Ich weiß auch noch nicht, ob ich den Laptop diesmal mitnehme. Ich glaube das hängt stark davon ab, wie das Wetter werden soll – aktuell schwankt die Prognose noch täglich. :’D ____________
Der Brünetten war genauso nach Seufzen zumute wie mir. Trotzdem war da immerhin schon ein winziges bisschen Sarkasmus zu hören und das konnte ich als eher gutes Zeichen verbuchen. “Mehr erwart’ ich auch gar nicht von dir.”, wollte ich Aryana dennoch wissen lassen, dass ich es bestens verstand, wenn sie mir – zumindest anfangs – nicht sehr aktiv dabei helfen würde, sie wieder aus dem Dreck zu ziehen. Irgendwann musste sie bewusst eigene Schritte nach vorne machen, das konnte ich ihr nicht abnehmen. Sie war aber offenbar sogar noch erschöpfter als ich von den letzten Monaten, also konnte sie sich im übertragenen Sinne ruhig erstmal von mir Huckepack nehmen lassen und das Kinn auf meiner Schulter ablegen. So lang, wie sie es brauchte. Auch wenn ich stark hoffte, dass das nicht ewig sein würde, weil meine Beine sonst früher oder später nachgeben würden. Zu wissen, dass Aryana mich brauchte und ich für sie da sein musste, wenn ich sie nicht verlieren wollte, machte etwas Platz auf meinen übervollen Schultern. Es schob meine eigene Last aber nur temporär beiseite, die verschwand nicht einfach. Mit dieser Illusion war ich jetzt schon so oft auf die Schnauze gefallen, dass ich sie nicht mehr glaubte. Bezüglich unserer ausstehenden freien Tage konnte Aryana nicht mit Informationen dienen, was mir noch deutlicher machte, wie sehr sie den Kopf verloren hatte. Dass sie wirklich völlig planlos zu ihm gegangen sein musste, wie sie mir kurz darauf mitsamt Entschuldigung erzählte. Es hätte, was das anging, nicht unbedingt eine Entschuldigung gebraucht. Sie zu hören tat trotzdem gut und ich merkte, dass ich ihr diese Aktion daraufhin gleich noch viel weniger übel nahm, als es ohnehin schon der Fall war. Ihre Worte führten zusammen mit dem Streicheln an meiner Wange sogar zu minimal angehobenen Mundwinkeln, ungeachtet der ernsten Situation. Noch bevor ich irgendwas sagte, lehnte ich mich Aryana für einen weiteren, diesmal etwas längeren, sanften Kuss entgegen. Wahrscheinlich hätte es danach auch gar keine Worte mehr gebraucht, weil ich absolut nicht zum Rumknutschen neigte, wenn ich ernsthaft angefressen war. Wenn das jemand wusste, dann Aryana. Ich streichelte ihr weiter über die Seite, als meine Lippen wieder von ihren löste und ich in ihre dunklen, zu schuldbewussten Augen sah. “Ist nicht so schlimm… ich weiß ja, wie’s ist, wenn man nicht mehr klar denken kann. Zerbrech’ dir darüber nicht auch noch den Kopf, das musst du nicht.”, brachte ich ihr volles Verständnis entgegen, ohne das kleine Lächeln fallen zu lassen, weil ich das Boot, in dem sie aktuell saß, gefühlt in- und auswendig kannte. Und ja, vielleicht war es wirklich nötig gewesen, dass das passierte – vor allem für Aryana, um sie wachzurütteln, aber auch für Ryatt. Vielleicht bekam er den Arsch jetzt hoch und setzte sein bisher nur pseudogenial präsentiertes Hirn auch tatsächlich mal ein. “Was die freien Tage angeht, fragen wir Ryatt dann einfach. Wir müssen ja sowieso noch mit ihm reden deswegen.”, tat ich auch das erstmal ab. Danach hob ich die freie Hand und strich meinerseits über die allmählich getrocknete Wange der Brünetten, die sich dank der Tränen nicht so seidig weich wie sonst und erhitzt anfühlte. Einen Moment lang suchte ich in ihren Augen stumm nach den Antworten, die wir beide bisher vergebens suchten. Nach einer einfachen Lösung dafür, wie ich ihr helfen konnte, obwohl ich wusste, dass gar nichts davon sowas wie leicht werden würde. „Wenn du das nächste Mal aufwachst, weil du Alpträume hast… weck mich bitte, falls ichs nicht merke.“, nuschelte ich zu Aryana runter und setzte einen Kuss an ihre Stirn. Es war ja nicht so, als würden wir nicht beide merken, wie der jeweils andere sich durch die Laken quälte. Meistens quälten wir uns dann jeder für sich allein weiter durch die Nacht, weil auch das Kuscheln wieder abgenommen hatte. Natürlich waren wir wenig Schlaf gewöhnt, doch gerade die Brünette brauchte ihre körperliche Energie dringend. Zusätzlich zum psychischen Ruin auch noch physisch am Ende zu sein, war nie gut. Ich brauchte natürlich genauso dringend wieder sowas wie erholsamen Schlaf. Von mir wusste ich jedoch mit Sicherheit, dass ich nicht von der Klippe springen würde, solange Aryana es nicht tat. Ich opferte vorübergehend also liebend gerne etwas von meinem Schlaf, wenn es ihr half, wieder auf die Beine zu kommen.
Jaaa scheiss Wetter ey, das macht mich aktuell also nicht so glücklich... :'( Ich hoffe in diesem Sinne entsprechend schwer für dich, dass du den Laptop zuhause lassen kannst. x'D _______
Das war sicher auch besser für sie beide, da sie eben auch nicht mit mehr dienen konnte. Am Leben bleiben und irgendwie funktionieren war ja scheinbar schon fast zu viel verlangt, da überraschte diese Aussage sicher keinen mehr. "Gut... Dann sollte ich dich nicht enttäuschen", versuchte sie sich erneut an vagem Optimismus. Eben in dem Mass, an das sie aktuell gerade so glauben konnte. Mitch bereitete diesen Gefühlen ein weiteres bisschen Aufschwung, indem sie tatsächlich spürte, wie seine Mundwinkel sich aufwärts verzogen. Sie wusste nicht genau, woher das jetzt kam, aber unterstützen tat sie es auf jeden Fall. Umso süsser war der Kuss, den sie gleich darauf von ihm geschenkt bekam und den sie nur zu gern mit den gleichen Gefühlen erwiderte. Er machte es ganz schön leicht, seinen anschliessenden Worten zu folgen und sich eben nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Das war ohnehin keine Schuld, die sie längerfristig belasten würde. Sie hatte es nur klarstellen und sich eben entschuldigen wollen, weil es aus ihrer Sicht doch nicht wirklich richtig gewesen war. Aber eben auch ungeplant und unbeabsichtigt, weshalb die Sache mit der Entschuldigung und seinen Worten erledigt sein sollte. War ohnehin nicht so, als würde ihre Seele noch irgendwas Zusätzliches an Schuldgefühlen tragen können. "Danke", murmelte sie ein einzelnes Wort zur Antwort und schob dem ebenfalls einen sanften Kuss nach, der besiegelte, dass die Sache in erster Instanz erledigt war. Längerfristig mussten sie beide natürlich daran arbeiten, dass sie die erste Anlaufstelle füreinander wurden und nicht irgendwelche Fayes und Ryatts oder wer auch immer im ungünstigsten Moment ihren Weg kreuzte. Aber das wussten sie bereits. Und daran arbeiteten sie sowieso, weil es das war, was Mitch vorhin mit wieder mehr zusammenrücken gemeint hatte. Ihre noch nicht vorhandene Freizeitplanung und ihr Unwissen betreffend Urlaubstagen nickte sie schliesslich einfach ab. Das Gespräch mit Ryatt würde helfen und sie ging mal ganz optimistisch davon aus, dass sie sich bis dahin wieder relativ gut im Griff haben sollte. Einfach weil sie solche Gefühlsausbrüche von sich selbst überhaupt nicht kannte und sich kaum vorstellen konnte, zweimal innerhalb kürzester Zeit sowas hinzulegen - in Ryatts Anwesenheit. Mitch konnte sie diesbezüglich keine Versprechungen machen, jetzt wo die Wahrheit erstmal auf dem Tisch lag und sie beide definitiv wieder öfter über die ganze Scheisse, in der sie steckten, sprechen mussten. Allein sein Blick mit den vielen Fragen sprach deutlich genug aus, was alles noch ungeklärt im Raum stand. Dinge, auf die sie gar keine Antworten hatten, jedoch dringend gemeinsam nach welchen suchen sollten. Und das Schlüsselwort war dabei definitiv gemeinsam. Wie sie auch die Nächte wieder gemeinsam durchstehen sollten, auch wenn sie beide ständig aufwachten. "Sollten wir wohl beide tun... vielleicht würden wir dann auch weniger aufwachen", klang im ersten Moment eher unlogisch, aber wenn sie aufhörten, sich schon vor dem Einschlafen voneinander abzuwenden, würde die Nähe ihres Lieblingsmenschen ihnen vielleicht wenigstens ein bisschen besseren Schlaf bescheren. Eine Versuch wars jedenfalls wert. Schön, dass sich schon sehr bald die nächste Gelegenheit dafür bot, da ihr hier nämlich langsam kalt wurde. Auch wenn sie fast auf Mitch drauf sass und nicht wirklich aufstehen wollte - in ein paar Minuten würde es wohl trotzdem Zeit werden. Körperlich brauchten sie ja nicht auch noch krank zu werden. Nun wanderte ihr Blick aber doch erst nochmal in die Ferne, sie blickte an den Horizont und bemühte sich um tiefe Atemzüge. Versuchte, ganz da zu sein und den Moment wahrzunehmen, ohne sofort wieder zu tief in ihrem Kopf zu versinken. Sie musste sich wirklich konzentrieren und endlich wieder daran glauben, dass es auch ein gutes Ende für ihre Geschichte geben konnte. "Ich liebe dich, Mitch.", murmelte sie irgendwann die paar Worte in die Nacht, an denen sie nie gezweifelt hatte, die so sicher wie das Amen in der Kirche standen. Sie hatte das alles sehr ernst gemeint vorhin. Wenn sie es mit irgendwem schaffte, dann mit ihm. Wenn sie es mit irgendwem schaffen wollte, dann mit ihm. Und sie war froh, dass sie das alles nun gesagt hatte. Auch wenn sie nicht daran geglaubt hatte, fühlte sich ihr Herz doch wesentlich besser an als vorhin. War sie ein bisschen zuversichtlicher. Etwas weniger allein in dieser endlosen Dunkelheit.
Ist hier ähnlich. Hat die letzten drei Wochen quasi durchgeregnet da wo ich wohne. :’) Hier oben regnets eigentlich auch jeden Tag n bisschen, aber nicht viel. Sonne ist halt leider fast gar nicht und der Wind machts wie immer gefühlt noch kälter. :/ ____________
Ich war mir nicht sicher, ob Aryana mich überhaupt jemals richtig enttäuschen könnte. Natürlich wäre es mir lieber, sie hätte zuerst mir von ihren doch ziemlich großen Problemen berichtet, aber das war schon verziehen. Dank der Entschuldigung und dem nächsten kleinen Kuss hatte ich Hoffnung darauf, dass sowas nicht wieder passierte. Der Dank hingegen war eher überflüssig. “Nicht dafür… du hast mir schließlich schon so einigen Mist verziehen.”, erwiderte ich mit einem etwas schiefen Lächeln. Es würde sicherlich noch weitere Male vorkommen, dass die Brünette mir irgendeinen Unfug durchgehen lassen musste – nach kurzem Tadel, versteht sich. Ich sah mich aktuell weder im richtigen Alter, noch in der richtigen mentalen Verfassung fürs nie wieder Scheiße bauen. Irgendwann würde ich da vielleicht noch rauswachsen, wenn das Leben endlich damit aufhörte, mir Trotz-Handlungen zu entlocken. Die Angelegenheit mit Ryatt war mit ihrem Nicken vorerst ebenfalls abgehakt und wenn wir uns beide einen Ruck gaben, dann wäre unser Schlaf vielleicht wirklich beiderseits besser. Im Grunde wartete ich von jetzt an nur darauf, dass ein Alptraum aufkam, in dem meine bessere Hälfte tatsächlich in den endgültigen Abgrund sprang. Ob ihre Nähe ausreichte, das zu vermeiden? “Einen Versuch ist es wert.”, murmelte ich mit einem minimalen Schulterzucken. Konnte sein, dass wir überhaupt keinen Unterschied dadurch merkten, aber schlimmer konnte es kaum werden. Außerdem vermisste ich es. Ich verstand, woher der Abstand und die Kälte kamen und trug selbst meinen Teil dazu bei, aber anders wars schöner. Leider hatten unsere guten Phasen bisher nie lange angehalten. Ich schloss mich der vorübergehenden Stille an, streichelte Aryana weiter über die Seite und lehnte meinen Kopf zwischenzeitlich etwas mehr an ihren. Machte immer wieder die Augen zu, versuchte den Geruch der schlanken jungen Frau nicht aus der Nase zu verlieren und einfach in der schon wieder verlorenen Nähe zu versinken. Ihre Worte zupften letztendlich ein weiteres Mal sanft an meinen Mundwinkeln. “Ich liebe dich auch…”, beteuerte ich ihr dieselben Gefühle und fing ein paar Sekunden später sogar minimal zu grinsen an. “...Herzkäferchen.”, fügte ich an und schielte zu ihr rüber. Ich würde nie vergessen, wie sie diesen bescheuerten Spitznamen damals wenig ernsthaft vorgeschlagen hatte. Bis heute hatte ich leider noch keinen würdigen Ersatz für Maria gefunden, also musste diese eher unbrauchbare Alternative jetzt leider mal wieder herhalten. Es weckte bei mir immer eine angenehm unbeschwerte Erinnerung. Davon hatten wir beide noch nicht so viele, deshalb waren die Gedanken daran umso wichtiger. Als dann schließlich doch ein leichter Wind über die Anhöhe wehte, zog ich den Kopf instinktiv etwas tiefer in den Kragen der windfesten schwarzen Jacke. Im Sitzen kühlte man schnell aus und jetzt, wo Aryanas Geständnis vollständig zu sein schien und sie sich beruhigt hatte, sollten wir wohl zurück zur Wohnung. Unsere vier Wände fühlten sich nicht so sehr nach einem Zuhause für mich an, wie sie es sollten. Vielleicht war schon zu viel dort passiert. Trotzdem führte kein Weg an der Rückkehr vorbei. „Willst du frieren oder gehen wir?“, fragte ich Aryana ein bisschen ironisch, bevor ich die freie Hand hob und den Reißverschluss bis unters Kinn hochzog.
Ah das ist schade ._. Diese Woche war hier etwas besser... also nicht immer, aber heute wars schön. x'D Hoffe aber, du kannst es trotzdem geniessen! __________
Das konnte sie ohne darüber nachzudenken absolut so unterschreiben, ja. Aber hatte ja nicht unbedingt etwas miteinander zu tun - sie war trotzdem dankbar für sein Verständnis, auch wenn sie ihm solches ebenfalls schon oft gezeigt hatte. Und vielleicht war das Danke auch auf die ganze Situation bezogen gewesen und nicht nur dafür, dass er ihre Entschuldigung angenommen hatte. Dass er hier mit ihr lag, ihr zugehört und sie getröstet hatte, dass er versuchen wollte, mit ihr gemeinsam nochmal hoch zu kommen. Sie sah das alles nicht als selbstverständlich, auch wenn er vieles davon umgekehrt ebenfalls schon erfahren hatte. Trotzdem erwiderte sie nichts mehr ausser dem schiefen Lächeln, dass sie genauso erwidern konnte. Sie hatten beide schon viel Scheisse des jeweils anderen durchgemacht und waren eben trotzdem noch immer zusammen unterwegs und gaben sich Mühe, gemeinsam weiter zu stolpern. Oder eben auch mal gemeinsam müde auf einem Hügel zu sitzen und in die Ferne zu blicken, zwischendurch etwas die Augen zu schliessen und mit der Nähe des jeweils anderen zu versuchen, auf dieses Chaos, das sich Leben nannte, klar zu kommen. Keine leichte Aufgabe, soviel sei gesagt. Aber leichter mit einem Mann an ihrer Seite, der sie Herzkäferchen nannte, als alleine. Sie erwiderte sein kleines Grinsen mit einem unseriösen Augenrollen, gefolgt von einem halbherzigen Luftkuss. "Hoffentlich mehr als damals... Irgendwann nach ein paar Cocktails an einem Strand in Australien", meinte sie ein bisschen verträumt, was der süssen, unschuldigen Erinnerung allein zuzuschreiben war. Irgendwie wirkten die Probleme, die sie damals noch gehabt hatten, im Vergleich zu dem, was sie heute beschäftigte, wesentlich geringer. Wahrscheinlich war das nur ihre aktuelle Empfindung, Syrien war auch ein Dreckloch gewesen. Aber so unbeschwert wie damals in diesem ersten gemeinsamen Urlaub hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt... Sie würde sehr sehr viel dafür geben, nochmal mit Mitch nach Down Under zu fliegen und sich ein zweites Mal ungeschickt im Busch zu verlaufen. Sich am Strand zu betrinken - mit positivem Motiv, nicht so wie sie das aktuell etwas zu oft zu tun pflegte. Sich von ihm den Bikiniknoten aufziehen zu lassen. Sich gegenseitig zum unfreiwilligen Tauchen zu zwingen. Diese unendlichen Strassen entlang zu fahren und ab und zu Kängurus zu beobachten. Hätte sie das in Aussicht, wäre das ungelogen eine Belohnung, für die sie sogar noch etwas länger als nur drei Monate durch den Sumpf waten würde. "Irgendwann machen wir das wieder...", gab sie ihrem Gedankengang murmelnd Ausdruck, hatte den Blick dabei wieder abschweifen lassen. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, ob das überhaupt noch möglich war für sie beide mit ihrem unsauberen Strafregister. Doch das war alles Zukunftsmusik. Aktuell sassen sie noch auf diesem Hügel, auf dem der Wind und die fehlenden Sonnenstrahlen langsam aber sicher jegliche Gemütlichkeit vertrieben und mit Kälte ersetzten. Somit war die Antwort auf die unausweichliche Frage, die er etwas später stellte, schnell klar. "Ist wohl Zeit, nachhause zu gehen", seufzte sie, brauchte dann aber doch nochmal ein paar Sekunden, um sich wirklich hoch zu kämpfen, sich von Mitch zu lösen und auf die Beine zu kommen. Die Decke hatten sie schnell ausgeschüttelt und wieder gefaltet, womit sie den kurzen Abstieg wagen konnten. Glücklicherweise war es noch nicht komplett dunkel und der Mond relativ hell, wodurch vermieden werden konnte, dass sich einer von ihnen mit einem Misstritt auf dem unebenen Grund noch einen Knöchel stauchte oder was auch immer. Sie kamen heil unten an, die Decke nahm wieder ihren Platz im Kofferraum ein und Aryana fand sich erneut auf dem Beifahrersitz wieder, um Mitch den Vortritt beim Fahren zu gewähren. Auch wenn sie sich jetzt besser und weniger aufgewühlt als vor dem kleinen spontanen Ausflug fühlte, überliess sie ihm das Steuer gerade gerne. Jetzt wo sie sich doch eigentlich gegen das sofortige Sterben entschieden hatte.
Tja also heute war die Sonne da und guessss wer jetzt einen dummen Sonnenbrand im Gesicht vom Training an der frischen Luft hat, weil er nicht mehr damit gerechnet hat... it me. :'D Morgen solls viel regnen, aber das' nicht so schlimm, weil sowieso nochmal Familie vorbei kommt... und dann muss ich schon wieder nach Hause. :') _____
Das Augenrollen war ein weiteres gutes Zeichen in Richtung Stimmungsaufschwung. Ein winziger Lichtschweif am Horizont. Aryanas Tonlage ließ mich erst recht in Erinnerungen schwelgen – irgendwo am anderen Ende der Welt, leicht beschwipst mit den Zehen voller weißem Sand und nicht viel mehr als Unfug im Kopf. Ich war eine Weile bei einer anderen Frau gewesen, in dieser Nacht. Ihr Name war nicht hängen geblieben, weil er mich nicht interessiert hatte. Es war schon witzig, wie Aryana und ich nur über gefühlte tausend Umwege zueinander gefunden und wie lange wir beide die Augen ganz fest zugedrückt hatten. Aus Angst vor Gefühlen, die heute nicht viel weniger als fast unser einzig wirklich wichtiger Lebensinhalt waren. “Du hast mir damals schon mehr bedeutet, als ich zugegeben hätte.”, stellte ich ein bisschen ironisch fest. “Aber ja: Es ist manchmal fast schon gruselig, wenn ich merke, dass… ich dich wegen irgendwelcher dämlichen Kleinigkeiten noch mehr liebe als vorher. Immer wieder.”, schmunzelte ich in mich hinein. Schon in Australien hatte es diverse kleine Anzeichen dafür gegeben, dass ich Aryana in eine andere Schublade steckte als sämtliche anderen platonischen Freunde. Umso unangenehmer war die Tatsache, dass ich vermutlich niemals wieder einen Fuß auf australischen Boden setzen konnte. Doch das sagte ich nicht. Nicht jetzt, wo Aryana wieder ansatzweise positiv zu denken versuchte. Es reichte schon, dass ich mich auf der verzweifelten Suche nach einem winzigen Regenbogen in der Dunkelheit neulich selbst mit den Ergebnissen einer kurzen Recherche noch tiefer runtergezogen hatte. “In Drei Komma X Monaten.”, antwortete ich und neigte ihr den Kopf ein weiteres Mal zu, um einen Kuss seitlich an ihre Stirn zu hauchen. Die unterschwellige Ironie behielt ich bei – weil wir beide wussten, dass wir in drei Monaten noch nicht am australischen Strand sitzen würden und weil ich mir fast sicher war, da ohnehin nie wieder einen Fuß hinzusetzen. Wie immer machte der Sarkasmus unsere hässliche Lage ein bisschen leichter erträglich, zumindest für den Augenblick. Aryana entschied sich für den Aufbruch nach Hause und ich wartete nach einem kurzen Nicken stumm darauf, dass es losging. Folgte ihr dann ohne Zögern zurück in den Stand und griff mit der freien Hand auf dem Weg abwärts nach ihren Fingern. Nur um immer wieder über ihren Handrücken zu streicheln, weil ich hoffte, dass sie so mit ihren Gedanken nicht gleich wieder komplett abdriftete. Unten angekommen saß ich bald hinterm Steuer und sobald der Verkehr es mir erlaubte, streckte ich meine Hand wieder nach ihr aus, legte sie auf Aryanas Oberschenkel. Obwohl mir auch dafür eigentlich die Energie zu fehlen schien, mein Arm fühlte sich schwer an. Doch ich wollte nicht, dass wieder Distanz aufkam. Zumindest heute nicht mehr, nicht nach diesem Geständnis. Ich war meistens schlecht mit Worten, körperlich Zuneigung zu zeigen fiel mir offenbar etwas leichter. Gleichzeitig versuchte ich meinen müden Schädel nach Dingen zu durchstöbern, die der Brünetten helfen könnten, die ihr zumindest ab und an mal einen Hauch positiver Gefühle einhauchen konnten. Dabei fiel mir, kurz bevor wir Zuhause ankamen, einmal mehr eine Sache ein, die theoretisch uns beiden gut tun könnte. “Meinst du es hilft dir oder es macht es schlimmer, wenn ich dir was singe..?”, stellte ich die Frage total beiläufig, ehe ich mich daran machte, den Wagen rückwärts in seine angestammte Parklücke zu rangieren, weshalb ich die Brünette auch nicht ansah. Ich spielte schon lange nicht mehr wirklich regelmäßig auf der Gitarre und singen tat ich noch seltener. Wenn überhaupt, dann immer dann, wenn meine Partnerin ausnahmsweise alleine das Haus verließ, weil mir nur noch nach traurigen, deprimierenden Songs zumute war. Das hatte ich Aryana genauso wenig antun wollen, wie sie mir ihre Selbstmordgedanken…
Hihi das kommt mir bekannt vor... Letzte Woche beim Wandern in den Bergen ists meinen Schultern gleich ergangen - trotz 2x Sonnencreme. :') Ich hoffe mal, dass es nicht allzu schlimm ist mit deinem Gesicht.^^ Dann geniess den letzten Tag noch und wie gesagt lösen wir uns somit relativ nahtlos ab, weil ich von morgen Abend bis am 23. morgens weg bin. xD ___________
Das glaubte sie ihm sofort, wenn er es so sagte. War ja umgekehrt ebenfalls kaum zu leugnen. "Gleichfalls... Aber ich glaube, dass wir das damals einfach selbst noch nicht wirklich verstanden haben", murmelte sie etwas nachdenklich, aber diesmal im positiven Sinne. Mehr oder weniger jedenfalls. Ihre Vergangenheit hatte bei ihnen beiden nicht unbedingt die Vermutung aufkommen lassen, dass mehr hinter dem freundschaftlichen Urlaub stecken könnte, den sie gemeinsam genossen. Hinter der schon damals irgendwie vertrauten Beziehung, die sie verband. Besonders bei Mitch war naheliegend, dass er eher nicht an sowas geglaubt oder gedacht hätte. Und sie selbst hatte zu tief in der ganzen Army-Scheisse gesteckt, um zu merken, dass sie selbst dabei war, nachhaltig und mit viel Herzblut eine dieser dämlichen Grenzen niederzutrampeln. Es war nichtmal so, dass sie es sich nicht hatte eingestehen wollen - sie hatte es schlichtweg nicht bemerkt. Nicht, als sie sich mit Mitch um die Decke gestritten hatte, nicht, als sie auf seinem Schoss gesessen hatte, nicht, als sie mit ihm im Meer geschwommen hatte und nichtmal dann, als sie sich halb vertrocknet, stinkend und frierend nachts im australischen Busch das erste Mal an seine Seite gekuschelt hatte. Sie hatte nur gewusst, dass sie ihn mochte und dass es sich gut anfühlte, Zeit mit ihm zu verbringen, mit ihm zu reden und sich in seiner Nähe aufzuhalten. Wahrscheinlich waren sie beide einfach ein bisschen naiv gewesen. Immerhin einmal im Leben - das war sonst eher nicht ein Attribut, welches sie sich selbst oder Mitch zuschreiben würde. Darin, dass ihre Liebe scheinbar weiterhin wuchs, trotz der absolut widrigen Umstände, in der sie sich behaupten musste, schienen sie sich ebenfalls einig zu sein, wie ein zartes Nicken ihrerseits bestätigte. "Auch hier kann ich bestens nachfühlen, wovon du redest...", meinte sie mit einem sachten Lächeln, tippte dabei ein paar Mal mit dem Zeigefinger ihrer mittlerweile abgesunkenen Hand gegen seine Brust. Schon nur für die Persönlichkeitsentwicklung, die Mitch in den letzten Jahren hingelegt hatte, verdiente er jegliche Achtung und unendlich viel Liebe ihrerseits. Sie wollte wirklich glauben und hoffen, dass es so weitergehen könnte, dass der nächste Schritt in dieser Entwicklung endlich ein final glücklicher sein konnte. Einer, der sie ans Licht führte und die ganzen Sorgen, die Dunkelheit, die Last von seiner Seele schuf, um endlich mehr Freude, Licht und Leben herbei zu führen. In Drei Komma X Monaten, wie er so schön sagte. "So gut wie ich mal in Algebra war, sollte ich an dieser Stelle wohl die genaue Dauer ausrechnen können...", meinte sie ironisch mit einem kleinen Schmunzeln, das eher von seinem Kuss ausgelöst wurde als von der unbestimmten Zeit, die sie noch warten mussten, bis ihr Leben einen ähnlichen Höhepunkt erreichte, wie die Reise nach Australien ihn dargestellt hatte. Das Gute war, dass sie dem mit jedem Tag etwas näher kommen sollten. Und wenn sie jetzt nachhause gingen, würde auch der nächste Tag bald kommen und dann wieder einer und wieder einer. Bis die drei Monate um waren. Die Fahrt zurück nachhause verging jedenfalls schnell, auch wenn sich gleichzeitig nicht verhindern liess, dass die Stille und die Melancholie der Nacht ihren Kopf wieder ein bisschen betrübten. Trotzdem war da seine Hand und sie streichelte immer mal wieder über seine Finger, die sie unter ihren eigenen begraben hatte. Sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was jetzt besser war als heute Morgen. Und das war eigentlich relativ viel. Sie hatte einen zeitlichen Rahmen, an den sie sich klammern konnte. Sie hatte Ryatt, der sich den Arsch aufreissen würde um hoffentlich erfolgreich und zeitnah einen Plan zusammen zu kratzen. Vor allem aber hatte sie Mitch wieder an ihrer Seite. Hatte die tonnenschwere Last einmal abgeladen, um sie mit ihm zu teilen. Würde es hoffentlich schaffen, sich damit etwas seltener den Flaschen und etwas öfter ihrem Freund anzuvertrauen, was nur positive Auswirkungen haben konnte. Flaschen waren leider ganz schlechte Gesellschaft bei Suizidalität und Depression... Eigentlich wusste sie das ja schon lange. Alkohol war aber leider nicht nur scheisse, sondern für kurze Zeit auch ein verdammt guter Schauspieler. Zuhause angekommen, hatte sie schon die Hand nach der Gurtschnalle ausgestreckt, während Mitch noch am einparken war und ihr eine Frage zukommen liess. Eine unerwartete Frage, die sie kurz die Hand wieder vom Gurt nehmen und Mitch dabei etwas überrascht anschauen liess. Lange nachdenken musste sie aber über die Antwort nicht. "Ich kann mir keinen Grund vorstellen, warum das irgendwas schlimmer machen sollte... Abgesehen davon, dass ich aktuell wirklich nicht weiss, wie viel schlimmer es noch werden könnte", diente sie zuerst mit einer indirekten Beantwortung. Das hörte sich aber nicht ganz so positiv und ermutigend an, wie sie es gerne hätte, weshalb sie erneut zum Sprechen ansetzte. "Wenn du möchtest, fände ich es sehr schön, dich mal wieder singen zu hören...", meinte sie mit einem kleinen Lächeln in seine Richtung. Sie wusste, dass seine Motivation zu singen, auch immer sehr von seinem Befinden und seinem Seelenzustand abhängig war. Aber wenn er den Vorschlag machte, fühlte er sich vielleicht selbst ein bisschen bereit dafür, zu versuchen, mit diesem Mittel einen Gegenpol zu der ganzen erdrückenden Schwere ihrer Leben zu schaffen...
Jaaa naja, mein Leben liebt mich schon wieder. Hab jetzt zum Ende des Urlaubs hin noch Zahnschmerzen gekriegt und der besagte Zahn soll nun final DOCH raus, nachdem es ein ewiges hin und her damit gab, wegen dem Weisheitszahn dahinter, der jetzt doch beschlossen hat, dass er durchbrechen und leben möchte... und besagter Problemzahn direkt davor wird dann am Montag gezogen, heißt ich bin wohl auch die ganze nächste Woche noch Zuhause. Muss mir sowas echt immer im Sommer passieren, jetzt wo das Wetter gut wird mit 25° und mehr...? Dann darf ich schon wieder nicht in die Sonne, ich könnt echt heulen. Wenn ich dann zurück auf der Arbeit bin, werd' ich erstmal den restlichen, noch unverplanten Jahresurlaub einreichen und gucken wo ich günstige Flüge finde, ich kann das hier alles nicht mehr. x'D ___________
Damit hatte Aryana Recht. Manchmal fühlte es sich für mich so an, als würde ich die ganze Welt heute anders verstehen als damals. Als wäre die Welt selbst eine ganz andere. Wir waren damals beide sehr neben der Spur gewesen… und waren es immer noch. Vielleicht reichte es, sich wieder öfter an den Händen zu halten, um irgendwann den einen gemeinsamen Weg zu finden und auch auf ihm zu bleiben. Jeder für sich allein wären wir verloren in diesem ständigen Durcheinander, aber zusammen hatten wir eine Chance. Auch wenn es sich aktuell noch nicht wirklich so anfühlte und es für mich deshalb nicht selbstverständlich war, dass die Brünette meinen Gesang hören wollte. Gefühlsdinge waren für mich etwa genauso kompliziert wie Algebra… ein bisschen weniger vielleicht. Schlimmer ging trotzdem immer, weshalb ich die vorherige Frage als nötig erachtet hatte. „Naja… für fröhliche Lieder bin ich momentan nicht zu haben. Also hast du nur die Auswahl zwischen Melancholie und Melancholie mit Kitsch. Bin mir nicht sicher, wie hilfreich das am Ende ist.“, murmelte ich etwas trocken und mahlte leicht mit dem Kiefer, als ich den Wagen letztlich anhielt und den Schlüssel abzog. Ich konnte meistens nur das, was ich in dem Moment tatsächlich auf irgendeiner Ebene fühlte, mit Überzeugung singen. Ich liebte Aryana immer, in jedem Gefühlszustand. Durchweg glückliche Liebeslieder zu singen, wenn ich mich in einer Depression befand, war aber leider nicht möglich. So oder so würde mir das Singen wahrscheinlich helfen — ich hatte nur Angst davor, Aryana noch weiter damit runterzuziehen, wenn ich direkt oder indirekt davon sang, dass ich das Leben genauso wie sie viel mehr schwarz als weiß sah. Ich warf ihr ein instabiles Lächeln zu, bevor ich die Lenkradsperre rein machte und die Fahrertür aufstieß. Meinen Rucksack holte ich noch hinterm Sitz vor, wartete darauf, dass Aryana ebenfalls nichts mehr aus dem Wagen benötigte und schloss ihn anschließend ab. Mir war längst nach der nächsten Zigarette, aber ich würde mich zurückhalten. Wenigstens bis zum Balkon. Ich ging mir der Brünetten nach oben und ließ den Rucksack an seinen angestammten Platz direkt neben der Garderobe fallen, bevor ich Jacke auszog. "Wenn ich sonst noch irgendwas machen kann, um dich zu entlasten, sag's ruhig... ich tu' was ich kann, auch wenns mehr Hausarbeit als normalerweise ist oder sowas.", meinte ich sarkastisch, als ich mir gerade die Schuhe von den Füßen schob, weil ich die Angelegenheit in vollem Ernst nach wie vor nicht wirklich ertrug. Zu wissen, dass Aryana am Rand zum Suizid stand, würde ich auch morgen noch nicht verdaut haben. Ich konnte mich nach wie vor immer nur mühsam zum Haushaltskram aufraffen, weil er mich echt nervte. Trotzdem tat ich dann doch wirklich lieber das und noch mehr davon als sonst, als eine zusätzlich noch von häuslichen Pflichten gestresste, suizidgefährdete Freundin zu riskieren.
HEYYYY ich wäre dann auch mal wieder zurück! xD Also erstens mein herzliches Beileid zu deiner Zahnproblematik, das tut mir sehr leid für dich, weil Zahnschmerzen und -Behandlungen echt zu den elendesten medizinischen Beschwerden gehören... :( Hoffe, das geht alles möglichst schmerzfrei und schnell über die Bühne und du kannst bald wieder die Sonne anbeten! Und zweitens hoffe ich, dass du den Urlaub letzte Woche auch noch geniessen konntest und bei dir wenigstens sonst alles bestens ist. xD ______________
Sie hatte auch nicht erwartet, dass er hier gleich die Melodien von Walking on Sunshine oder What a Wonderful World und wie sie alle hiessen anstimmen würde. Wenn sie so darüber nachdachte, hatte Mitch in ihrer Gegenwart - zumindest seit der Rückkehr in die USA - deutlich öfter melancholische oder traurige Lieder gesungen als irgendwelche Gute Laune Songs. Das war auch okay für sie, meistens spiegelte sich seine Laune sowieso auch in ihr und damit passten die Lieder bestens auch zu ihren Gemütslagen. "Ich denke, das passt schon so. Wahrscheinlich müsste ich mich sowieso augenverdrehend im Schlafzimmer verziehen, wenn du mit Happy Vibes versuchen würdest, meine Dämonen auszutreiben", meinte sie sarkastisch, wobei die Vorstellung eines Exorzismus anhand von fröhlichen Liedern schon etwas lustig war. Die Sinnhaftigkeit einer solchen Praxis blieb aber fraglich. Somit blieb es wohl bei der Melancholie, die ihre Laune wohl nicht massiv heben, aber hoffentlich wenigstens ihre Seelen ein bisschen streicheln würde. Sie innerlich etwas zu beruhigen vermochte, nach diesem emotional eindeutig zu intensiven Abend. Auch Aryana machte sich schliesslich ans Aussteigen, holte ebenfalls ihren Rucksack vom Rücksitz und machte sich damit gemeinsam mit Mitch auf den Weg nach drinnen. Dort liess sie ihren Rucksack unachtsam neben seinem fallen und zog Schuhe und Jacke aus. Bei seinem Angebot zogen sich sowohl ihre Mundwinkel als auch ihre Augenbrauen hoch, wobei die Augenbrauen etwas mehr abbekamen als der Anflug eines Lächelns, das nun ihr Gesicht zierte. "Aktuell weiss ich nicht, was das sein könnte, aber ich lass' es dich wissen...", bestätigte sie mehr oder weniger das zweite Mal heute, da auch Ryatt ihr schon ein ähnliches Angebot gemacht hatte. Auch da war ihr akut kein Einfall gekommen aber wer weiss... Vielleicht irgendwann. Auch wenn die Chancen tief standen, da sie bekanntlich ein Mensch war, der es gewohnt war, immer alles selbst zu lösen. Das machte es gar nicht so leicht, Hilfe anzunehmen geschweige denn, sich auszudenken, womit einem überhaupt geholfen werden könnte. "Ausser vielleicht... die Fenster müssten echt dringend mal wieder geputzt werden, inklusive Rolladen...", meinte sie, wobei ihr weinerlich-dringlicher Gesichtsausdruck deutlich übertrieben darstellte, dass sie sich kaum weniger um die Sauberkeit ihrer Scheiben scheren könnte. Fensterputzen gehörte somit eindeutig nicht zu ihren 99 Problemen. "Und eine Fussmassage wäre schön", fuhr sie mit unsinnigen Wünschen fort, noch bevor sie sich aus dem Eingangsbereich in Richtung Wohnzimmer/Küche bewegte. Massagen an sich wären sicher nicht die dümmste Idee, da diese bestenfalls die Entspannung fördern würden. Aber es mussten jetzt nicht unbedingt die Füsse sein. Ihr Kopf tat aktuell deutlich öfter deutlich mehr weh. In der Küche angekommen, machte sie sich eher lustlos daran, ihr übliches, eher klein ausfallendes Abendessen vorzubereiten. Wenn sie nicht gerade irgendein Take Away holten, dann bestand dieses häufig aus einfachen Pastagerichten, Brot und/oder einem Salat. Glücklicherweise konnten sie mittags jeweils aus einer Auswahl ausgewogener Menüs schöpfen, da bestand abends kein grosser Bedarf an einfallsreicher Küche mehr. Sie hatten noch einen Rest an Pasta im Kühlschrank von vorgestern, weshalb Aryana sich erstmal daran machte, einen Salat zuzubereiten. Depressionen hatten den schönen Vorteil, dass sie oft auch auf den Appetit schlugen. Führte netterweise dazu, dass weder sie noch Mitch aktuell grosse Ansprüche an ihre Abendessen stellten.
Ja naja, war leider nix, Termin wurde vom Arzt um 2 Wochen verschoben auf den 9. Juli, ich hatte noch die ganze Woche bis gestern Schmerzen und war trotzdem arbeiten. Jetzt geht's langsam wieder. Also mit genießen war leider absolut gar nicht mehr, auf keiner Ebene. Fühl mich immernoch bisschen hirntot von den Nervenschmerzen, hoffe der Post ist trotzdem ansatzweise lesbar, lel. x'D Aber wie war dein Urlauuuuub? _________
Einen Moment lang fragte ich mich, wann ich zuletzt sowas wie Happy Vibes gefühlt hatte. Nicht nur für zwei Tage oder für ein paar Stunden, sondern längerfristig. So richtig auf tiefster Ebene entspannt, zufrieden und tatsächlich vollumfänglich glücklich mit meinem Leben. War das überhaupt schonmal vorgekommen? “In der Hinsicht haben wir erstmal nichts zu befürchten.”, stellte ich ebenso sarkastisch fest, dass hier keiner in andere Räumlichkeiten flüchten müssen würde. Mindestens bis zu dem Tag nicht, an dem wir frei waren. Auf welchem Weg auch immer das geschehen würde – es war nicht mehr endlos weit, sondern nur noch etwa drei Monate entfernt. Das klang nach zu viel und gleichzeitig zu wenig Zeit. Dass der Gedanke daran, wie ich mich freiwillig vermehrt im Haushalt abmühte, Aryana offenbar amüsierte, wunderte mich nicht und freute mich gleichermaßen. Jedes noch so unterschwellige Lächeln war ein kleiner Sieg. Ich nickte ein wenig vor mich hin, als die Brünette sagte, dass sie darüber nachdenken würde… nur um kurz darauf mit unverhältnismäßigem Wunsch aufzukreuzen. Ich zog lächelnd die rechte Augenbraue hoch und musterte Aryana kurzzeitig von oben nach unten, so als müsste ich die überambitionierte Hausfrau finden, die sie die letzten ein bis zwei Jahre über noch nicht hatte raushängen lassen. Mit einem leichten Kopfschütteln folgte ich ihr in den Wohnbereich. “Meiner überaus fachmännischen Beurteilung nach, kann das Fensterputzen noch warten, bis wir hier ausgezogen sind.”, schob ich diese unnötige Aufgabe mit übertrieben förmlichem Tonfall schön weit von mir weg. Natürlich waren so richtig saubere Fenster schöner als dreckige, besonders im Sommer, wenn die Sonne jedes kleinste bisschen Dreck pingelig aufzeigte. Allzu viel Zeit würden wir hier aber ohnehin nicht mehr fristen, so wie ich die aktuelle Lage einschätzte. Von mir aus konnte unser Vermieter die Scheiben also selbst schrubben, wenn wir uns vom Acker gemacht hatten. “Über die Fußmassage können wir nochmal reden, wenn du geduscht hast.”, schloss ich mit einem leichten Schulterzucken sarkastisch, während ich den Balkon ansteuerte. Ich hatte zwar keinen Fußfetisch, aber solange Aryana mir nicht ihre den ganzen Tag in Schuhen gesteckten Füße auf den Schoß legte, hätte ich kaum was dagegen. Manchmal reichten kurze Ablenkungen aus, um dem depressiven Strudel zumindest mal für fünf Minuten zu entkommen. Für mich war das jetzt die Zigarette, die ich anzündete, kaum hatte ich die Balkontür hinter mir zugezogen. Ich brauchte diesen ruhigen Moment für mich, nach dieser verflucht schlechten Nachricht, die mich vielleicht weniger schockieren sollte, als sie es tat. Während ich am Geländer lehnte und auf den glühenden Stängel in meiner Hand sah, wurde mir einmal mehr bewusst, dass mir diese schlechte Gewohnheit auch nicht dabei helfen würde, besser mit mir selbst oder mit dem Leben klarzukommen. Deshalb ging ich nach der ersten Kippe auch gleich wieder rein, nachdem ich mir einmal fest übers Gesicht gerieben hatte, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, noch eine weitere Sünde aus der Schachtel zu ziehen. Aryana war mit dem Essen noch nicht fertig, also kümmerte ich mich in der Zwischenzeit darum, den kleinen Tisch zu decken.
Reiiiizzeeenddd... :') Aber hey, nur noch eine Woche, juhu! Mein Urlaub war sehr schön, Estland hat mir echt super gefallen! Ist natürlich nicht Strand und Meer, aber da ich genau das diesmal auch nicht wollte, hats bestens gepasst. xD Die Natur und die Moore waren mega schön und ich hab selten einen so erholsamen Urlaub gehabt, obwohl wir jeden Tag bisschen was gemacht haben (weil nur rumliegen und lesen kann ich eben auch nicht xD). Kanns also empfehlen. xD Und ab morgen stürz ich mich dann mal wieder ins Arbeitsleben. Mit einer neuen Stelle, also mal sehen, wie das dann wird hihii. _____________
Dann wäre das ja geklärt, der späteren Gesangseinlage stand nichts mehr im Weg und sie würde der Privatvorstellung gerne beiwohnen. Etwas mehr Einspruch vermochte Mitch gegen das Fensterputzen zu erheben. Was sie mal so gar nicht verstehen konnte, nachdem er gefühlt eine Minute vorher behauptet hatte, gerne anzupacken, wenn es ihren Gemütszustand potenziell heben würde. So viel dann dazu. "Tsts, dann bringt's mir ja auch nichts mehr", nörgelte sie leise weiter, ohne dabei an Ernsthaftigkeit zu gewinnen. Die Fenster waren ihr herzlich egal. Ein zeitnaher Umzug klang dagegen wesentlich attraktiver in ihren Ohren. Auch wenn die Tatsache, dass Mitch mit dem Fensterputzen bis dahin warten wollte, nicht unbedingt garantierte, dass der Umzug wirklich zeitnah stattfinden würde. Dreckige Fenster konnte man relativ lange ignorieren, besonders dann, wenn man sowieso ständig ausser Haus war, Vollzeit arbeitete und der eigene Kopf noch dazu Weltuntergang spielte. Ob eine Fussmassage ein wirksames Mittel gegen besagten Weltuntergang war, wusste Aryana nicht. Sie konnten das schon versuchen, aber diesen Entscheid verschob sie erstmal auf später. Grundsätzlich hatte ihre psychische Verfassung aktuell eher zur Folge, dass sie sich möglichst wenig anfassen lassen wollte, eher keine Zärtlichkeiten einforderte. Vielleicht, weil sie sich irgendwie immer ein bisschen dreckig fühlte. Vielleicht auch, weil sie sich selbst das Recht auf Liebe abgesprochen hatte. Weil sie nicht glaubte, sowas verdient zu haben, nach allem, was sie getan hatte. Sie wusste theoretisch schon, dass solche Gedanken unsinnig waren - angefangen mit dem altbekannten Fehlgedanken, sich sowas überhaupt mit irgendwas verdienen zu können. Und trotzdem konnte sie jetzt noch nicht sagen, wozu sie nach dem Essen und der Dusche wirklich noch empfänglich war. Sie waren sowieso schon deutlich später zuhause als das üblicherweise der Fall war und müde war sie selbstverständlich auch. So wie aktuell eigentlich dauerhaft. Während Mitch seiner altbekannten, wieder aufgeflammten Sucht nachging, für die sie ihm so gar keinen Vorwurf machen konnte, kümmerte sie sich um das kleine Abendessen, das wenig später dann auch auf dem gedeckten Tisch stand. Kulinarisch kein besonderes Highlight, aber es würde sie ausreichend versorgen, damit in dieser Wohnung heute niemand hungrig ins Bett musste. Sie nahmen die Mahlzeit ohne viel Gespräche zu sich, hatten vielleicht vorhin für den Moment auch ein bisschen genug geredet. Sie waren sicherlich beide noch mit genügend Gedanken diesbezüglich beschäftigt, weshalb die Stille zumindest der Brünetten gar nicht unbedingt auffiel. Vielleicht auch, weil sie mit Mitch selten unangenehm war. Sie hatten beide Tage oder Momente, in denen sie bestens ohne zu reden auskamen. Darum war das temporäre Schweigen zwischen ihnen auch nicht ungewöhnlich und verlangte nicht sofort irgendeiner Interpretation - was Aryana eindeutig als positiv wertete. Sie bräuchte keinen Partner, der ständig unterhalten werden wollte oder, fast noch schlimmer, sie 24/7 zulaberte. Jedenfalls verging das Abendessen auch so gut und nachdem die Küche wieder in einen ordentlichen Zustand gebracht wurde, verzog sich zuerst die Brünette ins Bad, um die Dusche hinter sich zu bringen. Auch wenn sie müde war, wollte sie Mitch eigentlich ganz gerne heute noch singen hören. Also galt es zu vermeiden, unnötig Zeit zu verlieren, damit er - oder sie beide - am Ende dann doch die Bettdecke der Gitarre vorzogen. Nachdem sie die oberflächlichen Spuren des Tages von ihrer Haut gespült hatte, fand sie sich in Jogginghose und Shirt wieder und verkrümelte sich so ziemlich direkt ins Wohnzimmer. Beim Vorbeigehen war ihr Blick automatisch zur Küche geschwenkt. Weil ein Glas Whiskey ihren Nerven gerade wirklich gut tun würde. Sie blieb auch stehen, trat unsicher von einem Fuss auf den anderen. Aber sie wusste ja, dass es im Grunde scheisse war. Sie wusste, dass der Alkohol sie mehr kaputt machte, als dass er jemals zu helfen vermochte. Und sie musste es probieren. Drei Monate - die hatte sie mehr oder weniger versprochen. Sie hatte zwar nirgendwo unterschrieben, diese ohne Alkohol hinter sich zu bekommen, aber wenigstens heute Abend... nach allem. Wenn Mitch gleich bei ihr auf dem Sofa sass, würde es sicher gehen. Auch wenn sie jetzt mehr Willenskraft aufbringen musste, als sie sich eingestehen wollte, um ohne Umweg zu besagtem Sofa zu gehen und sich ins Polster sinken zu lassen.
Das Abendessen war wie so oft nur Mittel zum Zweck, damit unsere Körper nicht genauso versagten wie unsere Köpfe. Eintönige Gedanken kreisten durch meinen Schädel, während ich den Teller leer machte und anschließend meiner Freundin dabei zur Hand ging, die Küche in ihren ursprünglichen Zustand zurückzubringen. Nur mein eigenes Glas vom Abendessen musste nicht in den Geschirrspüler, weil ich es mit Wasser füllte und zur Couch brachte. Ich würde zwar kaum zwei Stunden lang singen, aber so kaputt wie der Rest meines Körpers schon war, konnte ich wenigstens meinen Rachen gewissenhaft ölen. Außerdem war es ein mehr oder weniger taugliches Placebo, weil es nicht so war, als würde ich nie darüber nachdenken, wieder zur Flasche zu greifen. Ich wusste nur, was der Alkohol das letzte Mal mit mir gemacht hatte und sah auch jetzt wieder, was er Aryana antat. Das Zeug war pures Gift und es war viel zu einfach, da ranzukommen. Damit wir nicht beide ständig davon betäubt waren und ich sowieso schon wieder an den Zigaretten festhing, nahm ich mir meistens irgendwas anderes, woran ich nippen konnte, wenn ich Aryana mit einem Glas sah. Oder so wie heute schon vorher. Ich schlurfte ins Schlafzimmer, solange die Brünette im Bad war. Suchte mir schonmal meine Klamotten für nach dem Duschen zusammen und als das erledigt war, ging ich zu dem Gitarrenkoffer, der fast immer schräg im Eck von Kleiderschrank und Wand lehnte. Es war schon wieder etwas Staub auf der Oberseite, den ich mit einem Seufzen grob abwischte. Ich öffnete den Koffer, setzte mich für einen Moment lang mit dem Instrument auf die Bettkante und zupfte ein klein wenig, nur ganz leise an den Saiten, so als müsste ich testen, ob ich das mit dem Spielen noch hinbekam. Drehte die Gitarre dann um und musterte die Gravur am Hals, strich mit dem Daumen darüber. Heute war wieder einer dieser Tage, an denen ich mich fragte, ob meine Rettung auch irgendwann mein Ruin werden würde. Ob es nicht viel mehr so war, dass unser beider gebrochener Seelen nur einen riesigen konfusen Scherbenhaufen ergaben, statt sich zu ergänzen und zu vervollständigen. Vielleicht war einfach beides wahr. Ich legte die Gitarre mit einem Kopfschütteln aufs Bett, als ich die Badezimmertür aufgehen hörte. Ging mit den Klamotten unterm Arm ins Bad und stieg unter die Dusche. Als ich fertig mit der abendlichen Routine war, kippte ich das Badfenster noch und ging anschließend mit Umweg zur Gitarre zurück in den Wohnbereich. Unerwartete, unterschwellige Nervosität flatterte meine Nerven entlang, aber ich fragte mich gar nicht erst, weshalb das so war, weil ich es schon wusste. Leise räuspernd setzte ich mich in ähnlich legerer Kleidung zu Aryana und griff erstmal nach dem Wasserglas, um zu trinken. Suchte gleichzeitig mit den Augen nach Alkohol auf dem Tisch, doch da war tatsächlich keiner. Ich stellte das Wasser beiseite, nahm ich die Gitarre auf den Schoß und setzte mich ein bisschen an der Kante des Sofas zurecht. “Ich… spiel’ erstmal ein paar Lieder, die ich häufiger gespielt hab, in den letzten Monaten…”, murmelte ich mit einem kurzen Blick in Aryanas Richtung, weil das ein indirektes Geständnis war, dass ich sie dabei offensichtlich ausgeschlossen hatte. Man konnte zwar trotzdem nicht von häufig reden, weil ich nur sehr unregelmäßig gespielt hatte, aber wie auch immer. Ich sah auf die Gitarre und suchte kurz den ersten Griff, bevor ich mit dem Song Waves von Dean Lewis anfing. Er war relativ leicht zu singen, gut zum warm werden. Allerdings fühlte ich mich danach noch nicht bereit, wieder aufzuhören – mit Aryana zu reden oder sie anzusehen. Deswegen griff ich nur kurz nach dem Wasser und nahm zwei Schlucke, bevor ich erneut ansetzte und mit I’ll be good von Jaymes Young weitermachte. Danach folgte Good Enough von Lø Spirit, in einer verhältnismäßig ruhigeren Eigeninterpretation von mir, die sich der Akustik der Gitarre anpasste. Im Anschluss daran griff ich wieder nach dem Wasser und es kehrte ein stiller Moment ein, weil ich gedanklich nach weiteren Liedern suchte. Währenddessen sah ich auch das erste Mal wieder bewusst zu Aryana, musterte ihr Gesicht. Sah mir an, was all die gesungenen Worte mit ihr machten und verspürte deshalb das erste Mal seit langer Zeit nicht mehr das Gefühl, noch mehr davon singen zu müssen, wie scheiße ich mich fühlte, um mich noch tiefer in dieses emotionale, depressive Dilemma zu stürzen. Da war er wieder, der elende Spiegel, in den ich nicht immer gerne hinein sah. Ich nahm den Gitarrenhals nochmal in die Hand und spielte testweise erst nur ein paar Noten, weil ich den Song noch nie vollständig gespielt hatte. Letztlich stimme ich Flowers For The Grave von Normandie aber doch ernsthaft an, den Text konnte ich längst auswendig. Das Lied war nicht weniger ernst als die anderen und betonte abermals, wie betäubt ich oder viel mehr wir beide uns fühlten, dass wir nur noch im Kreis gingen auf mehreren Ebenen. Es trug jedoch auch einen Funken Hoffnung auf Veränderung der Dinge im Refrain. Ich wollte nichts weniger auf dieser Welt, als Aryana sterben zu sehen und diese Gefahr war so präsent wie gefühlt schon ewig nicht mehr. Ich hatte schon länger nicht mehr das Gefühl, dass es Kugeln sein würden, die uns umbrachten. Ein paar Blumen würden die Dinge in unseren Köpfen gewiss nicht richten, aber sie waren auch nicht verkehrt, oder..? Als ich für den Moment erstmal fertig war und eine Pause einlegen wollte, rutschte ich auf dem Polster etwas zurück und lehnte die Gitarre an die Seitenlehne des Sofas. Ich ließ mich an die Rückenlehne kippen, ehe ich den Kopf in Aryanas Richtung drehte. "Magst du Blumen überhaupt?"
Vielleicht hätte sie besser noch ein bisschen im Schlafzimmer gesessen oder wäre besser erst nach Mitch duschen gegangen, damit sie jetzt nicht so lange allein hier in der Stille sass. Allzu viel Zeit nahm Mitchs Dusche zwar nicht in Anspruch, aber die Minuten zogen sich trotzdem zäh dahin und die vorübergehende Einsamkeit war gewohnt ungesund für ihren Kopf. Sie fiel immer sofort ins Grübeln, in die gleichen ewigen Karussells voller Negativität und Selbstzerstörung. Sie hätte die Minuten auch am Handy überbrücken können, aber ob das zu wesentlich mehr positiver Stimulation geführt hätte, war fraglich. Es war schön, dass wenigstens Faye aktuell überwiegend positiv berichtete. Zumindest soweit man davon ausgehen wollte, dass sie nicht einfach alles Negative aussen vor liess, um ihre Schwester nicht zu belasten. Aryana war aber auch sehr gut darin, sich anhand dieser Neuigkeiten selbst einzureden, dass Faye auch ohne sie bestens zurecht kam. Dass Victor schon auf sie aufpasste. Entsprechend machte es betreffend ihrer Suizidalität keinen Unterschied, ob sie aufs Handy blickte oder in die Leere starrte und ihren Alkohol vermisste. Sie überlegte sich mehr als einmal, ob sie nicht doch noch was holen wollte. Oder kurz zwei, drei Schlucke kippen sollte, bevor Mitch überhaupt im Wohnzimmer aufkreuzte. Er musste das ja gar nicht wissen. Aber Aryana merkte schon selber, wie lächerlich das war. War nicht so, als hätte sie in den letzten Wochen ihren Alkoholkonsum besonders gut verschleiert. Mitch würde wahrscheinlich weder eine Miene verziehen, noch irgendwie erstaunt darüber sein, sie hier mit einem Glas vorzufinden. Trotzdem wäre es nicht gut für sie. Trotzdem war es immer ein bisschen Gift, das sie zu sich nahm. Und wenn sie überhaupt noch damit aufhören wollte, sollte sie das unbedingt zeitnah tun. Also am besten genau jetzt. Glücklicherweise fand ihre Einsamkeit auf der Couch ein Ende, als Mitch mit einem Glas Wasser und der Gitarre zu ihr stiess und indirekt Linderung versprach - zumindest was das Allein-Sein betraf. Ihre Gedanken und Gefühle fanden in der Musik, entsprechend Mitchs Vorwarnung, nicht unbedingt positiven Aufschwung. Angefangen damit, wie sie feststellen musste, dass sie in der Tat nicht wirklich mitbekommen hatte, wie er in den letzten Monaten überhaupt je seine Gitarre hervorgeholt hätte. Sie wusste nicht genau, woran das lag. Ob er sie bewusst nicht hatte dabeihaben wollen und so entsprechend um ihre Anwesenheit herum geplant hatte, oder ob sie sich selbst so sehr von ihm abgewandt hatte im Rahmen ihres ganzen Selbsthasses, dass sie ihm quasi die perfekte Vorlage geboten hatte... Wahrscheinlich war es beides. Was keine gute Nachricht war aber hey, eine solche hätte themenmässig und emotional ja auch nicht in diesen Tag gepasst. Sie erwiderte entsprechend vorerst nichts als ein etwas unsicheres, verzögertes Nicken, liess sich trotzdem auf die Klänge ein, die bald darauf folgten und versuchte, ihren Fokus in genau diesem Moment im Hier und Jetzt zu behalten. Sie kannte nicht alle Lieder, die er spielte und sang. Musste sie aber auch nicht, Aryana würde sie trotzdem nicht wieder vergessen. Wegen dem Klang seiner Stimme, den Worten, denen sie folgte. Den Texten, die viel zu gut zu den Gefühlen passten, für die sie üblicherweise keine Namen fand. Ihr war schon bewusst, dass sie nicht die einzige Person auf diesem verseuchten Planeten war, die sich manchmal - oft bis immer - so fühlte. Aber trotzdem war es verrückt, wenn andere Leute perfekt in Worte fassen konnten, wie sich diese ganze Zweifel, die Ängste, der Hass und die Wut, die Verzweiflung und das sehr akute Empfinden, nicht mehr weiter zu wissen oder weiter zu können, anfühlten. Entsprechend war es vor allem das, was ihren Kopf beschäftigte, während sie ihm zuhörte. Wie viel zu gut sie verstehen und fühlen konnte, was er sang. Aryana hatte sich zwischenzeitlich etwas tiefer in die Kissen sinken lassen. Um ihm besser zuschauen zu können und auch, weil ihr Kopf und ihr Herz und ihr ganzer Körper sich schwer anfühlten. Daran änderte auch das nächste und vorübergehend letzte Lied nichts. Wobei sich ihr Kopf hier vor allem an den zwei Zeilen we won’t wait all our lives, wasting the here and now aufhängte. Weil es genau das war, was sie eben auch immer fühlte und versuchte - mit sehr wenig Erfolg. Sie wollte nicht den Rest ihres Lebens so verschwenden. Sie wollte nicht die ganze Zeit, die sie mit Mitch hatte, mit negativen Emotionen verseuchen. Sie hatte nur bisher wirklich nicht herausgefunden, wie sie das abwenden konnte... Mit Blumen? Seine Frage kam unerwartet und die Brünette zog die Stirn in Falten, blinzelte ein paar Mal nachdenklich. Weil sie nicht über Blumen nachgedacht hatte und weil sie das noch nie jemand gefragt hatte. Mochte sie Blumen? "Ich... ich glaube schon, ja... Ich hab noch nie welche gekauft... oder bekommen", kratzte sie eine etwas unbeholfene Antwort zusammen aus Tatsachen, die ihr ein bisschen komisch vorkamen, aber soweit sie sich erinnern konnte, doch der Wahrheit entsprachen. Sie hatte nichts gegen Blumen. Eigentlich wusste sie selber nicht, warum sie nie welche hier hatten. Wahrscheinlich lag das auch an ihrem nicht vorhandenen Deko-Talent und daran, dass sie Blumen nie zur Priorität gemacht hatten. Aber doch... Im Grunde waren sie schön. Ein bisschen Farbe, vielleicht sogar mit etwas Duft. Es würde wohl keine Probleme lösen, aber darum ging's in dem Liedtext auch nicht. Ihr Blick fand vom Couchtisch zurück zu Mitch. "Und du..? Magst du Blumen? Oder gibt es eine andere Sache, die du dir schon lange für bessere Zeiten aufhebst?", stellte sie eine Anschlussfrage, über die sie nie nachgedacht hatte, die sie aber in diesem Zusammenhang nun doch interessierte. Sie waren beide sehr gut darin, sich selbst zu bestrafen. Es wäre also erstaunlich, wenn sie nicht beide ein paar Punkte zu dieser Thematik aufzuzählen hätten...
Meine Frage war vermutlich grotesk, bemessen an unserer derzeitigen Situation. Wirkte irgendwie lächerlich neben der viel größeren Frage, wie ich die Brünette davon abhalten konnte, vom nächstbesten Wolkenkratzer zu springen. Offensichtlich brachten mich all die Fragen, die sonst in meinem Kopf herumspukten, nur überhaupt nicht in diesem Belangen weiter, sondern sorgten viel mehr dafür, im Strudel noch tiefer zu rutschen. Es war also höchste Zeit, mich selbst und auch Aryana nach anderen Dingen zu fragen. Sei’s auch nur nach Blumen, mit denen die Brünette scheinbar noch nie was am Hut gehabt hatte. Im Gegensatz zu mir hatte Aryana ein zumindest ansatzweise normales Dasein in ihrer Jugend gefristet. Es wäre möglich gewesen, dass sie lange vor mir schon einmal Blumen bekommen hatte. Nur war dem scheinbar nicht so, weil es einfach niemals eine passende Situation in ihrem Leben dafür gegeben hatte, bevor sie mit 20 in die Army geschlittert war. Jedenfalls kamen Blumensträuße auf die Liste mit Kleinigkeiten, die ich zumindest mal ausprobieren konnte, im Hinblick auf uns und unsere katastrophale mentale Verfassung. “Dann kann ich mir die Frage nach deinen Präferenzen wohl sparen.”, erwiderte ich, wobei ich gegen Ende ein klein wenig schmunzelte. Die Angestellten im Blumenladen würden mir sicherlich irgendwas empfehlen können und vielleicht hatte Aryana dann nach dem zwanzigsten Strauß herausgefunden, welche Blumen sie am schönsten fand und welche ich nicht mehr kaufen brauchte. Wir sollten uns mehr mit so belanglosem Zeug beschäftigen, damit würden wir vielleicht mehr über uns herausfinden. Über uns als Paar und darüber, wie wir mit uns selbst fertig werden konnten. Auch die Fragen, die Aryana mir stellte, konnten dabei helfen. Ich sah sie trotzdem im ersten Moment genauso verdattert an, wie sie mich zuvor. Wusste nicht auf Anhieb, was ich darauf erwidern sollte. Im Grunde hatte mein Leben seit Beginn an nie gute Zeiten gehabt und irgendwann hatte ich offensichtlich damit aufgehört, mir mit kindlicher Naivität irgendwas für die Zukunft zu wünschen. Zumindest im Hinblick auf materielle Dinge. Wir waren auch selten mal mehrere Tage durchgehend Zuhause – war also nicht so, dass ich mir selbst immer wieder sagte, hier und da wäre dieses und jenes doch ganz schön zu haben, wenn es um unsere Lebensumstände hier ging. Wir bekamen zwar Easterlins dreckige Kohle aufs Konto, aber ich gab nie wirklich was davon aus, abgesehen von alltäglichen Fixkosten zur Lebenserhaltung und dem Zigarettenkonsum. Ich dachte im Alltag nicht mal drüber nach, was ich mir kaufen wollte, so als hätte nicht mehr Geld als damals, wo's oft nur knapp oder gar nicht für Miete und Lebensmittel gereicht hatte. “Ich hab zumindest nichts gegen Blumen, schätze ich.” Machte mir im Gegenzug aber auch nicht wirklich was daraus. Nach kurzem Grübeln sprach ich weiter: “Weiß nicht… ich glaube, ich hab irgendwann aufgehört, mir käufliche Dinge zu wünschen. Ich hatte nie viel und konnte früher nichts zurückgeben… mir waren Geschenke immer unangenehm und alles, was mir jemals was bedeutet hat, wurde mir wieder weggenommen. Von anderen Kindern im Heim, von meiner damaligen Drogensucht und dem beschissenen Kreis drumrum, von der Army, von Easterlin…”, je länger ich sprach, desto leiser wurde ich und mein Blick rutschte aus Aryanas Gesicht ab. Vielleicht hatte meine teils ungesunde Loyalität auch darin ein bisschen ihren Ursprung. Meine Hand und mein Rückhalt waren lange Zeit alles gewesen, was ich hatte verschenken können. Umso schlimmer, dass das heutzutage nur noch selten wertgeschätzt wurde – von Aryana allerdings schon. Ein guter Grund mehr, ihr von jetzt an häufiger kleine Geschenke zu machen, auch wenn ich nicht gerade geübt darin war. “...nur dich hab ich noch.” Meine Mundwinkel zuckten flüchtig nach oben, was bei meinem insgesamt eher bedrückten Gesichtsausdruck und ihren im Raum stehenden Suizidgedanken einen traurigen Beigeschmack bekam. Es fühlte sich oft so an, als wäre der einzige Sinn in meinem Leben Aryana. Als wäre ich nur da, weil sie nicht mehr ohne mich sein wollte. Was konnte jemand wie ich der Welt schon Gutes geben? Giftige Gedanken, von denen ich mich nur schwer losreißen konnte. An eine glückliche erfüllte Zukunft zu denken, fiel mir schwer, unter den aktuellen Umständen. “Deswegen heb’ ich mir was auch immer scheinbar für den Moment auf, wo wir aus diesem Schlamassel raus sind und sich sowas wie Glücksgefühle wieder lohnen… was wahrscheinlich der genau falsche Ansatz ist.”, weil wir Glücksgefühle gerade beide mehr als dringend nötig hatten. Aber was gab es schon, das käuflich war, und uns sofort in ein angenehmes Hochgefühl leiten würde, ohne uns den nächsten harten Absturz zu ebnen?
Grundsätzlich hatte er mit seiner folgenden Vermutung Recht - sie konnte ihm eher keine Liste von Lieblingsblumen liefern. Eine kleine Bitte hatte sie jedoch dennoch anzubringen. "Richtig. Ich schätze, das müssen wir gemeinsam herausfinden", pflichtete sie ihm erstmal mit einem schiefen Gesichtsausdruck bei. "Einfach keine rein weissen Sträusse, bitte... Besonders keine mit ausschliesslich weissen Rosen", brachte sie ihren einzigen Wunsch an, dem auch gleich noch die Erklärung folgte. "Davon hab' ich zu viele gesehen bei... den diversen Beerdigungen meiner Familienangehörigen.", murmelte sie, verzog wiederum leicht das Gesicht bei dem Gedanken. So wie immer, wenn sie eine Kleinigkeit aus ihrer Vergangenheit preisgab, über die sie eigentlich nicht gerne redete, aber es für Mitch trotzdem ab und an zu tun versuchte. Hier war es eigentlich nur ein kleines Detail, das zum Thema gehörte - was gut war, denn sie konnte aktuell wirklich nicht on top auch noch mit den negativen Gefühlen, die selbstredend mit den Beerdigungen ihrer Eltern und ihres Bruders verstrickt waren, umgehen. Darum wohl auch der Hinweis mit den weissen Blumen. Ein paar davon waren kein Problem, aber so ganz weisse Sträusse waren eher nicht ihr Ding. Auch Mitch wirkte im ersten Moment nicht nur überrascht, sondern auch leicht überfordert von ihrer etwas abgeänderten Gegenfrage. Es war eben nichts, über das sie beide sich tagtäglich allzu viele Gedanken machten, soviel stand fest. Aber seine Antwort nahm trotzdem einen unschönen Lauf, nicht unbedingt in die Richtung der eigentlich beabsichtigten Ablenkung. Viel mehr war es ein ziemlich erstickter Laut, den er ihr, gefolgt von - oh Wunder, schon wieder - einer unkontrollierten Träne entlockte. Sie wusste es ja. Schon lange, darum sass sie schliesslich immer noch hier. Trotzdem fühlte sie sich sofort unendlich schuldig bei dem Wissen, dass sie ihm heute mehr oder weniger angedroht hatte, ihm auch diese eine Sache, diese eine Person, deren Liebe ihm noch sicher war, zu entreissen. Sie selbst. Ein weiterer Grund, warum sie es ihm nicht früher gesagt hatte. Eigentlich auch heute noch nicht hatte sagen wollen. Es fühlte sich an, als würde sie ihn betrügen, hintergehen mit dem egoistischen Wunsch, sterben zu wollen und ihn hier alleine zurückzulassen. Obwohl sie wusste, dass sie für ihn alles war. Aryana rutschte auf dem Sofa näher zu ihm hin - jetzt wo die Gitarre zumindest vorübergehend beiseite gestellt war. Legte ihre Arme erneut um seinen Oberkörper, um ihn eng an sich heran zu ziehen... oder umgekehrt. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es fühlte sich selbstredend komplett falsch an, ihn an dieser Stelle mit für immer oder ich geh auch niemals weg trösten zu wollen, nach allem, was sie heute schon an Geständnissen hinter sich hatten. Nichts sagen war auch falsch, aber schien akut die einzige Option zu sein. Und so versuchte sie wenigstens, mit ihrer Umarmung etwas Trost zu spenden, ihn auf schönere Gedanken zu bringen als Verluste, um Verluste, um Verluste, die sein Leben prägten. Das Einzige, was sie über die Lippen brachte, was sie ihm in all der Unsicherheit und Verzweiflung ihrer aktuellen Lebenslage versprechen konnte, waren ein paar wenige Worte, die sie heute auch schon durch hatten. "Nicht mehr lange...", in welche Richtung auch immer. Sie wollte sich an die Zukunft klammern, daran, dass Ryatt - oder auch sie oder Mitch - den Weg aus diesem Drecksloch für sie fanden. Dass es eine positive Zukunft gab, eine mit Leben, mit Freude, mit Faye und Victor, mit Sonne und diesen Glücksgefühlen, von denen Mitch sprach. Aber Fakt war, dass sie nicht wussten, ob sie dahin kommen würden. Ob sie all die Dinge, die dann langsam in Erfüllung gehen durften, überhaupt je erleben würden. "Wir... wir kommen dahin, Mitch... Irgendwie schaffen wir das und dann finden wir gemeinsam heraus, was das Leben alles zu bieten hat, von dem wir jetzt noch nichtmal träumen... all die Dinge, die uns jetzt nicht einfallen wollen, weil sie in unseren Gedanken noch nicht existieren...", war es diesmal Aryana, die versuchte, positiv zu denken. Sich irgendwie an die winzige Option zu klammern, dass Mitch nicht für immer in diesem Kreislauf von Verlusten gefangen war. Dass sie das Licht nochmal sah. Dass sie beide in einem schönen kleinen Zuhause enden würden, zusammen auf einem bequemen Sofa sassen, Mitch seine Gitarre auspacken konnte, musikalische Happy Vibes streute, während sie auf die frischen, leuchtenden Blumen auf dem Couchtisch blickte und sich glücklich fühlte. Irgendwo gab es diese Version einer Zukunft. Es musste sie geben und sie mussten sie finden.
Das sollte die kleinste Hürde dabei werden. Ich fragte mich unweigerlich, ob ich überhaupt auf die Idee gekommen wäre, einen ausschließlich weißen Blumenstrauß zu kaufen. Das passte nicht zu mir und zu Aryana auch nicht wirklich. Weiß wurde schnell dreckig und man bekam es nur schwer wieder sauber. “Das krieg’ ich hin… Weiß wäre wahrscheinlich sowieso nicht meine erste Wahl gewesen.”, meinte ich mit einem leichten Schulterzucken und ging sonst nicht weiter auf das Thema ein, weil ich bestens wusste, dass Aryana ihre Vergangenheit genauso unangenehm war, wie mir meine eigene meistens auch. Rosen an sich waren schon ein sehr schönes Gewächs, aber deren Geruch mochte ich nicht so gerne. Ich hielt für uns beide also einfach kein Weiß und keine Rosen fest. Aryana noch mehr Tränen zu entlocken war absolut nicht meine Intention und so versetzte auch dieser kleine unscheinbare Tropfen mir einen Stich ins halbtote Herz. Ich war es nicht gewohnt, dass sie so leicht ihren Emotionen nachgab. Mit einem völlig oberflächlichen keine Ahnung zu antworten, war nur keine richtige Option gewesen, denn das Beerdigen unserer Gefühle brachte uns heute genauso wenig weiter wie sonst auch. Zu Schweigen war oft nur das kleine Geschwisterchen des Lügens und ich hatte von beidem irgendwie genug. Es ging mir, wenn überhaupt, nicht viel besser als Aryana und ich wollte diese Art von Leben nicht mehr. Als ich ihre Arme am Körper spürte, atmete ich etwas tiefer durch und schloss die Augen, streckte meine Hände wieder nach ihr aus. Ich war nach wie vor nicht der Beziehungstyp, der sich ständig an seinem Partner heftete, weil ich viel Zeit für mich brauchte. Doch hin und wieder, an genau solchen Tagen, tat selbst mir eine Umarmung ganz gut. Denn dieses nicht mehr lange würde sich noch verdammt lang anfühlen, da war ich mir sicher. Es klang wie immer ein bisschen zu einfach und zu schön, als Aryana und im Ansatz eine Zukunft ausmalte. Ein bisschen zu sehr so, als würde es nie existieren, obwohl es so ziemlich die einzige Sache war, für die ich noch weiter atmen konnte. Das und die Tatsache, dass ich mit einer ansatzweise vorhandenen Chance irgendwann glücklich mit Aryana zu enden, niemals selbst der Grund für meinen Tod sein konnte. Im Knast, mit einer Aussicht auf 24 weitere Höllenjahre in völliger Isolation, da wäre es unweigerlich irgendwann passiert. Aber so war es nicht gekommen: Ich hatte eine zweite Chance, saß hier mit Aryana und keiner würde mir jemals wieder sagen, dass ich sie gefälligst loslassen sollte, weil die Sekunden vorbei waren. Ich umarmte sie fester und küsste sie aufs Haar. “Wir… wir und der irgendwann-Hund.”, nuschelte ich die einzige Sache für die Zukunft vor mich hin, über die wir je wirklich geredet hatten. Wir sahen uns beide nicht in der Elternrolle, aber ein Hund irgendwann mal, wenns passte, das wäre schön. “Irgendwo in der Nähe von L.A., wenn sich bei Faye und Victor nichts ändert.”, murmelte ich die zweite Sache, die relativ sicher in unsere Zukunft gemauert war, sollten wir es wirklich aus Easterlins Fängen schaffen. Aryanas kleine Schwester und ihr Anhängsel hatten es auch geschafft, trotz all der Löcher, in die sie reingefallen waren. Ein bisschen fehlten mir Fayes Naivität und Victors immer wieder aufkommender Optimismus. Vielleicht war es doch langsam Zeit, den Kontakt nicht mehr krampfhaft zu vermeiden. “...und dann rollen wir uns regelmäßig in der Sonne durch den Sand wie zwei faule Flundern, weils hier oben viel zu viel regnet.”, gedachte ich wie so oft einem der wenigen Momente, in dem wir glücklich gewesen waren und gleichzeitig aber auch im übertragenen Sinne dem ewigen Regen, aus dem Aryana und ich einfach nicht mehr rauszukommen schienen. Neben der Tatsache, dass es in der Region rund um Seattle echt überdurchschnittlich oft regnete. Vielleicht konnte ich nie wieder nach Down Under, aber Kalifornien sollte auch genug schöne Strände haben, um immer mal wieder für ein oder zwei Tage lang so zu tun, als hätten wir keine anderen Sorgen, als genug Sonne abzukriegen. Bis zu den Sorgen eines einfachen US-Bürgers war es für uns beide noch ein weiter Weg, aber ich wünschte mir wirklich, irgendwann mal den Kopf frei genug zu haben, um mich übers Wetter zu echauffieren.
Das hatte sie sich schon so gedacht, man verschenkte in der Regel ja auch nicht rein weisse Blumensträusse, wenns nicht grad ums Heiraten oder eben ums Sterben ging. Nach Ersterem sah's hier aktuell wirklich nicht aus, wenn sie die Sache mal ganz realistisch beurteilen wollte. Und das mit dem Sterben hatten sie schon besprochen - war auch nicht unbedingt die beste Idee. Also keine weissen Sträusse und Mitch konnte sich, wenn er das denn gerne wollte, in einem Blumenladen etwas Bunteres aussuchen. Bloss weil sie jetzt darüber gesprochen hatten, hatte sie noch lange nicht die Erwartung, dass er wirklich Blumen holte. Sie wusste ja bestens, wie ihr Alltag aussah und wie wenig Zeit und viel weniger Energie dann übrig blieb für sowas. Die Umarmung tat auch diesmal gut und half ihr, zusammen mit ein paar tiefen Atemzügen, nicht direkt wieder in der totalen Schwärze ihrer Gedanken zu versinken. Seine Nähe und seine Worte. Der Gedanke an einen möglichen Vierbeiner, den sie irgendwann in der Zukunft gemeinsam spazieren führen würden. Tatsächlich entlockte der Gedanke ihr ein kleines Lächeln und ihre Muskeln entspannten sich wieder ein bisschen. Vielleicht sollte sie öfter an den Hund denken. Weniger, weil sie sich seit immer einen Hund gewünscht hatte - so war es ja nicht. Aber es war eine Aufgabe für die Zukunft. Es war etwas, worauf sie sich freuen konnte. Ein klarer Gedanke zwischen den ganzen Unsicherheiten und Fragezeichen, die die Zeit nach Eastlerin, sollte es sie jemals geben, prägten. "Den irgendwann-Hund holen wir aber aus dem Tierheim, oder?", fragte sie zurück, um den Gedanken noch etwas länger in ihrem Kopf kreisen zu lassen. Sie ging nicht davon aus, dass Mitch einen anderen Plan hatte. Nach der Geschichte, die sie beide hinter sich hatten - gemeinsam und alleine - schien das Tierheim die einzig richtige Option zu sein. Es wäre ausserdem vielleicht auch eine kleine Münze in der Waagschale von Dingen, die sie richtig gemacht hatten. Etwas Gutes neben all der Zerstörung. Würde vielleicht nicht reichen, um ihr Karma auszugleichen, aber sie wusste auch nicht, ob das jemals ein realistisches Ziel sein würde bei einer Vergangenheit voller Mord und Betrug. Es wäre auf jeden Fall schön, wenn sie das alles hier oben im Regen stehen lassen konnten, um dann südwärts in der Sonne neu zu starten. In der Nähe von Faye und Victor, in der Nähe vom Meer. Ebenfalls zwei Gedanken, die durchaus schön waren. Die paar Anhaltspunkte in der Planung ihrer hypothetischen Zukunft, die schon mehr oder weniger fix waren, klangen eigentlich schön. Sie mussten nur noch dahin kommen und dieser Teil des Weges stand leider im dichtesten Nebel. "Vielleicht sollten wir uns von jetzt an eher auf die Planung unserer Zukunft im Süden konzentrieren, statt auf die Probleme, denen wir hier nie entkommen... Und die Fluchtplanung Ryatt überlassen. Wir hatten bis jetzt leider sowieso keine brauchbare Idee dafür", schlug sie vor. Möglicherweise war das auch eine dumme Idee. Aber die Chance bestand, dass das Ausmalen einer Zukunft, die aktive Planung der Zeit danach, ein bisschen Öl in die sterblichen Überreste der Flamme, die ihren Lebenswillen darstellte, tröpfeln würde. Sie wollte nicht unbedingt aufgeben was ihr Entkommen von Easterlin betraf. Aber realistisch betrachtet war äusserst fraglich, ob sie ausgerechnet in diesem Zustand in der aktuellen Situation doch noch auf eine gute Idee kamen. Vielleicht war Ryatt erfolgreicher damit. Soviel sie mitbekommen hatte, war er bekannt für sein strategisches Denken. Ausserdem hatte er wesentlich mehr Zugriff zu Insiderwissen, das ihnen für immer vorenthalten blieb. Seine Möglichkeiten waren grösser und vielleicht, vielleicht... wäre sie Faye damit irgendwann doch noch dankbar dafür, diesen Mann in ihr Leben geschleppt zu haben.
Ich brauchte nicht erst darüber nachzudenken und nickte sofort, als Aryana auf die Beschaffung unseres zukünftigen Haustiers zu sprechen kam. Weder legte ich irgendeinen Wert auf die Rasse des Vierbeiners, noch sah ich großen Sinn darin, mir einen ganz bestimmten Welpen aus irgendeinem Wurf auszusuchen. Es gab schon mehr als genug verstoßene Hunde, die aus tausend verschiedenen Gründen in einem Heim festsaßen. Als verkorkstes Waisenkind kam mir gar nichts anderes in den Sinn, als einem solchen ein neues, besseres Zuhause zu geben. “Natürlich. Die ganzen Rassewelpen finden sowieso Abnehmer.”, antwortete ich wahrscheinlich nichts anderes, als Aryana bereits erwartet hatte. “Er sollte vielleicht nicht schon 10 Jahre alt sein und kein großes Aggressionspotenzial haben, weil ich glaube, dass einer davon in der Familie reicht… aber abgesehen davon hab ich keine großen Ansprüche.”, fügte ich mit einem leichten Schulterzucken an, verlor mich für den Moment wirklich gerne in den Gedanken an diese zukünftige kleine Familie. Ich brauchte keine Kinder, um es als solche zu sehen. Mir reichte der Gedanke an einen Hund, der sich immer über unsere Anwesenheit freuen würde, weil er nichts von all den schlimmen Dingen wusste, die wir getan hatten und weil es ihm bei uns gut gehen würde. Weil er froh darüber sein würde, nach dem Tierheim doch noch ein eigenes Zuhause gefunden zu haben, nachdem er vermeintlich ausweglos dort gestrandet war. So wie Aryana und ich jetzt an Easterlins Küste festhingen und nicht mehr vom Wellenbrecher runter kamen, weil wir sofort in die Strömung gerissen werden würden, wenn wir uns ins Wasser wagten. Alles in mir sträubte sich nach wie vor dagegen, Ryatt mein Leben und auch noch das von Aryana anzuvertrauen. Deswegen blickte ich auch einen Moment lang ziemlich kritisch zu ihr runter und lockerte dabei die Umarmung wieder etwas, weil das bequemer war. Entweder hatte dieser Typ sich vorhin, als ich nicht da gewesen war, auf irgendeine Weise so tief in ihren Schädel gebrannt, dass sie ihm jetzt genauso vertraute, wie ihre Schwester das tat, oder aber sie hatte alles andere nun schlicht aufgegeben. Vielleicht war beides ansatzweise der Fall und dazu kam, dass wir keinen Schimmer davon hatten, wie wir Easterlin erfolgreich hintergehen konnten. Wir hatten schon alles zu Ende gedacht und nicht mal den Ansatz einer Lösung… und ich hasste es. “Ich glaube, du weißt, wie wenig ich davon begeistert bin…”, setzte ich nicht richtig überzeugt zu einer Antwort an. “...aber uns bleibt relativ offensichtlich nichts anderes mehr übrig.”, zwang ich mich mit einem schweren Seufzen im Abgang, der Realität ins Auge zu sehen. Wir waren beide schwer depressiv und Aryana vegetierte am Rand zum Selbstmord. Ich würde schon genug damit zu tun haben, sie wieder ausreichend zurück auf die Beine zu kriegen und ich war nüchtern betrachtet kein herausragender Stratege. Allein schon wegen meiner oft stark negativ behafteten Gefühlswelt, die mich von klaren Gedanken abhielt. “Ich weiß bloß wirklich nicht, wo wir mit dieser Planung am besten anfangen sollen.” Neuland für mich. Als ich aus der Haft entlassen wurde, war sofort klar, wo ich hingehen und wo ich wohnen würde – bei Aryana, nahe unserer aufgezwungenen Arbeit. Jetzt aber würde ich mir einen Job oder besser eine Ausbildung suchen müssen, um nicht für immer beschissene Jobs zu machen, die nicht gut für meinen Kopf wären. Ohne Schulabschluss, wohlgemerkt. Wir mussten uns eine Wohnung oder besser erstmal Bezirke raussuchen, die generell in Frage kamen. Gefühlt hatte das alles bei Faye und Victor so leicht ausgesehen… wenn man die ganzen Stolpersteine zwischendurch ignorierte zumindest. Die beiden redeten auch seit gefühlt immer schon übers Heiraten und ihre gemeinsame Zukunft. Hatte sich meine Meinung zur Ehe geändert? Viel zu viele Fragen, deren Antworten schwierig waren – jedoch leichter als die Frage danach, wie wir es bis dahin schaffen konnten. Ryatt sollte seinen blöden Schädel gefälligst anstrengen, wenn Aryana ihr Leben so bereitwillig in seine ebenfalls blutigen Hände legte.
Sie sollte tatsächlich öfter an den Hund denken. Irgendwie war der Gedanke bis heute gar nicht wirklich präsent in ihrem Kopf gewesen. Sie erinnerte sich schon an das entsprechende Gespräch mit Mitch, hatte zwischenzeitlich aber nicht mehr über eine mögliche Zukunft mit Haustier nachgedacht. Vielleicht war das aber ein Grund mehr, noch irgendwie in den Seilen hängen zu bleiben und sich nicht komplett fallen zu lassen. Zu wissen, dass sie irgendwann wenigstens einen Hund glücklich machen würden, wenn sie nur noch etwas länger kämpfte. "Gut... Ich glaube, mit diesen beiden Kriterien bin ich einverstanden. Über 10 Jahre wäre das Risiko auf eine baldige weitere Beerdigung sowieso zu gross gewesen und naja... das brauchen wir sicher nicht. Und das mit dem Aggressionspotenzial klingt ebenfalls vernünftig. Ich kann euch kaum beide an der kurzen Leine halten, wenns stressig wird", versuchte auch Aryana, hier wieder ein paar Tropfen Sarkasmus einzustreuen. Im Moment würde sie nichtmal Mitch zurückhalten, wenn er wütend wurde - ein aggressiver Hund wäre da also definitiv unverantwortlich. Zumal sie den Hund ja nicht anschaffen wollten, um dann mit ihm gemeinsam die Welt unsicher und gefährlich zu machen. Wäre ein bisschen kontraproduktiv bei ihren Absichten, in Zukunft mit deutlich weniger Gewalt unterwegs zu sein. Sie hatte nicht erwartet, dass Mitch begeistert sein würde von dem Vorschlag, die Sache mit dem Fluchtplan Ryatt zu überlassen. Sie verstand ihn darin auch bestens, teilte seine Verlangen nach Kontrolle weitgehend. Ausserdem das Misstrauen gegenüber Ryatt. Das liess sich zwar schlecht mit ihren heutigen Handlungen vereinbaren, aber ursprünglich war sie bekanntlich nicht zu Ryatt gegangen, um ihm den Rockzipfel vollzuheulen. Sie versuchte die Sache gerade einfach realistisch zu sehen und da war Ryatt ihre beste, wenn nicht sogar einzige Chance, aus diesem gitterlosen Gefängnis zu entkommen, bevor ihnen dort drin endgültig die Luft ausging. Und sie konnte nicht mehr nächtelang darüber nachdenken, wie sie jemals wieder in Freiheit atmen sollten. Es gab offensichtlich keine Lösung, die sie selbst finden konnten. Zumindest keine, die sie nicht wiederum für sich alles kosten würde und sie direkt beide ins nächste Gefängnis, diesmal mit Gitterstäben, schickte. "Ich weiss. Und ich muss dir sicher nicht erklären, dass ich mir nicht wünschen würde, wir hätten längst selbst einen Weg gefunden. Aber das haben wir nicht. Und wir haben keine Zugänge zu dem Wissen, das wir zur Flucht brauchen würden. Werden diese Zugänge auch niemals erarbeiten können, weil unser Ruf in dieser Anstalt längst ruiniert ist. Also wird Ryatt hier weiterdenken müssen. Und ich... ich glaube schon, dass er das schafft. Er... er wirkte nicht so, als... könnte er anderweitig... naja... als würde er andernfalls die Konsequenzen gut verkraften", sie wollte nicht wieder mit dem leidigen Thema anfangen. Versuchte nur, Mitch aufzuzeigen, was Ryatt ihr zu verstehen gegeben hatte. Ob er wirklich eine Lösung fand, blieb natürlich abzuwarten, aber es wäre sicher von Vorteil, wenn zumindest sie beide versuchten, an einen positiven Ausgang der Dinge zu glauben. Wenn sie mit der Planung des Danach begannen. Ein Thema, das ganz genauso viele Fragezeichen aufwarf, weil sie beide leider keine solide Erstausbildung aufweisen konnten, die ihnen besonders viele Möglichkeiten offenlegte für einen schnellen, unkomplizierten Berufseinstieg im normalen Leben. Es galt also gewisse Vorsicht zu wahren, damit sie nicht auch noch die eigentlich beste Version der Zukunft mit allzu vielen Sorgen und negativen Emotionen bekleckerten. Aryanas Hand lag nun wieder locker auf seiner Brust und strich immer wieder über den Stoff seines Shirts. Ein unbewusster Versuch, ihnen beiden ein bisschen Sicherheit und Beruhigung zu verschaffen. "Das weiss ich auch nicht... Aber ich bin mir relativ sicher, dass die Sache mit unserem zukünftigen Arbeitsleben entscheidend ist... Vielleicht sollten wir uns hier mal ausgiebiger Gedanken machen", meinte sie, wobei sie damit sicher nicht den heutigen Abend meinte. Heute war genug passiert, worüber sie sich den Kopf zerbrechen konnten. Ihre Köpfe waren längst durch und brauchten eine Pseudo-Pause in Form einer Nacht. Das andere Thema brauchte ebenfalls Energie, Zeit und Nerven, die sie heute nicht mehr hatten.
Aryana verleitete mich zu einer bildlichen, durchaus lustigen Vorstellung. Es war eigentlich nie ein Grund zum Lachen, wenn ich austickte – trotzdem musste ich ein kleines bisschen grinsen beim Gedanken daran, wie sie versuchte, gleichzeitig einen 45 Kilo schweren Rottweiler-Mix und meine Wenigkeit zurück unter Dach und Fach zu kriegen. Ein recht aussichtsloses Unterfangen, in jedem Szenario. “Das tun wir dir lieber nicht an.”, unterstützte ich sie weiter im von mir angesteuerten Entschluss, wobei das Grinsen langsam wieder verblasste. Denn weder das Thema rund um Ryatt, noch rund um unseren Ausbruch aus dieser beschissenen Lebenslage, waren leicht ins Lächerliche zu ziehen. Es war bitterer Ernst auf allen Ebenen, ganz gleich wie schwer es mir auch fallen mochte, zu akzeptieren, dass wir dieses eine Mal mehr als nur uns beide brauchten, um heil aus der Sache rauszukommen. Ich hatte mich immer nur auf Aryana verlassen müssen, nie auf eine dritte Person. Bei Fayes Befreiung war Ryatt zwar auch mit von der Partie gewesen, aber auf ganz anderer Stufe… er könnte uns Easterlin mit einem Fingerschnippen zum Fraß vorwerfen, wenn er das wollte. Genauso war die Wahrscheinlichkeit, dass das versehentlich passierte, sicherlich nicht allzu gering, weil ich weiterhin nicht an einen vollständig risikofreien Plan glaubte. Auch aus seiner Position im Kern der Prganisation heraus nicht. Irgendwie schien der Veteran Aryana jedoch davon überzeugt zu haben, dass ihm etwas an seiner Mithilfe lag und er die Sache deshalb nicht in den Sand setzen würde. “Ich hoffe wirklich, dass du damit Recht behältst.”, murmelte ich nur noch vor mich hin. Alles, was Aryana von sich gab, stimmte. Nur den letzten Teil konnte ich nicht bestätigen, lediglich darauf hoffen, dass das stimmte. Dass Ryatt nicht nur irgendein komisches Spiel spielte, sondern uns tatsächlich aufrichtig helfen wollte. Einerseits wollte ich an der Stelle weiter nachhaken, wie sie darauf kam, aber andererseits war es für den Augenblick vielleicht doch besser, wenn ich keine potenziellen Gründe riskierte, wütend zu werden. Sei es auch nur wegen der Art, wie er mit Aryana geredet hatte oder was auch immer. Ich hatte auch so schon genug Probleme… Außerdem half das Streicheln an der Brust dabei, mich mehr aufs Hier und Jetzt zu fokussieren und nicht wie so oft auf die mir ständig nachjagende Vergangenheit. “Es ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, dass die vernünftige Aryana sich langsam wieder zu Wort meldet.”, rundete ich nicht nur das vorherige Thema rund um Ryatt, sondern auch die Sache mit unserer anstehenden Zukunftsplanung vorerst ab. Es war oft so, dass ich mich auf den kühlen Kopf der Brünetten verließ und das konnte ich aktuell nicht tun, bemessen an ihrem wahnsinnigen Besuch bei Ryatt. Ein bisschen war sie seitdem aber wieder auf den Teppich gekommen und das war gut. Änderte zwar nichts daran, dass wir beide noch keinen Schimmer hatten, womit wir in Zukunft unser Geld verdienen sollten, aber das würden wir heute auch nicht mehr rausfinden. Ich schob eine Hand unter Aryanas Shirt und streichelte ihr mit vorübergehend geschlossenen Augen über die Seite. Hielt sie einfach noch eine kleine Weile lang einfach nur fest, weil ich das viel zu lange nicht getan hatte. “Noch ein Lied und dann trag ich dich ins Bett? … oder zumindest bis in den Flur.”, fragte ich nuschelnd und suchte nach Blickkontakt. War möglich, dass sie nochmal ins Bad wollte. Die Gitarre konnte als gebrachtes Opfer ruhig eine Nacht im Wohnzimmer chillen, wenn es darum ging, der Brünetten mit Gestik zu untermauern, dass ich sie erstmal eine Weile trug, wenn sie selber keine Kraft fand, weiter vorwärts zu gehen. 20 bis 30 Sekunden mehr Körperkontakt. Ein paar Sekunden, die uns vielleicht daran erinnerten, dass wir nicht ständig alles alleine machen mussten, sondern uns auch in die Arme des anderen fallen lassen konnten. Genauso wie Get You The Moon von Kina mein ewiges Versprechen an Aryana bleiben würde. Ich würde alles für sie tun, was im Bereich meiner Möglichkeiten lag.
Ja auch hier konnte sie ihm mal wieder zustimmen. Auch wenn es ihr irgendwann wieder besser gehen sollte, wären ein aggressiver Hund und ein aggressiver Mitch etwas zu viel für sie. Oder halt dann für die Person oder Sache, gegen die sich die Aggressionen richteten, die Aryana allein dann eben nicht mehr zurückhalten konnte. So konnte sie ihm nur nochmal mit einem Nicken beipflichten, ihn in seinem Vorhaben, sie vor diesem situativ potenziell sehr anstrengenden Doppelpack zu verschonen. Ein überwiegend friedvoller Hund wäre ein besserer Geselle für sie beide, auch wenn Mitch nun schon länger deutlich weniger Aggressionsprobleme hatte, als das zu Beginn ihrer Bekanntschaft und dann auch ihrer Beziehung der Fall gewesen war, das musste an dieser Stelle auch noch gesagt sein. Wie seine Wutausbrüche war heute leider auch ihr Verstand ein bisschen flöten gegangen, wie Mitch nun noch wörtlich kundtat, was sie beide - und Ryatt - längst wussten. Sie wollte gerne hoffen, dass das einmalig gewesen war und die Tatsache, dass sie das ganze Elend heute einmal ausgekotzt hatte, massgeblich zu einer Besserung ihres Geisteszustandes führen würde. Ganz sicher konnte sie das noch nicht sagen aber auch hier würde ein bisschen Optimismus - auch wenn der zurzeit nicht so ganz aus tiefstem Herzen stammte - nicht schaden. "Hoffen wir mal darauf, dass sie sich nicht zu schnell wieder verabschiedet", meinte die Brünette dazu ein bisschen sarkastisch... oder auch nicht. Sie wünschte sich eigentlich wirklich nicht, dass dieser Tag sich jemals wiederholte. Gleichzeitig würde sie zu diesem Zeitpunkt aber eher noch nichts darauf verwetten, dass sie sich in Zukunft wieder besser im Griff haben würde. Könnte auch sein, dass jetzt, wo die Dämme einmal alle eingestürzt waren, nichts Brauchbares mehr zustande kam und sie immer wieder weggespült wurden, wenn der Druck zu hoch wurde. Dann wollte sie aber hoffen, dass es in Zukunft nicht mehr in Ryatts Wohnung passierte. Lieber hier, in Mitchs Armen, damit sie möglichst umgehend von der Wirkung seiner Nähe, seiner Stimme und seiner Zärtlichkeiten profitieren konnte. Die sie im Übrigen auch jetzt mit geschlossenen Augen genoss, solange sie anhielten. Ein paar stille Minuten ganz nah bei ihm, bis es langsam Zeit wurde, ins Schlafzimmer zu wechseln. Scheinbar mit Taxi - nach einem letzten Song. Beides fand natürlich direkt Anklang bei Aryana und so drückte sie ihren Kopf nochmal eng an ihn, hauchte einen Kuss auf sein Shirt, bevor sie sich etwas zurückzog und zu ihm hoch blickte. "Klingt nach einem guten Deal", willigte sie ein und gab für den letzten Song den nötigen Platz frei für seine Gitarre. Es war das Lied, das sie sich innerlich gewünscht hatte. Das Lied, das nur Mitch und ihr gehörte. Das Lied, das immer perfekt war, wenn er es für sie sang. Das Lied, das so deutlich in Worte fasste, warum Mitch und sie perfekt füreinander waren und warum sie seinetwegen nicht aufgeben durfte. Aryana lauschte den Klängen als wäre es das erste Mal, dass sie sie hörte. Sie lehnte sich etwas im Sofa zurück, hielt den Blick jedoch konstant auf sein Gesicht gerichtet. Sie las die Emotionen, die er mit dem Lied verband, hing währenddessen aber genauso tief in ihrem eigenen Kopf und Herzen fest. So brauchte es wieder ein paar Sekunden Stille, nachdem der Song verklungen war, während derer sie ihn einfach nur anschaute. Nachdem er die Gitarre erneut beiseite gelegt hatte, fand ihre Hand den Weg zurück an seine Wange, streichelte sachte über seine Haut. Aryana beugte sich vor, um ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen zu setzen, lehnte dann für einen Moment ihre Stirn an seine. "Eigentlich sollte ich das Lied jetzt für dich singen...", murmelte sie eine leise Tatsache. Es war zwar selbstredend, dass der Liedtext schon immer in beide Richtungen gepasst hatte, sie genauso für ihn sterben würde, wie er es beim Singen für sie zu tun versprach. Aber aktuell war es nicht sie, die ihn vom Sterben abhalten konnte. Nicht sie, die ihm Unterstützung bot, wenn er nicht mehr kämpfen konnte. Heute war er der Grund, warum sie noch hier war und noch nicht aufgegeben hatte. "Ich will gar nicht wissen, wo ich ohne dich jetzt wäre...", vielleicht in Syrien unter der Erde, wenn sie sich gar nie mit ihm angefreundet hätte. Vielleicht hier unter der Erde, wenn sie ihn während der letzten beiden Jahren irgendwann verloren hätte. Vielleicht im Irrenhaus oder ihrerseits im Gefängnis, wenn sie sich nicht für ihn bis heute so zusammengerissen hätte. Auf jeden Fall nicht hier, auf diesem Sofa, mit diesem einen guten Grund, für den es sich weiterhin zu kämpfen lohnte.