Auf ihre recht überflüssige Frage, die lediglich aus einem einzigen Wort bestand und doch ihre Zeit brauchte, bis sie zu meinem Gehirn durchgedrungen war, schüttelte ich nur in Zeitlupe den Kopf. Nein, ging nicht mehr. Es war mindestens eine weitere Pause nötig, damit ich auch nur ansatzweise hätte weitergehen können. Lediglich Aryanas ruckartige Kopfbewegung verriet mir, dass ich zumindest nicht der Einzige sein konnte, der das helle, fröhlich klingende Lachen gehört hatte. Entweder hatten wir also gerade zufällig beide im gleichen Moment das gleiche Hirngespinst - was doch sehr unwahrscheinlich war, nüchtern betrachtet -, oder aber es kam uns tatsächlich Jemand entgegen. Viel weniger wichtig bei dem Gedanken waren jedoch die Menschen an sich, strebte ich doch eindeutig mehr nur nach deren Wasser. Niemand ging ohne die lebenserhaltende Flüssigkeit in eine Wüste. Im Gegensatz zu der Brünetten brauchte ich aber mehr als nur ein paar Sekunden, bevor ich mich wieder in Bewegung setzen konnte. Falls man das derart betiteln konnte, kam ich mit den wackligen Schritten, die das kurzzeitig ausgeschüttete Adrenalin durch den Fast-Sturz nicht einfacher machte, eigentlich kaum vorwärts. Aryana war noch immer ein Stück weit vor mir, als die kleine Reisegruppe sie erreichte und sich nach etlichen Worten, die ich zwar hörte aber gar nicht zu ordnen wusste, auch schon daran machte Wasser zu organisieren. Ich war furchtbar dankbar dafür, dass einer der jungen Männer mir noch zwei, drei Schritte entgegen kam. In seiner linken Hand, die sich bereits in meine Richtung ausstreckte, hielt er die heiß begehrte, durchsichtige Flüssigkeit in einer Plastikflasche. Ich ließ gar keine Worte verlauten, sondern griff stattdessen nur etwas zu hastig nach der Flasche, schraubte sie mit zitternder Hand auf und begann zu trinken. Auch, wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, war ich in diesem Moment sichtlich dankbar dafür, dass der mir unbekannte Kerl mich dann ein wenig am freien Arm stützte, waren die Beine doch noch immer extrem wackelig. Nach ein paar ersten Schlucken musste ich noch einmal absetzen, war der Magen doch absolut leer und die Übelkeit verstärkte sich für einen Moment. Dabei schloss ich die Augen, ehe der Rand der Flasche erneut an meine Lippen wanderte und mehr vom Wasser meine Kehle runter fließen ließ. Als der erste Durst gestillt war - mehr oder weniger - half mir der Kerl auch noch halbwegs sachte auf dem Boden aufzusetzen, wobei ich mich mit angewinkelten Beinen für zwei, drei Minuten auf den Rücken legte. Dadurch stieg die Durchblutung in meinem Kopf wieder ein wenig an und die Kopfschmerzen wurden zwar nicht merklich weniger, aber ich konnte langsam ein bisschen klarer denken. Vermutlich auch, weil ich jetzt erst einmal nicht mehr fürchten musste zu verdursten. So lag ich da ein paar Minuten, bevor ich mich wieder aufsetzte und dann die Flasche leer machte. Ein wenig übel war mir noch immer, aber ich fühlte mich zumindest schon minimal besser. Wohl auch, weil der Typ sich bewusst so hingestellt hatte, dass er das Sonnenlicht von meinem Oberkörper abschirmte. Meine Atmung hatte sich indessen wieder normalisiert, als Richie - wie ich mittels einem Gespräch zwischen ihm und der jungen Frau hatte hören können - mir erneut ein paar Fragen stellte, die sie wohl nach wie vor beantwortet haben wollten. Mit oftmals stockender, knapper Wortwahl stand ich also Rede und Antwort, während einer der Anderen wohl dabei war einen Freund oder Bekannten anzurufen. Dem Akzent nach zu urteilen hatten wir Australier vor uns. Solche, die uns ein Taxi - eher Geländewagen, vermutete ich - zu rufen wussten, damit wir nicht noch etliche weitere Kilometer unter der Hitze der Sonne laufen mussten. Erst als der junge Mann neben mir einen weiteren halben Liter Wasser zu mir nach unten reichte, schwankte meine ohnehin nur geringe Aufmerksamkeit von dem kurzen Telefonat im Hintergrund zurück zu ihm und ich ließ erstmals ein doch sehr aufrichtiges "Danke.", von mir hören. Sein Lächeln war Antwort genug. Mein Hut war vorhin beim Hinlegen vom Kopf gerutscht und lag noch immer im Dreck, als ich mir einen kleinen Teil des Wassers über den Kopf schüttete. Es war nicht richtig kalt, aber doch deutlich kühler als die warme Außenluft und tat unfassbar gut. Nicht zuletzt deshalb, weil ich mir damit auch über die vom getrockneten Schweiß sehr angespannte Haut wischen konnte. Danach wanderte die Flasche dann zügig erneut an meine Lippen, wobei ich nur noch kleinere Schlucke mit Pausen nahm. Nicht, dass ich zu viel trank und das lang ersehnte Wasser direkt wieder auskotzte.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Kaum liefen die ersten Tropfen des lauwarmen Nasses ihre Kehle hinab, fühlte sie sich schon besser. Nicht, weil sie direkt keinen Durst mehr verspürte oder weil irgendwelche Schmerzen nachliessen, sondern einfach, weil die panische Angst, die sich in ihrem Hinterkopf festgekrallt hatte, die Angst, gleich gezwungenermassen kläglich zu verrecken, Stück für Stück verschwand. Sie trank die Flasche mit geschlossenen Augen langsam leer, setzte sie dabei zweimal kurz ab, um dazwischen noch zu atmen. Trotz allem fühlte sie sich elendig, jetzt, wo sie sich nicht mehr selber vorheucheln musste, noch Kraft und Wille zu haben, irgendwas zu tun. Aber die Erleichterung, die sie mit dem Wasser und der Erscheinung ihrer unverhofften Retter erfüllte, war riesig. Einer von ihnen, Aryana hatte sich nicht merken können, wie er hiess oder was er sagte, hatte sich neben sie auf den Boden gekniet, betrachtete sie besorgt und fragte immer wieder Dinge, die sie in diesem Moment aber nicht wirklich verstand. Glücklicherweise übernahm Mitch das Antworten auch, weshalb der Brünetten die Augen wieder zufielen und sie zuliess, dass ihr Körper den restlichen Elan abwarf und sie sich einfach seitlich auf den roten Boden legte. Die Hände hielten sich Halt suchend an zwei Büscheln trockenem Gras fest, weil sich weiterhin alles drehte, während sie flach vor sich hin atmete. Wenn diese Menschen nicht gekommen wären, wäre sie wahrscheinlich in den nächsten fünfzehn Minuten gekippt. Und es war sehr zweifelhaft, ob sie es dann nochmal auf die Füsse geschafft hätte. Wahrscheinlich hätte sich ihr Körper in eine tödliche Ohnmacht geschlichen und sie wäre unter der gleissenden Sonne vertrocknet. Darum schlug sie jetzt auch mühsam die Augen wieder auf, um den jungen Mann neben ihr hinter dem Schleier des Schwindels hervor anzublinzeln, während ihre Mundwinkel sich zu einem sehr schwachen, fiebrigen Lächeln verzogen. Sie öffnete die noch feuchten Lippen, brauchte ein paar Sekunden, ehe sie das einzige angebrachte Wort formen konnte. "Danke...", es kam so leise und schwach von ihr, dass Aryana sich nicht sicher war, es wirklich hörbar ausgesprochen zu haben. Aber er hatte es verstanden, schüttelte etwas den Kopf, sah aber noch immer genauso besorgt zu ihr runter. Er redete mit seinen Kollegen, fragte, wie lange es dauern würde, bis irgendwer kam. Aber die Brünette hörte nicht zu, hatte die Augen kraftlos wieder geschlossen, als Adam - offenbar sein Name - Wasser auf ein dünnes Tuch tunkte, mit dem er ihr gleich darauf die heisse Stirn abtupfte. Für einmal war es ihr vollkommen egal, jegliche Kontrolle abgegeben zu haben. Sie vertraute ihr Leben einfach ohne jegliche Besorgnis diesen Menschen an, die hier bei ihnen sassen. Die Mitch und sie gerade gerettet hatten und jetzt sicher auch dafür sorgten, dass sie nicht doch noch starb. Gerade musste sie einfach hier liegen und die Augen zu halten, während das Wasser den Weg in ihren stockenden Kreislauf fand. Das war alles, was sie konnte.
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Scheinbar sollte es noch eine gute halbe Stunde dauern, bis uns hier das lang ersehnte Taxi zurück zum Parkplatz erreichen sollte. Auch dorthin zurück war vermutlich ein kleiner Umweg von Nöten, weil der dort noch deutlich sichtbare Fußgängerweg, auf dem wir die ersten Kilometer durch das Gestrüpp gegangen waren, niemals breit genug für ein Auto war. Aber das war mir wirklich egal. Hauptsache ich musste bis zur Ankunft des Fahrzeugs keinen weiteren Meter mehr laufen, sondern konnte mein Dasein weiter hier auf dem harten Boden fristen. Vor mich hin vegetieren in der stillen Hoffnung, dass mein Körper das neu gewonnene Wasser möglichst schnell verarbeitete. Jedoch blieb ich sitzen, weil ich das Gefühl hatte, dass mir im Liegen noch übler wurde. Erst nach einigen Minuten schien der unangenehme Druck im Magen ganz langsam etwas nachzulassen und der Rest des noch in der Flasche übrigen Wassers floss meinen Rachen hinunter. Als auch die zweite Flasche leer war sah ich erstmals wieder zu Aryana. Zwar sah die junge Frau nicht weniger fertig aus als noch vor ein paar Minuten, war aber mehr oder weniger wohlauf. Konnte sich ebenso wie ich einfach in der Hilfe der Unbekannten treiben lassen, ohne sich Gedanken dazu machen zu müssen. Zu viel mehr war wohl ohnehin keiner von uns beiden noch fähig, würde unser Kreislauf doch noch einige weitere Stunden brauchen, um sich ansatzweise zu erholen. Mein Blick rutschte erst wieder stockend von der Brünetten ab, als mir ein Riegel hingehalten wurde. Ähnlich dem, den Aryana mir gestern hingehalten hatte. Ich war mir nicht sicher ob ich ihn ganz runter kriegen würde, nahm ihn aber dennoch entgegen und biss hinein. Bis ich den Motor unserer Mitfahrgelegenheit in Reichweite kommen hörte war der immerhin minimal Energie spendende Snack ganz in meinem Magen abgetaucht, wenn auch nur langsam und Stück für Stück, während ich immer wieder ein paar wenige Worte mit dem jungen Mann neben mir wechselte. Als der Offroad-Jeep - Gott sei Dank keiner mit offenem Dach - schließlich in Sichtweite kam streckte mir Richie seine Hand entgegen und half mir auf die noch immer wackligen Beine. Fand mein Kopf wieder gar nicht witzig, holte mich die elende Dreherei doch sofort wieder ein und ich schloss einen Moment lang die Augen, um das Rotieren bestmöglich nach ein paar Sekunden los zu werden. Ich vergewisserte mich mit einem kurzen Blick in Richtung meiner eigentlichen Reisebegleitung, dass sie ebenfalls wieder auf die Beine gekommen war, ehe ich mich von dem jungen Mann begleitet in Richtung des ehemals weißen Wagens begab, der voll von dem rötlichen Staub war. Der Fahrer wechselte ein paar Worte mit einem der anderen Jungs, wofür ich gerade aber kein Ohr übrig hatte. Ich war beschäftigt genug damit mit dem Rucksack in der rechten Hand auf den Rücksitz zu kriechen, der so furchtbar hoch lag. Entsprechend war ich heilfroh darüber, als ich endlich mit dem Arsch auf dem weichen Polster saß und mich nach hinten anlehnen, den Kopf in den Nacken legen und die Augen wieder schließen konnte. Erst als der Fahrer hinterm Steuer ein oder zwei Minuten später fragte wo wir überhaupt hin mussten, öffnete ich die Augen noch einmal und versuchte ihm mit möglichst wenigen Worten - zu reden war immer noch echt anstrengend - zu vermitteln, wo sich der Parkplatz befand. Er kannte sich hier offenbar sehr gut aus und nickte schon bald, wusste wohin es gehen sollte. Hoffentlich verschlimmerte die Fahrt durch das unwegsame Gelände jetzt nicht wieder meine Übelkeit.
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Die ganzen folgenden Minuten blieb Aryana einfach liegen. Die einzige Bewegung, für die sie, abgesehen von den noch immer mehr stossartig durchgeführten Atemzügen, den Willen fand, war eine leichte Rechtsdrehung ihres Kopfes. So, dass sie sich kurz versichern konnte, dass Mitch auch noch lebte. Dass er, genau wie sie, Wasser eingeflösst bekommen hatte und somit tatsächlich gerettet war. Das liess sie fast schon friedlich lächeln, bevor ihre Augen wieder zufielen, weil die Kopfschmerzen und der Schwindel weiterhin zu stark waren für irgendwas anderes. Adam fragte immer mal wieder nach ihrem Wohlbefinden, erkundigte sich, ob sie was Essen wollte und half ihr nochmal in eine halbwegs aufrechte Position, damit sie erneut Trinken konnte. Wie auch Mitch so beantwortete sie die Fragen eher stockend und nur mit einzelnen Worten, während sie die halbe Stunde, bis ihr Taxi bei ihnen ankam, mehrheitlich mit Liegen und Atmen überbrückte. Sie war so erleichtert. Und die Erleichterung führte unweigerlich dazu, dass sie die totale Erschöpfung ihres verausgabten Körpers vollends zu spüren bekam. Also noch mehr als vor einigen Minuten, als sie der festen Überzeugung gewesen war, sich die ewigen Kilometer bis zum Auto noch irgendwie selber voranschleppen zu müssen. Sie hörte den Jeep, bevor er sie erreicht hatte. Was kein Kunststück war, da es abgesehen von den leisen Gesprächen und dem Zirpen der Grillen und anderen Insekten fast vollkommen still war in dieser Wüste. Schwerfällig stützte sie sich auf ihre Ellbogen und liess sich nur zu gerne von Adam auf die Füsse ziehen. Oder heben, denn eigentlich war er es, der ihr Gewicht hielt und nicht sie. Er brachte sie auch zum Auto, sorgte dafür, dass sie sicher auf dem Rücksitz Platz nahm, während sich in ihrem Kopf wieder alles so kotzig schnell drehte. Nachdem er ein weiteres Mal sichergestellt hatte, dass es ihr gut ging - oder so gut wie möglich - und sie sich ein weiteres Mal leise bedankt hatte, schloss er behutsam die Tür. Richie stieg sicherheitshalber auf dem Beifahrersitz ein, während die anderen zu Fuss den Rückweg antreten würden - war ja eigentlich nicht so weit, wenn man angemessen ausgerüstet und bei Kräften war. Die Fahrt zum Parkplatz dauerte ebenfalls etwas mehr als eine halbe Stunde, da der Jeep nur langsam vorankam und einen anderen Weg wählte, als sie das gestern getan hatten. Aryana bekam davon aber nicht besonders viel mit, da sie nur hin und wieder flatternd die Lider hob, um sich zu orientieren. Oder es zu versuchen, wirklich klappen wollte es nicht, da hier schlich alles irgendwie gleich aussah. Wussten sie spätestens seit gestern auch sehr gut. Richie unterhielt sich während der Fahrt mit Mike, ihrem Chauffeur, um ihm die Situation nochmal in aller Ruhe auszulegen. Und möglicherweise hörte man in seiner Stimme dabei ein leises Lächeln - dasselbe, das auch auf Mikes Gesicht minimal amüsiert glänzte. Aber das war egal. Sie hatten sie gerade aus der tiefsten Scheisse gezogen, da würde Aryana ihnen noch sehr viel mehr als ein Lächeln verzeihen. Ein erleichtertes Seufzen kroch über ihre Lippen, als der Jeep langsam abbremste und sie die Augen zum Anblick ihres schmerzlich vermissten Campers wieder öffnete. Drei. Verdammte. Kreuze! Einen Moment brauchte sie noch, um mit zittrigen Fingern ihre Gurtschnalle zu lösen und die Tür aufzustossen, dann aber schob sie sich - mit den Händen stets irgendwo abgesichert - vom Rücksitz nach draussen. Sie kam nicht umhin, sich sofort wieder den Kopf zu halten, weil der Schwindel selbstverständlich akut zurückkehrte, aber das war nicht schlimm. Wieder kam mindestens drei Mal ein heiseres, endlos erleichtertes "Danke", von ihr, das von dem Lächeln auf ihrem Gesicht begleitet wurde. Noch hielt sie sich am Auto fest, aber sie wusste nicht mal, was sie als Erstes tun wollte, sobald sie wieder in ihrem fahrbaren Heim sass. Duschen eigentlich, aber ob sie dazu schon genügend Kraft hatte, war eher fraglich. Schlafen? Am Schatten Sitzen und Weinen, sobald sie das wieder konnte? Trinken? Essen? Scheissegal. Hauptsache sie lebten.
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Die Fahrt über hielt ich die Augen überwiegend geschlossen. Versuchte mich soweit wie irgendwie möglich zu entspannen. Die Übelkeit hielt sich trotz dem einen oder anderen unangenehm Ruckler des Fahrzeugs in Grenzen und würde sicher in ein paar Stunden weg sein. Spätestens Morgen, der heutige Tag war ja noch gar nicht so alt. Ob der Hitzschlag, den ich ganz sicher von dem unschönen Abenteuer davongetragen hatte, sich noch durch den morgigen Tag ziehen würde war schwer zu sagen, also würde ich das wohl auf mich zukommen lassen müssen. Erstmal galt es die Fahrt heil zu überstehen und ich öffnete die Augen nur hin und wieder um einen kurzen Blick aus dem Fenster oder zur anderen Seite zu werfen, wo Aryana saß. Nur um sicher zu gehen, dass sie mir nicht aus dem Fenster fiel oder so. Was die anderen beiden im vorderen Bereich des Wagens so vor sich hin redeten fiel mir gar nicht auf. Interessierte mich auch einfach nicht sonderlich, ich war schlicht und ergreifend nur aufs Ankommen fixiert. Ankommen, durchatmen, langsam wieder zur Normalität zurückkehren. Der erste Punkt davon sollte bald erreicht sein, als der Geländewagen anhielt und das weiße Wohnmobil unweit von uns in mein Sichtfeld rutschte. Ich hätte nicht sagen können, wann ich zuletzt so unfassbar erleichtert über eine finale Ankunft gewesen war. Unbewusst lächelte ich minimal, als ich den Anschnallgurt löste und letztendlich aus dem Wagen stieg. Wieder war der Stand auf den Beinen im ersten Moment sehr wacklig und kraftlos, aber ich gewöhnte mich relativ schnell daran und ging mit dem Rucksack in der rechten Hand noch einmal nach vorne zum Fahrer. Schüttelte ihm mit aufrichtigem Dank - sowohl wörtlich, als auch im Ausdruck meiner müden Augen - die Hand. Mike erkundigte sich noch danach, ob wir wirklich alleine zurechtkamen. Ich nickte nur recht bestimmt und entfernte mich dann langsamen Schrittes von dem Auto. Hob noch einmal die Hand zum Abschied und ließ den beiden Männern ein letztes Lächeln zukommen, bevor ich im kleinen Fach auf dem Deckel des Rucksacks nach dem Aufziehen des Reißverschlusses nach dem Schlüssel des Wohnmobils suchte. Beim Herausziehen wäre er mir beinahe runtergefallen, waren die Finger doch reichlich zittrig und unkoordiniert. Dennoch war der Knopf der Zentralverriegelung bald gefunden und der Wagen entsperrte die Schlösser hörbar, während ich die letzten beiden Schritte zur Seitentür tätigte. Als ich diese dann öffnete schlug mir sofort eine hochgradig stickige, heiße Luft entgegen, die mich beinahe wieder rückwärts gehen hätte lassen. Natürlich, da drinnen hatte sich die ganze Hitze total angestaut und das ließ mich einmal hörbar erschöpft seufzen. Also ging ich noch einmal einen Schritt zur Seite und ließ einen Bruchteil der heißen Luft zuerst aus dem Camper entweichen, lehnte mich neben der Tür gegen letzteren und schob mir mit meinem Gleichgewicht ringend schon einmal die Schuhe und Socken von den Füßen. Den stinkigen Geruch durften sie ruhig erst einmal hier draußen ablegen, bevor sie irgendwann nach drinnen kamen. Heute fuhren wir wohl ohnehin nicht mehr weiter, fühlte sich dazu sicher keiner von uns beiden im Stande. Die verhältnismäßig frische Luft an den Zehen tat gut, obwohl meine Fersen merklich gereizt von den vielen Schritten waren. An der linken hatte ich wohl eine Blase, aber die war für den Augenblick komplett irrelevant. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen um symbolisch alle Kraft zu sammeln, bevor ich dann die Treppe hinein ging und dabei fast schon wieder stolperte. Meine erste Amtshandlung war das Ablegen des Rucksacks auf der Sitzbank am Tisch. Danach schleppte ich mich nach und nach zu allen vorhandenen Fenstern und öffnete sie, um die stickige Hitze möglichst zügig durch Luft mit Sauerstoff zu ersetzen. Dann lehnte ich mich kurz zur eigenen Stabilisierung mit der Hüfte an den Esstisch, um mir das Hemd über den Kopf zu ziehen. Trotzdem schwankte ich dabei ein klein wenig und fluchte leise, bevor ich zum Kühlschrank ging und eine große Flasche Wasser herausnahm. Der nach wie vor leicht brennende, aufgeschürfte Unterarm musste noch ein klein wenig warten, hielt ich es doch nicht mehr länger im Inneren des Wagens aus und flüchtete mich mit dem Wasser wieder nach draußen auf die Schattenseite des Wohnmobils.
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Aryana brauchte noch einen Moment länger als Mitch, bis sie sich wieder soweit sicher auf den Füssen fühlte, um sich vom Auto zu lösen. Richie betrachtete sie dabei argwöhnisch, wenn auch weiterhin mit einem milde amüsierten Lächeln. Netterweise fragte er auch, ob sie noch Hilfe brauchte, aber sie war eindeutig der Meinung, davon jetzt erstmal genug bekommen zu haben. Also verneinte sie die Frage, bedankte sich stattdessen in aller Förmlichkeit ein weiteres Mal bei den beiden Herren, ehe sie tief einatmete und mit relativ wackeligen Schritten zum Wohnmobil schlurfte. Mitch hatte dessen Tür schon aufgezogen und da er selber keine Anstalten machte, direkt nach drinnen zu gehen, sah sie selber auch noch ein paar Minuten davon ab. Der Grund dafür lag mit dem Näherkommen auf der Hand. So blieb auch Aryana wieder stehen, beziehungsweise ging in die Knie, um es ihrem Reisegefährten gleich zu tun und die Schuhe von den schwitzigen Füssen zu schieben. Erst, als Mitch schliesslich nach drinnen gegangen war - der Jeep ihrer Retter war mittlerweile, begleitet von guten Wünschen und Dank, vom Parkplatz gefahren - stemmte sie sich zurück auf die zittrigen Beine, um ihm zu folgen. Jeder der vier Tritte, die ins Innere des Campers führten, war ein wahrer Kampf und sie brauchte nach jedem Schritt einen Moment, um sich wieder zu sammeln und den Schwindel einzudämmen. Wirklich wirklich schrecklich, was so ein Bisschen Sonne anrichten konnte.. Drinnen liess sie den Rucksack und den grausam verschwitzten Hut auf den Boden sinken, ehe sie erst einmal ihre Hände unter dem schwachen Strahl des warmen Tankwassers wusch. Mit Seife. Weil sie sich so endlos hässlich anfühlten. Dann kramte auch sie sich eine frische Flasche Wasser und eine Scheibe Toast hervor - Hauptsache irgendwas wirklich leicht Verdauliches, womit sie ihren Magen beruhigen konnte. Den Riegel hatte sie nämlich vorhin abgelehnt, weil ihr dazu zu schlecht gewesen war. Damit ging sie zurück zum Eingang und setzte sich auf die zweitunterste Stufe, begann bedächtig auf dem Brot herum zu kauen. Nach der Hälfte der Scheibe hob sie langsam den Blick, blinzelte zu Mitch. "Willst...", sie räusperte sich, hustete ein paar Mal angerostet, ehe sie einen zweiten, heiseren Versuch startete. "Willst du zuerst duschen oder soll ichs nachher versuchen?", fragte sie ihn dann. Wenn er sich körperlich fit genug für eine Dusche fühlte, durfte er gerne zuerst gehen. Sie wäre nämlich mit Sicherheit eine Weile im Bad, wenn sie sich erstmal dazu aufraffen würde. Schon nur, weil all ihre Bewegungen momentan in Zeitlupe durchgeführt wurden.
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Erst lehnte ich mich einfach nur schweigend an den Camper und nahm ein, zwei Mal einen Schluck aus der Flasche, bevor ich die müden Augen schloss. Es war ganz gut, dass Aryana noch einmal beim Reden absetzte und sich räusperte. In den folgenden Sekunden konnte ich dann mein Hirn darauf fokussieren meinen Kopf in ihre Richtung zu drehen, sie anzusehen und im Anschluss ihren Worten Gehör zu schenken. Allein schon beim Zuhören wurde mir bewusst wie furchtbar langsam mein Kopf war. Was ich darauf antworten sollte wusste ich auch nicht recht. Natürlich wollte ich unheimlich gerne endlich den ganzen Schweiß und Staub loswerden, mich wieder fühlen wie ein zivilisierter Mensch, aber ich war so müde, kraftlos, einfach kaputt. Allerdings zweifelte ich wiederum auch stark daran, dass das heute irgendwann noch merklich besser wurde und in meinem jetzigen Zustand schlafen zu gehen kam absolut gar nicht Frage. Im Grunde war es mir jedoch ziemlich egal wer nun zuerst unter die Dusche ging, weshalb ich ein wenig mit den Schultern zuckte und erst ein paar Sekunden später dann eine wörtliche Erklärung dran hängte. "Ja, denke schon... ich muss sowieso ins Bad wegen der Wunde. Sollte wohl mal sauber gemacht werden...", redete ich mit leicht kratziger Stimme vor mich hin, hob dann den Arm an und besah mir die Wunde noch einmal. Das Blut war schon lange angetrocknet und an sich sah sie auch nicht allzu schlimm aus, aber die Haut war großflächig angeschrammt und Risiken einzugehen war bei der Wundversorgung nicht so mein Ding. Eine kleine Weile blieb ich trotzdem weiterhin draußen im Schatten, bis ich mir sicher war, dass die Luft im Camper langsam so Etwas wie erträglich wurde. Erst dann stieß ich mich vorsichtig wieder von der Seitenwand ab und bedeutete der schlanken Brünetten mit einem leichten Seitwärts-Nicken, dass sie sich zumindest ein klein wenig schmaler machen musste, damit ich da vorbei kam. Tat sie auch, was Dank der Tatsache, dass ich mich an dem kleinen Geländer an der Seite der Treppenstufen festhielt, auch zu keinem Zusammenstoß führte. Die Luft im Fahrzeug war noch immer sehr warm, aber doch schon deutlich weniger stickig als vorher. Womöglich würde ich den Motor nach der Dusche mal eine Weile anschmeißen, um die Klimaanlage laufen zu lassen. Das Wohnmobil stand mitten in der Sonne, was für unsere Regeneration nicht unbedingt vorteilhaft war. Zuerst führte mich der Weg jetzt aber ins Badezimmer, wobei ich auf dem Hinweg noch frische Boxershorts bei meiner Tasche einsammelte und die Wasserflasche auf meine Matratze schmiss. Meine Beine fühlten sich beim Gehen nach wie vor weich an und von A nach B zu kommen glich einem gefühlten Marathon. Dennoch kam ich in dem kleinen Bad an und wuscht mir dort erst die Hände, im Anschluss dann vorsichtig den Arm ab. Ich griff nach dem winzigen Erste-Hilfe-Kasten unter dem Waschbecken, desinfizierte die Wunde, was durch den brennenden Schmerz ein wenig mehr Leben in meine Gesichtszüge brachte. Danach wurde ich das letzte bisschen Klamotten los und stieg unter die Dusche, wo ich mich permanent an die Wand lehnte, dort Halt suchte. Immer versucht den verletzten Arm aus den Wasserstrahlen heraus zu halten brauchte ich eine halbe Ewigkeit, bis ich mich wirklich wieder sauber fühlte. Zum Schluss drehte ich das Wasser von eher nur lauwarm doch einmal deutlich kälter, um meinen Kreislauf nur ein kleines bisschen anzuregen. Mir pseudomäßig für den Weg bis zum Bett ein wenig Energie einzuhauchen. Erst einmal war nach dem Abtrocknen und flüchtigem Eincremen meiner gereizten Haut aber für das Anziehen der Unterwäsche eine weitere Meisterleistung mit reichlich hin und her taumeln von Nöten. Meine Haare waren ganz bewusst noch nass, als ich das kleine Bad wieder verließ und mich mit der Hand an der Wand bis zu meiner Matratze vor arbeitete. Nur fünf Minuten liegen, oder so... die Klimaanlage rannte mir nicht weg. Außerdem machten meine Beine den Scheiß hier nicht mehr lange mit.
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War ihr auch Recht, wenn er zuerst ging. Dann hatte sie mehr Zeit mit der Flasche und dem Brot und ihrem Kopf und ihrem müden Kreislauf. Trotzdem murmelte sie noch ein 'Brauchst dich nicht zu beeilen' vor sich hin, damit der junge Mann auch ja wusste, dass er ruhig noch eine Stunde hier draussen stehen und atmen konnte, bevor er sich kräftetechnisch halbwegs fit für ne Dusche fühlte. Schliesslich traf dieser Moment aber nicht ganz so weit in der Zukunft ein und sie rutschte auf der Treppe zur Seite, um Mitch passieren zu lassen. Während er im Bad verschwand machte sie sich nicht die Mühe, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Blieb einfach sitzen und ass in kleinen Bissen das Brot, trank das Wasser, welches ihr Körper so vermisst hatte. Als sie ihn wieder aus dem Bad kommen hörte, seufzte sie leise in sich hinein, liess den Blick nochmal über die Landschaft schweifen, die hier in der gleissenden Sonne vor ihr lag. Blendete schon vom blossen Anblick wie die Hölle... Nein, Aryana hatte eindeutig genug Sonne für viele Stunden gehabt. War nur keine Option, jetzt erstmal für mehr als einen Tag im Schatten des Campers zu verschwinden. Aber immerhin diesen Tag würden sie sich gezwungenermassen gönnen müssen, weil keiner von ihnen im Stande sein dürfte, das Fahrzeug vorher auch nur einen Meter zu verschieben. Sie ging zittrig wie ne alte Omi nach drinnen, schleppte sich zu ihrer Tasche um dort frische Unterwäsche raus zu suchen und sich im Anschluss damit im Bad zu verkriechen. Die Dusche war in etwa so herausfordernd, wie sie sich das vorgestellt hatte. Die Brünette liess sich schon nach wenigen Sekunden auf den Boden sinken und blieb dann auch in der kleinen Kabine sitzen, während sie sich mühsam das Shampoo in die verklebten Haare massierte und das Duschgel auf ihrer gereizten Haut verteilte. Auch als das Wasser wieder auf ihren ausgezehrten Körper plätscherte, stand sie nicht auf sondern wartete, bis sie wirklich fast vollkommen frei von Schaum und Schmutz war. Wieder auf den Füssen folgte ein letztes Abspülen, ehe die Dusche nach einer gefühlten Ewigkeit beendet war und sie sich ans Abtrocknen und Eincremen machte. Letztendlich schlüpfte sie in die Unterwäsche und putzte sich etwas fahrig die Zähne, weil sich ihr ganzer Mund einfach noch immer so eklig anfühlte. Als sie das Bad schliesslich verliess, war sie zwar sauber und fühlte sich dadurch doch etwas besser, hatte gleichzeitig aber noch viel weniger Kraft als davor, weshalb irgendwas anderes als Schlafen gar nicht mehr in Frage kam. Sie schaffte es gerade so zu ihrem Bett, wo sie auf die Matratze sank und ihre Dreckwäsche achtlos auf den Boden sinken liess. Später. Später würde sie das aufräumen. Da mittlerweile der Generator und die Klimaanlage schnurrten, zog sie sich noch ihr Schlafshirt über den Kopf, um eine Erkältung möglichst vorzubeugen, bevor sie als letzte Amtshandlung einfach nur noch flach auf den Bauch in die Matratze plumpste. Und da würde sie mit Sicherheit auch für die nächsten Stunden liegen bleiben, bis sich ihr Körper fürs Erste von der Fast-Nahtot-Erfahrung erholt hatte. "Nacht, Mitch. Ich bin froh, dass wir noch leben", murmelte sie leise, schon fast im Halbschlaf, in seine Richtung. Die Augen schon geschlossen.
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Nach dem unschönen Zwischenfall gingen Aryana und ich die wenigen verbliebenen Tage des Urlaubs in Australien wirklich eher entspannt an. Einmal fast auszutrocknen war Anstrengung genug gewesen und so bevorzugte ich es von da an einen Gang runter zu fahren. Ließ die Ferien ganz entspannt ausklingen und unternahm nur noch wenig bis gar nicht anstrengende Ausflüge mit der Brünetten. Am Abend schloss ich dann häufig mit ein paar Liedern auf der schon sehr lieb gewonnen Gitarre ab, bevor wir schlafen gingen... und irgendwann rief dann leider wieder ein Flugzeug nach uns, nachdem der Camper zurück an die Vermietung gegangen war. Ich hatte nur extrem wenig Lust die etlichen Flugstunden erneut hinter mich zu bringen und tatsächlich auch wenig Lust im Allgemeinen, Australien wieder zu verlassen. Es hatte noch viele von uns nicht besuchte Ecken, die ich gerne gesehen hätte. Naja, irgendwann anders vielleicht. Der Armee-Alltag holte mich jedoch so eiskalt wieder ein, dass ich schon bald gar keinen Zeit mehr dazu hatte mir darüber überhaupt Gedanken zu machen. Der schöne Urlaub rückte in den Hintergrund, während ich wieder tägliche die morgendlichen Läufe ums Camp und weitere Aufgaben auf mich nahm. Zu Beginn der ersten Woche im Camp absolvierte ich auch vermehrt ein paar Schussübungen, um ganz sicher zu sein, dass mir die zwei Wochen Pause keinen Abbruch getan hatten. Die ersten beiden Schüsse war ich tatsächlich unkonzentriert, aber danach fand ich auch in dieser Hinsicht wieder nahtlos zurück in den tristen, stark strukturierten Alltag der US Army. Schon nach ein paar Wochen, in denen Aryana und ich uns logischerweise wieder sehr viel weniger sahen als während der Ferien, trafen wir uns doch jetzt wieder nur noch abends auf den Türmen ab und an, war es fast so als wär ich nie weg gewesen. Auch die Sache mit meiner ehemaligen Spionage rückte jetzt, wo ich wieder sehr viel weniger Zeit zum Nachdenken hatte, schnell in den Hintergrund ich hatte sie sogut wie vergessen. Ich dachte wirklich, dass sich diese Geschichte vielleicht einfach erledigt hatte. Naiv, wie mir schon sehr bald unmissverständlich klar gemacht wurde. Ragan zitierte mich etwa eineinhalb Monate nachdem ich meine Arbeit wieder aufgenommen hatte in sein Büro. Mit reichlich Nachdruck, weshalb ich innerlich schluckte und dieser Forderung - überbracht durch einen anderen Soldaten - unmittelbar nachkam. Vor dem Anklopfen an seiner Bürotür atmete ich noch einmal tief durch und trat dann nach Bewilligung ein, wo mich nicht nur der Lieutenant empfing, sondern auch ein höheres Tier und zu meinem Missfallen ebenfalls die junge Frau, mit der ich den Urlaub verbracht hatte. Die kurze Videobotschaft, die offenbar über eine - eigentlich - der Öffentlichkeit unbekannte Mailadresse rein geflattert war und mir ohne große Umschweife vorgehalten wurde, nachdem ich gegenüber Platz genommen hatte, traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Oder eher ein Tritt. Mit Anlauf, aus dem Sprung heraus. Allerdings wahrte ich meinen neutralen, ruhigen Gesichtsausdruck dabei. Sie enthielt einige Schlagworte, die zusammengewürfelt selbst ins Englische übersetzt nur wenig Sinn ergaben. Der Deal schien endgültig geplatzt, es war noch eine nette Drohung mit Folter, Mord und Totschlag verpackt und zu allem Überfluss fiel mein Nachname am Schluss. Nach Ende der knapp eine halbe Minute langen Botschaft drehte Ragan seinen Laptop wieder zu sich um, klappte ihn zu und durchbohrte mich unbarmherzig mit seinem kalten Blick. Fragte mich forsch, was das zu bedeuten hatte und forderte eine Erklärung dafür. Die bekam er natürlich aber nicht. Trotz seines irgendwann aggressiv werdenden Tonfalls blieb ich bei der Geschichte, dass ich keine Ahnung davon hatte, was der Scheiß sollte. Dass ich es mir nicht anders erklären konnte, als das sie meinen Namen bei einem ihrer Angriffe auf dem Namensschild an meiner Uniform gesehen hatten und ihn wahllos nutzten, weil sie ein schwarzes Schaf brauchten, dem sie drohen konnten. Dass sie uns womöglich innerhalb der eigenen Mauern gegeneinander aufspielen wollten, damit sie leichteres Spiel hatten. Natürlich formulierte ich das nicht so plump, blieb vollkommen sachlich und versuchte mich von seiner Laune nicht anstecken zu lassen, obwohl ich durchaus gerne mal zurück gekeift hätte. Ich war ja nicht blöd - wenn sie dann jetzt alle möglichen Nachforschungen durchführten, würde sie keine Hinweise finden. Das Geld, das ich vom IS bekommen hatte, war natürlich nicht auf meinem eigenen Konto. Dumme Verbrecher - denn viel mehr als das war ich in dieser Hinsicht ganz einfach nicht - lebten bekanntlich nur selten ein langes, glückliches Leben. Ohne sein vorher gestecktes Ziel erreicht zu haben entließ mich der Lieutenant letzten Endes nach über einer Stunde wieder aus seinem Büro. Sichtlich widerwillig, weil er sich vermutlich ein Geständnis von was genau auch immer von mir erwartet hatte. Erst jetzt verspannten sich meine künstlich ruhig gehaltenen Schultern sichtlich, ich ballte die Hände zu Fäusten und der bemüht ruhige Gesichtsausdruck wich nach unten sackenden Mundwinkeln und Augenbrauen, als ich den Rückweg zum Zelt einschlug. Musik... ich brauchte ganz, ganz dringend ein wenig Musik, nachdem mir der Feierabend gerade so furchtbar versaut worden war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Glücklicherweise blieb es bei dem einen kleinen Zwischenfall in den Ferien und die restlichen Tage vergingen wie die vorhergehenden eigentlich sehr schön. Nur die Sonne mied die Brünette eindeutig etwas mehr als zuvor, hatte sie die heisse Kugel für den Moment einfach echt lange genug auf der Haut gespürt. Stattdessen genoss sie lieber den Schatten oder das Meer oder die Klänge von Mitchs Gitarre und seiner Stimme. Am Ende des Urlaubs musste sie sich selber doch auch eingestehen, dass sie liebend gerne noch ein Bisschen länger geblieben wäre. Das Land war ganz einfach riesig und die Leute so entspannt und die Gegend wunderschön. Und das Meer... Oh sie liebte das Meer..! War halt einfach schade, dass sie jetzt, wo sie langsam richtig angekommen waren, schon wieder gehen sollten. Aber so war das Leben und wenn der liebe Gott es gut mit ihnen meinte, würden sie vielleicht eines Tages - nächstes Jahr? - ja wieder hier enden. Zurück im Camp schien sich der Alltag sehr bald wieder einzufinden. Alle, die ein paar Wochen Ferien genossen hatten, waren entweder mit neuem Elan zurückgekehrt oder - und das war ehrlicherweise öfter der Fall - eine Weile ein Bisschen mit einem Motivationsloch am Ringen. Jetzt, wo sie gesehen hatten, was sie alles haben könnten. Wenn sie nur eben nicht hier wären, wo ihnen die Kugeln um den Kopf schwirrten und sie Tag für Tag dafür kämpfen mussten, das zurück zu bekommen, was sie zu Hause so liebten. Aryana konnte sich selber nicht wirklich zum einen oder anderen Lager zählen. Sie machte sich auch keine Gedanken zu ihrer eigenen momentanen Motivation. Die Arbeit wollte ja doch richtig getan werden und etwas anderes kam für sie sowieso nicht in Frage. Apropos Arbeit und Richtig-Machen... Da hatte sie nur sechs Wochen nach ihrer Rückkehr so einige Fragen an eine bestimmte Person. Sie stand bei Ragen im Büro, starrte seit gefühlt zwei Stunden auf den Bildschirm und zog sich das Video wieder und wieder rein, verlor nach und nach die Hoffnung, noch irgendein Detail zu erkennen, das sie bisher übersehen hatte. Es gab keine versteckte Botschaft. Keine Logik. Keine Tipps. Keine Drohung. Kein Hinweis. Es gab nichts, was irgendwie Sinn ergab. Nur irre Wörter. Sinnlos aneinander gereiht. Als würde der Sprecher seine eigene Sprache nicht beherrschen. Und dann diesen Namen, wieder und wieder. Warum sagten sie seinen Namen??? Diese Frage konnte sie - beziehungsweise Lieutenant Ragan - dem lieben Mitch sehr bald schon stellen, als dieser, kurz nachdem man nach ihm geschickt hatte, das Büro betrat. Sie schaute ihn erstmal gar nicht an, wartete lieber, bis der Lieutenant gesprochen hatte und sich mal wieder alle Blicke auf den Bildschirm richteten. Oder auf das Gesicht des jungen Mannes, der davor sass. Denn auch Aryana wollte wissen, wie er darauf reagierte, auch wenn sie das Pokerface fast schon hatte kommen sehen. Natürlich. Nichts. Und auch im folgenden Verhör blieb er dabei. Mitch wusste also nichts. Mitch hatte nichts gehört. Mitch hatte nichts gesehen. Und Mitch hatte ganz sicher auch nichts getan. Und sie schwieg. Liess das ganze fruchtlos vorbeiziehen, während sie mit verschränkten Armen auf ihrem Stuhl sass und keine Ahnung hatte, wie sie ihre Gedanken ordnen sollte. Sie wollte nicht glauben, dass mehr an der Geschichte dran war, als der junge Mann hier ganz ahnungslos beteuerte. Aber da waren Dinge, die sie wusste... An die sie sich erinnerte... Dinge, von denen sie nicht wollte, dass sie Sinn ergaben. Mitch hatte gelauscht, früher, als Warren noch gewesen war. Faye hatte ihn gesehen. Man hatte die Rohre umgebaut - wegen ihm. Er hatte damals in der Wut so viele Worte gesagt, zu ihr, zu anderen... Und da waren Vorfälle gewesen, als ihre Gegner eindeutig Informationen bekommen hatten, die so nie nach draussen hätten dringen dürfen. Irgendwann hatte das aufgehört und man hatte angenommen, der Snitch wäre entweder tot oder... einfach weg. Aber was, wenn das nicht so war? Was, wenn er nie gestorben war..? Traute sie Mitch das wirklich zu? Sie wollte nicht, so viel stand fest. Nicht er, der zu sowas wie einem Freund geworden war für die Brünette, die sonst kaum noch Freundschaften pflegte. Sie wollte den Fehler nicht gemacht haben, einem Verräter zu vertrauen. Und doch liess es ihr keine Ruhe. Mitch war seit Stunden verschwunden, als die Krisensitzung in Ragans Büro endlich ihr Ende fand. Die Wachen wurden selbstverständlich verstärkt, weil erhöhtes Risiko eines Angriffs bestand. Sie waren in Alarmbereitschaft und die umliegenden Camps genauso. Aber Aryana würde auch so nicht schlafen können. Sie wusste, dass Mitch heute Abend eine Zigarette brauchen würde. Wahrscheinlich mehr als eine. Wenn sie Glück hatte, waren die noch nicht geraucht. Und wenn sie Pech hatte, dann würde sie ihn an den Ohren wieder aus seinem Bett reissen, damit sie reden konnten. Soweit musste sie es aber glücklicherweise nicht kommen lassen, denn sie brauchte nur in Richtung seines Zeltes zu stapfen, da erkannte sie ihn auch schon, offenbar auf dem Rückweg von den sanitären Anlagen oder was wusste sie, es war ihr egal. "Mitch.", machte sie ihn mit nüchterner Stimme auf sich aufmerksam, war sich selbstverständlich bestens bewusst, dass er absolut kein Interesse an einem Gespräch mit ihr hatte. Tja. Sie schon. Und so nickte sie auch zur Seite hin weg, in Richtung Campmauer, bedeutete ihm, mitzukommen und hoffte schwer, dass er nicht auf die dämlich verräterische Idee kam, sich diesem Befehl zu widersetzen. Hauptsache ein Bisschen aus dem Bereich aller umliegenden Ohren. Sie konnte nicht mit ihm in ihr Büro, wegen der Kameras. Eigentlich wollte sie auch nicht auf einen Turm. Die waren jetzt eh alle besetzt.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich brachte den Rest des Tages auf Biegen und Brechen noch irgendwie zu Ende, wobei allein mein Gesichtsausdruck die meisten Leute von selbst auf Abstand hielt. Niemand, der nicht unbedingt musste, wechselte ein Wort mit mir und das war auch besser so für alle Beteiligten. Obwohl Jetman mich eigentlich gut genug kennen sollte, um meinen Geh-Mir-Aus-Dem-Weg-Oder-Du-Stirbst-Blick richtig zu deuten, fragte er trotzdem nach was denn passiert sei. Wirklich locker lassen wollte der Soldat nicht, weshalb er sich unweigerlich in einen Streit mit mir verwickelte, der auch beinahe mit einer Faust im Gesicht geendet hätte, hätte er nicht kurz vor knapp von allein die Biege gemacht. Die Auseinandersetzung wühlte mich noch zusätzlich auf und an Ruhe in meinem Kopf war auch am späten Abend noch immer nicht zu denken, weswegen ich mich noch gut eine halbe Stunde lang vor dem Duschen gehen mit einem der Boxsäcke im Trainingsbereich anlegte. Danach war ich immerhin ein klein wenig der überschüssigen Energie los, jedoch kamen all die unliebsamen Gedanken auf dem Weg zum Duschcontainer schon wieder zurück. Auch das eiskalte Wasser auf der Haut, mit dem ich mein hitziges Gemüt runter zu fahren versuchte, konnte nur wenig bis gar keine Abhilfe schaffen. Ich hatte mir immerhin fast erfolgreich einreden können, dass Aryana davon absehen würde, mir heute noch auf den Sack zu gehen. Ich glaubte kaum, dass die junge Frau diese Sache einfach so auf sich beruhen lassen würde. In dieser Hinsicht war sie zu meinem eigenen Übel leider goldrichtig auf ihren Posten angesetzt. Leider solle ich also nicht drum herum kommen. Auf dem Rückweg aus den Duschen - Gesichtsausdruck unverändert, wohlgemerkt - hörte ich ihre für mich inzwischen unverkennbare Stimme meinen Namen sagen. Deshalb hielt ich mit schwerem Seufzen kurz vor meinem Zelt inne und sah in ihre Richtung, während die junge Frau mir sowohl mit Gestik, als auch mit ihrer Mimik klar machte, dass ich dieses Gespräch unweigerlich führten musste, ganz gleich ob ich wollte oder nicht. Ich nickte leicht, verschwand dann aber trotzdem zuerst noch kurz in meinem Zelt. Die Klamotten unter meinem Arm wollte ich vorher loswerden und auch die Zigaretten mussten mit. Zwar hegte ich starken Zweifel daran, dass mich das Nikotin in letzteren irgendwie ausreichend entspannen könnte, aber es war besser als gar nichts. So ging ich also mehr schlecht als recht bewaffnet mit noch leicht feuchten Haaren, die mir ein wenig nach vorne auf die Stirn hingen, durch die Zeltblachen zurück nach draußen in die fortschreitende Dämmerung und schlug den Weg zu Aryana ein, die sich schon einige Schritte weit der Mauer genähert hatte. Im Schatten der uns nach außen hin verteidigenden, hohen Wand angekommen zögerte ich nicht mir zuerst eine der Kippen anzuzünden, bevor ich die Brünette, die gelinde gesagt nicht unbedingt glücklich aussah, das erste Mal wirklich ansah. "Was willst du, Aryana?", hakte ich mit bereits genervtem Unterton nach, bevor ich den ersten, sehr langen Zug von dem Glimmstängel nahm. Eigentlich war diese Frage überflüssig, wusste ich doch ganz genau weshalb der Sergeant jetzt hier vor mir stand. Aber ich würde ihr genauso wenig leicht ein Geständnis auftischen wie Ragan. Auch, wenn das hier an sich trotzdem irgendwie eine ganz andere Geschichte war.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Er hatte sie gehört und quittierte dies mit einem ausserordentlich fröhlichen Seufzen. Ach. Er war also nicht erfreut, sie zu sehen. Who would've guessed... Sie wartete geduldig - mehr oder weniger - darauf, dass er seine Sachen im Zelt verstaut hatte und zu ihr aufschloss, setzte sich in Bewegung, bis sie schliesslich über den kahlen Streifen beigen Wüstenboden zur Mauer dahinter gelangten. In ausreichend Entfernung von den Zelten und so, dass ihnen sicher keiner zuhören konnte. Aryanas dunkle, forschende Augen lagen pausenlos auf dem jungen Mann, musterten seine Gesichtszüge, seine Mimik, seine Gestik, wie er sich die Zigaretten anzündete und sie schliesslich ebenfalls anschaute. Er sah endlos abweisend, angepisst aus. Dabei war das gerade so gar nicht sein Recht, wenn man sie fragte. Und es war ihr egal, wenn er nicht mit ihr reden wollte. Hatte ja seine Gründe, dass sie nicht vorgängig gefragt hatte, ob er Lust auf das Gespräch hatte oder eben nicht. Aryana stiess trocken, überhaupt nicht amüsiert Luft aus, als sie seine Frage vernahm, hielt seinem stechenden Blick problemlos stand, ohne ihren Eigenen dabei irgendwie sanfter oder weniger misstrauisch werden zu lassen. "Was ich will?? Ehrlich?", fragte sie erstmal ziemlich rhetorisch, ohne darauf eine Antwort abzuwarten. "Weltfrieden. Weniger Sand. Weniger Hitze. Schokolade. Italienische Pasta. Mehr Ehrlichkeit. Keine Verräter", zählte sie sarkastisch die Liste der erstbesten Dinge ein, die ihr zum Thema einfielen. Dumme Fragen forderten dumme Antworten und er durfte ruhig direkt wissen, dass sie nicht besser gelaunt war als er. "Und ich will daran glauben, dass das einfach nur ein schlechter Scherz seitens des IS war. Dass du die Wahrheit gesagt hast. Fällt mir nur leider so scheisse verdammt schwer", ihre Stimme war zu nicht viel mehr als einem leisen Zischen geworden. Sie wollte wirklich nicht, dass jemand sie hörte. Sie wollte ihn nicht in den Dreck ziehen. Denn das hatte sie nicht nur so gesagt: Sie wollte ihm wirklich glauben. Aber dass er jetzt so wütend wirkte, dass er so gar nicht mit ihr sprechen wollte, dass er so abweisend reagiert hatte... Waren das nicht nur noch weitere Anzeichen dafür, dass er log? Wenn er nichts zu befürchten hätte, würde er sich stattdessen viel mehr Sorgen darüber machen, dass der IS seinen Namen kannte - und brauchte. Und warum das so war. Dann würde er eher mit ihr darüber reden wollen, als sie von sich zu schieben. Nicht, weil sie seine Schulter zum Ausheulen war, sondern weil sie sich gerade einen ganzen verdammten Nachmittag mit den anderen über dieses Video unterhalten hatte. Sie wusste, was die anderen für Schlüsse daraus gezogen hatten. Sie wusste, was getan wurde und was geplant war. Alles Dinge, die ihn bei einem Video, das irgendwie an ihn gerichtet war, durchaus interessieren sollten. Wenn er sich eben nicht selber etwas zusammengereimt hatte. Weil er wusste, woher der Wind wehte... Aryana hatte die Arme wieder vor der Brust verschränkt, musterte Mitch weiterhin vollkommen ungeniert. "Schau mir in die Augen und versprich mir, dass du nichts getan hast, was sie deinen Namen wissen lassen könnte. Blick mich an und sag, dass du nie Kontakt mit denen hattest. Bitte", stellte sie leise die nächsten ziemlich dringenden Forderungen. Er durfte kein Verräter sein. Und der Gedanke durfte nicht so weh tun. Wieso fühlte sie sich, als wäre wirklich sie es, die hier etwas zu verlieren hatte?? Er war nur einer von vielen. Ein Freund vielleicht, aber nicht mehr. Und genau darum hatte sie keine Freunde. Weil sie sich genau diese Schwachstellen nicht geben konnte. Diese kleinen Risse in der Hülle, die ihr so oft zerschelltes Herz hinter sich verbarg, beschützte. Das war eine so dumme Idee gewesen, sich mit ihm anzufreunden. Mit irgendwem. Aber besonders mit ihm.
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Natürlich bekam ich eine entsprechend bescheuerte Antwort auf meine komplett unnötige Frage. Normalerweise war Sarkasmus zwischen uns zu etwas Gutem geworden, aber dieser hier hatte einen schrecklich bitteren Nachgeschmack und noch dazu gegen Ende eine indirekte Anschuldigung. Letztere war zwar nicht als solche formuliert, aber für Jemanden, der Sarkasmus und Ironie nur zu gut zu deuten wusste, war es ziemlich klar heraus zu hören. Ich hatte schon zu Beginn ihrer Aufzählung ein wenig die Augen verdreht und erneut an der Zigarette gezogen, sagte sonst aber Nichts dazu, weil es schlicht und ergreifend überflüssig war. Stattdessen begann ich während dem Rauchen ihren nächsten Worten zu folgen, die dann schon sehr viel deutlicher aussagten, dass sie mir keine fünf Meter über den Weg traute und noch einmal von mir hören wollte, dass das Alles nur ein ungünstiger Zufall war. Dass die ganze Abhörungsgeschichte von damals überhaupt gar nichts damit zu tun hatte und ich nicht das war, wofür sie mich hielt. Die Brünette wollte eine weitere wörtliche Beteuerung von mir, dass mich keine Schuld traf und mein Name nur wahllos herausgesucht worden und im Video gefallen war. Eigentlich sollte mir das auch nicht schwer fallen, hatte ich die elende Lügerei doch schon damals im Kinderheim bis zur Spitze hin perfektioniert und in der Regel spielte es auch gar keine Rolle, worum es dabei ging und wie schwerwiegend die unwahren Worte sich auswirken konnten. Weil ich schon damals zu einem Egoisten geformt worden war, der reichlich wenig auf das Wohl Anderer gab, solange ich einen eigenen Vorteil daraus ziehen konnte. Außer es waren Freunde. Da legte ich durchaus Wert auf Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, weil sie sonst schlicht zu Nichts zu gebrauchen waren und hielt mich selbst für gewöhnlich auch daran. Obwohl mir im Laufe meines Lebens schon zig Leute in den Rücken gefallen waren und mich verarscht hatten - viel mehr früher als heute, ließ ich es inzwischen doch gar nicht mehr erst so weit kommen -, schien sich an dieser Tatsache auch Nichts geändert zu haben. Es fiel mir nicht schwer Aryana hier und jetzt derart grimmig anzusehen und sie meinen Launen auszusetzen, aber sie anzulügen... der stark lädierte, imaginäre Engel auf meiner Schulter schien damit nicht einverstanden zu sein. Ich hatte den Sergeant schon früher angelogen, als wir uns weniger gut gekannt hatten, aber letzteres war hierbei eben der springende Punkt. Wir kannten uns besser, als wir sollten. Man schloss ganz einfach keine Freundschaft mit einem höher amtierten, was hatte ich mir dabei gedacht? Konnte ja nur nach hinten losgehen, erst recht in meiner Lage. Ganz allgemein war ich ja nicht auf sie angewiesen in welcher Form auch immer, ich war vor unserer Freundschaft gut ohne die Unterhaltungen mit ihr klar gekommen. Warum mochte ich die junge Frau auf ihre verkorkste Art und Weise? Ich sollte sie nicht mögen. "Was würde das noch ändern... du hast deine Schlüsse längst gezogen.", wählte mein sich zwischen Lüge und Wahrheit hin und her streitender Schädel einen Mittelweg, der irgendwie keins von beidem war. Mit Interpretationsspielraum vielleicht die sehr abgespeckte Version eines Geständnisses. Mein Tonfall war noch immer von einem merklich gereizten Unterton befangen und nach meinen Worten wendete ich den Blick erstmals wieder von Aryana ab und nach unten auf den staubigen Boden, um mich stattdessen ganz intensiv mit der Zigarette zu beschäftigen, die sich viel zu schnell dem baldigen Ende entgegen neigte. War aber kein Wunder, so ausgiebig wie ich die Züge daran gestaltete.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Wieso schaute er sie so an? Wieso fiel es ihm so schwer, die gewünschten Worte einfach auszusprechen? Wieso sagte er nicht einfach, dass das alles ein Irrtum war - er hatte es doch heute schon einmal so leicht über die Lippen gebracht! Er hatte es Ragan und dem Major aufgetischt, warum zur Hölle konnte er es ihr nicht auch einfach nochmal ins Gesicht schmettern?! Endgültig und glaubwürdig und unschuldig! Weil es nicht stimmte. Weil er verdammt noch mal gelogen hatte. Weil er ein Verräter war. Weil sie sich ausgerechnet mit dem grössten, verlogensten, ehrenlosesten Arschloch angefreundet hatte und geglaubt hatte, er wäre grundsätzlich ein guter Mensch und trug das Herz am rechten Fleck. Was für eine gottverdammte Scheisse. Aryana konnte dieses einzige Mal nichtmal teilweise verhindern, dass sich jegliche Gesichtszüge ihrer Kontrolle entzogen, sie mit wachsender Fassungslosigkeit und Enttäuschung den jungen Mann vor ihr anstarrte. Er hätte sie genauso gut einfach ins Gesicht schlagen können. Sie konnte keinen einzigen klaren Gedanken fassen, während sie ihn anschaute, die Leere sich in ihr ausbreitete und eine unendliche Wut mit sich zog. Auf Mitch. Wie hatte er das tun können?? Wie hatte er seine eigenen Leute so verraten und ins Verderben stürzen können - ihr gleichzeitig unschuldig ins Gesicht gelacht?! Wusste er, wie viele er umgebracht hatte?! Hatte er eine Ahnung, was er getan hatte?? Und sie selber. Wie hatte sie das nicht merken können?! Nein, falsch - sie hatte es gemerkt. Wie hatte sie es verdammt noch mal ignorieren können?? Es einfach in Vergessenheit geraten lassen, während sie langsam immer enger mit dem Teufel getanzt hatte?! Wieso hatte sie ihre Soldaten nicht geschützt, obwohl sie die Gefahr gesehen hatte?? Die Brünette schnappte mühsam nach Luft. Wich zwei, drei Schritte von ihm zurück, enger zur Mauer, an die sie jetzt erst recht haltsuchend lehnte. Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt und sie schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf, wollte nicht wahrhaben, was er ihr indirekt gesagt hatte. Es sollte ein Traum sein. Ein hässlicher, grausamer Alptraum, in dem sie ganz einfach mal wieder einen Menschen verlor, den sie zu lieb gewonnen hatte. So wie all die anderen vor ihm. Es war doch nichts Ungewöhnliches - warum tat es dann so weh?? "Du...", sie räusperte sich, weil das dünne, heisere Stimmchen, welches ihren Hals hoch kroch, wirklich nicht das war, womit sie sich jetzt äussern wollte. Sie wollte ihn anschreien. Sie wollte ihn schlagen. Ihn in ihr Büro zerren und ihm die ganze lange Liste zeigen. Die Liste der Männer und Frauen, die seinetwegen draufgegangen waren. Die NICHTS für sein Leid, seine Unzufriedenheit konnten. Die einfach nur seiner dämlichen Laune zum Opfer gefallen waren. Sie wollte ihm die Geschichten zeigen. Die Familien, die heulend um die Särge standen. Die Kinder, die keine Väter mehr hatten, die Brüder, die ihre Schwestern vermissten. "Wie... Wie konntest du nur..? Obwohl du genau wusstest, was du tust..?? Wie lange?? WARUM?", stellte sie eine Reihe von Fragen, deren Antworten nicht wirklich was zur Sache taten. Sie fragte nur, weil sie es verstehen wollte. Weil es für sie keine Erklärung gab. Weil sie den Moment hinauszögern wollte, in dem sie ihn hier stehen lassen musste um nie wieder zurück zu blicken.
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In etwa so eine Reaktion seitens Aryana hatte ich kommen sehen. Es überraschte mich dementsprechend nicht wirklich, was wiederum aber nicht hieß, dass es mich nicht traf. Obwohl ich genau das hätte kommen sehen können, als ich mit der Informationsweitergabe nach außen aufgehört hatte, hatte ich all die Bedenken diesbezüglich abgelegt und unweigerlich begann ich mich für ein paar Sekunden lang zu fragen, wo der Wendepunkt gewesen war. Es war Warren. Die Brünette hatte, wenn vielleicht auch nur unterbewusst, zu dem Zeitpunkt schon ahnen müssen, dass bei meinem damaligen Verhalten und den Vorkommnissen Etwas nicht ganz koscher sein konnte. Deswegen hatte sie vermutlich auch bei mir angeklopft, als es um den Mord unseres ehemaligen Lieutenants gegangen war. Obwohl das ein weiterer Punkt war, der ihr deutlich hätte sagen müssen, dass ich nicht bedingungslos loyal dem Militär gegenüber war und sie allen Grund zu Misstrauen in meine Richtung hätte, hatte uns das nur näher zusammen rücken lassen. Hatte dazu geführt, dass wir uns fast regelmäßig unterhielten und vor ein paar Wochen sogar freiwillig einen gemeinsamen Urlaub hinter uns gebracht hatten. Wozu das Ganze geführt hatte, konnte ich hier und jetzt ganz deutlich sehen. Ich war nicht mehr immun gegen all die Emotionen, die aus ihrer Richtung zu mir rüber schwappten. Ich hatte Aryana nicht auf so eine schlimme Art und Weise enttäuschen wollen... hatte nicht gewollt, dass sie mich jetzt wieder aus vollkommen anderen Augen sah als gestern noch. Das sie mich zurück in das unschöne Licht schob, das die Schatten meines Charakter noch so viel länger und breiter werden ließ. Auch, wenn ich mir das selbst nur extrem ungern eingestand, tat das weh. Dass ich daran gänzlich alleine die Schuld trug wusste ich, aber das machte die Situation trotzdem nicht weniger schmerzhaft oder gar angenehm. Bei ihren ganzen Fragen, die ich ihr maximal so oberflächlich wie möglich beantworten würde, fing ich an mit den markanten Kieferknochen zu mahlen, die Zähne zusammen zu beißen. Ich kannte die Antworten, musste nicht darüber nachdenken, rauchte aber trotzdem zuerst die Zigarette zu Ende. Hatte in diesen ein, zwei Minuten auch nur einmal kurz zu der jungen Frau aufgesehen, weil ich den Anblick kaum ertrug. "Ein paar Monate...", fing ich an zu reden, als ich die bis zum Anschlag gerauchte Kippe auf dem Boden austrat. Ich glaubte nicht, dass die genaue Anzahl überhaupt etwas zur Sache tat. Ob es nun vier oder sechs waren, machte für das Gespräch selbst hier kaum einen Unterschied. Nur für die ganze unschuldigen Seelen, die ich dem Sensenmann damit geschickt hatte. "... ich bin einfach kaputt, Aryana. War es immer, werde es immer sein... der Krieg macht aus einem auch keinen besseren Menschen mehr. Im Gegenteil, ganz offensichtlich...", redete ich vor mich her, wobei ich doch merklich ruhiger geworden war als noch vor ein paar Minuten. Es sollte keinerlei Rechtfertigung sein, mehr nur eine Verdeutlichung der ekelhaften Tatsachen. Der grimmige Gesichtsausdruck war aber noch immer da, als ich die nächste Zigarette aus der Schachtel in meiner Hosentasche zog. Auch die Anspannung in den Schultern und der Drang Amok zu laufen waren noch vorhanden, rückten aber für den Moment komplett in den Hintergrund. Ich war ein Verräter. Das war mir schon klar gewesen, als ich mit der Scheiße damals angefangen hatte, aber wie hatte ich meine eigenen Werte über die Jahre im Krieg so vergessen können? Wann war der Punkt gekommen, an dem ich so heftig verbittert geworden war, dass mir wirklich absolut Alles und Jeder am Arsch vorbeigegangen war? Der Krieg formte keine Krieger, sondern Monster. Meine Person war das allerbeste Beispiel dafür. "Ich hasse mich dafür... wirklich, aber ich kann es nicht rückgängig machen.", hängte ich nach dem ersten Zug der zweiten Zigarette ein paar letzte Worte an, die es jedoch ganz sicher nur wenig bis gar nicht besser machen würden, hob noch während dem zweiten Part meinen Blick langsam wieder zu Aryanas Gesicht an.
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Er hatte ihr geholfen, Briefe zu schreiben. Mehr als einen. Verdammt, er hatte mit ihr um die Toten getrauert! Er hatte sich mit ihr über die Ungerechtigkeit beklagt, während er diesen Menschen keine Chance gelassen hatten, dieser zu entgehen! Er hatte sie aus blosser Wut, aus reinem Egoismus begraben! Einfach, weil er den Hass nicht kontrollieren konnte, weil er gedacht hatte, damit die bestrafen zu können, die sich nicht für sie interessierten. Wie hätte das denn jemals Sinn ergeben sollen?! Die Brünette mühte sich mit ihrer Atmung ab, weil sie sich auf irgendwas konzentrieren musste. Weil sie dem unendlichen Drang, zu schreien oder zu heulen entkommen musste. Sie würde beides nicht tun, auf gar keinen Fall. Er brauchte nicht zu wissen, was gerade in ihr passierte, auch wenn ihre Mimik und die mühevollen Worte es längst verraten hatten. Wieso hatte sie ihn je so weit an sich ran gelassen, ihm so viel erzählt? Klar, verglichen mit anderen Menschen waren die paar persönlichen Geschichten, die sie mit der Zeit geteilt hatten, nicht viel. Aber für einen Menschen, der jahrelang jegliche Gefühle und Empfindungen für sich behalten hatte und nie über Vergangenes sprach, war das viel gewesen. Viel zu viel. Sie hätte es lieber den Steinen und Sternen erzählt wie all die Monate davor auch schon. Denn alles, was sie sich aufgebaut hatten, lag jetzt in Scherben vor ihnen und sie würde die winzigen Bruchstücke ihres Herzens, die sie ihm anvertraut hatte, nie zurückbekommen. Dabei war ein weiterer Verlust, einer, der sie so stechend verletzte wie dieser, das Letzte, was sie noch gebraucht hatte. Verdammt. Sie war so naiv. Warum fiel sie immer wieder auf Menschen rein, die ihr Vertrauen nie wert sein würden?? Warum er?? Sie hatte zwei Wochen neben ihm gelegen, mit ihm gelacht, mit ihm Dinge erlebt, die sie nie zuvor getan hatte. Hatte seinen Liedern gelauscht und seine Stimme geliebt. Und der Gedanke daran, dass sie sich mehr wie einmal ganz freiwillig an ihn gekuschelt hatte wie ein dummes, naives Mädchen, gab ihr definitiv den Rest. "Ja. Ja verdammt, du bist kaputt. Ich bin kaputt. Jeder hier ist kaputt. Aber niemand ausser dir hat... das getan. Niemand hat uns verraten, ist uns so in den Rücken gefallen! Nicht... nicht einmal... W-Warren", ihre Stimme wurde schon wieder immer mehr zum Hauchen, wobei sie am Ende ganz einfach abbrach, weil Aryana kurz davor war, im vor die Füsse zu kotzen. Sie wollte ihn ganz sicher nicht mit ihrem grössten Feind - zu Lebzeiten - vergleichen. Aber ein Verräter... War ein Verräter nicht ein noch grösserer Feind als ein egoistischer, dreckiger, nichtsnutziger Lieutenant?? Beide hatten Menschenleben aus den eigenen Reihen auf dem Gewissen. Viele davon. Bewusst oder schlicht ignorant gemordet. Sie konnte nicht mehr denken. Aryana stiess sich von der Mauer ab, warf ihrem ehemaligen Freund einen letzten, alles aussagenden Blick zu, ehe sie sich von der Mauer abstiess, um zu gehen. "Du hast bis morgen Mittag Zeit, dich selber bei Ragan zu stellen. Wenn du davon absiehst, das zu tun, werde ich es übernehmen", stellte sie ein leises, kraftloses Ultimatum. Was anderes blieb ihr ja nicht übrig. Und nur, weil sie es nicht übers Herz brachte, jetzt direkt mit irgendwem über diese Katastrophe zu reden, gab sie ihm überhaupt erst so viel Zeit. Sie musste das erst einmal verarbeiten. Sonst würde sie Ragan bestenfalls in den Schoss flennen.
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Ja verdammt, das wusste ich. Mir war bewusst, dass ich mehr als nur ein bisschen Scheiße gebaut hatte und das mit vermutlich absolut Nichts vergleichbar war, das Aryana zuvor in ihren eigenen Reihen erlebt hatte. Aber dass sie mich mit dem Lieutenant verglich, den wir beide auf dem Gewissen hatten, gab meiner stark strapazierten Psyche gerade absolut den Rest. Sie stellte mich auf ein und die selbe Ebene mit einem der Menschen, die ich in meinem Leben bisher mit Abstand am meisten gehasst und verachtet hatte... und sie hatte Recht damit, was der eigentliche Knackpunkt war. Ganz gleich wie viel Reue ich inzwischen für diese Taten empfand, würde das doch nie wieder gut machen, was passiert war. Es würde die Familienmitglieder und Freunde, die daran verloren gegangen waren, nie wieder zurück bringen. Nichts auf dieser Welt wäre gut genug um all die Verluste zu füllen, die ich verursacht hatte. Nichts würde das viele Blut wieder von meinen eigenen Händen waschen können. Mir selbst war die bis jetzt noch so zwanghaft kontrollierte Mine inzwischen misslungen und ich starrte mit vermutlich ziemlich leerem Blick auf den Boden, der mir genauso wenig wie jeder Andere eine Antwort darauf geben konnte, ob ich jemals wieder damit klar kommen würde. Ob es möglich war, dass ich es mir selbst irgendwann verzeihen konnte. Dass Aryana das nicht können würde, stand für mich in diesem Augenblick ziemlich außer Frage. Ich hatte geschwiegen und die Hand mit der Zigarette war nach einem hörbaren Schlucken langsam nach unten gewandert, hing genauso reglos wie mein anderer Arm nach unten, als die Brünette zu ihren wohl finalen Worten ansetzte. Noch während sie redete hob ich den zuvor gesenkten Kopf wieder an. Sie durfte nicht... sollte nicht. Natürlich war es das, was ich hier und jetzt sofort verdiente. Wegen Hochverrats elendig in einer Zelle Stück für Stück zu verrotten, bis Nichts mehr von dem bisschen Mitch übrig war, das ich mal gewesen war. Ich war jetzt nach den unzähligen Jahren Krieg schon nur noch ein Schatten meiner selbst, was würde der Knast dann mit mir machen? Tag für Tag eingesperrt mit meinen eigenen Gedanken, die mich zweifelsfrei umbringen würden, weil ich kein Ventil hätte. Selbst, wenn die Beweislage nicht ausreichend genug sein sollte, um mich wirklich endgültig einzubuchten oder gar die Todesstrafe zu kassieren, würde ich mindestens in Untersuchungshaft sitzen, bis die Geschichte geklärt war. Das konnten Monate, aber theoretisch durchaus auch Jahre sein, wenn ich ganz viel Pech hatte. Es sei denn ich sollte tatsächlich so viel Glück haben, dass sie die Beweisdichte für so wenig ausschlaggebend hielten, dass sie mich lediglich vorerst vom Dienst suspendierten. Das Karma schien aber in jedem Fall jetzt bereit dafür zu sein, mich holen zu kommen. "Aryana, bitte..", setzte ich zu ein paar letzten, recht leisen Worten an und stellte mich - mit Abstand, ich war noch nicht komplett lebensmüde - vor die junge Frau. "..gib' mir noch... etwas mehr Zeit. Nur ein paar Tage..", Wochen waren vermutlich realistischer, aber gut. "..bis ich weiß, wie ich... zumindest einen winzigen Bruchteil der Schuld begleichen kann.", redete ich leicht stockend, ja fast brüchig und merklich kleinlauter als vorher vor mich hin, tat mir noch immer schwer damit die Brünette wieder anzusehen. Ich wusste, dass ich absolut kein Recht darauf hatte, die junge Frau um etwas Derartiges zu bitten. Noch weniger glaubte ich, dass sie überhaupt erst darüber nachdenken würde. Was hatte sie schon davon? Oder die Leute, die wegen mir jetzt unter der Erde lagen? Das würde ganz eindeutig nur meinem eigenen, wohl nie wieder ganz herstellbaren Seelenfrieden dienen, den sie nach all dem kaum unterstützen würde. Es war deutlich hörbar blanke Verzweiflung, die diese Worte überhaupt erst hatte hoch kommen lassen. Verzweiflung darüber, dass ich schlichtweg Angst davor hatte, jahrelang mit mir selbst allein sein zu müssen. Der psychische Selbstmord war quasi vorprogrammiert und in meinen Augen der schlimmste, absolut qualvoll langsamste von Allen.
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Nein nein nein. Warum stellte er sich ihr in den Weg? Wie konnte er denn bitte nicht erkennen, dass ihrerseits kein Bedürfnis auf weitere Erklärungen, weitere Worte seinerseits bestand? Sie wollte seine Ausreden nicht, seine Bitten. Oder bestenfalls noch seine Entschuldigungen. Sie wollte, dass er verschwand und nie wiederkam. Dass sie ignorieren konnte, dass er je in ihr Leben getreten war. Dass sie ihn je gemocht hatte. Dass sie so viel Zeit miteinander verbracht hatten. Dass sie ihm vertraut hatte, obwohl ihr doch von Anfang an hätte klar sein sollen, dass das die dümmste Idee der Welt war. Aber sie hatte eben nicht daran denken wollen. Hatte geglaubt, dass er - genau wie sie - einfach nur frustriert war. Dass er den Glauben ins System verloren hatte, an die Führung, den Ausgang dieses Krieges. Aber doch hätte sie ihm nie zugetraut, zu solchen Mittel und Wegen über zu gehen. Weil es die Grenzen ihres Vorstellungsvermögen sprengte, wie ein Mensch seinen eigenen Freunden, seinem Team, seinen Landsleuten, den Einzigen, die ihn durch die ganze Scheisse hier trugen, sowas antun konnte. Und sie hatte es bis vorhin nicht geglaubt, mit aller Kraft daran festgehalten, dass das ein Irrtum sein musste. Aber er hatte es gerade bestätigt. Sie atmete schmerzhaft ein und wieder aus, so, dass jedes Milligramm Luft hörbar in ihre Lungen gezogen und wieder ausgepresst wurde. Nicht heulen. Einfach nicht heulen. Sie musste sich auf die Leere konzentrieren, die Leere, die ein Bisschen weniger weh tat, als ihre Gedanken, ihr Herz. "Ich... soll dir... Zeit geben...? Warum? Hast du ihnen Zeit gegeben? Hast du ihnen die Möglichkeit geschenkt, alles in Ordnung zu bringen, was sie vor dem Tod noch tun wollten? Nein, Mitch... Zeit ist so ziemlich das Letzte, was du verdienst", hauchte sie kalt zur Antwort, wiegte abweisend den Kopf nach Rechts und Links und konnte doch nicht verhindern, dass das Zittern in ihrer Stimme zu hören war. Ihre Augen lagen noch immer auf ihm, obwohl sie ihn kaum anschauen konnte. Obwohl sie ihn nie wieder verstehen würde, offenbar nie verstanden hatte. Obwohl sie alles, was er getan hatte, verabscheute. Obwohl sie ihn hassen sollte. "Was willst du denn wieder gut machen? Wie willst du diese Schuld begleichen? Sie sind tot. Ihre Seelen in der Ewigkeit. Ihre Körper begraben. Die Briefe geschrieben. Es gibt nichts mehr zu tun", fuhr sie im gleichen Tonfall - nur noch leiser - fort, weil er das offenbar vergessen hatte. Wie auch immer man die Endgültigkeit des Todes vergessen konnte. "Geh mir jetzt bitte aus dem Weg, Mitch. Am Besten für immer", da war er - der Bruch ihrer Stimme, der unweigerlich die Träne auslöste, die sie gleich darauf hastig von ihrer Wange strich. Schwach. Wie hatte sie das zulassen können??
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Wieder bekam ich eine Reaktion, die ich in dieser Form bereits hätte erwarten können... und doch änderte es Nichts daran, dass Aryana mit ihren Worten in dem dadurch immer größer werdenden Loch in meinem Herzen herum stocherte. Wenn sie dabei wenigstens nicht so furchtbar enttäuscht und verletzt aussehen würde, wäre es vielleicht einfacher zu ertragen gewesen. Wenn die junge Frau die Maske hätte oben halten können, die sie sonst so oft trug, wenn der Job es eben von ihr forderte. Tat sie aber nicht. Ich war wirklich gut darin fortwährend so zu tun als wäre Alles, was ich wirklich brauchte, meine eigene Person. Dass es mich nicht interessieren oder gar stören würde, wenn sich die paar Menschen, die sich für gewöhnlich gerne mit mir befassten, auch noch von mir abwenden würden. Dieser Moment schien mir jedoch sehr dringlich unter die Nase reiben zu wollen, dass das nicht Wahrheit war. Dass ich mir das noch so oft einreden konnte und es doch Nichts daran ändern würde, dass ich allein nur noch viel verlorener war, als es ohnehin schon der Fall war. Dass der Verlustschmerz mich genauso traf, wie jeden anderen Menschen auf dem Planeten. Aryanas kalter, abweisender Tonfall machte es nur noch schwerer erträglich. Stocherte nur weiter in meiner ohnehin schon stark beschädigten Seele herum, die mir fortan wohl nie wieder Ruhe gönnen würde. "Ich weiß, ich will nur...", ja, was wollte ich? Am besten alles rückgängig machen, was ich in den letzten Jahren erlebt und getan hatte. Leider war sowas wie eine Zeitmaschine aber noch nicht erfunden und ich hatte zweifelsfrei komplett irreparable Fehler begangen, für die es auf der ganzen Welt keine ausreichende Wiedergutmachung gab. Jedoch sollten mir die Worte, welche die Brünette mir zum Abschluss noch ins Gesicht knallte - nicht wortwörtlich, aber so fühlte es sich an -, dann endgültig die Sprache verschlagen. Von der nur kurze Zeit für mich sichtbaren Träne in ihrem Gesicht mal ganz abgesehen. Aryana zum Weinen zu bringen war vermutlich das Letzte, was ich gewollt hatte. Mein Blick senkte sich mit einem kaum sichtbaren Nicken. Auch der Kloß im Hals, der sich nach und nach gebildet hatte, verlangte nach einem weiteren hörbaren Schlucken meinerseits, bevor ich wie ein getretener Hund zur Seite trat, um dem Sergeant den Weg frei zu geben. Nicht nur jetzt, sondern offenbar für immer. Es war offensichtlich und absolut nachvollziehbar, dass die junge Frau von jetzt an rein gar Nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Niemand würde ihr das ansatzweise übel nehmen und doch tat ich mir schwer damit, das jetzt wortlos so zu akzeptieren. Ich hätte unendlich gerne Irgendetwas um ihr zu zeigen, dass bei Weitem nicht alles von dem, was ich ihr anvertraut oder wie ich mich ihr gegenüber verhalten hatte, gelogen war. Dass ich nicht durchweg ein schlechter Mensch war, dass mir die Freundschaft zu ihr etwas bedeutete... aber es gab Nichts, dass sie im jetzigen Augenblick davon hätte überzeugen können, also hielt das Schweigen weiter Einzug, als ich die Zigarette zur dringend notwendigen Ablenkung wieder an meine Lippen hob.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Er wusste selber nicht, was er darauf noch sagen sollte. Wusste nicht, was er sich ausdenken wollte. Wusste nicht, wie man solche Schuld beglich. Hatte sie ja schon erwartet... Machte die ganze Sache aber nicht besser. Gar nichts machte hier noch irgendwas besser. Also kam er ihrem Befehl schliesslich wortlos nach und trat zur Seite. Einfach so. Ihr war klar, dass sie das gefordert hatte, dass sie noch wütender geworden wäre, wenn er es jetzt nicht getan hätte. Aber doch fühlte es sich so unendlich falsch an, jetzt an ihm vorbei zu gehen mit dem endgültigen Wissen, dass sie nie wieder Freunde sein würden. Genauso falsch wie es sich eben anfühlte, dass sie überhaupt je Freunde gewesen waren, sie und der Verräter. Aryana zwang sich, ihn nicht mehr anzuschauen sondern blickte nach vorn, als sie ging. Zumindest bis die Zelte sie vor seinen Blicken abschirmten. Ab da fiel die Selbstbeherrschung wie ein schwerer Mantel von ihr ab und Aryana konnte sich gerade so noch bis in den Schutz ihrer eigenen Zeltwände schleppen, bevor ihre Beine kraftlos den Dienst verweigerten und sie wie ein Kartenhaus zusammenklappte. Um zu heulen, wie sie ewig nicht mehr geheult hatte. Aber es war auch ewig her, seit sie sich so hintergangen und betrogen gefühlt hatte. Ewig, seit jemand ihr Vertrauen auf solche Art und Weise missbraucht hatte. Und nie zuvor hatte sie ausgerechnet einen Verräter nicht verlieren wollen. Es fiel ihr noch immer so unglaublich schwer, die Geschichte zu glauben. Weil sie eigentlich keine so schlechte Menschenkenntnis besass, dass sie auf so jemanden reinfiel. Weil sie normalerweise die Finger von Menschen liess, die etwas zu zwielichtig wirkten. Aber er hatte gut gespielt... Und sie hatte jemanden gebraucht, als sie Warren aus dem Weg hatte schaffen wollen. Und aus irgendeinem Grund hatte sie es nicht bei dieser einen Mission belassen, sondern sich auf etwas viel Gefährlicheres eingelassen. Freundschaft. Gott wie dumm... Der Abend verging, ohne dass sich die Brünette nochmal bewegte. Nichtmal zur Dusche schaffte sie es. Einfach gar nichts. Am nächsten Morgen fühlte sie sich auch nicht frischer. Aber sie zwang sich aus dem Bett - nachdem sie zusammengerechnet wohl maximal vier Stunden geschlafen hatte - schleppte sich zur Dusche und begann den Tag wie jeden anderen. Zumindest dem Anschein nach. In ihr drin tobte weiterhin derselbe Sturm wie gestern Abend. Und sie vermied es nahezu perfekt, Mitch auch nur mit einem einzigen Blick zu beachten. Auch nicht, als der Mittag kam und vorbeizog. Und dann der Nachmittag und der Abend. Sie hatte ihm bis Mittags Zeit gegeben. Aber noch hatte Ragan zu keiner weiteren Krisensitzung gerufen, also war Mitch auch noch nicht da gewesen. Und Aryana hatte noch nichts gesagt. Ihr armygetrilltes, regelkonformes Gehirn wollte wirklich. Aber da war das dämliche Herz, das nur noch schmerzte seit Gestern. Das ihm die Zeit, um die er gebeten hatte, unbedingt gewähren wollte. Auch wenn es keinen Grund dafür gab. Auch wenn er es nicht verdiente. Und so wartete sie. Gestern. Heute. Sie wartete sogar am nächsten Tag noch, während ihre Gedanken irre Runden drehten. Sie wartete bis am Nachmittag. Dann konnte sie nicht mehr. Machte sich mit klopfendem Herzen auf den Weg zum Büro des Lieutenants. Ohne zu wissen, dass Mitch mit seinen Verbrechen schon sehr bald so weit in den Hintergrund rücken würde...
Wunderschön und unendlich wertvoll. So waren sie gewesen, ihre Ferien. Sie hatten alles gemacht, was Victors Familie geplant hatte und dann hatte Faye ihm alles gezeigt, was von ihr in den Staaten zurückgeblieben war. Er hatte ihre drei besten Freunde kennen gelernt und sie waren bei der Familie ihres Onkels gewesen. Und sie hatte ihm ihren Lieblingsplatz gezeigt: Eine kleine, nur über einen Trampelpfad, sechs Kilometer von der nächsten Strasse, erreichbare Wiese an einem breiten, ruhigen Fluss, der sich durch einen unendlich natürlichen, dichten Mischwald schlängelte. Noch ein Ort voller Erinnerungen. Und jetzt hing ein weiterer Geruch und eine weitere Geschichte in den Baumwipfeln, die sie nie wieder vergessen wollte. Die Rückkehr ins Camp war dann eher nicht so nach ihrem Geschmack verlaufen. Dabei geschah nichtmal gross etwas. Aber gefühlt von der ersten Sekunde an vermisste sie Victors Nähe, seine Finger zwischen ihren, sein Lächeln, das sie immer und immer wieder streifte und sich dabei nie verstecken musste, seine Arme, seinen Geruch, alles. Sie gingen wieder so auf Abstand wie sie mussten, wenn er sich auch nach wie vor fast jede Nacht in ihr Zelt schlich. Die Nächte reichten ihr aber längst nicht mehr... Auch wenn sie sich bemühte, sich für den Moment damit zufrieden zu geben. Weil sie musste - keine andere Wahl hatte, eben. Immerhin hatte sie Aryana wieder, die allem Anschein nach ebenfalls sehr schöne Ferien verbracht hatte. Die spärlichen, stets von einem leichten Grinsen unterlegten Erzählungen, die Faye von ihrer Schwester zu hören bekam, klangen auf jeden Fall durchaus so, als hätten die beiden sich bestens amüsiert im fernen Land. Nach einigen Wochen holte der Alltag - oder eben das, was hier als solcher bezeichnet wurde - schliesslich alle wieder ein. Die Situation mit dem IS hatte sich leider wieder ein Bisschen angespannt. Noch war nicht sehr viel passiert, aber die Gegner wagten sich wieder weiter vor, schossen öfter, sprengten grundlos Zivilisten in die Luft... Und Faye konnte das alles keineswegs gutheissen. Aber natürlich klopfte keiner bei ihr an, um ihre Meinung zu dem ganzen Krieg zu hören, weshalb sie es grösstenteils mit wachsendem Unmut für sich behielt. Heute war wieder so ein Tag, an dem sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dieses Jahr überlebt zu haben und ihre Liebsten und sich selber im nächsten Flugzeug in die Staaten zu verfrachten. Sie war unruhig und sie musste rausfahren. Mit Victor, das war das einzig Positive an der Aufgabe. Sie würden in ein nahgelegenes Dorf fahren, dort ein paar Kontrollen durchführen und zurückkehren. Keine Monster-Aufgabe aber gleichzeitig auch nicht das, was sie jetzt unbedingt getan haben musste. Sie stieg - weil sie keine andere Wahl hatte - trotzdem auf den Rücksitz des Geländewagens, der sie zu viert nach draussen führte, dicht gefolgt von einem zweiten Auto dieser Art. Wie immer vermied sie es grösstenteils, ihren Blick in Victors Richtung schweifen zu lassen, starrte lieber nach draussen und beobachtete die stille, öde Landschaft, die den grünen Wäldern und Feldern zu Hause niemals gerecht werden würde.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.