dass eine anständige Begrüßung für Aryana meinerseits auf der Strecke geblieben war, merkte ich auch erst, als sie das von sich aus anging. Dann erwiderte ich die kurze Umarmung aber natürlich wie gewohnt, ließ ihr danach noch ein kurzes Lächeln zukommen. Damit war meine vorübergehende, leichte Schockstarre dann auch gelöst. Faye machte sich auf den Weg zum Getränke holen und ich folgte ihr einen kurzen Moment lang noch mit den Augen, bevor ich noch immer leicht aus dem Konzept gebracht kaum sichtbar mit dem Kopf schüttelte. Danach wandte ich mich den anderen beiden wieder zu und machte eine einladende Handgeste Richtung Wohnzimmer. "Kommt erstmal rein.", bat ich sie auch noch wörtlich, bevor ich mich in Bewegung setzte und voraus ging. Mitch fand sich hier ohnehin nicht zurecht und die kurzzeitige Bewegung tat ganz gut, um langsam wieder klar im Kopf zu werden. So weit wie das als kopftechnisch nicht selten überforderter Mensch eben ging, wenn gerade Jemand aus dem Nichts auftauchte, der eigentlich noch sehr lange hätte wegbleiben sollen, wenn es nach der Justiz ging. Im Wohnzimmer angekommen deutete ich noch beiläufig auf das Sofa, bevor ich mich selbst in den Sessel fallen ließ, der meistens eher nur Deko war. Das Sofa stand eben frontaler zum Fernseher und da hatte ich mit Faye natürlich auch viel besser Platz. Ich angelte noch kurz nach meinem Wasserglas auf dem Couchtisch und nahm zwei, drei Schlucke, dann machte ich es mir aber final bequem und sah zu Aryana und Mitch. War immer noch ein bisschen komisch, sie einfach so nebeneinander auf dem Sofa sitzen zu sehen. "Auch, wenn das Ganze natürlich sehr überraschend kommt... freut's mich echt, euch jetzt wieder zusammen zu sehen.", stellte ich aufrichtig lächelnd fest. Zwar stand nach wie vor die Frage nach dem Weshalb und dem Wie im Raum, aber so oder so schien es beiden jetzt besser zu gehen. Dass der Ex-Häftling nun hier bei uns saß machte das letzte Jahr sicher nicht ungeschehen und es hatte Spuren hinterlassen, aber allein Aryana wirkte gleich ganz anders als das letzte Mal, als sie hier gewesen war. Bei Mitch konnte ich nur erahnen, wie er im Knast ausgesehen hatte, aber wenn ich nach den Briefen ging, dann hatte auch seine Laune einen ziemlichen Schwung nach oben gekriegt.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Das hab ich tatsächlich gleichzeitig wie das von Aryana gemacht... nur dass Faye die letzten Wochen/Monate über mal wieder etwas im Winterschlaf war. x'D _______
Im ersten Moment fiel ihr gar nicht auf, dass niemand ihre Frage beantwortete. Wahrscheinlich einfach, weil sie diese rein aus dem Affekt heraus gestellt hatte - nicht wirklich mit der Erwartung, dass hier, noch bevor überhaupt die Schuhe ausgezogen waren, etwas erklärt wurde. Sie war sich ziemlich sicher, dass später noch Klarheit in die Sache reingebracht wurde. Zwangsläufig, weil eine solch frühzeitige Entlassung ganz einfach eine Erklärung brauchte. Aber ja, nicht unbedingt in den ersten zwanzig Sekunden, das sah sie selber bestens ein und so viel Geduld konnte sie wohl auch gerade noch aufbringen. Also beliess sie das Thema erstmal, grinste stattdessen noch immer dezent überfordert von Mitch zu Aryana, als er erwähnte, wie ihre Schwester sich offenbar alle Mühe damit gab, ihm das Leben in der wiedergewonnenen Freiheit möglichst angenehm zu gestalten. Alles andere wäre auch wirklich überraschend gewesen, wo Aryana sich ein ganzes Jahr lang so sehr auf diesen Moment gefreut hatte. Da war es nur logisch, dass sie jetzt, wo es soweit war, alles daran gesetzt hatte, das Wiedersehen so perfekt wie möglich zu arrangieren. "Das ist schön zu hören", lächelte sie ehrlich, wobei ihre Augen zurück zu Mitch wanderten, der soeben einen kleinen, leicht zu erfüllenden Wunsch äusserte. Faye nickte sofort, ehe sie mit einem Blick zu Aryana und Victor auch deren Getränkebestellungen zu eruieren versuchte und sich dann, gefühlt auf Zehenspitzen durch die Wohnung schwebend, in die Küche aufmachte. Sie fischte zwei Biere aus dem Kühlschrank, öffnete beide und stellte sie beiseite. Nicht, weil Bier Victors Standardgetränk war, sondern weil es sich in Gesellschaft einfach besser trinken liess, aber weder Aryana noch sie selbst gerade eins trinken wollten. Sie mochte Bier grundsätzlich nicht und Aryana trank nie Alkohol, wenn sie im Anschluss ein Auto lenkte - was Faye gerade schwer annahm. So tischte sie stattdessen noch zwei Flaschen der Lieblingslimonade ihrer Schwester hervor, welche sie ebenfalls immer an Lager hatten. Aryana war nunmal nicht gerade selten hier zu Gast und die Limonade war lediglich in einem kleinen Geschäft in der Stadt erhältlich, weshalb sie jeweils wieder für eine Weile aufstockten um entsprechend immer was da zu haben. Die vier Flaschen in zwei Händen balancierend, begab sich die Brünette nun als Letzte ins Wohnzimmer, stellte jedem sein Getränk vor die Nase, ehe sie sich sehr bald schon auf Victors Schoss wiederfand. Sie hatten eben nur einen Sessel und ein Sofa und sie würde sicherlich nicht auf einem Stuhl Platz nehmen, wenn sich hier doch die Option von Victors Oberschenkeln bot. Das Sofa wäre zwar längstens gross genug, dass sie sich auch neben Aryana hätte ins Polster sinken lassen können, aber sie genoss gerade lieber den Anblick, den sich ihr bot, wenn sie das Pärchen gegenüber sitzen hatte, welches sie wohl überhaupt noch nie so betrachtet hatte. Als sie in Syrien gewesen waren, waren Mitch und Aryana noch nur Freunde gewesen und danach im Krankenhaus hatten sie sie nie zusammen gesehen. Das zweite Mal in einem anderen Krankenhaus dann schon, aber eine Krankenhausumgebung war immer eine Ausnahmesituation, ausserdem waren die beiden da dezent lädiert gewesen. Also nein, sie hatte Mitch und Aryana noch nie als ganz normales Pärchen gesehen. Aber der Anblick löste sofort eine tiefe Glückseligkeit in ihr aus, weil alles, was ihre Schwester glücklich machte, automatisch auch sie freute. Weil es zu ihren innigsten Wünschen gehörte, Aryana endlos glücklich zu sehen. In diesem Moment sah sie tatsächlich sehr glücklich aus. Und Mitch auch, wie sie erneut feststellte, als sie ihn zufrieden lächelnd einer kleinen Musterung unterzog. Nach dieser Ewigkeit, in der sie ihn überhaupt nicht mehr gesehen hatte. Er hatte sich ein Bisschen verändert, aber im Grossen und Ganzen sah er nicht viel anders aus als vor einem Jahr. Hatte vielleicht eine Narbe mehr im Gesicht, die auffiel, wenn man genau hinsah und möglicherweise hatte er etwas an Muskelmasse verloren. Aber das waren wohl Nebensachen. "Wie lange bist du denn schon draussen?", wollte sie nun doch wissen, da er kaum heute Morgen rausgekommen war, nur um sie jetzt direkt zu besuchen. "Und worauf hast du dich am meisten gefreut? Was hast du als Erstes getan?", schob Faye, neugierig wie sie schon immer war und durch die Aufregung eindeutig noch mehr wurde, weitere Fragen nach. Sie hatte keine Ahnung, was einem nach einem Jahr hinter Gitter am meisten fehlen konnte. Ausser Kontakt zu Menschen, in diesem Fall in Form von Aryana. Aber sonst? Das war ein schräger Gedanke, sie hatte echt keine Ahnung.
Es war eindeutig zu früh, sich die Freude durch eine unschöne Wahrheit zu vermasseln, darüber schienen sich alle Beteiligten einig zu sein, weshalb das Thema auch vorübergehend unter den Tisch gekehrt wurde. Stattdessen machte Faye sich auf, um etwas zu Trinken aufzutreiben, während Aryana sich noch einmal lächelnd die Haare aus dem Gesicht strich, dann Victors Aufforderung folgte und mit ins Wohnzimmer trat. Sie pflanzte sich neben Mitch aufs Sofa und angelte fast umgehend nach seiner Hand, um ihre Finger mit seinen zu verschränken. Das tat sie automatisch bei fast jeder Gelegenheit, die sich ihnen bot, um ja sicher zu gehen, dass niemand ihn ihr plötzlich wegnahm. Nicht, dass es einen rationalen Grund gäbe, dies zu befürchten, aber die latente Angst irgendwo in ihrem Unterbewusstsein interessierte sich nunmal nicht für rationale Gründe. Victors Worte liessen Aryanas Lächeln nochmal breiter werden, wobei sie kurz zu Mitch schielte, ihren Kopf an seine Schulter betete. "Ob du's glaubst oder nicht... mich freuts auch", erklärte sie vollkommen überflüssig das, was ihr Gesichtsausdruck eh schon lange verraten hatte. Als Faye ins Wohnzimmer trat, bedankte sich Aryana erfreut für die Limonade, die immer ein kleines Highlight ihrer Besuche in diesem Haushalt darstellte. Bei ihr Zuhause gabs eigentlich keine Süssgetränke, weil sie die meisten auch gar nicht mochte. Aber diese Fläschchen beinhalteten eben einen ganz besonderen Tropfen, der da eine einsame Ausnahme bildete, weshalb sie gerne ab und an ihre Zähne damit vergiftete. Besonders dann, wenn es etwas zu feiern gab, wie das heute definitiv der Fall war. Egal mit welchen Umständen Mitch's Anwesenheit eben verbunden war - dass er hier bei ihnen sein konnte, war und blieb ein sehr guter Grund zur Freude, den sie so bald noch nicht für selbstverständlich nehmen würde. Aryana hatte sich wieder an ihren Freund gelehnt, während Faye nun typischerweise damit begann, diesen mit irgendwelchen Fragen zu löchern, was das Lächeln der Brünetten ganz sicher nicht schmälerte. Faye und die wichtigen Fragen des Lebens. Manchmal könnte man sich schon fragen, was genau im Gehirn ihrer jüngeren Schwester für Stürme Zugang waren, die ihre Gedankengänge immer besonders spannend gestalteten. Aber es war ihr gerade wirklich egal. Solange Faye noch nicht frage, wieso die Erklärung von Mitchs Anwesenheit noch nicht erfolgt war und wo genau der Haken lag, war alles gut. Dann konnte sie von ihr aus auch fragen, was das erste Wort gewesen war, das Mitch gesagt hatte, als er die Mauern hinter sich gelassen hatte. Oder welche Farbe die Schuhe trugen, welche er um die Füsse geschnallt hatte. Oder ob die Sonne an dem Tag mehr von Osten oder von Süden geblendet hatte. Welche Form die Wolken gehabt hatten. Es war ihr wirklich egal. Sie wollte einfach nur hier sitzen, Mitch neben sich spüren und für ein paar Minuten noch in der Blase leben, in der sie zwei glückliche Pärchen spielten, die sich gemeinsam einen schönen Abend machten. Ohne irgendwelche Schattenseiten und Geheimnisse. Ihre Schwester strahlte, Mitch war glücklich, Victor freute sich, sie selbst fühlte sich rundum wohl... Sollte es so nicht schon immer sein und für immer bleiben...?
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Habs mir schon gedacht. :'D Unsere Krüppelchen halt...^^ __________________
Ich folgte Victor kurzum ins Wohnzimmer und sah mich noch im Gehen ein klein wenig um, wo ich die Wohnung doch zum ersten Mal sah. Aryanas Schwester schien im Gegensatz zu ihr doch ein Faible für Dekozeug zu haben. Vollkommen überladen war der Raum damit zwar nicht, aber man merkte doch, dass ihr etwas mehr daran lag die Wohnung möglichst gemütlich und heimelig zu gestalten. Ich ließ meine Augen noch einen Moment lang durch den Raum wandern, setzte mich dann aber doch bald aufs Sofa. Meine Freundin zögerte nicht sich neben mich fallen zu lassen und ich verschränkte ganz von allein meine Finger mit ihren, als sie nach meiner Hand griff. Nahm gerne jede Gelegenheit dazu an, mich ihr auch körperlich verbunden zu fühlen, wo mich ihre Nähe doch grundsätzlich ein wenig beruhigte - außer natürlich, wenn ich Lust hatte mich wegen Kleinigkeiten zu streiten. Victors Worte ließen mich erst lächelnd zu ihm und kurz danach zu Aryana rübersehen. Ja, die Freude war zweifelsfrei auch ganz unsererseits, wie die Brünette neben mir ihm auch wörtlich bestätigte, was dafür sorgte, dass sich meine Mundwinkel noch weiter anhoben. Ich selbst sagte dazu nichts weiter, strich der jungen Frau neben mir nur bestätigend über den Handrücken. Das Bier nahm ich mit einem schlichten "Danke." an, streckte mich schon wenig später mit der freien Hand nach dem Bier aus. Danach sank ich postwendend zurück an die bequeme Rückenlehne und von da an dauerte es nicht mal mehr eine Minute, bis Faye die nächsten paar Fragen in meine Richtung abfeuerte. Meine Augen wanderten also zurück zu ihr und Victor, auf dessen Schoß sie es sich in der Zwischenzeit bequem gemacht hatte. Wenigstens war es nicht gleich wieder die eine entscheidende Frage, sondern nur ein bisschen was drum rum. "Ist der dritte Tag heute.", beantwortete ich der zierlichen Brünetten zuerst die mit Abstand am leichtesten zu erklärende Frage. Auf irgendwas gefreut hatte ich mich vorher nämlich im Grunde gar nicht. Hatte ja nicht gewusst, dass ich urplötzlich aus der Zelle geführt wurde, um in die Freiheit entlassen zu werden. War davon ausgegangen, dass ich noch etwas mehr als 24 weitere Jahre im Bau verrotten müssen würde. Von bewusster Vorfreude konnte also nicht die Rede sein. Ich nippte zuerst an der Bierflasche - stellte dabei fest, dass der hochgewachsene Dunkelhaarige diesbezüglich einen guten Geschmack hatte -, bevor ich zu einer Antwort ansetzte. "Das erste, was ich gemacht habe, war ein Sprint mit eingestaubter Lunge zum Auto, weil deine Schwester es nicht abwarten konnte.", redete ich mit einem schwachen Grinsen auf den Lippen vor mich hin und warf Aryana einen kurzen Seitenblick zu. Natürlich hatte ich auch gerne schnell Distanz zu den hohen Zäunen aufbauen wollen, aber von selbst aus losgesprintet wäre ich ohne ihren Ansporn wohl nicht. Es hatte sich trotzdem ein Stück weit befreiend angefühlt, auch wenn der darauffolgende Kuss mangels vorhandener Ausdauer und wiederholter Rauchangewohnheit meinerseits dadurch nicht weniger atemlos geworden war. Bevor ich weitersprach, wanderte mein Blick zurück zu Faye. "Ich hatte nicht wirklich Zeit, mich bewusst auf irgendwas zu freuen... kam ziemlich plötzlich. Aber eigentlich beantwortet sich die Frage trotzdem von selbst, oder?" Ich sah die jüngere Cooper mit leicht schief gelegtem Kopf an, wobei das Grinsen noch immer nicht ganz verklungen war. Ich saß hier dicht bei Aryana, streichelte unterbewusst weiter über ihren schmalen Handrücken und genoss es sichtbar, nicht mehr allein zu sein. Denn auch heute am dritten Tag ging es mir noch kein Stück auf die Nerven, dass die schöne Brünette viel häufiger als früher für uns üblich - situationsbedingt - meine Nähe suchte. Einfach immer da war, nicht von meiner Seite wich. Auch ohne sie wäre die Freiheit sicher besser als der Knast, aber sie war und blieb wohl das einzige, das mein Leben wirklich lebenswert machte. Wobei es auch wirklich gut tat, Faye und Victor wiederzusehen. Allgemein einfach nicht mehr allein zu sein.
War tatsächlich nicht schwer zu glauben, nein. Es wäre kaum übertrieben zu sagen, dass Aryana hier jetzt als ganz anderer Mensch saß. Außerdem wusste ich selbst einfach bestens, was die Liebe beim Menschen bewirken konnte, solange sie eben von beiden Seiten erwidert wurde. Mich hatten die tiefen Gefühle zu Faye schon aus Gott weiß was für Situationen gerettet. Mich so oft schon am Leben weiter festhalten lassen, obwohl mir eher nach Handtuch werfen zu Mute gewesen war. Es war also mehr als nachvollziehbar, dass auch die Brünette gegenüber sich sehr darüber freute Mitch nun endlich wieder bei sich zu haben. Nicht mehr alleine wohnen und schlafen zu müssen. Nicht mehr daran denken zu müssen, was ihrem Freund unter Umständen gerade im Gefängnis passieren könnte. Das da doch hinter der einen oder anderen Ecke Gefahr lauerte, war nicht wirklich ein Geheimnis. Auch der Zeitungsartikel über den Aufstand dort war nicht beruhigend gewesen. Zwar wusste ich nicht, ob der Tätowierte darin verwickelt war, hatte er dazu in den Briefen doch nichts gesagt - vermutlich durfte er das auch gar nicht -, aber allein die Tatsache, dass sowas da drin passieren konnte, war schon beunruhigend genug. Mitch war dabei zwar offensichtlich nicht draufgegangen, dafür jedoch andere. Man konnte also durchaus erahnen, wie sehr Aryana unter seinem Gefängnisaufenthalt gelitten hatte. Ginge mir ja auch nicht anders, würde man mir Faye wegnehmen und in eine feindselige Umgebung stecken. Schon der Gedanke daran gruselte mich. Meine Augen wanderten automatisch zu jener zierlichen Brünetten, als sie den Raum betrat und Getränke mitbrachte. Ich würde mit dem Bier noch einen Moment lang warten und hieß sie erstmal lächelnd auf meinem Schoß willkommen. Legte wie gewohnt einen Arm um ihren Körper und sah sie an, bis schließlich die nächsten Fragen über ihre Lippen kamen. Meine Augen wanderten dann zurück zu Mitch, als er zu einer Antwort ansetzte. Ich musste unwillkürlich ein bisschen grinsen, als er schilderte, gleich nach der Freilassung erstmal von Aryana zum Lauf animiert worden zu sein. Klar, die Euphorie war sicher groß gewesen. Dass der Ex-Häftling dabei ein bisschen aus der Puste gekommen war, war angesichts seiner damaligen Form bei der Army fast ein bisschen schwer vorstellbar. Wenn man jedoch ein Jahr lang nicht mehr wirklich viel für den Körper tat, konnte sich das natürlich nur schlecht auswirken. "Witzige Vorstellung.", stellte ich eher nur für mich fest. "Hat mit Sicherheit auch witzig ausgesehen.", stimmte der Tätowierte mir ironisch zu, was mich nur noch breiter grinsen ließ. "Heißt das, ich krieg 'nen neuen Traininspartner? Mike von nebenan ist so unzuverlässig.", hakte ich weiter nach. Ich ging zwar auch allein gerne ins Fitnessstudio, weil ich nach wie vor merkte, wie mir der körperliche Ausgleich gut tat, aber zu zweit wäre es eben doch unterhaltsamer. Unser Nachbar hier hatte manchmal zwei Wochen lang seine hochmotivierte Phase und kam mit, dann aber eben wieder etliche Wochen nicht mehr und ich ging halt allein. Mitch ließ mit einem angestrengten Stöhnen den Kopf in den Nacken kippen, was mich leise in mich hinein lachen ließ. "Gib' mir ein paar Wochen... mindestens. Eher Monate.", erwiderte er erst einige Sekunden später, als er den Kopf wieder aufgerichtet hatte. Richtige Motivation klang anders, aber er hatte sicher auch erstmal noch viel anderes Zeug um die Ohren. Wollte womöglich auch einfach erst einmal viel Zeit mit Aryana verbringen. Oder hatte eben schon ein anderes, straffes Trainingsprogramm, von dem ich nur noch nichts wusste.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ja, sind halt schwierig zu schreiben, wenn sie immer nur Drama machen und heulen wollen.. x'D _____________
Drei Tage war er also schon draussen und sie hatten nichts davon geahnt. Tststs. Gott sei Dank war gerade kein Brief in Arbeit gewesen, da sie momentan eigentlich noch auf die Antwort auf den Letzten gewartet hatten. Schien sich aber allem Anschein nach erledigt zu haben, wo Mitch jetzt auch einfach zum Telefon greifen konnte, um mit ihnen zu sprechen - oder eben jederzeit willkommen war, sie zu besuchen. Der Gedanke würde wohl noch eine ganze Weile ziemlich surreal auf sie wirken, wo sie sich so fest darauf eingestellt hatten, noch über vierundzwanzig ewig lange Jahre auf seine Anwesenheit verzichten zu müssen. Tja, so konnte man sich täuschen und bis jetzt war Faye von der völlig unerwarteten Wendung des Schicksals nichts als durch und durch begeistert. Dass dieser Zustand nicht allzu lange anhalten würde, konnte sie ja noch nicht wissen - und gleichzeitig wollte sie vielleicht auch einfach nicht daran denken, dass dieses Glück eine gewisse Schattenseite aufweisen musste, von der sie bisher einfach noch nichts ahnte. Sie konzentrierte sich lieber auf die Vorstellung eines komplett euphorischen Sprints jenseits der Gefängnismauern, welchen Mitch nun schilderte. Denn das Bild, welches sich dort geboten haben musste, musste durchaus sehenswert gewesen sein, wie Mitch auf Victors Worte hin nur nochmal bestätigte. Faye damit, zusammen mit seiner Antwort auf ihre letzte Frage, noch breiter grinsen liess. Ja, eigentlich war das doch ziemlich offensichtlich, so wie die beiden da auf dem Sofa sassen, das pure Glück ihrer Wiedervereinigung ausstrahlten, das ehrlicher kaum sein könnte. Und das Herz der Brünetten füllte sich mit unendlich viel Freude, ihre Schwester endlich wieder so ungetrübt froh sehen zu dürfen. "Ja... du könntest Recht haben... Möglicherweise habe ich eine sachte Vermutung", erwiderte sie bescheiden, wobei das Grinsen auf ihrem Gesicht wohl Bände sprach, der Welt unendlich gerne mitteilen wollte, wie sehr sie sich freute. Auch wenn Mitch mit seinen Worten fast zwangsläufig erneut die Frage nach dem Wie auslöste, die Faye aber weiterhin noch nicht ein zweites Mal stellen wollte. Und doch begann sie nachzudenken, hatte wirklich keine Ahnung, was denn so plötzlich gekommen sein könnte, wie er es beschrieb. Wie er eben erwähnt hatte, war er ja scheinbar echt vollkommen legitim entlassen worden, sonst wäre er kaum mit Aryana über den Parkplatz gesprintet, ohne sich darum zu scheren, wer sie dabei sah. So hatte es zumindest geklungen. Und was gab es denn für Gründe für spontane Entlassungen? War er begnadigt worden? Von wem? Das würde jedenfalls ein Bisschen Sinn ergeben... Vielleicht hatte jemand gemerkt - beziehungsweise war dazu gebracht worden, zu merken - dass Mitch zwar viel Scheisse gebaut, dafür aber auch sehr viel Gutes geleistet hatte im Krieg. Leben gekostet aber auch Leben gerettet hatte. Wer weiss? Es gab Stellen, bei denen man solche Begnadigungen, wenn sie nur gut genug begründet waren, durchaus einreichen konnten. Wenn Aryana - oder auch Mitch selber - ein entsprechend gutes Schreiben abgegeben hatten, könnte das vielleicht tatsächlich erfolgreich verlaufen sein? Jedenfalls gab es kaum andere, logische Gründe einer derart frühzeitigen Entlassung. Ein erneutes Aufrollen des Gerichtsverfahrens war nach nur einem Jahr gar nicht möglich, ausserdem wäre es in dem Fall nicht so überraschend für Mitch gekommen. Und davon hätten sie sicherlich etwas mitbekommen, weil Aryana das bestimmt gesagt hätte. Und was gab es sonst noch für Möglichkeiten? Kautionen? Aryana hatte niemals so viel Geld. Wäre also höchstens durch eine zwangsläufig eher illegale Angelegenheit ihrerseits zu beschaffen gewesen. Oder durch einen Sponsor. Und irgendwo da wäre ein grober Haken vergraben, weshalb Faye den Gedanken nun auch kappte, lieber so lange wie möglich davon ausging, dass Mitch tatsächlich entgegen aller Unstimmigkeiten in dieser Theorie begnadigt worden war. Sie lauschte noch immer lächelnd dem kurzen Gespräch zum zukünftigen Training der beiden Männer, welchem sie auch sofort begeistert zustimmen würde. Nicht, weil Victor mehr trainieren musste - er hatte in den letzten Monaten immerhin schon wieder grosse Teile seiner früheren Bestform zurückgewonnen und sie hatte ausserdem absolut nicht den Anspruch, dass er der Inbegriff purer Muskelmasse war oder irgendwie sonst unendlich fit. Aber es wäre trotzdem toll, wenn er einen Trainingspartner hatte, mit dem er sein Hobby teilen konnte. Sie war auch schon mit ihm im Fitness gewesen, aber sie war leider nicht wirklich dafür zu begeistern. Ihre Vorlieben waren eindeutig eher Joggen und Yoga, wobei sie Letzteres am liebsten direkt hier zu Hause oder irgendwo alleine draussen praktizierte. Sie war einfach weiterhin kein Fan von lauten Räumen und zu vielen Menschen, hatte sich diesbezüglich nie wieder zu ihrem Vorkriegszustand regeneriert. Lärm und Menschenmengen triggerten noch immer das Kribbeln in ihren Händen und die unterschwellige Panik in ihrem Kopf, den plötzlichen Drang, sehr schnell zu verschwinden, bevor genau das nicht mehr möglich war. Darum nein, Fitnessstudios konnte Victor wirklich gerne mit jemand anderem als ihr selbst teilen. Mitch wäre diesbezüglich eine hervorragende Option - wenn er sich denn irgendwann dazu motivieren liess.
Es entlockte ihr tatsächlich ein erheitertes Lachen, als Mitch beschloss, die beiden über ihren kleinen Sprint vom Gefängnis weg zu informieren. Ja, möglicherweise war das ein Bisschen übertrieben dramatisch gewesen, aber es hatte eben einfach die chaotischen Gefühle widergespiegelt, welche in ihr Purzelbäume geschlagen hatten. Die Freude und Ungläubigkeit darüber, dass tatsächlich Unmögliches wahr geworden war, den unendlichen Drang, diesen hässlichen Ort hinter sich zu lassen, die plötzliche Freiheit, die ihnen so lange verwehrt geblieben war, die unbeschreibliche Erleichterung eines tonnenschweren Gewichtes, welches auf ihren Schultern gelastet hatte und den Wunsch, sich sofort aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu entfernen, bevor irgendwer wieder seine hässlichen Klauen nach ihrem Freund ausstreckte und ihn zurück in seine Zelle pferchte, sie aussperrte und ihr alles entriss, was sie endlich wieder zurückbekommen hatte. All die Gefühle, die noch immer in ihrem Kopf kreisten, wenn sie daran zurückdachte. Oder wenn sie Mitch neben sich fasziniert betrachtete und ihr klar wurde, dass er da, an seinem einzig richtigen Platz, auch bleiben würde. Klar war die Euphorie ein Bisschen weit verklungen, weil ihr durchaus auch bewusst war, an welche Konditionen die scheinbar endlose Freiheit geknüpft war. Aber sie durfte und wollte nicht vergessen, was davor gewesen war, was ihre zweite Option gewesen wäre, wenn sie den Deal nicht eingegangen wären. Denn das führte ihr immer wieder vor Augen, dass es eben doch richtig gewesen war. Auch wenn ihr in diesem Denken höchstwahrscheinlich sehr bald schon jemand sehr vehement widersprechen würde. Momentan strahlte ihre Schwester aber noch mit ihr selbst um die Wette, wobei Mitch sich mit seiner Aussage auch Mühe dabei gab, dies so beizubehalten. Aryana lächelte offensichtlich schwer angetan zu ihm rüber, legte nach ein paar Sekunden auch kurzerhand eine Hand an seine Wange, um sein Gesicht in ihre Richtung zu lenken und ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Die Sache mit dem Training liess sie für ihren Teil ebenfalls unkommentiert - bezweifelte sie leider doch ein Bisschen, dass sich Mitch in den kommenden Wochen und Monaten nach Feierabend noch für zusätzliche Fitnessbesuche begeistern können würde. Aber mal sehen. Noch hatten sie ja keine Pläne bezüglich des Programms, welches sie erwartete. Nicht, dass sie erwartete, dass es leichter werden würde, als Easterlins Worten zufolge anzunehmen war, aber es war eben doch alles noch sehr schwammig formuliert. Sie müssten aber - leider - nicht mehr besonders lange auf Klarheit warten, weshalb ihr das auch egal war.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Jaaa, die chronischen Jammerlappen. x'D Aber im Grunde gleichen wir jetzt alles nur aus, wenn man bedenkt, dass wir die beiden am Anfang doch eher häufiger als unsere Draufgänger geschrieben haben. :'D Irgendwann haben sie bestimmt mal wieder halbwegs funktionierende Köpfe. xD ___________
Noch mehr Sport? Zwar wusste ich bis jetzt noch nicht, wie kaputt mich das Trainingsprogramm, beziehungsweise die gesamte Fortbildung an sich machen würde, aber ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass ich danach dann noch Lust dazu haben würde noch mehr zu schwitzen. Gerade in den ersten Wochen dürften meine Muskeln das sowieso nicht hinkriegen, wenn das Training so hart war, wie ich es bis jetzt annahm. Easterlin wirkte nicht gerade so, als würde er seinen Soldaten halbe Sachen auftragen. Außerdem war körperliche Fitness auch einfach wichtig, um als Teil einer Armee nicht frühzeitig abzukratzen. Würde mir die Lunge nach der Wiederaufnahme des Sports noch immer so pumpen, wie sie das nach dem kurzen Sprint zum Auto getan hatte, dann dürfte Aryana nicht mehr lang etwas von mir haben. Dementsprechend reagierte ich erst einmal verhalten auf die Frage, ob ich denn nun als neuer Trainingspartner fungieren könnte. Vielleicht ging das irgendwann, wenn ich wieder richtig fit war. Die neue Grundausbildung abgeschlossen war und der Sport von da an mit Glück nur noch routinemäßig für ein paar Minuten am Morgen ablief, um die Muskelmasse zu halten. Aber was wusste ich schon. Das stand alles noch in den Sternen und so oder so könnte ich Victor immer nur dann begleiten, wenn wir grade nicht auf Gott weiß was für Missionen unterwegs waren. Wie genau sich die nun gestalteten wussten wir ja auch nicht. Hatte zwar nicht so geklungen, als würde Easterlin seine Soldaten für endlos lange Monate am Stück im Ausland parken, aber auch das war noch nicht so ganz klar. Deshalb erst einmal abwarten, wozu ich außerhalb meines neuen Jobs überhaupt noch fähig war. In den ersten Wochen allein schon wegen des Muskelkaters wahrscheinlich zu nicht viel, also langsam mit den jungen - oder eher alten, kaputten - Pferden. Eine Weile lang unterhielten wir uns noch genauso locker und unbekümmert miteinander. Stießen etwas umständlich miteinander an, als auch Victor sein Bier schließlich aufnahm. Nach und nach leerten sich die Flaschen und schließlich löste ich mich abermals von der Rückenlehne, um die leere Bierflasche auf dem flachen Tisch abzustellen. Zu genau diesem Zeitpunkt verlief sich das Gespräch dann auch langsam und es wurde für einen Moment lang still. Lange genug, um allen wieder klar zu machen, dass es da nach wie vor eine Frage die beantworten gab, die noch ungeklärt im Raum stand. Ich wollte die gute Laune aller Anwesenden wirklich nicht zerstören. So gar nicht. Aber erstens wäre es sicher nicht richtig das Paar im Sessel in Unwissenheit hängen zu lassen, um ein bisschen heile Welt zu spielen und zweitens würde ich mich damit auch nicht gut fühlen. In der Zeit, in der ich quasi gar kein Gewissen mehr mit mir herumgeschleppt, sondern es einfach irgendwo in der hintersten Ecke meines Kopfes vergraben hatte, wäre mir das leicht gefallen. Aber sie verdienten die Wahrheit. Antworten darauf, warum ich so hochgradig unmotiviert war mit Victor trainieren zu gehen und warum wir beispielsweise immer mal wieder ausfliegen würden, ohne Urlaub zu machen. Oder warum wir Verletzungen mit uns herumschleppen würden, wenn es mal blöd lief. Also atmete ich schließlich etwas tiefer durch und löste meine Finger aus Aryanas. Stützte mich mit den Unterarmen nach vorne auf meine Knie und hob die rechte Hand an, um mir die oben noch immer zu langen Haaren nach hinten und im gleichen Atemzug über meine leicht angespannte Kopfhaut zu streichen. Dann legte ich die Hände vorerst locker ineinander. Warf noch einen kurzen Blick zu der Brünetten neben mir, dann sah ich wieder zu Faye und Victor. Der Einstieg fiel mir nicht ganz leicht, aber es war an der Zeit diese unangenehme Angelegenheit hinter sich zu bringen. "Also ich... ich sitze jetzt hier, weil sich Jemand dazu bereit erklärt hat meine Kaution zu übernehmen.", schnitt ich das unliebsame Thema an. Ich schwieg erst ein paar Sekunden, bevor ich weiterredete. "Aryana hat einen Sponsor gefunden. Der macht das bei so einer Summe aber selbstverständlich nicht aus reiner Barmherzigkeit...", fuhr ich fort, zuckte kaum sichtbar mit den schmaler gewordenen Schultern.
Natürlich verband uns vier nicht nur Gutes. Wir hatten in Syrien allesamt viel mitgemacht, auf das wir bestens hätten verzichten können. Allem voran für mich die gnadenlose Folter in den Hügeln, aus der Aryana und Mitch uns mit Ach und Krach befreit hatten. Das war es schließlich, was Faye und mir das anhaltende Trauma beschert und was die anderen beiden viel Schmerz gekostet hatte. Auch, wenn sie dank der aberwitzigen Idee meiner besseren Hälfte danach zueinander gefunden hatten. Schön war es für keinen von uns gewesen und da war noch so viel mehr, was den Krieg in dem fernen Land so unfassbar scheiße gemacht hatte. Was Krieg überall furchtbar machte. Aber für den Moment schien mal alles wieder in Ordnung zu sein und das war schön. Es war das erste Mal, dass wir alle vier so zusammen saßen. Dabei auch noch einen Grund dafür hatten, uns zu amüsieren... nur hielt das nicht so lange an, wie ich es gerne gehabt hätte. Natürlich hatte ich nicht plötzlich vergessen, dass noch immer ungeklärt war, wieso Mitchell denn nun plötzlich wieder hier bei uns saß. Aber ich hatte es in der letzten Stunde wirklich gut verdrängt und es gekonnt von der guten Laune überschatten lassen. Zumindest einen Abend mal vollkommen unbekümmert mit den beiden zu verbringen wäre schön gewesen, aber andererseits wäre es sicher dumm, die Aufklärung aufzuschieben. Was hätte uns das gebracht? Gar nichts, außer uns später, wenn sie wieder weg waren, dann zu fragen, warum der junge Mann nicht wie geplant für 24 weitere Jahre im Gefängnis saß. Dieser Meinung schien er selbst auch zu sein, denn schließlich griff er die noch im Raum stehende Frage auf, ohne, dass Jemand erneut nachfragen musste. Ich leerte selbst gerade den letzten Schluck aus er Bierflasche, als der Tätowierte Aryana einen kurzen Blick zuwarf. Als ich die Flasche auf der Sessellehne abstellte, ohne sie loszulassen, setzte Mitch dann zur Erklärung an. Offenbar hatte Jemand seine Kaution bezahlt. An die genaue Summe erinnerte ich mich inzwischen nicht mehr, aber sie hatte in unerreichbarer Ferne gelegen. Nicht mal zu dritt hätten wir so viel sparen können, dass wir ihn vor Ablauf der 25 Jahre hätten rausholen können. Dementsprechend kam die Offenbarung danach dann auch wenig überraschend - natürlich hatte nicht Aryana für die Kaution geblecht, sondern ein Sponsor. Solche verlangten bekanntlich immer eine entsprechende Gegenleistung dafür, dass sie Geld zur Verfügung stellten, das man selbst nicht hatte. Ich wollte hier jetzt den Teufel nicht sofort an die Wand malen - aber was gab es, das Mitch dafür tun konnte? Meines Wissens nach hatte er genauso wie ich in seinem Leben noch nicht viel mehr gemacht als die Schule abzuschließen und danach zur Army zu gehen. Mir war wiederum aber doch sehr schleierhaft, warum Jemand einen Soldaten kaufen wollen würde, der sein eigenes Team früher schon derartig hintergangen hatte. Wirklich weit kam ich mit meinen Gedanken zu einer alleinigen Schlussfolgerung also nicht. Ließ die neu gewonnene Erkenntnis mit einem leisen, aber schweren Seufzen einen Moment lang sacken. "Und was... ist der Haken?", fragte ich schließlich nach einem Moment des Schweigens. Sah doch etwas irritiert das Paar auf dem Sofa an. Ich hatte mir vorsichtigen Optimismus zwar dank zahlreicher Therapien anzugewöhnen versucht, aber in einer Welt, die so unbarmherzig war wie diese, glaubte ich gerade eher nicht daran, dass Mitch für eine solche Stange Geld einfach nur ein bisschen arbeiten müssen würde.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ach, das passt schon alles. Es geht ihnen ja schon wieder ziemlich gut.. xD ___________
Es war wirklich ein unendliches Geschenk, wenigstens die paar Minuten geschenkt zu bekommen, während denen noch keiner ihr Vorwürfe machte, keiner sie entgeistert anschaute, keiner ihr vorhielt, welch enormes Desaster sie angerichtet hatte. Sie sog den Moment förmlich in sich auf, speicherte das Glück und die Freude tief in ihrem Herzen. Und wenn später die Hölle losbrechen würde, würde sie noch immer daran festhalten, dass Momente wie diese so ewig nicht - und vielleicht gar nie - mehr möglich gewesen wären, wenn sie den Schritt in die Dunkelheit nicht vorwärts gestolpert wäre. Und lieber lebte sie noch vier Jahre in vollen Zügen mit ihren Liebsten bei sich und ging dann kurz und schmerzlos mit einem Schuss in die Brust drauf, als sich über zwanzig Jahre so freudlos und einsam durchs Leben zu schleppen. Ja, das war egoistisch, weil sie dabei aussen vorliess, was sie Faye - und damit Victor - antun würde, wenn sie tatsächlich sterben sollte. Aber trotzdem war es eben die Wahrheit, dass sie so nicht mehr hatte leben können. Das lockere Gespräch fand dann aber irgendwann sein Ende und ihre Schonfrist schien abgelaufen, als Mitch seine leere Flasche zurück auf dem Beistelltisch platzierte. Sie verstand nicht ganz, warum er ihr dafür seine Finger entziehen musste, liess das allerdings kommentarlos geschehen, während ihr Blick langsam auf ihren Schoss hinabfiel. Sie schaute nur noch kurz in seine Richtung, als sie merkte, dass er, kurz bevor er zu sprechen begann, Gleiches tat. Je mehr Worte den Weg über seine Lippen fanden, umso fester biss sie auf ihrer Unterlippe rum, wollte gar nicht wissen, wie die Reaktion auf der anderen Seite des Tisches ausfiel, sobald die Wahrheit langsam zu den beiden durchsickerte. Tja, leider entsprachen die Worte eben voll und ganz den Tatsachen - Easterlin war kein gutmütiger Mensch, der einfach eingesehen hatte, dass Mitch eine zweite Chance verdient hatte und diese durch frei geschenktes fremdes Geld zugesprochen bekommen sollte. Und da Mitch kurz verstummt war, kam die Frage seitens Victor dann auch sehr erwartet. Nun... Wo war denn der Haken? Wo hatte die Barmherzigkeit ihres Spenders seine böse Grenze? Aryana atmete tief durch, hob dann sehr langsam den Blick an, weil sich eigentlich alles in ihr dagegen sträubte, ihre Schwester dabei anzublicken, wo sie doch ganz genau wusste, dass Faye ihren Weg niemals gutheissen würde. "Es ist... natürlich an unliebsame Konditionen geknüpft... Wir... wir müssen einen Dienst dafür ablegen, haben uns für die nächsten mindestens sechs, eigentlich aber zwölf Jahre dem Geldgeber - sein Name ist im Übrigen Easterlin - verpflichten müssen... Also wir beide. die Vierundzwanzig verbleibenden Jahre geteilt durch zwei Personen. Mit sechs Jahren Kündigungssperre", es fiel ihr schwer, auf den Punkt zu kommen, was aus ihrem Drum-Herum-Reden sehr deutlich zu erkennen war. Und darum setzte Aryana auch erneut eine Atempause ein, rieb sich mit beiden Händen kurz übers Gesicht. "Easterlins Geschäft ist... also er hat eine Privatarmee aufgebaut... Die gegen ausreichend Bezahlung alle möglichen Dienste auf der ganzen Welt ausführt... Und... er ist der Meinung, dass wir... dass wir bestens da rein passen... Und das war seine Bedingung", würgte sie die unschöne Wahrheit endlich hervor, hatte den Blick längst wieder sinken lassen, während sie an ihren Fingern herumnestelte, als könnte sie daraus irgendeine Form der Beruhigung schöpfen. Es folgte ein weiteres schweres Seufzen, bevor ihre Augen doch nochmal den Weg zum Pärchen im Sessel fanden. "Es tut mir wirklich leid, Faye, ich wollte das nicht, wollte dich nie wieder durch ein solches Elend ziehen und dir das alles zumuten! Und dir auch nicht, Victor... Ich... ich hab mir den Sponsor nicht wirklich selbst ausgesucht, sie... sie sind selber auf mich zugekommen, sonst hätte ich das Angebot nichtmal in Betracht gezogen... aber es war einfach die einzige Option, die sich in dem ganzen Jahr überhaupt geboten hatte... Und... und ich konnte so nicht weiterleben und Mitch auch nicht... Es war ein Alptraum und der einzige Ausweg war eben dieser andere... Alptraum...", versuchte sie sich schon an einer Erklärung - und Entschuldigung - bevor einer der beiden irgendwas hatte erwidern können. "Und sie haben auch andere Sicherheitsmassnahmen, andere Methoden, bessere Abwehr- und Verteidigungssysteme... Es ist nicht so, als würden wir uns direkt in den nächsten aussichtslosen Krieg stürzen", schob sie einen weiteren Versuch, das Ganze nicht ganz so schrecklich darzustellen, nach, ehe sie dann aber wirklich verstummte, weil mehr Verharmlosung schlicht nicht drin lag, wenn sie nicht lügen wollte. Theoretisch hatte sie sich schon für ihre vorhergehende Aussage ein Bisschen weit aus dem Fenster gelehnt - sie hatte ja keine Ahnung, ob sie sich nicht doch direkt in den nächsten Krieg stürzen würden...
Sie hatte gerne mit Victor, Aryana und Mitch gelacht, sich gefreut, dass die zwei endlich wiedervereint und glücklich sein konnten, dass sie solche Abende in Zukunft bestimmt ganz oft wiederholen konnten. Faye hatte absichtlich keine Fragen bezüglich Mitchs Entlassung mehr gestellt, nichts, was heikle Antworten hätte nach sich ziehen können. Wollte nicht wissen, ob der junge Mann in Zukunft noch an unangenehme Konditionen und Regeln gebunden war, weiter unter Einschränkungen leben musste, die die Lebensqualität allzu negativ beeinflussten. Nein, für einen Moment tat sie sehr gerne so, als wäre das alles längst geklärt und sie einfach nur vier freie Menschen, die einen schönen Abend zusammen genossen. Und so wie sich die Stunde entwickelte, ging es den anderen Drei genau gleich. Bis sich das Gespräch eben irgendwann etwas verfloss, weil es nicht mehr viel zu reden gab, das nichts mit der Zukunft zu tun hatte - deren Aussicht noch immer ein weisses Blatt darstellte. Genau darum schien Mitch nun auch entschieden zu haben, dass es Zeit wurde, das Thema anzuschneiden, welches nicht sehr vielversprechend im Raum gestanden hatte und bisher noch etwas hin und her geschoben worden war. Schon nur die Art, wie er zu reden begann, führte dazu, dass sich langsam jeder Muskel im Körper der jungen Frau anspannte. Sie richtete sich etwas mehr in Victors Schoss auf und ihre Augenbrauen zogen sich langsam gegen die Mitte, liessen eine schon angehend besorgte Falte in der Mitte ihrer Stirn entstehen. Sie spürte ein leises Kribbeln in den Beinen und den Fingerspitzen, welches deutlich genug den Anflug von Nervosität ankündete, die immer versuchte, von ihr Besitz zu nehmen, wenn sie schlechte Neuigkeiten fürchtete. Und das tat sie in diesem Moment sehr stark. Nur trotzdem offensichtlich längst nicht stark genug, wie sich im Verlauf der nächsten Minuten herausstellte. Denn Mitch war entgegen all ihrer Hoffnungen nicht begnadigt, sondern freigekauft worden. Und das nicht von Aryana, sondern von einem fremden Menschen - unter Aryanas Zustimmung. Die Tatsache, dass der Tätowierte dann erstmal wieder schwieg, war ein weiteres, viel zu deutliches Indiz dafür, dass etwas an der ganzen Sache unendlich faul war, dass der Haken, den Victor gleich darauf erfragte, weniger einen harmlosen Angelhaken als einen verdammten Schiffskran darstellte. Es war letztendlich Aryana, die sich dazu erbarmte, sie endgültig aufzuklären. Und Faye wünschte sich mit jeder Sekunde mehr, dass ihre Schwester sofort wieder schwieg, alles Gesagte zurücknahm und ihr den Glauben an die Begnadigung zurückgab, der sich so viel besser angefühlt hatte als DAS. Die Bestürzung auf ihrem Gesicht wuchs von Wort zu Wort, während sie versuchte, all die Informationen aufzunehmen, die in ihre Richtung geschleudert wurden. Eine Privatarmee. Aryana und Mitch hatten sich für eine Privatarmee verpflichtet. Für Kämpfe. Schlachten. Hinterhalte. Angriffe. Für Einsätze auf der ganzen Welt, die anscheinend ALLES beinhalten konnten. Für verdammten Krieg, auch wenn Aryana behauptete, es wäre nicht so. Faye hatte keine Ahnung, was sie denken, fühlen, sagen oder tun sollte. Sie starrte einfach auf den Tisch, während ein Sturm durch ihren Kopf fegte, sie keinen Gedanken fassen konnte und doch wusste, dass das, was die beiden soeben offenbart hatten, nur die nächste Hölle sein konnte. Ihre Schwester würde wieder kämpfen. Faye würde wieder zu Hause sitzen und hoffen und beten und warten. Sie würde wieder den Verstand verlieren, genau das, was sie letztes Mal dazu gebracht hatte, diesen absolut dummen Weg zu gehen, welchen sie gewählt hatte - mit so vielen komplett falschen Entscheidungen und Taten. Und Aryana würde ständig in Lebensgefahr schweben. Warum musste der letzte Teil ihrer Familie, die vom Schicksal ständig drangsaliert wurde, so sehr mit ihrem Glück pokern? Warum musste sie alles dafür tun, irgendwann alle Schutzengel in die Hölle geschickt zu haben? "Das... das hast du nicht getan, oder? Du... du hast mir... versprochen... dass du nie wieder... zurückgehst... dass du hierbleibst... Wie kannst du das versprechen... und dann sowas unterschreiben..?", Fayes Stimme war kaum mehr als ein leises, fassungsloses Flüstern, welches sich in die Stille des Raumes mischte. Ihre Augen waren verloren auf den Boden gerichtet und die Spannung, die vorhin ihren ganzen Körper im Griff gehabt hatte, war vollkommen verschwunden. Sie hing viel mehr kraftlos auf Victors Schoss und versuchte, nicht im Sturm zu versinken, versuchte, zu begreifen, was sie gerade gehört hatte. Sie kannte die Antworten auf ihre beiden absolut rhetorischen Fragen, ohne die Stimme ihrer Schwester nochmal zu hören. Sie wusste, dass Aryana das sehr wohl getan hatte. Und sie wusste auch wieso. Aber nichts davon machte eine der Tatsachen leichter zu tragen. Nichts davon nahm die tonnenschwere Last von ihren Lungen. Nichts davon liess sie wieder atmen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Als Victor nach dem Haken fragte, den die Geschichte nach meiner Andeutung nun mal unweigerlich haben musste, sank mein Blick zum Couchtisch. Ich war ganz froh darum, dass Aryana diesen Part von sich aus übernahm und ich erst einmal nur daneben sitzen und schweigen konnte. Jetzt, wo die junge Frau all das, was wir im Begriff zu tun waren - beziehungsweise für die Zukunft schon abgesegnet hatten - noch einmal wiederholte, klang es irgendwie noch schlimmer als vorher. Allein schon die 12 - oder eben im Idealfall 6 - Jahre verhießen nichts Gutes. Alles, was danach noch folgte, war dann einfach nur noch furchtbar mit anzuhören. Löste schon wieder den Drang nach etwas beruhigendem Nikotin aus, während ich leicht mit dem rechten Bein zu wippen begann, was wiederum meinen ganzen Körper vibrieren ließ. Ich hasste es der ausschlaggebende Grund für all das zu sein. Dafür, dass Aryana im letzten Jahr nur noch weiter kaputt gegangen war, was ich höchstens jetzt im Nachhinein etwas lindern konnte. Dafür, dass sie sich nun wieder mit mir verpflichtete und sich in Gefahr begab. Dafür, dass das Faye wehtat und sie augenblicklich runterzog, wie bestens für mich ersichtlich war, als ich nach den Worten meiner Freundin langsam wieder den Blick anhob. Die wörtliche Resonanz ihrer jüngeren Schwester folgte nicht sofort, aber allein ihr Blick und ihre Körperhaltung reichten zuvor schon dafür aus sehr deutlich erkennbar zu machen, dass das nur ein weiterer Schlag ins Gesicht für sie war. Dass der kurze Höhenflug von gerade eben vorbei war und sie zurück in die unbarmherzige Tiefe fiel. Ich schluckte tonlos, ohne mit dem Gewippe aufzuhören, als meine Augen weiter zu Victor wanderten. Für den Moment tat er nicht mehr, als perplex zwischen Aryana und mir hin und her zu sehen. Wirklich besser war das Signal, das von ihm ausging, also auch nicht. Richtig unangenehm wurde es dann aber erst, als mein Blick erneut am Tisch klebte und Faye schließlich zum Reden ansetzte. Gerade die Tatsache, dass sie nicht besonders laut sprach, die Worte kaum über die Lippen brachte, machte es noch schmerzlicher. All die Schuld, die ich in den letzten Tagen dank Beschäftigung relativ gut bei Seite zu schieben geschafft hatte, fiel mir jetzt förmlich mitsamt Decke auf den Schädel. Ich wusste, dass Aryana sich selbst dazu entschieden hatte, diesen Weg mit mir gehen zu wollen. Aber auch, wenn ich sie nie darum gebeten hatte, war es schlicht und ergreifend meine Schuld, dass es überhaupt erst zu Alledem kam. Dass sie sich ein weiteres Mal in potenziell tödliche Gefahr begeben und Faye damit das Herz brechen musste. "Faye, wir... ich weiß, dass das wahrscheinlich nur ein schwacher Trost ist... aber wir bleiben hier. Wir können weiter in unserer Wohnung bleiben und euch bestimmt oft besuchen... oder umgekehrt." Zwischen den Einsätzen eben. Wenn wir dann nicht zu kaputt zum atmen waren und eine Pause in Ruhe bitter nötig hatten, versteht sich. "Und Easterlin wird uns zusammen lassen, bei den Einsätzen. Ich... ich werde Aryana mit meinem Leben beschützen, das verspreche ich dir.", redete ich weiter im verzweifelten Versuch die erdrückende Last auf meinen Schultern zu schmälern. Als gäbe es irgendwas, das Faye wirklich die Angst davor nehmen würde ihre Schwester doch noch zu verlieren, nachdem sie endlich heim gekommen war.
Also doch wieder Krieg - oder zumindest Kämpfe und Schlachten in dessen Umfeld, was in meinen Augen nicht wirklich einen Unterschied machte. Ihr Sponsor gehörte zwar nicht zu einem staatsgebundenen Militär, hatte sich dafür aber einfach seine eigene Armee aufgebaut. Die Betitelung Alptraum traf es in meinen Augen doch ziemlich gut. Wie konnten sie das überhaupt noch? Nach allem, was sie schon durchgemacht hatten... allein und auch zu zweit. Ich wünschte ich hätte auch nur ansatzweise so viel mentale Stärke - und doch wünschte ich mir auch im gleichen Atemzug, dass Mitch noch im Knast sitzen würde. Allerdings versuchte ich den Gedanken recht bald wieder aus meinem Kopf zu kriegen, weil er egoistisch und gemein war. Ich hatte schließlich mit eigenen Augen gesehen, wie es Aryana im letzten Jahr ergangen war - und das war nur das gewesen, was sie an die Oberfläche gelassen hatte. Hatte auch gelesen, wie es mit dem Ex-Häftling bergab gegangen war, was ebenfalls nur in Bruchteil des eigentlichen Zustands gewesen sein dürfte. Trotzdem tauchte der Gedanke unweigerlich auf, als ich merkte, wie Faye die Neuigkeit aufnahm. Im ersten Moment sah ich noch zum Paar auf dem Sofa, starrte sie fassungslos an. Als meine Augen dann aber zu meiner Freundin wanderten, die nur mehr nach unten sah und augenscheinlich versuchte zu begreifen, was sie gerade gehört hatte, wurde mein Blick doch schnell weicher. Es brach schon wieder ein Teil ihrer Welt zusammen. Jetzt, wo alles mal sowas wie fast stabil geworden war. Als die zierliche Brünette leise vor sich hinzuflüstern begann löste ich mich selbst aus der bis hierhin leicht angespannten Körperhaltung, um mich etwas zur Seite zu beugen und die leere Bierflasche auf dem Boden neben dem Sessel abzustellen. Kaum hatte ich mich wieder aufgerichtet legte ich beide Arme um sie, verschränkte meine Finger dann miteinander. Hielt sie eng bei mir, während ich den Kopf etwas nach vorne neigte und einen Kuss an ihre Schulter hauchte, blieb danach auch mit den Lippen leicht an sie gelehnt. Für einige Sekunden lang blieb mein Gesichtsausdruck noch ausschließlich besorgt, dann jedoch mischte sich auch Ärger hinein. Ich zog die Augenbrauen etwas tiefer ins Gesicht und sah über Faye hinweg zurück zu den anderen beiden, als Mitch versuchte dem Ganzen noch irgendwas positives abzugewinnen. War ja schön und gut, dass wir sie weiterhin zu Gesicht kriegen würden, aber das nahm dem Häufchen Elend in meinen Armen auch nicht die Angst vor dem erneuten Abschied, der jedes Mal anstehen würde und der letzte sein könnte. Ich glaubte ihm, dass er Aryana mit allen Mitteln beschützen wollte. Allein deswegen schon, weil er dabei für seine Verhältnisse ungewöhnlich aufgewühlt wirkte. Wieder ein bisschen so wie damals im Krankenhaus, als er uns seine Taten gestanden hatte. Nur änderte auch das nichts daran, dass es in jedem Krieg unkalkulierbare Risiken gab, gegen die Mitchell allein nichts ausrichten können würde und die sie beide geflissentlich in Kauf nahmen. Sonst würden ja nicht ständig so viele Leute dabei draufgehen. Angeblich bessere Abwehrsysteme hin oder her, das Risiko würde weiter bleiben. Für mindestens sechs Jahre, in denen Faye wieder in der gleichen Angst leben müssen würde wie der, die sie überhaupt erst nach Syrien gezwungen hatte. Zumindest Mitch hielt meinem anklagenden Blick, der im Augenblick sicher mehr als tausend Worte sagte und beiden galt, nun nicht mehr stand. Nachdem er schon die ganze Zeit über mit dem Bein gewippt hatte, stand er endgültig auf. Er ging vom Sofa weg ein paar Schritte durch den Raum und hob schließlich beide Hände, um sich damit übers Gesicht zu reiben.
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Sie wollte Fayes Worte nicht hören, genau wie das umgekehrt auch der Fall gewesen war. Wollte wirklich nicht nochmal vor Augen geführt bekommen, was sie getan hatte. Aber das musste sie, natürlich. Faye hörte das alles immerhin zum ersten Mal. Und schon das Schweigen, das nach ihrer Erklärung eintrat, hätte gereicht, um Aryana erneut schwer hinterfragen zu lassen, ob sie damit wieder einen enormen Fehler begangen hatte, den sie nie wieder wirklich gutmachen konnte. Sie hatte gewusst, was das für Faye bedeuten würde, ihr war klar gewesen, wie ihre Schwester reagieren musste. Sie hatte in Kauf genommen, dass die jüngere Cooper und ihr Freund so sehr darunter leiden würden. Und trotzdem hatte sie unterschrieben. Um sich selbst und Mitch zu retten. War das vollkommen egoistisch? Natürlich hatte sie die Kosten und Nutzen dieses Spielchens abgewogen, aber hatte sie das möglicherweise aus einem zu subjektiven Blickwinkel getan, zu viel persönliches Interesse reingesteckt, als dass sie erkannt hätte, wie schmerzhaft die Folgen ihrer Entscheidung wirklich ausfallen würden? Es war so schwer zu sagen… Egal, welche Wahl sie getroffen hätte, jemand hätte sowieso darunter gelitten. Die Frage war also nur, wieso sie entschieden hatte, dass es Faye und Victor sein mussten und nicht Mitch, der sich sein Elend letztendlich selber eingebrockt hatte. Vielleicht einfach, weil sie gewusst hatte, dass sie Mitch für immer verlieren würde, wenn sie ihn nicht rechtzeitig da raus holte. Und weil Faye immerhin noch Victor hatte. Weil es so nur sechs bis zwölf Jahre sein mussten, nicht vierundzwanzig. Es gab viele Gründe dafür. Und fast genauso viele Gründe dagegen. Und Aryana war nicht Gott, nicht allmächtig, nicht allwissend. Letztendlich war auch diese Entscheidung aus dem Affekt gefallen, war sie auch hier ihrem Bauchgefühl gefolgt, das ihr gesagt hatte, sie könne Mitch nicht schon aufgeben. Und jetzt sah sie sich mit den ersten Folgen daraus konfrontiert, die - wie so vieles davor auch schon - einfach nur wehtaten. Aryana lauschte Mitch's Worten, hörte, wie er versuchte, etwas von dem Leid wieder gut zu machen, das sie hier verursacht hatten. Aber wahrscheinlich würden auch seine Versuche diesbezüglich nicht wirklich fruchten, weil nichts, was sie sagten, das ungeschehen machen konnte, was sie unterschrieben hatten. "Es tut mir leid... ich... ich wollte euch nie wehtun, erst recht nicht nach allem... was schon passiert ist... Wegen mir. Hätte ich irgendeinen anderen Weg gesehen, eine andere Option gehabt, dann hätte ich keine Sekunde gezögert um euch zu schützen - aber es gab nichts! Und Mitch ging's gefühlt jeden Tag ein Bisschen schlechter, ich... es tut mir wirklich leid", redete sie in sich hinein, hob erst zum Ende ihrer Worte den Kopf nochmal an, um die beiden anzusehen. Aber Victors Blick allein reichte schon aus, um ihre Augen sofort wieder schuldbewusst zu ihren Füsse blicken zu lassen. Er hatte jedes Recht, sie so anzuschauen, wütend zu sein, sie nicht zu verstehen und sie für das zu hassen, was sie ihrer Schwester und ihm antat. Aber das hiess nicht, dass sie dem Blick standhalten konnte oder überhaupt wirklich damit klar kam, dass er jetzt nicht mit einem Lächeln in ihre Richtung strahlte. Wahrscheinlich hatte sie schon viele Leute in ihrem Leben enttäuscht. Aber es tat nie so sehr weh, wie wenn es die Menschen waren, die sie am meisten liebte und am wenigsten verletzen wollte... Aryana blieb alleine auf dem Sofa zurück, als Mitch sich erhob um rastlos durch den Raum zu treten. War nicht so, als würde das irgendwelche Linderung bieten, aber in diesem Moment war wohl alles einen Versuch wert. Trotzdem blieb sie still sitzen, starrte vor sich hin. Kurz fragte sie sich sogar, ob es besser wäre, jetzt einfach gleich zu gehen. Aber es war definitiv nicht ihre Entscheidung, was Victor und Faye jetzt wollten. Wenn sie gehen sollten, würden die zwei das sicherlich mitteilen. Und bis dem so war, müsste sie wohl sitzen bleiben und versuchen, irgendwas von dem zu retten, was sie eigenhändig zerbrochen hatte.
Es war ein altbekanntes Gefühl, das sich in ihrer Brust breitmachte. Aber sie hatte es lange nicht mehr gespürt. Es war viele Jahre her, seit Aryana sie das letzte Mal so betrogen hatte. Auch wenn man die Situation damals, nach Julians Tod, trotzdem nicht wirklich mit dem Drama von heute vergleichen konnte. Damals hatte sie immerhin nicht versprochen nach Hause zu kommen - Faye hatte einfach angenommen, dass sie es tun würde, weil es in ihren Augen keinen Grund für Aryana gegeben hatte, noch länger in Syrien zu bleiben und zu riskieren, ebenfalls zu sterben. Auch da hatten sie von allen Menschen, die ihre Familie einmal ausgemacht hatte, nur noch sich selber gehabt. Und Faye hatte nicht verstehen können, warum Aryana nicht endlich aufwachte und nach Hause zurückkehrte, bevor es zu spät war. Obwohl sie auch da gewusst hatte, dass ihre Schwester zu Hause am Rad drehte. Und jetzt? Jetzt tat sie es wieder, obwohl es sich für fünf Sekunden angefühlt hatte, als könnte alles ein für alle mal gut werden. Faye lauschte Mitch's Worten, als dieser seine Stimme an sie richtete. Sie hob schwach den Kopf, um kurz mit dem gleichen, verlorenen Blick in seine Richtung zu schielen. Brauchte einen Moment, um den Inhalt seiner Worte zu verstehen. Und liess den Kopf dann langsam wieder sinken. Sie würden also hier bleiben - solange sie nicht auf Einsätzen waren, bei denen sie mal eben mit ihrem Leben pokerten, als wären sie unsterblich. Das war tatsächlich eine gute Nachricht, sie wusste es. Und bestimmt würde ein Tag kommen, an dem sie sich darüber freuen würde. Aber jetzt, wo sie noch nichtmal wirklich akzeptieren wollte, was die Zukunft für Mitch und Aryana unweigerlich bereithielt, wollte sie auch nicht hören, was sie daran Positives finden sollte, wie sie sich damit irgendwie arrangieren konnte. Der zweite Teil des Beruhigungsversuches seitens des Tätowierten liess ihr Herz nur noch schwerer werden und zu dem eindeutigen Schock gesellte sich nach und nach tiefe Traurigkeit, zeigte sich deutlich in ihre Mimik. Sie wollte nicht, dass irgendwer von ihnen irgendwen mit seinem Leben beschützen musste. Sie wollte einfach nur, dass alle in Sicherheit und glücklich und vorzugsweise zusammen waren! Natürlich würde sie auch von der eben genannten Tatsache in Zukunft vielleicht etwas Ruhe schöpfen können, wenn sie wusste, dass Mitch immer auf Aryana aufpasste, so gut er irgendwie konnte. Mitch war ein ausserordentlicher Kämpfer, das hatte sie oft genug gesehen. Wenn jemand ihre Schwester beschützen konnte, dann er. Aber auch er war nicht unbesiegbar. Und Faye wollte auch nicht, dass er am Ende selber draufging. Dann wäre Aryana genauso zerstört. Und sie und Victor auch. Die Brünette hatte sich eng an ihren Freund geschmiegt, der wie so oft den einzigen Halt in einer Welt voller Turbulenzen bot. Der ihr nahe blieb und ihr Sicherheit bot, es zumindest versuchte in einer Situation, die vollkommen ausserhalb ihres eigenen Einflussbereiches lag. Ihre linke Hand hielt sich an seinem Arm fest, als würde sie mitten im Sturm ihr hölzernes Ruderboot zu steuern versuchen. Aber dieses Ruderboot liess sich nicht steuern, schwankte lieber ewig vor sich hin, liess sich von Wellen treiben und überschwemmen, wie es dem Sturm gerade zumute war. Mitch erhob sich vom Sofa und liess sie damit erneut leicht den Kopf anheben und ihm nachgucken. Im Hintergrund beteuerte Aryana wieder, wie leid ihr das alles tat. Aber Worte konnten schon lange nichts mehr gutmachen, was erschüttert und zerbrochen worden war. "Wo willst du hin, Mitch..?", fragte Faye leise, als würde er tatsächlich eine Antwort auf diese Frage zu bieten haben. "Dir jemand anderes suchen gehen, der deine Rechnungen mit dir bezahlt? Ich würde es tatsächlich sehr willkommen heissen, wenn du nicht meine Schwester dafür brauchen würdest… Versteh‘ mich nicht falsch, ich will dich auch absolut nicht sterben sehen und fände es durch und durch wünschenswert, wenn du dein Leben hier in Frieden geniessen könntest, mit ihr... Aber da wir alle wissen, dass das nach allem, was passiert ist, gerade ein sehr utopischer Wunsch ist… wäre es wenigstens schön, wenn du von allen Menschen dieser Welt nicht ausgerechnet Aryana mitnehmen müsstest…", murmelte sie in sich hinein, hatte dabei schon das leise, bittende "Faye...", ihrer Schwester im Ohr, kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen. Nun hob die junge Brünette den Blick doch nochmal an, um zu Aryana zu schauen, diese einen Moment hilflos zu mustern, wobei sie leicht den Kopf hin und her wiegte. "Es tut mir leid... Aber du... du hast keine Ahnung, was ich das letzte Mal... getan habe, als du ohne mich in den Krieg gezogen bist... Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt... Wenn alles, was du willst, deine Familie in Sicherheit zu wissen ist... Und das genau die Sache ist, die du niemals bekommst... Ich habe aufgehört zu denken, bis ich den irrwitzigen Gedanken hatte, dass, wenn du nicht nach Hause zurückkehrst, ich eben zu dir kommen musste... Und denkst du, ich konnte mich einfach bei der Army melden und sagen, dass ich gerne zu meiner Schwester möchte..? Nein. Natürlich nicht, Aryana... Du hast keine Ahnung...", sie wollte die Sache, von der niemand ausser Victor je erfahren hatte, gar nicht wirklich auf den Tisch bringen. Gerade darum auch nicht, weil sie ihren Freund nicht wieder daran erinnern wollte, weil sie kein Stück stolz darauf war. Aber es zeigte eben deutlich, was der Verlust ihres Bruders und die Abwesenheit ihrer Schwester mit ihr gemacht hatten. Sie war verrückt geworden, ein Bisschen wahnsinnig in ihrer Trauer und Angst. Sie wollte nie wieder dorthin zurück. Aber sie hatte Angst. So viel Angst. Und keine Therapie der Welt hatte ihr bisher beibringen können, mit dieser Angst umzugehen, sie zu beseitigen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich war mir nicht mehr sicher damit, was wirklich schlimmer war. Langfristig gesehen sicher der Knast, gar keine Frage - aber auf kurze Sicht tat diese Situation hier viel mehr weh. Fraß sich so viel tiefer in meinen Schädel, als es Einzelhaft in so kurzer Zeit gekonnt hätte. Victors Blick war für seine Verhältnisse wirklich ungewohnt kühl, fast schon bohrend und so unendlich anschuldigend. Ich konnte nachvollziehen, warum er so in unsere Richtung sah. Würde ich an seiner Stelle in dieser Situation sitzen, würde ich wahrscheinlich ebenso mit Blicken zu töten versuchen. Es war eben nur nicht seine Art und ich wollte nicht der Grund dafür sein, sowas aus ihm rauszukitzeln. Da brauchte er auch gar nichts weiter sagen, der Gesichtsausdruck und seine Körperhaltung reichten vollkommen dazu aus das Sitzenbleiben unerträglich für mich zu machen. Also stand ich schließlich auf in der Hoffnung, dass mir ein paar wenige Schritte etwas von der inneren Unruhe nehmen konnten. Ich entfernte mich dabei gar nicht weit, konnte aber auch nicht so recht wieder still stehen. Machte selbst dann zwei langsame Schritte, als ich die Hände hob, um mir über die angespannte Gesichtsmuskulatur zu streichen. Ich hatte die Arme noch gar nicht wieder sinken lassen, als Faye sich nach Aryanas Entschuldigung - die leider genauso wenig Linderung schaffen konnte wie alles andere auch - erneut zu Wort meldete. Mit einer an mich gerichteten Frage, die mir dem Klang nach eher nur rhetorischer Natur zu sein schien. Es dauerte auch gar nicht lange, bis eine Erklärung zu jener kurzen Frage folgte... und die hatte es in sich. Bohrte allmählich einen Dolch nach dem anderen durch das Herz, das ich vor einiger Zeit zu schützen aufgehört hatte. Es gab nichts, absolut gar nichts auf der Welt, das ich mir mehr wünschte, als meine Freundin nicht noch einmal ins Fadenkreuz zu schicken. Sie in Sicherheit zu wissen, während nur ich zwangsweise durch Scheiße watete, die mir längst bis unters Kinn stand. Aber das ging nicht, ganz gleich wie sehr ich es mir wünschte - oder wie sehr Faye es sich wünschte. Es war jetzt genau der Fall eingetreten, vor dem ich mich gefürchtet hatte. Indirekt zu hören, dass ich nicht gut für Aryana war, war ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl. Dass ich nicht nur sie, sondern auch ihre Schwester und damit zwangsweise Victor mit in den Abgrund zog, hinterließ nur noch mehr Druck und Schuldgefühl. Ich hatte das schon gewusst, bevor wir hierher gekommen waren. Aber jetzt, wo ich mit Alledem unumgänglich konfrontiert wurde, war es kaum zu ertragen. Mir platzte unter all ihren Worten beinahe der Schädel, obwohl ich Faye dabei nicht einmal ansah, sondern so halb mit dem Rücken zu ihr und Victor stand. Mir den Anblick zu ersparen reichte aber nicht, um mich nicht die Schotten wieder dicht machen zu lassen. Die Mauern, die ich mühsam dank Aryana Stück für Stück zerschlagen hatte, innerhalb weniger Sekunden wieder aufzubauen und mein Herz abzuschirmen. Die Verletzlichkeit und der Schmerz schwenkten in eine andere Form negativer Emotion um - Wut, Ärger. Gefühle, die mich eine Ewigkeit lang gut davor geschützt hatten all die schlimmen Dinge in meiner Vergangenheit an mich heranzulassen, dadurch jedoch verheerende Folgen provoziert hatten. Der Schutzmechanismus raubte mir leider auch einen maßgeblichen Teil gesunden Urteilsvermögens, das es hätte verhindern können, dass ich mich noch während Fayes letzten Worten - die sich mehr an ihre Schwester richteten und schon gar nicht mehr wirklich bei mir ankamen - mit mahlendem Unterkiefer zu ihr und ihrem menschlichen Sitzplatz umdrehte. Ich hatte die Brauen schon tief ins Gesicht gezogen und meine Augen funkelten. "Oh nein, so nicht...", begann ich vor mich hin zu knurren. Setzte dann ganz langsam, beinahe in Zeitlupe zum Gehen an und visierte Faye kontinuierlich mit meinen Augen an. "Ich hätte Aryana niemals darum gebeten sich wegen mir nochmal zu verpflichten, nachdem wir's grade so lebend aus Syrien rausgeschafft haben. Sie hatte diesen beschissenen Vertrag nur schon unterschrieben, als ich was davon erfahren habe. Wär's dir lieber gewesen, wenn ich sie einfach allein hätte gehen lassen? Oder wenn sich das Ganze noch um zwei Monate verschoben hätte, weil ich mir bis dahin ziemlich sicher selbst die Kehle aufgeschlitzt hätte? Das sind nämlich die einzigen beiden anderen Möglichkeiten. Du bist nicht die Einzige hier, der es damit beschissen geht oder zu der das Leben nicht immer fair war, also spar dir dein verdammtes Selbstmitleid und lern damit umzugehen!", redete ich mich doch etwas lauter fortwährend mehr in Rage, verfiel gut erkennbar in frühere Muster. Ging dabei immer weiter auf das junge Paar zu und unterstrich meine Worte hier und da mit einer sehr energischen Handbewegung, bevor ich mit dem letzten Satz unweit vor Faye und Victor zum Stehen kam. Dass ich später irgendwas von dem, was ich gerade gesagt hatte, bereuen würde, sah ich in diesem Moment noch nicht kommen. Gerade den hinteren Abschnitt im letzten Satz hätte ich mir aber genauso gut selbst sagen können. Ich kam mit der Situation ja augenscheinlich auch nicht gut zurecht - mein Kopf verarbeitete sie nur anders schlecht als Fayes.
Es war nicht so, als würde ich an Aryanas aufrichtiger Entschuldigung zweifeln. Schließlich wusste ich, wie viel den beiden Schwester aneinander lag - nur war und blieb das bei den beiden eine unterschiedlich gesetzte Priorität. Die ältere Cooper hatte mir mal dafür gedankt, dass ich immer auf Faye aufzupassen versuchte, so gut ich eben konnte, weil sie selbst oft nicht da war, wenn sie eigentlich gebraucht wurde. Das war immer noch so und es war schwer noch daran zu glauben, dass sich das jemals ändern würde. Ich verstand schon, warum sie die Entscheidung zum erneuten Einzug in Kriegsgebiete gefällt hatte, aber gutheißen musste ich das deswegen nicht. Denn auch die Entschuldigung der älteren Cooper konnte den verursachten Schmerz bei Faye nicht lindern. Oder meine Sorge darum, was die zierliche junge Frau auf meinem Schoß dieses Mal für einen Absturz hinlegen würde, weil es sie - verständlicherweise - aus der Bahn warf. Die Karten waren ausgeteilt und mussten jetzt so gespielt werden. Neu gemischt werden konnte nicht. Deshalb schüttelte ich nur mit einem schweren Seufzen für mich den Kopf, als ich ihn wieder etwas angehoben hatte. Zu Aryana sehen tat ich dabei aber nicht, mein Blick verlor sich ziellos irgendwo im Raum. Allerdings nur so lange, bis Faye erneut zum Reden ansetzte. Sich dabei jedoch unerwartet an Mitch wendete, der noch immer langsam im Raum herumtigerte. Ich sah automatisch zu meiner Freundin, während sie redete. Hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass sie jetzt irgendwas in dieser Richtung sagte. Nicht, dass ich ihr das übel nahm - es war nur zu verständlich, dass all die Gefühle, die ihr Fass gerade unweigerlich zum Überlaufen brachten, irgendwo hinmussten. Ich hatte ja selbst das Bedürfnis dazu, den Anwesenden hier an den Kopf zu werfen, dass ich ebenso wenig mit Alledem einverstanden war wie Faye. Nur war es vielleicht nicht ganz ideal Mitch derartig ins Gesicht zu sagen, dass er sich jemand Anderen für diese Aktion suchen sollte - als wäre das so einfach. Und dass ich mich selbst nicht sonderlich gut damit fühlte, dass sie Aryana im Anschluss noch unter die Nase rieb, wie mies sie sich mit alledem fühlte und schon das erste Mal gefühlt hatte, lag dem darauf folgenden, flüchtigen Flashback zu Grunde. Mein Blick sank auf Fayes Schulter, während sich ein kurzer Abschnitt unseres damaligen Streits im Zelt vor meinem inneren Augen abspielte. Ich war schon lange darüber hinweg, hatte das hingenommen und akzeptiert, es war eigentlich längst schon kein Thema mehr für mich. Das machte den Gedanken aber trotzdem nicht angenehmer als damals und ich zwang mich dazu, das Ganze zu unterbinden. Hob stattdessen eine Hand, um der am Boden zerstörten Brünetten über den Oberarm zu streicheln im verzweifelten Versuch, ihr einfach nur irgendwie etwas Trost zu spenden. Für kurze Zeit wurde mein Blick deshalb auch wieder weicher, besorgter, weil ich mich auf Faye konzentrierte und auch meinen Kopf letztlich ein wenig an ihren lehnte. Allerdings war es damit recht schnell wieder vorbei, als Mitch sich mit ein paar wenigen Worten zu uns umdrehte und damit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. Still und heimlich hatte ich bis dahin noch darauf gehofft, dass keine böse Resonanz von ihm folgen würde. Dass er sich trotz des letzten Jahres besser im Griff hatte, als es früher in der Army der Fall gewesen war. Weit gefehlt, wie mir schien, denn ich hatte dieses wütende Funkeln in seinen Augen schon öfter gesehen. Es war nur inzwischen ziemlich lange her und hatte sich nur äußerst selten in meine Richtung verfangen, weil ich Konfrontationen grundsätzlich gerne aus dem Weg ging und ich kein streitlustiger Mensch war. Nun aber fixierte er Faye damit und das sorgte schon bald nach seinem ersten Satz dafür, dass ich in etwa ebenso grimmig zurücksah. Je länger er redete - wobei er sehr zu meinem Missfallen auch noch immer lauter und gemeiner wurde -, desto mehr verfinsterte sich auch mein eigener Gesichtsausdruck, bis ich ihn letztendlich ebenso verärgert ansah, wie das umgekehrt der Fall war. Ich nahm meine Hand von Fayes Arm, um sie stattdessen vorsichtig seitlich an ihren Kopf zu heben und ihn an meinen Oberkörper zu betten, bevor ich ihr behutsam übers Haar streichelte. Als könnte ich sie damit vor dem Ungeheuer schützen, das Aryana aus dem Gefängnis befreit hatte. Wie konnte er sowas sagen? Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, aus was für einem Drecksloch er uns halbtot in den Hügeln geborgen hatte. Er wusste, warum Faye und ich vermutlich nie wieder zu einhundert Prozent funktionieren würden. Wusste, warum wir so kaputt waren und warum Faye allen Grund dazu hatte hier empfindlich zu reagieren. Mochte sein, dass ihre Worte vielleicht nicht besonders vorausschauend gewählt worden waren, aber wenn er doch so gut damit umgehen konnte, sollte er das wegstecken können. Er ging für meine Begriffe mehr als nur ein bisschen zu weit. "Raus hier. Sofort." Ich sprach nicht lauter als vorhin, aber der drohende Unterton und mein Gesichtsausdruck waren unmissverständlich. Wenn er sich nicht entschuldigte und augenblicklich zehn Gänge runter fuhr, dann hatte er hier jetzt nichts mehr verloren. Konnte von mir aus draußen oder Zuhause weiter wütend sein, aber nicht hier in unseren vier Wänden und vor allem nicht Faye gegenüber. Wenn er sich weder in Bewegung setzen, noch sich entschuldigen würde, schmiss ich ihn auch liebend gerne eigenhändig ins Treppenhaus. Ich stand ihm auch nur deswegen nicht direkt gegenüber, weil ich Faye nicht von mir wegschieben wollte. Andernfalls dürfte er mir jetzt schon von unten herauf in die Augen sehen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich bin gestern beim Schreiben fast eingepennt... Hab jetzt bei Faye noch was ergänzt, weil ich grad festgestellt habe, dass die ja irgendwie gar nichts getan hat. x‘D Es ist noch immer nicht viel besser, aber alles neu Schreiben lohnt sich auch nicht.. ich glaube, du kannst mit sowas umgehen, ist ja nicht das erste Mal. xD ________
Sobald Faye ein weiteres Mal den Mund aufgemacht hatte, war klar gewesen, dass gleich die nächste Katastrophe losbrechen würde. Und genau so wars gewesen. Ihre jüngere Schwester war viel zu emotional, um mit solchen Nachrichten irgendwie gefasst umzugehen, das war schon immer so gewesen, hatte sich logischerweise durch alles, was passiert war, auch kein Bisschen verändert. Sie hatte ihre Emotionen nicht halb so gut unter Kontrolle, wie Aryana dies - zumindest meistens - tat. Und so waren die Anschuldigungen, welche Mitch entgegenwehten, zwar nicht überraschend, aber doch auch kein Stück fair. Sie hatte vorhin schon gesagt, dass es nicht Mitch's Entscheidung gewesen war. Dass sie sich selber in dieses Elend gestürzt hatte. Und doch wollte Faye nicht hören, auch dann nicht, als Aryana versuchte, ihren Verstand zurück aufs Programm zu rufen. Viel mehr warf die junge Frau nun auch ihr noch eine Reihe von Tatsachen an den Kopf, die Aryana umgehend alle folgenden Worte schlucken liessen. Sie wusste es ja. Wusste, was Faye durchgemacht hatte wegen ihr und auch wenn sie nie darüber gesprochen hatten, wie genau sie sich eben nach Syrien geschleust hatte, so war doch irgendwo immer klar gewesen, dass auch dort nicht alles nach ganz legalem Wunschprogramm hatte verlaufen können. Wahrscheinlich hatte sie ganz einfach versucht, nicht darüber nachzudenken, weil alles andere ziemlich unerträgliche Schuldgefühle nach sich zog. So wie hier und heute eben. Nur kam die Brünette gar nicht dazu, überhaupt auf Fayes Worte einzugehen oder sich länger den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihr je klar machen sollte, dass sie das nicht tat, um sie zu verletzen. Ein gewisser Jemand kam ihr mit seiner Reaktion nämlich längst zuvor. Allein die Art, wie Mitch sich umdrehte, sein Gesichtsausdruck und spätestens seine ersten paar Worte verrieten, dass wieder irgendeine Tür ins Schloss gekracht war, die sich um aller Anwesenden Willen nicht hätte verschliessen durfte. Aber Fayes Worte waren falsch gewesen. Verletzend, anklagend, selbst wenn sie es nicht so gemeint hätte. Und Mitch war kein Mensch, der sich sowas folgenlos an den Kopf knallen liess. Sie hatte es selbst schon erfahren - unter anderem am Tag seiner Entlassung, als er kurz mittelmässig ausgetickt war, bloss weil sie ihm nicht früh genug von der ganzen Befreiungsaktion erzählt hatte. Da war er genauso kalt geworden wie jetzt, so unberechenbar und verletzend. Nur war es damals sie gewesen, die seine Wut zu spüren bekommen hatte und nicht Faye - ein sehr grosser Unterschied. Aryana war längst aufgesprungen, die paar Schritte auf ihren Freund zugeeilt und hatte sich vor ihn hingestellt, blickte Mitch zwischen entgeistert und flehend an. Sie wusste nicht einmal, was sie sagen sollte, da seine Worte ihr selbst so ziemlich die Sprache verschlagen hatte. Es war noch fast sowas wie in Ordnung, wenn er klarstellen wollte, dass diese ganze Idee auf ihrem Mist gewachsen war und es nicht seine Schuld war, dass sie sich selbst und ihn erneut dem Krieg verschrieben hatte. Sie sich freiwillig ein weiteres Mal durch die Hölle schleifte. Aber in keiner Welt konnte das in Ordnung sein, was sein letzter Satz beinhaltete. Was. Zum. Teufel. Das sagte eindeutig auch ihr fassungsloser Blick. Und die drei dunklen Worte, die von hinten erklangen, offenbar Victors Mund entstammten. Man könnte meinen, Mitch wäre ein weiteres Mal zurückgefallen. Hinter die Mauern des Gefängnisses, wo das stärker Sein als die Anderen der einzige Weg zu Überleben gewesen war. Wo es keinen interessiert hatte, wer wen fertig machte und wo alle gegen alle gekämpft hatten. Und ihr Freund musste sich ganz dringend sehr schnell daran erinnern, dass das hier nicht das Ziel war. Dass sie nicht hergekommen waren, um wie ein Sturm über dieses Haus zu ziehen und alles in Schutt und Asche zurückzulassen. "Mitch...", flüsterte sie leise, flehend in seine Richtung, ihre Augen hafteten ununterbrochen auf seinem Gesicht und sie streckte zögerlich die Finger nach seinen aus, um seine Hand in ihre zu schliessen. Sie hatte überhaupt keine Ahnung, was sie tun sollte. Aber sie konnte unmöglich auf Victors Befehl hören und jetzt einfach gehen, wusste ganz genau, dass Faye ihr das nicht verzeihen würde. Ausserdem ertrug sie auch einfach den Gedanken nicht, im grössten Streit auseinander zu gehen - nicht nach all den Jahren, in denen sie so viele Menschen hatte sterben sehen, Menschen, denen gegenüber ihre letzten Worte teilweise auch alles andere als nett gewesen waren. Langsam wandte sie den Kopf in Richtung des Sessels, in Richtung von Victor, von Faye. Es war sinnlos, diese Worte noch einmal zu betonen. Aber Aryana hatte schlicht überhaupt nichts mehr zu sagen ausser "Es... es tut mir leid, bitte...", und dann verstummte sie wieder, weil sie nicht wusste, worum sie bitten sollte. Da war so vieles... und da war nichts...
Sie war immer ein sehr friedfertiger Mensch gewesen. Hasste Streits und Auseinandersetzungen und alles, was sie ständig begehrte, war Harmonie und Freude und Liebe. Wahrscheinlich war es auch entsprechend fern ihrer eigenen Linie, dass sie Mitch plötzlich diese auf Umwegen herangezogenen Beschuldigungen entgegenschleuderte. Aber das war ihr im ersten Moment gar nicht wirklich klar. Wie gesagt, sie neigte dazu, verrückt und irrational zu handeln, sobald sie sich nur genug Sorgen machte, sobald sie nur wieder zu emotional wurde. Aryanas Einspruch hatte ihr auch schon geholfen, zu realisieren, dass sie besser aufhörte, auf Mitch einzureden. Aber die leise Entschuldigung, die sie im Anschluss noch zwischen zwei Atemzügen hatte verlauten lassen, hatte wahrscheinlich nicht mal den Weg bis zu den Ohren des Ex-Häftlings gefunden. Oder er hatte aufgehört, sich für ihre Worte zu interessieren, nachdem sie offensichtlich so viel zu weit gegangen war. Sie spürte Victors Hand an ihrem Oberarm, seinen Kopf, den er an ihren lehnte. Sie wusste, dass sie sich beruhigen sollte, weil sie überhaupt nichts besser machte. Nur war das wie immer ein sehr schöner Gedanke - aber verdammt schwer in der Umsetzung. Und spätestens, als Mitch sich in Bewegung setzte, war dann auch klar, dass sowas wie Beruhigung auf ihrer - wie auf seiner - Seite in weiter Ferne lag. Sie spürte, wie ihr Herz zehn Gänge rauf schaltete, unruhig gegen ihre Brust zu pochen begann im Versuch, dem Elend, das ihre Person mal wieder von Kopf bis Fuss ausmachte, zu entkommen. Ihre Augen lagen direkt in seinen, liessen genau wie umgekehrt keine Sekunde von Mitch ab. Nur war ihr Blick nicht halb so wütend und verschlossen sondern viel mehr wie immer das Fenster ihrer Seele. Und ihre Seele wollte nicht glauben, was er gerade sagte. Sie wusste, dass es stimmte, dass Aryana die Entscheidung selbst getroffen hatte. Und das war schon schrecklich genug. Nein, es wäre ihr nicht lieber gewesen, wenn er gestorben wäre. Nein, sie hatte damit nicht sagen wollen, dass er besser alleine ein weiteres Mal durch die Scheisse zog. Sie hatte nur... Ja, was? Sie hatte ihm sagen wollen, dass sie ihre Schwester nicht verlieren wollte. Das hatte er schon gewusst. Sie hatte... Sie wusste es nicht. Und sein letzter Satz war die Retourkutsche für alles, was sie vorhin rausgelassen hatte. Ein Schlag ins Gesicht und sie wäre beinahe zusammengezuckt bei den Klängen seiner Worte. Zog die Schultern hoch und den Kopf dazwischen, schlug dabei auch augenblicklich den verletzten Blick nieder mit dem sie ihm bisher noch wacker stand gehalten hatte. Du bist nicht die Einzige hier, der es damit beschissen geht, hatte er gesagt. Wann hatte sie sowas erwähnt?? Sie wusste, dass alle darunter litten. Nur gab es keinen Aspekt der Welt, unter dem sie diesem Umstand etwas Positives abgewinnen konnte. Faye wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Spürte nur das altbekannte Brennen in den Augenwinkeln, kaum legten sich Victors Arme erneut um sie. Sie wollte nicht weinen. Aber eigentlich spielte es auch keine Rolle mehr. Und sie hatte nichts mehr zu sagen. Sie hörte, wie Victor den beiden sagte, sie sollten verschwinden. Wusste nicht, ob sie das wollte, weil das rauschende Karussell in ihrem Kopf ihr das Denken verbot. Irgendwo hörte sie ihre Schwester sprechen. Und immer wieder hallten Mitch's Worte in ihrem Kopf wieder. Spar dir dein verdammtes Selbstmitleid und lern damit umzugehen, was für eine grandiose Idee. Wieso war sie nicht selbst drauf gekommen? Ihr war schwindlig. Sie wollte schreien, krallte sich an Victor fest. Aber eigentlich wollte sie weg. Mal wieder einfach weg, an einen Ort, an dem es nicht mehr wehtun konnte. An dem die Sorgen endlich ein Ende fanden. Wahrscheinlich sollte sie etwas sagen, zu Mitch, zu Victor, zu Aryana. Aber ihr fielen keine Worte ein und irgendwie war da nichts mehr übrig. Und als sie den Mund aufmachte, ohne irgendwen dabei anzuschauen, kam auch nichts dabei raus. „Ich... ich wollte nicht...“, sie konnte nicht mal einen Einzigen schlauen Satz formen, um Mitch klar zu machen, dass sie das nicht so gemeint hatte. Dass sie ihn nicht wirklich für dieses Desaster verantwortlich machte. Dass er insgesamt Recht hatte mit der Aussage, dass sie nicht damit klar kam. Egal wie sehr sie glauben wollte, aus ihrem Loch zurück ans Tageslicht gekrochen zu sein - am Ende brauchte es ja doch nur eine Einzige schlechte Nachricht und sie tauchte wieder komplett ab. Dachte nicht nach. Redete Dinge, die sie nicht sagen wollte. Löste dadurch nur das noch grössere Drama aus und machte es am Ende für alle schwerer als es sein sollte. Weil sie hier mal wieder bestens bewies, dass Victor und Aryana damals Recht gehabt hatten: Sie konnte nicht mit schlechten Neuigkeiten umgehen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Alles juuuut, ich komm schon zurecht. Hab jetzt aber trotzdem ewig gebraucht, um mich zu entscheiden, wie Mitch weiter reagiert. Er's halt nich so dafür gemacht die Klappe zu halten in seiner unguten Verfassung. x'D ____
Spätestens der leise Tinnitus, der nach meinen letzten Worten in meinen Ohren einsetzte, hätte mir wahrscheinlich klar machen müssen, dass ich überreagierte. Dass ich mit meiner Reaktion weit über die Stränge schlug - vor allem Faye gegenüber, aber auch in Hinsicht auf mich selbst. Der Streit mit Aryana lag noch gar nicht weit zurück und eigentlich wusste ich spätestens seitdem bestens, dass ich grundsätzlich erst einmal durchatmen sollte, bevor ich irgendwas sagte. Dass ich momentan doch gewissermaßen unberechenbar war und mir selbst einen Gefallen damit tun sollte, erst zu denken und dann zu reden. Es fiel mir nur einfach wahnsinnig schwer, nicht sofort in eine altbekannte Abwehrhaltung zu schlüpfen, wenn ich mich falsch behandelt fühlte. Dass ich sofort anfing mich zu verteidigen und damit wiederum anderen ans Bein zu pissen, war im letzten Jahr irgendwann wieder so zum Regelfall geworden, dass sich dieses Verhalten kaum innerhalb von wenigen Tagen wieder gänzlich ablegen ließ - ohne das Ganze schön reden zu wollen. Es war nicht gut von mir so zu reagieren. Niemandem gegenüber. Aber mein Kopf machte gerade wirklich nicht den leisesten Unterschied dazwischen, ob ein gebrechliches, psychisches Häufchen Elend vor mir saß, oder ob es sich stattdessen um einen potenziell wirklich gefährlichen Mitinsassen handelte. Ich behandelte beide Situationen gleich, weil ich keine von beiden anders ertragen konnte. Es war eben leider nicht so, als hätte ich den ganzen psychischen Schutt, der sich in Haft in mir angesammelt hatte, mal eben hinter den hohen Zäunen zurücklassen können. Vielleicht musste ich jetzt nicht mehr allein sein - auch, wenn ich im Augenblick wieder auf einem guten Weg dahin war - und eingesperrt war ich auch nicht mehr, aber meine Seele saß noch immer in dem gleichen Käfig fest. Bekam vielleicht mehr Luft zum atmen, etwas mehr Ausgleich als vorher, aber das Trauma blieb bestehen. Gesellte sich zu den zahlreichen anderen, die ich in meinem Leben gesammelt hatte. Man sollte vielleicht meinen, dass es irgendwann keinen Unterschied mehr machte. Dass man, wenn man im Leben einfach schon zu viel Scheiße erlebt und gesehen hatte, einfach innerlich starb und es gar nicht mehr wahrnahm, wenn immer mehr dazu kam. Und ja, ein gewisser Teil von mir war in den letzten Jahren drauf gegangen. Der kleine, damals noch so empathische und etwas zu introvertierte Junge, der lieber sein Pausenbrot abgab, als in schmerzhafte Schwierigkeiten zu kommen. Den hatte ich schon in meiner frühen Jugend beerdigt. Kurz nach meinem Einzug in die Army hatte ich dann den taffen Jugendlichen dazu gelegt, der irgendwo zwischen Drogenkonsum und Bruchbude von Mietwohnung trotzdem noch sowas wie Optimismus gehabt hatte, das alles irgendwann schon gut werden würde. Inzwischen wusste ich nicht mehr, woran ich überhaupt noch glauben sollte. Ich spürte zwischen der Liebe kaum noch etwas anderes als Schuld, Schmerz und Wut. Ich sah noch immer nicht zu Aryana, als ich spürte, wie sich ihre Finger an meine Hand legten. Auch ihre nur leise Stimme vermochte mich nicht wirklich wachzurütteln, während meine Augen über ihren Kopf hinweg zwischen Faye und Victor hin und her glitten. Mindestens letzterer wollte mich jetzt nicht mehr hier haben, während Faye nur mehr Bruchstücke eines vollständigen Satzes vor sich hin murmelte. Erst danach rutschte mein Blick zu der Brünetten direkt vor mir ab. Mir war wirklich danach ihre Hand einfach loszulassen und zu gehen. Vorerst wich ich mit meinem Blick kopfschüttelnd begleitet von einem leisen Schnauben zur Seite aus. "Du solltest echt dankbar dafür sein, dass du überhaupt Familie hast. Vielleicht weiß ich nicht wie es ist sie zu verlieren... aber ich weiß wie es ist keine zu haben. Tu' euch beiden also einen Gefallen und verbring' wenigstens nicht den Rest eures gemeinsamen Lebens damit, Aryana Vorwürfe zu machen." Ich sprach zwar leiser als vorher zu Faye, während ich meine Augen wieder in ihre Richtung lenkte, aber ich klang zweifellos noch immer reichlich angepisst. "Was wolltest du denn nicht? Mir ins Gesicht knallen, dass wieder mal ich der Sündenbock für jede gottverdammte Scheiße auf diesem Planeten sein soll? Aber hey, schon okay. Was kann mir schon noch weh tun, hm?", ließ ich all meinen Gedanken zum Leidwesen der Anwesenden freien Lauf. Der grimmige Gesichtsausdruck wich einem durchweg künstlichen Lächeln, das meine Augen nicht erreichte, als ich die Augenbrauen kurz nach oben zucken ließ. Ich hatte es satt, dass ständig Unterschiede gemacht wurden. Wenn Faye mir Mist an den Kopf knallte, der mich weiß Gott wo traf, dann war das schon irgendwie okay, weil sie das kleine, ewig kaputte Ding war. Aber wenn ich das dann wiederum als bloße Resonanz tat und das Ganze nicht mal angezettelt hatte, war ich der Böse? Weil ich so viele Menschen auf dem Gewissen hatte und bestimmt sowieso nichts mehr fühlte? Ich löste vollkommen blind vor Ärger meine Finger aus Aryanas, sah sie dabei nur noch einen kurzen Moment lang ebenso kalt an wie den anwesenden Rest. Dann wendete ich mich ab, um mich an ihr vorbei zu schieben und wie von Victor gewünscht den Flur anzusteuern. Erstens hatte ich im Moment nicht vor mich für etwas zu entschuldigen, das mir noch nicht leid tat und zweitens konnte ich auf weitere Gesellschaft gerade wirklich bestens verzichten.
Ich hatte inständig darauf gehofft, dass meine paar wenigen Worte dazu ausreichten, Mitch entweder zu Einsicht oder zum Gehen zu bewegen. Oder dass zumindest Aryanas inständige, wenn auch indirekte und nur sehr leise Bitte darum, dass er sich beruhigen sollte, genug dafür war. Ich strich Faye unaufhörlich über den Kopf, um die sich schon wieder anbahnenden Tränen nach Möglichkeit etwas einzudämmen. Hoffte, dass sie sich gleich wieder beruhigen würde, denn allein schon die Tatsache, dass sie sich krampfhaft an mir festzuhalten begann, bereitete mir die nächstschlimmere Version von ungutem Bauchgefühl. Ihr tat jetzt schon wieder leid, was sie eben gesagt hatte. Vielleicht sagte sie das nicht wortwörtlich so, aber der Ansatz zum Widerrufen ihrer vorherigen Worte sollte genug sein, um zwischen den Zeilen zu lesen. Sollte man zumindest meinen. Aber das war wohl der gravierende Unterschied zwischen Faye und Mitch - die zierliche Brünette wusste, wann sie etwas falsch gemacht hatte, was man von dem Hitzkopf nicht behaupten konnte. Während alle damit beschäftigt waren die Wogen auf den letzten Drücker noch irgendwie glätten zu wollen, schwamm er weiter gegen den Strom... und ich verstand es nicht. Wirklich nicht. Was erhoffte er sich denn nun davon? Dass wir ihm jetzt sagten, dass er damit Recht hatte? Mochte schon sein, dass es Aryana auch nicht vor der erneuten Verpflichtung rettete, wenn Faye ihr mitteilte, wie sehr sie das verletzte. Stimmte so durchaus. Aber das war gerade eben ihre Art damit umzugehen und die war mir bei weitem lieber als die Sicherungen, die bei ihm im Hirn kläglich versagten. Es hatte ja auch gar Niemand hier behauptet, dass es in Ordnung gewesen war, dass die zierliche Brünette auf meinem Schoß ihm solche Anschuldigungen zugespielt hatte. Wirklich Niemand. Aryana hatte das Unheil sicher genauso wie ich schon kommen sehen, bemessen an ihrer Reaktion auf Fayes Worte. Ich hatte nicht vergessen, dass ich es dem Tätowierten verdankte, dass ich jetzt hier mit Faye sitzen konnte. Dass er es gewesen war, der mich auf dem Weg aus den Hügeln gestützt hatte, weil ich allein niemals hätte laufen können. Das hieß aber nicht, dass er sich deswegen jetzt alles erlauben durfte und sich aufführen konnte wie das letzte Arschloch. Vielleicht würde mich die bittere Note seiner ach so netten Ansprache später irgendwann noch zum Nachdenken anregen, aber jetzt gerade in diesem Moment? Ich war einzig damit beschäftigt Faye noch etwas fester zu umarmen im verzweifelten Versuch, sie damit vor seinen Worten abzuschirmen. War dann drauf und dran ihm zu sagen, dass ich mich nicht noch einmal wiederholen müssen wollte, als er sich schließlich doch eigenständig zum Gehen wandte. Ich hätte Mitch gerne hinterher geworfen, dass er sich das nächste mal, wenn er mir gegenüberstand, verdammt warm anziehen sollte, weil ich jetzt wirklich stinksauer auf ihn war. Aber ich verkniff es mir, weil ich nicht wollte, dass er doch wieder anhielt oder sich gar nochmal umdrehte und wieder irgendeinen Mist von sich gab. Beließ es dabei ihm mit meinem Blick Löcher in den Rücken zu bohren, ehe ich mich zu Faye nach unten beugte und ihr einen Kuss auf den Haaransatz drückte. "Hör nicht auf ihn. Er kriegt sich schon wieder ein.", murmelte ich ihr ein paar leise, besänftigende Worte ins Haar. Dicht gefolgt vom nächstens Kuss, bei dem ich die Augen schloss und danach atmete ich etwas tiefer durch. Hatte selbst Aryana nur so wenig Einfluss auf Mitch..? Ich kannte ihn ja auch nach wie vor nicht besonders gut, wusste nicht viel über ihn, aber selbst für mich war offensichtlich, dass sich so Einiges bei ihm angestaut hatte, das er schleunigst aufarbeiten sollte. Mindestens Fayes älterer Schwester zu Liebe. Ich glaubte nur nicht, dass er Verweise auf gute Therapeuten in der Umgebung dankend annehmen würde.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Man kann nicht zu viel erwarten - letztlich sind alle Vier - und besonders die Zwei - dezent emotionale Krüppel und er lebt das einfach etwas... unsensibel anders aus. XD Man muss es ja irgendwie spannend halten, nicht? x'D ____________
Sie hatte gehofft, dass er ihre Worte richtig deuten und das Gespräch beenden würde. Dass es ihn beruhigte, wenn sie wenigstens nicht nochmal ausholte und zurückschlug. Als wäre sie dazu wirklich noch im Stande gewesen... Aber Mitch schien das in seiner Wut auch gar nicht mehr nötig zu haben, um nochmal zum Reden anzusetzen und davon hielten ihn weder Victor noch Aryana oder gar sie selber ab. Er knallte ihr die nächsten Behauptungen um die Ohren, ohne sie dabei anzuschauen, richtete erst nach einigen Sätzen den Blick wieder zu ihr. Aber das spielte auch keine Rolle - sie für ihren Teil starrte längst nur noch überfordert und verloren vor sich hin, in die mal wieder leicht verschwommene Welt hinaus. Sie brauchte ihn auch nicht anzusehen, um die volle Wirkung seiner Worte zu spüren. Alles von dem, was er sagte, brannte sich in ihr Gedächtnis. Und alles tat weh. Denn egal was Mitch gerade glaubte - er war trotzdem genau wie sie nicht die einzige Person im Raum, der alles über den Kopf wuchs, die Schmerzen spürte, welche sie niemals hatte spüren wollen. Ihre ganz persönliche psychische Folter durchlief, die gefühlt durch keine lebende Person gelindert werden konnte. Sie hörte, wie er sich abwandte und seine Schritte in Richtung Wohnungstür verklangen. Sie wusste genau, was passierte, wenn Mitch jetzt so nach draussen ging. Er würde wütend durch die Strassen stapfen. Vielleicht würde Aryana ihm hinterherlaufen. Oder fahren. Letztendlich wären die beiden wieder Zuhause. Sie würden sich ziemlich hässlich streiten. Und das wäre dann ihre Schuld. Schon möglich, dass das Drama, welches dem Ganzen vorausgegangen war, nicht auf ihrem Mist gewachsen war. Aber es hätte auch anders ausgehen können, wenn sie nicht so reagiert hätte. Es hätte nicht in einem solchen Streit ausarten müssen. Jedes Wort, welches Mitch ihr entgegen geschleudert hatte, hatte sich tief in ihr Herz gebohrt und sie wusste, dass das gerade eben seine ehrliche, verzweifelte Meinung gewesen war. Und die tat verdammt weh - aber sie kam nicht von Ungefähr. Er hatte sich absolut daneben ausgedrückt, in einem Ton, in dem man sich nicht äusserte. Aber doch war ein Stück Wahrheit in seine Wut gemischt und sie wusste es. Sie wollte keine Zeit mit Streiten vergeuden. Sie wusste, dass sie trotz allem unendlich glücklich sein konnte, überhaupt eine Schwester zu haben, die sie lieben konnte und die sie genauso zurückliebte. Und sie wusste, dass sie Mitch nicht wirklich dafür beschuldigen konnte, Aryana schon wieder pokern zu sehen. Es war die Entscheidung ihrer Schwester gewesen und Aryana hatte so entschieden, weil sie anderes nicht mehr hatte leben wollten. Sie wusste sogar, dass sie selber das Gleiche getan hätte, dass sie kein Recht dazu hatte, irgendwem Vorwürfe dafür zu machen, dass das Leben mal wieder eine kleine, unberechenbare Bitch zu ihnen allen war. Und da war auch wieder das mit dem wütend zur Tür raus gehen, was Mitch in ein paar Sekunden tun würde. Eigentlich sollte es ihr egal sein, nach allem, was er ihr gerade entgegengeknallt hatte. Aber der panische Teil ihres Köpfchens, der mit den endlosen Verlustängsten, der immer mal wieder spontan Alarm schlug und ihr mitteilte, dass sie gleich jemanden verlieren würde, liess das nicht zu, liess stattdessen alle Warnglocken schrillen und sie sich in Victors Schoss aufrichten. Sie blickte zu Victor, der sich alle Mühe gab, sie zu beruhigen, als wäre das eine Mission mit erfolgsversprechenden Aussichten. Aber ihr Blick war nicht klar genug, um ihn wirklich zu erkennen, zumindest nicht, bevor sie die verkrampfte Hand von ihm gelöst und sich über die Augen gestrichen hatte. Sie öffnete den Mund, schüttelte letztendlich aber doch nur wortlos den Kopf, war dabei schon im Begriff, auf die Füsse zu springen und ihre Beine soweit zu sortieren, dass sie kurzum hinter Mitch her laufen konnte. Er stand noch im Flur - den offenen Schnürsenkeln seiner Schuhe sei Dank. Faye rannte auf ihn zu, quetschte sich an ihm vorbei, um sich stattdessen vor die Wohnungstür zu stellen, ihm so zumindest vorübergehend den Weg zu versperren. Noch immer hatte sie ihren Kopf mehr schlecht als Recht sortiert und ihr Herzschlag war unruhig und zu schnell, aber sie war sich ziemlich sicher, dass er ihr kaum geduldig die Zeit schenken würde, die sie brauchte, um wieder halbwegs Denken zu können. Sie musste seine vorhergehenden Worte für den Augenblick nur in den Hintergrund schieben und sich erst später wirklich damit zu befassen, weil sie sonst überhaupt keinen Ton über die Lippen bringen würde. Ihre Stimme war somit wenig überraschend leise, heiser und unsicher, als sie, kaum waren seine Schuhe gebunden, zu sprechen begann. "Es tut mir leid. Wirklich, Mitch, ich... ich wollte dich nicht verletzen, ich... hab nicht nachgedacht... Ich will dir nicht die Schuld geben... Es ist nur manchmal so... schwierig und frustrierend und dann... dann kann ich nicht mehr richtig denken... und das ist nicht fair... es tut mir wirklich leid. Ich will euch beiden keine Vorwürfe machen, und ich... ich bin unendlich dankbar für Aryana... Und für dich und dafür, dass du sie... trotz allen Umständen wieder... leben lässt... ich hoffe wirklich, dass ihr glücklich werden könnt und... irgendwann vielleicht... wenn es uns allen etwas besser geht... und du das willst... können wir für dich die Familie sein, die du nie hattest...", sie hatte Angst, dass gleich ein böses Lachen folgte oder er ihr anderweitig mitteilte, dass er gar kein Interesse daran hegte, sie zu einem Teil seiner neuen Familie zu machen. Darum hatte sie auch noch während sie sprach den verschleierten Blick erneut gesenkt, schob sich nun wieder zur Seite, um die Tür freizugeben, falls er noch immer plante, zu verschwinden. Sie war sich nicht sicher, mit einer weiteren Schimpftirade von ihm für sie umgehen zu können, hoffte daher wirklich, dass er entweder ging oder sich beruhigte, egal wie schlecht die Chancen diesbezüglich stehen mochten. Sie hatte versucht, den Streit zu beenden. Und mehr konnte sie nicht tun, um ihn am wütenden Gehen zu hindern. Er musste nur wissen, das es ihr wirklich leid tat, der Rest lag auch jetzt wieder bei Mitch und wenn er verschwinden wollte, dann sollte sie nicht länger seinen Weg versperren.
Sie hatte nicht erwartet, dass ihr Versuch, ihn in seinem mittleren Wahnsinn zu stoppen, wirklich fruchten würde. Aber sie hatte es sehr fest gehofft. Und wenn er nicht auf sie hörte, dann wenigstens auf Victor, der ihn sehr eindeutig zum Gehen verbannte. Doch nichts von beidem schien wirklich zu Mitch durchzudringen. Nein, sein Blick blieb genauso kalt wie davor, als er für eine kurze Sekunde auf ihre Augen traf, ihrem Herzen damit den nächsten Stich versetzte. Und statt wenigstens zu schweigen oder eben einfach zu gehen, hielt er es für sinnvoll, Faye weitere Worte um die Ohren zu schleudern. Ihre Schwester damit nun seinerseits - auch wenn er das sicherlich nicht hören wollte - indirekt zu beschuldigen und für das Elend verantwortlich zu machen, das in seinem Leben eine solch prominente Rolle spielte. Dass er keine Familie hatte und dass ihm so oft die Schuld für jegliches Übel gegeben wurde, waren zwei Punkte, die eigentlich überhaupt nichts mit Faye zu tun hatten. Und doch warf er es nun genau ihr an den Kopf, als sollte sie sich dafür noch sehr viel schlechter fühlen, als sie es offensichtlich schon tat. Das war nicht fair. Und das würde sie ihm sehr bald auch persönlich entgegenbringen, wenn sie erstmal alleine wären. Der Moment schien nicht mehr allzu fern, als Mitch sie schliesslich noch einmal mit dem gleichen wütenden Blick betrachtete, seine Finger von ihren löste und sich - zum Glück ohne weitere Worte - zum Ausgang aufmachte. Sie wollte nicht, dass er so wütend durch die Strassen stapfte. Vielleicht hatte sie auch Angst, dass irgendwas passierte, er war einfach so unberechenbar in diesem Zustand. Er hätte sich niemals so kopflos wütend gegen Faye - oder eigentlich gegen irgendwen - gewandt, bevor er im Knast gewesen war. Aber das Gefängnis hatte ihn zurückgeworfen und Aryana war sich noch immer nicht sicher, wie weit in die Vergangenheit das genau war. Wo sie ihn wieder suchen musste. Wie lange es dauern würde, bis sie wieder sowas wie einen gesunden Zustand erreichten. Und sie wusste auch nicht, wie lange sie das mitmachen konnte. Wenn er gegenüber ihr austickte, dann tat das weh. Es war nicht okay und sie hasste es. Aber gegenüber anderen Leuten war es noch weniger okay. Besonders gegenüber Victor und Faye, die dem Ganzen mehr wie Zuschauer gegenüberstanden. Er hätte ja auch einfach in Anständig erklären konnte, dass ihre Schwester falsch lag. Offensichtlich hätte es mehr auch nicht gebraucht, die Brünette zur Einsicht zu bringen. Nur hatte sich das mit anständig und gemässigt eben wieder zu einer sehr schwierigen Aufgabe für Mitch entwickelt... Sie war bereit, mit ihm diesen Weg zu gehen - aber es gab Grenzen, die er nicht überschreiten durfte. Und das hier war eine, wahrscheinlich die Wichtigste davon. Denn sie konnte nicht kontinuierlich hinter ihm stehen, während er Faye zusammenstauchte. Nicht mal ein Bisschen. Das war auch der Grund, weshalb sie noch so verloren im Raum stand, als Mitch sich bereits aufgemacht hatte, um zu gehen. Sein Blick hatte auch nicht unbedingt nach ihrer Gesellschaft geschrien - wahrscheinlich wäre es ihm also nur Recht, wenn er nach Hause laufen oder ein Taxi nehmen musste. Ihr war zwar nicht wirklich wohl bei dem Gedanken, aber genauso wenig konnte sie jetzt die anderen Zwei hier sitzen lassen und einfach nichts mehr sagen... Auch wenn es sowieso nichts mehr zu retten gab. Dass Faye diesbezüglich anderer Meinung war, zeigte sich wenig später darin, dass die junge Frau sich mühsam auf die Beine hievte und nach einem aufgelösten Blick zu ihrem Freund tatsächlich beschloss, Mitch hinterher zu laufen. Das war nicht gut. Aryana sah die Erfolgschancen eines solchen Unterfangens - ganz egal, was Faye auf dem Weg zu tun oder sagen war - bei ungefähr minus zehn Prozent. Was auch der Grund war, weshalb sie nach einem dezent überforderten Blick in Victors Richtung zurück in den Flur eilte, wo sie Faye schon an der Tür stehen sah und wenig später ihre leisen Worte vernahm. Es war ja schön und gut, dass sie sich entschuldigen wollte. Aber Mitch hatte vorhin schon zum Ausdruck gebracht, dass er das gar nicht hören wollte. Dass er sich nicht dafür interessierte, weil er zu wütend war, um überhaupt etwas richtig aufnehmen zu können und nicht einfach wieder als die nächste Kritik, das nächste Fressen, um ein weiteres Mal auszuticken. Entsprechend besorgt ging Aryana auch näher. Schloss nicht ganz zu den beiden auf und sagte auch nichts, flehte Mitch nur innerlich dazu an, einfach zu Nicken und sich durch die nun wieder freie Tür zu verpissen, weil alles andere purem Wunschdenken entsprach und sie ihn nicht noch einmal ihre Schwester anschreien sehen konnte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Eben, eben. Man darf's hier Niemandem leicht machen, wo kommen wir denn da hin? <.< x'D ____
Mein Kopf war wohl gleichermaßen leer, wie er voll war, als ich mich nach den Schuhen bückte und reinschlüpfte. Mir schon kurz darauf wünschte ich hätte sie vorhin lockerer gebunden, damit ich sie nicht erst noch hätte aufmachen und neu zubinden müssen. Dann wäre ich vielleicht rechtzeitig aus der Wohnungstür rausgekommen, ohne dass Faye noch eine Gelegenheit dazu gekriegt hätte, mir weiter auf die Nerven zu gehen. Als wäre es andersherum so viel anders. Als könnte sie nicht ebenso gut darauf verzichten, dass wir weiter unschön aneinander gerieten - mild ausgedrückt. Das Risiko schien es ihr aber wert zu sein, machte sie doch tatsächlich nochmal den Mund auf, als sie an mir vorbei zur Haustür gegangen war. Sich davor stellte, als könnte sie mich wirklich aufhalten, wenn ich an ihr vorbei nach draußen wollte. Die Schuhe waren zu und ich hatte mich wieder aufgerichtet. Schüttelte kaum sichtbar den Kopf und sah danach schräg nach rechts an Faye vorbei, weil mir wirklich nicht einleuchtete, weshalb ihr etwas daran lag mich nicht einfach so gehen zu lassen. War es nicht offensichtlich, dass ich gerade ziemlich gezielt alle von mir hatte wegstoßen wollen? Dass es zweifelsfrei besser wäre, mich in meinem Gemütszustand nicht weiter aufzuhalten? Sie schien da anderer Meinung zu sein und begann sich lang und breit zu entschuldigen. Mir zu erörtern, warum sie gesagt hatte, was sie gesagt hatte. Ich müsste lügen, um zu sagen, dass nicht auch davon ein Teil einfach zum einen Ohr rein und zum anderen gleich wieder raus ging. Das erste, womit sie meine Aufmerksamkeit wirklich ein bisschen weniger blind auf sich zog, war als Faye sagte, dass sie froh darüber war, dass ich Aryana wieder sowas wie leben ließ. Ich stellte mir danach unweigerlich die Frage, ob das noch lange so sein würde. Es konnte kaum gut sein, wenn ich sie hauptsächlich dadurch aufleben ließ, dass ich ihr alle paar Tage neue Gründe dafür gab sich über mich aufzuregen. Das war im Grunde ja auch gar nicht mein Ziel gewesen. Wobei ich auch gar nicht wusste, was überhaupt das Ziel war. Glücklich werden? Für mich klang das nur mehr nach blanker Utopie. Lag in unerreichbarer Ferne, war nicht greifbar. Einen Augenblick lang flackerte ein kurzer Gedanke an das Gespräch auf, dass Aryana und ich mit Alkohol auf dem Balkon geführt hatten. Die Perspektiven dafür irgendwann mal etwas vom Leben zu haben waren schon da, auch wenn sie weit weg waren. Und es war ganz sicher nicht normal oder gut, dass ich es für weniger unwahrscheinlich hielt Easterlin folgenlos beseitigen zu können, als dass danach plötzlich alles in Butter war und das Leben leicht wurde. Größenwahn gepaart mit Pessimismus klang selbst für mich ungesund. Aber es war erst die Familiensache, die Faye ganz am Ende anfügte, die mich den Blick letztendlich in ihr Gesicht richten ließ. Mal ganz unabhängig davon, dass ich mir nicht sicher damit war, ob sie mich als verkorksten Unruhestifter denn wirklich in ihrer Familie haben wollte, wusste ich auch gar nicht, ob ich das überhaupt wollte. Ich war oft froh darüber gewesen keine zu haben, wo so viele Leute doch nur Ärger mit der ihren hatten. Sich nur unnötigen Stress damit aufluden, den ich für meinen Teil nun wirklich nicht auch noch gebrauchen konnte. Aber machen wir uns nichts vor - ich war für eine sehr lange Zeit sehr einsam gewesen und das war mindestens genauso ungesund. Nur musste ich, wenn ich alleine war, mir um Niemanden Sorgen und Gedanken machen, außer mich selbst. Mir schien beides schrecklich zu sein. Für ein paar Sekunden lang musterte ich sie schweigend mit noch immer nicht wirklich entspannterem Gesichtsausdruck. Hatte auch Aryana kommen hören, aber sie bewegte sich nicht bis in mein Sichtfeld, hatte ich mich doch längst gänzlich Faye zugewandt. Ich hatte unterbewusst die kribbelnden Fäuste geballt. Nicht, weil ich hier Jemanden schlagen wollte, sondern weil ich mit der Anspannung nicht anders umgehen konnte. Letztendlich wandte ich mich mit einem leisen Knurren der leeren Wand rechts neben mir zu. Hob die Hände ein Stück weit an, um mich mit den Unterarmen links und rechts neben meinem Kopf an die Wand zu lehnen, den Schädel nach vorne kippen zu lassen und die Augen einen Moment lang zuzumachen. Das mit dem nicht denken können hatten wir beide wohl gemeinsam. Vermutlich hatte Faye nur deshalb irgendeinen winzigen Punkt in meinem Kopf getriggert, weil ich es nicht gewohnt war, das Jemand... naja, so reagierte, wenn ich austickte. Mich am Gehen hindern wollte, mir sagte, dass sie froh um mich in Aryanas Leben war und mich am Ende noch zur Familie einlud, was grotesker kaum sein könnte. Meine Stirn lag noch immer in tiefen Falten, als ich die Augen fester zusammenkniff im verzweifelten Versuch meinen Schädel grade zu rücken. Ich hätte mir am liebsten die Haut vom Gesicht gezogen, als ich mich nach zwei schier endlos langen, schweigsamen Minuten voll tiefer, eher nutzloser Atemzüge wieder aufrichtete. Von Ruhe war ich nach wie vor weit entfernt, als meine Augen nach Fayes suchten. Ich wartete darauf, dass sie mich ebenfalls ansah, bevor ich ihr mit einem schwachen, seitlichen Nicken bedeutete mir zu folgen - sofern sie wollte, allein war ich grade auch gern - und mich wieder umdrehte. Aryana hingegen streifte ich nur mit einem kurzen Blick, der nicht unbedingt dazu einlud sich auch dabei wieder anzuschließen. Wenn ich was nicht leiden konnte, dann war das Überwachung - vollkommen irrelevant, ob sie angebracht war oder nicht. Ich zog noch während meiner ersten Schritte die Kippenschachtel aus der Hosentasche. Steuerte den Balkon an, als ich das Wohnzimmer wieder betrat. Drehte dort den Kopf Victor zu, der nicht minder beunruhigt im Sessel saß, als Aryana gerade im Flur gestanden hatte. [hab ehrlich gesagt keine Ahnung mehr, ob die auch 'nen Balkon hatten, aber jetzt haben sie einen. Da freuen sie sich bestimmt. x'D]
Ich wusste zwar, dass Faye einen ziemlich vehementen Drang dazu hatte keine Menschen aus ihrem Umfeld zu verlieren, weil sie mir das schon sehr oft ziemlich deutlich gemacht hatte... aber auch sie verstand ich nicht viel besser als Mitch, als sie sich aus freien Stücken von mir löste und nach einem kurzen Blickwechsel sogar aufstand, um ihm zu folgen. Sich freiwillig erneut in den Gefahrenradius zu bewegen. Ich kam nicht umher mich ebenso wie die zierliche Brünette selbst aufzurichten und ihr doch sichtbar verblüfft nachzusehen. Allerdings mischte sich die Sorge darum, was sie damit vielleicht anrichten könnten, sehr bald wieder mit in meine Gesichtszüge. Die Situation gerade eben war schon mehr als genug aus dem Ruder gelaufen und ich konnte wirklich bestens darauf verzichten, dass er alles noch schlimmer machte, nur weil Faye manchmal nicht wusste, wann sie etwas besser gut sein lassen sollte. Noch bevor ich mich von diesem Gedanken hatte leiten lassen können, setzte sich allerdings Aryana bereits in Bewegung, um zur Verfolgung anzusetzen. Ich hatte trotzdem das dringende Bedürfnis mir das Ganze ebenfalls mit eigenen Augen anzusehen. Stand nach noch ein paar mehr Sekunden auf, hielt aber doch noch einmal inne und lauschte. Es blieb vorerst ruhig und ich glaubte zu wissen, dass ich es vermutlich eher nicht besser machen würde, wenn ich ebenso den Aufpasser spielen wollte. Vielleicht reichte es aus, wenn die ältere der beiden Schwestern noch mit von der Partie war. Mit dem Gedanken dennoch sofort aufzuspringen, wenn der ehemalige Gefängnisinsasse noch einmal laut werden sollte, ließ ich mich nervös zurück auf das Sesselpolster sinken und blieb dabei aber sehr aufrecht sitzen, kam gar nicht mit dem Rücken an der Lehne an. Während meine Augen ziellos auf dem Couchtisch hin und her wanderten blieben meine Ohren gespitzt - wirklich viel hören konnte ich aber nicht. Nur Fayes Stimme und das so leise, das ich keine Ahnung davon hatte, was sie sagte. Wenig später eine Art Gegrummel, wohl seitens Mitch. Danach dann eine ganze Weile nichts mehr. Nicht einmal eine ins Schloss fallende Wohnungstür. Einfach gar nichts. Ich war drauf und dran doch noch aufzustehen, dann aber hörte ich Schritte und wenig später trat der Ex-Häftling ins Wohnzimmer. Meine Augen lagen sofort wieder auf ihm und ich traf mit meinem Blick auf seinen. Er sah nicht wirklich so aus, als hätte er sich beruhigt. Seine Schultern wirkten nach wie vor angespannt, die Augenbrauen hatten noch immer nicht ihre eigentliche Position wiedergefunden. Der einzige Unterschied war wohl, dass seine Augen nicht mehr ganz so aggressiv funkelten. Zwar immer noch sehr lebhaft, aber zumindest ein klein wenig milder als zuvor. Und er schrie nicht, während er sich quer durch den Raum in Richtung Balkontür aufmachte. Meine Augen streiften die Schachtel in seiner Hand, als er mit der anderen eine Kippe und ein Feuerzeug rauszog. "Reiß dich zusammen, verstanden? Sonst werd' ich ungemütlich.", gab ich ihm ein paar ausdrücklich mahnende Worte mit auf den Weg, als er sich die Zigarette zwischen die Lippen steckte und die Hand an den Griff legte. Es war sicher besser, dass er dabei schon in einem Winkel zur Tür stand, in dem ich sein überzogenes Augenrollen nicht sehen konnte. "Ja doch.", war alles, was ich an reichlich genervter, wörtlicher Resonanz bekam, bevor er sich nach draußen verzog.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +