Es tat ihr in der Seele weh, wie mühsam Faye die Lippen bewegte. Wie sie dabei kaum den Kopf heben konnte, weil das in ihrer Position einfach nur anstrengend war. Sie wollte ihr helfen, aber alles, was sie tun konnte, war zuschauen und ihre kraftlosen Finger halten. Natürlich sagte das alles eigentlich noch gar nichts über ihren Zustand aus. Konnte gut und gerne auch einfach an den Medikamenten liegen, die ihre Reaktionen verlangsamten, gewisse Nerven blockierten, damit sie die Schmerzen nicht spürte, die sie ohne Gegenmittel wohl in den Wahnsinn treiben würden. Aber es war trotzdem unendlich traurig, mit ansehen zu müssen, was aus ihrem liebsten Menschen geworden war. Zwangsläufig ihretwegen. Aryana bemühte sich, Faye möglichst beruhigend zuzureden, damit ihr Puls, der allein vom Aufwachen deutlich in die Höhe geschnellt war, nicht noch höher ging. Sie wollte nicht, dass der Arzt ihrer Schwester einfach wieder ein Beruhigungsmittel spritzte, wollte nicht, dass Faye sich Sorgen machte. Sie wünschte sich einfach nur, die letzten zwei Tage ungeschehen machen zu können... Oder sie wenigstens aus dem Kopf der jungen Brünetten zu löschen, damit sie nicht mit den Folgen davon leben musste... Die Narben auf der Haut waren eine Sache. Zweifellos würde man die Spuren auf ihrem Rücken wohl für immer sehen und offenbar auch eines der Brandmale. Und den Einschuss am Bein. Aber wenn nur wenigstens die Erinnerungen nicht da wären. Die Panik. Das Trauma. Es tat ihr so leid... Wenn sie eine Sache in ihrem Leben rückgängig machen könnte, dann den Moment, in dem sie Faye definitiv gesagt hatte, dass sie nicht nach Hause kommen würde. Der Moment, in dem ihre Schwester entschieden hatte, zu ihr in den Krieg zu ziehen. Wie hatte sie damals so blind sein können... So egoistisch... Der Arzt betrat das Zimmer wenig später, führte die nächste kurze Untersuchung durch und zählte all das auf, was nie hätte passieren dürfen. Wahrscheinlich erzählte er es eher Aryana als Faye, weil diese kaum aufnahmefähig genug sein dürfte, um all die Worte zu verstehen. Das bewies auch der einzige Satz, den die junge Frau dem Arzt entgegen brachte. Sie fragte nach Victor. Wollte scheinbar gar nichts von all dem wissen, was Dr. Anthony Layken ihr erzählte. Was Aryana ihr kaum übel nehmen konnte... Jedenfalls verliess Layken das Zimmer wieder und es dauerte eine ganze Weile, bis er dieses wieder betrat. Aryana überbrückte die Zwischenzeit damit, Faye die feuchten Tränen aus dem Gesicht zu wischen und immerfort ihre Hand zu halten, ihr leise zu versichern, dass ganz sicher alles wieder gut werden würde. Dass sie alle überlebt hatten und dass sie nie wieder zurück musste. Und dass sie sie liebte. Das sagte sie etwa zweihundert Mal in fünf Minuten... Als Layken zurückkam, gab er bekannt, dass Victor offenbar schon den gleichen Wunsch geäussert hatte. Aber auch Faye wurde nochmal nahegelegt, dass das vielleicht nicht die beste Idee war. Nur dass sie das genauso wenig hören wollte wie der Mann, den sie liebte. Darum dauerte es dann auch nicht mehr lange, bis die Tür ein weiteres Mal aufgeschoben wurde. Glücklicherweise war das hier nämlich eigentlich ein Standard-Zweibett-Zimmer, weshalb eine weitere Verlegung seitens der Brünetten nicht mehr nötig war. Victor wurde nach drinnen geschoben und Aryana beobachtete das ganze Schauspiel, welches sich ihr bot, mit immer schwerer werdendem Herzen. Es war nicht fair... Ausgerechnet Faye... Und als hätte das nicht gereicht, Victor noch dazu... Sie hoffte wirklich, dass die zwei gebrochenen Herzen sich gegenseitig langsam und vorsichtig heilen würden. Dass Victor ihrer Schwester helfen konnte. Und umgekehrt. Dass nicht das, nüchtern betrachtet schwer zu erwartende, Gegenteil davon eintraf. Sie sich gegenseitig immer weiter in den Strudel des Traumas ziehen würden und darin alles verloren, was sie nie hätten verlieren dürfen.
Der Arzt war weg und kam zurück, redete noch mehr Worte, die Faye doch gar nicht hören wollte. Sie hatte nicht nach seiner Meinung gefragt, wollte nicht wissen, was er von ihrem Verlangen, Victor zu sehen, hielt. Er musste sie nicht verstehen. Fühlte die Liebe, die sie erfüllte, in seinem Herzen schliesslich auch nicht. Machte sich keine Sorgen um ihren Freund. War nicht dabei gewesen, als sie ihn verprügelt hatten. Hatte nicht zugeschaut, als das Messer in seinem Fleisch gedreht worden war. Musste nicht auf dem staubigen, blutverschmierten Boden liegen, als sie gegangen waren, um ihn langsam ausbluten zu lassen. Noch waren die Bilder sehr verschwommen und undeutlich, was wohl daran lag, dass es noch immer Morphium war, welches durch die Infusion in ihren Körper floss, ihre Schmerzen wie auch ihre Nerven betäubte, ihr die Panik grösstenteils nahm. Aber sie erinnerte sich trotzdem. Und es war einer ihrer zwei liebsten Menschen, an den sie dachte, das konnte sie nicht einfach verdrängen. Aryana sass neben ihr, hielt noch immer ihre Hand. Sie lebte, atmete, redete... Es ging ihr vielleicht nicht so gut, wie sie behauptete, aber sie war da. Und solange sie ihre Finger zwischen ihren Eigenen spürte, brauchte sie sich für den Moment keine Sorgen um ihre Schwester zu machen. Was sie von Victor leider nicht behaupten konnte... Der Arzt ging wieder weg. Nur bis zum Eingang, aber das sah Faye nicht, weil sie noch immer Aryana und damit auch dem Fenster hinter ihrer Schwester zugewandt lag. Wenig später ging die Tür wieder auf. Sie hob mühsam den Kopf und noch während sie dabei war, wenigstens ihr Gesicht zur Zimmertür zu drehen, hörte sie seine Stimme. Und ihre Augen wurden grösser, die Finger um die Hand ihrer Schwester schlossen sich haltsuchend ein kaum merkliches Bisschen enger. „Vicky...“, hauchte sie leise seinen eigentlich so ungeliebten Spitznamen vor sich hin, noch bevor ihr Kopf wieder auf dem Kissen lag und sie ihn wirklich sehen konnte. Aber da lag er. Auf einem genauso sterilen, weissen Bett, unter eine dicke, weisse Decke gepackt. Er sah nicht fit aus. War bleicher, als sie ihn je zuvor gesehen hatte. Hatte ein blaues Auge und einen Bluterguss am Kinn... Aber er lebte wirklich. Und auf ihrem Gesicht bildete sich ein seliges Lächeln, das eindeutig nicht nur dem Morphium entstammte. Er sagte etwas und sein Bett kam näher, bis es direkt neben ihrem Eigenen stand. Und während ihre Augen ein weiteres Mal zugefallen waren, spürte sie seine Hand auf ihrer Wange, die ihr Lächeln noch einmal so unfassbar viel glücklicher werden liess. Sie schob die Lider wieder hoch, während sie ihre freie Hand hob, damit nun auch nach seinen Fingern tastete, um diese letztendlich zu umschliessen. "Ich auch... Es hat... einen Moment... nicht so gut gestanden... um dich...", flüsterte sie kratzig zurück, strich mit ihrem Daumen sanft über seinen Handrücken. "Aber... aber du würdest... mich nicht... einfach verlassen...", ihre Stimme verstummte wieder, als ihr die Kraft zum Reden ausging, ihr trockener Mund eine Pause brauchte. Und so waren es nur ihre Augen, die die seinen suchten, ihm so deutlich sagten, wie sehr sie ihn liebte... Für immer lieben würde.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Es war schwer zu sagen, was in meinem Kopf nun vorherrschend war. Dass ich mich um Faye sorgte, weil die junge Frau einfach wirklich kaputt, niedergeschlagen und fertig war, oder aber die Freude darüber, dass sie trotz Allem noch hier bei mir war. Sie mit ihrer zierlichen Hand nach meiner griff und sich nicht weniger um mich gesorgt hatte, als ich um sie. Mir zumindest ihre Liebe Niemand mehr nehmen zu können schien, ganz gleich ob sie auch eine Last sein konnte. Zumindest für den Augenblick schienen die positiven Gefühle, die Liebe und auch die immense Erleichterung darüber, Faye noch immer an meiner Seite zu wissen, zu überwiegen. Aryana im Hintergrund blendete ich für meinen Teil einfach genauso aus wie die Belegschaft, die langsam nach einem prüfenden Blick in Richtung der älteren Cooper-Schwester den Raum verließ, komplett aus. Wohl nicht für lange, war ich in dieser Position doch an keinerlei Gerätschaften angeschlossen, nur die am Bett angebrachte Infusion lief weiter, aber zumindest einen Augenblick Ruhe mit Faye zu haben war schon Gold wert. Mein Arm war inzwischen wieder ein Stück weit gesunken und meine Hand lag mit ihrer verbunden unweit ihres Kopfes auf dem Kissen, hätte ich die Spannung im Arm wohl ohnehin nicht mehr lange hoch genug halten können, um sie weiter zu streicheln... aber das wollte ich. Die schwachen Worte, welche die Brünette von sich gab, riefen in mir das unweigerliche Bedürfnis hervor, ihr sanft über den Hinterkopf zu streicheln. Auch, sie in meine Arme zu nehmen und nie wieder los zu lassen, wobei mir dabei wohl nicht nur meine eigenen fehlende Kräfte im Weg standen, sondern auch die fürchterlichen Wunden an ihrem Rücken. Wunden, die sie wohl noch ihr ganzes restliches Leben mit sich tragen müssen würde. Aber daran wollte ich in diesem Moment nicht einmal denken, zerstörte es mir doch sonst nur die Freude über Fayes Nähe. "Das könnte ich nicht... niemals.", versicherte ich der zierlichen jungen Frau, dass das niemals passieren würde. Auch, wenn ich vielleicht weniger Einfluss darauf hatte, als mir lieb war, würde ich wohl nie aufhören um und für sie zu kämpfen. Selbst dann nicht, wenn die Chancen noch so schlecht standen und ich fast tot war. Ich würde sie niemals aufgeben, immer bis zur letzten Sekunde an ihr festhalten, solange es nur irgendwie möglich war. Ich konnte sie nicht in dem Wissen allein lassen, dass sie daran kaputt gehen würde. Auch nicht, wenn es so war, wie es... jetzt eben war. Ihr Anblick war pure Folter für meine Seele, aber das würde ich nie freiwillig wieder gegen die unerträgliche Einsamkeit eintauschen. Niemals. Ich suchte etwas verzweifelt mit meinen Augen nach einer Möglichkeit, ihr irgendwie näher zu kommen. Faye war so nah und doch irgendwie furchtbar weit weg. Also löste ich meine Finger noch einmal für kurze Zeit von ihren, um stattdessen mit der Hand erneut nach dem Griff an der Bettseite zu greifen. Ich wollte gar nicht wissen, wie sehr es ohne Schmerzmittel weh getan hätte, mich mit zitterndem Arm näher an die Bettkante zu ziehen. Mich letzten Endes so weit zu ihr hin zu quälen, dass ich mich auf Biegen und Brechen zu ihr rüber beugen und sie sanft auf die Wange küssen konnte. Danach verließ mich die Kraft aber ziemlich ruckartig und ich sank unsanft zurück in mein eigenes Kissen, was mich wegen dem Druck im Oberkörper aufächzen ließ. Aber das war es wert gewesen. Einen kurzen Augenblick lang sah ich erschöpft in Richtung der weißen Zimmerdecke, atmete ein wenig schwerer, bevor ich den Kopf wieder in Fayes Richtung drehte, auch mit der Hand wieder vorsichtig, langsam nach ihren Fingern griff. Ich wollte sie nicht mehr loslassen müssen. Nicht, bis sie nicht wieder zu einhundert Prozent fit und auf dem Damm war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Faye bekam gar nicht wirklich mit, wie die Ärzte sie verliessen. merkte nur, dass sie plötzlich weg waren, als das sachte Schliessen der Tür ertönte. Ihre Schwester war noch da, sie hielt noch immer ihre Finger fest. Und das war auch irgendwie alles, was neben Victor gerade noch zählte. Ihre ganze Aufmerksamkeit lag auf dem jungen Mann, während sie sein Gesicht betrachtete. Ihre Augen lagen etwas länger besorgt auf den Blutergüssen, ehe sie nach unten wanderten... Aber bis auf die Decke war hier nicht viel zu sehen. Selbst seine Arme sah sie nur bis zur Hälfte, des Krankenhaushemdes wegen. Wie ironisch, dass sie im Koma um die halbe Welt gereist und hier neu eingekleidet worden waren, jetzt aber wieder ein absolut identisches, wenig ansprechendes Outfit tragen durften.. Naja, jedenfalls sahen seine Arme auch nicht besonders schön aus. Auch hier waren die blauen Flecken deutlich zu erkennen, welche der Folterknecht mit seinem dämlichen Stock hinterlassen hatte. Sie wünschte, sie könnte die Finger ausstrecken, über die blauen und roten Stellen streichen und alles wäre wieder gut... Aber selbst wenn ihre Hand nicht eh schon damit beschäftigt wäre, seine Finger zu halten, könnte sie eine solche Bewegung wohl nicht durchführen. Zumal es ihm höchstens wehtun würde, wenn sie die Blessuren anfasste. Weil sie leider keine Wunderkräfte besass und ihn nicht heilen konnte... Seine Worte liessen ihr Lächeln sanft aufleuchten, ehe sie die Augen nochmal schloss. "Ich liebe dich... für immer... egal was kommt...", flüsterte sie ihm zu, schlug die Augen flatternd wieder auf, als er seine Finger von ihren löste um... etwas anderes zu tun. Etwas unsicher beobachtete sie seine Bewegungen, lächelte aber wieder, als sie den Kuss auf der Wange spürte. Auch wenn ihr Blick im Anschluss sofort besorgt zu ihm huschte, weil er ziemlich entkräftet ins Kissen zurücksank. Sie schloss seine Finger wieder fest zwischen die ihren - auch wenn fest in diesem Moment wohl etwas relativ war - während ihre Wange noch immer warm glühte. Voller Liebe... Voll von allem, was sie für ihn fühlte. Und er für sie. Faye strich mit ihrem Daumen immer wieder langsam über seinen Handrücken, wenn dies auch weiterhin praktisch die einzige Regung ihres Körpers blieb. Sie versuchte, etwas näher zu ihm zu rutschen, aber es war praktisch gar nicht drin, weil ihr Körper sich so endlos schwer anfühlte. So betäubt. Das waren die Schmerzmittel, sie wusste es... Auch wenn sie ihre Dosis nicht kannte. Aber in diesem Moment würde sie doch sehr gerne wenigstens diese minimale Bewegung durchführen können. "Nicht anstrengen...", hauchte sie Victor zu, die etwas matten Augen stets in das Grünbraun seiner Eigenen gerichtet. "Wir... können uns küssen, sobald wir wieder... gesund sind...", vertröstete sie ihn auf ein unbestimmtes später. Nicht, dass sie warten wollte... Aber lieber warten, als ihn noch zusätzlich leiden sehen. "Ausserdem... schaut Aryana doch zu...", nun tauchte wieder ein seichtes Lächeln auf ihrem Gesicht auf, eines, das in seinem Frieden und seiner Leichtigkeit wahrscheinlich ganz leise Morphium schrie. Weil es ihr sonst ganz sicher sehr egal wäre, wenn ihre Schwester sie diese verbotene Liebe leben sah. Aryana hatte schon lange bewiesen, dass sie sie niemals verpfeifen oder gar für Sanktionen sorgen würde. Zumal genau das ab heute kaum mehr ein Problem darstellen sollte... Aber daran dachte Faye noch nicht. Es war zu früh und sie zu betäubt, um an die sehr ungewisse Zukunft zu denken.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich genoss die sachten Berührungen an meinem Handrücken unheimlich, hoben sie sich doch so deutlich von allen anderen rein körperlichen Gefühlen ab. Während mein beschleunigter Puls sich davon ein wenig beruhigen ließ war Alles, was ich sonst fühlte, nur die furchtbar erdrückende Schwerkraft in meinen Glidern. Als würde mich etwas vehement tiefer ins Kissen ziehen wollen, obwohl ich doch bereits lag und gar nicht tiefer sinken konnte. "Ich liebe dich auch... kleine Prinzessin.", verkündete ich der jungen Frau ebenfalls meine Liebe, wenn auch recht leise, weil viel mehr gerade schlicht nicht drin war. Meine Mundwinkel hoben sich leicht an, bildeten angesichts der Spitznamen ein leises Lächeln. Mir war durchaus aufgefallen, dass sie mich wieder mit dem unliebsamen Spitznamen, der bereits aus meiner Kindheit kam, angesprochen hatte. Nur war er irgendwie gar nicht so schlimm, wenn Faye es war, die ihn nutzte. Erst recht nicht jetzt in diesem Moment, in dem ich nur erschöpft die Augen schloss und die kleine Streicheleinheit genoss. Ich war froh über jedes Wort, das sie überhaupt von sich gab... geben konnte, denn es strengte sie doch sichtlich an. Als der leise Tadel ihrerseits kam öffnete ich die Augen wieder und wusste, wie sehr sie damit recht hatte. Es war dumm das ohnehin schon sehr niedrige Energielevel in meinem Körper für Aktionen wie die von gerade eben noch weiter abzusenken. Bei all dem Blutverlust und der langen Reise brauchte mein Körper wahrscheinlich gerade alles was er an Kraft hatte, um irgendwie wieder richtig die Kurve zu kriegen. Aber das hieß nicht, dass mir das auch gefallen musste. Ich vermisste Fayes Lippen schon jetzt, lösten sie doch immer ein so wohlig warmes Gefühl in mir aus. Gaben mir Halt und Sicherheit... das tat auch ihre schmale Hand, die ich nicht früher als notwendig loslassen würde, aber es war eben trotzdem nicht das Gleiche wie ein zärtlicher Kuss und sei er noch so kurz. "Ich weiß.", lenkte ich leise murmelnd ein, dass es ganz einfach keine gute Idee war sich hier für einen kleinen Kuss abzumühen, wo wir doch ohnehin beide schon so flach lagen. "Aber... ich vermisse es... jetzt schon.", hängte ich noch ein paar leisere Worte an, sah dann zu unseren Händen, die immerhin einen winzigen Ausgleich zu schaffen vermochten. Inzwischen bewegte ich meine eigenen Finger ebenfalls ein klein wenig, strich vorsichtig über die ihren. Auch, wenn das vielleicht ein kleines bisschen Einbildung war, kamen sie mir noch schmaler und zerbrechlicher vor als sonst. Auf ihre letzten Worte hin konnte ich nur schmunzeln. Wir wussten wohl beide, dass die ältere Schwester uns beiden kaum im Weg stehen würde. Zumindest nicht solange sie der Auffassung war, dass wir uns gut taten, was in diesem Moment sicher zweifelsohne der Fall war. Sonst hätte Aryana mich sicher längst eigenhändig aus dem Zimmer geschoben, ganz gleich was sie das kostete, war der Beschützerinstinkt ihrer kleinen Schwester gegenüber doch ziemlich offensichtlich. Zumindest, wenn man nicht ganz blind war. "Sie muss sich sowieso dran gewöhnen... früher oder später.", sagte ich diesbezüglich also nur noch leise und richtete dabei den Blick wieder auf Faye, die früher oder später ganz sicher Probleme mit ihrem Genick bekommen würde. Auf dem Bauch liegen konnte sicher auch bequem sein, aber in diesem Fall war es das ganz sicher nicht.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Und wieder schaffte er es mit so wenigen Worten ihr Herz so unendlich warm werden zu lassen und ihre Mundwinkel weiter nach oben zu ziehen. War sie also wirklich immer noch seine kleine Prinzessin..? Trotz dem ganzen Blut, den ganzen Wunden, der Hölle, die sie gesehen hatten? Trotz dem Verband, der ihren ganzen Oberkörper einsperrte..? Das war süss... Auch wenn sie sich tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde fragte, ob er das Gleiche sagen würde, wenn er ihren Rücken sah. Sie hatte das Ausmass der Zerstörung logischerweise selbst noch nicht zu Gesicht bekommen, aber wenn es nur halb so schlimm aussah, wie es sich gemäss ihrer Erinnerung angefühlt hatte, dann war es nicht schön. Würde sie für immer an diese so folgenschweren Stunden mit dem Teufel und seinen zwei Dämonen erinnern, die sie in Hilflosigkeit und Verzweiflung und Panik in der Dunkelheit gesessen hatten. Dabei wollte sie doch viel lieber der Grund dafür sein, warum er ebendies vergas... Seine wehleidigen Worte konnte sie durchaus verstehen, ging es ihr doch genauso. Sie möchte auch lieber im gleichen Bett liegen wie er. In seinen Armen, dicht bei seinem Herzen, damit sie sicher gehen konnte, dass dieses niemals seinen regelmässigen Takt aufgab. Dass es noch immer genauso schlug wie vorgestern, als er die Nacht noch neben ihr auf einem Feldbett verbracht und alles fast in Ordnung gewirkt hatte. "Ich auch... Aber bestimmt ist es bald... wieder soweit...", tröstete sie ihn mit weiteren sanften Worten, an deren Wahrheit wohl nur sie selber glauben konnte. Denn nur sie selbst konnte gerade so gut ignorieren, dass die Wunden auf ihrem Rücken kaum bald wieder zugewachsen waren. Dass seine Kraft kaum bald wieder ausreichen würde, um seine Verletzungen zu übertrumpfen. Dass sie kaum bald wieder hier raus waren. Seine Worte bezüglich Aryanas Anwesenheit, liessen Faye sein leichtes Schmunzeln erwidern. Sie würde gerne zu ihrer Schwester blicken, um ihre Reaktion zu sehen. Aber dafür müsste sie den Kopf heben und sich umdrehen. Und das war so anstrengend... Und sie bezweifelte, es gleich zweimal hintereinander zu schaffen, um am Ende wieder zu Victor zu blicken, weshalb sie es letztendlich bleiben liess. "Das stimmt... Besser früher als später", pflichtete sie ihm bei, als ihr auch schon der nächste Gedanke ein kurzes Leuchten in die Augen setzte. "Sobald wir wieder ganz... auf den Beinen... sind... Werde ich ihr... ganz offiziell meine... meine Liebe des Lebens vorstellen", murmelte sie in Victors Richtung, schenkte ihm nochmal ein Lächeln gefüllt mit purer Liebe. "Das wird sehr... sehr... schön...", ihre Augen fielen gegen ihren Willen wieder zu, aber für den Moment schaffte sie es nicht, die Lider weiter nach oben zu kämpfen, brauchte eine kurze Pause. Aber sie drückte sowohl Victor's als auch Aryana's Hand zwischen ihren Fingern, weil sie sich nichts sehnlicher wünschte, als beiden für die Ewigkeit klar zu machen, wie sehr sie sie liebte.
Sie hatte schon viel gesehen in ihrem Leben, wirklich. Im Krieg erlebte man immer wieder sentimentale Momente zwischen sterbenden und lebenden Soldaten, Momente, in denen nichts als das pure Leben zählte, Männer und Frauen ihre Brüder und Schwestern verloren oder retteten, ihre leblosen Körper in die Arme schlossen oder ihnen das Blut von den flatternden Augenlider wischten. Sie hatte schon so viel beobachtet oder war selber mittendrin gestanden und doch schien in diesem Augenblick nichts an das heran zu kommen, was sich hier vor ihren Augen abspielte. Vielleicht, weil es ihre Schwester war. Vielleicht, weil die unendliche Liebe in diesem Raum durch jeden Körper strömte, der die Luft hier drin einatmete. Vielleicht, weil es ihr Herz zerriss aber es gleichzeitig so warm werden liess. Die Atmosphäre war schwer zu beschreiben und unmöglich in Worte zu fassen, aber Aryana konnte spätestens dann, als die Ärzte und Krankenpfleger sich zurückgezogen hatten, keine der tonlosen Tränen mehr zurückdrängen, die ihr über die Wangen fliessen wollten. Die Stimmen der beiden waren so unglaublich dünn und doch voller Gefühle, ihre Hände so schwach und klammerten sich doch so fest aneinander. Die Worte so leise und doch voller Sorge, ihre Augen fast geschlossen und doch mühsam glänzend. Wäre sie neben Victor gestanden, hätte sie ihn vielleicht davon abhalten müssen, sich zu ihrer Schwester zu beugen. Aber da sie aus ihrer Position sowieso nichts ausrichten konnte - schon gar nicht, ohne dabei Fayes Finger loszulassen - blinzelte sie nur durch die Tränen zu ihm rüber, hätte beinahe etwas gesagt, als er auch schon den winzigen Kuss auf die Wange ihrer Schwester setzte und im Anschluss zurück in sein Kissen sank. Aryana war klar, dass sie vielleicht nicht wirklich das Recht hatte, die angestrengten Gespräche der beiden zu belauschen, ihnen hier ihre Privatsphäre zu nehmen. Aber sie konnte sowieso nicht raus, ohne, dass die Ärzte stattdessen nach drinnen stürzen würden. Und ausserdem gab ihr Fayes Hand, die noch immer mit ihren eigenen Fingern verschränkt blieb, eine gewisse Sicherheit, immerhin nicht ganz fehl am Platz zu sein. Jedenfalls nicht in den Augen der verletzten Brünetten, deren Meinung irgendwie auch die Einzige war, die bei Aryana gerade wirklich zählte. Die leisen Worte im Anschluss liessen sie dann auch wieder leicht lächeln. Als ob sie irgendwas gegen die verhängnisvolle Romanze von Faye und Victor, die mit Romantik heute weniger denn je zu tun hatte, einwenden würde... Schon gar nicht, wenn er ihre Schwester mit genau dem Spitznamen ansprach, der im Folgenden über seine Lippen kam. Aryana mit einem Mal die unendlich tiefe Sicherheit und Ruhe darüber gab, dass es nie jemanden Besseren dafür geben würde, um auf Faye aufzupassen und stets an ihrer Seite zu bleiben, als Victor. Weil er genau die sanfte Art der Liebe und des unaufhörlichen Verständnisses besass, die Faye für den Rest ihres Lebens brauchen würde. Sie wünschte nur, sie könnte von nun an beide in Watte packen... Beide für immer im Glück und der Liebe einer Welt ohne Schmerz tauchen lassen...
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Bald war ein so furchtbar weit dehnbarer Begriff. In manchen Fällen konnte das in ein paar Stunden sein, dann wiederum aber auch erst in ein paar Tagen, Wochen... in absolut jedem möglichen Fall würde es aber länger dauern, als mir lieb war. Natürlich gab es daran nicht viel zu rütteln und mehr als es einfach so hinzunehmen konnte ich im Grunde nicht tun. Es entsprach trotzdem einer weiteren, kleineren Folter, die meinem durch Schmerzmittel betäubten Körper widerfuhr, der stark angekratzten Seele darin. Dennoch war das in der kommenden Zeit vermutlich eine der kleineren Sorgen in meinem Kopf, woran ich jedoch keinesfalls denken wollte. Für den Augenblick galt meine gesamte Aufmerksamkeit der zierlichen Brünetten. "Hoffentlich.", stimmte ich Faye leise zu, konnte nicht mehr als es uns beiden einfach nur zu wünschen. Zu hoffen, dass jener Fall möglichst bald eintrat. Auch bei den folgenden, leisen Worten der jungen Frau konnte ich nur zustimmen. Es war fast ein wenig komisch, dass ich Aryana immer noch kaum kannte, obwohl sie einen so wichtigen Teil in Fayes Leben ausmachte. Sie kannte meine Familie, ich ihre aber kaum. Ihre ältere Schwester war der wichtigste Part dabei und ich war gerne dazu bereit sie ein wenig besser kennen zu lernen. Bisher hatte es dazu nur einfach nie eine richtige Gelegenheit gegeben. Aryana war mit ihrem Amt als Sergeant beim Militär eine Führungsperson und angesichts der eigentlich verbotenen Liebe zwischen Faye und mir war es einfach ein wenig... komisch gewesen. Es war mir schon damals unangenehm gewesen den Sergeant um Hilfe zu bitten, meine Schicht und Aufgaben günstig zu legen, als Faye nach dem Messerstich am Arm aus dem Krankenhaus zurück gekommen war. Aber das war es wert gewesen und genauso würde es sich auch lohnen endlich herauszufinden, mit wem meine Geliebte schon ihr ganzes Leben verbrachte. Denn jetzt gerade, als ich einen kurzen Blick über die Brünette hinweg zu ihrer Schwester auf der anderen Seite warf, hatte letztere so gar nichts mehr von der eisernen Soldatin, die sie sonst verkörperte. Sie sah einfach nur wie eine sich sorgende, liebende große Schwester. Mein Lächeln hatte auch sie gestreift, bevor ich wieder zu der labilen Patientin im Bett runter sah. Meine Hand mit der ihren vorsichtig anhob, um ihr bei den folgenden, wenigen Worten zumindest hauchzart einen kurzen Augenblick lang über die Wange zu streichen. "Ich freu mich... jetzt schon drauf. Das... wird toll.", murmelte ich mit kurzen Pausen zu ihr rüber, räusperte mich im Anschluss daran wegen des rauen Halses ein klein wenig und betrachtete ihre geschlossenen Lider. Es war kein Wunder, dass die Erschöpfung die zierliche Brünette immer wieder ein Stück mit sich riss, war es bei mir doch nicht anders. Es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis das nicht mehr so war. "Ruh' dich ruhig aus, Faye...", versicherte ich der Brünetten mit indirekten Worten, dass sie sich gerne noch ein wenig mehr schonen konnte. Wenn das hieß, dass ich nicht mehr mit ihr reden oder ihr in die Augen sehen konnte, weil sie lieber ein wenig vor sich hin döste, dann war das in Ordnung. Natürlich hörte ich ihre Stimme trotz der Brüchigkeit gerne, aber sie sollte nicht denken, dass sie sich krampfhaft wegen mir wach halten musste, nur weil ich eben jetzt hier war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Hoffentlich war... wohl das richtige Wort. Nicht unbedingt das, was sie hören wollte, weil sie sich lieber sicher sein möchte über den glücklichen Ausgang und die kurze Dauer dieser Kusspause. Aber es war auf jeden Fall realistischer und vorsichtiger. Besser geeignet, um Enttäuschungen vorzubeugen, die sie sich mit dem Setzen einer bestimmten Zeitlimite, nach der sie wieder bereit für Küsse sein sollten, garantieren würden. Also blieben sie besser bei hoffentlich bald. Sie bekam nicht wirklich mit, dass Victor und Aryana Blicke austauschten, dass auch ihre Schwester in die Richtung des jungen Mannes lächelte. Aber die Bestätigung dafür, dass beide genau wie sie den Tag herbeisehnten, an dem Faye Aryana wie eine gewöhnliche, ältere Schwester ihrem Freund vorstellen konnte, folgte sowohl von Victor in Form einiger leisen Worte als auch von Aryana, die ihr wieder sanft über den Handrücken strich. Und tatsächlich erklangen auch von der anderen Seite ihres Bettes ein paar leise, hörbar berührte Worte, welche die Gefühlslage ihrer Schwester ziemlich deutlich offenbarten und Faye hinter den geschlossenen Lidern nur noch glücklicher lächeln liessen. "Ich freu mich auch darauf... wenn ich euch beide endlich als das sehen darf, was ihr schon lange sein solltet... Glücklich... und zusammen", waren die paar etwas stockenden Sätze, die Aryana möglichst ruhig über die Lippen brachte. Sie zog sich damit aber auch umgehend wieder aus dem Gespräch zurück, hielt sich lieber im Hintergrund und gab sich vollkommen damit zufrieden, einfach nur still über ihre Schwester zu wachen. Einige wohl ziemlich lange Sekunden lag Faye einfach nur da und genoss die Anwesenheit ihrer beiden Liebsten, das Wissen, dass sie hier alle zusammen waren. Sogar alle zusammen in Sicherheit. War das nicht alles, was sie je gewollt hatte... Ja. Ja, genau das war es... Victors Worte liessen sie die Lider aber lächelnd wieder nach oben schieben, ehe sie ihn einen Moment lang stumm betrachtete. "Ich... muss... mich nicht... ausruhen... Nur... geniessen... Geniessen, dass wir alle... hier sind... wir alle... leben... das ist so schön...", erklärte sie ihm einen der Gründe, weshalb ihre Lider der Schwerkraft gefolgt waren. Natürlich war Erschöpfung eher dafür verantwortlich, dass die Sache mit dem Augen offen halten anstrengend war. Aber es schien so viel weniger relevant als der Rest... In diesem Moment hier... Und erst, als ein anderer Gedanke wieder ganz plötzlich und nur kurz ihr Gehirn durchkreuzte, wanderte ihr Blick von seinem Gesicht nach unten, irgendwo zu seiner Decke und dann wieder hoch. "Wie... wie gehts deinem... Bein? Und... dem Rest..? Was haben... die Ärzte gesagt..?", fragte sie ihn - eigentlich reichlich verspätet - erstmals nach seinem Zustand. Etwas, was normalerweise definitiv Frage Nummer Eins gewesen wäre...
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Es tat einfach nur unheimlich gut. All das Leid, die Sorgen und das missen müssen einiger entscheidender Zärtlichkeiten waren für einen kurzen Augenblick ausgeblendet. Ich war mir ehrlich gesagt nie wirklich sicher darüber gewesen, was Aryana von mir hielt und von ihr zu hören, dass ich quasi bereits akzeptiert war, war eine schöne Gewissheit. Es war nicht so, als bräuchte ich zwangsläufig ihren Segen, aber es war gar nicht auszumalen was es früher oder später für Probleme bringen würde, wenn Fayes Schwester nicht mit mir klar kommen würde. Zumindest oberflächlich betrachtet konnte das kaum der Fall sein, wenn sie uns etwas Derartiges zusicherte. Deshalb ließ ich ihr auch noch ein weiteres, aufrichtig ehrliches Lächeln zukommen, das meine Gedanken zumindest halbwegs auch ohne Worte zum Ausdruck bringen konnte, bevor ich mich wieder voll und ganz auf den von mir so geliebten Menschen fokussierte. Faye ergriff nun auch wieder das Wort und versicherte mir mit einigen stockenden Worten, dass sie keine Ruhe brauchte. Einerseits erleichterte mich das dahingehend, dass es ihr vielleicht nicht ganz so schlecht ging, wie sie eben aussah... und andererseits klangen aber auch diese Worte wieder so unschön angestrengt, sprachen indirekt ein wenig gegen ihre eigentliche Aussage. Aber sie würde schon wissen, was das beste für sie war und ich war natürlich froh darüber, dass sie in unseren Worten und unserer Anwesenheit zumindest ein wenig Zuflucht vor den unschönen Erlebnissen finden konnte. Mir ging es was das anging ja nicht anders. "Ja, da hast du Recht...", lächelte ich ihr leise ein paar wenige, verständnisvolle Worte zu. Dann aber kam Faye auf meinen Gesundheitszustand zu sprechen, was mich zumindest ein kleines bisschen zurück auf den Boden der Tatsachen brachte. Dass eben nicht so wirklich alles gut war, sondern noch ein verdammt langer, anstrengender Weg vor uns beiden lag. "Ist halb so wild... der Arm ist angebrochen, aber nicht weiter schlimm. Die... Prellungen sind teilweise punktiert worden... um den Druck vom Gewebe und den Gelenken zu nehmen... der Blutergüsse wegen... wenn ich Glück habe heilt das Bein... von allein. Der Muskel ist nicht... durchtrennt.", spielte ich meinen Zustand vielleicht ein wenig runter, gab ihn weniger schlimm vor, als ich mich gerade fühlte. Zehn Mal mit dem Bus drüber gerollt traf es ganz gut. Vorwärts und rückwärts noch dazu. Ich wollte Faye keinesfalls anlügen, ihr nur nicht noch mehr Sorgen bescheren, als sie ohnehin schon hatte. Natürlich würde ich trotzdem eine halbe Ewigkeit nicht ohne Krücken gehen können, weil der Muskel im Bein heilen musste und keine Belastung erfahren durfte. Allerdings war auch das mit den Krücken schwierig, wo doch ein Arm eine Weile nicht belastbar war... Rollstuhl? Bitte nicht. "Was ist mit dir? Wie lange... musst du... so liegen bleiben?", stellte ich der jungen Frau zur Ablenkung meines eigenen Zustands die entsprechende Gegenfrage, wanderte dann mit meinem Blick kurze Zeit an ihrem Körper entlang. Beziehungsweise eben der Bettdecke, die nicht sonderlich viel zu erkennen gab.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Es war nicht erstaunlich, dass er ihr auch in dieser Angelegenheit zustimmte. Aber trotzdem liess es auch ihr Lächeln zufrieden weiter wachsen, auch wenn sie nichts mehr dazu sagte. War halt dumm, dass das Reden auf dem Bauch so furchtbar anstrengend war. Nicht, dass es problemlos sein dürfte, wenn sie sich nur auf den Rücken drehen könnte, sah man ja bei Victor, dass dem nicht so war. Aber es war halt doch nochmal was anderes, wenn so viel zusätzliches Gewicht auf den Lungen lastete. Von daher schätzte sie diese Bauchlage auch so überhaupt nicht, kam nur eben erstmal nichts anderes in Frage... Erstmal brauchte sie aber auch gar nicht mehr zu reden, da er nun ihre Frage beantwortete und sie stattdessen mit möglichst angestrengt, konzentriertem Blick seinen Erklärungen zu seinem Körper folgte. Halb so wild... Klar. Sie war hier vielleicht auf Drogen gesetzt, aber sie wusste trotzdem ganz genau, wie er ausgesehen hatte, als er auf den Stuhl gefesselt fast gestorben wäre. Sie hörte die Geräusche des Stockes praktisch noch in ihren Ohren, als dieser immer und immer wieder unnachgiebig auf Victors Glieder eingeschlagen hatte. Nichts daran war halb so wild oder nicht weiter schlimm... Und das Bein... Die schreckliche Wunde, das viele Blut... Natürlich wollte sie froh sein, wenn seine Verletzungen physisch tatsächlich keine lebenslänglichen Folgeschäden mit sich zogen. Aber er sollte nicht alles runterspielen, nur damit sie sich keine Sorgen machte. Sie war Sanitäterin, hatte er das vergessen? Sie hatte sich schon in der Hölle in Etwa vorstellen können, was seine Wunden bedeuteten. Und dass sie nicht harmlos waren. "Sag nicht... dass es... nicht schlimm ist...", murmelte sie sanft, wenn auch noch ein Stück weit leiser als davor, während ihr Blick langsam von seinen Augen ins Weiss abdriftete. "...ich war... dabei...", leider. Leider waren sie beide dabei. Auch wenn es wohl für sie beide besser gewesen wäre, wenn zumindest der jeweils andere nicht dort gewesen wäre. Nur hatten sie in der Hölle wenig bis eher gar nichts zu sagen gehabt... Als schliesslich die Gegenfrage folgte, musste Faye einen Moment lang nachdenken, hätte gerne mit den Schultern gezuckt, aber das war auch relativ schwierig in ihrer Position. "Ich... weiss nicht... hab nicht alles... verstanden... Sicher eine Woche... nur Liegen... kommt... wohl drauf an... wie gut... es heilt...", erklärte sie leise, wobei ihr erst jetzt richtig bewusst wurde, dass sie keine Ahnung hatte, was dieses 'nur Liegen' beinhaltete. Ob das hiess, dass sie nichtmal auf die Toilette durfte. Also nicht mal mit Hilfe. Das wäre ziemlich grausam, wollte sie eigentlich absolut nicht... Aber auch hier würde es zwangsläufig nicht sie sein, die darüber entscheiden konnte... "Und... da ist noch was... mit meinem Bein... hab ne Kugel... eingefangen... aber ich glaube.... sie wissen noch nicht... ob und wann sie... operieren wollen...", beendete sie ihre eher noch etwas vage Erklärung. Hätte der Arzt ihr gesagt, dass sie schon Übermorgen wieder rumhüpfen würde wie ein junges Reh, wäre ihr das sicher besser im Kopf geblieben. Aber so... Eher nicht.
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Doch, halb so schlimm. Verglichen mit dem, was Faye da gerade ertragen musste, war nämlich absolut alles weniger schlimm als ihre Verletzungen. Wenn ich könnte, dann würde ich auch diese Wunden noch auf meine eigene Kappe nehmen. Bei meinem ohnehin schon so vernarbten Rücken würde es auch quasi kaum mehr auffallen. Zumindest redete ich mir das gekonnt ein, weil es einfach eine große psychische Last von mir nehmen würde, wenn ich die junge Frau nicht so leiden sehen müsste. Dass es mir dann selber noch viel schlechter ging und ich die Sache zweifelsfrei nicht überlebt hätte, wenn ich ihre Verletzungen auch noch hätte tragen müssen, ließ ich bei dieser Wunschvorstellung mal ganz gekonnt außer Acht. Ich wünschte einfach nur, dass Faye entgegen ihrer Worte nicht dabei gewesen wäre. Sie das Alles nicht von nun an jeden verdammten Tag mit sich herumschleppen müsste. Der Krieg hatte ihr vorher schon zugesetzt, war ihr empfindsames Gemüt doch einfach nicht für so viel Gewalt ausgelegt, aber das... war einfach zu viel. War es selbst für mich und ich hatte schon deutlich öfter schlimme Szenen gesehen, auch miterlebt... es war einfach nur schrecklich ungerecht. "Aber Alles ist... weniger schlimm... als bei dir.", murmelte ich leise vor mich hin, kurz bevor Faye dann mit aller Mühe zu ihrem Bericht bezüglich ihrer eigenen Verletzungen anfing. Worte, die mich nur noch mehr in meinem Denken bestätigten, mir in der Seele weh taten. Wirklich eine ganze Woche? Vielleicht noch mehr? Ich hatte nicht erwartet, dass die offenen, blutigen Striemen an ihrem Rücken schnell verheilt waren, dass sie wie bei mir damals der zerfetzte Rücken eine gewisse Ruhezeit brauchten... aber das war hart, trieb die Sorge unweigerlich wieder zurück in meine leicht glänzenden Augen und auch der Griff um ihre Finger verstärkte sich etwas. Das sollte es allerdings noch gar nicht gewesen sein. Scheinbar hatte die zierliche Brünette sich auf dem Rückweg auch noch eine Kugel eingefangen, von der ich bis gerade eben gar nichts gewusst hatte. Wie hätte ich es in meinem Delirium aus halber Bewusstlosigkeit und Morphium auch mitkriegen sollen? Entsprechend geschockt, weil ich davon jetzt doch ziemlich negativ überrumpelt worden war, schaute ich wieder einen Moment lang auf die weiße Decke, die mir eine eigene, richtige - unfachmännische - Beurteilung verwehrte. Operiert werden musste sie auch noch? Hatte die Munition sie derart ungünstig erwischt? Das Pech schien hier gar kein Ende mehr nehmen zu wollen. Sie war mit all den anderen Verletzungen am Oberkörper und im Gesicht doch schon gestraft genug, warum hatte sie nicht wenigstens davon verschont bleiben können? Der Freude darüber, dass wir beide aus der Hölle wieder auferstanden waren, wurde damit ein herber Dämpfer verpasst. "Das... das wusste ich gar nicht...", stellte ich mit dünner, hörbar betroffener Stimme fest und wanderte erst danach mit dem niedergeschlagenen, besorgten Blick in ihre Augen. "Ich würde... dir so gerne helfen, Faye.", fügte ich noch ein paar kaum hörbare Worte hinten an, seufzte ganz leise. Es gab doch Nichts, was ich mehr wollte, als dass sie wieder auf die Beine kam und ich konnte Nichts, als nur dabei zusehen, weil ich selber komplett am Ende meiner Kräfte war. Das war schon jetzt unheimlich frustrierend, wie würde das nur die nächsten Tage über werden? Langsam dämmerten mir dann doch die Gründe für die nur sehr widerwillige Verlegung.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Sie verstand seinen Punkt schon, wusste, dass er sich einfach nur wünschte, sie wäre unverletzt und hätte nicht mit ihm vor dem Teufel gestanden - beziehungsweise gelegen. Sie verstand es und konnte es nachvollziehen, weil sie sich genauso wünschte, er hätte das an seiner Stelle nicht durchmachen müssen. Aber das machte ihre Verletzungen nicht schlimmer als seine. In diesem Moment - und solange sie anhaltend bei dieser, zweifellos ziemlich hohen, Dosis Morphium bleiben konnte - tat ihr ja nichts weh. Faye erwiderte den Druck seiner Finger, strich wieder beständig mit ihrem Daumen über seine Haut, in der Hoffnung, ihn ein Bisschen beruhigen zu können. Ihm wenigstens ein Bisschen von seiner Sorge zu nehmen, die ihn so nur noch mehr aufwühlen würde. Seiner Reaktion zufolge hätte sie die Kugel im Bein besser gar nicht erst erwähnt. Aber Erstens erlebte ihre Denkkapazität leider gerade kein Hoch und Zweitens hätte er es früher oder später sowieso erfahren... Und dann hätte er sie gefragt, warum sie das so lange für sich behalten hatte... Und jetzt war es sowieso zu spät, weil sie alle ihr bekannten Karten offengelegt hatte. "Ich habs... auch... nicht gewusst...", murmelte sie leise vor sich hin. Klar, als der Arzt den Einschuss erwähnt hatte, war da eine kurze Erinnerungssequenz aufgeflimmert. Irgendwas war mit dem Bein gewesen, kurz bevor sie eingeschlafen war. Aber ohne den Hinweis hätte sie Aryanas besorgten Blick, direkt nachdem sie sie, schon eindeutig im Halbschlaf, ins Auto gesetzt hatte, niemals mit ihrem Bein in Verbindung gebracht. Aber so war das nun eben... Und vielleicht musste sie ja doch nicht operieren. Es war noch nichts in Stein gemeisselt... Faye blickte zu Victor, sah die ganze Sorge und Unruhe in seiner Seele, die sie nicht hatte hervorrufen wollen. Sie streckte ganz langsam, fast in Zeitlupe, die Hand nach ihm aus, so weit es ging. Wollte seine Wange streicheln, ihm wenigstens auf diese Art das einzige Bisschen Trost vermitteln, zu dem sie gerade fähig war. Aber ihr Arm wollte nicht bis zu seinem Gesicht reichen, weshalb sie die Finger irgendwo auf der Höhe seines Oberarms kraftlos wieder sinken liess, nicht wirklich zufrieden mit diesem Ergebnis den Blick etwas senkte. Ihre Finger strichen zart über seine Haut, wanderten ein Stück weit unter den Stoff des Hemdes, das zwischen ihnen stehen wollte. Und ihre Augen suchten wieder die Seinen, blickten voller Liebe zu ihm, weil sie nicht wusste, wie sie ihm sonst jemals klar machen sollte, dass es ihr soweit... okay ging. "Du bist... fast gestorben, Victor.... Bitte mach... dir nicht so viele... Sorgen... um mich...", flüsterte sie ihm zu, atmete ein paar Mal durch, weil sie eigentlich entgegen der Meinung ihres Körpers noch nicht fertig mit Reden war. "Dass du noch... bei mir bist... ist mehr... als ich mir hätte... erhoffen können..", wieder folgte eine Pause, weil das Sprechen mit ihrem trockenen Mund, der schon so lange keine Flüssigkeit mehr gespürt hatte, langsam immer mühsamer wurde. "Und auch wenn... du es nicht.... glauben... kannst... hast... du mich auch gerettet... weil mich das hier... ohne dich... umbringen würde..", denn wenn er nicht hier wäre, dann wäre er für immer in diesem hässlichen Kerker unter diesem verdammten Hügel geblieben... Und diesen Gedanken hätte sie nicht überlebt.
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Wahrscheinlich hätte ich Faye sagen sollen, dass sie das besser bleiben ließ. Dass es vollkommen reichte, wenn ihre Finger einfach nur weiter bei meinen blieben, damit sie sich so wenig wie nur irgendwie möglich anstrengte. Allein die Worte, die sie immer wieder so kläglich über ihre Lippen kommen ließ, konnten ihr nicht leicht fallen. Da sollte sie genauso wenig wie ich selbst den Arm heben, nur um andere Stellen an meinem Körper erreichen zu können, Tadel wäre also auch hier sicher angebracht. Rückblickend betrachtet wollte ich das aber nicht wirklich, auch wenn Fayes Finger nicht ihr eigentlich angedachtes Ziel zu erreichen schienen. Trotzdem waren sie dort, wo sie jetzt lagen, unheimlich angenehm. Zwar konnte auch das mir nicht die Sicherheit geben, dass wir irgendwann wieder... ganz die Alten sein würden, aber es beruhigte die strapazierten Nerven immerhin ein klein wenig. Fühlte sich einfach schön an, wo ich in Fayes Nähe doch auch sonst immer Zuflucht fand. Deshalb schloss ich einen Moment lang die Augen, im Versuch dadurch das sachte Streicheln noch deutlicher zu spüren, damit es wenigstens einige der unliebsamen Gedanken zu verscheuchen schaffte. Ich schluckte leise, wollte sich angesichts als der Bedenken in meinem Schädel doch nur zu gern ein Kloß in meinem ohnehin schon kratzigen Hals bilden, den ich zu eliminieren versuchte, nebenbei all ihren Worten lauschte. Es war nun mal alles andere als leicht sich einfach keine Sorgen zu machen, wenn ich Faye doch so schwach hier liegen sah. Vielleicht hatte sie keine Schmerzen, weil sie wohl genauso wie ich selbst reichlich Schmerzmittel bekam, aber das machte den eigentlichen Umstand ja nicht weg... und ja, wahrscheinlich war ich fast gestorben, nur erinnerte ich mich daran kaum. An all die Folter davor, ja. An jeden einzelnen Schlag, ganz besonders an das Messer... Auch an einen Teil des Weges aus dem Berg heraus, aber letzterer war wegen der zeitweisen Ohnmacht so verschwommen. Vielleicht tat mein Gehirn mir auch einfach nur einen Gefallen und hatte die Bilder weitgehend von der Festplatte gelöscht, um noch größeren Schaden zu verhindern. Irgendwie schien mir das nur fast sterben aber in die Wiege gelegt worden zu sein. Es passierten täglich schlimme Dinge in Kriegsgebieten, warum war ich jetzt schon zwei Mal in derart tödlich wirkende Geschichten verwickelt worden? Es gab so viele Soldaten, die solche Dinge nicht ein einziges Mal durchmachen mussten und ich hatte das Glück gleich doppelt, obwohl ich das wirklich Niemandem sonst wünschen würde. "Das ist... fast unmöglich.", stellte ich leise fest, als ich die Augen wieder langsam öffnete und auf ihre Finger sah. Dann die Hand vorsichtig an ihren Unterarm legte, sie sachte festhielt, obwohl ich im Ellbogen durchs das Anwinkeln einen leicht unangenehmen, dank des Morphins aber nicht schmerzhaften Druck verspürte. So gern ich der jungen Frau auch den Gefallen täte, mir einfach keine Sorgen zu machen, war das schlicht nicht im Bereich des Machbaren. Meine Gedanken würden wahrscheinlich tagelang um fast nichts Anderes kreisen. Dagegen kam ich nicht an. "Ich werde immer bei dir bleiben, Faye... um jeden Preis.", versicherte ich der zierlichen Brünetten, dass ich ihr nie wieder von der Seite weichen würde. Ganz gleich, was mich das kostete. Auch, wenn ich dafür noch zwei weitere Male fast draufgehen musste. Solange es ihr wieder gut ging, war das okay. Ein Leben ohne Faye war ganz einfach keines, das ich haben wollte. Keines, das ich leben wollte. Was sollte ich noch mit all der Lebenszeit anfangen, wenn eine ganz entscheidende Person darin fehlte? Obwohl die letzten Worte der jungen Frau gleichzeitig ein wenig traurig waren, ließen sie mich schwach lächeln. "Dir wird nie wieder Jemand... auch nur ein Haar krümmen... dafür werde ich sorgen.", gab ich inzwischen fast schon gewohnt leise noch ein paar weitere Worte von mir, strich ihr ganz sachte über die Haut. Ich meinte das wortwörtlich todernst. Jeder, der ihr auf ungute Weise auch nur noch einen Meter zu nah kam, konnte was erleben. Wenn ich dann mal wieder Stehen oder zumindest vernünftig die Arme bewegen konnte, versteht sich. Aber apropos Rettung - wo war Mitch eigentlich? Es war nicht Aryana gewesen, die mich geschleppt hatte. Zwar war mein Blick währenddessen überwiegend dem dreckigen Boden gewidmet, aber ich erinnerte mich an den tätowierten Nacken und seine Stimme, die mir in den meisten Fällen gar nicht mal sympathisch war. Aber er hatte meine Prinzessin da rausgeholt. Er hatte mich da rausgeholt. Trotzdem war er weit und breit nicht zu sehen, weshalb mein Blick sich für die nächsten Worte von Faye ab- und stattdessen ihrer Schwester dahinter zuwendete, ohne dass ich meine Seelenverwandte dabei losließ. "Was ist mit... Mitch? ... lebt er?", kam mir leicht stockend die Frage über die Lippen, die sich mir in die Zunge brannte. Ohne ihn wäre Faye nicht hier in Sicherheit. Von mir selbst mal ganz zu schweigen, hätte ich allein keinen einzigen Meter geschafft... aber er war ziemlich unschön mit mir gefallen. Das war das letzte, woran ich mich erinnerte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Sie war erneut drauf und dran gewesen, die Hand von Fayes Fingern zu lösen, um die junge Brünette stattdessen zurückzuhalten, als sie sich zu bewegen begann. Aber es fühlte sich weiterhin falsch an, den beiden nach allem, was passiert war, im Weg zu stehen, wenn sie sich nur etwas näher sein wollten. Und so blieb sie weiter die stumme Zuschauerin, beobachtete, wie Fayes Finger auf Victors Arm zu liegen kamen und die angestrengten, leisen Gespräche wieder einsetzten. Es war seltsam, aber die sanften, kaum hörbaren Worte schienen tief in ihr eigenes, kaputtes Herz zu reichen. Ihr tat das alles so leid und sie würde die Schuldgefühle noch lange nicht loswerden - vielleicht nie. Und doch streichelten die geflüsterten Silben über die Scherben ihrer Seele, vermittelten ihr unaufgefordert die stille Gewissheit, dass sie wenigstens nachdem alles schief gelaufen war, doch noch alles richtig gemacht hatte. Und sie war glücklicher denn je darüber, dass sie es geschafft hatten, nicht nur ihre Schwester sondern auch den zweiten Teil deren strapazierten Herzens da raus geholt zu haben. Denn Victor versprach, dass er immer bei Faye bleiben würde. Und er versprach, dass er auf sie aufpassen würde. Er versprach, dass er sie beschützte. Das war alles und viel mehr, was Aryana von ihm hatte hören müssen. Sie hatte das auch versprochen... Aber sie hatte versagt. Nicht einmal, sondern öfter. Sie war nicht immer bei Faye geblieben, hatte nicht immer auf sie aufgepasst und sie nicht immer beschützt, obwohl sie das so unbedingt hätte tun müssen. Darum lagen die beiden jetzt hier. Aber welche Version von Gott oder Karma oder höherer Macht auch immer existieren mochte, hatte beschlossen, dass ihre Schwester für Aryanas Fehler nicht sterben sollte, dass sie eine zweite Chance bekam, eine Chance, es besser zu machen. Und es war so unendlich erleichternd, zu wissen, dass sie dabei nicht alleine war. Vielleicht hatte Victor Faye diesmal auch nicht beschützen können, aber er würde genau wie Aryana alles tun, um es in Zukunft zu tun. Jedes verdammte noch kommende Mal... Aryana merkte erst gar nicht, dass Victors Blick von Faye zu ihr übergeschweift war, bis sie seine Frage vernahm und auch ihre Augen von ihrer Schwester abliessen. Sie bemühte sich um ein Lächeln, welches dem jungen Mann auch tatsächlich ehrlich entgegen glänzte, was ihr in Anbetracht ihrer Gedanken und der Antwort auf seine Frage auch überraschend leicht gelingen wollte. "Mitch lebt... Er ist in einem anderen Zimmer untergebracht. Hatte eine Kugel in der Hüfte und eine andere in der Schulter... Und eine Schnittverletzung am Arm. Aber Hüfte und Arm sollten von selbst heilen, soweit ich weiss. Die Schulter wird er operieren müssen, also bleib er wohl noch eine ganze Weile bei euch...", sie brach die Erzählung ab, als ihr bewusst wurde, dass sie den Rest dieses Satzes nicht aussprechen wollte. Weil es viel zu früh war, um hier irgendwem das im Gegensatz zu mir bekannt zu geben. Einen Moment biss sie sich auf die Unterlippe und ihr Blick schweifte unruhig in irgendeine Ecke dieses Raumes, während sie sich zwang, jetzt einfach nicht daran zu denken, um ja ihre Schwester nichts von dem unglücklichen Umstand wissen zu lassen. "Ich werde... später noch nach ihm sehen...", schob sie etwas stockend weitere Worte nach, richtete ihren Blick mit einem nicht mehr ganz so unverfälschten Lächeln zurück auf Victor, "...um ihn zu fragen, wies ihm geht. Und um ihm zu sagen, dass ihr beide wieder aufgewacht seid... Das wird ihn sicher auch freuen", beendete sie ihr kleines Update mit Worten, an deren Wahrheit sie keine Zweifel hegte. Vielleicht konnte Mitch in der Vergangenheit nicht sehr viel mit Victor oder Faye anfangen. Aber zu wissen, dass die beiden Menschen, für deren Rettung er alles gegeben und sein Leben riskiert hatte, soweit in stabilem Zustand waren, würde ihn zweifellos glücklich stimmen.
Sie betrachtete den jungen Mann mit nur noch leicht geöffneten Augen, wollte diese aber für den Moment wirklich nicht ein weiteres Mal zufallen lassen. Nicht, wenn sie ihn doch einfach nur voller Liebe anschauen und bewundern wollte. Vielleicht war das Lächeln etwas traurig, das sich auf ihren Lippen bildete, als er sprach. Weil sie nicht wollte, dass sein Leben von Sorge um sie geprägt war. Aber auch das verstand sie, weil sie gleich fühlte. Sich ebensoviele Sorgen um ihn machte wie er sich um sie. Immerhin hatte sie die Gleichen und noch mehr Gründe dafür, genau das zu tun.. Er hatte sowas im Gegensatz zu ihr nämlich schon einmal durchgemacht. Sein Verstand hatte bereits damals fast das Handtuch werfen wollen, ihn letztendlich tatsächlich zurück in den Krieg geschickt, weil er sonst verrückt geworden wäre. Nein, sie machte sich keine Sorgen, dass er ihr weglaufen und wieder nach Syrien ziehen würde. Das würde er nicht tun, weil er sie dort nicht haben wollte, sie aber auch ganz sicher nicht alleine in den Staaten lassen würde. Aber sie wussten beide nicht, was passierte, wenn diese Option nicht bestand und alles andere wieder nicht funktionierte... Jetzt konnte sie sich noch nicht wirklich mit diesen Gedanken befassen, weil ihr Kopf zu träge dazu war. Aber der eine, blitzartige Einfall, der sofort wieder ungreifbar verschwunden war, hatte sich eben doch schon direkt in ihr Gehirn gegraben. Und er würde zurückkommen, wenn das Morphium weniger regelmässig in ihre Vene tröpfelte. Sie machte sich auch Sorgen... Und auch für sie war es fast unmöglich, dies nicht zu tun. "Das ist gut... Ich bleibe... auch bei dir... immer... immer... immer", versprach sie ihm die gleiche Ewigkeit wie er ihr, lächelte dabei zu ihm zurück, während ihre Finger noch immer ganz langsam über seine Haut streichelten. Auch sein zweites Versprechen liess ihre Mundwinkel träge nach oben zucken, ehe ihre Augen doch nochmal zufallen wollten. "Danke... das musst... du nicht... pass besser.... immer auf dich auf...", flüsterte Faye, obwohl ihr bewusst war, dass es ihm wohl immer leichter fallen würde, sich selbst hinter sie zu stellen. Auch etwas, das in der Folterkammer deutlich herausgestochen hatte... Die Frage zu Mitch und Aryanas Antwort dazu, verfolgte die Brünette mit geschlossenen Augen. Für einen Moment fühlte sie sich fast schlecht, dass sie selber noch nicht explizit nach ihrem zweiten Retter gefragt hatte. Aber sie erinnerte sich doch an Aryanas alle sind in Sicherheit, direkt nachdem sie aufgewacht war. Darin hatte sie Mitch auch eingeschlossen. Auch wenn Aryana ihr in einem anderen Fall sicher nicht alle ausser Mitch sind in Sicherheit eingeredet hätte... Aber es war gut, jetzt zu hören, dass der junge Mann ebenfalls noch lebte. Offenbar ebenfalls stark lädiert.. Aber er lebte, wie sie alle... Weil sie ein ganzes Herr von Schutzengeln hinter sich hatten haben müssen...
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Immer war gut. Immer fühlte sich richtig an. Obwohl Faye mir oft zeigte, dass sie mich nicht mehr missen wollte, mich gerne an ihrer Seite hatte, war es schön zu hören, dass sie wohl ebenso sehr für eine gemeinsame Zukunft kämpfen wollte, wie ich es tun würde. Dass sich so schnell Nichts und Niemand zwischen uns stellen und uns auseinander bringen konnte - bildlich gesprochen. Ich war mir sehr sicher, dass die Ärzte die Sache ein wenig kritischer sahen und mein Bett nach einer Weile wieder den Weg zurück zu den Kabeln fand, die noch ungenutzt ein paar Meter weiter an den Geräten zur Überwachung hingen. Ich wider Willen von Faye weg und dorthin geschoben wurde, wo sie mich vorhin schon hatten haben wollen. Aber immerhin konnte ich sie dann trotzdem noch sehen und musste mein Dasein nicht wieder in einem anderen Raum fristen. Konnte, so weit es meine eigenen Kräfte und die mich sicher bald wieder überrollende Müdigkeit zuließen, ein Auge auf sie haben und sicher gehen, dass sich ihr Zustand nicht doch schlagartig noch verschlechterte. "Es tut immer wieder gut, das zu hören.", murmelte ich ihr einige Sekunden später noch ein paar leise Worte zu. Fayes noch folgende Worte ließen mich ein wenig schmunzeln. Eigentlich müsste sie inzwischen wissen, dass ich was solche Dinge anbelangte nicht nach ihrer Meinung fragte, sondern dass es blanke Tatsachen waren. Dinge, die ich unveränderbar in den Raum stellte. So auch die ernst gemeinten Worte, dass Faye für den Rest ihres Lebens unter meinem Schutz stehen würde. Dass ich alles auszumerzen versuchen würde, das ihr in irgendeiner Weise schaden konnte oder im Weg stehen wollte. "Eigentlich solltest du... mittlerweile wissen, dass das... keine offene Diskussion ist.", mein Hals wurde wieder kratziger, weshalb ich mich gleich im Anschluss leicht räusperte, dann aber wieder schwach lächelte. Es war wohl ein ewiger Kreislauf, dass Faye und ich immer dem jeweils Anderen den Vortritt lassen würden, ganz gleich um was es ging. Nur war gerade dieses Thema eines, das keine offenen Optionen hatte, mit dem sie so leben müssen würde. Ich atmete einmal hörbar tief durch, als Aryana berichtete, dass der verkorkste, tätowierte Kerl sich ebenfalls auf der Seite der Lebenden gehalten hatte. Vielleicht hatte ich in diesem von Opiaten getränkten Moment noch keinen Kopf dafür, aber früher oder später hätte ich mir sonst zweifelsohne die Schuld an seinem Tod gegeben. Immerhin war ich mehr als nur ein kleiner Klotz am Bein gewesen, hatte ihn in seinen Möglichkeiten und seiner Bewegung unheimlich eingeschränkt. Außerdem wäre es einfach unmenschlich unfair gewesen, wenn er für eine Aktion wie diese damit bestraft wurde, dass er sein eigenes Leben hergeben musste. Ich wusste nicht, warum ausgerechnet er uns holen gekommen war, konnte er zumindest mich doch in den meisten Fällen nicht so gut leiden... warum auch immer, ich war mir das bis heute nicht schlüssig, vielleicht war ich einfach nicht sein Typ Mensch. Aber er hatte wohl genauso wie Fayes Schwester Alles riskiert, um unser beider Schicksale noch abzuwenden. Ich würde nicht nur unter der Schuld seines Todes ganz allgemein leiden, sondern auch darunter, dass ich mich nicht einmal bei ihm dafür hatte bedanken können. Egal, wie sehr wir uns nicht nahe standen - er hatte mehr als nur ein simples Dankeschön dafür verdient. "Das.. ist gut zu wissen.", ließ ich meine Gedanken nach außen, war dahingehend zumindest ein Stück weit beruhigt. "Kannst du ihm... vielleicht schon mal Danke sagen?", hängte ich eine noch leisere, vielleicht schwer für Aryana verständliche Bitte an. Das machte es noch lange nicht wieder gut, ließ ihn trotzdem unter seinen Verletzungen leiden, aber ich wusste nicht, wann ich ihn zu Gesicht kriegen würde. Er war selbst wohl kaum des mal eben vorbei schauens fähig, seinen Verletzungen nach zu urteilen, es könnte sich also noch eine Weile hinziehen, auch wenn er selbst noch im Krankenhaus verweilen musste. Ich wollte einfach nur, dass Mitch sobald wie möglich wusste, dass ich ihm unheimlich dankbar für seine Taten war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Auch diese Worte konnte sie nur zurückgeben. Wobei sie es diesmal, dem trockenen Mund und der kratzigen Kehle wegen, sein liess, ihm dies auch wörtlich nochmal zu beteuern. Stattdessen lächelte sie nur selig vor sich hin, hatte auch die Augen dabei noch nicht wieder geöffnet, sondern genoss für einen Moment einfach die Klarheit, dass sie für immer bei ihm bleiben konnte und sie sich auf ewig lieben würde. Denn das war ein sehr beruhigendes Versprechen. Ein Ähnliches wie das andere, welches er ihr gleich darauf nochmal festigte. Dass er immer auf sie aufpassen würde... Es war zweifellos auch schön, das zu hören und zu wissen. Auch wenn ihr vielleicht lieber wäre, er würde sie nur an zweiter Stelle, hinter sich selbst, in die Reihe der Menschen, die er zuerst aus einem brennenden Gebäude retten würde, gliedern. Aber offenbar hatte sie hier sowieso kein Mitspracherecht, da brauchte sie sich auch nicht weiter Gedanken drüber zu machen. "Okay..", meinte sie also nur lächelnd, als ob ein 'nicht okay' etwas an seinem offensichtlich nicht biegbaren Willen geändert hätte. Nun schlug sie die Lider doch wieder auf, um auch ihre blaugrünen Augen in Victors Richtung lächeln zu lassen. Und sie bereute es nicht, wo er doch in diesem Augenblick das gleiche Tat... Lächeln. Mit seinem wundervollen Lächeln, das sie so sehr liebte, ganz egal, wie müde er dabei wirkte... Das sie selbst jetzt, auf diesem Bett, wenn sie ihn gar nicht kennen würde, in seinen Bann ziehen würde. Wieder hörte sie den Worten zu, die Victor offensichtlich ihrer Schwester zukommen liess. Die Aryana unmittelbar mit einem: "Klar, ich werd's ihm gerne ausrichten", beantwortete. Faye brauchte einen Moment länger, bevor aber auch sie noch was zum Thema Mitch von sich gab. "Sag ihm... auch Danke... von mir...", meinte sie, wobei es echt dumm war, dass sie nichtmal für diese Worte ihre Schwester anschauen konnte, ohne ihre Energiereserven mindestens für die nächsten Zehn Minuten auf Null zu setzen. "Und gib ihm... wenigstens... ein Küsschen... dafür...", fügte sie dann noch an, wobei das Lächeln nun definitiv zu einem Grinsen wuchs, sie es nochmal um das Zehnfache bereute, das Gesicht ihrer Schwester bei ihren Worten nicht beobachten zu können. "Hat er... immerhin... an erster Stelle... für dich... getan... hm?", musste doch so sein. Sie wollte nicht an Mitch's gutem Herzen und seinem Willen, sie zu retten zweifeln, keineswegs. Aber es gab sehr viele Soldaten im Camp, die ein gutes Herz und grossen Mut besassen - keiner von ihnen war in der Hölle aufgetaucht, um sie zu retten. Da musste schon noch irgendein weiterer Beweggrund gewesen sein... Und der musste ja eigentlich mit ihrer Schwester zusammenhängen. Immerhin wäre Aryana mit nahezu - nein, eigentlich ganz - Hundert-prozentiger Sicherheit sowieso zur Rettung aufgebrochen. Und Faye bezweifelte, dass ihre Schwester bei Mitch um Hilfe gebeten hatte, mit dem Wissen, dass sie bei dieser Aktion sehr leicht sterben konnten. Also musste es fast umgekehrt gewesen sein... Und je länger sie darüber nachdachte, umso sicherer war sie sich in ihrer Theorie.
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Ich ließ Aryana noch ein dankbares Lächeln zukommen, als sie mir versicherte, dass sie Mitch meinen Dank ausrichten würde. War an sich vielleicht kein großer Akt, kein großer Aufwand, aber dennoch bedeutete es mir Etwas. Schöner wäre es zwar, wenn ich ihm meine Dankbarkeit schon jetzt von Angesicht zu Angesicht vermitteln könnte, aber das lag nunmal nicht im Bereich des Möglichen und deshalb übernahm die ältere Schwester in diesem Fall den Botengang. Auch Faye klinkte sich dahingehend etwas verspätet noch mit ein, was mich wieder ein wenig mehr lächeln ließ. Sie dürfte ihm kaum weniger dankbar sein, als ich selbst, wo sie doch vorhin noch gesagt hatte, dass sie den Gedanken nicht ertragen könnte, mich in der dunklen Zelle zurück zu lassen, mich dort verloren zu haben. Die Worte, die sie danach allerdings noch loswurde, ließen mich in all der gedanklichen Danksagung innehalten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich für meinen Teil noch nicht mal ansatzweise darüber nachgedacht, dass... irgendwelche Chemien zwischen Aryana und Mitch der Grund dafür sein könnten, dass er sich dazu aufgerafft hatte, seinen Arsch in den Hügel zu schieben. Allgemein hatte ich mir bisher keine Gedanken darüber gemacht, warum er gekommen war, sondern nur darüber, dass er es war. Aber jetzt, wo meine Liebste das Thema ansprach... möglich war das schon, mal so ganz sachlich betrachtet. Die beiden hatten immerhin ganze zwei Wochen miteinander in Australien ausgehalten, offenbar auch ohne sich mit ihren recht sturen Köpfen dabei in die Quere zu kommen und man lernte sich bei einer derartigen Zeitspanne einfach zwangsweise besser kennen. Ich hatte mich schon eine halbe Ewigkeit lang zu Faye ins Zelt gestohlen und sie hatten schon vor den Ferien öfter Mal nachts auf einem der Türme gestanden. Nicht, dass ich mir darüber irgendwelche Gedanken gemacht hatte, weil es mich erstens ganz einfach nichts anging und die beiden zweitens genauso das Recht auf zwischenmenschliche Beziehungen hatten wie jeder Andere eben auch. Aber wenn ich das ganze jetzt rückblickend noch einmal Revue passieren ließ, hatte ich sie nach dem Ausflug nach Australien noch öfter gesehen, als vorher schon. Ich hatte sie nicht beobachtet, nur grundsätzlich eben Ausschau gehalten, ob und wer mich theoretisch zwischen den Zelten sehen konnte und da war mir das dann zwangsläufig aufgefallen. Mit beiden Beteiligten hatte ich an sich viel zu wenig zu tun, als dass ich mir ein Bild darüber machen konnte, ob da vielleicht irgendwie mal was gelaufen war oder ob da theoretisch mehr als Freundschaft möglich war. Im Grunde war das für mich auch nicht weiter von Bedeutung - immerhin hatte ich selbst gekonnt über Monate hinweg gegen diese eine, sehr essentielle Regel in der Army verstoßen. Sollte das aber tatsächlich einer der Gründe dafür sein, dass Faye und ich jetzt weiterhin unser Leben fristen durften, dann war ich auch darüber zweifelsohne froh. Nur war der Gedanke, dass zwei dermaßen verbissene Menschen Etwas aneinander finden konnten doch auch wieder ein bisschen lustig. Ich konnte sehen, dass es Aryana etwas unangenehm war, dass Faye dieses Thema auf den Tisch brachte. Das allein war schon ein guter Grund, mich dieser Art von Geschwister-Konversation unbeteiligt zu enthalten, aber das schmale Grinsen konnte ich dann doch nicht ganz verdecken. Schloss dabei jedoch die Augen und ließ weiterhin Fayes Unterarm streichelnd den Kopf für den Moment zurück in seine Ausgangsposition rollen. Es zogen sich eben doch nicht nur Gegensätze an - Faye und ich waren ebenfalls ein gutes Beispiel dafür, hatten wir doch so die eine oder andere charakterliche Gemeinsamkeit. War also rein theoretisch absolut nicht unmöglich, dass das bei ihrer Schwester und dem Alleingänger ebenfalls zutreffen konnte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Aryana hatte gerade zum zweiten 'ich werd's ihm ausrichten' ansetzen wollen, als Faye klar machte, dass sie noch mehr zu sagen hatte. Dies liess sie wiederum erstmal lächelnd die Augen verdrehen, während sie, für ihre Schwester leider nicht sichtbar, den Kopf - mit den, schon allein von der sehr dummen Vorstellung leicht rötlich schimmernden, Wangen - schüttelte. Aber Faye war auch nach der zweiten Pause noch nicht fertig, sondern hängte gleich im Anschluss noch einen dritten Satz an. Und dafür hätte Aryana ihre kleine Schwester möglicherweise gerade liebend gern für zwei Sekunden erwürgt. Nicht unter den gegebenen Umständen, selbstverständlich... Aber wenn sie alle gesund auf einer Wiese im Sonnenschein tanzen würden, dann schon. Stattdessen drückte sie aber nur zweimal Faye's Hand, ehe sie ihr ein warnendes: "Ich denke, dir ist das Morphium zu Kopf gestiegen, Mädchen... Vielleicht ist die Dosis zu hoch", zukommen liess. Sie für ihren Teil war sich ziemlich sicher, dass Mitch kaum in erster Linie aus Liebe zu ihr gehandelt hatte. Höchstens aus Freundschaft. Aber auch hier war sie relativ überzeugt, dass es nicht der erste Grund für sein Handeln gewesen war, waren sie zu dem Zeitpunkt doch gerade eher nicht so eng befreundet gewesen... Nein, sie glaubte viel mehr, dass er es getan hatte, um einen Teil seiner Fehler wieder gerade zu biegen. Weil er eben nicht der grundsätzlich schlechte Mensch war, zu dem seine Taten ihn nach aussen hin hatten werden lassen. "Mitch und ich sind Freunde... Immer noch. Wenn er es für mich getan hat, dann weil Freunde das so machen... Ausserdem spielt das im Grunde keine Rolle, Hauptsache ihr seid draussen und wir alle - inklusive er - leben noch...", hatte Aryana dann doch noch das dringende Bedürfnis, die Situation auszulegen, wie sie eben war. Als wäre es so wichtig, den temporären Invaliden hier klar zu machen, dass Mitch nicht auf sie stand und sie sich keine weiteren Gedanken dazu machen sollten. Weil Faye und Victor ja auch sicher keine anderen Sorgen hatten als diese. Naja. Jedenfalls dankte Aryanas Herz an dieser Stelle ganz freundlich ihrer netten kleinen Schwester dafür, ihr einen solchen Floh ins Ohr gesetzt zu haben.
Faye hatte die Reaktion ihrer Schwester in Form irgendeiner sarkastischen Drohung ja absolut kommen sehen. Und doch wollte sich das Grinsen keineswegs von Aryanas Worten schmälern lassen. "Oh nein... nimm mir nur nicht... mein... Morphium...", hauchte sie theatralisch zur Antwort, als müsste sie in diesem Moment tatsächlich fürchten, dass ihr jemand die Nadel aus der Vene reissen könnte. Dabei war sie doch eigentlich mit absolut harmlosen Drohungen ihrer Schwester aufgewachsen. Meist klangen sie ziemlich furchterregend... Aber wirklich durchgezogen hatte Aryana maximal zwei Mal von tausend. Und dann meistens auch noch mit den beiden harmlosesten Mahnungen. Eigentlich erstaunlich, dass aus dem kleinen Lockenkopf irgendwann eine derart konsequente, hartnäckige und sture Frau geworden war... Jedenfalls gegenüber anderen Menschen, die nicht unter dem Schutz des Namens Cooper standen. Wenig später folgte dann auch schon Aryanas - ungefragte - Erklärung der Situation zwischen ihr und Mitch, mit der sie Faye wohl ein für alle Mal deutlich machen wollte, dass da nichts lief und blahblahblah. Und es mochte sogar stimmen, was wusste sie. Tatsache war einfach, dass sie sich vielleicht ein Bisschen zu sehr wünschte, ihre Schwester würde jemanden finden, der Aryana auf dieselbe Art glücklich machte wie Victor Faye selbst. Nicht, weil sie glaubte, dass ihre Schwester allein nicht klar kam. Einfach nur, weil es schön war, jemanden zu haben. Liebe zu bekommen. Und weil es noch viel schöner war, Liebe zu geben. "Jaja... Ich bin auch... froh... und dankbar... aber... das Küsschen... liegt ja wohl... im Rahmen", säuselte sie also unbeirrt weiter, ehe sie langsam wieder zu Victor blinzelte, sachte Muster auf seinen Oberarm malte. "Wir waren auch... mal... nur Freunde...", murmelte sie lächelnd mit den süssen Erinnerungen ihrer absolut unschuldigen Anfängen im Hinterkopf. Sie hatten sich gegenseitig Massagen gegönnt... Geredet... Noch viel mehr geredet... Er hatte einmal, ganz harmlos, bei ihr geschlafen... Und dann hatten sie aufgehört zu reden und zu massieren. Bis die dummen, dummen Duschen kaputt gegangen waren. Ups.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Es war fast schon ein wenig faszinierend, wie ein derartiges Gespräch zwischen zwei Freundinnen, Schwestern für Ablenkung zwischen all den Sorgen und Bedenken verantwortlich gemacht werden konnte. Es war so, als wäre für den Moment der eigentliche Ernst der Lage komplett ausgelöscht, einfach mal eben so bei Seite geschoben. Die kleine, ganz sicher wenig ernst gemeinte Stichelei - als würde Aryana ihrer kleinen Schwester jetzt bewusst Schmerzen zumuten - ließ mich unweigerlich weiter vor mich hin grinsen, erinnerte mich das doch etwas an die kleinen Pseudo-Streits zwischen Hazel und mir. Auch wenn mich die kleine Nervensäge manchmal in den Wahnsinn trieb, vermisste ich Momente wie diesen hier ein bisschen. Aber das war in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht gar kein so großes Problem mehr, würden mich doch keine zehn Pferde nochmal zurück aufs Schlachtfeld ziehen. Es war noch nie eine gute Idee gewesen in den Krieg zu ziehen und nach Alledem hier noch so viel mehr als ohnehin schon. Also konnte ich auch meine Familie wieder öfter sehen, ungeachtet dessen wo Faye und ich letztendlich verblieben. Waren sie überhaupt informiert? Wussten sie, dass ich hier lag? Ich sollte dem womöglich irgendwann zeitnah auf den Grund gehen. Für den Moment aber galt meine Aufmerksamkeit weiter den beiden Schwestern, wobei Aryana allgemein recht empfindlich auf dieses Thema zu reagieren schien. Auch ungeachtet der leicht verfärbten Wangen, angesichts ihrer abstreitend verneinenden Worte im Anschluss daran. Fast so, als wäre jetzt irgendwas Schlimmes daran, dass man Jemanden ein bisschen über Freundschaft hinaus mögen könnte. Das bewies mir ein weiteres Mal wie unterschiedlich die beiden Geschwister waren. Faye hatte, vielleicht auch nur unterbewusst, nach Jemandem - mir - gesucht, mit dem sie die Welt teilen konnte und Aryana sträubte sich eher fast schon etwas dagegen. Nein, das leichte Grinsen wollte nicht mehr recht verschwinden. "Ja, was ist schon ein kleiner Kuss..", murmelte ich vor mich her, wobei der leise Sarkasmus doch hörbar war. Natürlich bedeutete mir jeder noch so kurze, flüchtige Kuss mit Faye die Welt, war immer wunderschön und durch Nichts zu ersetzen. Aber ein kleines bisschen altmodisch war ich dahingehend vielleicht schon. Man musste ja irgendwie nur einmal durch Social Media scrollen und schon sah man sich als bloße Freunde betitelnde Menschen, die sich Küsschen gaben. Mal nur auf die Wange, andere wiederum bevorzugten scheinbar doch gleich die Lippen. Nein, das war dahingehend irgendwie nicht meine Generation, waren doch ausschließlich der zierlichen Brünetten, die jetzt anfing wieder mit ihren Fingern über meinen Arm zu wandern, meine Küsse vorbehalten. Alle davon, egal in welchem noch so geringen Ausmaß. Vielleicht war ich da irgendwie... spießig. "Zugegeben haben wir das... aber irgendwie nicht... besonders lang ausgehalten.", stellte ich jetzt so im Nachhinein fest, dass Faye und ich wohl weit weniger lang miteinander befreundet gewesen waren als Aryana und Mitch es jetzt waren, bevor es zu dem Ausrutscher gekommen war, der die blanke Freundschaft endgültig begraben hatte. Nur, damit wir auf einer viel besseren, höheren Stufe hatten weitermachen können. Aber das hieß wiederum nicht zwangsweise, dass bei den beiden nicht trotzdem Etwas sein könnte. So ein kleiner Funken, den sie beide regelmäßig immer wieder erstickten. Ich erwiderte Fayes Zärtlichkeiten damit, dass ich meine Hand doch für einen Moment von ihrem Unterarm löste und ihr stattdessen über die Wange strich, während ich sie ansah. Weil jeder noch so kurze Blick in ihre blaugrünen Augen mich erneut in ihren Bann zog. Liebe war etwas Schönes.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Faye entwich doch tatsächlich ein sehr sehr schwächliches, aber doch deutlich hörbares Lachen, als sie Victors Zustimmung zu dem harmlosen Kuss vernahm. Was Aryana nebenbei bemerkt nur noch mehr nerven dürfte. Faye sah vor ihrem inneren Auge ja schon das Bild ihrer Schwester, deren Pupillen erstmal bis nach Neuseeland und zurück kreisen dürften. Dass ein weiteres, leidenschaftliches Augenverdrehen tatsächlich das war, was sich auf Aryanas Gesicht abspielte, sah sie ja leider nicht. Aber sie hörte das geschlagene Stöhnen, das zweifellos die Begleitung von eben diesem Augenrollen war. "Hör auf, ihr auch noch dabei zu helfen, Victor!", erklangen dann auch noch die nahezu erwarteten Worten seitens Aryana. Und Faye grinste weiter triumphierend in sich hinein. "Er wird immer... auf... meiner Seite... sein... Find... dich... damit ab", erklärte sie frischfröhlich die Tatsachen, an denen es zum Leid ihrer Schwester nichts zu rütteln gab. Abgesehen davon, dass sie wirklich der Meinung war, Aryana sollte sich nicht so gegen das Küsschen sträuben. "Frag... einfach... Mitch... was er... dazu meint...", schlug sie also ihre Form eines Kompromisses vor, den Aryana ihrer Meinung nach wirklich eingehen sollte. Wenn Mitch keinen Kuss wollte, würde er das in diesem Fall sicher melden. Alles andere wäre dann eh ein Gewinn. Als Victor wieder auf sie beide zu sprechen kam, wurde Fayes Grinsen wieder sanfter, mehr von Liebe als von Schalk geprägt. Er hatte ja Recht. Sie hatten bald aufgegeben mit der Freundschaft. Und entsprechend hatten sie auch wirklich Glück gehabt, das alles, was danach gekommen war, doch irgendwie so gut funktioniert hatte. Man stelle sich nur mal vor - Herzschmerz neben dem ganzen Krieg und allem anderen, das einen dort sonst noch so beschäftigte... Das hätte echt nicht gut geendet für sie beide. "Stimmt schon... aber das... weiss die auch... und vielleicht... braucht... meine liebe... Schwester... ja einfach... etwas länger...", liess sie sich nicht von ihrer sturen Überzeugung abbringen, drückte kurz Aryana's Finger. Dann lag ihre ganze Aufmerksamkeit aber wieder auf Victor, dessen Hand sie gerade an ihrer Wange spürte. Was sie wiederum mit einem endlos verführerischen Luftkuss in seine Richtung beantwortete. Sie wünschte wirklich, ihn küssen zu können... Aber alles, was ihr Mund gerade erreichen konnte, war halt eben seine Hand.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Es tat unheimlich gut Faye lachen zu hören. Natürlich war dieses schwache, leise Gelächter nicht mit dem Normalfall vergleichbar. Klang nicht ganz so hell und fröhlich, wie es das sonst eben tat. Aber es war ein wirklich guter Anfang. Es erhellte meine eigene Stimmung unweigerlich und ich betete darum, dass Faye diese gute Laune noch eine Weile behalten würde. Das Morphium half dabei sicher ganz gut, war es doch dafür bekannt auch positiv aufs Gemüt zu schlagen und solange ich bei ihr bleiben konnte, standen die Chancen darauf vielleicht gar nicht so schlecht. Aryanas durchweg genervte Reaktion ließ mich noch ein klein wenig mehr grinsen. Es war eben einfach witzig, dass sie sich dahingehend so leicht reizen ließ und das machte es auch für ihre Schwester sicher nicht einfacher, wieder damit aufzuhören. Zumal Faye ganz einfach fest davon überzeugt zu sein schien, dass das eine absolut gute Idee war und dass es kein einziges Gegenargument gab, dass jene Idee vielleicht in Frage stellen würde. Die zierliche Brünette hatte sich gekonnt daran festgebissen und wollte wohl auch vorerst nicht mehr loslassen. "Mit uns im Doppelpack... hast du wohl schlechte Karten, Aryana... du hast die Prinzessin gehört... Ihr Wunsch sei dir Befehl.", stimmte ich weiter mit auf die kleine Stichelei ein. Nur, weil es Fayes Stimmung und dadurch auch meine erhellte. Vielleicht tat es auch einfach ein bisschen zu gut sich von den aktuellen Problemen mit einem für mich derartig unwichtigen Thema abzulenken. Den folgenden, laut ausgesprochenen Gedanken der jungen Frau konnte ich wohl auch nur beipflichten. Es war eben nicht bei allen Leuten so simple Liebe auf den ersten Blick wie bei Faye und mir. Bei uns beiden war die Chemie von Anfang irgendwie einfach da gewesen. Schon als sie ihre Hand bei dem ersten Kugelhagel im Wagen auf mein Bein gelegt hatte... das ließ sich eine Weile ganz gut ignorieren, war aber trotzdem nicht zu leugnen. Vielleicht hatte die Tatsache, dass wir allgemein von Anfang an auch recht viel körperlichen Kontakt gehabt hatten, unsere Liebe noch ein wenig schneller ins Rollen gebracht, aber ich war mir dennoch sicher, dass das nicht nötig gewesen wäre, um uns in die Arme des Anderen zu treiben. Wir waren ein typischer Fall von gesucht und gefunden. Aryana war hingegen offensichtlich der distanzierte Typ Mensch, da war das wahrscheinlich nicht mal theoretisch möglich, so von jetzt auf gleich. "Ja, das ist gut möglich...", ließ ich Faye auch hierbei meine Bestätigung wissen, kurz nachdem mich der Luftkuss empfangen hatte. Es war wirklich ein Jammer, dass das Morphium uns nicht auch noch ein wenig mehr Energie in die Adern leiten konnte...
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +