Ich hab jeweils bei "Zeitsprüngen" eine Leerzeile eingefügt, weil es so ungesund viel Text ist und ich es ein bisschen... weniger schlimm machen wollte? idk lol. Irgendwie konnte ich nicht mehr aufhören zu schreiben, nachdem ich das Gefühl hatte Victor nach so viel Abstinenz von ihm gar nicht mehr wirklich zu kennen. Dann musste ich dieses und jenes noch nachlesen, danach noch mehr L.A.-Recherche und dann... well, it is what it is now. Take it or take it, hahaha. x'D __________
Es hatte sich genauso wie das letzte Mal beschissen angefühlt, Faye alleine in Seattle zurückzulassen. Sie mutwillig der Gefahr zu überlassen, ein weiteres Ticket für eine Rundfahrt durch die Hölle einzulösen. Ich machte mich, obwohl es seitens der Arbeit nicht nötig gewesen war, früher auf den Weg nach Los Angeles. Vier Tage nach dem Abschied von Aryana stieg ich ins Flugzeug, obwohl ich noch drei weitere Zeit gehabt hätte. Seattle erschlug mich, zusammen mit meiner zurückgewonnenen Paranoia und der hirnrissigen Eifersucht. Es entpuppte sich wenigstens langfristig als die richtige Entscheidung, denn es ging mir auch in Los Angeles nicht von jetzt auf gleich wieder gut, nur weil ich Distanz zwischen das Übel und mich gebracht hatte. Eine Hirnhälfte hing permanent an Faye – und damit auch sehr überdurchschnittlich oft am Handy – während die andere sich aufs Ankommen und das Allernötigste erledigen fokussierte. Denn in den ersten Tagen vergaß ich regelmäßig Dinge, die eigentlich fest in meinen Alltag integriert sein sollten. Sowas wie Essen oder rechtzeitig im Bett liegen. Ein stabiler Tagesrhythmus war für mich in dem Motel erstmal nicht existent, was es nur noch mühsamer machte, kurz darauf zu all den neuen Gesichtern auf der Arbeit eine Beziehung aufzubauen. Ich funktionierte irgendwie, vergaß für meine Verhältnisse aber überdurchschnittlich oft die neu gelernten Namen und es war nichts als anstrengend, schon wieder ganz von vorne anzufangen und völlig allein zu sein. Natürlich vermisste ich Faye und ich wünschte mir Rowan und Leary nach Los Angeles – einfach nur, um schon Irgendjemanden zu kennen. Die ersten Tage in der fremden Stadt waren nicht viel weniger als eine Qual für sich, zusätzlich zu dem ständigen Bangen um meine zurückgelassene Freundin.
Es dauerte eine ganze Woche, bis ich mich überhaupt dazu aufraffen konnte, mit der Suche nach einer Wohnung anzufangen und mir auch ein paar Autos anzusehen, wovon ich eines am Ende dann kaufte – eine silberne Audi-Limousine, die erst fünf Jahre alt war, nicht allzu viele Kilometer runter hatte und wegen ein paar für meine Augen unauffälliger Kratzer ein gutes Stück unter dem Durchschnittspreis auf dem Automarkt lag. Das Auto war noch weit entfernt von dem schnittigen Sportwagen, den ich irgendwann vielleicht gerne mal hätte, aber es tat seinen Job bestens mit einer spürbaren Prise Komfort. Noch drei Tage später besichtigte ich die ersten Wohnungen, die ziemlich zentral in Los Angeles lagen. Dass ich damit nicht glücklich werden würde – und Faye vermutlich ebenso wenig – musste ich ziemlich schnell feststellen. Man bezahlte für wenig Platz und/oder schlechten Zustand ziemlich viel Geld, der Verkehr war in keiner der Wohnungen zu überhören, Balkons klebten meistens direkt an der Hauswand des Nebengebäudes und wenn man einen Garten bekam, dann war der betoniert oder bestand aus bereits platt getrampeltem Kunstrasen. Ich verabschiedete mich vom zentralen L.A. nach vier Besichtigungen und nahm einen weiteren Arbeitsweg bei der Suche in Kauf, immer mit dem Hintergedanken, dass Faye mehr als ein Krankenhaus mit einem Arbeitsweg von maximal einer Stunde zur Auswahl haben sollte. Es war alles in allem kein einfaches Unterfangen und ich wurde erstmal nicht fündig. Letzten Endes war es ein Arbeitskollege – Samuel Mullins, aka Sam – der mir einen entscheidenden Hinweis gab, weil er selbst in der Gegend wohnte. Dabei ging es um ein kleines Haus, das nirgends ausgeschrieben war, sondern nur unter der Hand angeboten wurde. Er besorgte mir innerhalb von zwei Stunden die Nummer des Vermieters und am nächsten Tag fuhr ich noch vor der Arbeit in den Südwesten des San Fernando Valley. Auf dem Eckgrundstück stand noch ein zweites, nur wenig größeres Haus, in dem laut Vermieter ein anderes junges Paar wohnte. Dazwischen lag die lange geteerte Einfahrt, in der aber meistens schon ein Auto der Nachbarn stand, und die Gärten – wenn mans denn schon so nennen konnte – hinter den Häusern waren ebenfalls getrennt. Das zu besichtigende Haus war das am Straßeneck liegende, weshalb der weiße Holzzaun auf unserer Gartenseite deutlich höher ausfiel. Von der langen Einfahrt rechts des Hauses aus führte ein schmaler Weg aus Steinplatten zur Haustür, die recht weit links an der Vorderseite unter einem kleinen Vordach lag. Zwischen dem deutlich niedrigeren Holzzaun an der Front des Grundstücks und besagtem Weg zur Haustür war eine schmale Grasfläche. Die Fassade des Hauses selber könnte einen neuen Anstrich vertragen, weil seit der Renovierung und dem damit einhergehenden Fenster- und Türenaustausch noch nicht nachgebessert worden war, aber davon ließ ich mich erstmal nicht abschrecken. Drinnen sah’s nämlich genau so aus, wie ich dachte: Wie neu, schön hell durch die großen Fenster, Gebrauchsspuren quasi nicht vorhanden. Der kleine Flur war im Grunde nur eine eingezogene Wand, denn es ging ohne Tür in den offenen Wohn- und Esszimmerbereich. Die Küche war so neu wie der verlegte Boden und bot für unsere Ansprüche genug Platz. Das Badezimmer war eher klein und eine Badewanne suchte man vergebens, aber dafür war die ebenerdig geflieste Dusche ganz komfortabel. Unmittelbar neben dem Badezimmer lag hinter einer Schiebetür ein kleiner Waschraum, der seinen Zweck definitiv erfüllte, also gingen wir weiter zu den beiden übrigen Räumen auf der anderen Seite des Wohnbereichs – ein etwas größeres und ein kleines Schlafzimmer, wobei letzteres zweifelsohne eher als eine Mischung von einem Büro für mich und einem Teilzeit-Atelier für Faye enden würde, weil hier ein Kind aufzuziehen eher nicht in Frage kam. Außerdem war das ganze Haus klimatisiert, was bei knackigen 35° im Sommer auch notwendig war. Es gab sogar einen winzigen Dachboden, der aber nicht hoch genug war, um darin zu stehen und folglich maximal fürs zwei oder drei Sachen lagern tauglich war. Der Haken? Es gab wirklich kaum irgendwas, das mir sauer aufstieß. Einzig die 45 Minuten Fahrtweg nach Westwood, wo die Security-Firma ihre Zentrale hatte, waren nervig… und der noch nicht angesäte Rasen im Garten. Erst Ende Dezember würde ausgesät werden und dann durfte der keimende Rasen bis zum Sommer nicht betreten werden, bis dahin musste uns also die kleine, steinerne Terrasse ausreichen. Erfahrungsgemäß verging Zeit verdammt schnell, also war das kein Ausschlusskriterium, auch wenn das Brachland nicht unbedingt schön anzusehen war. Wir hätten auf den 85m² im Haus absolut alles, was wir brauchten und San Fernando Valley hatte gefühlt die höchste Dichte an Krankenhäusern, die mir je untergekommen war. Es war verhältnismäßig ruhig, Faye würde zweifelsohne Arbeit finden, ich brauchte mich zur Arbeit wiederum nur über den Highway und nicht durch die Downtown zu quälen, die Berge ringsherum waren super zum Wandern und Durchatmen, die Küste erreichte man auch in unter einer Stunde… ich würde nicht nochmal etwas Vergleichbares finden, das auch genauso bezahlbar war. Das Haus lag 150 Dollar über unserem ursprünglich gesetzten Limit, war aber trotzdem noch billiger als alles in dieser Größe im Stadtkern. Deswegen sagte ich unter Vorbehalt zu – der Vermieter grinste nur wissend, weil ich sagte, dass ich natürlich noch Fayes offizielles Go brauchte, ich ihm aber am nächsten Tag Bescheid geben würde. Natürlich schickte ich meiner besseren Hälfte alles, was ich während der Besichtigung an Bildmaterial und Infos gesammelt hatte, weil es ja keine Anzeige im Netz dazu gab und wir sprachen bei einem Telefonat darüber. Gesagt, getan: Ich rief den Vermieter am Folgetag an und setzte die nötige Unterschrift am 20. November, im selben Zug erhielt ich auch schonmal die Schlüssel. Das erste Mal seit meiner Abreise in Seattle freute ich mich genug, um mir dessen auch tatsächlich bewusst zu sein.
Leider hielt diese Freude nicht lange an. Ich schlief erstmal noch weiter im Motel, weil die Möbel natürlich noch nicht da waren. Genauso wie Faye war ich in der Nacht vom 24. auf den 25. November lange unterwegs gewesen, hatte jedoch gut eine Stunde früher Dienstschluss. Deshalb hatte ich ihr nur eine kurze Nachricht hinterlassen, in der ich ihr erholsamen Schlaf gewünscht hatte, bevor ich ins Laken gekippt war. Als ich dann frühzeitig aufgrund eines Alptraums aufwachte und keine Antwort von ihr da war, schrillten sofort sämtliche Alarmglocken und an weiteren Schlaf war nicht mehr zu denken. Leider wurde mein Funke Hoffnung auf einen anderen Grund für die ausgebliebene Nachricht schnell durch den Anruf bei Aryana zerstört, kaum kam der Rückruf durch Mitch. Ab da war der Tag und auch alle darauffolgenden gelaufen. Ich hatte mich nicht ansatzweise auf den nächsten Job am Abend konzentrieren können, ganz gleich wie exzessiv ich den ganzen Tag über versuchte, mir keine Sorgen zu machen – es ging schließlich immer noch um Faye. Mein Kopf in den Wolken war auch Sam aufgefallen, mit dem ich die Nacht über ein privates Haus in Beverly Hills absicherte, weil die wohlhabende Familie der Villa im Urlaub sonstwo war. Ich bekam den ganzen Tag nichts runter und war mit den Nerven am Ende, ganz gleich wie oft ich mir selbst sagte, dass ich sowieso nichts daran ändern konnte und dass es nicht meine Schuld war. Trotzdem wünschte ich mir bald, Aryana und Mitch nicht um die Rache gebeten zu haben und fühlte mich dadurch nur zusätzlich elend. Dass Faye, kaum hatte sie mir mittels Nachricht ihre Unversehrtheit bestätigt, meinen Anruf ablehnte, gab mir nicht unbedingt ein besseres Gefühl. Natürlich ging es mir mit diesem Wissen besser und ich konnte das erste Mal seit dem Morgen mit befreiter Brust atmen, weil sie mit einem blauen Auge davongekommen war, aber es hinterließ einen unangenehmen Beigeschmack… was nicht hieß, dass ich es nicht verstehen konnte. Am nächsten Tag zumindest, als ich wieder etwas runtergekommen und mein Gehirn nicht mehr komplett am Aussetzen war, weil ich ungefähr zehn Stunden am Stück geschlafen hatte.
Seitdem waren schon wieder ein paar Tage ins Land gezogen. Ich war fast dankbar dafür, dass unsere Möbel noch vor meiner Freundin in unserem neuen Zuhause ankamen, damit ich mich irgendwie mit der Zukunft und nicht den hässlichen Folgen ihrer erneuten Entführung auseinandersetzen konnte. Jeder weitere Tag ohne Faye fühlte sich falsch an und ich war seit der Entführung durchweg ruhelos, da half auch alles Telefonieren nichts. Ich verstand, dass sie sich mit der Fahrt Zeit ließ und befürwortete das auch – mein Kopf zumindest – aber ich wollte sie endlich wieder bei mir haben. Mein neuer Vorgesetzter, John Ureno, hatte mir passend zur Ankunft unseres Krempels die alle paar Wochen eintretenden 5 freien Tage am Stück eingetragen, die als ausgleichende Erholung für die teils anfallenden 7-Tage-Wochen gedacht waren. Wie erholsam ein Umzug war, sei mal dahingestellt. Ich brauchte diese Zeit trotzdem, um meinen Kopf einigermaßen gerade zu kriegen. Bis Faye letztendlich bei mir ankam, musste ich zwar wieder arbeiten, aber unsere Sachen schonmal Stück für Stück ein bisschen auszupacken und die Möbel vermeintlich passend zurechtzurücken, half mir nach all der Aufregung dabei, zurück auf den Boden zu kommen. Es dauerte ab da nicht mehr lang, bis auch das entscheidende fehlende Puzzleteil in Los Angeles ankommen würde. Dass es Ryatt war, der sie auf dem ersten Abschnitt ihrer Reise begleitete, war mir inzwischen völlig egal – er würde im Norden bleiben und Faye würde endlich hier bei mir sein.
Heute sollte es soweit sein. Die Brünette hatte mich die letzten Tage über auf dem Laufenden gehalten und ich hatte kurzfristig gestern noch meine heutige Tagschicht mit einem Kollegen tauschen können, musste also erst morgen wieder los. Ich vermisste Rowan und Leary, auch wenn ich mich über die neue Belegschaft bisher nicht beschweren konnte. Richtige Freundschaft blieb da noch aus, was vermutlich an meinem hohen Stresspegel lag. Rowan hatte schon gesagt, wenn ich jetzt günstigerweise wieder so nahe war, würde er vielleicht bald mal einen kurzen Abstecher nach L.A. machen, wenn sich ein passender Job dafür anbot. Oder falls sich das nicht einrichten ließ, stattdessen eben in seiner Freizeit. Vier Stunden Autofahrt waren nichts. Doch das stand irgendwo in der Zukunft auf dem Plan. Heute Vormittag war ich damit beschäftigt, in der Wohnung noch ein paar Dinge abzuhaken. Es waren auch noch nicht alle Sachen ausgepackt und es war sinnvoller damit weiterzumachen, als den ganzen Tag am Fenster herumzutigern und zu gucken, ob Faye schon da war, obwohl ich ganz genau wusste, dass sie erst am Nachmittag eintreffen konnte, vielleicht auch erst am Abend. Ich würde nicht behaupten, mich schon vollkommen eingelebt zu haben, aber ich fühlte mich in dem kleinen Häuschen schon jetzt sehr viel wohler als in dem viel zu lauten Motel. Die einzigen beiden Kartons, die am Mittag noch im Wohnbereich neben dem Sofa rumstanden, enthielten Fayes Dekoartikel, die ich nicht anzufassen vorhatte. Es war aber erst 13 Uhr, also unternahm ich noch einen entspannten Ausflug zu Fuß bei 17° und angenehm mildem Sonnenschein. Ich hatte mir gestern vor der Arbeit Koffein in einem nahen Café – scheinbar ungefähr acht Minuten Fußweg entfernt – besorgt und gesehen, dass dort auch Zimtschnecken in der Theke lagen. Faye aß dieses süße Gebäck sehr gerne und obwohl ich von Zucker inzwischen eigentlich die Finger ließ, nahm ich mir auch eine mit. Als ich wieder Zuhause ankam und gerade die Tür aufschließen wollte, rief die Nachbarin nach mir und hielt mich mit einem Gespräch noch ein paar Minuten im Vorgarten fest. Wir hatten uns bis jetzt nur einmal kurz unterhalten, weil ich da eigentlich überhaupt keine Zeit hatte. Mel schien jedoch nett und unaufdringlich zu sein – sie lud Faye und mich auf eine Tasse Kaffee ein, sobald wir uns dazu bereit fühlten. Ganz getreu dem Motto kein Stress, was ich sehr willkommen hieß. Ihr Mann Brent arbeitete wohl recht viel und sie nur halbtags, was sich wiederum vielleicht ganz gut traf, falls Faye sich gut mit ihr verstand. Das würde sich zeigen. Drinnen duschte ich dann ein zweites Mal am heutigen Tag. Ich schwitzte offensichtlich vor Nervosität und Aufregung und das kalte Wasser half, auch wenn es meine Unruhe nicht langfristig auslöschte. Als ich damit fertig war, suchte ich in der Wohnwand nach einer der alten CDs, die Faye noch von ihren Eltern hatte. Eine davon legte ich in die Soundbar ein, die hauptsächlich dem Fernseher diente, aber ein eigenes Laufwerk für alles von CD bis Bluray hatte. Die Musik entsprach nicht unbedingt meinem regulären Geschmack, aber es war wohl einfach der Gedanke daran, dass Faye sich dadurch vielleicht ein kleines bisschen mehr sofort Zuhause fühlte, der mich beruhigte. Während ich noch mehrfach durch das Haus ging und alles checkte, zogen die noch übrigen Minuten bis zu ihrer Ankunft ins Land. Ich hörte draußen eine Autotür zufallen und schlug sofort optimistisch den Weg zur Haustür ein, nur um sie aufzuziehen. Noch bevor ich Faye sah, erblickte ich ihren Wagen am Straßenrand. Von da aus schnellte mein Blick nach links auf den Weg aus Steinplatten und da war sie. Es war offensichtlich, dass ich schon im ersten Moment abchecken versuchte, ob tatsächlich noch alle Arme und Beine dran waren und ob ihr irgendwas fehlte, so als hätte ich ihr das bis jetzt nicht geglaubt. Hatte ich vielleicht auch nicht, nicht so wirklich, nach dem was letztes Mal passiert war… sie sah müde aus, als ich ihr die letzten paar Schritte entgegenkam, aber das war so ziemlich alles, was ich neben ihrer bloßen Anwesenheit und dem offensichtlichen Strauß Blumen feststellte. Mein Puls hatte längst Höchstgeschwindigkeit, als ich mit funkelndem Blick zu ihr aufschloss und sie völlig ungeachtet der Blumen in meine Arme zog. Erstmal sagte ich gar nichts, weil ich sie einfach nur spüren musste, um zu realisieren, dass das alles jetzt hoffentlich ein Ende gefunden hatte. Wir waren beide hier in Los Angeles und die mexikanische Pest war weit weg mit so gut wie all unseren Problemen aus der Vergangenheit. Das hier war der Neuanfang, den wir schon so lange brauchten. “Ich bin so froh, dass du endlich da bist…”, hauchte ich nach einem offensichtlich erleichterten Atemzug an Fayes Ohr. Kurz darauf löste ich mich ein bisschen von ihr, um sie nur einen kurzen Moment direkt anzusehen und dann zu küssen. Ohne jegliche Eile, mit all der erfüllten Sehnsucht, um die ganzen miesen Gefühle der letzten Wochen endgültig loszuwerden. Danach sah ich sie für einige lange Sekunden einfach nur glücklich lächelnd an, bevor meine Augen sich erstmals richtig auf den Blumenstrauß fokussierten. “...ich hoffe, ich hab’ mir gemerkt, wo ich die Vasen eingeräumt habe.”
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das Haus stand den Fotos, die sie davon gesehen hatte, in absolut nichts nach, soviel konnte Faye zumindest bezüglich der Aussenansicht nach wenigen Sekunden schon überaus zufrieden innerlich notieren. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde breiter, während sie langsam realisierte, dass sie wirklich angekommen war. Dass das hier ihr Zuhause war. Dass es Victor war, der die Tür aufzog. Dass sie es beide geschafft hatten. Sie blieb nicht stehen, als er sie noch einen Moment musterte. Viel mehr beschleunigten sich ihre Schritte und wäre der Weg weiter gewesen, wäre sie wahrscheinlich gerannt, um nicht noch mehr Zeit verstreichen zu lassen, bis ihre Arme samt Blumen um ihn flogen und sie sich endlich in der erneut viel zu lang herbeigesehnten Umarmung wiederfand. Auch wenn es ihre Entscheidung gewesen war, jetzt und nicht schon vor vier Tagen hier anzukommen, hatte sie ihn auch diesmal gefühlt unendlich vermisst. Was er unschwer aus ihrem Verhalten lesen dürfte, so fest wie sie die Arme um ihn schloss und ihr Gesicht an seiner Halsbeuge vergrub, während sie einfach nur genoss, dass sie ihn wiederhatte, seine Wärme auf ihrer Haut spürte, seinen Duft einatmete, sein Atem sie kitzelte. "Ich auch...", konnte sie seine Worte ohne Vorbehalte bestätigen. Sie war froh, dass die Reise ohne weitere Zwischenfälle verlaufen war, froh, dass sie es tatsächlich beide nach L.A. geschafft hatten, froh, dass Victor das Haus gefunden hatte... vor allem aber war sie einfach froh, dass sie ihn wieder bei sich haben konnte und diesmal ohne tickende Zeitbombe im Hintergrund. Für den Neuanfang, den sie sich versprochen hatten. Der Neuanfang, nach dem auch der Kuss schmeckte, den sie gleich darauf erwiderte. Eigentlich war noch Dezember und somit Winter, aber seine Lippen versprachen längst den Frühling und der Geruch der Blumen tat den Rest. Sie hatte diesmal bewusst einen bunten Strauss gewählt - so, dass er farblich noch zur Einrichtung passte, natürlich - als gutes Omen. Für mehr Glück, mehr Leben. Sie hatte die Hand wieder etwas zurückgezogen, damit Victor ihre Wahl ebenfalls begutachten konnte. Seine Bemerkung liess sie gutmütig mit den Schultern zucken. "Und sonst wird's halt ein Wasserglas, bis wir was besseres gefunden haben", meinte sie grinsend, blickte dann wieder von den Blumen zu ihm hoch, um ihm einen weiteren Kuss auf die Lippen zu drücken und für einen Moment ihre freie Hand an seine Wange zu legen. Ihre Finger streichelten über die ihr so vertraute Haut und wieder einmal war es pures Glück und pure Liebe, die sie erfüllte, jetzt, wo er direkt vor ihr stand und sie anlächelte, als wäre das hier nur der nächste Traum einer Zukunft, die sie sich so sehr wünschte. Nur dass es kein Traum war. Sie seine Hand nehmen und mit ihm gemeinsam durch die Tür ihres neuen Hauses schreiten konnte. Kein Nebel sie umgab und sie diesmal tatsächlich sehen konnte, was Victor die letzten Tage und Wochen über getrieben hatte. "Also als zweites, nachdem wir eine Vase oder ein Glas gefunden haben, möchte ich gerne eine kleine Tour durch unser Zuhause", meinte sie, wobei dem letzten Wort doch eine ganz eigene, feierliche Betonung zukam. Natürlich hatte sie viele Bilder gesehen, aber das war nie das Gleiche. Was sie sah, nachdem sie sich die Schuhe von den Füssen gestreift hatte und mit Victor den Wohn- und Essbereich betrat, gefiel ihr jedoch ausgezeichnet. Schon nur, das es ein eigenes Häuschen und nicht "nur" eine Wohnung geworden war, fand sie ganz bezaubernd - dass es dann auch noch wirklich schön aussah und Victor schon so gut wie alles eingerichtet hatte, rundete ihr Glück zusätzlich ab. Auch die Musik im Hintergrund entging ihr nicht und ihre Mundwinkel zuckten erneut aufwärts, als ihre Augen kurz nach der Soundbar suchten, bevor sie wieder auf Victor zu liegen kamen. Dieser kümmerte sich in der Zwischenzeit um die Vase, weshalb sie nun ihrerseits das Plastik löste, mit welchem die Blumen noch eingepackt waren. "Bisher gefällts mir auf jeden Fall ausgezeichnet", zwitscherte sie ihr fröhliches Zwischenfazit, das ihrer Meinung nach nicht länger zu warten brauchte. Alles andere wäre aber auch nicht nur sehr dumm, sondern auch etwas komisch gewesen. Immerhin hatten sie beide einen ähnlichen Geschmack und er wusste längst sehr gut, was ihr gefiel. Wenn er nicht davon ausgegangen wäre, dass dieses Haus für sie beide ein Treffer war, hätte er weitergesucht.
Wahrscheinlich kümmerte es die Blumen nicht, in was für einer Art von Gefäß sie sich wiederfanden, solange sie dabei nicht gequetscht wurden. Aber da ging es ein bisschen ums Prinzip – Faye hatte sich die Mühe gemacht, den Strauß zu besorgen, also sollte er auch einen schönen Platz in einer richtigen Vase kriegen. Ich grinste ein bisschen in den Kuss hinein, ließ mich dabei allzu leicht von Faye anstecken. Wie genau es ihr gehen würde, wenn sie hier ankam, hatte ich nicht gewusst. Deswegen hatte ich mich auch auf den möglichen Fall eingestellt, dass sie einmal mehr ein bisschen zu sehr gebrochen war. Wie es in ihrem Kopf aussah und was die letzten Tage alleine für sie getan hatten, konnte ich bis jetzt zwar nur ahnen, doch sie schien definitiv nicht in einer Depression oder Angst feststecken, sondern den Absprung rechtzeitig geschafft zu haben. Das reichte für den Moment, mich umso mehr über ihre Nähe zu freuen. Ihre Finger kribbelten fast ein bisschen auf der Haut, so sehr hatte ich ihre Berührung vermisst. Solange der Kuss anhielt, drückte ich sie nochmal an mich. Meine Finger schlossen sich intuitiv um ihre und das erleichterte, glückliche Lächeln hatte sich fest auf meinen Lippen verankert, als wir reingingen. “Wenn du dir schon die Mühe machst, Blumen mitzubringen, dann sollen sie auch in einer Vase stehen.”, gab ich mich nicht mit einem Downgrade zufrieden. Da durchsuchte ich lieber fünf Minuten lang sämtliche Schränke im Haus. Schon als Faye ihre Schuhe auszog, lösten sich unsere Hände voneinander, damit ich mich auf die Suche nach dem Blumengefäß machen konnte. So viele Vasen hatten wir nicht, weshalb sie einen übrigen Platz in einem der oberen Küchenschränke bekommen hatten. Ich fand sie beim zweiten Anlauf. Dann zog ich eine raus, von der ich glaubte, dass sie für den farbenfrohen Strauß gut passen konnte. Ich spülte sie erst kurz aus und erkundigte mich nebenbei, was eigentlich die richtige Wassertemperatur war – normalerweise half ich Faye eher nicht dabei, Blumen gehörten zur Kategorie Deko. Ich stellte ihr die Vase bereit und stützte mich unweit von der zierlichen Brünetten entfernt mit einer Hand auf die Theke. “Mir hat bisher leider Jemand gefehlt, um mich schon Zuhause zu fühlen… aber jetzt ist's perfekt.”, stellte ich fast schon verträumt lächelnd fest, während ich Faye dabei beobachtete, wie sie die Blumen in der Vase anrichtete. Es waren immer die kleinen Dinge, die ich am meisten vermisste. Neben ihrer Nähe, weswegen ich die Hand nach ihrem unteren Rücken ausstreckte und sie dort beiläufig streichelte. Kaum war der Straußda abgestellt, wo Faye ihn haben wollte, pflückte ich mir erneut ihre Hand. Ich hauchte ihr noch einen Kuss auf die Lippen, bevor es mit der gewünschten Führung losging. “Sehr offensichtlich befinden wir uns gerade im Wohnbereich… dazu gibt’s nicht besonders viel zu sagen. Ich finde nur, unser kleiner Küchentisch wirkt noch ein bisschen verloren in seiner Ess-Ecke, aber das ist erstmal zu verschmerzen. Die Klimaanlage lässt sich zentral für alle Räume mit dem Touchpad nahe der Eingangstür steuern… was jetzt noch nicht relevant ist, weil Winter.”, schnaubte ich. Der kalifornische Winter war etwa so wie der Frühsommer in Washington. Dafür wars im Sommer hier dementsprechend heiß. Ich führte Faye zwischen Sofa und Küche zur rechten Seite des kleinen Hauses, wo die beiden Türen zu Bad und Haushaltsraum in einer Nische zu finden waren. “Das Bad ist nicht riesig, aber dafür hat’s ein Fenster… und es ist bestimmt ganz praktisch, dass wir unsere Wäsche jetzt nicht mehr hier machen müssen.” Ich zuckte leicht mit den Schultern. Durch die unterschiedlichen Arbeitszeiten würden wir uns so oder so nicht jeden Tag im Badezimmer begegnen. Als Faye damit fertig war, sich das Bad anzusehen, zog ich ihr die leichtgängige Schiebetür zum Waschraum auf. “Das ganze Putzzeug hab ich hier in den Wandschrank gepackt… glücklicherweise kann ich mir mittlerweile auch merken, was ich wie waschen muss, es hat sich also noch keine Wäsche angestaut.”, scherzte ich. Insgeheim hatte ich das Wäschewaschen trotzdem nicht vermisst, Waschsalons hatten schon so ihre Vorteile. Ich würde weiterhin zu einer Reinigung gehen müssen, der Anzüge wegen. Zu Waschmaschine, Wäscheständer und Co. gabs nichts weiter zu sagen, als nahm ich wieder Fayes Hand und führte sie zur anderen Seite der Küche in den kleinen Flur. An dessen Ende befand sich eine Tür mit Glasfenster, die auf die Terrasse führte. Erstmal öffnete ich aber die Tür auf der linken Seite, wo sich das kleinere Schlafzimmer befand. “Ich hab die Kommode, die ursprünglich im Flur stand, jetzt erstmal hier mit reingeschoben, weil dafür im Eingangsbereich ja irgendwie kein Platz ist… hier fehlt noch das Konzept, was wohl einfach daran liegt, dass ich mich hier bisher am wenigsten aufgehalten habe und auch am meisten das Gefühl hatte, mit den alten Möbeln nicht klarzukommen.”, stellte ich gleichgültig fest. Das Büro hatte einfach keine Priorität, meine Selbstständigkeit lag bisher noch weit entfernt und bis ich das in Angriff nahm, brauchte ich nicht viel am Laptop zu machen. Sehr zweitranging. “Gehen wir also lieber weiter zum Schlafzimmer.”, setzte ich die Führung fort und schwenkte damit zur Tür auf der rechten Seite des Flurs. Das war der einzige der Räume, in den ich mit hinein ging. Das Bett stand relativ nahe an der Tür, was aufgrund unserer Vergangenheit suboptimal war, aber es ließ sich nicht anders lösen. In der hinteren rechten Ecke des Raumes war nämlich noch eine kurze eingezogene Wand, hinter der sich ein fest eingebauter, durch die ganze Ecke gehender Schrank befand, der uns ziemlich viel zusätzlichen Stauraum gab. “Der hat jetzt natürlich nicht dieselbe Farbe wie unser Schrank… aber das Holz kann man theoretisch noch neu anstreichen, wenn du möchtest. Meine Anzüge habens jetzt jedenfalls besser und es ist sogar wieder Platz für neue Klamotten, wann immer dir der Sinn danach steht.”, lächelte ich zufrieden. Wir waren auch in Seattle schon irgendwie mit dem Platz ausgekommen, den wir gehabt hatten. Mit dem zusätzlichen Schrank war es trotzdem sehr viel einfacher als vorher. “Das Schlafzimmer hat eine extra Fernbedienung für die Klimaanlage. Damit man nicht im worst Case wieder aufstehen muss, schätze ich.”, nannte ich bestens gelaunt einen weiteren kleinen, aber feinen Vorzug. Als Faye sich im Schlafzimmer ausreichend umgesehen hatte, ging es zur letzten Tür: die zum Garten, der bisher noch kein richtiger Garten war. Ich ließ die junge Frau voran nach draußen gehen. “Sieht leider noch trostlos aus… der Vermieter hat gesagt, dass zwischen der Terrasse und dem Rasen an einer Seite noch ein schmales Beet gezogen wird, wenn sie das Gras ansäen. Da was anzupflanzen wär dann aber dein Part, weil… naja.”, grinste ich sie schief an. Ich war jetzt nicht unbedingt für einen grünen Daumen bekannt. Wenn Faye mir sagte, dass ich dann und wann die Blumen gießen sollte, machte ich das schon. Ich würde aber nie von selbst dran denken und hatte in den nächsten Monaten wahrscheinlich eher nicht die Ruhe dafür, ein paar Sträucher oder Blumen zu setzen. Meine Freundin hatte ohnehin das bessere Auge dafür, was wo hin kam, wenn es um Details ging. Der Zaun zu den Nachbarn war nur etwa halb so hoch wie der zur Straße. Mein Blick glitt zum Garten auf der anderen Seite des Grundstücks. “Ich hab bisher nur mit Mel von nebenan gesprochen, Brent arbeitet scheinbar viel. Sie wirkt nett… und hat uns vorhin schon auf einen zukünftigen Kaffee eingeladen, als ich vom Café zurückgekommen bin… was mich wiederum dazu bringt, dir zu beichten, dass ich möglicherweise nur losgegangen bin, um zimtiges Gebäck zu holen.” Ich sah Faye aus dem Augenwinkel heraus von oben an und versuchte gar nicht, mir das Grinsen zu verkneifen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Es ist echt krass, wie viel leichter mir das Schreiben abends oder nachts fällt, im Vergleich zu tagsüber... ist das bei dir auch so? Finde ich total spannend. Am Nachmittag brauche ich für gleich lange Beiträge mindestens doppelt so lange und bin am Ende auch viel unzufriedener mit dem, was ich geschrieben habe. Nachts kann ich die Beiträge fast ohne Unterbrechung schreiben und find' auch nicht grundsätzlich jeden Satz scheisse und holprig. Echt ein interessantes Phänomen. x'D ______________
Das war klar gewesen, oder? Im Grunde nämlich eine sehr typische Victor-Antwort, die sie direkt noch breiter grinsen liess. "Natürlich, bin ganz deiner Meinung", pflichtete sie ihm bei, konnte es aber nicht lassen, ihren Worten mit einem amüsierten Unterton die ganze Ernsthaftigkeit zu nehmen. Ihr war es nämlich trotzdem egal, ob die Blumen jetzt erstmal in einem Glas standen oder direkt einen Platz in einer Vase bekamen. Aber wenn er Wert darauf legte, sollte es doch gerne eine Vase sein. Tatsächlich forderte es letztendlich kaum Geduld von ihnen beiden, das passende Gefäss zu finden - Victor fand nach nichtmal einer Minute, wonach er suchte und füllte die Vase auf ihr Geheiss mittelhoch mit lauwarmem Wasser. Sie händigte ihm noch den Beutel mit der Schnittblumennahrung aus, damit er diese ins Wasser rühren konnte, in welchem sie anschliessend sorgfältig den Strauss platzierte. Sie musste sich erneut kurz umsehen, um sich zu entscheiden, wohin sie mit den Blumen wollte, entschied sich aber letztendlich doch ganz klassisch für den Esstisch. Eventuell würde er später noch umplatziert werden, aber die Vase war da ja auch nicht festgeklebt, also kein Problem. Ausserdem werteten die Blumen direkt den Tisch und damit die Ess-Ecke auf, die Victor bis Anhin noch zu bemängeln schien. Es war tatsächlich so, dass dieser Raum einen grösseren Tisch verkraften würde - die letzte Wohnung in Seattle hatte halt auch mit fast zwanzig Quadratmeter weniger Platz glänzen können. Da war es nur logisch, dass ein grosser Esstisch keine Priorität gehabt hatte. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie dort die meiste Zeit alleine gewohnt hatte und die Anzahl an Tagen, an denen sie mehr als drei Personen gleichzeitig bei sich zu Besuch gehabt hatte, wohl an einer Hand abzählen konnte. Da sie sich die ersten Wochen über sowieso primär mit Einleben, Einrichten, Gegend erkunden und zur Ruhe kommen beschäftigen wollte, würde sich vielleicht auch noch der ein oder andere Besuch in einem Möbelhaus oder einer Brockenstube einschieben lassen. Sicherlich nicht nur aufgrund der Esstisch-Situation, sie würde sich zweifellos auch noch andere Baustellen schaffen, so wie sie sich kannte. Aber dafür sollte sie nun erstmal das Haus von innen kennenlernen. "Dann sorgen wir jetzt gemeinsam dafür, dass es für uns beide das perfekte erste Zuhause im Süden wird", lächelte sie ihm zu, bevor sie sich einen weiteren flüchtigen Kuss von seinen Lippen stahl und der Rundgang begann. Die Klimaanlage bewertete sie mit einem anerkennenden Nicken, weil sie sich sehr sicher war, dass diese im Sommer Gold wert sein würde. Zeichnete sich zwar jeweils gut auf der Stromrechnung ab, aber guter Schlaf und ein angenehmes Raumklima waren diesen Abstrich zweifellos wert. Auch am Bad und dem Haushaltsraum hatte sie nichts auszusetzen. Eine Dusche war vollkommen in Ordnung, Standard-Badewannen waren für Victor sowieso eher zu klein und darum unbequem, zu zweit deswegen auch kein Thema und sie allein hatte die Badewanne in Seattle jetzt auch nicht gerade häufig benutzt. Sein Kommentar zur Wäsche liess sie grinsend mit den Augen rollen, bevor sie zu ihm hoch schielte. "Ich bin echt unglaublich stolz auf dich, du bist so überdurchschnittlich selbstständig für deine gerade mal dreissig Jahre Lebenserfahrung", himmelte sie ihn sarkastisch an, klopfte ihm mit der freien Hand auf die Schulter, an die sie sich gleich darauf anlehnte, als ihr Blick zurück auf den Wäscheturm fiel. War nicht so, als wäre das hier sein erster Versuch mit Wäschewaschen gewesen, auch wenn sie das in den Zeiten, die sie zusammen gelebt hatten, oft übernommen hatte, weil sie wusste, dass es nicht gerade seine bevorzugte Haushaltsarbeit war. So schwierig wars auch gar nicht, solange er die Anzüge in die Reinigung gab. Sie liessen Bad und Haushaltsraum hinter sich, um sich der anderen Seite des Hauses zu widmen, die etwas spannender zu werden versprach. Mit dem Büro gabs einen sanften Einstieg und noch nicht sehr viel zu sehen. Der Raum hatte definitiv noch Entwicklungspotenzial, aber das hatte Zeit. Abschliessbare Zimmer hatten den Vorteil, dass selbst ein gewisses Chaos und das von Victor genannte fehlende Konzept kaum das Gesamtbild des Hauses zu stören vermochten, solange die Zimmertür nicht offen stand. Entsprechend kam dem Bürozimmer definitiv die letzte Priorität zu, wenns um das Hübschmachen des Wohnraumes ging. "Das hat noch etwas Zeit, denke ich... Aber ist gut mit der Kommode. Und alles weitere schauen wir dann an, wenns relevant wird", gab sie ihre fünf Cent an Meinung ab, wobei ihr Blick etwas länger am Raum hängen blieb, als der ihres Freundes. Gewisse Ideen hätte sie ja schon... aber sie würde noch etwas drüber nachdenken und sich ein bis einhundert weitere Pinterest-Boards kreieren, bevor sie Victor einen Plan vorstellen konnte. Die Ideen rückten sowieso bereits stark in den Hintergrund, als es schliesslich ins Schlafzimmer ging, das weitaus mehr Relevanz für sie hatte. Einfach auch, weil Schlafzimmer so viel Einrichtungs- und vor allem Deko-Potenzial hatten, das sie voll ausschöpfen wollte. Und das war natürlich nicht das einzige Upgrade im Vergleich zu Seattle - der Stauraum für ihre Klamotten hatte auch ein neues Ausmass angenommen. Das liess ihre Augen umgehend glücklich funkeln, obwohl sie längst aus ihrer Shopping-Sucht, wenn mans denn so schimpfen wollte, rausgewachsen war. Ein paar neue Sachen hier und da würden ihr trotzdem gut tun, immerhin war das hier ein Neuanfang und sie hatte vor dem Umzug ziemlich rigoros ausgemistet. Unter anderem auch um die Teile, an denen zu viele schwere Erinnerungen hingen, gar nicht erst in ihr neues Leben einzuschleppen. "Ausgezeichnet, kann man da nur sagen. Ich glaube das reicht für die nächsten zwei bis drei Jahre Shoppingerträge", gab sie vergnügt bekannt. Die Sache mit dem Holz würde sie sich noch überlegen. Allzu störend fand sie es auf den ersten Blick noch nicht. Sie nahm sich auch hier einen Moment Zeit, um den Raum und seine Möglichkeiten zu analysieren - stellte dabei mit kurz flatterndem Herzen fest, dass die kleine Engelsfigur ihren Platz auf ihrem Nachttisch bereits eingenommen hatte. Sie hatte sie gut eingepackt in Zeitungspapier und einem sicheren Karton mit dem Zügelunternehmen nach L.A. geschickt, weil sie befürchtet hatte, sie sonst im Auto zu beschädigen. Schien eine gute Idee gewesen zu sein - als sie die paar Schritte zum Nachttisch ging, um die Figur näher zu betrachten und einmal sachte mit ihrem Zeigefinger über den Kopf des Engels zu streicheln, stellte sie zufrieden fest, dass sie noch immer genauso aussah wie vor dem Umzug. Ein bisschen beschädigt - aber sie hatte keine weitere Feder verloren. Das war gut. "Hat den Umzug erfolgreich überstanden", wandte sie sich lächelnd wieder ihrem Freund zu, um dann mit ihm gemeinsam das Schlafzimmer zu verlassen und die letzte verbleibende Tür in Angriff zu nehmen. Diese führte auf die Terrasse, wo ein paar weitere Infos von Victors Seite folgten. Bei der Erwähnung des geplanten Pflanzbeets, leuchteten ihre Augen erneut erfreut auf. Allein die paar Worte provozierten verschiedenste Bilder blühenden Blumen vor ihrem inneren Auge und fast hätte sie ihn darum gebeten, jetzt direkt aufzubrechen, um schonmal die passenden Setzlinge oder Samen zu besorgen. Aber erstens war - noch immer - Dezember und zweitens hatte er soeben erwähnt, dass zuerst das Beet entstehen sollte. Und es gab auch noch andere Prioritäten heute, vielleicht konnte sie also noch ein kleines bisschen zuwarten damit. "Das ist wundervoll! Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich diesbezüglich mit viel Talent glänzen kann, hatte ja bisher in meinem Erwachsenenleben nie einen Garten, um sowas rauszufinden. Aber trotzdem. Das wird toll", freute sie sich. Und weil sie das immer besonders gerne tat, wenn sie irgendwas gut fand und glücklich war, drückte sie Victor einen Kuss auf die Lippen und umarmte ihn wieder einen Moment, während ihr Blick über den eigentlich noch eher schmucklosen Garten glitt, in dem sie längst Blumen blühen und Sonnenstrahlen glänzen und Vögel zwitschern sah. Doch, der Garten war toll. Viel besser als ein Balkon. Nette Nachbarn waren auch toll. Zimtschnecken waren auch toll. Und alles zusammen gemeinsam mit Victor war super, weshalb das Grinsen sich erneut fest in ihren Gesichtszügen eingenistet hatte. "Ach Vicky...", liess sie sich ein glückliches Seufzen inklusive seines liebsten Spitznamens nicht nehmen, drückte ihn dazu ein bisschen enger an sich und schloss für einen kleinen Moment die Augen. Einfach, um das alles zu begreifen. Ein paar Sekunden sacken zu lassen, dass sie angekommen war. Dass sie beide gesund und in Sicherheit waren. Und dass das hier wirklich, wirklich gut werden konnte. "Ich liebe dich.", hauchte sie ihm zu. Und vielleicht glitzerte da mal wieder was in ihren Augenwinkeln. Aber auch das war heute was Gutes.
Jup, ist bei mir exakt genauso. Am allerleichtesten fällts mir “nachts auswärts”, weil mich am Handy einfach weniger distracted als am Laptop. Ich schreib wirklich am liebsten auf der Nachtschicht, vorausgesetzt die Arbeit selbst grätscht mir nicht dazwischen und ist eben entspannt genug dafür. x’D Je nach Schicht bleibt mir tragischerweise oft aber nix anderes übrig als tagsüber zu schreiben and i hate it. ._.” _________________
Das perfekte erste Zuhause… ein bisschen surreal klang es noch immer und vielleicht würde ich ein paar Tage brauchen, um es wirklich zu begreifen. Ein paar Tage, in denen wir uns hier miteinander und mit allem drumherum beschäftigten – im Versuch uns einzuleben und das beste aus diesem Neustart rauszuholen. Ich hatte schon noch ein paar Fragen, was die letzten Tage anging, aber das konnte warten. Bevor ich mich mit ernsten Themen befassen wollte, brauchte ich erstmal wieder ein paar Glücksgefühle. Dass Faye ähnlich angetan von den Räumlichkeiten war wie ich selbst, bildete dabei eine sehr gute Basis. Ich würde meine Unselbstständigkeit bezüglich der Wäsche gerne auf meine Mutter und die Army schieben, die mir das beide jeweils für lange Zeit abgenommen hatten, aber damit täte ich mir keinen Gefallen. Faye erntete auf ihre sarkastischen Worte also nur noch ein schiefes, fast schon entschuldigendes Grinsen. Das Büro-Problem tat die Brünette als wenig tragisch ab und freute sich im Anschluss ebenso sehr wie ich über die neuen Möglichkeiten, die das Schlafzimmer bot. “Beim ersten Trip begleit’ ich dich sogar gerne.”, schmunzelte ich vor mich hin, als es ums Shoppen ging. Ob ich das danach nochmal wollte, ließ ich an dieser Stelle erstmal offen. Faye würde so oder so bis dahin sicherlich genug Freundinnen gefunden haben, die sich zu einem eventuell ausufernden Shopping-Erlebnis überreden ließen. Als sie zu dem kleinen Engel neben unserem Bett ging, wurde mein Lächeln weicher. So empfing sie auch mein Blick, als er auf ihren traf, bevor ich leicht nickte. Mir war aufgefallen, dass etwas fehlte, als ich mich das erste Mal nach der Möbelankunft in unser Bett gelegt hatte. Natürlich hatte Faye mir viel mehr gefehlt als die Figur, die ich ihr geschenkt hatte. Letztere hatte mir dennoch keine Ruhe gelassen, kaum hatte sie meine Gedanken unter Beihilfe der damit verbundenen Ereignisse wachgerüttelt – ich war nochmal aufgestanden und hatte mich erst wieder hingelegt, als ich die kleine Statue zwischen all dem anderen Krempel gefunden hatte. “Durch den Engel warst du… ein bisschen mehr da.”, murmelte ich, als ich wir bereits auf dem Weg nach draußen waren. Das Objekt ersetzte keineswegs Fayes Wärme unter der Bettdecke oder das Lächeln auf ihrem Gesicht, das im Garten aufblühte, als ich weitersprach. Doch die Symbolik hatte mir Ruhe und Zuversicht gegeben – wir hatten schon Schlimmeres als die folgenlose Entführung überstanden. Faye teilte diesen Optimismus in dem Moment, als sie über ihre Zukunft als frisch gebackene Gärtnerin sprach. Ich legte meine Hände an ihre schmale Taille und erwiderte den Kuss sanft, musste kurz darauf bei dem Spitznamen jedoch grinsen und flüchtig mit den Augen rollen. Wenn Faye ihn benutzte war’s noch immer in Ordnung, deshalb schlang auch ich die Arme um ihren Körper. "Das Beet schaffst du schon, da bin ich mir sicher.", lächelte ich vor mich hin, bevor ich ebenfalls ins Schweigen fiel. Ich genoss einfach den Augenblick, so wie sie es tat. Als sie erneut sprach, suchte mein Blick automatisch nach ihrem und ich hob die rechte Hand, legte sie an ihre Wange und küsste sie. Innig und hoffnungsvoll teilte ich auf diese Weise ihre in den Startlöchern stehenden Freudentränen. Wir hatten zu viel durchgemacht in den letzten Jahren, aber das Gefühl, das diese Worte verursachten, wenn sie über ihre weichen Lippen kamen, war noch immer dasselbe. Sie lösten gerade jetzt, wo endlich der beste Teil unseres gemeinsamen Lebens anstand, ein vorfreudiges Kribbeln in meiner Brust aus. Ich hatte längst keinen Zweifel mehr daran, dass Liebe alle Hürden mit Schwung nehmen konnte – vielleicht kam sie ein bisschen erschöpft auf der anderen Seite an, aber sie erholte sich und kam danach gefühlt noch stärker zurück. “Ich liebe dich auch, Faye.”, hauchte ich ihr lächelnd zu, als der Kuss beendet war. Ich lehnte meine Stirn noch einen Moment mit geschlossenen Augen an ihre, wobei das Lächeln irgendwann zu einem schmalen Grinsen wurde. “...aber wenn du diesen Spitznamen jemals vor einem meiner Arbeitskollegen fallen lässt, halt’ ich dir das todsicher auf ewig vor.”, grinste ich und hauchte noch einen Kuss an ihre Lippen, bevor ich den Kopf anhob. Das war keine wirklich ernst gemeinte Drohung, das konnte sie aus meinem förmlich beschwingten Gesichtsausdruck lesen. Trotzdem würde ich ihr das nachtragen, ein bisschen. Diesmal würde sie über kurz oder lang sicher auf mindestens einen meiner Kollegen treffen. Der wohnte nämlich nur ungefähr 10 Minuten zu Fuß von hier und hatte uns dieses Haus beschert, ihn mal einzuladen war dafür eigentlich das Mindeste, wenn hier erstmal alles Hand und Fuß hatte. Außerdem wollte ich auch hier wieder gut mit meinen Kollegen auskommen. Wenn sie irgendwann zu Freunden wurden, war es gut möglich, dass Faye noch mehr von ihnen kennenlernte. Ohne dabei meinen Spitznamen zu verwenden, bestenfalls.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Mit Handy kann ich nicht mitreden, aber das mit der Nachtschicht ist bei mir gleich. xD Gibts einfach nicht mehr viel anderes zu tun ab einer gewissen Uhrzeit und dann wird die Konzentration automatisch besser. xD Das mit dem tagsüber schreiben tut mir leid für dich, "muss" ich glücklicherweise wirklich fast nie. ._. _______________
Faye grinste mit funkelnden Augen zu ihm hoch, als er sich als Shopping-Begleitung anbot. Ihre ganz schlimmen Shopping-Zeiten waren grundsätzlich längst vorbei und so ging sie eher nicht davon aus, dass sie mehr als ein oder höchstens zwei Mal richtig ausufernd durch tausend Klamottenläden schlendern wollen würde. Wenn er sie einmal begleitete, klang das in ihren Ohren also schon nach mehr oder weniger ausreichend, um diese neue Form eines Kleiderschranks gebührend einzuweihen. "Deal", nahm sie das Angebot ohne nachzudenken an. Auch er erntete bei seinen Worten zum Engel ein weiteres sanftes Lächeln von ihr. Es war schön, dass die Figur ihnen beiden so viel geben konnte. Damit erfüllte sie ihren Zweck gleich doppelt und die Bedeutung dieses kleinen Antiquitäten-Artikels, war für sie längst zu einem Sinnbild ihrer Beziehung geworden. Weil der unperfekte Engel so perfekt darstellte, wie sie einander trotz all der Läsionen, die sie mittlerweile ausmachten, sahen. Wie sie mit so viel Leichtigkeit hinter die beschädigten Äusserlichkeiten blickten und einander für das liebten, was in ihren Herzen steckte. Lustig, wie er noch immer mit den Augen rollte, wenn sie ihn bei seinem Spitznamen nannte. Dass er sich überhaupt davon provozieren liess, fand sie durchaus amüsant. Ein fast zwei-Meter-Mann, der sich durch eine Verniedlichung seines sehr männlichen Vornamens betupft fühlte, konnte sie eigentlich nur mit Humor nehmen. Gut, dass er mittlerweile relativ gut damit klar kam, dass er zwischendurch ein bisschen mit Vicky provoziert wurde. Vielleicht rollte er auch nur noch pro forma mit den Augen, weil es das für sie noch ein kleines bisschen lustiger machte. So wirklich nerven konnte es ihn nämlich kaum, wenn er sie nur ein paar Sekunden später schon wieder so küssen konnte, wie er es gleich darauf tat. Mit einer Intensität, die ihr noch ein bisschen unüberhörbarer einzuflüstern versuchte, dass das hier diesmal perfekt werden würde. Sie hörte gerne darauf, glaubte gerne daran. Genau wie an seine Worte, mit denen er ihr ein weiteres Mal seine Liebe zusicherte. Faye lächelte für einen Moment rundum glücklich in sich hinein, während er so dicht bei ihr stehen blieb. Zog mit einem leisen Lachen die Nase hoch, als er meinte, doch nochmal auf den Spitznamen zurückkommen zu müssen. "Es freut mich ausserordentlich, dass du dir um solche Dinge Sorgen machen kannst", meinte sie zuerst nur sarkastisch, tätschelte zwei, drei Mal sachte aber genauso lächerlich seine Wange mit ihrer Hand. "Aber ist noch etwas zu früh, dafür müsste ich deine Arbeitskollegen ja erstmal kennenlernen", beschwichtigte sie ihn gutmütig grinsend. Mal sehen, wie lange es dauern würde, bis sie sich beide bereit für sowas fühlten und sich dann auch noch eine entsprechende Gelegenheit ergab. Die Chance, dass ihr dabei ein Vicky entglitt, war aber sowieso gering. Normalerweise hatte sie sich diesbezüglich sehr gut im Griff, solange sie nicht mit ihm alleine war. Einzige Ausnahme war da wohl die Anwesenheit von Hazel, aber die war vorerst auch nicht. geplant, soweit sie informiert war. Seine Familie war aktuell wegen der ganzen Sache um seine Mutter sowieso noch ein bisschen ein rotes Tuch, das wohl noch etwas Zeit brauchte. Auch wenn sie sehr schwer hoffte, dass sich das alles in nicht allzu weiter Zukunft wieder entspannte. "Willst du mir ein bisschen was erzählen von deinem neuen Leben", Faye nickte in Richtung Terrassentür und damit indirekt auch in Richtung Wohnzimmer, "...also nachdem meine ausgebildete Spürnase die Zimtschnecken gefunden hat?", vollendete sie den Satz mit einem wieder quer übers Gesicht gemalten Grinsen. Vielleicht war eigentlich gerade nicht die perfekte Zeit für einen Nachtisch. Aber zumindest für sie spielte das nicht wirklich eine Rolle, sie war eh nicht so hungrig, da sie praktisch nur im Auto gesessen hatte und die Zimtschnecken sollten nicht bis morgen warten müssen, sonst wurden sie trocken. Was sicher auch nicht im Sinne des Käufers war.
Ja, so ist das bei mir normalerweise auch wenn's denn geregelt nach Plan abläuft und keine Maschine absäuft. :'D Müssen ist beim Schreiben zwar immer relativ, aber würd' ich nur schreiben, wenn ichs spät abends/nachts tun kann, würdest du wohl nur im Urlaub/bei Freischicht oder alle drei Wochen zur Nachtschicht Antworten kriegen. Das wollen wir glaub ich beide nicht, haha. xD _____________
In diesem Augenblick musste ich mich weder vor dem Versinken in unzähligen zu tragenden Einkaufstaschen, noch vor dem Ausplaudern meines Spitznamens aus der Kindheit akut fürchten. Beides war in der Zukunft möglich, stand aber noch nicht klingelnd auf der Matte. “Über irgendwas denke ich bekanntermaßen immer nach und ich bevorzuge gerade solche Dinge.”, erwiderte ich mit trockenem Humor, zuckte leicht mit den Schultern. Ich wollte es nicht Sorgen machen schimpfen, weil das für die Spitznamensache zu hoch gegriffen und in Anbetracht der Hernandez ein bisschen taktlos wäre. Außerdem wollte ich über Letzteres nun schlichtweg nicht nachdenken, die Mexikaner waren weit weg und da sollten sie auch bleiben. “An dieser Stelle muss ich dich vielleicht vorwarnen, weil Sam nur zehn Minuten von hier wohnt… zu Fuß, laut App. Ich denke zwar eigentlich nicht, dass er aus heiterem Himmel auftauchen würde, aber dank seiner privaten Vermittlung weiß er ja bestens, wo ich jetzt wohne.”, sprach ich genauso sarkastisch weiter. Ich hatte Faye schon gesagt, wie ich auf dieses Haus hier gekommen war. Nur nicht, dass besagter Vermittler in unmittelbarer Nähe wohnte, weil das eine Randinfo war, die mit dem Haus selber nichts zu tun und deshalb für das Ja oder Nein unwichtig gewesen war. Das war eines von den Dingen in meinem neuen Leben, das jetzt zu unserem werden würde. Es wäre also sicher nicht verkehrt, sich darüber zu unterhalten – ich nickte ohne Umschweife mit anhaltendem Grinsen, das kurz für einen weiteren Kuss unterbrochen wurde. “Gerne doch, kleines Zimtengelchen.” Während ich diese Worte grinsend an Fayes Lippen hauchte, nahm ich auch ihre Hand in meine, um mit ihr nach drinnen zu gehen. Obwohl es nur ein paar Meter bis zum Wohnraum waren, ließ ich sie einfach ungerne los, obwohl es unvermeidbar war. Es war allerdings nicht so, als müsste Faye das Gebäck exzessiv suchen gehen – wir hatten hier noch immer denselben Brotkasten wie schon in Seattle und der stand bis jetzt noch völlig unversteckt an einer günstigen Stelle auf der Theke, wo er nicht störte. Da würde er auch stehenbleiben, wenn Faye ihn nicht woanders haben wollte. “Nimm’ meine auch gleich mit raus.”, trug ich ihr auf, als wir in der Küche angekommen waren. Ich ließ Fayes Hand los, um zwei passende Teller aus einem der Küchenschränke zu nehmen. Danach noch ein Glas aus einem anderen Schrank, wobei ich Faye fragte, ob sie auch eines brauchte. “Das Leitungswasser schmeckt hier echt anders… ich gewöhn’ mich noch dran.”, erzählte ich, wie ich das Wasser direkt aus dem Hahn bisher empfunden hatte, während ich mir das Glas damit vollmachte. Es schmeckte nicht schlecht, nur anders – ich war da schon immer wählerisch. Als wir alles hatten, was wir aus der Küche brauchten, bedeutete ich Faye mit einem kleinen Nicken, dass wir uns gleich aufs Sofa setzen konnten. Zum Essen war der Esstisch zwar schöner, aber das Gebäck war schnell verputzt und dann würde ich ihre Nähe wollen. Ich setzte mich hin und nahm erstmal einen großen Schluck aus dem Glas, bevor ich mich mitsamt des Zimtschnecken-Tellers zurücklehnte und mich von der Musik berieseln ließ. “Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.”, stellte ich fest und nahm erst einen Bissen von dem glasierten Gebäck. Es war angenehm saftig, wenn für meinen Geschmack vielleicht auch eine Prise zu süß. Nach dem Runterschlucken fing ich an: “Ich glaube nicht, dass ich nochmal erwähnen muss, wie stressig die letzten Wochen waren… man merkt, dass L.A. gut fünf Mal größer ist als Seattle. Der Verkehr ist an neun von zehn Tagen ätzend.”, seufzte ich. Auch beim Autofahren war ich geduldig. Wenn es bei Stau gar nicht mehr voran ging, schlug das aber selbst mir irgendwann auf die Nerven. “Ich war noch nicht viel unterwegs, abseits vom Job und den anderen notwendigen Sachen auf der To-Do-Liste… dank der Arbeit kenn’ ich mich eigentlich nur damit aus, wo die Reichen wohnen und wo die Partymeilen sind.” Natürlich war das etwas übertrieben, was aus meiner Betonung auch hervorging, aber abseits des Motels, wichtiger Veranstaltungsorte, Supermärkte und der Einfahrt am Haus hatte ich gefühlt noch nichts von Los Angeles gesehen. Ich biss ein weiteres Mal in die Zimtschnecke, ehe ich weitersprach: “Mein neuer Vorgesetzter scheint in Ordnung zu sein, Ragsdill war mir trotzdem etwas sympathischer. Die Kollegen sind angenehm, aber ich werde noch eine Weile brauchen, um mich tatsächlich mit allen richtig zu unterhalten. Es sind einige mehr als in Vegas… und trotzdem nicht genug.” Beim angedeuteten Personalmangel schüttelte ich etwas den Kopf vor mich hin. Die Stellenausschreibungen waren durchaus vorhanden, nur offenbar kein passendes Personal. C-Promis sprießten heutzutage aus dem Boden wie Schneeglöckchen, da kam die Sicherheitsbranche im Los Angeles County nur schwer hinterher – gut für mich, jetzt und vor allem später in der Selbstständigkeit. “Jedenfalls können wir uns so gut wie alles, was du von der Stadt sehen willst, definitiv gemeinsam zum ersten Mal ansehen, weil ich nur mit Ankommen, Arbeiten und dann noch Umziehen beschäftigt war. Wenn ich Zeit dafür gehabt hätte, hatte ich keine Lust. Ich war schon froh, wenn ich sowas wie einen vernünftigen Tagesrhythmus hingekriegt und mich nicht von Fast Food ernährt habe.", sagte ich ehrlich. Faye wusste das ohnehin schon, anders als bei unserer Auszeit hatten wir viel miteinander telefoniert. Natürlich war ich nicht dazu gezwungen gewesen, schon so gut wie alle unserer Sachen ganz alleine einzuräumen, aber das war eine bessere Ablenkung, als mir draußen irgendwas anzusehen und dabei ja doch immer nur mit den Gedanken an Faye festzukleben. “Gibt’s schon Sightseeing-Wünsche?” Noch waren wir hier mehr Touristen als Einheimische. Das war das Gute daran, dass Faye im Gegensatz zu mir noch nicht sofort wieder arbeitete: Wir hatten mehr Zeit für uns, mehr Zeit um uns wieder richtig anzunähern, ein paar Orte rund um unsere neue Heimat zu erkunden und uns hier einzuleben, wenn wir uns bloß nach meiner Schicht richten mussten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Bei dir sinds die Maschinen, die absaufen, bei mir die Patienten, die sich selbstständig Katheter und Leitungen ziehen möchten... Lustig haben wirs sicher beide. x'D Und nein, möchten wir tatsächlich nicht, danke, dass du dir auch tagsüber Zeit für uns nimmst haha. x'D ____________
Ein Arbeitskollege in Fussdistanz? Das sprach ihrer Meinung nach ebenfalls für ihr neues Heim, jedenfalls solange es sich um einen Arbeitskollegen handelte, den man mochte. Aber das schien Sam für Victor bisher zu sein, soweit sie informiert war. Noch kein zweiter Larry oder Rowan, aber mit den beiden hatte Victor auch mehr Zeit verbracht. "Dann muss ich gut aufpassen, dass ich dich draussen nicht zu laut mit Vicky anspreche - nicht, dass ein Spontanbesucher das plötzlich hören könnte", erwiderte sie genauso sarkastisch auf seine Bemerkung zu Sam, der ihre Adresse kannte. Das Zimtengelchen nahm sie ebenfalls mit einem zuckersüssen Grinsen entgegen, das die Bezeichnung nur noch weiter unterstrich. "Das hör ich doch gerne", säuselte sie zufrieden, während sie schon mit ihm durch die Terrassentür nach drinnen ging. Es folgte tatsächlich kein besonders ausgiebiges Suchspiel in der Küche, da er die Zimtschnecken nicht unbedingt ambitioniert versteckt hatte. So konnte sie das klebrige Zuckergebäck bald schon aus der Tüte holen und je einen der Schnecken auf die beiden Teller verteilen, die Victor in der Zwischenzeit hervorgeholt hatte. Selbstredend zierte dabei die ganze Zeit ein fröhliches Grinsen ihr Gesicht, das auch durch die Wassersache nicht sofort getrübt werden konnte. Sicherheitshalber bestellte sie sich bei ihm aber ebenfalls ein Glas Wasser, damit sie die Qualität direkt mal selber testen konnte. Mit diesen Nötigkeiten beladen, gings schliesslich in Richtung Sofa, wo Faye ihre Sachen erst abstellte und dann nochmal eine Extrarunde zum Esstisch machte, um die Blumen einzusammeln. Wenn sie es sich hier schon auf dem Sofa gemütlich machten, wollte sie die Blumen dabei ganz gerne auch zwischendurch anschauen können - in den ersten Tagen waren diese immerhin am schönsten und der Couchtisch sah mit Blumen und Zimtschnecken doch schon ziemlich Instagram-würdig aus. Was ihr selbstredend sehr wichtig war. Als das erledigt war, setzte sich Faye schliesslich zufrieden zu ihrem Freund aufs Sofa, um dessen Ausführungen zu folgen und sich zwischendurch an ihrem eigentlich viel zu süssen Lieblingsgebäck gütlich zu tun. Dass die letzten Wochen für Victor kaum leichter gewesen sein dürften als für sie, kam nicht überraschend. Hatte sie ja auch mitgekriegt, dadurch, dass sie oft genug telefoniert hatten. Dass der Umzug überhaupt nicht ihrem bevorzugten Plan nach verlaufen war, war leider eine Tatsache, die sich nicht mehr ändern liess. "Ich hoffe wirklich - und bin eigentlich auch ziemlich optimistisch - dass das jetzt etwas besser wird. Bei der Arbeit kann ich dich zwar schlecht entlasten, aber bei allem anderen Drum und Dran sollte einiges drinliegen", meinte sie, auch in dieser Thematik vorerst durchweg positiv gestimmt. Mit dem Umzug konnte sie nicht mehr viel helfen, aber immerhin brauchte er sich jetzt nicht mehr täglich Sorgen um sie zu machen, sie konnte, solange sie zuhause blieb, das Kochen übernehmen und er hätte jemanden zum Reden, wenn er nachhause kam und etwas auf dem Herzen hatte. Das waren alles nicht zu unterschätzende Faktoren, die das Wohlbefinden durchaus steigern konnten. Auch Ausflüge in der Freizeit gehörten in diese Sparte des gesunden Ausgleichs, der nun hoffentlich grössere Wichtigkeit erlangen würde. Mit vielen Sightseeing-Wünschen konnte sie aber an dieser Stelle eher nicht dienen. Entsprechend schüttelte sie langsam den Kopf. "Eher nicht, ich war die letzten Wochen über leider auch ein bisschen anderweitig eingespannt", bedauerte sie sicher nicht allzu überraschend. "Abgesehen vom Hollywood-Sign, dem Walk of Fame und Venice Beach hält sich meine Standard-Touristen-Liste also noch in Grenzen... Aber ich kann die Tage gerne weiter dran arbeiten, immerhin müssen wir ein paar schöne Plätze finden, mit denen wir allfällige Besucher aus dem Norden ein bisschen neidisch machen können", führte Faye sarkastisch aus, bevor sie sich einen weiteren Bissen der Zimtschnecke gönnte. Grundsätzlich sah sie sich eher nicht so an diesen Touriplätzen mit Millionen anderen Besuchenden. Aber vielleicht mussten sie sich ein paar davon doch einmal anschauen, wenn sie jetzt hier wohnten.
Ganz allgemein hoffte ich, dass Faye mich grundsätzlich weiterhin selten bis gar nicht mit diesem Spitznamen ansprechen würde. Ich schüttelte nur nochmal mit anhaltendem Grinsen den Kopf auf diese Worte. Mir um die nahe Zukunft zu viele Sorgen zu machen, kam nicht in Frage – am allerwenigsten wegen eines kindlichen Spitznamens. Dass Faye mir sogleich zur Erleichterung ihre tatkräftige Unterstützung zusicherte, ließ mich trotz des Kauens anhaltend lächeln. “Deine bloße Anwesenheit ist schon eine Erleichterung.”, stellte ich allem voran fest, führte das jedoch nicht weiter aus. Dass dem so war, hatte einen sehr schönen und einen hässlichen Grund, auf letzteres wollte ich aber nicht zu sprechen kommen. Faye war jetzt hier und die altbekannte Gefahr viele hundert Kilometer weit weg, inklusive dem Verursacher des höllischen Chaos. Die Grundbedingungen für unserer Neustart waren also bestens, stressiger Umzug hin oder her. “Was aber natürlich nicht heißt, dass ich mich nicht über ausnahmslos alles freue, das ich hier nicht tun muss.”, hängte ich an und warf Faye einen kurzen, vielsagenden Blick zu. Ich störte mich gar nicht per se an all den Dingen, die im Alltag Zuhause nach und nach anfielen. Es nervte mich bloß, wie viel Zeit das kostete, wenn das Zeitmanagement dank Schichtarbeit ohnehin schon schwieriger als gewöhnlich ausfiel. Mal ein paar Tage weniger anzupacken oder die Aufgaben zusammen mit Faye zu erledigen, war Gold wert. Dass die junge Frau noch keine große L.A.-Tour geplant hatte, war nicht schlimm und kam den Umständen wegen auch nicht wirklich überraschend. Meine erste Reaktion war deshalb ein leichtes Nicken, ehe Faye weitersprach und doch zumindest schonmal ein paar Dinge auslistete. “Hat ja zum Glück keine Eile, weil wir diese Trips nicht in einen einwöchigen Urlaub quetschen müssen.”, lächelte ich versonnen, bevor die Zimtschnecke weiter dran glauben musste. Ich dachte beim Essen kurz ein bisschen darüber nach, was ich bisher von Los Angeles gehört und gesehen hatte, in den paar Wochen, in denen ich nun schon hier residierte und nach Wohnungen gesucht hatte. Als die Zimtschnecke schon beinahe weg war, hatte ich zwei Sachen zur Liste beizutragen: “Ich glaube, dass dir das Gebiet rund um den Silver Lake gefallen könnte… da wär’ ich am liebsten hingezogen, aber das kann sich kein normaler Mensch leisten. Da spazieren zu gehen kostet zum Glück nix.”, meinte ich ironisch. “Und eine Sache müssen wir uns nur wegen dem Namen leider unbedingt ansehen. Es soll hier irgendwo eine der kürzesten Bahnstrecken der Welt geben und die nennt sich Angels Flight. Ich stell’s mir eigentlich unspektakulär vor, aber der Name… tja.”, ich zuckte mit den Schultern und warf Faye mit schief gelegtem Kopf ein kurzes Grinsen zu. Es dürfte ein kurzes Fahrvergnügen werden, das den wahrscheinlich touristischen Preis am Ende eher nicht wert war, aber diese Symbolik ließ ich mir nicht entgehen. Schließlich waren wir beide hier, um endlich mal die gestutzten Flügel auszustrecken und abzuheben, nach all den schweren letzten Jahren. Dieses Vorhaben mit einer kleinen Unternehmung zu untermauern konnte uns beiden wirklich nicht schaden.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Seine Worte liessen sie etwas versonnen zu ihm hoch lächeln, bevor sie ihren Kopf einen Moment lang an seine Schulter lehnte. Sicher steckten hinter dieser Aussage nicht nur schöne Gründe. Aber es war auch weniger die Zusicherung, dass er sich über ihre Anwesenheit freute, als einfach die blosse Tatsache an sich, dass sie hier bei ihm auf dem Sofa im Süden sass, die sie lächeln liess und in ihr einen Frieden versprühte, den sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Die Emotion war noch nicht ganz perfekt, nicht ganz vollkommen, weil noch immer ein Teil ihres Herzens zu weit weg feststeckte. Aber Victor und sie - sie hatten es geschafft. Sie waren hier und beide gesund. Sie konnten neu anfangen und würden diese Chance gemeinsam zum Maximum auskosten. Und das gehörte hier schon gefeiert - zum Beispiel mit Zimtschnecken auf dem Sofa. "Ich glaube, in den ersten Wochen werd' ich dir schon ein bisschen was abnehmen können. Ich habe zwar auch noch viel zu tun - mit Ausruhen und Ankommen zum Beispiel - aber ein bisschen Haushalt und Kochen sollte da gerade noch reinpassen, denk' ich", zeigte sie sich vergnügt weiterhin grosszügig. Liess es sich nicht nehmen, ihm nochmal ausdrücklich mitzuteilen, dass sie im Gegensatz zu ihm noch ein bisschen Urlaub geniessen konnte. Was eigentlich auch nur fair war, er hatte in Seattle ebenfalls einige Wochen chillen können, während sie arbeiten war. Man könnte fast meinen, sie würden sich bewusst abwechseln - obwohl das natürlich keineswegs der Fall war und hoffentlich auch nicht mehr zu lange so blieb. Scheinbar hatte Victor noch etwas Intelligenteres zu ihrer Entdeckungstour hinzuzufügen. Etwas, das nicht ganz so bekannt war. Jedenfalls hatte sie noch nie was vom Silver Lake gehört und ganz bestimmt auch nicht von einer Bahn namens Angels Flight. Was nicht heissen sollte, dass die beiden Orte oder Sehenswürdigkeiten allgemein kein Begriff waren. Sie hatte sich einfach bis Anhin viel zu wenig mit ihrem neuen Zuhause auseinandergesetzt, weil das alte Zuhause noch viel zu viel Aufmerksamkeit von ihr gefordert hatte. Auch Faye liess sich etwas Zeit mit der Antwort, um sich an ihrer Zimtschnecke gütlich zu tun, bevor sie noch etwas dazu sagte. "Klingt interessant. Dann pack ich die zwei Sachen auf jeden Fall noch auf die Liste und wir schauen, wann wir uns was ansehen wollen", nickte sie auch diese Vorschläge zufrieden ab. Sie würde sicher in der kommenden Zeit mal ein bisschen die nähere Umgebung erkunden, um auch herauszufinden, wo man von hier aus am besten in die Natur kam und was es sonst so zu sehen gab. Wenn sie einen guten Tag und viel Energie hatte, würde sie vielleicht ja auch ihre neue Nachbarin fragen können und sich von ihr was zeigen lassen, falls Mel sich hier schon etwas besser auskannte. Und auch wenn nicht, war es trotzdem keine schlechte Idee, mit der Nachbarschaft gut auszukommen. Immerhin hatte sie vor, hier draussen Blumen anzupflanzen, die dann irgendwer giessen musste, wenn sie und Victor mal weg wären. Ein sehr relevanter Grund, der absolut für gute Nachbarschaftskontakte sprach. Nachdem auch ihre Zimtschnecke ihr genüssliches Ende gefunden hatte, stellte Faye den Teller auf den Couchtisch und lehnte sich etwas zurück - an Victors Seite natürlich. "Ich glaube was die Umgebung angeht, freue ich mich aktuell am meisten aufs Meer hier unten. Also das Meer in Kombination mit dem Klima. Bin gespannt, wie die Strände und das Wasser hier so aussehen... Auch wenn es sicher ziemlich voll ist im Sommer", merkte sie an, blickte dabei lächelnd auf ihre glänzenden Finger, von denen sie sich anschliessend noch den klebrigen Zucker leckte. Sie mochte das Meer wirklich gerne, aber in Seattle waren sie nicht ganz so häufig dort gewesen und es hatte auch nicht so viele Sandstrände gehabt wie in Kalifornien. Wenn ihre Zeitpläne das zuliessen, war sie absolut dafür, dass sich das hier ein bisschen änderte.
“Musik in meinen dann ab jetzt hoffentlich nicht-mehr-so-gestressten, absolut neidischen Ohren.”, erwiderte ich ein bisschen ironisch, auch wenn es durch und durch der Wahrheit entsprach. Es würde mir das Leben erleichtern und es war auch gar nicht so, dass ich meiner besseren Hälfte diese freie Zeit nicht gönnte. Sie hatte erst kürzlich wieder eine unfreiwillige Fahrt im Höllenkarussel gemacht und sollte sich in Ruhe davon erholen, erstmal richtig hier ankommen können. Ausnahmsweise mal die Zeit dazu haben, sich wie ein normaler Mensch irgendwo einzuleben, ohne dabei die alten Laster allesamt mitzunehmen. Trotz der mehrtägigen, alleinigen Fahrt nach Los Angeles, konnte ihr diese zusätzliche Zeit zur Verarbeitung kaum schaden. “Wenn sich Jemand die freien Tage verdient hat, dann du.”, hängte ich lächelnd an und neigte meinen Kopf in Fayes Richtung, um sie flüchtig ans Haar zu küssen. Ihre Worte zu meinen Vorschlägen der Freizeitgestaltung nahm ich mit einem gut sichtbaren Nicken zur Kenntnis, bevor ich meinen Teller auf den Couchtisch verbannte. Als ich mich zurückgelehnt hatte und Faye weitersprach, wurde mein Lächeln breiter… und wiederum zum Grinsen, als sie gewissenhaft auch das letzte Bisschen Zucker von ihren Fingern beseitigte. “Laut meinen Arbeitskollegen – vor allem Sam, der immer ein bisschen zu viel redet, auch wenn man gar nicht danach gefragt hat – gibt’s hier mehr als genug schöne Küstenabschnitte… sowohl wenn man nach Süden, als auch nach Norden aus der Stadt rausfährt. Irgendwo finden wir bestimmt ein Stück Strand, das schön und trotzdem nicht gnadenlos überlaufen ist… und so oder so ist der kalte Pazifik hier sicher sehr viel angenehmer als oben im Norden.”, zeigte ich mich optimistisch und legte einen Arm um Fayes schmale Schultern. Das Meer war auch hier unten nicht wirklich warm, aber bei richtig heißen Sommern hieß man das wahrscheinlich sogar sehr willkommen. Da wir nicht planten, Los Angeles wieder zu verlassen, würden wir nach ein paar Touren bestimmt einen Strand finden, der ein bisschen mehr Ruhe bot. Damit man das Meeresrauschen auch genießen konnte und nicht nur die Menschen ringsum brabbeln hörte. Von letzterem hatte ich bei größeren Veranstaltungen bei der Arbeit wirklich schon genug, das brauchte ich nicht auch noch in meiner Freizeit. Einer von vielen guten Gründen, nicht irgendwo mitten in die Innenstadt zu ziehen, wo sämtliche Gehwege tagsüber geflutet waren. "Ich schätze es macht auch Sinn, die Sommersaison eher mit Strandbesuchen als mit Wandern zu verbringen, das da sowieso nicht angenehm wäre. Soweit es die Arbeit zulässt, ist es mir auch wichtig, dass wir so gut es geht wieder fast jede Woche was unternehmen. An gute alte Gewohnheiten anknüpfen und so..." Ich machte die Augen einen Moment lang zu und lächelte einfach vor mich hin, während ich ganz bewusst über Fayes Oberarm streichelte. Genoss ihren Duft in der Nase, ihre Wärme, einfach den Moment. Wir hatten uns das schonmal vorgenommen, das mit dem jede Woche zusammen rausgehen, als es nicht besonders gut mit uns gelaufen war. Das hatte geholfen und auch, wenn es jetzt hoffentlich sowieso steil mit unserem gemeinsamen Leben bergauf ging, wollte ich das nicht wieder vernachlässigen. Es hatte damals zur Stabilisierung unserer Beziehung geholfen und das konnte es auch jetzt wieder.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Faye musste sofort wieder grinsen, als er seinen kaum ernsthaft vorhandenen Neid kundtat. "Wenn du so redest, werde ich dir erst recht mich ganz viel Freude jeden Abend erzählen, was für unglaublich tolle Spasssachen ich den ganzen Tag über gemacht habe, während du all die tollen Menschen mit zu viel Geld beschützt hast", summte sie fröhlich weiter, hauchte dann aber ihrerseits einen versöhnlichen Kuss an seine Halsbeuge. Wahrscheinlich würde ihn das noch nichtmal stören, Neid hin oder her. Victor war absolut nicht der Typ Mensch, der ihr einen Haufen toller Tage nicht gönnen würde. Das unterstrich er auch gleich selbst mit den Worten, die er dem sarkastischen Neid-Gerede nachschob. Er hatte schon recht. Verdienen fand sie zwar immer ein bisschen ein schwieriges Wort weil sehr schwer messbar, aber brauchen tat sie die freien Tage auf jeden Fall. Auch wenn sie sich etwas mehr Zeit als geplant für den Weg hierher gelassen hatte, war da doch noch Einiges, das sie bearbeiten musste, bevor ganz alles gut werden konnte. Schon nur um sicherzustellen, dass keine Geister der Vergangenheit sie in naher Zukunft wieder einholten, war noch etwas Arbeit erforderlich. Gut, dass auch der erste Call mit Mrs White in den nächsten Tagen folgen würde. "Ich... kann schon nicht leugnen, dass ich doch sehr froh bin, noch ein bisschen zur Ruhe kommen zu können, bevor das Leben hier auch für mich in allem Ernst wieder losgeht...", gab sie zu, was er bestimmt schon erwartet hatte. Wahrscheinlich würde es ihm an ihrer Stelle gleich gehen. Auch in seiner eigenen Situation wäre eine kleine Pause in diesem Moment sicher nicht falsch, aber das war halt leider nicht möglich, weil er gerade erst eine Pause gehabt hatte. Naja, wenigstens konnten sie sich aktuell ganz nach seinem Arbeitsplan richten und entsprechend auch das Maximum aus seiner Freizeit herausholen. Zum Beispiel, um den perfekten Strand vor zu sondieren, damit sie im Sommer direkt wissen würden, wohin sie sich verkriechen sollten, wenns überall, ausser am Wasser - und im klimatisierten Wohnungsinneren - zu warm wurde. "Vielleicht kann Sam dir dafür ja auch noch etwas konkretere Tipps geben..? Und sonst finden wirs selbst raus. Erfahrungsgemäss hilft es, wenn man ein bisschen zu Fuss unterwegs ist, um auch die weniger gut erreichbaren Buchten zu finden. Oder wir holen uns ein kleines Motorboot und suchen vom Wasser aus. Das wäre sicher auch lustig", sinnierte sie grinsend weiter, von der Vorstellung von ihnen beiden in einem Gummiboot mit Motor schon dezent amüsiert. Mussten sie nur aufpassen, dass sie nicht zu weit draussen auf dem Meer verloren gingen oder schlimmstenfalls irgendwo kenterten. Aber da der Sommer hier länger war als im Norden, hätten sie auch entsprechend mehr Zeit, um solche neuen Skills auszubauen und ausgiebig zu vertiefen. Zum Beispiel im Rahmen der wöchentlichen Ausflüge, die Victor im nächsten Moment wieder auf den Tisch brachte. "Find ich eine gute Idee, können wir gerne machen", stimmte Faye ihm, ohne wirklich darüber nachdenken zu müssen, zu. Ihre gemeinsame Quality Time war ihr spätestens seit seiner langen Abwesenheit absolut heilig. Es gab also rein gar nichts, was dagegen sprach, dass sie ganz bewusst mindestens einmal in der Woche ein Zeitfenster für genau das einplanten. Quality Time mit Spassfaktor ausser Haus, sozusagen. Auch wenn sie Kuscheln auf dem Sofa oder im Bett bekanntlich ganz genauso wertschätzte. Auf Dauer war beides absolut essenziell für eine gesunde Beziehung.
Ach, würde sie das? Ich sah Faye aus dem Augenwinkel heraus mit gehobener Braue an. “Nicht so schlimm, ich hör deine Stimme sehr gern…”, stellte ich fest, zuckte dann kaum merklich mit den Schultern und das Lächeln auf meinen Lippen wurde allmählich zu einem schmalen Grinsen. “Kann halt passieren, dass ich irgendwann nach ein paar Tagen auf Durchzug schalte, wenn sich die Spaßsachen allzu sehr wiederholen, aber ich geb’ mein Bestes.”, ich tätschelte ihren Arm ein bisschen neckend. Es passierte nicht oft, dass ich der Brünetten nicht richtig zuhörte, wenn ich ganz genau wusste, dass sie mit mir sprach. Meine Aufmerksamkeit gehörte ihr für gewöhnlich ganz von selbst und nur dann, wenn ich mich eigentlich gerade auf etwas ganz anderes zu konzentrieren versuchte, fiel mir das Multitasking mit dem gleichzeitigen Zuhören schwer. Das merkte sie inzwischen meistens schon selbst und entweder wiederholte sie sich dann ein paar Minuten später, wenn ich fertig war, oder ich unterbrach bewusst, was ich vorher getan hatte, wenn es nicht allzu wichtig war. So oder so würde ich ihrer Stimme in den nächsten Tagen aber ganz sicher nicht müde werden. Es war keine große Überraschung, dass Faye die arbeitsfreie Zeit sehr willkommen hieß. Ich nickte ein wenig vor mich hin, ehe ich etwas darauf erwiderte: “Kann ich sehr gut verstehen… ich hätte auch nicht nein dazu gesagt, hätte es sich angeboten.”, murmelte ich. Sie wusste, dass mich ihre erneute Entführung mitgenommen hatte, auch wenn ich dabei dieses Mal nicht mit von der Partie war. “Bekanntlich verdient sich mit ständig frei haben aber kein Geld.”, hängte ich ein bisschen ironisch an, damit das Ganze nicht so ernst klang. Ich wollte hier keine kippende Stimmung haben. Geld war natürlich nicht alles, doch es machte das Leben bekanntlich sehr viel bequemer und schöner. Das hatte mir auch der Urlaub auf den Malediven gezeigt, bei dem ich ausnahmsweise mal den zukunftsorientierten Geizkragen Zuhause gelassen hatte. Ich war mental noch nicht zurück auf dem hohen Level, auf dem ich nach meiner neunmonatigen Abwesenheit war. Dafür war noch nicht genug Zeit seit dem letzten halben Herzinfarkt vergangen und ich fühlte mich noch zu wenig angekommen in Los Angeles. Trotzdem war ich bis jetzt noch zuversichtlich, meine Psyche auch ohne Arbeitsabstinenz wieder in den Griff zu bekommen, wenn sich hier erstmal alles komplett eingependelt hatte und ein großer Haufen Stress wegfiel. “Außerdem freu’ ich mich darauf, in den ersten paar Tagen hier und da immer wieder über neue alte Deko zu stolpern, die vorher nicht da war.”, hängte ich mit einem Lächeln noch an. Die Kisten voll Dekokram warteten sehnlichst auf Faye. Sie würde auch hier wieder jedem Raum erfolgreich etwas von ihrem Charme einhauchen und ich freute mich darauf. Das machte alles noch viel mehr Zuhause. Was die Frage an Sam anging, wog ich leicht den Kopf hin und her, so als müsste ich diese absolut nicht folgenreiche Entscheidung tatsächlich noch abwägen. “Könnte ich machen… aber dann musste du damit rechnen, dass wir noch circa tausend weitere Empfehlungen bekommen und dass ich mich darüber auskotze, wie lange er mich zugetextet hat, sobald ich Zuhause bin.”, meinte ich sarkastisch. Mein Arm schob sich indessen unter ihrem hindurch, weil das noch einen Tick bequemer war… und weil ich sie so ein bisschen an der Seite, leicht oberhalb der Hüfte streicheln konnte. “Das Motorboot klingt aber definitiv auch nach Spaß für Tage, an denen wir keine Lust drauf haben, die Füße zu benutzen.”, dachte ich laut nach. Es kam auf den Job an, wie viel ich in Bewegung war. Manchmal saß ich viel im Auto, an anderen Tagen stand und bewegte ich mich viel – danach brauchte ich bestimmt nicht noch unbedingt eine Strandwanderung. Schon gar nicht im Hochsommer. Für solche Tage käme mir der Weg übers Wasser dann sehr gelegen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
"Weisst du... das war jetzt die absolut... Victor-typischste Antwort, die du mir darauf hättest geben können", Fayes Mundwinkel hatten sich sehr direkt nach seinem ersten Satz in ein breites Grinsen verzogen, mit dem sie ihn nun auch anschaute. Und weil sie so ziemlich jede Art von Schmeicheleien von Victor bekanntlich sehr gerne mochte, nannte sie ihn in ihrer Gleichung sogar bei seinem richtigen Namen und verzichtete auf eine weitere Erwähnung von Vicky. "Find ich gut. Find ich wirklich ausgesprochen gut", fügte sie an, um keine unnötigen Missverständnisse zu generieren. Die Brünette wandte sich ihm dabei noch etwas mehr zu und schlug kurzerhand beide ihrer Beine über seinen Schoss, da sie bekanntlich nie so ganz genug Körperkontakt haben konnte, wenn ihr Sitznachbar ihr Freund war. Dass er möglicherweise irgendwann nicht mehr zuhören würde, wenn sie zu oft die gleichen Dinge erzählte, nahm sie ihm spontan auch eher nicht übel. Wies dann in der Situation aussehen würde, liess sich schwer prognostizieren, aber dass das hier eher humorvolles Geplänkel als eine ernsthafte Sorge war, erklärte sich von selbst. "Schon nach ein paar Tagen? Ich dachte eigentlich das käme erst um Einiges später, wenn wir beide alt und senil sind und uns ständig die gleichen drei Geschichten von früher berichten?", zeigte sie sich nichtsdestotrotz überrascht von seiner Prognose und malte lieber gleich ein anderes Bild. Ein eigentlich schönes Bild - senil mussten sie natürlich nicht zwingend werden, aber irgendwann alt und noch immer zusammen klang schön. Wenn die drei ausgewählten Geschichten dann auch noch glücklichen Inhalts wären, fand sie diese Vorstellung durchaus reizend. Dass er nun keine Urlaubstage geniessen konnte, bloss weil sie ihre Reise in den Süden überstanden hatte, war natürlich schade. Aber dafür würden sie sicher im Frühling oder Sommer einen gemeinsamen Urlaub planen können. Und die unregelmässige Schichtarbeit, die ihnen beiden so vertraut war, ergab zwischendurch ja auch ein paar Tage frei am Stück - das war schon fast wie Urlaub. Zumindest jetzt, wo sie noch nicht arbeitete und sie seine Freitage vollumfänglich gemeinsam gestalten und geniessen konnten. "Ein Jammer. Da müssen wir echt noch dran arbeiten", seufzte sie ironisch im Bezug auf das fehlende Einkommen, sobald er seinen Arsch eben nicht mehr regelmässig zum Kunden bewegte. Einen Vorteil seiner Arbeitstätigkeit nannte er gleich darauf jedoch schon selbst: Sie konnte hier ungestört noch die ein oder andere Überraschung vorbereiten, was Einrichtung und Deko anging. Vielleicht auch in anderen Bereichen, da würde sie sich kreativ eher nicht zurücknehmen. Aber mal sehen, zurzeit galt mal wieder die strenge Devise, einen Tag um den anderen zu leben, nichts zu überstürzen, zugleich aber alles sehr bewusst zu geniessen und aufzunehmen, was die Wochen mit sich brachten. "Dann werde ich wohl eine Pause in den ganzen Aufzählungen meines Spassprogramms dafür einräumen müssen... tausend Empfehlungen klingt nämlich nicht per se falsch. Vielleicht kann er sie dir schriftlich geben, dann kann ich schonmal aussortieren, was für uns bestimmt nicht in Frage kommt. Wobei ich akut an wenig denken kann, das ich mit Sicherheit nicht ausprobieren möchte. Keine Escape Rooms und kein Haifischtauchen. Aber sonst...", sie zuckte mit den Schultern. Es würde immer Dinge geben, die sie mehr reizten und solche, die ihnen weniger entsprachen. Grundsätzlich waren sie beide in dieser Kombination eher nicht die Adrenalinjunkies schlechthin, aber komplett ausschliessen würde sie aufregende Aktivitäten trotzdem nicht. Sie waren ja auch keine totalen Langweiler. Das fehlende Bedürfnis nach endloser Aufregung liess sich in ihrem Fall wohl nur allzu leicht mit den paar zu vielen unfreiwilligen Schleuderstunden ihrer Vergangenheit erklären.
Ich war sofort versucht, nachzuhaken, ob was Victor-typisches denn etwas Gutes war. Dabei war das eigentlich dämlich. Faye und ich saßen vor allem deshalb noch immer hier zusammen, weil wir die Art des jeweils anderen unheimlich schätzten. Es mochte auch die Optik gewesen sein, die von vornherein für Anziehung zwischen uns gesorgt hatte, aber ich hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, ihr eigentlich sofort alles anvertrauen zu können. Faye war perfekt für mich. Mein Lächeln wurde trotzdem nochmal breiter, als sie extra betonte, dass es ihr bestens passte, wie gern ich ihre Stimme hörte und dabei noch mehr Nähe zu mir aufbaute. Als hätten wir das nicht beide schon vorher gewusst. “Die langen Telefonate sind unsere Zeugen.”, schmunzelte ich vor mich hin und streckte die bisher noch untätige Hand aus, um sie auf ihren äußeren Oberschenkel abzulegen. Egal wie stressig die letzten Tage und Wochen waren – dafür hatte ich mir Zeit genommen. Wenn man die Anrufliste aufrief, sah man das auf den ersten Blick. Als sie auf meine kurze Aufmerksamkeitsspanne zu sprechen kam, lachte ich dennoch leise in mich hinein. “Ich würde es an dieser Stelle dann gerne auf mein nicht multitasking-fähiges Geschlecht und/oder das zweifache Koma schieben.”, erwiderte ich wenig ernst gemeint, weil beides maximal semi-gute Gründe dafür waren, ihr nicht richtig zuzuhören. Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, ich könnte mich weniger gut konzentrieren als früher, aber vielleicht wurde ich auch einfach alt. Ich, mit meinen 30 Jahren. “Aber ist doch gut, wenn du dich schonmal drauf vorbereiten kannst, wie das so ist, wenn ich alles vergessen, was du erst eine Minute vorher gesagt hast. Hohes Demenzrisiko und so.”, hängte ich schief grinsend an, der Ton jedoch weiter humorvoll. Wir hatten jetzt schon einige schöne Dinge zusammen erlebt, an die ich mich gerne auch mit 80 noch erinnern würde, sofern ich es noch konnte. Vielleicht blieb ich ja auch von allem verschont, was die standardmäßige altersbedingte Vergesslichkeit anbelangte. Trotzdem glaubte ich, dass die meisten Storys aus den guten alten Zeiten eher Sachen waren, die wir erst noch erleben würden. Jetzt kam nämlich das erste richtig gute Kapitel und das bitte ohne weitere Zwischenfälle. Beim Nichtstun kein Geld verdienen zu können – sofern man nicht schon reich war und andere Menschen für sich arbeiten ließ – war wirklich ärgerlich, mussten wir aber erstmal so hinnehmen. Da war die Liste voll Activities, die mir Samuel möglicherweise geben konnte, von deutlich mehr Interesse für uns beide. “Da sind wir uns einig.”, bestätigte ich Faye überflüssigerweise in den beiden Dinge, auf die ich genauso wenig Lust hatte wie sie. “Ich glaube aber eher, dass ich das mitschreiben müssen werde, weil er mich wahrscheinlich gleich damit vollquasselt, sobald ich frage. Dann kann ich wiederum währenddessen schon weglassen, was wir ganz sicher beide nicht machen wollen… und du kannst anschließend dann rausstreichen, was du von den übrig gebliebenen Sachen nicht machen möchtest, solltest du doch noch was finden.”, dachte ich laut nach. “Sam wohnt schon sein ganzes Leben in Los Angeles. Er ist zwar mehrmals von hier nach da gezogen, aber das wird wahrscheinlich echt ‘ne lange Liste.”, sofern ich ihn eben nach den Strand-Tipps auch noch welche für ungefähr alle anderen Ecken vom Los Angeles County aufzählen ließ. Es wäre sehr viel Gequassel, mein Kollege würde sicher bei jedem Punkt noch ein bisschen was dazu erzählen. Trotzdem wäre es gar nicht so blöd, sich da gleich demnächst mal durchzubeißen. Dann hatten wir für die kommenden paar Monaten auf jeden Fall ausgesorgt, was unsere Ausflüge anging und brauchten dann nur noch zu gucken, wo wir dafür hingehen mussten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das konnte man in der Tat so sagen. Im kompletten Gegensatz zu ihrer letzten räumlichen Trennung, hatten sie sich während der letzten Wochen so gar nicht zurückgehalten, was das Telefonieren anging. Klar, es hatte Themen gegeben, über die diesmal vor allem Faye nicht ausführlich hatte sprechen wollen. Also eigentlich vor allem ein Thema und eben alles, was damit zu tun hatte. Victor kannte zwar die Zusammenfassung dessen, was bei ihrer - verdammt noch mal hoffentlich für immer letzten - Entführung passiert war, dass ihr körperlich bis auf das Würgen und zwei blaue Flecken rein gar nichts zugestossen war und natürlich auch, wer sie dort wie wieder rausgeholt hatte. Über die Gefühle und Emotionen, die sie damit verband und die dadurch bei ihr ausgelöst wurden, hatte sie sich bis anhin jedoch bewusst kaum unterhalten. Entsprechend hatte sie aber auch nur wenig nachgefragt, wie seine Seite diesbezüglich aussah und wie er damit klargekommen war. Er hatte anfangs etwas mehr geteilt als sie, aber sobald sie das Thema bewusst nicht mehr angesprochen hatte, war selbstredend auch von Victor nicht mehr viel gekommen. Dass hier noch ein ausführliches Gespräch fällig war, war ihnen sicher beiden bewusst. Nur jetzt eben nicht mehr übers Telefon, diese Etappe war erfolgreich überstanden, wie sie soeben mit frischen Zimtschnecken und Wasser gefeiert hatten. Ein guter Auftakt für alles, was jetzt kommen mochte und was sie bald auch sonst noch so zu feiern haben würden und woran sie sich hoffentlich beide noch lange erinnern würden. Die Sache mit seinem Demenzrisiko war ihr bewusst, aber sie waren sich sicher einig darin, dass es sinnlos war, sich heute schon darum zu sorgen. Erstens, weil es eine Sache war, die nur sehr beschränkt beeinflusst werden konnte und zweitens, weil sie jetzt erstmal eine sehr tolle Zeit vor sich hatten und diese nicht mit solchen, vielleicht ja auch unbegründeten Zukunftssorgen verseuchen wollten. "Ich möchte mich eigentlich lieber noch nicht zu sehr darauf vorbereiten, aber danke für dieses ungebetene Training", erwiderte sie sarkastisch, grinste ihn genauso schief an, wie er es umgekehrt gerade getan hatte. Und weil sie sich ihm dabei natürlich zugewandt hatte, liess sie sich auch die Chance nicht nehmen, sich noch etwas weiter vorzulehnen, um sich mal wieder einen Kuss von seinen Lippen zu holen. Die Finger ihrer linken Hand legten sich dabei ganz von selbst in seinen Nacken und strichen von dort aufwärts, vergruben sich in seinem dichten, vor allem am Haaransatz hinten jedoch ziemlich kurzen Haar. "Aber das hier darf auch auf keinen Fall je zu kurz kommen, okay?", fragte sie lächelnd an seine Lippen, bevor sie diese nochmal mit ihren verschloss. Neben all den Ausflügen, die Sam ihnen vorschlagen konnte und die sie planen wollten, waren Kuschelstunden trotzdem essenziell. Das Risiko, dass hier etwas verloren ging, war sicher sehr gering, da sie beide sehr nähebedürftig waren. Aber es war trotzdem wichtig. "Naja, wenn Sam ein sehr netter, unkomplizierter Mensch ist und du denkst, dass er dafür geeignete ist, unser erster gemeinsamer Besucher zu werden, kann er die Vorschläge ja vielleicht auch direkt uns beiden unterbreiten..?", Faye zuckte schwach mit der rechten Schulter, um ihren Vorschlag und gleichzeitig ihre damit verbundene Ahnungslosigkeit zu unterstreichen. Sie kannte Sam nicht und Victor konnte sicher besser einschätzen, inwiefern das eine gute Idee war. Aber soweit sie informiert war, stand sowieso für irgendwann auf dem Plan, dass Sam hier auf der Matte stehen würde, da er ihnen immerhin diese tolle Wohnmöglichkeit vermittelt hatte. Ob das zeitnah oder in ein paar Monaten geschah, spielte ihr im Grunde keine grosse Rolle. Es ging ihr bei weitem nicht so schlecht, als dass sie die nächsten Wochen über gar keine zwischenmenschlichen Interaktionen aushalten würde. Vielleicht nicht unbedingt tagelang, aber für die Dauer eines Besuches kam sie sehr sicher mit Gesellschaft klar.
Das Leben hatte uns schon ziemlich oft ungebeten trainiert, da machte die Sache mit meiner möglichen – wenn auch hoffentlich nicht eintretenden – Demenz gefühlt kaum noch einen Unterschied. Trotzdem waren Faye und ich uns einig damit, dass wir da nicht zu sehr drauf hin trainieren wollten und genauso wie sie widmete ich mich sehr viel lieber einem Kuss. Genoss dabei das Gefühl ihrer schmalen Finger zwischen den Haaren und spürte, wie ihre Zuneigung einmal mehr mein Inneres mit Wärme durchflutete. Daher bogen meine Mundwinkel sich schon leicht nach oben, bevor die zierliche Brünette ein paar Worte sagte, die wiederum zu einem noch breiteren Lächeln führten. Letzteres verflüchtigte sich nur deshalb bald wieder, weil ich wie zur Bestätigung den folgenden Kuss in die Länge zog und dabei auch meine Arme enger um sie legte. Es würde mich wundern, wenn wir beide uns nicht ohnehin ganz von selbst immer wieder die Nähe des jeweils anderen einholten, die wir brauchten. Nochmal ganz bewusst auszusprechen, dass wir daran auch weiterhin festhalten wollten und sollten, schadete dennoch nicht. “Niemals.”, hauchte ich an Fayes Lippen, als ich mich erstmals ein kleines bisschen von ihren Lippen löste, holte mir dann jedoch noch einen weiteren Kuss ab, um meine an sich knappe Antwort zu untermauern. Es brauchte nicht mehr Worte. Ich verschränkte meine Finger an ihrer Seite miteinander, als würde sie mir sonst gleich abhauen, während meine bessere Hälfte einen direkten Hausbesuch seitens meines Kollegen vorschlug. Ich musterte ihre Gesichtszüge dabei recht akribisch. Versuchte Anzeichen von Unsicherheit oder Ähnlichem daraus zu lesen, was einzig und allein daher kam, dass ich nicht besonders gut einschätzen konnte, wie es Faye mental aktuell wirklich ging. Sie wirkte gerade glücklich, aber sie wäre nicht die erste oder die letzte Person, die mit einer solchen Freude liebend gern vorübergehend das Dunkle wegsperrte, das in ihrer Seele noch auf Verarbeitung wartete. Da sprach ich bekanntlich leider aus Erfahrung. Übertrieben formuliert hatte ich einfach wenig Interesse daran, uns einen Arbeitskollegen ins Haus zu schleppen, wenn auch nur die kleine Möglichkeit darauf bestand, dass das Faye während des Besuchs selbst zu viel werden könnte. Leider konnte ich ihr trotzdem nur ins Gesicht und nicht in den Kopf sehen. “An und für sich würde ich ihn schon als unkompliziert einstufen, nur wie eben erwähnt als sehr gesprächig… wenn dir das nicht zu viel ist, hab ich natürlich nichts dagegen.” Ich klang neutral und zuckte nun meinerseits leicht mit den Schultern, während ich Faye unterbewusst wieder über die Seite streichelte. Wir mussten nicht hier und jetzt darüber reden, was innerhalb der letzten eineinhalb Wochen in unseren Köpfen herumgespukt hatte. Das war ein sicherlich längeres, eher anstrengendes Thema. Trotzdem brauchte ich zumindest eine winzige Absicherung ihrer mentalen Stabilität, die sie mir auch unmissverständlich vermittelte, bevor ich Sam irgendwann in nächster Zeit sagte, dass er gern mal vorbeikommen und auch meine Freundin kennenlernen durfte. Ich konnte Faye natürlich ansehen, dass es ihr nicht desaströs miserabel ging, weil das ganz anders aussah – das war aber trotzdem nicht gleichbedeutend mit stabil und bereit für einen möglicherweise sehr lang werdenden Nachmittag, weil Sam die Klappe nicht zu bekam und das Gespräch einfach nicht erstarb. Ich wollte unangenehme Momente für alle Beteiligten schlichtweg vermeiden.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das war ganz gut zu wissen - auch wenn sie sich das im Leben bestimmt schon zweitausend Mal versichert hatten und es kein Geheimnis war, wie sehr die körperliche Nähe des jeweils anderen für sie beide eine Droge war, die sie nicht missen wollten. Eine Droge, von der sie eigentlich sogar ganz gerne abhängig war, weil sie sich absolut perfekt für sie anfühlte, perfekt zu ihr passte. Und weil ein erneuter Entzug die Hölle wäre, die sie nicht nochmal durchlaufen wollte. Viel zu schön war das Wissen, dass seine Arme sich jetzt wieder mehr oder weniger jeden Abend um ihren Körper schlingen würden, sie seine Lippen wieder täglich schmecken konnte und seine Wärme sie in den Schlaf begleiten würde. Eben so ziemlich alles, was sie sich wünschte und entsprechend gerne lehnte sie sich hier an seine Brust, liess ihre Finger entspannt seine Haut streicheln und genoss das Wissen, so weit weg von alten Problemen mit ihm neu anfangen zu können. Faye hatte schon gemerkt, wie er sie gemustert hatte und konnte sich anhand seiner Worte auch ungefähr zusammenreimen, wonach er dabei gesucht hatte. Aber in dieser Hinsicht konnte sie Victor doch einigermassen beruhigen. "Ich denke schon, dass das gehen sollte... Sicher nicht heute oder morgen, aber im Verlauf der nächsten zwei, drei Wochen, warum nicht? Da ich noch nicht arbeite und das dann auch noch nicht tun werde, habe ich ja genug Zeit, um mich vorher und nachher zu erholen", konnte sie diesbezüglich Entwarnung geben. Sie zögerte ein paar Sekunden, blieb einen Moment still an ihn gelehnt sitzen und dachte kurz nach, ob sie hier noch weiter ausführen sollte. Grundsätzlich fände sie es schon schön, sich und ihn heute noch nicht unbedingt mit tieferen Themen zu belasten. Aber da er die nächsten Tage arbeiten musste, würde es sich dann wohl auch eher nicht viel mehr anbieten als jetzt. Und es wäre schon angemessen, gewisse Gefühle und Gedanken zeitnah auszusprechen und sie nicht zwischen ihnen stehen und wachsen zu lassen, bis sie mal einen gemeinsamen freien Tag hatten. Die Vergangenheit hatte relativ klar gezeigt, dass Offenheit und Transparenz in dieser Beziehung keine verhandelbaren Komponenten, sondern zwingend nötig waren. Sie hatte es jetzt schon fast zwei Wochen hinausgezögert, weil sie ein Telefonat für so persönliche, sensible Gespräche als unpassend erachtet hatte. "Es... es geht mir nicht so schlecht, Victor. Es ist wie gesagt sicher gut, dass ich noch etwas Zeit habe, um alles - inklusive Umzug und zu schnellem Abschied - zu verarbeiten. Und auch gut, dass Mrs White ihre Sitzungen ebenfalls über Zoom anbietet, damit ich auch zukünftig auf ihre Unterstützung zählen kann... Aber es wird wieder. Bis jetzt habe ich noch mit Temazepam geschlafen, aber hauptsächlich, weil ich sichergehen wollte, dass ich durchschlafe und nicht müde Auto fahre... ich werde es die nächsten Tage langsam absetzen und zähle ein bisschen auf deine Nähe als Wundermittel, um Albträume zu verscheuchen. Ich hoffe mal, das geht einigermassen reibungslos und dann bin ich bald wieder bei hundert Prozent.", versuchte sie möglichst sanft, ihm einen Einblick zu gewähren in den Teil ihrer Gefühlswelt, den sie die letzten Tage so elegant umgangen war. Dabei wanderten ihre Augen wieder zu seinem Gesicht, weil sie doch wissen musste, was sie damit bei ihm auslöste. Ob sie noch mehr teilen sollte oder ob jetzt vielleicht doch nicht der richtige Zeitpunkt dafür war. Ob sie nach seiner Seite fragen oder besser noch ein paar Stunden oder Tage damit warten sollte.
Heute oder Morgen wäre auch mir in jedem Fall zu früh gewesen. Nicht nur, weil ich selbst die Päckchen der letzten Tage und Wochen noch nicht abgearbeitet hatte, sondern weil ich die neu gewonnene Zeit mit Faye am liebsten erstmal zu zweit auskosten wollte. Ich hatte sie vermisst und auch, wenn man – gemeinsame – verlorene Zeit bekanntlich nicht aufholen konnte, wollte ich es zumindest versuchen. Meinen Alltag wieder gemeinsam mit ihr gestalten, soweit wie die Arbeit mir das erlaubte. Die Zeit auch in vollen Zügen genießen und schätzen, statt mich nur irgendwie alleine von einem Tag zum nächsten zu schleppen. “Das wäre mir sowieso auch zu früh.”, stellte ich erstmal beiläufig gemurmelt fest, während ich versuchte noch irgendwelche Haken in Fayes Wortwahl zu finden. Vielleicht merkte sie das. Vielleicht lag es daran, dass sie noch weiter ausholte. Oder vielleicht einfach daran, dass ich noch kein abschließendes ’Okay, dann lade ich ihn natürlich gerne ein’ von mir gegeben hatte und offensichtlich im inneren Alleingang versuchte, die Situation einzuschätzen – was ja sowieso nicht funktionieren konnte. Es war gut, dass Faye von sich aus den Schritt machte, mich zumindest oberflächlich in ihre Psyche und ihre Gefühlswelt blicken zu lassen. Während die zierliche Brünette erzählte, konnte ich einen tiefen Atemzug zum Ende hin nicht vermeiden. Es war niemals ein schönes Thema und wir hatten uns schon viel zu oft damit befassen müssen. Trotzdem war das Durchatmen gleichzeitig auch ein wenig Erleichterung zuzuschreiben. Ich freute mich nie, wenn meine bessere Hälfte unter hundert Prozent war, aber es könnte Faye unter diesen Umständen sehr viel schlechter gehen. Das war es auch, was ich mir unterm Strich nach ihrer Erzählung mit einem Neonschild vor Augen halten wollte: Das Gute, nicht das Schlechte. “Das erleichtert mich.”, zog ich erst nur ein kurzes Fazit, aber der Ansatz eines Lächelns umspielte dabei schon meine Mundwinkel. Ich löste meine Finger nach kurzem Zögern wieder voneinander, um eine Hand stattdessen an Fayes Wange zu legen und über ihre weiche Haut zu streicheln, während ich ihren Blick erwiderte. “Auch wenn ich mit regelmäßiger Schlafenszeit aktuell leider nur selten dienen kann, was für das Absetzen wahrscheinlich nicht unbedingt hilfreich ist.”, seufzte ich leise, was das Lächeln etwas angespannter aussehen ließ. Ich machte Faye gewiss keinen Vorwurf dafür, auf dieses medikamentöse Hilfsmittel zurückgegriffen zu haben. Viel lieber das, als dass sie mir hinterm Steuer einschlief. Ich fürchtete nur ein bisschen darum, dass ich ihr beim Absetzen keine so große Hilfe sein konnte, wie sie sich das erhofft hatte. Wenn sie nicht unnötig ewig lang mit dem Schlafen auf mich warten wollte, wenn ich eine Nachtschicht schob, würde ich manchmal erst spät zu ihr unter die Decke schlüpfen können. Ich musste mir den Dienstplan für die nächsten Tage nochmal genau ansehen, am besten taten wir das gemeinsam – unter all der Vorfreude auf Fayes Ankunft war mir gefühlt die Hälfte davon schon wieder entfallen. Was Termine anging, war ich wirklich dankbar fürs digitale Zeitalter. “Möglicherweise werde ich dir die ersten ein oder zwei”, oder mehr, “Tage in meiner Abwesenheit schrecklich auf die Nerven gehen. Obwohl ich jetzt schon ein paar Tage hier wohne und gemerkt habe, wie ruhig die Nachbarschaft ist… naja.” Ich rollte über meine eigene Paranoia flüchtig die Augen nach oben und machte einen weiteren, etwas tieferen Atemzug. Streng genommen war es sehr gegen die Arbeitsrichtlinien, immer wieder aufs Handy oder auch nur die Smartwatch zu sehen. Das waren ein, zwei Sekunden, in denen sich eine Situation komplett drehen konnte. Ich würde das auch nie machen, wenn die Art des Jobs es mir nicht erlaubte und ich keine Pause hatte, weil ich dafür viel zu verantwortungsbewusst war – aber während ich außerhalb eines Meetings auf den reichen Schnösel wartete, der im Anschluss wieder woanders hin eskortiert werden wollte, was sollte da beispielsweise schiefgehen? Meine neu entfachte Paranoia würde in derart ruhigen Minuten, in denen ich sowieso bloß rumstand und wartete, förmlich danach schreien, eine kurze Vergewisserung von Fayes Wohlergehen zu erhalten. Trotzdem hatte ich die Hoffnung, dass sich mein Verlangen danach schnell beruhigen würde. Mit einem stabilen Alltag würde auch mein stabiles Gemüt zurückkommen. Ich brauchte nur einen Rhythmus, an den ich mich halten konnte, um zurück in die Erfolgsspur zu kommen. Dazu gehörte vor allem, Faye jeden Tag unbeschadet Zuhause vorzufinden, egal zu welcher Uhrzeit.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Auch das war zu erwarten gewesen und verstand sich ein bisschen von selbst, wie auch Victors Tonlage verriet. Natürlich war Besuch in den nächsten Tagen eher nicht geplant oder gewünscht - schon gar nicht, wenn dieser ausgedehnt ausfallen könnte, wie das bei Sam scheinbar der Fall war. Gegen einen zeitnahen Kaffee mit ihren Nachbarn sprach hingegen nicht viel, aber vielleicht würde Faye dafür auch einen Vor- oder Nachmittag nutzen, an dem Victor abwesend war. Zumindest mit Mel könnte sie schonmal ein bisschen quatschen - für ein Treffen zu viert müsste vielleicht sowieso ein Datum vereinbart werden, je nachdem wie viel Brent denn wirklich arbeitete und wie Victors und später irgendwann auch ihre eigenen Schichten ausfielen, fand das sonst ewig nicht statt. Aber sonst war sie grundsätzlich schon erpicht darauf, hier möglichst bald auch sozial einen guten Anschluss zu haben. Sie wusste, dass ihr die Abwechslung gut tat und sie grundsätzlich ein geselliger Mensch war. Sie brauchte Freundinnen, mit denen sie sich austauschen und Zeit verbringen konnte. Mit denen sie auch normale Dinge unternehmen konnte, losgelöst von allem, was bisher passiert war und was sie mitbrachte. Auch wenn alles davon sekundär war oder sogar erst an dritter Stelle stand. Eindeutig nach allem, was sie mit Victor nachholen und erleben wollte und auch nach der ganzen Arbeit, die sie mit sich selbst noch vor sich hatte, um die dringend nötige gesunde Basis zu schaffen. "Gut, dann kommt wohl auch Sam auf die Liste für ein bisschen später", meinte sie lächelnd und ein bisschen ironisch, weil eine solche Liste - wie so viele andere Listen, von denen sie immer wieder so gerne sprachen - eigentlich nur in ihren Köpfen existierte. Und darum gingen auch laufend Dinge darauf vergessen oder wurden kurzum mit anderen Dingen ersetzt, wenn sie an Wichtigkeit verloren. Auch ein Punkt auf einer dieser Listen war definitiv, dass sie sich gegenseitig über ihr Wohlbefinden und ihre psychischen Standpunkte updateten. Dieser Punkt war im Gegensatz zu vielen anderen auch nicht verhandelbar, sondern dringend nötig und das möglichst zeitnah. Victors Reaktion auf ihre Worte verdeutlichte das gleich auf zwei Ebenen nochmal klarer. Zum einen folgte weder wörtlich noch nonverbal ein Zeichen dafür, dass er gerade noch nicht darüber sprechen wollte. Zum anderen liess seine gut hör- und spürbare Atmung vermuten, dass er mit weitaus schlechterem Bericht ihrerseits gerechnet hatte oder zumindest nicht gewusst hatte, was er erwarten sollte. Er bestätigte die Erleichterung gleich auch noch wörtlich und auch auf Fayes Gesichtszügen zeigte sich ein sanftes Lächeln, als sie seine Finger an ihrer Wange spürte. Eine zarte Berührung, die ihre Haut warm prickeln liess. "Das hab' ich schon ein bisschen befürchtet... schlimmstenfalls schlaf' ich dann halt tagsüber nochmal mit dir, wenn ich nachts nicht recht zur Ruhe komme. Glücklicherweise lässt mein Zeitplan das aktuell eiiinigermassen zu.", zeigte sie sich nur mässig besorgt ob der Tatsache, dass er leider auch Schicht arbeitete und nicht jede Nacht neben ihr im Bett liegen würde. Das Absetzen der Benzos würde dadurch kaum gefährdet werden - die Packung hielt nicht mehr lange hin und eine neue würde es nicht geben, das hatte sie mit sich vereinbart und daran würde sie auch festhalten. "Kann dann halt umgekehrt auch sein, dass ich dir des nachts auf der Arbeit auf die Nerven gehe, wenn ich nicht schlafen kann", stellte sie ihm das ähnlich grosse Risiko von zu viel Textnachrichten entgegen. Da ihre Albträume meistens ähnliche Inhalte mit sich brachten und immer entweder von ihrem eigenen Elend, von Aryana oder - leider eben auch sehr populär - von Victor handelten, war es unter Umständen schon hilfreich, wenn sie sich versichern konnte, dass es ihm gut ging. Auch wenn es meist wenig unterstützend in der Schlafförderung war, sich nachts ans Handy zu setzen. Direkt nach dem Hochschrecken aus einem Albtraum war Schlaf aber sowieso für mehr als fünf bis zehn Minuten kein Thema mehr, wenn sie nicht direkt wieder dort anknüpfen wollte, wo sie aufgehört hatte. "Ich weiss, ich hätte vielleicht schon etwas früher mit dir darüber reden sollen...", liess Faye noch ein paar etwas ernstere Worte fallen, um das Thema nicht gleich wieder ins Lächerliche zu ziehen. Es war kaum schon alles gesagt, was zu sagen übrig war und das wussten sie beide. Sie hatte nicht den Anspruch, heute alles zu klären - aber es gab doch noch zwei, drei Sachen, die ihr heute schon wichtig waren. "Es hat sich nur wirklich nicht angeboten übers Telefon. Und ich habe die ersten Tage versucht, alles zu verdrängen, um in Seattle das, was noch nötig war, zu Ende zu bringen... Ich wollte auch nicht übermässig emotional mit dir über das reden, was passiert ist. Und das hätte sich kaum verhindern lassen, wenn ich direkt danach angerufen hätte", was ja letztendlich nicht nur durch ihren Unwillen, sondern eher auch durch ihren toten Handyakku verhindert worden war. Aber sie war im Nachhinein trotzdem froh drum gewesen - es hätte ihn absolut unnötig besorgt, obwohl er nichts hätte tun können hier unten. Faye seufzte leise, streckte dann ihrerseits die Finger nach seinem Gesicht aus, um ihre Hand an seine Schläfe zu legen und mit dem Daumen über seine Haut zu streicheln. Ein paar Sekunden schaute sie ihn nachdenklich an, dann stellte sie die sehr simple Frage doch, die ihr schon die ganze Zeit mehr oder weniger auf der Zunge lag. "Wie geht es dir..?", Menschen fragten das ständig. Mal mehr, mal weniger interessiert, meist nicht mit dem Bedürfnis, wirklich viel zu erfahren über ihr Gegenüber. Dass das hier anders war, lag auf der Hand. Sie wünschte doch sehr gerne ein umfangreiches Update. Oder einfach so viel, wie er in diesem Moment mit ihr teilen oder losreissen wollte.