Wir hofften auf ein bisschen zu viel im Moment. Ich war schon oft dumm genug gewesen, irgendwelche verheerenden Situationen einfach auf mich zukommen zu lassen, obwohl ich ganz genau wusste, dass ich etwas dagegen unternehmen musste, wenn ich sie abwenden wollte. Zwar konnte ich nicht direkt an Aryanas Hirn schrauben, damit sie den Verstand behielt, aber ich konnte ausnahmsweise wenigstens mal versuchen, irgendwas dazu beizutragen. Mit meinen 5% Restakku, die trotzdem immer noch besser als gar nichts waren. “Mit hoffen bin ich jetzt schon ziemlich oft auf die Schnauze geflogen… ich glaub’ in diesem Fall verlass’ ich mich ungern darauf.”, stellte ich murmelnd fest. In Sachen Ryatt konnte ich nichts tun – entweder er hatte in drei Monaten einen Plan für uns, oder er hatte keinen. Aryana konnte ich jedoch unterstützen oder es zumindest versuchen. Angefangen mit ein bisschen Gekuschel und mehr Gesang. Ich spürte in der Brust, dass auch mir dieser Song zum Abschluss gut tat. Es hatte mich vorhin Überwindung gekostet, das erste Mal seit längerer Zeit wieder vor ihr zu spielen und den dunklen Teil meiner Seele ein weiteres Mal zu offenbaren, aber es war der richtige und auch ein wichtiger Schritt. Aufeinander zu, statt noch weiter voneinander weg. Das wagte auch Aryana ein weiteres Mal, als die Gitarre ihren vorherigen Platz neben dem Sofa wieder einnahm und die Brünette meine Nähe suchte. Ich ließ die Lider sinken und erwiderte den Kuss ebenso sanft. Hielt die Augen noch geschlossen, als unsere schweren Köpfe aneinander lehnten und Aryana noch ein paar Worte loswurde. “Ich auch nicht.”, war meine erste, ebenso leise Reaktion. Weder wollte ich wissen, was mit Aryana passiert wäre, noch wo ich jetzt wäre, wenn wir uns nicht auf diese Art gefunden und bis hierhin zusammen durchgeschlagen hätten. Ich wollte diese unschönen Szenarien in diesem Moment jedoch nicht gedanklich vertiefen und legte zur Ablenkung meine Lippen für den nächsten etwas längeren, genauso zarten Kuss auf ihre. “Aber das Singen überlassen wir vielleicht trotzdem lieber mir, bis du Gesangsunterricht hattest.”, neckte ich sie noch dicht an ihren Lippen, begann dabei zu grinsen und holte mir noch einen flüchtigen Kuss, bevor sie was sagen konnte. Dann löste ich mich langsam von Aryana und lehrte die letzten paar Schlucke aus dem Glas. Anschließend stand ich auf, um sie wie geplant mit einem Arm unter ihren Beinen und einem an ihrem Rücken vom Sofapolster zu pflücken. Meine Schultersehne meldete mit einem lästigen Ziehen Empörung, was ich – wie meistens – einfach ignorierte. Der Schmerz legte sich auf dem absolut gemütlichen Gang durch den Flur und ich passierte den Türrahmen unseres Schlafzimmers quer, um Aryana nicht die Füße am Rahmen zu demolieren. Dabei kam mir eine weitere Erinnerung in den Sinn: “Bei Britney, da kannst du mitsingen… so selten wie wir Radio hören, müssen wir die Situation aber wohl irgendwann künstlich einrichten.”, seufzte ich, als wäre es allzu tragisch, dass es bis heute nicht dazu gekommen war. Ich fühlte mich eigentlich gerade nicht wirklich dazu bereit, voll aufzudrehen und komplett schief einem absolut nicht für mich gemachten Lied dieser Pop-Ikone nachzueifern. Dazu fehlte mir die nötige Energie und Ausgelassenheit. Es war damals auch mehr oder minder nur dummes Gerede gewesen – wie ich vorhin schon festgestellt hatte, waren es aber vielleicht gerade jetzt die kleinen Dinge, die einen Unterschied machen konnten. Die kleinen Momente, von denen nur wir beide wussten, die uns einander wieder näher bringen konnten. Die schwerwiegende Aufgabe, von jetzt an jeden Tag darauf aufzupassen, dass Aryanas Finger nicht endgültig aus meiner Hand rutschten, machte mir trotzdem Angst. Das wurde mir einmal mehr klar, als ich die Brünette nach dieser völlig atypischen Eskortierung auf ihrer Betthälfte niederließ und in ihre Augen sah. Sowas machte ich sonst nie, sie konnte ja alleine gehen... nur jetzt offensichtlich nicht mehr.
Das mochte wahr sein. "Ich kanns auch hoffen und gleichzeitig versuchen, daran zu arbeiten...", bot Aryana grosszügig an. Würde sie sowieso tun müssen. Auch wenn sie Ryatt den Plan entwickeln liess, musste sie trotzdem dafür sorgen, dass sie bis dahin nicht durch einen blöden Unfall extrem unglamourös draufging. Was bei ihrem Job leichter gesagt war als getan. Egal wie viel Routine sie haben mochte, wenn sie den Kopf nicht bei der Sache hatte, würde sie genauso schnell sterben wie ein übermütiger Neuling. Also ja, da sie eigentlich nicht durch einen Zufall sterben wollte, lag ihr durchaus etwas an ihrem Verstand und dessen Erhalt und sie würde sich bemühen, sich nicht nochmal so zu verrennen. Bei all den Unsicherheiten, die ihr gemeinsames Leben seit Anfang prägten, war eine Sache offensichtlich für sie beide noch immer klar: Dass sie gemeinsam besser dran waren, als sie es alleine jemals sein könnten. Das besiegelte Mitch mit einem weiteren Kuss, den sie gefühlvoll erwiderte. Nur um gleich darauf leicht die Augen zu verdrehen, als er eine Aussage machte, die vermuten liess, dass man sich ihren Gesang so gar nicht anhören konnte. Was sie so nicht unterschreiben würde. Natürlich sang sie nicht so gut wie er, war diesbezüglich keineswegs überdurchschnittlich begabt... aber so schlimm, dass sie Unterricht nehmen musste..? Er gab ihr erst keine Chance, ihre Selbsteinschätzung kund zu tun, küsste sie sofort wieder und sie wusste schon warum. Als er sich dann aber langsam von ihr löste, kam sie zumindest um einen kleinen Kommentar nicht herum. "Übertreib deine Rolle nicht, Mitchi", behielt sie die Betonung ihrer nicht ganz so schlechten Singstimme für sich, um ihn stattdessen nicht besonders ernsthaft zur Bescheidenheit zu ermahnen - inklusive Verniedlichung. Glücklicherweise wurde seine äusserliche Erscheinung dem niedlichen Spitznamen kaum gerecht, sonst wäre das folgende Unterfangen mit dem Prinzessinnen-Transport ins Schlafzimmer nämlich schwierig geworden. So jedoch liess sie sich vom Sofa pflücken, legte einen Arm um ihn und lehnte automatisch erneut den Kopf an seine Brust. Normalerweise würde er das nicht tun und normalerweise würde sie ihm wahrscheinlich auch klar machen, dass sie bestens selbst gehen konnte und ihre Beine gesund waren. Nur waren sie das - im übertragenen Sinne - eben nicht mehr. Sie spürte die Müdigkeit, die seit Wochen hartnäckig in ihren Gliedern steckte und von den vielen schlaflosen Nächten zeugte, sehr deutlich. Vielleicht war es also ganz gut, sich ab und an mal tragen zu lassen. Solange Mitch genug Kraft hatte, um sie beide auf den Beinen zu halten... "Na besten Dank, immerhin Britney nimmst du mir nicht weg... Wahrscheinlich auch nur, weil du weisst, dass ich bei ihr sowieso nicht mehr zu stoppen bin", redete sie lieber noch ein bisschen mehr Quatsch, als sich schon jetzt wieder zu tief in den Gedankenstrudel ziehen zu lassen. Das würde früh genug kommen, wenn sie erst einmal in der stillen Dunkelheit lagen und zu schlafen versuchten. Daran änderte auch Britney nichts. Wann auch immer das letzte Mal gewesen sein mochte, dass Aryana eines ihrer Lieder bewusst gehört, geschweige denn gesungen hatte... Es war auf jeden Fall länger her als das letzte Mal, dass Mitch sie herumgetragen hatte. Auch wenn sie das gerade genauso wenig rekonstruieren konnte, während er sie, beim Bett angekommen, wieder absetzte. Seine Augen trafen auf ihre und einen Moment erwiderte sie den Blick stumm, auch wenn da noch immer ein kleiner Teil in ihr sein Veto einlegen und sich lieber abwenden wollte, damit ihr Freund lieber gar nicht zu viel aus ihren Augen lesen konnte. Aber das hatten sie heute vor- und rückwärts durchgekaut. Das sollte und wollte sie nicht. Sie hatte ihm alles gesagt und wollte dies auch weiterhin tun. Auch wenn sie in diesem Moment nichts mehr zu sagen hatte, ihn nur zu sich heran zog, um ihm nach einem weiteren zärtlichen Kuss ein "Danke" an die Lippen zu hauchen.
Musste sie auch, aber das wusste sie. Aryana hatte mit mir ein hervorragendes Beispiel dafür bekommen, was passierte, wenn man keine Lösung für die Hölle im eigenen Kopf fand. Eben weil auch ich es besser wusste, würde ich sie zwischendurch wenn nötig erneut darauf hinweisen, dass sie was für ihren Seelenfrieden tun musste… und mir den Ratschlag zwangsläufig auch selber zu Herzen nehmen. Das Augenrollen war zu erwarten gewesen. Das machte sie eigentlich immer, wenn ich maßlos übertrieb — beides war ein Stückchen Normalität. „Dein Mitchi hat schon immer gerne übertrieben.“, erinnerte ich Aryana mit spielerischem Grinsen, obwohl mir dieser Spitzname nach wie vor nicht besonders gefiel. Er nervte mich aber nicht mehr so wie einst, man gewöhnte sich dran. Während ich früher oft ganz ernsthaft ein bis drei Spuren zu dick aufgetragen hatte, tat ich das der älteren Cooper gegenüber mittlerweile nur noch zum Spaß. Sie ließ sich noch genauso wie in den Anfängen unserer Beziehung damit aufziehen. Ihr gegenüber nochmal eine Maske aufzusetzen lag mir fern, aber ganz würde ich diesen protzigen Charakterzug sicher nie verlieren. „Eine sehr unterhaltsame Vorstellung.“, meinte ich und zog die Augenbrauen ein bisschen hoch, was Aryanas Gesangseinlage zu Britney betraf. Wir beide gingen nie wirklich aus, aus diversen Gründen. Vielleicht auch etwas, das wir zumindest gelegentlich mal tun sollten, auch wenn es eigentlich nicht so unser Ding war. Zwar stand mir nicht im Sinn, Aryana rein zum Tanzen auszuführen, aber vielleicht ergab sich sowas irgendwann mal. Beschwipst, nach leckerem Essen mit zu viel Wein, wenn wir an einer Bar vorbei schlenderten. Mir fiel gerade tatsächlich zum ersten Mal richtig bewusst auf, dass wir noch nie ein richtiges Date hatten. Unser Leben hatte da nicht mitgespielt, fast immer war alles irgendwie schwierig oder kompliziert gewesen, schon klar — trotzdem hätten wir das längst mal nachholen können. Vielleicht tat unserer Beziehung ein bisschen mehr ‘normal‘ hin und wieder ganz gut. Ich gab bereitwillig nach, als Aryana mich zu sich hinzog. Den anschließenden leisen Dank quittierte ich mit einem kleinen Lächeln, das im nächsten, gleich darauf folgenden Kuss spürbar war. Da ich ohnehin schon so gebückt stand und mich mit den Händen neben ihr aufstützte, richtete ich mich gar nicht erst wieder auf. Stattdessen kroch ich über sie hinweg und ließ mich müde neben ihr auf die Matratze fallen. Während wir damit beschäftigt waren, unsere Beine unter die Decke zu kriegen, ergriff ich nochmal das Wort: „Wenn ich dich nach einem Date frage… nicht jetzt sofort, aber in absehbarer Zukunft… sagst du dann ja?” Es klang so bescheuert und genau so fühlte ich mich auch. Wir waren seit Jahren ein Paar, das sollte gar keine Frage sein. Hinsichtlich ihrer mentalen Verfassung war es jedoch nicht selbstverständlich, dass sie sich dazu aufraffen wollte, zusätzlich zu allem anderen was Neues auszuprobieren. Es war zwar nicht das erste Mal, dass wir uns Zeit für uns als Paar nahmen, aber nüchtern betrachtet kam das schon immer viel zu kurz. Wir waren unerwartet von Null auf Hundert in diese Beziehung gestolpert, ohne irgendeine gesunde Form von Dating und hatten seitdem irgendwie zusammen aber oft nicht so ganz miteinander verbunden gelebt… irgendwann sollten wir mal damit anfangen, eine tatsächlich gute Beziehung aufzubauen und nicht immer wieder ewig lange nur nebeneinander her zu leben. Ich fühlte mich mit Ende Zwanzig noch immer nicht so, als hätte ich wirklich eine Ahnung davon, wie man eine Beziehung richtig führte, aber dass solche immer wieder Arbeit bedeuten, hörte man an jeder Ecke. Ryatt würde uns den Rest der Arbeit fürs zukünftige, hoffentlich einfachere Leben vorerst abnehmen und nahm damit etwas Druck raus. Ein winziger kleiner Aspekt, für den ich ihm ein winziges kleines bisschen weniger böse für seine Existenz war.
Aryana liess sich zumindest den Anflug eines Grinsens ebenfalls nicht nehmen, als Mitch nochmal etwas zu seinen unendlich überlegenen Gesangskünsten - oder viel mehr zu seiner dahingehend interessanten Selbsteinschätzung - sagte. "Vielleicht mag ich ihn ja mitunter darum eigentlich ganz gerne", erwiderte sie, wobei sie dabei ihrerseits gerne zum Gegenteil griff und in der wörtlichen Darstellung ihrer Gefühlte massiv untertrieb. Quasi um ihn etwas auf dem Boden zu halten. Auch wenn Mitch sehr sicher auch ohne ihre wiederholte Aussage dessen genau wusste, dass sie ihn tatsächlich mehr als nur ganz gerne mochte. Sie mochte ihn sogar mehr als Britney, was doch schon eine Leistung war. Aber das rieb sie ihm an dieser Stelle nicht unter die Nase, liess sich von seinen folgenden Worten lieber dazu verleiten, sich ebenfalls bildlich vorzustellen, wie sie sich zu den Liedern der Pop-Ikone auslebte. Ein sehr absurdes Bild und es fiel ihr auch eher schwer, sich sowas in der aktuellen Situation auszumalen. Sie war auf keiner Ebene in Party-Stimmung und es war wesentlich wahrscheinlicher, dass sie ein Lied übersprang, wenn es zu ausgelassen wurde, oder dass sie direkt das Radio ausmachte, als dass sie laut mitsang. Aber wer weiss, vielleicht irgendwann in ferner Zukunft... es war rein theoretisch möglich. Nur sicher nicht mehr heute. Sie beförderte ihren ausgelaugten Körper unter die Bettdecke, stellte dabei einmal mehr fest, wie müde sie sich fühlte. Wie die ständige Anspannung an ihr zerrte. Es war immer dann am besten festzustellen, wenn sie versuchte, sich zu entspannen, wenn sie sich irgendwo setzte oder eben abends in die Matratze sank. Blöd nur, wenn dann das mit der Erholung nichtmal mehr nachts wirklich funktionieren wollte... Aryana hatte sich gerade zu Mitch umgedreht und war noch dabei, die dunklen Locken so ins Kissen zu beten, dass sie sich nicht selbst strangulierte oder an den Haaren zog, da erreichte sie die nächste höchst unerwartete Frage ihres Freundes. Sie hielt in der Bewegung inne und blickte ihn ein paar Sekunden etwas perplex an. Dann vollendete sie langsam die Bewegung ihrer Hand, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Dachte nach, ob sie irgendwas an seiner Frage falsch verstanden haben könnte, dass er glaubte, sie danach überhaupt fragen zu müssen. Sie wusste es nicht. Wie definierte er ein Date? "Also... grundsätzlich ja, natürlich...", folgte eine allgemeine Antwort, die er hoffentlich so auch erwartet hatte. Er war ihr Freund, sie führten eine langfristige Beziehung, wer sollte sie jemals nach einem Date fragen dürfen und ein Ja zur Antwort bekommen, wenn nicht er? "Es gibt auf jeden Fall niemanden, mit dem ich eher auf ein Date gehen würde als mit dir", fasste sie den Gedankengang in Worte, die in dieser Ausführung ein bisschen sarkastisch klangen, aber für einmal gar nicht unbedingt so gemeint waren. "Kommt natürlich ein bisschen auf... deine Definition eines Dates an, ob ich dann auch Spass daran habe... aber ehrlich gesagt, bin ich mir ziemlich sicher, dass du das am besten einschätzen kannst...", er konnte sie am besten verstehen, wusste am besten, wie sie sich fühlte und er gehörte auch ungeachtet der aktuellen Umstände zu den zwei Personen, die sie am besten kannten. Also ja, wenn er sie um ein Date fragte, würde sie Ja sagen und darauf vertrauen, dass er sie nicht in ein vollgestopftes, lautes Restaurant schleppte, ihr nicht den neuesten Kriegsfilm im Kino zeigen wollte und sie auch nicht in eine Karaoke-Bar entführte - so gerne sie der Welt auch ihre innere Britney vorführen würde, musste das noch warten... mindestens bis sie sich wieder wesentlich besser fühlte, wann auch immer das sein mochte. "Und wenn ich dich fragen würde..? Vielleicht sollte ich mir besser darüber den Kopf zerbrechen als... über den ganzen, verschissenen Rest...", stellte sie die Gegenfrage, wobei wiederum ein schiefes Lächeln ihre Mundwinkel verzog. Ein Date war nicht wesentlich anders als ein anderer Ausflug. Beides würde einen ganz anderen Fokus von ihr verlangen, als sie ihn aktuell aufs Leben hatte. Vielleicht musste sie noch etwas damit warten, weil sie sonst der Gefahr lief, dass sie es akut nicht auf die Reihe bekam und dann nur noch frustrierter war und sich nur noch ein bisschen mehr hasste. Aber an sich fand sie die Idee nicht verkehrt.
Wegen meinem zu großen und doch sehr angeknacksten Ego? Ein bisschen hatte es mir vielleicht tatsächlich in die Karten gespielt, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen der ihr untergebenen Soldaten nie wirklich kleine Brötchen wegen ihrem Badge gebacken hatte. „Das merk‘ ich mir.“, ließ ich ganz bewusst offen, was genau daran mir im Gedächtnis hängen blieb. Seien es nun ihre untertrieben formulierten Gefühle für mich oder die Tatsache, dass sie sich seit jeher nie daran gestört hatte, dass ich gelegentlich zu dick auftrug. War ja nicht so, als hätte sie mir nicht heute schon gesagt, dass sie mich mehr als nur gerne mochte. Aryanas Überraschung hinsichtlich meiner Frage kam nicht besonders unerwartet. Ganz gleich woher die nun genau kam, ob es der plötzliche Themenwechsel oder der Inhalt der Frage an sich war. Ich hielt ihren Blick trotzdem und nickte ein wenig, als sie den ersten Teil ihrer Antwort abgegeben hatte. Der zweite Teil wiederum ließ mich erneut schmunzeln, während ich den Kopf im Kissen zurecht legte. „Das ist schon mal eine sehr gute Grundvoraussetzung.“, erwiderte ich ebenso sarkastisch und doch wussten wir beide, dass da sehr viel Wahrheit mitschwang. Es war noch nicht ewig her, dass ich unverhältnismäßig eifersüchtig reagiert hatte und das ohne wirklich triftige Gründe dafür gehabt zu haben. Es war die Vorstufe eines wahren Desasters gewesen. Sicher hatte da auch meine allgemeine mentale Instabilität mit rein gespielt, aber ich war grundsätzlich ein eifersüchtiger Mensch. Glücklicherweise provozierte Aryana diesen hässlichen Charakterzug von mir nie willentlich. Ich zog leicht die Augenbrauen zusammen, als sie betonte, dass die Art der Beschäftigung während des Dates natürlich stark ins Gewicht fiel. Ich streckte einen Arm aus und suchte mit meiner Hand nach ihrer, streichelte über ihren Handrücken und hielt sie einfach noch ein bisschen fest. „Das ist wahrscheinlich mitunter der Sinn eines Dates... Spaß.“, meinte ich trocken. Natürlich konnte es passieren, dass nicht alle unserer zukünftigen Verabredungen perfekt liefen und mal ein Ausflug daneben ging, aus welchen Gründen auch immer. Ich glaubte aber schon daran, dass wir gemeinsam genug Dinge finden würden, die wir auf relativ regelmäßiger Basis abwechselnd machen konnten. Je nachdem, wonach uns gerade der Sinn stand. „Vielleicht sollten wirs trotzdem ein bisschen langsam angehen… nicht, dass uns der ganze Spaß über den Kopf wächst und uns schwindelig wird.“, behielt ich den Humor erstmal bei. Freude fürs Leben zu empfinden fiel uns gerade grundsätzlich schwer. Wahrscheinlich würden wir erstmal eine Weile brauchen, um überhaupt wieder sowas wie blanke Euphorie verspüren zu können. Aber mir würde schon irgendwas einfallen, dass uns beiden zusagte. „Fast alles ist besser als der ganze verschissene Rest.“, seufzte ich eine leise Erkenntnis als erste Antwort auf ihre Gegenfrage und die darauffolgenden Worte. Es war sicherlich sehr anstrengend für Aryana, aus der immer gleichen Spirale in ihrem Kopf überhaupt rauszukommen. Ging mir ja gleich. Trotzdem musste sie es jeden Tag aufs Neue versuchen und durfte dafür gerne auch mögliche zukünftige Ausflüge für uns beide hernehmen. Jede Ablenkung inmitten ihrer ungesunden Karussellfahrt war eine gute Ablenkung. „Aber ja… wenn du mich nicht gerade an besonders gereizten Tagen fragst, ist es unwahrscheinlich, dass ich Nein sage.“, beantwortete ich den eigentlichen Kern ihrer Worte. In der ersten Zeit nach unserer Begegnung mit Gil und Mateo hatte ich sehr unter Strom gestanden. Das hatte sich bis heute ziemlich gelegt, weil ich ab einem gewissen Punkt nur noch sehr viel Nichts gefühlt hatte. Ob ich wieder empfindlicher wurde, jetzt wo ich wusste, dass es Aryana so schlecht ging und ich mitunter das Gefühl bekommen könnte, sie schützen zu müssen – sei’s nun vor der Außenwelt oder ihr selbst – könnte sich das wieder ändern. Die Brünette hatte mich in ein Bad aus sehr unangenehmen, sehr lauten Gefühlen geschubst. Für mein eigenes Inneres war das gerade noch mehr Fluch als Segen.
Sie konnte zwar schlecht eruieren, auf was genau seine Aussage bezogen war, aber allein die Art, wie er die paar Worte betonte, zupfte wieder ein bisschen an ihren Mundwinkeln. "Darfst du gerne machen", zeigte Aryana sich relativ unbeeindruckt davon. Sie konnte sich eher keine negativen Folgen, die daraus für sie persönlich resultieren würden, zusammendichten. Weder aus seiner zeitweise vorhandenen, aber eigentlich immer sarkastisch untermauerten Arroganz, noch aus ihren heruntergespielten Gefühlen für ihn. Letzteres war schliesslich offensichtlich nur der Konter auf sein übertriebenes Selbstbewusstsein gewesen, damit er hier nicht gleich abhob. Als würde dieses Risiko bei einem von ihnen beiden aktuell tatsächlich bestehen... Sie litten definitiv an zu viel Selbsthass und Selbstzweifel, als dass sie die Bedeutung ihrer Person für die Welt überschätzen würden. Sonst hätten sie all die unschönen Gespräche heute Abend nämlich nicht gehabt und die anderen unschönen Gespräche, die vor etwas mehr als einem Jahr eher Mitch betroffen hatten, ebenfalls nicht. Entsprechend war naheliegend, dass sie ihm das grosse Ego maximal teilzeitig abkaufte. Dass er tatsächlich plante, sie in nicht zu ferner Zukunft um ein oder mehrere Dates zu bitten, war hingegen wesentlich glaubwürdiger. Wie die dann aussehen würden, stand natürlich noch in den Sternen, wo die Idee überhaupt erst vor ein paar Minuten aufgekommen war. Aber darin, dass der Spassfaktor dabei nicht zu kurz kommen durfte, waren sie sich offensichtlich einig. "Gut... dann... ist das wahrscheinlich eine gute Idee", quittierte sie seinen Vorschlag, weil sie ja beide bestens wussten, wie dringend sie ein bisschen Spass nötig hatten. Nicht zu viel, natürlich. Aber die Gefahr dabei war überschaubar, konnten sie ihrer Meinung nach eingehen. "Ich werd dich schon ganz vernünftig stoppen, wenn dus mal wieder übertreibst mit Spass", beruhigte sie ihn gutmütig, zeigte sich bereit, hier die vernünftige Freundin zu spielen. Mitch und zu ausgelassen, zu viel Spass, zu wenig Ernsthaftigkeit... die Nutzen / Risiko-Abwägung war schnell gemacht und das Resultat ziemlich eindeutig. Ähnlich wie bei seiner Beurteilung ihrer Gedankenwelt, bei der ruhig mal ein bisschen was von der ewigen Dunkelheit rausgeschnitten werden konnte. Sie sagte aber nichts mehr dazu, die Zukunft würde schon zeigen, inwiefern der heutige Tag und ihre gemeinsamen künftigen Bemühungen helfen würden, hier wirksames Gegenfeuer zu eröffnen. Gefühle und die menschliche Psyche waren leider sehr hartnäckige, heimtückische Gegner, wie sie beide wussten... konnten auch mit den besten Schiesskünsten nicht mit einem gezielten Schuss niedergestreckt werden. Und das war das Problem. Gezielte Schüsse waren ihr Fachgebiet, das würden sie mit Leichtigkeit schaffen. Aber das andere, dieses Problem in ihrem Kopf... das war verdammt kompliziert, nicht ihre Disziplin und sie hasste es. "Dann werde ich versuchen, das nicht zu tun. Auch wenn ich mir sicher bin, dass es genau deine besonders gereizten Tage sein werden, die mich absolut dazu inspirieren werden, dich um ein Date zu bitten... du weisst schon, weil du da immer so unnnnwiderstehlich für mich bist...", seufzte Aryana dramatisch vor sich hin, während ihr Blick einen Bogen von der Decke bis hinüber in sein Gesicht zeichnete. Dort blieben ihre Augen blinzelnd haften, zeigten ihm so nochmal sehr deutlich, wie bedauerlich sie das fand, während ihr Daumen ebenfalls zärtlich seinen Handrücken streichelte. Sie konnten beide ein Liedchen singen von diesen besonders gereizten Tagen, die sie beide immer mal wieder hatten. Eher nicht die liebenswürdigste Version ihrer Persönlichkeiten, soviel sei gesagt.
joa, öhm... heute ist dann wohl irgendwie Donnerstag. *hust* _______
Meine Intention hinter der Datingsache war auf jeden Fall, dass sie uns beiden gut tat. Ob ich damit am Ende richtig liegen würde, stand auf einem anderen Blatt. Ich würde mich wahrscheinlich schon ein bisschen bemühen müssen, um in diesem sehr unerprobten Terrain ansatzweise festen Untergrund zu finden. Meine Motivation dafür war auch definitiv höher, als in sämtlichen anderen meiner Lebensfelder, die schon so lange so falsch liefen. Aryana sollte mir nicht auch noch vollends in diese Richtung entgleiten. Außerdem brauchte ich von Zeit zu Zeit ganz dringend ihre vernünftige Ader, weil es mir an der bekanntlich mangelte – nur eher nicht im spaßigen Kontext. “Kommt bei mir super häufig vor, wie wir beide wissen.”, erwiderte ich derart überzeugt, dass man die Worte ausschließlich ironisch auffassen konnte. Wahrscheinlich würde das in diesem Leben nie passieren: Dass wir beide innehalten und uns zurücknehmen mussten, weil wir den Ernst des Lebens völlig aus den Augen verloren und sonst bald unguten Konsequenzen gegenüber stünden. Offensichtlich mussten wir viel mehr Acht darauf geben, uns gelegentlich mal irgendeiner spaßigen Situation auszusetzen. Scherze waren dafür sicher kein verkehrter Ansatz. Meine Lippen formten allein aufgrund Aryanas spielerischer Reaktion auf meine indirekte Bitte ein kurzes Grinsen, das schnell wieder zu einem Lächeln schrumpfte. Es war nicht allzu selten, dass wir unsere schlechte Laune mehr oder weniger auf den jeweils anderen übertrugen und daraus waren auch schon wirklich hässliche Situationen entstanden – eigentlich so gar kein Grund zum Lachen, aber die Vorstellung davon, wie sie sich inmitten eines Streits plötzlich an meine pochende Brust lehnte und mich nach einer Verabredung fragte, war wunderbar irrational. “Ich fürchte, da wirst du dich dann ganz vorbildlich zurückhalten müssen.”, ließ ich mich auch auf dieses Geplänkel ein, weil es so viel angenehmer als alles andere war. Wir machten auch das nur noch viel zu selten. Ich lehnte mich Aryana entgegen und küsste sie flüchtig, blieb ihr nahe. “Ich mag’s, wenn du so bist.”, nuschelte ich lächelnd an ihre Lippen, bevor ich sie ein weiteres Mal küsste. Natürlich war mir klar, warum wir uns in den letzten Wochen und Monaten nie so albern verhalten hatten wie jetzt in diesem Moment. Wir hatten uns keine Gelegenheit dafür gegeben und im Grunde hatte sich bis jetzt auch nichts verändert – abgesehen von der Tatsache, dass ich jetzt wieder einen Sinn darin sah, Aryana an mich ran zu lassen… und umgekehrt. Ich war wirklich nicht froh über die Umstände, aber es war wieder einmal so gekommen, wie es hatte kommen müssen, weil wir beide uns weigerten zu verstehen, dass es nicht der beste Weg war, immer alles alleine hinbiegen zu wollen.
wer kennt ihn nicht, den Donnerstag zwischen Freitag und Sonntag... x'D ____________
In der Tat, davon konnten sie beide ein Lied singen. Sie liebte Mitch wirklich am allermeisten, aber dass er ständig so viel Spass hatte und immer beste Laune verteilte und das Leben zu wenig ernst nahm, war halt wirklich ein ernstzunehmendes Problem. "Wenigstens bist du einsichtig, dann können wir daran arbeiten", quittierte sie gutmütig seine Worte. Als würde sie jemals ernsthaft dafür sorgen müssen, geschweige denn sorgen wollen, dass Mitch nicht zu unbesorgt und glücklich wurde. Der Gedanke war so absurd. Kam dem anderen Szenario gleich, in dem sie einen aufgebrachten, angepissten Mitch um ein Date fragte. Bei beidem war die Chance, dass es soweit kam, sehr, sehr gering. Aryana erwiderte sein Lächeln sanft und auch die folgenden Küsse gab sie gerne genauso zärtlich zurück. Seine Worte liess sie zuerst einen Moment einfach stehen, während ihr Blick noch immer in seinen Augen lag und sie erneut ihre freie Hand hob, um sie an seine Wange zu legen. Ihr Daumen streichelte auch hier über die warme Haut des einzigen Mannes, der ihr selbst in der aktuellen Phase ihres Lebens nicht von der Seite weichen wollte. Obwohl sie sicher keine besonders gute Freundin gewesen war in den letzten Wochen oder eher Monaten. Obwohl er genügend Gründe hätte, aufzubrechen und sich was besseres zu suchen. War natürlich auch für ihn nicht ganz so einfach, das wussten sie beide. Sie wussten ebenfalls, dass er genau wie sie nicht sehr viele andere Menschen auf der Welt hatte, die ihm was bedeuteten. Aber trotzdem. Trotzdem war seine Liebe und seine Begleitung nicht selbstverständlich und sie wollte das auch nie vergessen. "Kann ich nur mit dir... Dank dir", murmelte sie nach einer Weile zurück. Natürlich war diese Art Teil ihrer Persönlichkeit und lag irgendwo in ihr begraben. Aber gerade an einem Tag wie heute war es nur Mitch, der sowas wie Humor und positiven Sarkasmus aus ihr herauskitzeln konnte. Der dafür sorgte, dass sie doch noch irgendwie mit einem Lächeln im Bett liegen konnte, obwohl sie heute mehr geheult hatte, als sonst in einem halben bis ganzen Jahr zusammengerechnet. "Ich liebe dich.", tat sie noch einmal kund, lehnte sich vor, um sich noch einen Kuss von seinen Lippen zu stehlen, bevor es langsam aber sicher Zeit wurde, zu schlafen. Nachdem sie die Decke zurechtgebogen hatte, legte sich ihre Hand wieder auf seine Wange, rutschte von da in seinen Nacken, wo sie liegen blieb, um noch eine Weile länger über seine Haut zu streicheln. Ein bisschen, um ihm etwas zurückzugeben für alles, was er heute für sie und ihre Psyche getan hatte. Ein bisschen, um ihm so zu versichern, dass schon alles irgendwie gut werden würde, dass sie sich nochmal fangen würde. Und ein bisschen, um sich selbst zu beruhigen und all die bösen Gedanken fernzuhalten, die sofort wieder ihre Aufmerksamkeit fordern wollten, sobald das Zimmer in Stille tauchte. Sie wollte schlafen. Nicht mehr denken - das hatte sie heute schon so oft und so lange getan...
Dat is jetz wieder ein kurzer Post, aber für mehr hatte ich eh keine Zeit und außerdem gabs auch nicht viel zu schreiben, lel. x'D Aufgrunddessen dann auch die Frage, ob wir jetzt zurück zu F&V jumpen, zwecks unangenehmem Familienbesuch? ________
Für meine Einsichtigkeit war ich etwa ebenso berüchtigt wie für ausgelassene Feiern – gar nicht. Deshalb schnaubte ich nur mehr ganz leise und schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Damit war das Thema dann abgehakt und es kehrte kurze Stille ein. Ich genoss das Streicheln an der Wange für einmal ganz ohne den Hintergedanken, aufgrund meiner eigenen Taten nichts von all der Zärtlichkeit verdient zu haben. Aryanas dunkle Augen und die Tiefe darin hielten mich im Hier und Jetzt – hinderten mich darin, stattdessen wie sonst immer nur in meinen eigenen Abgrund zu sehen, der kaum weniger furchterregend als ihrer war. Mit all den düsteren Stimmen darin, die nie wirklich die Klappe hielten… ich lauschte so viel lieber Aryana. Dem wärmeren Klang ihrer Worte, den sie nur dann an den Tag legte, wenn es um uns beide ging. Mein Lächeln wurde nochmal breiter. Es war schön zu hören, obwohl ich wusste, dass ich auch dieses Mal schnell wieder vergessen würde, dass ich durchaus fähig dazu war, zumindest für einen Menschen die Welt besser zu machen. Ich weigerte mich seit jeher dagegen, die Liebe auf das Podest eines Allheilmittels zu stellen, aber sie machte das Leben und das Durchhalten dennoch bis zu einem gewissen Grad leichter. Meine Mundwinkel sanken erst durch den Kuss wieder etwas ab. “Ich liebe dich auch.”, erwiderte ich, was am Anfang so ungewohnt und inzwischen längst zum selbstverständlichen Reflex geworden war. Ich ließ Aryana mit der Decke einfach machen und legte, als sie damit fertig war, beide Arme um sie. Verschränkte die Finger miteinander, als würde das ein unsichtbares Schild um sie legen, das sie vor den Alpträumen bewahren konnte. Außerdem konnte sie von keiner Brücke springen, solange ich sie festhielt. Jedenfalls bis ich einschlafen und keine Kontrolle mehr darüber haben würde. Ich versuchte mich auf die Berührung am unteren Haaransatz zu fokussieren, aber die Stille machte sich nach ein paar Minuten schon gefühlt sekündlich mehr bemerkbar. Die Alberei verblasste und mein Unterbewusstsein stand schon in den Startlöchern, um mir auch diese Nacht keinen erholsamen Schlaf zu gönnen. “Aufwecken nicht vergessen…”, erinnerte ich uns beide nochmal leise nuschelnd, als ich merkte, dass mein erschöpfter Körper ganz gerne seine Ruhephase einfordern wollte. Blieb abzuwarten, wie lange meine Kopf ihn heute daran hindern würde, nach so viel zusätzlichem Input für Horrorvorstellungen...
Portland begrüsste sie mit einem Temperaturunterschied von etwa zehn Grad, als sie aus dem Terminal in Richtung der Mietwagen-Pickups gingen. Die Umstände ihrer spontanen Reise liessen die Luft um sie herum aber nochmal deutlich kühler als die vom Piloten vor der Landung angekündigten 16 Grad wirken. Es war nicht gut. Sie hatte Victors Familie seit über zwei Jahren nicht mehr gesehen. Eigentlich wäre sie längst bereit dazu gewesen, vorbeizugehen, um wenigstens zu versuchen, die Wogen mit Debbie zu glätten, aber Victor hatte das für keine gute Idee gehalten und bis vor ein paar Tagen daran festgehalten, dass seine Mutter ihnen beiden zuerst eine Entschuldigung schuldig war, bevor hier umgekehrt das persönliche Gespräch gesucht wurde. Entsprechend war auch Weihnachten ohne Familienbesuch vorbeigegangen. Zumindest ohne Familienbesuch bei den Riveras. Dafür hatten sie, nachdem sie ein paar Tage nur zu zweit genossen hatten, zwischen Weihnachten und Neujahr tatsächlich gemeinsam fast eine Woche bei Onkel Sam und Familie verbracht. Es war dringend an der Zeit gewesen, dass Victor ihre Verwandten ebenfalls kennenlernte und die kleine Auszeit in Colorado war sehr schön gewesen. So schön, dass sie gleich noch eine Woche länger geblieben war, während Victor zwecks Arbeit früher wieder hatte zurückreisen müssen. Aber Weihnachten war schon wieder weit entfernt und die Wochen waren verstrichen, ohne dass das stumme, unnötige, einseitige Kriegsbeil wieder begraben wurde. Nur damit sie jetzt, Mitte April, doch ohne vorgängige Aussprache anreisten... und zumindest Faye wünschte sich, nicht auch noch dieses Problem im Nacken sitzen zu haben. Als wäre alles andere nicht belastend genug. Jose hatte Victor vorgestern persönlich angerufen, um ihm zu sagen, dass er sich schon morgen sehr kurzfristig für eine Herz-OP unters Messer legen musste. Bei ihm wurde mehr zufällig ein Aortenaneurysma von 5cm Durchmesser direkt beim Herzen festgestellt, das dringend eine operative Versorgung forderte. Ansonsten drohte ein Platzen der Aorta, was selbstredend sehr schnell tödlich endete. Er war also nicht unbedingt vor eine Wahl gestellt worden, ob er eine solche OP denn überhaupt machen wollte oder nicht, wenn er nicht vorhatte, womöglich zeitnah ins Grab zu wandern. Es war sofort klar gewesen, dass Victor unbedingt vor und nach der OP bei seiner Familie sein wollte. Und Faye liess sich sicher nicht zweimal darum bitten, ihn dabei zu begleiten. In erster Linie als Unterstützung für Victor, weil sie bei ihm sein wollte, wenn es ihm nicht gut ging und er sie brauchte. Aber auch wegen Jose, weil sie ihm den Respekt zeigen wollte, den er verdiente. Weil er Victor im Gegensatz zu seiner Frau nicht mehr oder weniger gesagt hatte, dass er froh wäre, Faye würde aus seinem Leben verschwinden. Victor hatte Jose und Hazel gesagt, dass Faye ihn bei dem Besuch begleiten würde und er hatte sich nicht dagegen ausgesprochen, weshalb sie nun eben hier war. Mit Victor den Mietwagen holte, um damit in Richtung Hood River aufzubrechen. Sie sass hinter dem Steuer des sehr durchschnittlichen Kleinwagens, weil sie das scheinbar beide stillschweigend für den heutigen Tag als sinnvoller erachtet hatten. Sie hätten auch mit dem Bus anreisen und ein Auto der Riveras ausleihen können, wenn sie denn eins gebraucht hätten. Aber erstens waren sie so schneller dort und zweitens war da eben doch noch die Sache mit Debbie. Die übrigens ebenfalls begründete, weshalb sie sich vorsorglich ein Zimmer in einem lokalen Hotel gebucht hatten, anstatt davon auszugehen, dass sie in Victors Elternhaus übernachten konnten und wollten. Es war vom Timing her natürlich absolut beschissen, jetzt dort aufzukreuzen, wenn die offene Herz-OP von Victors Vater wie ein schlechtes Omen über der Familie hing. Aber genau dieser Umstand liess ein besseres Timing aktuell leider nicht zu, weshalb sie sich gezwungenermassen irgendwie arrangieren mussten. So oft Jose ihnen auch versichert hatte, dass die OP zur Einlage der Aortenprothese eine über 95%-ige Erfolgsquote aufweisen konnte und er bestimmt nicht zu sterben plane und das Problem bald behoben sei, so schlimm fühlte sich die Situation aktuell doch an. Sie hatte sich die letzten Monate über sehr darauf konzentriert, positiv zu denken und vorwärts zu schauen. Hatte sich eingelebt, der Wohnung den finalen Schliff und persönlichen Touch verliehen. Sie hatte einen neuen Job gefunden bei einem spitalexternen Rettungsdienst, dessen Headquarters nur fünfzehn Minuten Autofahrt von ihrem neuen Zuhause entfernt waren. Dieser Job liess zwar nicht zu, dass sie weiterhin auf der Notaufnahme arbeitete, aber das schien in L.A. sowieso schwierig. Die meisten Krankenhäuser hatten keine eigenen Rettungsdienste mehr, sondern wurden von den zugelassenen lokalen ALS-Anbieter beliefert. Aber das war okay, die Arbeit war absolut fair bezahlt und klang gut. Zu Debbies Pech würde Faye ihre neue Stelle allerdings erst per Anfang Mai antreten, weil sie bis dahin noch all die staaten- und LA-County-spezifischen Lizenzen und Akkreditierungen beantragen und ein paar Kurse besuchen musste. Das meiste war mittlerweile absolviert, fehlten nur noch die entsprechenden Auszeichnungen. Aber an all das dachte sie gerade eher nicht, als sie stumm die Finger nach Victors Hand ausstreckte, um ihre Hand auf seine zu legen und mit dem Daumen über seine Haut zu streicheln. Sie warf ihm nur einen kurzen Blick zu, bevor sie zurück auf die Strasse schaute, die zumindest bis sie Portland verliessen ein ziemlich hohes Mass an Aufmerksamkeit forderte. Nicht, dass sie am Ende noch dafür verantwortlich war, hier für noch mehr schlechte Neuigkeiten zu sorgen...
Es hatte noch ein paar kleine Stolpersteine gegeben hier und da, in Los Angeles, aber im Großen und Ganzen würde ich behaupten, dass uns ein guter Neustart geglückt war. Den noch eine Weile anhaltenden Personalengpass konnte ich mit Faye an meiner Seite viel besser kompensieren. Nebst der Tatsache, dass sie ihr Wort hielt und mir an vielen Ecken und Enden wie selbstverständlich Dinge abnahm, spürte ich mein Herz Stück für Stück durch vielerlei Kleinigkeiten zurück auf den Teppich kommen. Hier ein Kuss, da ein bisschen kuscheln, dann und wann ein paar kleinere Ausflüge, wenn uns danach war und auch in unserem Zuhause war Fayes Handschrift inzwischen überall zu sehen. Meine Paranoia beruhigte sich, auch wenn sie bei unserer Reise nach Colorado an den meisten Tagen noch präsent war. Fayes Verwandtschaft hieß mich herzlich willkommen und so fühlte ich mich trotz der winterlichen Temperaturen schnell wohl, konnte den Stress in L.A. zurücklassen. Es war schön, endlich zu sehen, wo Fayes Wurzeln lagen. Einen bitteren Beigeschmack hatte der Besuch natürlich trotzdem irgendwie – sowohl mein Vater als auch Hazel hatten gefragt, ob ich mir nicht doch einen Ruck geben und zumindest kurz um Weihnachten vorbeischauen wollte, doch da blieb ich stur. Zu jenem Zeitpunkt hatten Faye und ich gerade erst richtig damit angefangen, das Leben wieder genießen zu wollen und es auch tatsächlich zu können, weil uns ausnahmsweise nichts und Niemand dabei störte. Meine Mutter bekam dafür sicherlich keine Sondergenehmigung. Mir fiel der Abschied in Colorado nicht so leicht, wie er es vielleicht sollte – obwohl ich wusste, dass Faye bei ihrer Familie sicher aufgehoben und nie allein war, sie außerdem nur ein paar Tage später wieder in Los Angeles landete. Seither pendelte sich unser Leben in immer geregelten Bahnen ein. Wir hatten uns auf den mehr oder weniger geplanten Kaffee mit den Nachbarn getroffen. Mel und Brent waren völlig gewöhnliche, aufgeschlossene, aber nicht zu aufdringliche Menschen – quasi genau das, was wir an Nachbarn gut brauchen konnten. Auch mein Arbeitskollege Sam war zwischenzeitlich an einem Nachmittag vorbeigekommen, den wir beide frei gehabt hatten und diente uns mit mehr als genug L.A.-Input. Unsere To-Do-Liste – wir hatten mit der Pinnwand ernst gemacht – hatte sich um diverse Zettelchen erweitert und ich freute mich wirklich darauf, sie nach und nach abzuarbeiten. Vor etwa einem Monat hatte es endlich mehrere Neueinstellungen und Umbesetzungen innerhalb des Firmensitzes in L.A. gegeben. Für mich bedeutete das zukünftig weniger spontane Schichtwechsel und besser planbare Freizeit mit Faye, die bis jetzt dank ihrer Vorbereitungen auf den neuen Job noch recht viel Zuhause war. Das würde wieder anders sein, wenn sie die Arbeit letztendlich antrat und das rückte mit jedem Tag näher, weshalb ich die aktuelle Phase wirklich zu genießen versuchte, auf so vielen Ebenen wie möglich. Es kam ziemlich unerwartet, als Mitch sich vor gut zwei Wochen mittels Textnachricht bei mir gemeldet hatte. Auf meine vorherigen zwei Versuche, Kontakt aufzunehmen, war keine Reaktion gekommen und ich nahm ihm das kein bisschen krumm. Nun hatte der Tätowierte mich mit ein paar aus dem nicht vorhandenen Kontext gerissenen Fragen überfahren, die auch insgesamt nur bedingt etwas miteinander zu tun hatten. Ohne vorher ein Hallo oder ein abschließendes bis bald zu inkludieren. Ich wertete es trotzdem erstmal als irgendwie positiv – als Zeichen dafür, dass es ihm und Aryana hoffentlich etwas besser ging… oder er mir mit der Zeit zumindest weniger übel nahm, worum ich die ältere Cooper damals gebeten hatte. Ich fühlte mich also eigentlich ziemlich gut, bis vor zwei Tagen. Es hatte mal wieder nur einen Anruf gebraucht, damit mir kotzübel wurde. Dabei spielte es auch überhaupt keine Rolle, wie gut die Chancen für die Operation standen. Mir war natürlich klar, dass meine Eltern nicht jünger wurden und mit zunehmenden Alter immer mehr körperliche Einschränkungen und auch Erkrankungen auftreten konnten. Trotzdem war Morgen eindeutig zu früh, um meinen Vater zu verlieren. Ich hoffte inständig, dass der Chirurg wusste, was er tat und dass ich mir all diese Sorgen vollkommen umsonst machte. Vertreiben ließen sie sich aber nicht und deshalb starrte ich ständig abwesend auf irgendeinen beliebigen Punkt. Auch jetzt, wo ich Fayes Finger auf meiner Hand spürte, wars wieder passiert. Ich wendete den sturen Blick vom Beifahrerfenster ab und sah zu ihr rüber, legte automatisch meine zweite Hand an ihre. Meine Augen hafteten noch an ihrem Profil, als sie schon wieder den Verkehr im Blick hatte. Es tat mir leid, dass ich sie in diese schwierige Situation mit reinzog und ich wusste wirklich nicht, was besser wäre – sie einmal gezielt mit Deborah allein zu lassen, damit die Sache danach hoffentlich vom Tisch war, oder doch lieber immer in der Nähe zu bleiben, um weitere unschöne Bemerkungen meiner Mom zu vermeiden. Ich kannte letztere gut genug, um zu wissen, dass sie in ihrer Sorge um Jose wahrscheinlich noch empfindlicher war als sonst. War bei mir schließlich ähnlich gewesen, deswegen war es ja überhaupt erst zu diesen hässlichen Worten gekommen. Rundum tolle Voraussetzungen für eine erneute Familien-Zusammenführung also. Ich murmelte ein “Danke” zu Faye rüber, obwohl ich mich schonmal dafür bedankt hatte, dass sie trotz allem mitkam. Ein einziger Dank schien mir in Anbetracht der Umstände nur nicht genug zu sein. Die etwas mehr als einstündige Fahrt verlief bis auf das Radio ziemlich ruhig, es fanden nur wenige kurze Wortwechsel statt. Die Brünette hinterm Steuer konzentrierte sich auf den Verkehr auf der Mehrspurigen und ich hing in meinem kreisenden Schädel fest. Der Knoten in meiner Brust wurde fester, als wir in die Straße meines Elternhauses einbogen. Mein Vater musste erst morgen früh wieder ins Krankenhaus, alle wichtigen Tests und Besprechungen waren schon abgehakt, alle Unterschriften für den Eingriff gesetzt… und er hatte wohl darum gebeten, weil er sich im Krankenhaus allein nicht wohlfühlte, was ich sehr gut nachvollziehen konnte. Mangels Symptome war keine stationäre Überwachung notwendig, also konnte der unangenehme Familienzirkus wenigstens heute noch fernab der Öffentlichkeit stattfinden. Faye hielt den Mietwagen in der Auffahrt vor der Garage und ich rieb mir einmal mit Nachdruck übers Gesicht. Hielt nochmal inne, bevor ich im Grunde schon völlig entnervt ausstieg. Erst als meine Freundin den Mietwagen mit unserem bisschen Gepäck gesichert hatte und zu mir aufschloss, nahm ich mir noch einen Moment lang ganz bewusst Zeit für sie. Hob meine Hand an ihre Wange und küsste sie sanft, weil ich wusste, dass das in den nächsten paar Stunden zu kurz kommen würde. Ein bisschen zu ihrer Beruhigung und vielleicht noch mehr zu meiner eigenen. “Ich liebe dich.”, untermauerte ich meine Geste mit entschlossenen Worten und etwas weniger aussagekräftigem Lächeln, weil mir letzteres schlichtweg schwerfiel. Dafür gab es noch einen zweiten kurzen Kuss, bevor ich meinen Blick aus ihrem löste und sie an der Hand mit zur Haustür nahm. Jedoch brauchte ich gar nicht zu klingeln, weil vermutlich alle das Auto gehört hatten und Hazel sich als neutralen Zwischenboten auserkoren zu sehen schien. Sie empfing uns mit einem breiten Lächeln im offenen Türrahmen und streckte die Arme aus. Sie traf auch keine Entscheidung, wer zuerst dran glauben musste – sie zog uns einfach beide in ihre schmalen, in einem viel zu großen Hoodie steckenden Arme. “Ich freu mich wirklich, euch endlich wiederzusehen.”, begrüßte sie uns noch währenddessen. Bevor sie uns im Anschluss an die Umarmung allerdings reinließ, musterte sie sowohl Faye, als auch mich für einen Augenblick. “Ich bin richtig neidisch, ihr seid ja schon braun geworden… im Winter.”, versuchte sie die Situation aufzulockern, was wohl daran lag, das mein Gesicht nach wie vor eher nach Seattle-Regenwetter und weniger nach Los-Angeles-Highlife aussah.
"Natürlich...", erwiderte sie leise auf seinen erneut ausgesprochenen Dank, warf ihm nochmal einen kurzen Blick, begleitet von einem versucht aufmunternden Lächeln zu. Es war selbstverständlich für sie, dass sie ihn auf dieser Reise begleitete, wenn es ihre berufliche Situation und alle anderen relevanten Umstände irgendwie zuliessen. Und das war aktuell glücklicherweise noch der Fall. Victor hatte also eindeutig Priorität vor all den anderen Dingen, mit denen sie sich stattdessen noch beschäftigen könnte. Und dafür müsste er sich eigentlich auch nicht bedanken, weil es zu den Dingen gehörten, die zu den Grundlagen ihrer Beziehung gehörten. Dass sie füreinander da waren, wenn sie sich brauchten, wenn es ihnen nicht gut ging. Dass sie sich unterstützten in schwierigen Zeiten. Jetzt mehr denn je, wo sie den gemeinsamen Neustart hingelegt hatten und sich beide darum bemühten, ihre Beziehung besser und tragfähiger als je zuvor zu gestalten. Soweit machten sie das - zumindest nach Fayes Auffassung - ziemlich erfolgreich und daran sollte dieser ungeplante Ausflug und die dem zugrunde liegende schlechte Nachricht nichts ändern. Auch wenn es für sie beide auf verschiedenen Ebenen schwierig werden dürfte, wollte sie für ihn da sein und dabei so oft wie möglich seine Hand halten. Sie liess ihre Gedanken am Anfang der Fahrt gerne etwas in eine andere Richtung wandern, um ihre Nervosität hinsichtlich des bevorstehenden Aufeinandertreffens mit Victors Familie nicht ins Grenzenlose ansteigen zu lassen. Glücklicherweise konnte Portland diesbezüglich mit Inspiration dienen. Es waren zwar nicht die gleichen Strassen, die sie heute mit Victor befuhr wie vor ein paar Monaten mit Ryatt - der Flughafen lag etwas ausserhalb und ihr Weg führte sie von dort schnell in Richtung Osten aus der Stadt und der umliegenden Agglomeration heraus - aber das konnte ihr Kopf ganz gut ignorieren, während sie sich fragte, wie es Ryatt wohl ging. Sie standen wie mehr oder weniger abgemacht noch in Kontakt, nachdem Victor sich, als Faye ihn in einem Gespräch mal gezielt danach gefragt hatte, nicht per se gegen die Freundschaft ausgesprochen hatte. Aber selbstredend trugen die Distanz und der Alltag ihre Teile dazu bei, dass der Kontakt etwas weniger ausführlich und persönlich geworden war. Sie entsprechend längst nicht alles mitbekam, was in Seattle so passierte und was den Veteranen so den lieben langen Tag beschäftigte. Wie das im Übrigen leider auch bei Aryana und Mitch der Fall war... Wobei es Faye bei diesen beiden Menschen nochmal wesentlich mehr störte. Sie sich mit Nachdruck darum bemühte, zumindest an ihre Schwester ran zu kommen. Das nicht zu verlieren, was sie erst im letzten Jahr gemeinsam wieder aufgebaut hatten. Aber Aryana war wortkarg und fand für Fayes Geschmack etwas zu viele Ausreden, warum ein geplantes Telefonat mal wieder nicht stattfinden konnte. Und Ryatt hatte bisher mit keinem Wort etwas von einer Idee zur Flucht aus Easterlins Fängen erwähnt. Sie fragte auch nicht explizit nach - auch wenn sie sehr gerne würde - weil sie ihn damit nicht unter Druck setzen wollte und weil sie nicht glaubte, dass er es vergessen hatte. Aber all das half jedenfalls nichts gegen das lästige Gefühl, dass es dem Trio bei Easterlin zusammengefasst so gar nicht gut ging. Alle angeschlagen waren und das aus Gründen, die sie viel zu gut kannte. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, diesem Trip noch gleich einen Besuch in Seattle anzuhängen, um einmal nach dem Rechten zu sehen - beziehungsweise sich einmal nach der Wahrheit zu erkunden. Aber es hatte sich falsch angefühlt und sie hatte sich fast ein bisschen für den Gedanken allein geschämt, ihn sicher auch nicht mit Victor geteilt. Erstens, weil sie schlecht drei erwachsene Personen überwachen und bevormunden konnte, wo sie doch von allen am besten wusste, dass das scheisse war, und zweitens, weil sie Victor sicher nicht auch noch mit diesen Sorgen belasten wollte. Nicht mehr als ohnehin schon, war natürlich nicht so, als hätte er die letzten Wochen nichts davon mitbekommen. Aber es wäre auch irgendwie schräg und falsch, wenn sie versuchen würde, einen Mehrwert aus dieser unschöne Reise zu ziehen. Konnte sie eher schlecht vorschlagen, wenn noch nichtmal sicher war, wie es morgen Abend um Jose stand. Und dann war da abgesehen von allem anderen auch noch der sehr relevante Punkt, dass sie eigentlich überhaupt nie wieder einen Fuss in diese Stadt setzen wollte - aus ganz anderen Gründen. Die Ablenkung in Form ihrer Gedankengänge erfüllte etwa die halbe Fahrt lang ihren Zweck, bevor wieder die verdrängte Problematik das Zepter ergriff. Ihr Blick glitt ab und zu zu ihrem Freund, während sie dem Highway und dem Lauf des Flusses folgten, bis irgendwann das gründe Ortsschild ihr Ziel ankündigte. Faye bemühte sich darum, ihre tiefen Atemzüge möglichst geräuschlos zu gestalten. Auch wenn sie Victor kaum vormachen musste, dass dieser Ausflug sie wesentlich weniger fertig machte als ihn. Was im wesentlichen damit zusammenhing, was sie gleich hinter der Tür des Hauses, in dessen Einfahrt sie nach Victors Wegweisungen parkte, erwarten würde. Sie hätte die Strasse nicht mehr ohne Hilfe gefunden, war zu lange nicht mehr hier gewesen und war damals auch nie selbst hinter dem Steuer gesessen, was die Orientierung ebenfalls nicht förderte. Aber musste sie glücklicherweise auch nicht, da ihr Beifahrer bekanntlich hier aufgewachsen war und somit keine zusätzlichen, suchenden Runden durch die Strassen gezogen werden mussten. Auch jetzt atmete sie nochmal tief durch, bevor sie sich vom Sitz schwang und zu Victor aufschloss. Sie war ihm sehr dankbar für die Zärtlichkeiten, die sie sich noch abholen konnte, bevor der Sturm unkontrolliert hereinbrechen würde. Erwiderte den Kuss ebenso gerne wie sein Liebesgeständnis. "Es wird alles gut, okay?", flüsterte sie ihm - und sich selbst - abschliessend zu, fing sich nochmal seinen Blick ein, um den Worten möglichst viel Überzeugung einzuhauchen. Dann steuerten sie gemeinsam die Haustür an, die ihnen jedoch bereits ohne förmliche Anmeldung vor der Nase aufgezogen wurde. Von Hazel, was die Sache zumindest eingangs durchaus erträglicher gestaltete. Fayes Lächeln blieb zurückhaltend und von einer gewissen Unsicherheit hinterlegt, aber sie erwiderte die Umarmung von Victors Schwester und konnte auch ihre Begrüssung mit einem ernst gemeinten "Gleichfalls", zurückgeben. Die Umstände waren unschön, aber Hazel hätte sie gerne schon vor längerer Zeit mal wieder gesehen. Hatte sich halt nur eher nicht angeboten aus Gründen diverser Natur... Aber immerhin hatten sie sich derweil gegenseitig zum Geburtstag gratuliert und hatten nicht die gleiche komplette Funkstille aufzuweisen, wie das zwischen Faye und Victors Eltern der Fall war. Die Begrüssung war entsprechend einfacher, lockerer was Hazel gleich schon mit dem ersten eher humorvollen Kommentar unterstrich. "Dann musst du uns wohl mal besuchen kommen", erwiderte Faye mit dem noch gleichen, kleinen Lächeln wie zu Beginn. Hazel durfte das gerne als Einladung verstehen. Bestenfalls würden sie das irgendwann so planen, dass sie und Victor dann auch ein paar Tage Zeit für sie hätten. Aber wenn sie wollte, würden die Türen ihres neuen Zuhauses Hazel sicher offen stehen. Das Lächeln fiel ihr automatisch langsam aus dem Gesicht, als Faye hinter Hazel und Victor nach drinnen trat, ohne die Hand ihres Freundes loszulassen. Ihre Bewegungen wurden zögerlicher, unsicherer, als sie sich die Schuhe von den Füssen schob, obwohl sie nicht wusste, inwiefern sie hier wirklich willkommen war. Trotzdem ging sie anschliessend an Victors Hand hinter Hazel her um die Ecke, wo sie im offenen Wohnbereich von Jose und Deborah erwartet wurden. Wie Faye etwas hinter Victor stand, so blieb auch Deborah zwei Schritte hinter Jose zurück, liess ihm scheinbar gerne den Vortritt, während sie damit beschäftigt war, schonmal den Anblick ihres Sohnes zu studieren. Faye vermied es vorerst, ihren Blick für mehr als eine knappe Sekunde in die Richtung von Victors Mutter zu schwenken, weshalb sie auch nichts weiteres in deren Mimik interpretieren konnte. Sie liess Victors Hand los und schob ihn minimal vor, damit er seinen Vater begrüssen konnte, der bereits ein offenes, wörtliches Willkommen an sie beide gerichtet hatte. Anschliessend grüsste auch sie ihn mit einer von ihm ausgehenden aber von ihr gerne erwiderten, kurzen aber herzlichen Umarmung und einem Lächeln, das nicht ganz verbergen konnte, dass sie sich sich eher nicht rundum wohl fühlte. Eines von beidem - Joses Herz oder Deborahs Laune - hätte vollkommen ausgereicht, die Kombination machte hier jedoch nichts erträglicher für niemanden. Und trotzdem kam Faye kaum drum herum, in einer Gesellschaft von gerade mal fünf Personen, nun auch Deborah zu grüssen, weil dauerhaftes gegenseitiges Ignorieren eher keine Option war. Zumindest ihrer Meinung nach nicht. Victors Mutter schien das wohl auch zu merken, streckte ihr aber gezielt und sehr förmlich die Hand entgegen. Sie schien sich - zugegeben auch irgendwie verständlicherweise - nicht die Mühe machen zu wollen, hier irgendetwas vorzuspielen, wenn doch allen längst klar war, dass sie eher keine Vorlieben für Faye an Victors Seite aufweisen konnte. Also blieb es vorerst bei einem lauwarmen Händedruck zur Begrüssung und Faye machte gerne zwei rasche Schritte rückwärts, kaum war dieser erste Akt geschafft, um sich wieder ein bisschen hinter ihrem Freund zu verstecken. Mal wieder ein entscheidender Vorteil von Victors Körpergrösse - Deborah konnte sie hoffentlich nicht mehr sehen und gerne zumindest vorerst so tun, als wäre sie einfach nicht da.
it only took me years again... Hälfte der Belegschaft auf Arbeit war krank, hab deswegen immer 'ne Stunde früher angefangen auf Spätschicht weil sonst keiner in dem Chaos durchgeblickt hat und hier sind wir nun: Hab nächste Woche frei, weil ich eigentlich Freischichtstunden abbauen und nicht Überstunden aufbauen soll, lel. x'D ____________
Ich dachte nur einen kurzen Moment darüber nach, was wahrscheinlicher war: Dass bei der OP meines Vaters alles gut wurde, oder zwischen meiner Mutter und Faye. “Oh, da sag’ ich ganz bestimmt nicht nein. Spätestens nach dem Studium... oder zum nächsten Springbreak.”, nahm meine jüngere Schwester die Einladung in den Süden an. Dagegen hatte ich absolut nichts einzuwenden, sie fehlte mir oft. Jedenfalls immer dann, wenn ich mal genug Zeit und Ruhe hatte, darüber nachzudenken. Hier und jetzt standen leider erstmal unschöne Angelegenheiten auf der Prioritätenliste. Kaum waren wir den unnötigen Ballast in Form von Schuhen im Flur losgeworden, schloss sich der Kreis der Vorhölle. Solange ich damit beschäftigt war, meinen Vater zu begrüßen und anschließend noch einen Moment in etwa so zu mustern, wie meine Mutter das umgekehrt bei mir tat, bekam ich letzteres nicht wirklich mit. Erst als Deborah an mich herantrat, mich mit einer kurzen Umarmung begrüßte und im Anschluss noch an den Schultern festhielt, als müsse sie ihren unbeholfenen Sohn ganz genau unter die Lupe nehmen, fuhr Anspannung durch meinen Körper. Ich trat zurück, damit sich ihre Finger lösten und sah sie dabei vielleicht eine Spur zu kühl an, was wenig förderlich für das anschließende Händeschütteln mit Faye war. Es war mir nur recht, dass die Brünette sich wieder hinter mir verkroch. Ich hatte mich ohnehin längst darauf eingestellt, Faye und meine Beziehung zu ihr auf irgendeiner Ebene verteidigen zu müssen. Die unterschwellige Nervosität waberte von beiden Seiten durch unsere verbundenen Hände und mein Vater versuchte, die unschöne Szene zu unterbrechen: “Bitte setzt euch… wie war der Flug? Die Fahrt?” Ich nahm Faye mit zu dem kleineren der beiden Sofas. Als wir uns setzten, musste sie mich als visuelles Schutzschild leider aufgeben, doch ihre Hand ließ ich nicht los und streichelte weiter über ihren Handrücken. “War okay… den Umständen entsprechend.” Ich zuckte schwach mit den Schultern. Mir hatte alles zu lang gedauert, obwohl wir ohne besondere Verspätungen oder Hindernisse durchgekommen waren. “Wie geht’s dir, Dad? Ich meine wirklich?” Er gehörte zu der Sorte Mensch, die grundsätzlich immer sagte, dass alles in Ordnung war – deswegen der explizite Nachdruck. Mein Vater seufzte, bevor er damit anfing, seines Gesundheitszustand mehr als nur oberflächlich am Telefon aufzurollen. Im Grunde hatte er nicht mehr Symptome als jeder andere Mann kurz vor den Sechzigern, der irgendwann aufgehört hatte regelmäßig Sport zu treiben und berufsbedingt schon viele Jahre lang zu viel am Schreibtisch saß. Hier und da zwickte es, besonders häufig natürlich im Rücken und Nacken. Das gelegentlich auftretende Stechen im Brustbereich hatte er aber ignoriert, weil… tja, weil eben. Es war ein kleines Wunder, dass meine Mutter ihn zu ein paar Vorsorgeuntersuchungen hatte überreden können und zum Glück hatte eine davon dazu geführt, dass dieses Todesurteil von kaputter Aorta entdeckt worden war. Glück im Unglück, konnte man sagen. “Der Chirurg hat schon viele solcher OPs durchgeführt, Victor. Der weiß, was er tut.”, versuchte Jose mich scheinbar abschließend noch irgendwie zu beruhigen, weil mir die Sorge weiterhin quer übers Gesicht geschrieben stand. Ich war so wenig Zuhause gewesen in den letzten Jahren, hatte so wenig Zeit mit ihm verbracht. Er konnte jetzt nicht gehen. So blieb meine einzige Antwort darauf ein letzter tiefer Atemzug und ein Nicken. Ich würde mich wohl erst beruhigen, wenn die Operation gut gegangen war und auch in den Folgetagen keine Komplikationen auftraten. “Ich will doch meine Enkel noch kennenlernen, irgendwann.”, blieb Jose zukunftsorientiert und lenkte auch meinen Fokus damit für zehn Sekunden auf eine viel schönere Vorstellung. Nämlich auf einen überschwänglichen Opa Rivera, der Faye und mir eine kurze Atempause vom Eltern-Sein einräumte, indem er sich seinem Enkel annahm und mit ihm durch unseren kleinen Garten in Los Angeles spazierte. Deborah wischte das kurz aufgeflackerte Lächeln mit ihrem gut hörbaren, stoßartigen Ausatmen aus meinem Gesicht. Es war nicht so, als hätte ich nicht gemerkt, wie sie in der Zwischenzeit immer wieder kritisch zwischen Faye und mir hin und her sah. Es war schwer zu ignorieren, wenn sie doch direkt neben meinem Vater saß. Ich hatte sie nur Jose zuliebe ausgeblendet. Scheinbar waren hier alle bereit, die Vergangenheit auf irgendeiner Ebene bald hinter sich zu lassen – alle außer Deborah. Eine ganze halbe Stunde hatte sie es ausgehalten, meinem Vater und mir beim Austausch über seine Gesundheit zuzuhören. Sich damit zu beschäftigen, Faye und mir anstandshalber jeweils ein Glas Wasser und eine kleine Tasse Kaffee einzuschenken, während Hazel stillschweigend im Schneidersitz mit ihrer Tasse im Sessel saß und sich ein oder zwei Kekse von dem weißen Tablett mit Goldrand mopste. “Willst du irgendwas sagen, Mom?”, forderte ich sie ganz direkt dazu auf, ihrem offensichtlich nach wie vor vorhandenen, völlig unangebrachten Unmut Platz zu machen, weil ich dieses unterschwellige Getue einfach nicht leiden konnte. Es stresste mich.
naw that sucksss... :( Aber schön, wenns jetzt wenigstens mal wieder ne Woche frei gibt! x'D ___________
Ein Besuch von Hazel bei ihnen im Süden war eine eindeutig schönere Sache in der Zukunft, auf die sie sich gerne gedanklich etwas länger konzentriert hätte. War nur leider nicht so wirklich möglich, da ein ausführlicheres Gespräch mit Victors Schwester gerade nicht auf dem Plan stand. Aber hoffentlich später oder irgendwann in den kommenden paar Tagen. Immer abhängig davon, wie sich die Lage auf verschiedenen Ebenen weiterentwickelte. Drinnen war sie auf jeden Fall erstmal sehr froh drum, dass sie Victors Hand bald schon wieder in ihrer halten konnte. Dass sie ausserdem auf dem kleinen Sofa ihren eigenen Platz hatten und so dicht beieinander sitzen konnten, wie es ihnen gefiel. Sie versuchte vorerst, denn Ball flach zu halten und Deborah vielleicht so ein bisschen zu besänftigen. Auch einfach, weil Faye bekanntlich eher konfliktscheu war und ihre Harmoniebedürftigkeit einen sehr ausgeprägten Charakterzug darstellte. Jose schien dem Frieden ebenfalls noch eine Chance geben zu wollen, lenkte das Gespräch zuerst auf ihre sehr harmlose Anreise, bevor Victor dann umgehend auf ein wesentlich wichtigeres Thema umschwenkte. Während der folgenden Schilderungen versuchte Faye ihrerseits, Victor mit dem Streicheln seines Handrückens etwas zu beruhigen, ihm dabei zu helfen, sich nicht in wilden Kopfkinos zu verlieren. Aus ihrem Arbeitsalltag kannte sie die Folgen einer geplatzten Aorta bestens - auch wenn es absolut kein Expertenwissen verlangte, sich in etwa auszumalen, wie sowas üblicherweise ausging. Jedenfalls grenzte es an ein Wunder, dass das Problem entdeckt wurde, obwohl Jose, wie die meisten Betroffenen, kaum Symptome aufgewiesen hatte. Entsprechend war die OP eigentlich eine sehr gute Nachricht in einer sehr schlechten Situation, was sie auch sich selbst immer wieder eingeredet hatte und mit Victor schon mehrfach besprochen hatte. Besser wäre, wenn sowas nicht nötig wäre, aber das stand leider nicht zur Auswahl... Faye hütete sich trotzdem, irgendeinen fachlich fundierten Kommentar abzugeben, weil sie allgemein gerade lieber gar nichts sagte. Nur hier und da nickte und sich zum einen auf Victor neben sich und zum anderen auf Jose und/oder ihren eigenen Kaffee konzertierte, um Deborahs Blicke scheinbar nicht zu bemerken. Trotzdem zeichnete sich auch auf ihrem Gesicht ein kurzes, sachtes Lächeln ab bei der Erwähnung möglicher Enkelkinder, über die sie sich ebenfalls schon oft mit Victor unterhalten hatte. Noch nicht abschliessend, aber die Option stand nach wie vor im Raum. Nur offenbar auch das zum Leidwesen von Deborah... Die mit einem einzigen Atemzug sowohl Victor als auch Faye das leicht versonnene Lächeln aus den Gesichtern zu wischen vermochte. Die Brünette hätte im Gegensatz zu Victor weiterhin auf Konfrontation verzichtete, vermied es sogar, Debby auch nur anzuschauen und widmete sich lieber dem Anblick ihrer Hose. Aber ja, wahrscheinlich brachte das in diesem Moment auch nichts mehr. Seine Mutter sendete ziemlich eindeutige Signale und das wurde nicht besser, wenn sie alle einfach so taten, als gäbe es kein Problem und auch keine Anzeichen für ihren Unmut. Vorhin, als Deborah Mut dem Kaffee gekommen war, hatte Faye tatsächlich kurz gehofft. Aber nachdem die ältere Frau sie nach ihrem ausgesprochenen Dank nichtmal angeschaut hatte, war diese naive Hoffnung sehr schnell wieder verschwunden... zu Recht, wies schien. Deborah wirkte kurz fast ein bisschen ertappt - wenn zugleich auch nicht einsichtig oder betroffen. Dann atmete sie nochmal tief durch, blickte ihren Sohn - und nur ihn allein - dabei sehr direkt an. "Eigentlich nicht, weil wir uns eigentlich bereits darüber unterhalten haben", begann sie schnippisch, wobei klar war, dass dem gleich noch eines dieser sinnbefreiten und unnötigen Abers folgen würde. "Ich finde es nur auch nicht sehr angebracht von dir, dass du sie genau heute mitgebracht hast. Wo du doch genau wusstest, dass hier alles...", sie machte eine ausladende Geste, um wohl die Gesamtsituation einzuschliessen, beendete den Satz aber nicht. Musste sie auch nicht, die Worte hatten schon ausgereicht, um ihre überstrapazierten Nerven dazu zu verleiten, ihr ein paar Tränen in die Augen zu treiben. Das entging auch Faye nicht, die zwischenzeitlich bei diesem indirekt direkten Angriff den Kopf doch wieder angehoben hatte, um Victors Mutter verstört bis verletzt anzuschauen. Sie hatte sogar schon den Mund aufgemacht, um sich zu verteidigen und Deborah darüber zu informieren, dass Victor sehr wohl mit Jose abgesprochen hatte, dass er nicht alleine herkommen würde und ob das in Ordnung war. War es nur eben auch für alle - ausser für die Hausherrin. Die Tränen in den Augen von Victors Mutter liessen Faye jedoch alle Gegenargumente wieder runterschlucken, führten eher dazu, dass sie sich lieber entschuldigt und die Flucht ergriffen hätte. Es stimmte schon, sie hatten Jose gefragt, ob ihre Begleitung erwünscht war. Victor hatte auch Hazel beiläufig darüber informiert. Deborah hatten sie jedoch nicht gefragt, weil sie ihre Antwort schon gekannt hatten. Und scheinbar hielt Victors Mutter an dieser Meinung fest - als wäre ihre Meinung zu Victors Liebesleben gerade irgendwie relevant… Sie hasste es, die Ursache für dieses unnötige Drama zu sein, das hier im denkbar beschissendsten Moment reingrätschte.
und trotzdem noch 100 Stunden im Plus danach. Das schreit nach noch mehr Freizeit im September, bevors hier wieder eklig und kalt wird, lel. x'D Hab übrigens mal die Infos zu Victors Familie grob und schnell umstrukturiert im Info-Sheet, so kann man die einzelnen Personen einfacher nachlesen. Da kommen sicher im allgemeinen Verlauf noch mehr Infos dazu. ^^" ______
Ich hatte eigentlich gar keine Lust auf Streit. Grundsätzlich nie, wenn es um meine eigene Familie ging. Es war nur nicht so, als könnte ich einfach mal eben vergessen, was meine Mutter gesagt hatte — was sie jetzt noch einmal betonen zu müssen glaubte, statt auch nur einen Funken Einsichtigkeit zu erlangen. Es war ein bisschen vorhersehbar, dass ihr die Tränen kamen. Ich musste mir auf die Zunge beißen und spannte die freie Hand kurzzeitig zur Faust an, um den größten Teil meines Ärgers runterzuschlucken. Trotzdem war danach noch ein Haufen Frust übrig. „Sie hat einen Namen.“, setzte ich an und öffnete kurz darauf erneut die Lippen — mein Vater kam mir jedoch mit Worten zuvor. „Victor hat mich gefragt, Liebes…“ Er griff mit seiner Hand nach ihrer und brachte mich so dazu, einen kurzen Blick auf Faye zu werfen. Ich wäre froh darüber, wenn es heute nur auf einer Seite Tränen gab. „…und ich habe mich darüber gefreut, weil Faye zu Victor gehört und sie sehr lange nicht hier war.“ Jose lächelte sie an, aber Deborah spiegelte nichts davon. „Na und wessen Schuld ist das?“ Ich konnte dieses Wort nicht mehr hören. Hatte mich viel zu lange selbst damit herumgeschlagen und auch Faye zu oft dabei zugesehen, wie sie sich deshalb fertig machte. Wegen irgendeiner gottverdammten Schuld. „Also zumindest die letzten Monate über war‘s deine.“, rutschte mir eine stumpfe Feststellung raus, weil ich einfach nicht anders konnte. „Ich warte immer noch auf deine Entschuldigung und das scheinbar vergebens.“ Genauso wie sie mich zuvor, sah ich Deborah sehr direkt an. Ohne einen Funken Nachgiebigkeit im Blick, was für mich nicht gerade typisch war. Zumindest nicht gegenüber Faye, weil wir diese Art von Konfrontationen nie hatten. Wir klärten Meinungsverschiedenheiten ruhig und ohne Vorurteile. Beides war mit meiner Mutter hier gerade nicht machbar, weil sie wie so oft den spanischen Sturschädel auspackte, der eine normale Unterhaltung schier unmöglich machte. Ich hatte mir diesen Charakterzug von ihr im Gegensatz zu Hazel zum Glück nicht abgeschaut – das hieß aber nicht, dass ich nicht schon als Kind irgendwann angefangen hatte, dagegenzuhalten, wenn ich ihre Meinung als falsch empfand. Deborah blinzelte gegen die Tränen an, eine löste sich, wieder blankes Entsetzen in ihren Augen. “Das meinst du doch jetzt nicht ernst, Victor… seit Jahren bist du kaum noch Zuhause gewesen… wenn wir dich besuchen wollten, ging es dir oft nicht gut und du hast abgelehnt. Also ist es immer nur dazu gekommen, wenn du… wenn du im Krankenhaus warst. Weil wieder irgendwas passiert ist… und das letzte Mal muss ja irgendwas mit ihr zu tun gehabt haben, wenn sie dich nicht sehen wollte… und du auch nicht darüber reden willst, bis heute nicht. Obwohl du danach so lange hier warst und es dir so schlecht ging. Es… es kann doch nicht nur mir auffallen, dass… dass das keine gesunde Beziehung ist.” Sie verhaspelte sich mehrmals und gestikulierte zwischenzeitlich mit zittrigen Fingern. Ich hob die freie Hand, um mir mittelmäßig verzweifelt übers Gesicht zu reiben. Sie sah wieder nur die Dinge, die sie sehen wollte. Dieses Talent lag auch irgendwie in der Familie. “Zum hundertsten Mal: Du willst nicht wissen, was da passiert ist.” Deborah hatte sehr oft versucht, mir diese Informationen zu entlocken, als ich zuletzt hier gewohnt hatte. Es reichte mir noch immer, dass Hazel es wusste. Ich konnte im Augenwinkel sehen, dass letztere sich auf der Lippe herumkaute und versuchte, in ihrem Hoodie unterzugehen. “Also wie wär’s, wenn du dich lieber an das klammerst, was du weißt, Mom? Ich bin mir sicher, dass du dich noch gut dran erinnerst, wie ich ausgesehen habe, als ich vor 8 Jahren das erste Mal aus der Army geflogen bin… wie es mir in den fast vier Jahren ging, bis ich zurück an die Front bin.” Posttraumatische Depression war schon keine ausreichende Umschreibung mehr für meinen damaligen Zustand gewesen. “Wenn du mir ehrlich ins Gesicht sagen kannst, dass ich heute nicht tausend Mal besser aussehe als damals und ich nichts im Leben erreicht habe seitdem, dann beende ich die Beziehung sofort.” Ich sprach das mit voller Überzeugung aus, weil ich ganz genau wusste, wo ich jetzt stand. Es mochte schon wahr sein, dass die letzten Jahre mit Faye teilweise die Hölle waren – sie war aber auch der einzige Grund, warum ich mich immer wieder aufgerappelt, schließlich ernsthaft an mir gearbeitet und für eine richtige Perspektive in meinem Leben gesorgt hatte. Dass ich damit aufgehört hatte, in der Vergangenheit zu baden, obwohl sie zu schmerzhaft war, um sie jemals zu vergessen. Die Zukunft war wichtiger und Faye war die einzige Frau, mit der ich sie verbringen wollte. Deborah sah zwischen uns hin und her, machte nochmal den Mund auf, aber da kam erstmal nichts. Nach ein paar sehr unangenehmen, stillen Sekunden, schüttelte sie schließlich den Kopf und ließ Joses Hand los. “Entschuldigt mich… einen Augenblick.”, sagte sie mit plötzlich dünnerer Stimme und mied sämtliche Blicke, bevor sie aufstand und den Raum verließ. Vermutlich, um etwas gegen die Tränen zu unternehmen. Es war natürlich nicht schön für mich, meine Mutter so zu sehen und dann auch noch die Ursache dafür zu sein. Wenn sie keine Rücksicht auf unsere Gefühle nahm, nahm ich jedoch auch keine auf ihre.
Krass, dass sowas überhaupt möglich ist für "normale" Mitarbeitende... xD Überall, wo ich bisher gearbeitet habe, wurde da viel früher interveniert. Bei meinem aktuellen Arbeitgeber beispielsweise, sind max. 80 Plusstunden erlaubt und dann musst du das entweder beziehen oder auszahlen lassen. Aber wir haben natürlich auch keine Freischichtstunden. Und gut für dich, dann hoffe ich, dass dein Plan aufgeht und du im Sept. abbauen kannst - wär ja schön.. xD Auch gut, guck ich mir an.^^ __________
Sie konnte sich wirklich nicht daran erinnern, wann sie zuletzt in einer - auf dieser Ebene - derart unangenehmen Situation gewesen war. Ob das überhaupt schonmal vorgekommen war. Der Drang, ihrerseits sehr schnell den Raum zu verlassen, war auf jeden Fall deutlich spürbar. Sie tat es nur darum nicht, weil sie sich eher nicht vorstellen konnte, damit irgendwas besser zu machen. Besonders nicht für Victor, der kurzum zur Gegenwehr ausholte. Viel brauchte er aber nicht zu sagen, weil Jose die Sache mit dem unbewilligten Besuch direkt selbst aufklärte. Als wüsste das Deborah nicht längst. War nicht besonders wahrscheinlich, dass sie bis gerade eben nicht gewusst hatte, dass Victor nicht alleine aufkreuzen würde, andernfalls wäre ihre Reaktion wohl nochmal ganz anders ausgefallen. Trotzdem war Faye Victors Vater dankbar dafür, dass er sehr offensichtlich Partei für sie ergriff und sich darum bemühte, ihr wenigstens ein kleines bisschen vom Gefühl, hier erwünscht zu sein, zurückzugeben. Das hielt aber maximal drei Sekunden stand, bevor Deborahs Schuldfrage deutlich zum Ausdruck brachte, wie wenig sie sich davon beirren liess. Faye hatte keine Ahnung, ob sich die Frage überhaupt beantworten liess. Auch wenn sie fast sicher wusste, welche Antwort Deborah für richtig halten würde, glaubte sie nicht dass dafür eine einzige Person verantwortlich gemacht werden konnte. Es waren schliesslich auch sehr viele andere Umstände - wie die Distanz und das allgemeine Chaos in ihrem Leben - gewesen, die zwischen Victor und seiner Familie gestanden hatten. Sie für ihren Teil hatte ihn nie bewusst von einem Besuch abgehalten und hatte auch nie etwas gegen einen Besuch seiner Familie bei ihnen eingewendet. Aber ja, sie hatte auch selten einen Nerv dafür übrig gehabt, ihrerseits etwas in die Richtung zu planen und dafür zu sorgen, dass sie selbst früher wieder hier gewesen wäre. Die Frage hatte trotzdem keine Antwort. Und sie war sich ziemlich sicher, dass das, was Victor darauf erwiderte, ebenfalls nichts zum Frieden beitragen würde... auch wenn es wahr war. Dass der Weihnachtsbesuch ins Wasser gefallen war, ging auf Deborahs Kappe. Aber Faye verstand auch, dass die Beschuldigte das eher nicht so sah - besonders nicht, nachdem sie mit ihrer ursprünglichen Frage sicher nicht sich selbst als das Problem hatte inszenieren wollen. Das Echo, das zurückkam, hatte es entsprechend in sich. Nachdem Faye seit der Begrüssung mehr oder weniger jeglichen Blickkontakt mit Deborah vermieden hatte und sich lieber auf den Stoff ihrer Jeans konzentriert hatte, war das bei diesen Worten kaum mehr möglich. Spätestens an dem Punkt, als Victors Mutter auf diesen letzten Krankenhausaufenthalt aus der Hölle zu sprechen kam, dabei sehr direkt über sie herzog - weiterhin so despektierlich wie möglich, indem sie Fayes Namen nicht einmal in den Mund nehmen wollte - blickte Faye wieder zu ihr hinüber. Versuchte gar nicht, auch nur eine einzige Emotion für sich zu behalten, weil das bei diesem Ausmass sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre. Sie wusste nicht genau, welche Schlüsse Victors Eltern damals aus ihrem Fernbleiben von Victors Krankenbett gezogen hatten. Einer davon schien aber richtig gewesen zu sein - sie war tatsächlich nicht hingegangen, weil sie sich schuldig gefühlt hatte. Das hiess aber nicht, dass das die ganze Antwort war. Sie hatte Victor nicht von einer Klippe gestossen oder ihm den Schädel zertrümmert. Das dürfte doch selbst Deborah klar sein, dass hier nichts nur schwarz und weiss war. Fayes Mund stand leicht offen, halb aus gespiegeltem Entsetzen, halb weil sie eigentlich gerne irgendwas zu ihrer Verteidigung gesagt hätte. Aber sie kam nicht soweit, blickte schon wieder zu Victor, als sie eine Bewegung wahrnahm, weil er sich übers Gesicht rieb. Viel mehr als auch ihn fassungslos bis besorgt anzuschauen, konnte sie aber nicht bieten, weil ihr eher nichts einfallen wollte, während ihr Herz hämmerte, als wäre sie einen Marathon gerannt. Daran änderte auch der Rest der Auseinandersetzung nichts. Sie wollte nichts davon hören und wäre sehr gerne schon weit vor Deborah aus dem Raum gestürmt. Tat sie aber nicht und so war es Victors Mutter, die die Flucht ergriff, und sie hier in absolutem Unbehagen sitzen liess. Faye blickte ihr nach, krallte die Fingernägel ihrer freien Hand in die Seite ihres Oberschenkels. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Aber sie wusste auch, dass sie so höchstwahrscheinlich nicht weiterkamen. Wenn Deborah irgendwann zurückkam, wäre Faye immer noch hier, neben Victor, auf ihrem Sofa, in ihrem Wohnzimmer. Sollte sie einfach solange hier bleiben, bis sie irgendwann wieder akzeptiert wurde? Bis Deborah merkte, dass es Victor jetzt besser ging? Dass er nicht mehr von Hölle zu Hölle wanderte und dazwischen kaum je richtig auf die Beine kam, wie das ihrer Meinung nach scheinbar der Fall war, seit Faye an seiner Seite war? Das war keine schöne Lösung - eigentlich gar keine Lösung. Ausserdem hatte Jose eine erweiterte Aorta. Sollte ihn dieses Drama, entgegen seines äusseren Erscheinungsbildes, tatsächlich ebenfalls stressen, war das zum aktuellen Zeitpunkt denkbar ungünstig. Er konnte keinen Bluthochdruck brauchen und das letzte, was Faye riskieren wollte, waren solche, vollkommen vermeidbaren Folgen. Sie löste den Blick vom Türrahmen, durch den Deborah schon längst verschwunden war. Rieb unruhig ihre freie Hand auf ihrem Bein und löste dann die andere von Victor, den sie gleich darauf kurz anblickte. "Ich... ich versuche, mit ihr zu reden...", gab sie leise bekannt, klang sich ihrer Sache dabei aber nicht annähernd sicher. Sie vermied, als sie rasch aufstand und ebenfalls das Wohnzimmer verliess, bevor irgendwer Einspruch erhob, bewusst jegliche Blicke, die ihr hätten sagen können, dass das eine dumme Idee war. Sie wollte es wenigstens versuchen. Auch wenn sie gar keine Ahnung hatte, wie Deborah gleich reagieren würde, weil sie Victors Mutter so gar nicht einschätzen konnte. Sie viel zu schlecht kannte... Wie sie gerade eben indirekt besprochen hatten.
Jaaa naja, bei uns ist vieles bisschen besonders, aufgrund der Funktion vieler Maschinen in der Firma. Die kann man während der Produktion nicht anhalten, das heißt wir haben auch keine 30 Minuten vorgeschriebene Pause während unserer 8 Stunden Arbeit, sondern machen "so zwischendurch" Pause, wenns grade in den Ablauf passt... und dafür bekommen wir täglich eben 1 Stunde Freischicht aufs Konto. 5 Stunden pro Woche summieren sich exorbitant schnell, lemme tell ya. x'D Bis Ende diesen Jahres liegt unsere Obergrenze für alle Zeit-Salden kumuliert bei 200, danach wird sie auf 160 (?) runtergesetzt... aber bei den "Büroleuten" wird bei 80 schon die Bremse gezogen, ab nächstes Jahr bei 60. Ist in der Produktion etwas schwieriger, wenn ständig Leute fehlen und dann ein Defizit da ist, wegen stark schwankender Auftragslage. Da kann halt nicht der Kollege vom Schreibtisch nebenan mal eben noch paar Aufgaben übernehmen, wenn die Hütte brennt. :'D
Hat sich eh nicht viel geändert. <.< Und ich spiel zwangsläufig dann jetzt mal wieder einen unserer ungeliebten Nebencharaktere, i guessss... ist mir echt noch nie passiert, dass ich ne grummelige Mutti schreiben musste, wahrscheinlich wirds also dezent desaströs - wir erwarten bitte nicht zu viel. x'D ___________
Mein Blick tunnelte noch auf der Tür, durch die meine Mutter gerade die Biege gemacht hatte. Bis ich erneut den Kopf schüttelte und mich fragte, ob sie meine Entscheidungen je respektieren würde oder tatsächlich glaubte, auf ewig ein Mitspracherecht zu haben. Lang hielt diese Frage in meinem Kopf jedoch nicht an, weil ich spürte, wie der Druck von Fayes Fingern schwächer wurde. Damit lenkte sie meine Augen zurück in ihre Richtung und mein Blick traf irritiert auf ihren. Kaum hatte die Brünette den Grund dafür genannt, stand sie auf und im folgenden Moment rang ich mit mir selbst. Ich sagte nichts, weil ich bestens wusste, dass Faye es nicht mochte, wenn man zu exzessiv eine Hand über sie hielt und sie dadurch in Frage stellte. Trotzdem hätte ich beinahe nach ihrem Handgelenk gegriffen, um sie davon abzuhalten. Deborahs Laune würde heute nicht mehr signifikant besser werden und dementsprechend fragwürdig war es auch, ob ein Gespräch bei derart verhärteten Fronten helfen konnte. So blieb mir nur übrig auch meiner Freundin kritisch bis besorgt nachzusehen, bevor ich nach vorne an die Sofakante rutschte und nach der Kaffeetasse griff, die ich bisher aus nervlichen Gründen noch nicht angerührt hatte. “Ich schwöre, dass ich das nächste Weihnachten und sämtliche Grillveranstaltungen im Sommer auch dieses Jahr noch skippe, wenn sie weinend zurückkommt.”, grummelte ich vor mich hin und visierte die Tasse an, als wäre sie hier der eigentliche Endgegner. “Jetzt sei nicht so, Vicky…”, seufzte Hazel nebenan und massierte sich die rechte Schläfe. “Du weißt doch, wie sie ist… du wirst immer das Lieblingskind bleiben, das etwas zu oft auf die Schnauze geflogen ist.”, versuchte meine jüngere Schwester auf ihre Weise mit einer Prise Sarkasmus, die Sache ein bisschen aufzulockern. Von mir erntete sie dafür eine genervt hochgezogene Augenbraue, mein Vater klinkte sich ebenfalls wieder ein: “Hazel…”, mahnte er. Sie zuckte jedoch nur mit den Schultern. “Was denn?” Sie machte ihren Kaffee leer und schien sich mit ihrer Rolle als weniger geliebtes Kind – was, nebenbei bemerkt, in meinen Augen etwas überzogen war – bestens abzufinden. “Niemand wird hier mehr oder weniger geliebt.”, stellte Jose überflüssigerweise klar, bevor er hörbar durchatmete. Meinen Vater aufzuregen, war gar nicht meine Intention gewesen. Obwohl ihn die meisten Streits ziemlich kalt ließen und er sie zumeist einfach durchstand, schien er von dieser Situation aber tatsächlich etwas angeschlagen. “Ich habe dich nicht angerufen, damit ihr euch weiter streitet, Victor.” Ich senkte den Blick auf die Tasse zwischen meinen Händen, kurz bevor ich die Augen zumachte und versuchte, den Ärger in meiner Brust irgendwie aufzulösen.
Deborah Das kalte Wasser vom Waschbecken im Badezimmer half gegen die heißen Wangen, aber nicht gegen die roten Augen. Sie konnte auch nicht sofort aufhören zu weinen und schluchzte zwei Mal leise in ihre Hände hinein. Dass Debbie heute kein Make Up trug, war in diesem Moment so gut, wie es schlecht war – zwar musste sie jetzt keine verlaufene Wimperntusche beseitigen, sah dafür aber auch exakt so müde aus, wie sie es war. Müde von wiederkehrenden schlechten Neuigkeiten, müde vom Streit, müde vom Leben. Dabei sollte sie zufrieden, völlig ausgeruht und – in ihrem Alter entsprechendem Ausmaß – das blühende Leben sein. Sie musste nicht arbeiten, konnte ihre Zeit Zuhause verbringen und sich den ganzen Tag so gestalten, wie es am besten passte. Doch was hatte sie davon, Zuhause zu sein, wenn sonst Niemand da war? Ihr Sohn war seit Jahren fort, ihr Mann arbeitete seinem für die Firma wichtigen Job wochentags entsprechend lang und ihre Tochter steckte entweder in der Uni, mit dem Kopf tief in den Büchern oder war mit ihren Freunden unterwegs. Es war schön, dass sie sich keine Geldsorgen machen musste, dass es Victor scheinbar auf den ersten Blick besser ging und dass Hazel ihr Leben gerne mit vielen Menschen teilte… doch es war für sie ziemlich einsam. Der Gedanke daran, dass ihr nun auch noch die Schulter, an der sie sich zumindest des abends auf dem Sofa anlehnte, entrissen werden könnte, von so etwas Banalem wie einer fortgeschrittenen Krankheit, zog ihr endgültig den Boden unter den Füßen weg. Sie vermisste die Familie, die sie früher gewesen waren, obwohl sie wusste, dass das irrational war. Es würde nie wieder so sein. Jose und sie selbst bekamen das Alter von Jahr zu Jahr mehr zu spüren, ihre Kinder wurden älter und gingen ihre eigenen Wege. Es war aber nicht ihre Pflicht, alle davon gutzuheißen und so hielt sie jeden Strohhalm fest, den sie noch irgendwo finden konnte. Es graute ihr davor, dass Hazel im Sommer ihr Studium beendet haben würde und danach wahrscheinlich bald auszog. Soweit sie wusste, hatte ihre Tochter noch keine Entscheidung darüber getroffen, wo sie zukünftig leben und arbeiten wollte. Nur nicht in dieser öden Kleinstadt am Arsch der Welt, so viel stand wohl schon fest. Sie hoffte trotzdem, dass Hazel ihre Meinung noch einmal änderte. Das hatte sie auch bei Victor, doch er hielt eisern an seiner Freundin fest. Sie verstand es nicht, bis heute nicht. Sich im Krieg zu verlieben war dumm – wenn vielleicht auch nicht ganz so dumm, wie überhaupt erst noch ein zweites Mal freiwillig in diese Hölle zu gehen. Deborah konnte Vieles, was ihr Sohn tat, nicht mehr nachvollziehen und je länger je mehr bekam sie das Gefühl, ihn gar nicht mehr wiederzuerkennen. Sie wusste nicht mehr, wer Victor war. Er verhielt sich anders, er sprach anders mit ihr und er sah auch anders aus. Sie war froh darüber, dass sie die meisten Narben an seinem Körper nie zu Gesicht bekommen würde. Das bisschen, was sie in seinem Gesicht und an seinem Hals sehen konnte, war ihr schon viel zu viel. Als keine Tränen mehr nachkamen, wischte sie sich noch einmal kalt das Gesicht ab und versuchte verzweifelt mit einer Creme nachzuhelfen. Dann zog sie die Tür auf und kaum war sie auf den Flur hinaus getreten, blickte sie in Fayes Gesicht. Sie blieb sofort stehen und der traurige Ausdruck in ihren Augen wich kleinen Blitzen. “Hast du noch nicht, was du willst?”
Ja, du hast mir das schonmal erklärt... Macht schon Sinn, aber ist trotzdem krass, so viele Stunden. Weil dann hast du ja am Ende gefühlt 20 Wochen Urlaub im Jahr... x'D
Und SORRY, das war eigentlich nicht meine Absicht! x'D Ich hab mir überlegt, das auch noch selbst zu schreiben, aber dann war der Beitrag schon so lang und ich habs erstmal offen gelassen - aber ich hätte das auch alleine schreiben können in diesem Beitrag... x'D _____________
Sie wusste nicht wirklich, wo sie Deborah überhaupt suchen sollte. Besonders weit konnte sie eigentlich nicht gekommen sein und die Haustür war auch nicht zu hören gewesen... Dafür aber jetzt das Plätschern von Wasser, als sie am Badezimmer vorbeikam. Faye seufzte. Konnte schlecht einfach mal eben die Tür aufmachen, um ihr da drin Gesellschaft zu leisten, aber vor der Tür zu warten, war auch komisch. Würde ihre vielleicht-irgendwann-Schwiegermutter sicher auch nicht glücklich stimmen, wenn sie die Tür wieder aufmachte und zuallererst in Fayes unliebsames Gesicht blickte. Aber was sollte sie sonst tun? Einfach wieder ins Wohnzimmer zurückgehen war auch keine Option, jetzt, wo sie sich für eine möglichst sanfte Konfrontation entschieden hatte und schon allen Mut und alle Nerven zusammengekratzt hatte, um überhaupt hier zu stehen. Also nahm sie ein paar Schritte Abstand und wartete an der gegenüberliegenden Wand. Allzu lange dauerte es nicht, aber es half ihrer Unruhe trotzdem kein bisschen. Als Deborah die Tür aufschob und sie sah, ihr Blick dabei innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde von traurig zu purer Verachtung oder Wut oder was auch immer umschwenkte, machte Faye automatisch noch einen kleinen Schritt rückwärts. Während ihr ironischerweise ein sehr absurder Gedanke kam. Ich glaube, sie würden dich mögen. Das hatte Victor ganz am Anfang zu ihr gesagt, dabei von seinen Eltern gesprochen. Irgendwann auf einem syrischen Feldbett, nachdem sie Mist gebaut hatte und sie ihn dafür fast verloren hatte. Und dann hatte sie sich fast umgebracht, weil sie nicht bei der Sache war und dann hatten sie beide gemerkt, dass sie sich gegenseitig nicht aufgeben wollten. Und sie hatten es nochmal versucht. Das war dann ungefähr die zweite Chance gewesen. Der waren noch ziemlich viele weitere gefolgt, insofern konnte sie Deborah verstehen: Ihre Beziehung war sehr lange sehr holprig gelaufen. Eigentlich immer wieder. Aber war es denn nicht auch offensichtlich, dass es Gründe geben musste, weshalb sie trotz all dieser Stolpersteine immer noch an eine gemeinsame Zukunft glaubten? Dass sie sich nicht loslassen wollten? Faye schüttelte langsam den Kopf, versuchte sich nicht zu sehr aus dem Konzept bringen zu lassen von den sieben scharfen Worten, mit denen Deborah sie grüsste. Versuchte, ihren Gesichtsausdruck einigermassen gefasst zu halten, weil sie wirklich nicht auch noch zu heulen anfangen durfte. Das wäre denkbar ungünstig - sie konnte sich in etwa vorstellen, was ihr Gegenüber davon halten würde. Krokodilstränen, wenns hoch kam. "Nein... natürlich nicht", antwortete sie also leise, doch etwas verständnislos für diese eindeutig sinnlose Anschuldigung. "Ich bin nicht hergekommen, um mich mit dir zu streiten... oder damit du dich mit Victor streitest", fügte sie dem zur Klarstellung an, auch wenn Deborah das doch eigentlich wusste, oder nicht? Warum sollte es in Fayes Interesse sein, Victor von seiner Familie weg zu treiben? Hier schlechte Laune zu streuen? Ihn gegen seine eigene Mutter aufzuhetzen? "Können wir... kurz reden..? Ich weiss, du würdest mich lieber gar nicht sehen, als dich allein mit mir zu unterhalten, aber... aber ich denke, es wäre besser, wenn wir versuchen würden, das zu klären... zu zweit, nicht zu fünft... Bitte?", versuchte sie etwas umständlich ihr Glück, blickte Deborah bittend an, auch wenn sie lieber sofort wieder weggeschaut hätte. Und weil diese für Fayes Geschmack eindeutig zu lange zögerte und noch immer eindeutig zu abweisend aussah, bekam sie auch gleich den nächsten Schwall an Worten zu hören. Eigentlich hatte Faye ihr das - oder sowas ähnliches, war nicht so, als hätte sie hier Texte vorbereitet - nicht hier mitten im Flur sagen wollen. Aber wenn das ihre einzige Chance war, Victors Mutter überhaupt zu sprechen, dann konnte sie schlecht warten, bis Mrs Rivera wieder um die Ecke gezischt war. "Ich weiss, dass du nur das beste für ihn willst, Deborah, aber du musst mir glauben, dass ich das auch will. Mehr als alles andere. Das war auch der Grund, warum ich damals im Krankenhaus nicht bei ihm war. Weil ich nicht mehr daran geglaubt habe, das beste für ihn zu sein. Insofern hast du also Recht, es hatte was mit mir zu tun und mir ging's beschissen genug, um zu glauben, dass es ihm ohne mich besser gehen würde. Aber es war nicht meine Schuld. Und wir haben das verarbeitet - das und alles andere, was davor schon passiert ist. Jeder für sich und beide zusammen, damit jetzt alles gut werden kann.", das war sicher nicht die richtige Wortwahl gewesen, das spürte Faye schon ohne Reaktion von Deborah. Konnte das spöttische Lachen schon hören. Aber sie redete sowieso schon wieder zu viel - wie sie das so oft tat, wenn sie sich unwohl fühlte, wenn sie nervös war. Und viel falsch machen konnte sie hier wies aussah ja ohnehin nicht mehr, ganz egal ob sie sich den Mund wund redete oder nicht. Wenn Deborah nicht wenigstens ein bisschen Nachsicht zeigte, redete Faye sowieso an eine Wand und die Worte, die sie dabei wählte, waren absolut zweitrangig.
20 vielleiiicht nicht ganz, aber so… 10-14 statt die standardmäßigen 6, je nach Auftragslage und Stundenverbrauch aus dem Vorjahr. Ich sag dir auch ganz ehrlich, dass ich ohne so viel Freizeit jetzt wahrscheinlich gar nicht mehr mit ‘nem Vollzeitjob klarkommen würde. Hab mich schon zu sehr dran gewöhnt, immer “freie Wochen in petto” zu haben, wenn ich sie wirklich brauche, um mal kurz aus dem Hamsterrad rauszukommen. :')
Halb so wihiiiiiild, ich wusste schon, dass ichs nicht unbedingt muss, aber das einfach so “im Hintergrund passieren zu lassen” schien mir auch nicht ganz richtig… :’D _____________
Deborah Sie musterte die Freundin ihres Sohnes mit Argusaugen. Wie sie da an der Wand stand, wie eine in die Ecke getriebene Maus, die kaum einen Weg sah, der Katze zu entgehen. Vielleicht war Faye nicht mit dem Ziel hierher gekommen, sich zu streiten. Ihr hätte jedoch klar sein müssen, dass es so kommen würde, wenn sie den ohnehin schon schief hängenden Haussegen störte. Was hatte sie denn gedacht, was passierte? Debbies Blick musste schon ziemlich deutlich machen, was sie dachte. Anders konnte sie sich nicht erklären, weshalb die junge Frau wie ein Wasserfall zu weiteren Worten ausholte, bevor sie überhaupt irgendetwas auf die erbetene Aussprache erwidert hatte… und sie wusste nicht, was von Alledem sie glauben sollte. Im Grunde war ihr klar, dass sie nicht ewig vor einem klärenden Gespräch davonlaufen konnte. So funktionierte die Welt nicht und Familien schon gar nicht. Sie fühlte sich aber auch nicht bereit dazu, die katastrophalen Ereignisse im Leben ihres Sohnes einfach so hinzunehmen. Sie hasste Krankenhäuser heute mehr denn je und sie würde morgen Vormittag sicher kein Frühstück runterbekommen. ’Wir haben das verarbeitet, das und alles andere’... merkte Faye denn gar nicht, dass das nach viel zu viel klang? Es war sogar so schlimm gewesen, dass Victor sich eine Auszeit von dieser Beziehung genommen hatte. Nicht für zwei Wochen, sondern für viele Monate. Es musste ein schlimmes Trauma gewesen sein und Deborah glaubte nicht wirklich daran, dass man so etwas komplett verarbeiten und dann einfach restlos schieben konnte. Aber was wusste sie schon – sie mit ihrer eigentlich immer unkomplizierten Beziehung und Ehe… ihr Leben hätte kaum noch traditioneller ablaufen können. Deborah schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. “Und was genau hat sich, abgesehen von dieser Verarbeitung, bitteschön noch geändert? Was gibt euch jetzt plötzlich die nötige Stabilität, damit er nicht in zwei Monaten wieder mit gebrochenem Herzen und völlig verstört hier auf meiner Türschwelle sitzt? Das Beste für Victor zu wollen, heißt nicht unbedingt, das Beste für ihn zu sein.” Nicht alles, was passiert war, ging auf die Kappe der beiden, das wusste sie schon… aber irgendwann war doch auch mal der Punkt erreicht, an dem man Vergangenes, das man auch noch gemeinsam erlebt hatte, nicht mehr ignorieren konnte, oder? Sie fürchtete, dass ihr Sohn denselben Fehler wie schon oft zuvor beging: Völlige Idealisierung einer Person oder einer Sache, für die er sich begeisterte. So war er schon immer gewesen: Der Kopf in den Wolken, ein bisschen zu verträumt. Victor redete sich Dinge häufig schön – bis er merkte, wie es tatsächlich war. Dann kam der Fall und irgendwie war es doch genau dasselbe mit Faye. Er liebte sie sehr, das konnte Deborah sehen… damals, als Victor Faye das erste Mal in dieses Haus gebracht hatte, hatte sie für ihn auf dem allerhöchsten Podest überhaupt gesessen. Noch recht frisch verliebt hatten seine Augen förmlich an ihr geklebt und umgekehrt. Ganz junge, noch unschuldig verträumte Liebe… starke Gefühle allein reichen aber nicht aus für eine funktionierende, glückliche Beziehung.
Das lohnt sich halt schon würd ich meinen… Und ich bin schon dankbar, dass mein Arbeitgeber 6 statt der obligatorischen 4 Wochen bezahlten Urlaub im Jahr gewährt.. x‘D
Dann ist ja guuut, muss ja nicht zu lange dauern. Ich bezweifle, dass sie sich so schnell wieder anfreunden but we‘ll see.. xD ________
Es tat schon weh, Debbies missgünstige Blicke zu spüren. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Victors Mutter sie gerne an seiner Seite gesehen. Eine Zeit, in der sie sich über ihren Besuch gefreut hatte. Eine Zeit, bevor Faye sich mit Ryatt angefreundet hatte. Bevor der Name Hernandez ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen hatte. Bevor sie mit Victor ein weiteres Mal durch ihre persönliche Hölle geschleift worden war. Bevor Deborah wieder um das Leben ihres Sohnes hatte fürchten müssen. Bevor Faye geglaubt hatte, ihn ins Grab geschickt und für immer verloren zu haben. Diese Zeit schien mit Victors letztem Krankenhausaufenthalt ausgeläutet worden zu sein. Oder spätestens mit Fayes Fernbleiben von seinem Krankenbett. Mal ganz ungeachtet der Tatsache, dass sie dort auch gar nicht hingekommen wäre, wenn sie das gewollt hätte - ihrem Aufenthalt auf der geschlossenen Abteilung und Victors sehr strikten Besuchsregeln sei Dank. Gut möglich, dass Victors Eltern von Ersterem nichts wussten. Aber das war ein Punkt, den sie höchstens irgendwann am Ende ganz am Rande erwähnen konnte, wenn sie nicht wollte, dass er ihr umgehend wieder um die Ohren flog. Ihr war ja bewusst, dass sie es auch gar nicht versucht hatte damals. Deborah machte keine Anstalten, sich aus der Badezimmertür zu bewegen. Vielleicht brauchte sie die Sicherheit, Faye wenn nötig umgehend aus ihrem Sichtfeld sperren zu können. Vielleicht wollte sie ihr auch keinen vermeintlichen Halt in Form einer sitzenden oder wenigstens räumlich abgetrennten Aussprache bieten. Wahrscheinlich hatte sie einfach weiterhin keine Lust, sich überhaupt mit ihr zu unterhalten. Das war es jedenfalls, was ihre Augen und ihre Körperhaltung sehr dezent vermittelten. Also hier im Flur… wunderbar. Vor allem, weil die Umgebung Deborah trotzdem nicht davon abhielt, ihre Empfindungen wenig zurückhaltend zu teilen. Mit Worten, die sich tief in Fayes Herz bohrten und stecken blieben, als wären die Klingen mit Widerhaken versehen. Es war ein Thema, das Faye in den letzten Jahren gedanklich tausend Mal durchgekaut hatte. Besonders eben nach dem letzten Desaster. Es hatte ewig gedauert, bis sich die Vorstellung von ihr an Victors Seite nicht mehr wenigstens ein bisschen falsch angefühlt hatte. Bis sie aufhören konnte, ständig alle Schuldgefühle zwischen sich und ihn zu treiben. Bis sie diese Entscheidung an Victor zurückgeben konnte, ohne sein Urteil dann doch ständig zu hinterfragen. Scheinbar ein Punkt, den Deborah noch nicht erreicht hatte, wenn sie ihr hier solche Aussagen um die Ohren knallte. Faye schluckte schmerzlich und für einen Moment wirkte es fast so, als hätte Deborah ihr damit tatsächlich die Sprache verschlagen. Auch ihre glasigen Augen kündigten fröhlich das nächste Desaster an. Aber Faye blinzelte ein paar Mal, schluckte erneut und versuchte unauffällig, einige möglichst tiefen Atemzüge einzuschleusen. Erst dann machte sie den Mund wieder auf, um etwas auf Deborahs Worte zu erwidern. „Wir haben darüber gesprochen. Wir sind beide weiterhin in regelmässiger psychotherapeutischer Behandlung, um mentale Rückfälle zu verhindern. Wir sind von Seattle nach L.A. gezogen. Wir sind einmal zurück auf Feld eins gegangen. Haben unser Leben mehr oder weniger komplett neu aufgesetzt. Was an Veränderung willst du denn noch hören, Deborah? Abgesehen davon, dass er sich eine neue Frau an seiner Seite suchen soll, weil ich deinen Ansprüchen scheinbar nicht mehr genüge?“, fragte sie zurück. Ihre Stimme blieb weiterhin relativ leise, aber ihre Tonlage war etwas weniger zurückhaltend als zuvor. Nicht angriffig oder herausfordernd, aber doch mit etwas Nachdruck versehen, damit Deborah vielleicht auch feststellte, dass diese Verarbeitung den Umfang eines einmaliges, netten Gesprächs minimal überstieg. Im Prinzip bewegte sie sich gerade auf gewohntem Terrain - war nicht gerade das erste Mal, dass sich jemand sehr vehement gegen ihre Beziehung stellte. Warum auch immer alle immer dachten, sich hier einmischen zu müssen… „Kann Victor nicht selbst entscheiden, was das beste für ihn ist?“, schob sie, vorerst abschliessend, die Frage hinterher, die sie für sich längst beantwortet hatte. Eine Frage, die in ziemlich genau dieser Ausführung aus dem Munde von Mrs White stammte. Die Faye dabei geholfen hatte, diesen Berg von Verantwortung für Victors Wohlbefinden, Victors Glück, Victors Zukunft endlich von ihren Schultern zu schieben. Weil sie nicht beantworten musste, was das beste für ihren Freund, für ihren Lieblingsmenschen war. Weil sie ganz darauf vertrauen konnte, dass er diese Sache selbst einzuschätzen wusste. Dass er wusste, was er tat, was sich richtig anfühlte, was er wollte. Weil das keine Entscheidung für Faye war - und keine für Deborah.