… Hinkt. Er kann ja nicht mal raufgehen wie ein normaler Mensch, er muss sie auch noch hoch HINKEN… doppelt gestraft. v.v XD
Das is jetz dann aber der letzte Mördertext - musste halt Mitch noch kurz aufholen und ihm einen Mood verpassen, damit das auch abgehakt ist, lel. x'D _____
Ich fühlte mich nicht wirklich bereit für Ryatts Besuch. Eigentlich fühlte ich mich für gar nichts bereit oder gar gut vorbereitet und ich hatte es wirklich versucht. Hatte mir Mühe damit gegeben, Aryana das Leben zumindest ein bisschen leichter zu machen mit Dingen, die in meiner Macht standen. Das half auch, aber nur in so schwindend geringem Ausmaß und derartig kurzfristig, dass es sich wenig später bereits so anfühlte, als wäre es umsonst gewesen. Ich hatte ihr auch die Blumen geholt – zwei Mal sogar. Keine weißen Rosen, sondern jeweils einen wiederum aber auch nicht zu bunten, gemischten Strauß. Die waren schon schön anzusehen und Aryana freute sich auch, in einem unserer ganzen Situation entsprechenden Ausmaß. Fünf Minuten später fühlte es sich dann trotzdem wieder so an, als würde ich versuchen, eine Stichflamme mit ein paar salzigen Tränen zu löschen, weil das alles war, was ich zur Hand hatte. Als könnte ich es genauso gut sein lassen, was vielleicht nicht stimmte, aber es änderte nichts an den vernichtenden Gefühlen. Taub und mechanisch durch den Alltag zu gehen, stumpf alles abzuarbeiten, war am Ende zwar auch nicht besser, aber eindeutig leichter erträglich gewesen. Jetzt tat wieder alles weh und fühlte sich unfassbar sinnlos an. Eine Kombination, die unmittelbar dazu führte, dass ich ebenfalls wieder damit anfing, darüber nachzudenken, ob einfach abzukratzen nicht tatsächlich unsere einzige Option war, um alledem endlich zu entkommen. Immerhin konnten wir uns gegenseitig die Angst davor nehmen, der jeweils andere würde sich urplötzlich in Luft auflösen. Es beruhigte mich ein bisschen, zu wissen, dass ich mich wenigstens noch von ihr verabschieden konnte, falls sie endgültig aufgab. Mein ehemaliger Therapeut wäre trotzdem nicht stolz auf mich. Als Ryatt seinen Besuch gen Mittag ankündigte, sah ich ihn ungefähr genauso an, wie ich es auch jetzt wieder tat, wo er ins Wohnzimmer kam und surreal beschwingt wirkte. Ich hatte nicht mehr als ein Nicken und Müdigkeit für ihn übrig. Ich schlief noch schlechter als vor drei Monaten und was auch immer er glaubte, erfolgreich ausgebrütet zu haben, würde sich nur mühsam den durchweg pessimistisch verlaufenden Weg in meine Gehirnwindungen bahnen können. Als Aryana sich zu mir setzte, streckte ich automatisch eine Hand nach ihr aus und legte sie auf ihren Oberschenkel. Ganz allgemein suchte ich – für meine Verhältnisse – überdurchschnittlich oft instinktiv ihre Nähe, was ich mir damit begründete, dass ich vielleicht nicht mehr lange die Möglichkeit dazu haben würde. Ich versuchte Ryatts Worten zu folgen, als er zu reden anfing. Ohne anhaltende Vorurteile im Blick, weil ich auch dafür keine Energie mehr hatte. Er redete viel und ich sah auf die Karte. Dann wieder in sein Gesicht, dann nochmal aufs Papier. Als er nachhakte, ob alles angekommen war, atmete ich einmal tief durch und Aryana wiederholte zwischenzeitlich nochmal, was sie behalten hatte. Ryatt nickte ihre Wiederholung ab, bevor er mich ansah. Bei mir war vor allem die Tatsache hängen geblieben, dass wir in unserem desolaten Zustand eine zu tödliche Mission ausführen sollten und das alles allein deshalb nicht hinhauen würde. Trotzdem machte ich mit der freien Hand eine simple Geste, dass er fortfahren konnte, ehe Aryana schon ihre eigene Version eines Plans offenlegte. Die naheliegendste und absolut nicht lohnenswerte Version. Der Veteran schüttelte aber ohnehin sofort den Kopf – mitsamt Schmunzeln auf den Lippen. Ich fands ein bisschen dreist, wie er hier saß und sich rigoros ohne uns freute, aber vielleicht hatte er ja wirklich noch irgendwas Gutes in petto. Irgendwas, das sein dummes Geniehirn dann auch endlich mal aufzeigte. “Ich hoffe nicht.”, war seine erste, sarkastische Antwort auf Aryanas Pseudo-Vorschlag. Er war so gut und machte gleich darauf ernsthaft weiter. “Weil der Kontaktabbruch zur Basis glaubwürdig sein muss, habt ihr keine Möglichkeit zur Kommunikation mehr bei euch. Vermutlich wird die Mission entweder in einem üblen Stadtviertel oder am Arsch der Welt stattfinden – euer erstes Ziel ist also zwangsläufig, da weg zu kommen, damit euch keiner von besagten Kriminellen aufgabelt. Je nachdem, wie euer Zustand ist, müsst ihr euch entweder erst um mögliche Verletzungen kümmern, oder könnt euch ohne große Umwege auf diese Route begeben.” Wieder landete sein Finger auf dem knittrigen Papier. Und wie genau sollten wir diese Strecke bewältigen? Zu Fuß wohl kaum. Jetzt beugte auch ich mich weiter vor, um die Linie auf der Karte besser sehen zu können. Ryatts Finger folgte der Linie und stoppte in der Küstenregion. “Sie ist variabel, aber die Küstenlinie ist die sicherste. Dort befinden sich zahlreiche Urlaubsresorts und ihr werdet die Gastfreundschaft brauchen, um die Heimat zu kontaktieren. Ihr werdet, realistischerweise, meine direkte Durchwahl in Easterlins Büro nicht auswendig wissen… sprich, ihr müsst euch über unsere tolle offizielle Website eine Telefonnummer suchen, damit irgendwo im Headquarter melden und euch weiterleiten lassen, bis ihr bei mir landet, weil euch sonst keiner helfen wird. Ich kalkuliere fest damit, dass Easterlin euch schlicht tot zurücklassen wollen wird. Es ist naheliegend, bemessen daran, dass eure Leistung stetig sinkt.” Es war mir egal, wie nüchtern Ryatt das sagte. Mir war selber klar, dass ich im Training weniger Leistung zeigte und dass er uns neuerdings fast nur noch für Scouting-Missionen einteilte, mit wahrscheinlich genau dieser Begründung – und weil Aryana ihn darum gebeten hatte, natürlich – machte unsere Bilanz ja nicht besser. “Dass ihr diesen Umweg über einen Computer macht und euch merkt, in welchem Hotel das passiert, ist wichtig – wir brauchen diese belegten Netzwerkdaten später möglicherweise als Beweis.” Beweise wofür? Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und war dezent überfordert damit, seinen Worten und Beweggründen zu folgen. “Bis euer Anruf bei mir ankommt, muss Easterlins Trupp aber, zur Sicherheit des Plans, definitiv schon ausgeflogen sein. Wie lange genau ihrs an der Küste aushalten müsst, kann ich euch also jetzt noch nicht sagen. Es ist dort aber sehr sicher, also eher eine Verschnaufpause mit schöner Aussicht… die ihr sowieso gut brauchen könnt.” Oh, you don’t say? “Ich werde mich an diesem Punkt dann gegen Easterlins Entscheidung stellen müssen. Ich bezweifle, dass er den Aufwand betreiben wird, euch da rauszuholen, nur weil ihr doch noch am Leben seid. Der direkte Landweg von Südamerika in die USA ist fast unmöglich bis tödlich, führt durch zahlreiche Sumpfgebiete und ist mit Guerillas gespickt. Er wird also annehmen, dass ihr da drüben sowieso verreckt, weil ihr euch – wie bei jedem anderen Einsatz auch – nicht ausweisen könnt und deswegen keine Flüge oder Fähren nutzen könnt... also werde ich euch, wider seiner Anweisung, fortan da raushelfen und den Kontakt zu euch halten, weil ich davon ausgehe, dass ihr es schafft, euch in der Urlaubsregion ein einfaches Handy zu besorgen. Die Netzabdeckung da drüben ist stellenweise katastrophal, aber die wichtigsten Infos bekommt ihr ja ohnehin schon vor dem Einsatz von mir..." Er stockte kurz, weil er wohl selber merkte, dass er sich in einem Detail verlor, das zumindest jetzt gerade nicht so relevant war. Ich kam nur schwer hinterher und war so oder so dankbar für die Pause, in der ich angestrengt versuchte, all seine Worte ansatzweise sinnvoll in meinem Schädel neu einzusortieren. Nach einem Schluck Wasser fuhr Ryatt fort. "Ich verweise euch an den US-Stützpunkt in Kolumbien, an dem ich mitunter stationiert war.” Sein Finger legte sich auf das zweite Kreuz auf der Karte. Das Kreuz, das so ewig weit von dem ersten entfernt war.
Jetzt war Mitch an der Reihe, heftig zu blinzeln. Das konnten sie beide echt gut. “Wieso zum Teufel sollten die uns helfen, Ryatt? Hast du unsere Akten nicht schon tausend Mal gelesen?” Eine Frage, mit der ich gerechnet hatte. Es war intern ein im Grunde offenes Buch, dass Easterlin sich sämtliche Infos über seine Söldner mehr oder weniger direkt von der Army bezog. Den indirekten Vorwurf, mich zu sehr für ihre Vergangenheit zu interessieren, ignorierte ich. Da stand ich drüber. “Eine berechtigte Frage, angesichts deines Hochverrats und Aryanas wissentlicher Geheimhaltung… aber es spielt eine maximal kleine Rolle. Viele meiner ehemaligen Kollegen sind noch dort stationiert. Sehr gute, langjährige Freunde, um es präziser auszudrücken. Einer davon schuldet mir noch einen dicken Gefallen und sitzt in einer sehr hohen Position, die ihm die nötigen Befugnisse gibt, euch zurück in die Staaten zu bringen.” Mitch standen weiterhin fette Zweifel im Gesicht und er schüttelte ungläubig den Kopf, ehe er zur Seite wegsah. Ich begründete diesen Punkt im Plan also ausführlicher: “Sämtliche US-Botschaften werden euch nicht helfen, weil ihr euch – wie schon gesagt – nicht ausweisen könnt. Die knallen euch die Tür vor der Nase zu, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Army hingegen hat eure Daten schon. Ihr müsst es bloß schaffen, euch unter Nennung meines Namens einen Weg zu Ezra zu bahnen. Er wird euch helfen, das ist er mir schuldig... und wir müssen den Staat in Form der Armee zwingend involvieren, damit das alles nicht einfach schon wieder unter den nächsten Tisch fallen kann. Easterlin bewegt sich regelmäßig weit außerhalb der vom Staat tolerierten Grauzonen und wir müssen Aufmerksamkeit darauf lenken. Das ist unsere einzige Chance, ihn dingfest zu machen und aus dem Weg zu räumen." Mitch lachte leise, ziemlich bitter in sich hinein und hob eine Hand, um sich den Nasenrücken zu massieren. “Wie weit ist es?”, hakte er trocken nach. “Je nach Route, auf die es euch am Ende verschlägt… ungefähr etwas weniger als 7000km.” Kurzes Schweigen. “Und wir müssen durch Kolumbien, wo dir das da”, er ließ die Hand sinken und machte eine kraftlose Handbewegung in Richtung meines Beins, “passiert ist?” Ich räusperte mich leicht und griff nochmals nach dem Glas, um zu trinken. Es war verständlich, dass er mit einer suizidalen Freundin an der Seite überwiegend die schlechten Dinge in den Fokus nahm und sich nicht einmal daran versuchte, den kleinen Lichtstrahl am Ende des Tunnels zu verfolgen. Mich nebenbei auch noch gekonnt daran erinnerte, wie hässlich der Schmerz von Flammen am eigenen Fleisch war. Wie üblich musste ich vermehrt auf Aryana setzen, die an 9 von 10 Tagen den klareren Kopf des Duos bewies. Einer von vielen Gründen, warum sie damals in der Army in der Nahrungskette über ihrem Freund gestanden hatte. “Korrekt, ja…”, bestätigte ich. Der Tätowierte schnaubte. “Klingt zu zweit absolut machbar und überhaupt gar nicht wahnsinnig.” Er konnte nur Ironie und Sarkasmus, oder?
ENTSCHULDIGUNG, ich wollte natürlich nicht seine Mühen verniedlichen! x'D
Und danke, I appreciate it... Aber seinen Mood konnte ich mir bei Mitch in diesem Setting durchaus denken...... xDD ________
Bevor sie sich recht überlegen konnte, ob ein Leben in organisierter Kriminalität irgendwo in Südamerika vielleicht die bessere Option darstellte, als das, was sie aktuell hier machten, liess Ryatt sie wissen, dass das gar nicht der Plan war. Wahrscheinlich besser. Faye würde ihr Abtauchen weder schätzen, noch verstehen. Ausserdem wäre das ja nur eine andere Form von kriminellen Machenschaften, nur ein anderes Arschloch, dem sie Geld beschafften. Sie würde noch immer morden und stehlen und traumatisieren und Elend verbreiten. Sie lauschte also den weiteren Ausführungen des Veteranen, bemühte sich, seinen Worten bestmöglich zu folgen. Sowohl auf der Karte als auch in ihrem chronisch überlasteten, von negativen Emotionen vernebelten Gehirn. Es ging problematisch weiter, als er ihnen offenlegte, dass sie keine Mittel zur Kommunikation mehr mit sich haben würden. Der erste Gedanke, der ihr dabei kam, war, dass sie auf keinen Fall riskieren durfte, in diesem Moment Mitch zu verlieren. Wenn die Mission schon als ganzes Einsatzteam so gefährlich war, wäre sie zu zweit hochriskant und im Alleingang ein Todesurteil. Daraus machte Ryatt keinen Hehl, so wie er die Lage vor Ort umschrieb und am Rande potenzielle Verletzungen erwähnte. Die sie wirklich besser vermeiden würden, angesichts der Tatsache, dass das erst der Anfang des Plans gewesen war. Scheinbar wohl der riskanteste und katastrophenanfälligste Teil, aber trotzdem. Wären sie hier schon angeschlagen, wurde die im nächsten Schritt erklärte Reise zur Küste nur umso erschwerlicher. Wie auch immer sie von A nach Küste kommen sollten - ohne Geld, Ausweisdokumente, Freunde oder Transportmittel. Aber dieses Loch in seinem bislang geteilten Plan blieb, zumindest vorerst, offen, weil Ryatt ihnen lieber erklärte, auf welchem (Um-)Weg sie sich bei ihm melden sollten... und dass Easterlin keinen feuchten Dreck auf die Tatsache geben würde, dass sie beide auf einer Mission verloren gegangen waren. Es würde ihn wohl höchstens nerven, dass das ungeplant passiert war und er die Idee nicht selbst geschmiedet hatte. "Mach dir keine Sorgen, selbst wenn wir gute Leistungen zeigen würden, wäre es ihm sehr schnell sehr egal. Ich weiss nicht, ob er es dich mal hat wissen lassen, aber die fehlenden Sympathien beruhen auf Gegenseitigkeit.", konnte Aryana es nicht lassen, an dieser Stelle einen kleinen, bitteren Kommentar einzuwerfen. Sie wussten es alle und es war auch schon mehrfach Thema gewesen. Trotzdem liess ihr abgrundtiefer Hass auf ihren Boss nicht zu, dass sie eine Möglichkeit, ihre Abscheu gegenüber dem Arschloch kundzutun, einfach so verstreichen liess. Das war aber nicht der Punkt, den Ryatt hatte machen wollen. Er redete von Beweisen und genau wie bei Mitch neben ihr, löste das auch auf ihrem Gesicht ein Fragezeichen aus. Trotzdem, um nochmal zurück zu ihrem traumhaften Verhältnis zu Easterlin zu kommen: es schien fast so, als würde ihnen das, in Kombination mit ihren abgeflachten Leistungen, bei diesem Plan für einmal sehr zu Gute kommen. Wären sie für ihn noch irgendwas wert, stünden die Chancen, dass er sie nach nur zwei Jahren schon sich selbst und dem potenziellen sinnlosen Tod überliess, nicht halb so gut. In diesem Belangen war der Plan also perfekt auf ihre Situation abgestimmt und Ryatt pokerte mit guten Karten. Die Erklärung zu Punkt B auf der Karte war hingegen zumindest im ersten Moment sehr überraschend und absolut unpassend. Eine Army-Base. Nun war es Mitch, der schnell damit war, seine berechtigten Bedenken kundzutun. Und daraufhin Ryatt, der es sich nicht nehmen liess, ihre Vergehen bei der Army nochmal zu benennen. Einfach, damit sie nie vergasen, was sie damals getan hatten. Das gehörte zwar zu den Dingen, die Aryana nicht bereute - sie würde Mitch selbstredend auch heute nicht verpetzen, hatte ausserdem damals schon gewusst, dass der Verrat in der Vergangenheit lag... und hatte die Absicht gehabt, ihm die Chance zur Selbstbekennung zu geben, bevor sie ihn ihrerseits verriet - dafür war es für Mitch umso schlimmer. Für diese Mission war es aber scheinbar fast vollkommen irrelevant, weil Ryatt stattdessen seine eigenen Connections nutzen wollte. Er hatte also doch Freunde. Ein dummer Gedanke, der hier eigentlich nichts zur Sache tat. Aber trotzdem führte er dazu, dass sich ihre Augenbrauen noch weiter nach oben zogen. Sogar Freunde mit Rang und Namen und genug Einfluss, sie zurück in die Staaten zu schicken und doch nicht in Südamerika verrecken zu lassen. Nicht nur das. Es ging hier immerhin nicht um einen kleinen Adventure Quest durch Südamerika auf der Suche nach neuem Lebenswillen oder was auch immer. Sie hatte es selbst fast vergessen im Versuch, den Rest zu begreifen - aber ihr Ziel war die Flucht aus Easterlins Armee. Erfolgreich und ohne Verpflichtung, je wieder für ihn zu arbeiten. Ihm seine dreckigen Geschäfte dauerhaft zu vermiesen und dem Mann, der lebte, als gäbe es für ihn keine Gesetze und Grenzen, hoffentlich nachhaltig wirksam zu zeigen, dass er nicht Gott persönlich war. Und damit waren sie vorerst am Ende des Schnelldurchlauf angekommen. Aryanas Blick klebte noch ein paar Sekunden auf dem Plan, dann lehnte sie sich erschöpft zurück und starrte fast abwesend ins Nirvana. Ihr Kopf war dabei aber nicht still. War er grundsätzlich nie, nur diesmal kreisten die Gedanken in andere Richtungen. Sie versuchte angestrengt, über das nachzudenken, was Ryatt ihnen soeben vorgestellt hatte. Versuchte abzuwägen, ob das ein Plan war. Ein realistischer Plan, den sie überleben könnten. Sie hatte ihm vor drei Monaten mehr oder weniger versprochen, dass er die Zeit bekam, einen Plan zu bauen. Hatte damit auch mehr oder weniger versprochen, dass sie dem Plan folgen würde, sollte er ihr eine Chance auf ein besseres Leben bieten. Einen Ausweg aus dieser Hölle. War dieser Plan genau das? 7'000 Kilometer durch Südamerika und wenn sie es schafften, winkte die Freiheit und damit der einzige Weg in eine mögliche Zukunft, in der sie beide noch lebten? Aryana blieb eine Weile still, hing im Polster und wägte die Optionen ab. Das Ding war nur: Sie hatten keine. Das war die einzige Option. Wenn sie diesem Plan nicht folgten, lebten sie so weiter wie die letzten Wochen und Monate über. Taten sie das, würde sie springen - eher früher als später. Sie könnten warten, schauen, ob Ryatt noch eine bessere Idee kam - oder ihnen. Aber mit jedem Tag, den sie warteten, stieg die Chance, dass sie auf einem Einsatz einer Unachtsamkeit zufolge starben. Oder Easterlin sie liquidieren liess, weil sie sein Business gefährdeten. An jedem Tag bestand das Risiko, dass irgendwas ihr oder ihm den finalen Stoss versetzte. Dass sie endgültig aufgaben. Sie hatten keine Optionen. "Es klingt absolut wahnsinnig.", gab sie Mitch, sehr verspätet, Recht, griff dabei nach seiner Hand auf ihrem Bein und umschloss diese mit ihren Fingern. Sie hatte sich nur minimal wieder aufgerichtet, blickte auch lieber auf das Papier als in irgendein Gesicht. "Aber irgendwie war bis heute jeder Plan, den wir gemeinsam und unabhängig von irgendeiner Institution ausgeführt haben, mindestens ein bisschen wahnsinnig. Das war nicht immer gut... aber es war auch schon schlimmer.", ihre Augen suchten nun doch nach ihrem Freund, weil sie garantiert keine Entscheidung ohne sein Einverständnis treffen wollte. Ihr Gehirn lief seit Wochen auf Sparflamme, war also realistisch betrachtet eigentlich gar nicht in der Lage, solche Entscheidungen zu treffen. Aber es war wirklich schon schlimmer - damals, als sie Faye und Victor gerettet hatten. Das war definitiv eine Kamikazemission gewesen, die sie eigentlich nicht hätten überleben können. Trotzdem waren sie jetzt hier. "Ich denke, wenn wir es schaffen, nicht direkt am Anfang zu sterben, könnte es gehen... Vielleicht denke ich das nur, weil wir sowieso keine andere Option haben, aber das ist dann wohl einfach unsere Ausgangslage...", sie wurde beim Sprechen leiser, zuckte zuletzt sehr schwach mit den Schultern. Sie musste hier glücklicherweise keinem was vormachen. "Was hast du gedacht, wie wir da schnell genug wegkommen..?", erfragte sie eines der wohl wichtigsten noch ausstehenden Details, hatte sich zwischenzeitlich wieder von Mitch abgewandt und blickte nun zu ihrem Strategen rüber, dessen Kopf dieser Wahnsinn entwachsen war.
Mein Monnnnnk brauchte das aber zur Vollständigkeit der Dinge. >.< XD _________
Es war quasi sogar schwer, nicht zu bemerken, dass Aryana und Mitch den Milliardär nicht leiden konnten. Genauso wie es schwer war, das verräterisch genervte Zucken an Easterlins Mundwinkel nicht zu bemerken, wann immer die Namen der beiden geschundenen Seelen hier fielen. Oder der Name eines anderen Söldners, der sich welchen Fehler auch immer geleistet hatte. Man munkelte, Easterlin hätte sogar eine Liste in seinem Safe im Büro. Eine Liste für alle Angestellten, die in seinen Augen ihr Recht am Leben – oder zumindest ihrer Anstellung – verwirkt hatten. Keine Ahnung, ob da was dran war. „Es sind Vermerke gewisser Vorfälle in euren Akten, ja.“, bestätigte ich der Brünetten ihre indirekte Annahme mit einem schwachen Schulterzucken. Das spielte aber glücklicherweise bald alles keine Rolle mehr, jedenfalls nicht im negativen Sinn. Denn die beiden mussten sich nicht länger von ihm hinrichten lassen, sondern konnten den Spieß umdrehen. Die Frage, die hier gerade fett im Raum hing, war nur, ob sie sich dazu noch aufraffen konnten. Mitch wirkte semi bis gar nicht überzeugt von meiner Präsentation und sah verbissen grübelnd zur Seite ins Nirgendwo. Aryana distanzierte sich nach einem letzten Blick ebenfalls von der Karte und wühlte ebenso offensichtlich in ihrem Kopf. Ich gab den beiden diesen Moment, griff in der Zwischenzeit noch einmal nach dem Glas und nahm weitere Schlucke. Schließlich war es Cooper, die sich von den beiden kaputten Gestalten auf dem Sofa zuerst regte und ihre ersten Worte klangen vernichtend für alles, worüber ich mir in den letzten Tagen den Kopf zerbrochen hatte. Doch ihre Körpersprache war mir wichtiger – mein Blick lag schnell auf den verschränkten Fingern des Paares und wenig später sagte Aryana etwas, von dem ich gehofft hatte, dass sie es sagte. So oder so ähnlich zumindest. Es war schon schlimmer. Man sagte es oft so daher: Schlimmer geht immer. Aber irgendwann war das Maß dahingehend voll, zumindest meiner Ansicht nach. Wenn man ganz spezifische, meist hochgradig traumatische Erlebnisse durchgemacht und sich danach irgendwie wieder auf die Füße gekriegt hatte, dann schockten einen sehr viele Dinge im direkten Vergleich nicht mehr wirklich. Natürlich gab es immer noch etwas, das sie beide unter die Erde bringen konnten, aber das waren sie offensichtlich selbst. Ihre Köpfe, ihre Seelen. Würde ich nicht glauben, dass sie beide da einigermaßen heil rauskommen konnten, würde ich ihnen den Plan gar nicht erst vor die Nase legen. Während meine Mundwinkel unscheinbar nach oben zuckten, weil ich glaubte einen Wendepunkt erreicht zu haben, mahlte Mitch mit dem Kiefer und ich konnte den Blick, mit dem er seine bessere Hälfte ansah, nicht ganz deuten. Er war in jedem Fall aber noch etwas weniger überzeugt, denn als Aryana zurück zu mir blickte und weitere Infos einholen wollte, lagen die Augen des Tätowierten noch immer auf ihrem Profil. “Realistisch betrachtet… werden an die 40 bis 50 Prozent aller Anwesenden schwer verletzt oder tot enden, wenn die beiden Clans tatsächlich so schwer bewaffnet sind, wie wir es bisher annehmen.” Weil es eben nicht irgendwelche Kleinkriminellen, sondern großkalibrige Waffen- und Drogendealer waren. Nur mit der Schutzkleidung waren sie Easterlins Trupp sicher unterlegen. Ein Privileg, das Aryana und Mitch absolut brauchen würden. “Was für mich im Umkehrschluss bedeutet, dass auf irgendeiner Seite bei der weiteren Flucht, beziehungsweise Verfolgung überflüssige Fahrzeuge ziemlich sicher stehen gelassen werden. Selbst wenn da kein Schlüssel steckt, sollte einen Kurzschluss zu erzeugen nicht so schwer sein.” Mein Blick traf auf Mitchs, der erneut mit dem Kiefer mahlte. Oder immer noch. Er hatte das Fenster bei Fayes Rettung aufgebrochen, er bekam bestimmt auch einen Auto-Notstart hin. Zur Sicherheit sollten sich dahingehend ohnehin beide briefen, falls doch einer schlimme Verletzungen davontrug und nicht mehr in der Lage dazu war. “Aber egal ob es eines von Easterlins Fahrzeugen oder eines der gegnerischen Seite ist, solltet ihr es schnell wieder loswerden und gegen etwas Unauffälliges tauschen… was Wiederum bedeutet, dass eure Fahrt in einer billigen Kiste bei den Straßen da unten zwar holprig wird, aber auch Geld beim Handel rausspringt. Für Sprit und eure Versorgung.” Mitch atmete leicht flatterig, aber tief durch, als er seine Hand von Aryanas löste, um sich in eine ähnliche Körperhaltung wie ich zu begeben. Nur mit dem Unterschied, dass er sein Gesicht in seinen Händen vergrub. Keine Ahnung, welchen Kampf er da gerade ausfocht… aber er sollte bitte schneller machen und stattdessen das eingerostete Kämpferherz ausbuddeln gehen, das Easterlin so gerne für seine Zwecke hatte haben wollen.
Feel free, von mir aus kannst du Mitch auch in jedem Post schreiben... xD Do as you want. :3 __________
Sie hatte eigentlich nichtmal an Verweise in Akten gedacht bei ihrer Bemerkung... Aber das klang auch interessant. Ob Easterlin dabei erwähnt hatte - beziehungsweise hatte schreiben lassen - welche Konsequenzen er Mitch im Falle eines Versagens angedroht hatte? Oder wie sich die Szene in seinem Büro bei dem Gespräch zu dritt damals abgespielt hatte? Komplikationen oder nicht zufriedenstellende Leistungen hatten ihren Weg offenbar in die Akten gefunden, aber wie genau Easterlin das dann ausformuliert hatte, würde sie wohl nie erfahren. Ein bisschen schade - aber auch nicht weiter schlimm. Wahrscheinlich würde es sie eh nur aufregen und gedanklich ein bisschen zu sehr in diese Katastrophensituation, die sie deutlich zu viele Nerven gekostet hatte, zurückversetzen. Kein guter Ort für ihren Kopf, besonders nicht in dessen aktuellem Zustand. Sie war sich nicht sicher, inwiefern Mitch schon bereit war, Ryatts Plan eine Chance zu geben. Sein Gesichtsausdruck strahlte noch nicht besonders viel Überzeugung aus und auch seine Körperhaltung und sein fortwährendes Schweigen liessen keinen eindeutigen Aufschluss zu. Was sicher auch an ihr lag. Denn es gab einen entscheidenden Unterschied zu den anderen waghalsigen Missionen, die sie zu zweit ausgeführt hatten: Damals hatte sie immerhin über einen klaren Kopf verfügt. Hatte nicht Tage davor suizidale Gedanken und Absichten geäussert. Pflegte seit Wochen einen sehr abgefuckten Schlafrhythmus und auch ihre Ernährung unterstützte keine körperliche oder geistige Bestleistung. Bedenken und Zweifel an den Möglichkeiten und Erfolgschancen der dargelegten Mission waren durchaus angebracht. Und trotzdem wieder: Was waren ihre Optionen..? Die Überlebenschancen bei Teilnahme an der Ausgangsschiesserei klangen ernüchternd. Meistens fielen in den gegnerischen Rängen zwar deutlich mehr Leute - Easterlins Ausrüstung sei Dank - aber trotzdem war damit zu rechnen, dass auch viele ihrer bis dahin Verbündeten unter den Opfern sein würden. Vielleicht einer oder beide von ihnen zwei. Ryatt hatte diese Info aber scheinbar aus einem anderen Grund geteilt: weil diese Kalkulation Teil seines Planes war. Teil ihrer Flucht. Ein Fahrzeug, dass sich dann zu Geld und einem anderen Fahrzeug machen liess. Auch das war im Grunde keine schlechte Idee. Sie kannte Südamerika nur aus Filmen und auch dort nur sehr begrenzt, trotzdem dürfte eine solche Flucht mit einem möglicherweise nicht supertollen Fahrzeug den Adventure-Barometer nochmal ein ganzes Stück anheben. Öffentliche Verkehrsmittel oder gar Flugverkehr kam nur leider absolut nicht in Frage und dann war ein Privatauto auch schon die nächstbeste Alternative. Aryana nickte sehr langsam, lehnte sich wieder tiefer ins Sofa, offensichtlich nicht wirklich wohl in ihrer Haut und bei der Tatsache, eine solch folgenschwere Entscheidung treffen zu müssen. Früher hätte sie kein Problem damit gehabt. Früher hätte sie aber auch besser abwägen können, ob die Erfolgschancen die Risiken wert waren. "Wie lange rechnest du... für alles davon? Ungefähr?", kam nach einer Weile die nächste Frage von der Brünetten. Wie viele Nächte mussten sie irgendwo da draussen überleben? Sowohl der ständigen von Guerillas und Narcos ausgehenden Gefahr, als auch ihrer eigenen unberechenbaren Gedankenwelt ausgesetzt? Ihre Augen suchten wieder nach Mitch, der nicht weniger nachdenklich wirkte als sie, gerade aber ihre Hand nicht mehr festhielt und sie auch nicht anschaute. Sie wusste nicht, was er dachte, aber sie brauchte seine Meinung.
Zwei Charakter gleichzeitig sind mir auf Dauer bisschen zu anstrengend, ich switche lieber... x'D _____
Aryana hatte Recht: Der syrische Termitenhügel war schlimmer. Da war ich ganz ohne Plan reinmarschiert, hatte nichts zu verlieren, die Entscheidung war leicht. Aber damals war ich topfit gewesen. Früher hätte ich einfach genickt und wäre losgegangen... aber früher war Vieles anders gewesen, ich war anders gewesen. Seit sie mir das Ausmaß ihrer selbstzerstörerischen Gedanken gebeichtet hatte, war Aryana nachts oft gestorben. Nicht immer durch Suizid. Manchmal durch Easterlin, manchmal durch Gil und Mateo. Ein paar Mal durch meine eigenen Hände. Wir saßen jetzt nur hier, weil ich einen ganz fatalen Fehler begangen hatte. Einen, der an der Base in Kolumbien vielleicht oder vielleicht nicht egal war… doch mir wurde kotzübel, wenn ich auch nur eine Sekunde lang daran dachte, dass das am Ende vielleicht dazu führte, dass sie Blut hustend am Arsch der Welt in Südamerika elendig in meinen Armen krepierte, weil sie verdammt nochmal nicht mehr klar denken konnte. Ich steckte noch mit dem Gesicht in den Händen und versuchte meine kochenden Schläfen zu beruhigen, als Ryatt Aryanas nächste Frage beantwortete. "Drei Wochen, wenn ihr ohne viele Probleme durchkommt und oft abwechselnd fahrt, wenn der andere schläft… das Problem ist, dass ihr die gut ausgebauten Hauptstraßen nur sehr bedingt nutzen könnt. Viele Mautstellen mit Sicherheitskontrollen, auch abgesehen der Landesgrenzen. Drumherum patrouillieren nicht selten zusätzlich örtliche Polizisten… man umfährt sie also lieber zu großzügig als zu knapp, wenn man kein ortsansässiges Kennzeichen hat. Tagsüber sind die abgelegenen Straßen aber natürlich etwas sicherer… es liegt an euch, ob drei, vier oder fünf Wochen daraus werden.” Ich rieb mir fester übers Gesicht. Nachts über irgendwelche halb geteerten Straßen mit Schlaglöchern mitten durchs Nirgendwo fahren, wo vielleicht spontan irgendwelche selbsternannten Freiheitskämpfer am Straßenrand chillten und ihre Art von Maut einfordern wollten. Wenn einer von uns beiden Verletzungen hatte, kotzte wahrscheinlich regelmäßig wer vor Schmerz aus dem Beifahrerfenster. Die Alternative war, nur tagsüber zu fahren und länger auf dem fremden Kontinent festzustecken. Ich konnte Aryanas Blick auf mir spüren. Atmete angestrengt durch und kniff die Augen nochmal fest zusammen, bevor ich sie im nächsten Moment aufmachte und die Hände sinken ließ. Ein Teil von mir wollte hysterisch lachen, gebrochen dem nächstgrößeren Wahnsinn verfallen und sich ins Gefecht stürzen, in der Hoffnung auf die doch noch kommende Erlösung. Ein anderer wollte sich lieber hier schon die Kugel geben und sich mögliche Konsequenzen dieses super Ausflugs ersparen. Hatte ich eine Wahl? Nein. Fühlte ich mich gerade schon wieder völlig zerrissen? Definitiv ja, aus mehr als nur einem guten Grund. Zuerst blickte ich geradewegs in Ryatts Gesicht. Konnte mein Blut unter dem leisen Tinnitus pochen hören, der mir mein instabiles Gemüt vor Augen hielt. “Also wenn wir vom Idealfall ausgehen, nicht schon bei der Übergabe abkratzen und nach wie vielen Wochen auch immer dann tatsächlich an diesem Stützpunkt ankommen… dann fliegen wir nach Hause, und dann? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Niemanden interessiert, dass ausgerechnet ich jetzt wieder im Ausland rumballere.” Ich klang so, als wäre Ryatt Schuld daran, dass ich im Knast gesessen hatte, obwohl er hier nur eine Lösung zu finden versuchte. Vielleicht tat es mir irgendwann später leid für ihn, dass das alles erneut in mir hochkochte – auch die Angst davor, ein weiteres Mal hinter Gittern zu landen und erst wochenlang nach einer Lösung suchen musste, um mir selbst ein Ende zu bereiten. “Wenn du ein Richter wärst… würdest du dich auf den Milliardär mit der Privatarmee stürzen oder auf die Leidtragenden?” Ich sah ihn unverändert an. “Verglichen mit Easterlin sind seine Söldner kleine Fische.” Vor meinem inneren Auge sah ich die nächste Zellentür vor meiner Nase zufallen und schwieg weiter. Ryatt seufzte und setzte sich aufrechter hin, fuhr sich einmal mit der Hand durch die Haare und holte erneut aus. Seine Miene war nicht mehr so happy wie vorhin, aber er klang unverändert ruhig. “Spätestens wenn Ezra sich bei mir meldet und ich ihn um euren Heimtransport bitte, wird Easterlin von der Army kontaktiert werden und mich ebenfalls auf die Abschussliste setzen. Ich packe also in weiser Voraussicht schon vorher alles an Papierkram ein, was als Beweis für seine Machenschaften dienen könnte und worauf ich Zugriff habe, um mich damit bei wahrscheinlich mehr als einem Anwalt vorzustellen, der mich dann zur Aussage bei der Polizei begleitet. Ich werde auf sämtliche Missstände hinweisen und mache mich damit auch nicht strafbar, weil Verschwiegenheitsklauseln zu brechen absolut legal ist, wenn man sonst Straftaten verschleiern muss, was bei so gut wie jedem seiner Angestellten der Fall ist – die wiederum im Lauf des Prozesses allesamt zum Verhör gebeten werden dürften. Ihr beide werdet zwar anfangs mehr im Fokus stehen als die anderen, aber letzten Endes schwimmt ihr in einem Teich voll Goldfische. Die meisten der Söldner sind vorbestraft. Darunter einige zivile Mörder und du bist auch nicht der einzige Kriegsverbrecher. Mit Pech kriegst du schlimmstenfalls eine neue Bewährungsstrafe und ein paar Auflagen, damit sie dich ein Stück weit kontrollieren können, während der reiche Sacke absolut sicher für den Rest seines Lebens in einer Zelle hockt. Keiner wird es euch oder den anderen Söldnern übel nehmen, dass ihr nicht den Mut hattet, euch gegen Easterlins Forderungen und Drohungen aufzulehnen. Wir reden hier von einem der reichsten und mächtigsten Menschen in Amerika.” Er hatte viel geredet, ich hatte zwischenzeitlich zwei oder drei Mal beinahe den roten Faden verloren und begann mir jetzt vorzustellen, wie Easterlin in einem Gefängnis regelrecht auseinander genommen wurde. “Ich kann nicht rückgängig machen, was du getan hast. Ich kann aber dafür sorgen, dass das in Zukunft hoffentlich mal keine Rolle mehr für euch spielt… wenn du deinen kläglichen Rest Kampfgeist endlich zusammenkratzen und dich dazu überwinden kannst, mir in dieser Sache zu vertrauen.” Ryatt war endlich fertig und dann auch noch so dreist, mich zu provozieren. Ich zog die Brauen tiefer und verengte die Augen. “Du an meiner Stelle wärst doch längst tot, so wie du dich hinter Schreibtischen verkriechst und immer andere deine Scheiße ausbaden lässt. Erzähl’ du mir gefälligst nichts von Kampfgeist.”, schnauzte ich ihn lauter werdend über den Couchtisch mit spürbar angespannten Schultern an. Er schmunzelte. “Das war unnötig gemein… aber genau diese Einstellung meinte ich. Heißt das ja?” Ich sah ihn unverändert angepisst an. Mein Blick wurde jedoch schnell wieder weicher, als ich den Kopf drehte und tief in Aryanas Augen blickte. Ich hatte es ihr einmal versprochen und ich würde es wieder tun. Weiter kämpfen und durchhalten, wenn das bedeutete, dass ich irgendwann nur noch pure Erleichterung in diesen dunklen Augen sehen konnte. Schließlich war das in diesem Moment die einzige Sache, die meinem Leben überhaupt noch einen Sinn verlieh. Aber meine Fresse, diese Mission war absolut prädestiniert dafür, mir weiter unter die Nase zu reiben, dass ein Teil meiner Seele pechschwarz war und nie wieder Licht sehen würde. Kopfschüttelnd stand ich vom Sofa auf. “Ich brauch’ Alkohol dafür.”, grummelte ich undeutlich, als ich mich auf den Weg in die Küche machte. Brauchen war relativ. Wir konnten unser Gespräch nicht auf den Balkon verlagern, also konnte ich nebenbei zu keiner Zigarette greifen, um runterzukommen. Alkohol war dann die nächstbeste Möglichkeit, Ryatts Kopf nicht auf den Tisch zu knallen, solange ich nicht zu viel trank und er aufhörte, mich zu reizen. Sollte er mit seiner beschissenen umgekehrten Psychologie gefälligst woanders hingehen. Außerdem wurden morgen dann wohl so ziemlich alle Vorräte vernichtet, das war essentiell für die Mission. Also ein paar letzte Schlucke heute Abend... und drei Gläser wirkten weniger schlimm als ein einsames, richtig?
I know I know, war auch nicht ganz ernst gemeint. x'D _____________
...Also definitiv mehr als drei Wochen. Sie sah sich nämlich absolut nicht mit nur einem Augenpaar, das sicherlich auch noch durch das Steuern des Autos abgelenkt war, in pechschwarzen Nächten durch das Nirvana Südamerikas fahren. Wenn sie diese Mission antraten, dann wollten sie sie auch überleben und das klang nicht nach der sichersten Strategie. Egal wie sehr sie auf keine Komplikationen hoffen wollte, die Chance, dass ihnen einfach so absolut gar keine Steine in den Weg gelegt wurden auf der Reise von A nach B, war kaum vorhanden. Das sah selbst sie ein, die grundsäztlich nicht ganz so sehr zum Pessimismus neigte, wie ihr Freund. Dass das alles gefährlich wurde, war ihr klar, aber sie mussten ihr Überleben und ihren Erfolg nicht noch unmöglicher gestalten als nötig. Aryana nickte die Info kommentarlos ab, wartete lieber noch immer darauf, dass Mitch sich wieder ins Gespräch einmischte. Besonders lange liess er sie nicht mehr warten, seine Hände sanken hinab und er öffnete die Augen wieder. Seine nächste Frage führte Aryana gleich ein weiteres Mal sehr deutlich vor Augen, dass ihre Gehirnleistung irgendwo auf maximal dreissig Prozent lief. Dieser Gedanke war ihr nämlich noch gar nicht gekommen. Natürlich wusste sie irgendwo im Hinterkopf, dass Mitch theoretisch noch immer eine Haftstrafe abzusitzen hätte. Dass er theoretisch im Gefängnis sitzen sollte. Dass er zu weit mehr als einem Jahr verurteilt wurde und dass es niemanden ausser ihr selbst und zwei weiteren Personen interessiert hatte, wie sehr er seine Taten schon vor der ersten Gerichtsverhandlung bereut hatte und dass er nicht mehr der gleiche Mensch war wie damals, als er den Verrat abgezogen hatte. Dass es ausserdem auch Gründe dafür gegeben hatte. Dass Amerikas viel zu hartes Rechtssystem hier zu komplett falschen Mitteln griff und diese Strafe einfach nur dazu führen würde, dass ein weiterer Mensch in diesen perspektivlosen Zellen unterging. Es hatte damals niemanden interessiert und wenn es hart auf hart kam, würde es auch diesmal keinen kratzen. Sie hörte Ryatts folgenden Argumentation zu, versuchte irgendwie abzuwägen, ob das, was er sagte, realistisch war oder ob er es sich einfach schönredete. Ob er hier einfach von der besten Option ausging, die aber auf denkbar wackeligen Füssen stand. Könnte es tatsächlich sein, dass es einem Gericht ausreichte, Easterlin und vielleicht einem oder zwei seiner engsten Vertrauten die Hände zu binden und ihn für immer einzubuchten? Dass sie all seine Angestellten, die ganzen Leute auf den Einsätzen, die - wie Ryatt schon sagte - teilweise übelste Straftaten begangen hatten, einfach nach ein paar Zeugenaussagen gehen liessen? Obwohl es rational betrachtet auch ein Risiko für die Bevölkerung darstellen würde? Konnte das sein? Nur weil Easterlin horrende Kautionssummen mit dreckigem Geld bezahlt hatte? Wahrscheinlich würde das alles komplett auseinandergenommen werden, würde bestenfalls Korruption von links und rechts im Justizsystem aufdecken. Aber es war eben auch gefährlich. Wahrscheinlich standen die Karten für Mitch nicht allzu schlecht, weil er sich sehr viele dringend nötige Sympathiepunkte sammeln konnte, indem er eine der Schlüsselpersonen wäre, die die ganze Problematik überhaupt an die Oberfläche trugen. Ausserdem hatte er nur im Krieg, irgendwo im verdammten Syrien seine Straftaten begangen. Vielleicht würde das helfen. Aber wie sicher war der Ausgang? Sie würde sich nie verzeihen, diesem Unterfangen zugestimmt zu haben, wenn es am Ende dazu führte, dass Mitch wieder in den Knast musste. Denn allerspätestens dann wäre das Ende der Fahnenstange mit absoluter Sicherheit erreicht und sie würden sich beide den Rest schenken. Aryana spürte die Kopfschmerzen längst unter der Schädeldecke. Das passierte momentan ständig, wenn sie zu viel nachdachte, sich parallel dazu Sorgen machte. Also gefühlt immer. Sie war beim Denken längst wieder in sich zusammengesunken, lauschte dem bissigen Schlagabtausch zwischen den beiden Veteranen mit deutlich sichtbarem Unmut. Sie wusste nicht, ob ihr Kopf bewusst einen Haken in dem Plan gesucht hatte, an dem er sich aufhängen konnte, nur damit sie einen Grund hatte, sich die Mühen gar nicht erst zu machen. Aber die Sache mit dem unklaren Ausgang war gefundenes Fressen für jegliche tiefer liegenden Zweifel. Sie blickte Mitch nach, als er sich erhob und in Richtung Küche ging. Liess sich dann müde zur Seite kippen, sodass sie eher unelegant halb auf der Sofalehne lag und die Decke anstarren konnte. Es war noch immer genau so, wie sie es vor ein paar Minuten gesagt hatte. Eigentlich hatten sie keine Wahl. Eigentlich war das die einzige Option, der einzige Weg in eine Zukunft. Die Frage war eben nur, ob es eine Zukunft war, für die es sich lohnte, solche Risiken einzugehen und solche Strapazen auf sich zu nehmen. "Wie sicher bist du, dass er und alle anderen nicht wieder im Knast enden, Ryatt..? Wenn sie erstmal feststellen, dass er auf möglicherweise nicht besonders legalem Weg rausgekommen ist?", murmelte sie vor sich hin, leise genug, als dass Mitch es nicht hören würde, Ryatt aber schon. Sie starrte unverändert an die Decke, obwohl sie Ryatt vielleicht besser angeschaut hätte, um jegliche Gefühlsregungen und Anzeichen auf potenzielle Beschönigungen und Lügen zu erkennen. Aber sie war zu müde, um danach zu suchen. Wollte auch einfach sehr fest daran glauben, dass er ihr die Wahrheit sagte. Er wusste am besten, was hier auf dem Spiel stand, es war sein Plan.
War tollpatschig und hab mir auf Arbeit die Fingerkuppe sehr schmerzhaft eingeklemmt gestern… sieht heute schon besser aus, aber ohne rechten Zeigefinger schreibt sichs trotzdem gefühlt nur halb so schnell. Why am I like thizzzz, someone safe me from myself plz. x’D _____
Er hatte einen ziemlich wunden Punkt getroffen, aber ich war in diesem Moment viel zu fokussiert auf das Ziel, um mich darum zu kümmern. In Selbstmitleid konnte ich später in meinen vier Wänden baden. Mein Blick klebte mit einem tonlosen Seufzen an Mitchs Rücken, bevor Aryana sich regte und meine Aufmerksamkeit auf sich zog. “Bei Mitch…”, setzte ich zu einer ebenfalls gedämpften Antwort an. Ich warf einen weiteren kurzen Blick in seine Richtung, als er gerade in einen der unteren Schränke griff. “...sehr sicher. Er ist ein gebrochener Mann. Kein Psychopath, der gerne mordet. Er ist einfach nur ein… Überlebender.” Zugegeben: Es hatte lange gedauert, bis ich aus Aryana und Mitch so richtig schlau geworden war. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ich mir nicht sicher gewesen, auf welche Art ihre Köpfe nicht so ganz rund liefen. Sie hatten mich gehasst und ich hatte sie auch ein bisschen hassen wollen – nur gab es da nicht viel, über das ich völlig negativ urteilen könnte. Nichts, das nur schwarz war. Ich hatte selbst Blut an den Händen, das ich gerne abwaschen würde. Mehr, als mir lieb war. Sie dafür zu verurteilen lag mir fern. “Das trifft nicht auf alle eure Kollegen zu, wie dir schon aufgefallen sein dürfte.” Es gab wirklich welche, die waren nur wegen der Kohle und dem Spaß da. Schießwütige Vollidioten, bei denen ich immer Schiss haben musste, dass sie voreilig wurden und mir die Mission ruinierten. Nicht die hellsten Kerzen auf Easterlins Torte. Der Tätowierte kam zurück und das mit drei Gläsern statt nur einem. Meine Augenbrauen wanderten nach oben, als ich erst auf die Gläser und dann in Mitchs Gesicht sah, kaum hatte er Platz genommen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, auch was bestellt zu haben. Er schenkte jedoch nur in zwei Gläser etwas von dem schon offenen Bourbon… und schob wider Erwarten das zweite Glas um das Papier herum zu mir rüber. “Man trinkt nicht alleine und sie werde ich bestimmt nicht nötigen.”, beantwortete er meine unausgesprochene Frage, mit anhaltend missmutigen Unterton und einem kurzen Seitenblick in Richtung seiner auf dem Sofa hängenden Freundin. Das war wohl seine indirekte Frage danach, ob sie trotzdem auch etwas wollte, oder nicht. In schlechter psychischer Verfassung zu trinken war weder alleine, noch in Gesellschaft gut. Ich hatte mein Recht auf speziell diese Klugscheißerei aber spätestens neulich in Dylans Bar verwirkt. “Stimmt wohl…”, antwortete ich daher nur lasch und streckte langsam die Hand nach dem Glas aus. Mein Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, ich nahm einen flüchtigen Schluck und dachte nach. “Waren frühzeitige Entlassung und Bewährung ausgeschlossen?”, hakte ich nach. Mitch nickte langsam, starrte seinen Bourbon an und nahm einen deutlich größeren Schluck als ich, bevor er das Gesicht verzog. Ich visierte mein Glas an. “Das macht es natürlich etwas schwieriger, sich da rauszuwinden.”, stellte ich das irgendwie Offensichtliche fest. Meine Finger tippten ein paar Mal außen auf die gläserne Oberfläche, bevor ich wieder zu dem Paar auf dem Sofa sah. Mitch hatte sich inzwischen zurückgelehnt, war tiefer gerutscht und sein Kopf kippte auf die Rückenlehne. Das Glas ruhte auf seinem Knie. “Aber nicht unmöglich. Macht ihr Therapie?” Ich sah beide an. Zum einen, weil es meiner Meinung nach keinem von beiden schaden würde und weil es grundsätzlich einfach gut zu wissen war, für die rechtlichen Angelegenheiten. Mitch schloss die Augen. “Ich hab aufgehört.” Ich fing sofort an, vor mich hin zu nicken. “Dann nimm sie wieder auf. Das untermauert deinen Willen, an deiner… an deinen Problemen zu arbeiten.” Er atmete angestrengt durch. Kurz darauf sah er mich durch schmale Schlitze an. “Sonst noch irgendwelche supertollen Tipps, die mir den letzten Nerv rauben werden?”, grummelte er eine Frage, die so klang, als diente sie eigentlich nur dazu, mir einen indirekten Vorwurf zu machen. “Soziales Engagement würde auch helfen… warst du in letzter Zeit mal bei Josh?” Er hatte gefragt, ich hatte geantwortet. Vielleicht hätte ich auch da aber mal wieder etwas sensibler sein sollen – die Hand um sein Glas verkrampfte sich gut sichtbar und sein Arm zuckte. “Nein.” Ob er den Jungen schon ganz vergessen hatte? Ich hatte den Waisen gesehen, als ich um Weihnachten herum im Heim beim Backen geholfen hatte. Das war aber schon wieder ein halbes Jahr her… auch, dass Faye nach Los Angeles gezogen war. Obwohl ich wusste, dass es für sie das Beste war, tat es jetzt noch nicht wirklich viel weniger weh als damals, wenn ich an den Abschied dachte. Oder daran, dass ich nicht wusste, wann ich sie wiedersehen würde. Ob das überhaupt passierte. Wichtiger war jetzt trotzdem erstmal, dass Mitch so gut wie nur irgendwie möglich dastand, wenn er das nächste Mal in einem Gerichtssaal saß. "Ich kann dich natürlich zu nichts davon zwingen, aber beides sähe auf dem Papier ziemlich gut aus."
Noooo don't do thaaaatttt... :') Gute Besserung, falls dus noch spürst. x'D _______________
Ihr Freund war also kein Psychopath. Hatte sie ja Glück gehabt. War gut, dass Ryatt das hier nochmal betonte, so sicher war sie sich nämlich bis Anhin nie gewesen... Oder so. Tatsächlich beruhigte diese Aussage sie keineswegs. Dass Mitch ein gebrochener Mann war, dass er seine Taten aufs Übelste bereute, dass er sowas nie wieder tun würde oder könnte, dass die Schuldgefühle ihn zerstört hatten und noch immer plagten, all das hatte Aryana schon gewusst, als sie sich dazu entschieden hatte, nicht sofort zur nächsthöheren Instanz zu rennen und ihn unverzüglich zu verpetzen. Spätestens als sie in die USA zurückgekehrt waren, hatte sie keinen einzigen Zweifel mehr an der Überzeugung gehegt, dass Mitch keinen Gefängnisaufenthalt verdiente, weil sein Kopf und sein Gewissen längst Strafe genug für ihn waren. Wenn es unbedingt Sanktionen brauchte, dann eine Psychotherapie oder irgendwas in Richtung Sozialstunden. Etwas, das der Gesellschaft einen Gefallen tat und das gleichzeitig auch ihm geholfen hätte, irgendwas Gutes zu tun, um zumindest rational ein Gegengewicht zu der riesigen Schuld aufzubauen. Das war im Gefängnis fast unmöglich - hatte sie vorher schon gewusst und seine Schilderungen hatten dieses Bild mehrfach untermauert. Ryatt teilte also ihre Ansicht. Aber es war nicht Ryatt, der das letzte Wort hatte. Nicht Ryatt, der irgendein Urteil fällte. Nicht Ryatt, der Mitch auf die mentale Abschussliste setzen oder davon streichen konnte. Entsprechend zeigte Aryana keine hoffnungsvolle oder überzeugte Reaktion auf diese Antwort, starrte blank weiter die Decke an. "Das war er damals auch schon, Ryatt.", murmelte sie, beliess es dann dabei, bis Mitch den Weg zurück gefunden hatte. Mit drei Gläsern... Aryana blickte kurz matt in Richtung Couchtisch. Das Verlangen nach Alkohol war definitiv da, aber zugleich fühlte sie sich zu müde, um sich schon wieder aufzusetzen. Und ein Glas würde auch nicht reichen. Das reichte nie. Schon gar nicht bei solchen Themen. Sie lauschte erneut äusserlich unbeteiligt dem folgenden Wortwechsel. Beantwortete auch die Frage nach der Therapie, die eigentlich an sie beide gegangen war, nicht. Wahrscheinlich konnte Ryatt sich die Antwort auch denken... und sie würde sicher nicht jetzt damit anfangen. Der Gedanke, mit einer fremden Person über alles zu sprechen, was in ihrem kaputten Kopf und ihrem kaputteren Herzen vor sich ging, war geradezu absurd. Für sie gab es hier nur zwei Optionen: Entweder sie erzählte nicht alles, öffnete sich nicht ganz und die Therapie wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt, oder sie gab sich einen massiven Ruck, packte auf welche Weise auch immer alles aus und landete auf direktem Weg in der Klapse. Besonders jetzt. Kein verantwortungsvoller Therapeut würde sie so noch draussen herumlaufen, geschweige denn geladene Waffen schwingen lassen. Also nein, keine Therapie für sie und auch keine Therapie für Mitch. Ob er diese tatsächlich zum aktuellen Zeitpunkt wieder aufnehmen wollte und konnte, würde sie ihn lieber erst später fragen, Ryatt musste nicht alles mithören und beurteilen. Auch was allfällige Besuche bei Josh anging nicht. Erneut blieb die Brünette eine Weile still, starrte Löcher in die weissen Dielen über ihr und versuchte ihr Gehirn zu einer Entscheidung zu animieren. Bevor der Stein mit dem potenziellen Supergau nach Rückkehr aufs Brett gekommen war, hätte sie eingewilligt. Jetzt sass sie wieder auf Feld eins fest und drehte sich im Kreis. "Ich kann das Risiko dieser Gefängnisstrafe nicht einschätzen. Und ich weiss nicht, ob ich bereit bin, das einzugehen.", gab sie irgendwann von sich. Nach einer Pause und einem tiefen Atemzug fuhr sie fort: "Beim Rest wäre ich dabei. Wir haben so gut wie nichts zu verlieren und wenn wir tatsächlich dabei sterben sollten, dann... ist das halt so, aber dann... dann kann Faye sich wenigstens mit dem Gedanken trösten, dass... es ein Unfall war... Dass unsere Arbeit schuld war...", vielleicht hätte sie diesen Teil ihrer innerlichen Argumentation besser für sich behaltet, statt ausgerechnet damit anzufangen. Aber naja, zu spät. "Wenn der Gewinn endlich die Freiheit wäre, wäre es das Risiko wert. Aber eben nur, wenn es die Freiheit ist.", es dauerte noch ein paar Sekunden, nachdem sie gesprochen hatte, dann mühte sie sich endlich wieder in eine sitzende Position. Hauptsächlich damit sie im Anschluss Mitch anschauen konnte. Damit sie sein Gesicht mustern und in seinen Augen nach Lösungen suchen konnte. Nach der Gewissheit, die ihr fehlte.
Hatte sich seit meiner Verurteilung damals irgendwas an mir geändert? Rein objektiv gesehen, meine ich? Ich war noch kaputter als damals. Überwiegend psychisch, aber im Grunde fühlte sich auch mein Körper nicht mehr viel besser als untot an. Kurz gesagt wäre ich jetzt ein noch schlechterer Umgang für Josh, als damals kurz nach meiner Haft. Ich wollte es ihm nicht antun, mich so zu sehen und umgekehrt wollte ich es mir selbst auch nicht antun. Von Ryatt oder sonst wem verurteilt zu werden, das war mir egal. Von einem unschuldigen Kind mit schlechten Augen gesehen zu werden, würde mir am Ende noch den Rest geben. Ryatt seufzte auf der anderen Seite des Tisches. Als Aryana nach einer Weile erneut das Wort ergriff, stimmte ich ihr mit einem kaum sichtbaren Nicken zu. Was ich, erstmal nur innerlich, wenig später jedoch revidierte, als sie ihre jüngere Schwester erwähnte. Dieser elende Rattenschwanz, der sich Familie nannte… in diesem einen Punkt war ich froh, früher keine gehabt zu haben. Es hätte niemanden interessiert, wäre ich bei der Army gestorben. Blutsfamilie hatte ich keine, aber Faye und Victor waren – neben Aryana – ein guter Ersatz dafür geworden… auch wenn ich ihnen das nicht oft genug zeigte. Ich hob das Glas, um noch einen großen Schluck zu nehmen. Diese Kosten-Nutzen-Abwägung war auf vielen Ebenen schmerzhaft. Erst danach rutschte mein Blick in Aryanas. Ich wollte nicht, dass wir beide im Suizid endeten. Im Knast zu landen war aber auch keine Option – würde schlussendlich ja aufs selbe rauslaufen. “Ich denke trotzdem, dass es jetzt anders ist.”, meldete Ryatt sich zu Wort und ich wusste nicht, wovon er sprach. Offenbar hatte ich einen Teil des Gesprächs verpasst bei meiner Suche nach Alkohol. “Erstens war Mitch jetzt schonmal im Gefängnis und es ist durch seine Akte wahrscheinlich nachweisbar, dass es ihm ausschließlich geschadet hat – vor allem psychisch… ich weiß nur nicht, ob Easterlin die mit eingekauft hat, oder ob die weiterhin das Gefängnis verwahrt. Da muss ich erst tiefer graben, aber…” Ich stöhnte angestrengt, weshalb Ryatt den Satz abbrach und in meine Richtung sah. “Da steht drin, dass ich einen Aufstand vom Zaun gebrochen hab, bei dem viele Menschen verletzt worden sind. Wofür ich eigentlich auch nochmal ein Strafverfahren kriegen sollte… ist also super hilfreich. Am besten schredderst du die ohne zu zögern, solltest du sie zu Gesicht kriegen.”, sagte ich trocken. Es blieb ein abgeschlagener, gereizter Unterton. Es war leider nicht so, als hätte ich zum Ende hin noch mit guter Führung gepunktet. Auch Ryatt schien allmählich zu blühen, dass ich ein Scheißkandidat für diese Flucht war, wenn sie im Gerichtssaal endete. Er stellte sein Glas auf den Tisch, hob die linke Hand und massierte sich den Nasenrücken. “Okay, verstehe…”, murmelte er vor sich hin, klang dabei aber schon ziemlich abwesend. Ich ging meinen eigenen Gedanken weiter nach, hängte mich zum tausendsten Mal an meiner Zeit im Gefängnis und den fatalen Fehlern davor auf. Ich begann mich wieder selbst zu zermürben, streckte deshalb den Arm nach Aryanas Schultern aus und machte die Augen zu. Nötigte die Brünette so dazu, sich an mich zu lehnen, im hilflosen Versuch mir einzureden, es war richtig gewesen, sie damals nach meiner Verurteilung nicht fortzuschicken. Irgendwann, geschätzte vier Minuten später, durchbrach Ryatt die Stille und hob dabei den Kopf an. “Eigentlich können wir unsere Aussagen schlicht an Bedingungen knüpfen. Im Grunde seid ihr nicht viel weniger Kronzeugen als ich. Außer uns dreien ist ja, von Easterlins Seite aus, Niemand sonst in euer Abenteuer involviert.” Ich hob die rechte Augenbraue, als ich die Augen aufmachte. Klang etwas zu einfach in meinen Ohren. “Das passiert ständig. Man macht einen Deal, bevor man seine Aussage auf den Tisch legt, um besser davon zu kommen. Das wir alle denselben Anwalt kriegen, ist unwahrscheinlich, weil wir einen riesigen Haufen Arbeit auslösen werden… aber ich kann bestimmt eine Kanzlei finden, die uns alle abdecken möchte. Das eliminiert dann auch das Risiko, dass sich aus uns auf rechtlicher Ebene zwei Parteien bilden.” Die Zahnräder in meinem Kopf begannen sich zwar erneut zu drehen, aber mein Gesichtsausdruck versprühte noch keine große Überzeugung. Deswegen sprach Ryatt wohl weiter: “Straffreiheit fürs Verknacken eines so einflussreichen Menschen zu erhalten, scheint mir nur fair. Wir sind die einzigen direkten Zeugen in dieser akuten Angelegenheit. Sie können nicht auf andere Angestellte zurückgreifen… nicht, was den Auslöser für diesen ethischen und rechtlichen Eklat angeht. Man könnte dann natürlich wieder die ’unter den Tisch-Kehrerei’ fürchten, weil sie mit Easterlin auch einen ihrer besten Steuerzahler einbuchten… aber das wird nicht passieren, wenn ich damit drohe, das Ganze öffentlich zu machen, wenn sie sich nicht einigen wollen. Mich können sie ohne meine Aussage sowieso für gar nichts verhaften, weil sie bis dahin nichts gegen mich in der Hand haben. Sie geben uns also entweder unsere Deals, oder die Presse erfährt, was und wie lange der Staat schon alles Mögliche toleriert hat, im Hinblick auf die Privatarmee und Easterlin. Wir leben zwar in einem Land, das besonders oft mit seinem Patriotismus und seiner Armee prahlt… aber Schwerverbrecher, die aus dem Gefängnis frei kommen, wieder Gewehre in die Hand gedrückt bekommen und dafür auch noch sehr viel besser als bei der Army bezahlt werden, dürften im ganzen Land für Brechreiz sorgen. Das würde sich schneller als ein Buschfeuer ausbreiten.” Ryatt sah uns abwechselnd an, während ich damit anfing, stirnrunzelnd über Aryanas Arm zu streicheln. Sein Hirn funktionierte zweifelsohne schneller als meins, ich musste das nochmal von hinten nach vorne aufrollen. Meine Augen rutschten auf das Glas über meinem Knie. Es klang schon irgendwie besser als die sehr vage Theorie davor… aber begab er sich damit nicht auch auf gefährlich dünnes Eis? So wie er das formulierte, brauchten wir ihn für das alles – lebend und frei. “Easterlin wird dich plattmachen wollen, sobald du verschwindest. Was ist, wenn sich diese Deal-Verhandlungen länger hinziehen und er dich kriegt?” Ryatt schüttelte den Kopf. “Wird er nicht. Ich bleibe nicht hier und Seattle ist groß. Ich hebe ‘nen großen Batzen Geld ab, bevor ich gehe, zahle alles bar und nutze Decknamen für Unterkünfte. Ich pokere erstmal nicht damit, dass sie uns Straffreiheit und Schutz spendieren… das hängt davon ab, wie sie die Lage einschätzen möchten.” Ob das reichte? Ob ich ihm genug vertrauen wollte, um es von vorne bis hinten auf ihn ankommen zu lassen, nachdem er Faye mehrfach hatte hängen lassen? Und mussten wir dann nicht auch untertauchen? Ich blickte schräg auf Aryana.
Denken, dass es anders war, war aber keine Garantie. So langsam ging aus dem Gespräch aber leider auch hervor, dass ihr diese Garantie niemand geben konnte. Daran trug nicht Ryatt die Schuld, er war zwar das Masterbrain hinter diesem Plan, aber dieser Plan inkludierte nicht nur sie drei. Menschen liessen sich grösstenteils nicht willenlos lenken wie Marionetten in einem Theaterstück. Aber man konnte ihnen dezente Schubser in die richtige Richtung geben. Sicher nicht mit einer wenig schmeichelhaften Gefängnisakte, aber möglicherweise mit den von Ryatt eingebrachten, an Bedingungen geknüpften Kooperation mit dem Staat. Vielleicht, vielleicht - es waren alles die ganze Zeit nur Vielleichts... Aryana stiess angeschlagen Luft aus, liess sich sehr gern von Mitch näher heranziehen und legte müde den Kopf an seiner Schulter ab. Für sie kristallisierte sich bei diesem Gespräch immer mehr vor allem eine einzelne Tatsache heraus: dass die Mission mit ihrer Bereitschaft, Ryatt voll zu vertrauen, sinken oder schwimmen würde. Mitch und sie waren Meister darin, niemandem ausser sich selbst zu vertrauen. Wenn sie den Kreis unbedingt öffnen wollten, würden am ehesten noch Victor und Faye darin Platz finden. Dann war aber Ende. Das Problem war bloss, dass sie mit sich selbst allein nicht aus diesem Knebelvertrag kamen. Victor und Faye würden ihnen ebenfalls nicht helfen können und sollten abgesehen davon auch gar nie in den Radius des Easterlin-Drachen treten. Es musste also eine andere Person beigezogen werden, sofern sie sich nicht mit dem ab hier kampflosen Untergang anfreundeten. Wer diese Person sein sollte, hatte Aryana unbewusst entschieden, als sie vor drei Monaten bei Ryatt angeklopft hatte. So schwer es ihr auch fiel, wenn sie rational darüber nachdachte, wusste sie, dass er die beste und wohl auch einzige Option für sie darstellte. Seine Karriere hatte bewiesen, dass er, solange er sich nicht das Herz brechen liess, strategisch ein Ass war. Diese Ablenkung dürfte derzeit nicht gegeben sein, sie verzichtete darauf, nochmal explizit nachzuhaken. Er wäre mit dem Plan wohl gar nicht bis hierher gekommen, wenn ihm seine Konzentration gefehlt hätte. "Mit wie viel Zeit rechnest du ungefähr, bis zum Start von Easterlins Mission? Also dem Zeitpunkt, an dem auch wir unseren Auftritt haben würden - nicht die Vorsondierung...", war die nächste Frage der Brünetten. Das war vor allem darum relevant, weil sie sich, wenn sowas ihre Rettung sein sollte, dringend in Form bringen musste. Höchstform war sicher utopisch, aber besser als jetzt war zwingende Voraussetzung. Und egal wie hart sie trainieren wollte, ein paar Wochen dauerte das mindestens. "Können wir uns das alles vielleicht auch noch zwei, drei Tage überlegen?", stellte Aryana noch eine Folgefrage, die den zweiten wichtigen Grund darlegte, warum sie einen Zeitplan brauchte. Sie wollte wissen, ob sie noch etwas darüber nachdenken konnten, bevor sie definitiv zusagten. Es war unwahrscheinlich, dass ihr Verstand und ihr rationales Denken ihr bei der Entscheidung helfen würden, wahrscheinlich würde sie auch in zwei Tagen noch zu den gleichen Schlüssen kommen wie in fünf Minuten. Aber sie wollte vor allem auch Mitch Zeit geben - und ihnen beiden gemeinsam. Wollte mit so wenig Druck wie möglich und ohne Zuhörer offen mit ihm reden können, um sich gemeinsam für oder gegen dieses Unterfangen zu entscheiden. Das Risiko, dabei zu sterben, war vorhanden, und zwar nicht in geringem Ausmass. Ein, zwei Tage wären also das Mindeste an angemessener Bedenkzeit. Aber das war bestimmt von Easterlins unabhängig mit seinem externen Auftraggeber vereinbarten Zeitplan...
Sie sahen beide so aus, als hätten sie akute Kopfschmerzen nur vom Nachdenken bekommen. Was mich zwar nicht wunderte, meinen Optimismus aber leicht ausbremste. Mitchs katastrophale Vorstrafe(n) waren absolut suboptimal für diese Mission, aber das würde ich hinkriegen. Auf der Gefühlsebene wusste ich sicher nicht immer mit den richtigen Worten zu punkten, aber bei rein sachlichen, strategischen Angelegenheiten konnte ich mehr als nur überzeugend sein. Man könnte es auch manipulativ schimpfen, wenn man wollte – änderte aber nichts am Ausgang der Dinge. Ich würde nicht das erste Mal im Gericht sprechen müssen und es hatte seine Gründe, warum Sean jetzt im Knast verrottete und ich bis auf die paar Sozialstunden nicht hatte büßen müssen. Easterlin war natürlich eine andere Hausnummer als der Mexikaner, genauso wie Mitchs Taten nicht mit meinen vergleichbar waren. Es war ja aber auch nicht so, als würden wir in dieser Sache keine weitere Unterstützung bekommen. Ich dachte gerne über zehn Ecken und die Anwälte hatten die nötigen Infos auf rechtlicher Ebene dafür. Es gab immer Druckmittel, Wege, Schlupflöcher. Man musste sie nur finden und dann gezielt zur richtigen Zeit einsetzen. Außerdem würde ich für die finale Solution noch Zeit haben, genauso wie Aryana und Mitch. Mein Blick fixierte sich auf die junge Frau, die inzwischen wieder an ihrem Freund klebte. “Genau kann ichs euch nicht sagen. Die erste Aufklärung findet in etwas mehr als einer Woche statt, von da an sind es dann geschätzt noch ein oder zwei Monate. Das kommt auf die Berichte an, die unser Team aufstellt und natürlich auch darauf, wann die örtlichen Behörden entscheidende Hinweise für anstehende Deals der beiden Clans inklusive Zielpersonen finden. Sobald der Ort und Uhrzeit bekannt sind, geht’s sehr schnell… heißt, wir werden angerufen und stecken euch dann sofort ins nächste Flugzeug. Einsatzfahrzeuge, Ausrüstung und so weiter fliegen wir schon vorher rüber.”, erklärte ich die Ausgangslage. Etwas mehr als einen Monat hatten sie also mindestens Zeit, um ihre Köpfe bestmöglich gerade zu rücken und den Arsch vom Sofa hochzukriegen. Ich wünschte uns trotzdem, dass sich die Mission noch etwas nach hinten verschob. Dass die beiden mehr Zeit bekamen, sich auf diesen Kampf vorzubereiten. Natürlich hätte ich am liebsten heute schon ein klares Ja! auf dem Tisch gehabt. Das war unwahrscheinlich gewesen. Genauso wie etwas mehr Enthusiasmus – den hätte ich mir trotzdem gewünscht. Es war ja nicht so, als hätten sie noch zahlreiche andere Optionen, am Leben zu bleiben. Ich musste mich dazu ermahnen, nicht zu vergessen, dass sie inzwischen wahrscheinlich beide am Abgrund tanzten und jederzeit fallen konnten. “Ist unwahrscheinlich, dass ich noch einen Plan B finde, aber… ja, sicher.”, meinte ich relativ neutral. Aryana hatte nach einem Plan für ihre Freiheit gefragt. Ich hatte die Blaupause heute mitgebracht, sogar innerhalb dieser lächerlichen Frist. Ich würde jetzt nicht aussprechen, dass ich beleidigt wäre und brachial versuchen würde, sie umzustimmen, wenn sie stattdessen einfach Suuizid begehen wollten, aber genau das würde passieren. Notfalls mithilfe einer Person, deren Name im Verlauf dieses Gesprächs schon gefallen war. Apropos: “Was Faye angeht – ist das dein letztes Wort? Dass sie, falls ihr euch dafür entscheidet, nichts davon wissen soll, meine ich…”, stellte ich nun meinerseits noch eine Frage. Nicht, weil ich diese Entscheidung nicht unterstützte, sondern damit ich nichts falsch interpretierte. Passend dazu wiederholten sich Fayes Worte unserer letzten gemeinsamen Fahrt erneut in meinem Kopf: Sie wird es zuerst nicht schätzen… oder vielleicht würde sie mich sogar dafür hassen, es ihr nicht verraten und sie stattdessen durch eine gigantische Welle Verlustschmerz geschickt zu haben. Wenn sie Aryana nicht erreichte, würde sie mich eher früher als später anrufen. Dann war ich derjenige, der sie anlügen und ihr sagen musste, dass ihre Schwester mitsamt Anhang wahrscheinlich irgendwo in Paraguay gestorben war. Aber das war realistischer – das Richtige, wenn es um unsere spätere Glaubwürdigkeit vor Gericht ging… und danach, wenn sie ihre Schwester endlich frei, gesprengt von allen Ketten umarmen konnte, würde sie hinter die Vorteile blicken, richtig? Sie musste es verstehen. Hinter sehr viele Dinge wollte ich mit dieser gewagten Mission einen endgültigen Haken setzen, aber nicht bei Faye. Ich wollte sie nochmal wiedersehen, irgendwann. Ohne die ganzen Schuldgefühle und die Bauchschmerzen, die unseren Abschied geprägt hatten.
Das war nicht sehr viel Zeit, aber damit hatte sie auch nicht gerechnet. Sie war zwar keineswegs in diesen Prozess involviert, aber bisher hatte sie nie den Eindruck gehabt, Easterlins Missionen wären weiter als ein paar Monate hin die Zukunft geplant oder gebucht. Sie bewegten sich meist in schnelllebigen Settings und bei dem hier vorgestellten Unterfangen klang das nicht anders. Vielleicht wäre es auch gut, wenn sie es sich nicht mehr monatelang anders überlegen konnten. Und wenn sie die Gesamtsituation im Umkehrschluss nicht mehr monatelang aushalten mussten. Wenn das alles bestenfalls sehr bald schon vorbei wäre... "Gut", nickte Aryana, ohne dem Wort besonders viel Emotion einzuhauchen. Dass es an und für sich eine positive Wertung enthielt, war heute wohl das höchste der Gefühle. Gut war wohl auch ihr Gesamturteil zu allem bisher Gesagten. Nicht super, nicht umwerfend - aber nicht scheisse, nicht unmöglich, nicht auf keinen Fall. Das hatte sie - ihrer Meinung nach - schon gesagt vorhin. Als sie mitgeteilt hatte, dass es hauptsächlich einfach diese verdammte Gefängnisstrafe war, die sie noch von einem Ja abhielt. Und eben das fehlende Gespräch zu zweit mit Mitch. Mit einem Plan B rechnete sie indes ebenfalls nicht, würde es nicht geben. Entweder das oder nichts. Sie würden sich schon noch früh genug entscheiden. Mit seiner nächsten Frage lockte Ryatt für einmal eine andere Gefühlsregung als die an Gleichgültigkeit grenzende pure Erschöpfung in ihre Gesichtszüge. Konnten sie das tun? Faye und Victor einfach nichts sagen? Nach Südamerika fliegen und verschwinden - wenns gut lief nur für ein paar Wochen, aber trotzdem ohne Warnung? Nein. Faye würde komplett den Verstand verlieren, wenn sie von ihrem potenziellen Ableben erfuhr. Faye war in die verdammte Army eingetreten und nach Syrien geflogen, weil sie Angst gehabt hatte, Aryana zu verlieren. Wollte sie also, dass Faye nichts davon wusste? Die Frage war eigentlich sehr leicht zu beantworten. Wenn da nicht ein Gegengewicht auf der Waage stehen würde und ihr sagte, dass es besser so wäre. Aryana hatte für ein paar Sekunden die Augen zugedrückt, verzog das Gesicht. Noch bevor sie Ryatt wieder anschaute, schüttelte sie schwach den Kopf. "Nein. Nicht nach allem, was war. Sie würde uns das nie verzeihen, da bin ich mir sicher, egal wie nett und verständnisvoll sie sonst immer sein mag und egal wie gut das alles ausgehen könnte.", lautete schliesslich ihre ausnahmsweise recht entschiedene Antwort. Natürlich könnten sie gegenüber Faye und Victor später argumentieren, dass das nötig gewesen war, um Authentizität zu wahren und nicht zu verraten, dass das ganze Verschwinden geplant gewesen war. Aber sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie es Faye gehen würde, wenn sie - wohl durch Ryatt - erfuhr, dass Aryana und Mitch in Paraguay verschwunden, wahrscheinlich gestorben waren. Das konnten sie nicht durchziehen. "Wir können sie vorher besuchen, und ihnen dabei eine mündliche, nicht nachweisbare Warnung ohne Details dalassen. Da wir sie bisher noch nie in L.A. besucht haben, ein solcher Ausflug also theoretisch längst überfällig ist, wäre das auch nicht auffällig. Faye würde dich dann trotzdem anrufen, sobald sie von mir nichts mehr hört und so viele Sorgen, wie sie sich trotz Vorwissen noch machen würde, traue ich ihr durchaus zu, den Plan nicht durch auffällige Gelassenheit zu durchkreuzen. Ausserdem...", sie seufzte, machte eine weitere schwere Pause, während der ihr Blick von Ryatt abfiel und sich irgendwo auf der Landkarte verlor. "Ausserdem möchte ich sie, sollten wir nach Südamerika fliegen, vorher noch einmal sehen... Auch wenns halt nur ein Wochenendbesuch wird. Nur für den Fall... dass irgendwas schief geht.", es würde schwierig sein, das Ganze nicht zu sehr einen Abschied werden zu lassen. Aber trotzdem fühlte sich die Idee ausnahmsweise richtig an. Sie hatten Faye und Victor schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und das letzte Mal war auch kein guter Abschied gewesen. Also ja, wenn es sich irgendwie einrichten liess, wollte sie ihre Schwester sehr gerne noch einmal in die Arme schliessen.
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Hope that‘s fine by you aber ich hab echt nicht genug Argumente gefunden, dass sie es ganz geheim halten, wenn Aryana genau weiss, dass Faye innerlich gleich mitsterben würde… :‘) Auch wenn es das DrAmA auf einer Ebene etwas abschwächt. xD
oc it is, Faye ist immerhin dein Charakter und ich bin mir ziemlich sicher, dass Ryatt trotz des Risikos grundsätzlich okay damit ist, wenn sie ihn im Gegensatz dafür dann nicht auf ewig hasst... i mean, das ist bekanntlich so ungefähr die allerletzte Sache, die er mit alledem erreichen will, lel. XD __________
Gut. So, wie sie das sagte, hätte sie auch ein nichtssagendes ok nehmen können. Ich hängte mich jedoch nicht daran auf, aus diversen Gründen. Wie sie die Sache mit Faye sah, war im Augenblick ohnehin wichtiger, nachdem ich nicht heute schon mit einer endgültigen Antwort zur Mission selbst rechnen konnte. Mitch nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas, nachdem er seine Freundin in etwa so gemustert hatte, wie ich das jetzt noch immer tat. Sie wirkte im ersten Moment noch etwas unschlüssig. Als die Brünette nach dem Kopfschütteln jedoch auch wörtlich auf meine Frage einging, ließ sie nicht wirklich Zweifel offen. Aus gutem Grund – natürlich kannte sie ihre Schwester sehr viel länger und besser als ich. Konnte eher einschätzen, wo ihre endgültigen Toleranzgrenzen lagen und wo ihre Gutmütigkeit ein finales Ende fand. Dass das Limit beim vorgetäuschten Verlust ihres letzten nahen Familienmitglieds endgültig erreicht wurde, war… naja, naheliegend. Ich presste die Lippen aufeinander und blickte auf meine eigenen Hände runter, als die ältere Cooper weitersprach. Nickte dabei kaum merklich vor mich hin, was meinem Nachdenken verschuldet war. Es war tatsächlich nicht besonders verdächtig, wenn sie ihre Schwester im Süden mitsamt Mitch besuchte. Eben gerade weil sie das bisher noch gar nicht getan hatten und in ihrem Job jeder zweite Tag der letzte werden könnte. Faye würde es zwar sicherlich auch nicht gerade bejubeln, wenn ihre Schwester ihr beim ersten Besuch seit einer kleinen Ewigkeit eröffnete, beim anstehenden Versuch des Freischlags sterben zu können, aber dann war sie immerhin vorgewarnt… und ich musste sie nicht belügen, was eine gute Portion Last von meinen eigenen Schultern nahm. Ich wollte ihr die Wahrheit nicht noch einmal verschweigen müssen. Nie wieder, wenns irgendwie ging. Es war schon schlimm genug, dass ich ihr nichts von Aryanas Nervenzusammenbruch erzählen konnte. Eigentlich zweifelte ich nicht massiv daran, dass Faye das mit dem trotzdem bei mir anrufen und so weiter glaubwürdig hinbekam, angesichts des weiterhin vorhandenen Sorgenpotenzials. Dennoch blieb es ein Restrisiko. Auch wenn wir nicht abgehört werden würden, weil sie logischerweise meine Privatnummer anrufen würde und nicht in meinem Büro durchklingelte. Spätestens mit ihren letzten Sätzen schlug Aryana mir sowieso sämtliche Gegenargumente aus den Händen. Nichts würde die Tatsache überwiegen, dass sie sich – für den Fall der Fälle – noch ein vielleicht letztes Mal bei Faye blicken lassen wollte. Ich hatte selber wichtige Menschen verloren. Wer wäre ich, ihr das ausreden zu wollen? “Leuchtet ein…”, erwiderte ich, mit zuerst noch angespannten Gesichtsausdruck und entsprechend trägen Worten. Dachte noch kurz über all das nach, war mir aber gleichzeitig schon sicher damit, dass ich das ohnehin nochmal allein und in Ruhe tun müssen würde. Wenn nicht gerade die suizidgefährdete Schwester einer Person vor mir saß, die ich etwas zu sehr ins Herz geschlossen hatte. Gefühle waren bekanntermaßen zu effektive Bremsklötze für mein Hirn und bis heute war Faye noch Kryptonit für mich. “...und sie zu schonen ist in diesem Fall wahrscheinlich die bessere Option. Kann trotzdem sein, dass ich euch…” Einen Moment lang suchte ich nach einer angemessenen Formulierung. “...ein paar einzustreuende Hinweise mit auf den Weg eures bestenfalls nicht letzten Besuchs gebe.” Klang immer noch merkwürdig, aber wir alle waren uns dem Sterberisiko bewusst. Nichtsdestotrotz glaubte ich daran, dass die beiden es so gut wie heil da raus schaffen konnten und würden – vorausgesetzt, sie fingen so schnell wie möglich damit an, alle nötigen Hebel in Bewegung zu setzen und sich am Riemen zu reißen. Angefangen damit, dass sie den hochprozentigen Alkohol loswurden. Ich atmete durch schmale Lippen ein und griff nach dem Glas, um daran zu nippen. Ob Faye mir die Schuld daran geben würde, wenn Aryana und Mitch schon zu Beginn dieser Mission starben, obwohl ich genau das Gegenteil zu erreichen versucht hatte? Obwohl sie es selbst war, die mich darum gebeten hatte, einen Ausweg zu finden? Möglich, weil Gefühle nicht selten irrational waren. Ich nahm noch einen größeren Schluck und machte dadurch mein Glas leer – es war deutlich weniger von dem Bourbon drin gewesen, als in Mitchs’. In weiser Voraussicht seinerseits, vermutlich. “Wenn ihr sonst keine Fragen habt, sind wir jetzt wohl an dem Punkt, an dem ich euch die nötige Bedenkzeit einräumen muss..?”, gab ich den beiden, abwechselnd in ihre Gesichter blickend, noch eine letzte Option für weiteres Nachhaken. Meistens fielen einem die entscheidenden Fragen aber ohnehin erst irgendwann später ein.
Ryatt schien zumindest im ersten Moment keine unverhandelbaren Gegenargumente oder Einwände zu ihren eigenen Plänen bezüglich ihrer Schwester und deren Freund zu haben. Es war ein bisschen paradox, aber tatsächlich fühlte Aryana sich dank diesem Umstand jetzt endlich etwas besser. Sie sah in Ryatts Vorhaben immer mehr Vorteile gegenüber einem - mehr oder weniger - spontanen Suizid zuhause. Sie hatten nichts zu verlieren, konnten aber noch einmal versuchen, das Ruder für sich rumzureissen. Starben sie dabei, konnte Faye ruhig Easterlin hassen, der ihnen das Leben zur Hölle gemacht hatte. Es wäre nicht ein einfaches Aufgeben, sondern ein Unfall im eindeutig verzweifelten Versuch, endlich frei zu sein. Ausserdem konnten sie sich verabschieden. Auch wenn sie es nicht als Abschied gestalten wollte, wäre es eine Chance, noch einmal bewusst ein kleines bisschen Zeit zusammen zu verbringen. Ziemlich sicher würde dieses Treffenihr selbst auch helfen, in Südamerika den Fokus nicht zu verlieren, sich nur umso mehr anzustrengen und alles zu geben, um eben nicht irgendwo im Busch verscharrt zu enden. Letztendlich würde der Besuch also bestenfalls nicht nur helfen, Fayes Nerven zu schonen, sondern auch Aryanas Moral aufzubauen. Musste das alles nur noch so klappen, wie sie es sich wünschte... Und Mitch sollte einverstanden sein. Auf dessen ungefilterte Meinung musste sie wohl nicht mehr lange warten, Ryatt schien vorerst alles gesagt zu haben, was es seinerseits zu sagen gab. Und ihre Fragen - vor allem betreffend allenfalls sehr relevanter Details - waren auch erstmal noch in Produktion. Somit glitt ihr fragender Blick zu Mitch, um abzuklären, ob er einverstanden war, ihren Gast nun vorerst gehen zu lassen. "Von mir aus ja...", gab sie ihrerseits keine Einwände mehr bekannt. Es war wohl hauptsächlich dem letzten Teil ihres Gesprächs geschuldet, dass sie für einen kurzen Moment wieder aus ihrer endlosen Erschöpfung aufgetaucht war und tatsächlich sowas wie Motivation verspürte - einerseits für die Mission an sich, andererseits auch für den Weg dahin. Das wiederum führte dazu, dass sich ihre Augen nochmal von Mitch lösten und zurück zu Ryatt fanden. "Und danke... für deine Bemühungen... ich... es ist schön, dass du uns noch nicht aufgegeben hast... trotz allem.", vor fünf Minuten hätte sie ihn definitiv ohne Dank vor die Tür gestellt. Aber eigentlich wusste sie, dass das nicht angemessen war. Er war ihre einzige Chance für raus und sie war nicht dumm oder zugedröhnt genug, um das nicht zu sehen. Wenn all das aufging, waren sie ihm definitiv zu ewigem Dank verpflichtet - ein bisschen von diesem Dank konnte sie ihm auch jetzt schon mitgeben. Für die Mühen, die sie ihm bis hierher bereits beschert hatte.
Aryana irrte sich selten dabei, wem sie ihr Vertrauen schenken wollte und wem nicht. Ich hatte mir schon oft den Kopf darüber zerbrochen, warum sie mit ihrem emotionalen Ballast ausgerechnet zu Ryatt gegangen war. Vielleicht lag es schlicht daran, dass schon Faye ihm vertraut hatte. Es immer noch zu tun schien, wenn sie weiterhin Kontakt pflegten, trotz allem. Ich stieg da wirklich nicht durch und stellte mich in dieser Sache ganz weit hinten an. Aryana vertraute ich blind, Faye und Victor genauso. Ryatt hingegen hatte sich verdammt viele Fehltritte geleistet und ich wollte nicht der nächste davon sein. Faye kam in dieser Sache verhältnismäßig gut weg, weil der Veteran nichts dagegen einzuwenden hatte, sie einzuweihen. Er grübelte zwar konstant weiter, schob dem von der Brünetten an meiner Schulter vorgeschlagenen Besuch in L.A. aber keinerlei Riegel vor. Also kam auch das noch auf die To-Do-Liste, so oder so. Vielleicht würde uns der kurzfristige Tapetenwechsel helfen. Ganz generell, aber auch um uns daran zu erinnern, dass es eben doch nicht so ganz egal war, ob wir nun abdanken würden oder nicht. Ryatt schien sonst nichts weiter mehr sagen zu wollen und als Aryana mich fragend ansah, nickte ich und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. Ich hatte noch ungefähr hundert Fragen, aber die eine Hälfte musste sie mir beantworten und die andere würde ich mit mir selbst ausdiskutieren. Was den grob aufgestellten Plan anging, war ich vorerst bedient. Ich kalkulierte fest damit, dass unser Komplize sich wegen der angesprochenen Haftstrafe aus freien Stücken noch weitere Gedanken machte, weil das offensichtlich noch das größte aller potenziellen Probleme war. Ryatt nickte also und stand leicht schräg vom Hocker auf, griff gleichzeitig nach dem knittrigen Blatt auf dem Couchtisch – wohl um keine Beweise zurückzulassen. Mein Blick glitt zuerst zurück zu Aryana, als sie doch noch ein paar Worte sagte und dann wieder zu Ryatt, um seine Reaktion mit Adleraugen zu beobachten. Es war ihm offensichtlich unangenehm, denn er nickte erst nur und sah einen Moment auf seine Füße runter. “Ich hab echt viele beschissene Fehler gemacht, in letzter Zeit… den mach ich nicht auch noch.” Er rang sich ein schmales Lächeln ab und bedachte uns jeweils mit einem etwas zurückhaltenden Blick. Ich löste langsam meinen Arm von Aryana und stellte das Glas ab, um unseren Verbündeten nach draußen zu begleiten. Irgendwer musste ja die Tür wieder hinter ihm abschließen. Ich folgte ihm in den Flur und lehnte an der Kommode, während Ryatt sich Schuhe und Jacke wieder anzog, das Papier in die Tasche steckte. “Lasst es mich wissen, falls ihr noch Fragen habt oder wenn ihr euch entschieden habt… auf unauffälligem Weg.” Wieder nickte ich bloß, die Arme vor der Brust verschränkt. “Und falls ihr nach irgendwas sucht, nutzt ein VPN.” Hatte ich bisher noch nicht dran gedacht, aber ja, machte Sinn. “Okay.” Ich stieß mich von der Kommode ab und er legte die Hand auf die Klinke, nachdem er aufgeschlossen hatte. Ryatt hielt inne und sah mich nochmal direkt an. Stumm, doch ich wich seinem Blick nicht aus. Irgendwas lag ihm auf der Zunge, aber er behielt es am Ende für sich – wohl weil ich anfing mit dem Kiefer zu mahlen. “Passt auf euch auf.”, nach diesen Worten öffnete er die Tür. Ich gab ihm noch ein schlichtes “Du auch.” mit auf den Weg, bevor ich hinter ihm zumachte und abschloss. Seufzend durchatmend ging ich zurück zu Aryana und ließ mich kraftlos aufs Sofa fallen. Der Alkohol half natürlich eigentlich überhaupt nicht, aber er lenkte mich ab. Also schüttete ich gleich noch ein bisschen nach und begann dabei zu reden. “Unmöglich ist’s nicht…”, murmelte ich zuerst bloß. Hatten wir schon vorher festgestellt. “...aber selbst wenn ichs psychisch länger als zwei Wochen in Untersuchungshaft aushalten würde”, was aktuell ernsthaft in Frage zu stellen war, “darf ich ums Verrecken in keiner Zelle landen. Nicht mal für 24 Stunden.” Ich schraubte mit mechanischen Bewegungen die Flasche wieder zu. Nach vorne gebeugt drehte ich den Kopf in Aryanas Richtung, musterte ihr Gesicht. Erinnerte mich daran, wie sie damals ausgesehen hatte, als sie mich im Gefängnis besucht hatte. Immer kaputter, je mehr Zeit verstrichen war. Aber ihre oder meine Psyche waren in dieser Sache leider nicht das einzige Problem. “Er würde mich umlegen lassen und mir meinen letzten verdammten Funken Würde nehmen.” Easterlin hatte schon damit gedroht mich wieder einzusperren oder uns umzubringen. Ich glaubte nicht, dass er besagte Drohung in so einem äußerst gelegen kommenden Fall dann plötzlich einfach ins Leere laufen ließ. Selbstmord, weil ichs nicht mehr hinter den Gittern aushielt? Schon irgendwie okay. Mich von einem bestochenen Mitinsassen oder gar einem Wärter umlegen lassen, weil Easterlin zu volle Taschen hatte? Um keinen Preis der Welt.
Viele beschissene Fehler hatten sie halt irgendwie alle gemacht. Immer wieder, in unterschiedlichem Ausmass und mit unterschiedlichen Folgen. Aber ja, es wäre schön, wenn sie jetzt damit aufhören könnten - zumindest mit der sehr verheerenden Sorte. Ganz vermeiden liessen sich Fehler auf Dauer natürlich nicht, aber es wäre von Vorteil, wenn sie sich bei dieser komplexen Mission, die Ryatt sich irgendwann, irgendwie aus den Fingern gesaugt hatte, auf Fehler verzichten könnten. Schon nur weil Fehler hier schnell tödlich enden könnten. Die Brünette hatte darauf nichts mehr zu sagen, nickte nur noch und versuchte, das schwache Lächeln zu erwidern. Mitch begleitete Ryatt noch zur Tür, was dazu führte, dass sie allein auf dem Sofa im Wohnzimmer zurückblieb. Was wiederum dazu führte, dass ihr Blick zur Flasche wanderte. Da war immerhin kein Plan mehr, den sie anstarren konnte, nur noch Gläser und eine Flasche. Es war wohl allen bewusst, dass der Alkohol und die Fluchtplanung, beziehungsweise -Vorbereitung, nicht gemeinsam Platz in ihren Köpfen hatten. Die übrigen Flaschen würden also ausziehen müssen. Zumindest vorübergehend, vielleicht aber besser gleich für immer. Das hatte sie schon letztes Mal gedacht, aber eben... ihr Leben war kein einfaches und sie nicht immer stark genug, um sich irgendwie einfach durchzuhangeln. Mit Ryatts Plan bestand wohl zum ersten Mal die mehr oder weniger realistische Möglichkeit, dass das nicht mehr ewig so weiterging. Sie mussten nur etwas Glück haben, sehr viel Können beweisen und nichts durfte schiefgehen. Aryana gab ein tiefes Seufzen von sich, noch bevor sie hörte, wie der Schlüssel wieder im Schloss gedreht wurde und Mitch gleich darauf zurück ins Wohnzimmer kam. Er sank erneut neben ihr ins Polster, griff auch fast umgehend nach der von ihr angepeilten Flasche, um sich noch etwas von dem Bourbon nachzuschütten. Sie schaute ihm dabei zu, sagte aber nichts, sondern lauschte seinen Ausführungen. Er nannte einen weiteren, von ihnen absolut nicht beeinflussbaren Punkt, der die Dringlichkeit davon aufzeigte, auf keinen Fall eine Gefängnisstrafe zu riskieren. Es würde höchstwahrscheinlich tödlich enden, egal ob die Haft für einen Tag oder für zehn Jahre angedacht war. Jetzt war es Aryana, die sich ebenfalls nach vorne lehnte und nach der Flasche griff. Sie zog das bislang unbenutzte dritte Glas heran und füllte sich ebenfalls etwas Whiskey ab, wartete auch nicht lange, sondern führte das Glas - kaum war die Flasche verschlossen und zurückgestellt - an ihre Lippen. Der Alkohol schmeckte wie immer. Es brannte ein bisschen, aber gar nicht mal so unangenehm. Wie das halt so war, wenn man sich etwas zu sehr an den Trost eines Whiskeyglas' gewöhnt hatte... Aryana lehnte sich ins Polster zurück, behielt das Glas aber in der Hand und stellte diese auf ihrem Oberschenkel ab. "Das lass ich nicht zu. Und du gehst in keine Zelle.", erklärte sie, als wäre es sie, die eine solche Entscheidung zu treffen hätte. "Wenn er uns mithilfe der Army zurückfliegen will, dann soll er vorgängig mit seinen Connections dafür sorgen, dass wir bis zum Ende des Verfahrens unter deren Schutz stehen. Von mir aus auch irgendwo unter Hausarrest, solange keiner auf die Idee kommt, uns zu trennen oder uns diesen korrupten staatlichen Autoritäten zu übergeben, die alle irgendwie mit Easterlin in Verbindung stehen", meinte sie und schüttelte den Kopf beim blossen Gedanken an dieses Netz von geldgeilen Ratten. "Ich glaube schon, dass richtig gute Anwälte uns helfen werden. Und auch das, was Ryatt gesagt hat - wenn wir unsere Aussagen an Bedingungen knüpfen. Aber ja, letztendlich sind das alles Hypothesen... und wie ich schon gesagt habe: am liebsten möchte ich einfach gar kein Risiko in dieser Sache", die Reaktivierung der Gefängnisstrafe wäre der definitive Genickbruch, wie sie sich einig waren. Und Aryana war sich nicht sicher, inwiefern hier im Voraus schon Gewissheit geschaffen werden und Risiken minimiert werden konnten. Man müsste die Frage gezielt juristisch abklären lassen... was wiederum sehr auffällig wäre. "Vielleicht findet Ryatt noch etwas. Er hat immerhin zugriff zu vielen Dokumenten seitens Easterlin - irgendwo wird da doch sicher geregelt sein, wie diese ganzen Gefängniseinkäufe legal dargestellt werden können... Ein Schlupfloch gibt es offensichtlich - auf den ersten Blick nur mit sehr viel Geld, aber das wurde ja bereits bezahlt. Es kann ja wohl nicht sein, dass bei den Kautionsbedingungen festgehalten wurde, dass du ausschliesslich in Easterlins Kriegen kämpfen darfst und wenn du das nicht mehr tust, du zurück in den Knast musst..."
Nun war ich an der Reihe damit, Aryana stumm dabei zuzusehen, wie sie sich am Alkohol bediente und dafür sorgte, dass das dritte Glas nicht unbenutzt in den Schrank zurückwandern musste. Schon vor einer ganzen Weile hatte ich damit aufgehört, sie vom Trinken abhalten zu wollen und ich fing auch frühestens ab morgen wieder damit an. Je nachdem, wie das Gespräch hier weiterlief. Ich lehnte mich erst zurück, als Aryana das schon getan hatte. Nahm das Glas extra in die andere Hand, um meine Finger wieder nach ihr auszustrecken. Ich liebte sie wirklich für diese illusionierte Aussage. Wir hatten auch gesagt, dass wir Easterlin schon irgendwie beseitigen würden. Konnten wir nicht, deswegen saßen wir jetzt hier. Eine Gefängnisstrafe könnte Aryana kaum aus eigener Kraft aufhalten, wenn sie mir nicht eigenhändig eine Kugel in den Kopf jagte, aber das sagte ich nicht. Sie zeigte das erste Mal seit Monaten einen Hauch Motivation und ich müsste bescheuert sein, um sie ausgerechnet jetzt darin auszubremsen. Also schlich sich stattdessen ein kurzes Lächeln auf meine Lippen, zeitgleich mit einem Streicheln an ihrem Bein. Dabei sprach sie auch längst weiter. Brachte mich dazu, weiter nachzudenken, wobei das Lächeln automatisch verpuffte. Ob er das konnte? Connections und erwiderter Gefallen hin oder her, konnte Ryatt der Army kaum befehlen, uns zu beschützen. Andererseits war es ja auch nicht so, als wären wir irgendwelche 0815-Zivilisten mit irgendwelchen 0815-Problemen. Hausarrest bei der Army klang aufgrund meiner Vergangenheit dort zwar auch nicht gerade nach Spaß, aber es wäre in jedem Fall besser, als im Gefängnis ermordet zu werden. Besser, als von Aryana getrennt zu werden. “Eigentlich kein schlechter Gedanke.”, murmelte ich erstmal bloß zur Antwort. “Ryatt will ja scheinbar alles mögliche Aufdecken, was hinter verschlossenen Türen passiert. Zu sagen, unser Leben wäre bedroht, wenn sie uns einfach auf freien Fuß setzen, würde sich wohl spätestens dann in aller Augen bewahrheiten. Auch wenn die Ermittlungen dazu wahrscheinlich eine ganze Weile dauern werden…”, endete ich mit einem Seufzen. Wie lange sich der Prozess wohl hinziehen würde? Anhand der offensichtlichen Dringlichkeit würden sie ihn kaum auf die lange Bank schieben, aber es würde aller Wahrscheinlichkeit nach ein langes Hin und Her geben. Easterlin war nicht dafür bekannt, sich leicht in die Karten gucken zu lassen oder schnell aufzugeben. Ryatt wirkte allerdings auch nicht so, als hätte er Zweifel daran, diesen Prozess zu unseren Gunsten und zu Easterlins Verderben drehen zu können. Wie Aryana schon sagte – alles bloß Hypothesen. Variablen, auf die wir uns erst zum gegebenen Zeitpunkt einstellen konnten. Trotzdem sollten wir versuchen, vorher so viele Optionen wie möglich mit Vorbereitung abzudecken. Auch mental, aber bestenfalls mit fundiert erarbeiteten Details, die Ryatt irgendwo in diesem riesigen Glaskasten abrufen konnte. Informationen, die hoffentlich auch meine Haftstrafe nichtig machten. Ich nickte etwas träge und nahm erst einen Schluck, bevor ich antwortete. “Würde mich wundern, wenn unsere 6 Pflicht-Jahre noch woanders als in unserem skurrilen Arbeitsvertrag auftauchen… und den will Ryatt ja sowieso aushebeln, mit alledem.”, folgte ich meinen Gedanken mit langsam gesprochenen Worten und machte eine Geste mit dem Glas in der Hand. “Normalerweise muss das zuständige Gericht jede Freilassung separat genehmigen. Easterlin schmiert also wahrscheinlich mindestens einen einflussreichen Richter… und wenn ich so drüber nachdenke, kann ich absolut gar nicht abschätzen, vor welchem Gericht wir am Ende eigentlich landen. Das Militärgericht könnte mitmischen wollen.” Das alles bereitete mir ernsthafte Kopfschmerzen. Im Grunde war das alles nicht die Sache des Militärs. Die hatten mich ja schon dran gekriegt. Andererseits waren sie halt schon allein durch die Tatsache involviert, dass sie gelegentlich Aufträge in Kooperation mit uns ausführten – was übrigens nie zu Begeisterung führte, auf keiner von beiden Seiten. Man arrangierte sich für die Mission bestmöglich miteinander, aber mehr dann auch nicht. “Wir können wohl noch nicht viel mehr machen, als darauf zu hoffen, dass er genug findet.” Ich zuckte mit den Schultern und nahm den nächsten kleinen Schluck. Starrte danach noch einen Moment lang ins Glas, das wieder auf meinem Knie stationiert war. Dann sah ich zu Aryana rüber. Wartete, bis sie den Blick erwiderte, ehe ich ihr eine Frage stellte, die mir nicht erst seit jetzt auf der Zunge brannte. “Du vertraust ihm, oder?”
Sie wusste schon, dass Mitchs erhöhtes Verlangen nach Körperkontakt und Nähe eigentlich einen traurigen Ursprung hatte und vielleicht sogar etwas atypisch für ihn war. Das änderte aber nichts daran, dass sie einen gewissen Gefallen daran finden konnte und seine Berührungen ihr gut taten. Es war eben doch auch schön, dass er sich auch jetzt nach ihr ausstreckte, kaum sassen sie wieder gemeinsam auf dem Sofa. Seine Nähe gab ihr Sicherheit. Egal wie viele lange Jahre sie früher ganz trotzig behauptet hatte, alleine am besten klar zu kommen und sicher keinen Mann zu brauchen - bei ihm war das anders. Ihn brauchte sie am allermeisten. Ein Grund mehr, weshalb sie alles in ihrer Macht stehende tun musste, damit er ihr nie wieder weggenommen wurde. Sie wusste, dass Mitch ein zweites Mal Gefängnis nicht überleben würde - nicht nur wegen Easterlins tödlichen Connections. Das hatte er ihr deutlich genug mitgeteilt. Aber sie selbst würde es auch nicht überleben, ihm nochmal beim qualvollen Sterben zuzuschauen und nichts dagegen tun zu können, dass er ihr langsam aus den Fingern glitt. Diesmal mussten sie ein besseres Ende finden. Aryana nickte nochmal gedankenverloren, als Mitch ihren Vorschlag - wenn man es so nennen wollte - bezüglich Zeugenschutz durch die Army kommentierte. Somit würden sie das wohl im nächsten Gespräch mit Ryatt noch einbringen und schauen, was er dazu sagte. Sie führte ihr Glas erneut an ihre Lippen, um sich einen zweiten Schluck Bourbon zu gönnen, im Versuch, dadurch ihre Denkfähigkeit anzukurbeln. Oder vielleicht eher ihre Entspannung, das mit der besseren Kopfleistung durch Alkohol hatte bisher selten funktioniert. Die junge Frau wollte jetzt einfach mal nicht davon ausgehen, dass sie mit diesem Verfahren an genau den Richter gerieten, der mit Easterlin unter einem Hut steckte. Das wäre schon sehr grosses Pech und ausserdem war dessen Name sicher irgendwo zu finden. Sie wollte Ryatts Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung nicht überschätzen, aber vielleicht fand er ja schon einen Hinweis darauf, um wen es sich handeln könnte... "Keine Ahnung. Aber selbst wenn wir an einen seiner Freunde geraten, wäre es sehr riskant für diese Person, sich allzu sehr auf Easterlins Seite zu schlagen... Immerhin stehen in einem solchen Prozess für alle Beteiligten ihre Zulassungen und Berufslizenzen auf der Kippe... Wenn irgendwer irgendwem Korruption nachweisen kann oder ein solcher Verdacht besteht, könnte das schon sehr unangenehm werden", meinte sie, klang dabei mal wieder für ein paar Sekunden sehr vorsichtig optimistisch, wenn man es denn schon so nennen wollte. Hoffen, beten, warten... Ihre Königsdisziplinen. Aber ja, wenn sie Ryatts Plan umsetzen wollten, mussten sie weite Teile - zumindest im Vorfeld - ihm überlassen, da sie beide bekanntlich kein Vertrauensverhältnis zu ihrem Boss pflegten. Aryana nickte erneut langsam, blickte auf seine Finger auf ihrem Bein und legte nun auch ihre freie Hand darauf ab. Sie hatte gerade damit begonnen, mit ihrem Daumen seine Haut zu streicheln, als sie seinen Blick spürte und Mitch erneut anschaute. So, wie er die Frage stellte, war sie ihm eher nicht spontan eingefallen. Sie konnte sich schon denken, woher sie kam. Konnte sich schon denken, dass er darüber nachdachte, seit sie ihm gebeichtet hatte, mit ihren Suizidplänen ausgerechnet bei Ryatt angekrochen zu sein. Aryana blickte ihn einen Moment lang stumm an, streckte dann die Hand, die soeben noch auf seiner gelegen hatte, nach ihm aus. Ihre Finger schmiegten sich an seine Wange, ohne, dass sie ihn aus den Augen gelassen hätte. "Das ist ein grosses Wort… Ich vertraue dir... Faye und Victor…", antwortete sie als erstes. Das wusste er hoffentlich längst, aber sie wollte trotzdem nochmal klarstellen, dass das auf keinen Fall die gleiche Ebene betraf. Sie würde sich nicht sinnbildlich rückwärts fallen lassen, wenn Ryatt allein hinter ihr stehen würde und sie auffangen sollte. Das lag nicht nur an seinem Hinkebein. "Aber ich bin mir sicher, dass Ryatt alles versucht, um uns da raus zu kriegen. Ich bin mir sicher, dass er das, was er heute gesagt hat, ernst meint. Und ich bin mir sicher, dass er unsere einzige Chance ist, aus diesem Vertrag zu kommen und wirklich mit allem abzuschliessen.", führte sie aus. Es folgte eine Pause und sie streichelte noch zwei, drei Mal über seine Wange, bevor sie die Hand sinken liess und wieder auf seiner platzierte. Auch ihren Blick hatte sie abgewandt, damit sie ihren Kopf wieder an seine Schulter lehnen konnte. "Ich glaube, Ryatt hat in einer Hinsicht ein ähnliches Laster wie du... sicher in anderem Ausmass und anderer Form, aber er gibt sich ebenfalls die Schuld für verlorene Leben und verursachtes Leid und versucht, vergangene Sünden irgendwie wieder aufzuwiegen. Unter anderem indem er uns beide da rausholt. Das hat er mir mehr oder weniger so gesagt...", fuhr Aryana fort, ehe sie eine weitere kleine Pause folgen liess, in der sie sich den Mund mit einem kleinen Schluck Whiskey befeuchtete. "Er war der Auslöser für die Vollkatastrophe bei Victor und Faye vor fast zwei Jahren. Trotzdem hält meine liebe Schwester an ihm fest. Was mich doch glauben lassen will, dass er nicht ein grundsätzlich schlechter Mensch sein kann... Faye hat ihn gebeten, nach einem Ausweg für uns zu suchen, weit bevor ich mehr oder weniger das Gleiche getan habe... mit weniger schönen Worten. Ich glaube, dass Ryatt diese ganze Rettungsaktion nicht nur als Gefallen an uns sieht, sondern auch als eine Art Wiedergutmachung oder Dankeschön für Faye. Er mag sie. Und darum ja: vertraue ich ihm tatsächlich in dieser Sache. Er hat keinen Grund, uns zu hintergehen. Er würde daraus nichts gewinnen."
Jup, in so einem Fall müsste sich besagter Richter für eine Seite entscheiden und würde so oder so Konsequenzen erfahren. Vermutete ich zumindest. „Stimmt wohl.“, nickte ich diesbezüglich nur noch. Auch das war Zukunftsmusik und ausnahmsweise nicht eines unserer Probleme. Es durfte ruhig auch mal wer anders in Easterlins Visier rutschen, da hatte ich bestimmt nichts gegen einzuwenden. Ich spürte Aryanas warme Hand auf meiner. Das leichte Streicheln wirkte beruhigend, obwohl ich die Antwort auf meine Frage eigentlich nicht fürchtete. Vertrauen war für mich nur ein generell schwieriges Thema. Daran konnte sich, laut meinem einstigen Therapeuten, vermutlich auch nichts ändern, solange ich mir selbst über den Weg traute. Unbewusst schmiegte ich den Kopf etwas mehr an Aryanas Finger, als sie über meine Wange strich… und im Grunde bewies sie mir schon durch ihre ersten paar Worte zum hundertsten Mal, dass sie mir in dieser Sache ähnlicher war, als gesund war. Ihr Kreis war genauso klein wie meiner, doch kannte sie Ryatt schon etwas besser als ich. Wenn auch nur so halb freiwillig, weil ihr emotionaler Ausbruch in seinen vier Wänden nicht wirklich geplant war. Trotzdem hatte er sich mit ihr unterhalten und sie nicht ausgesperrt – sogar Sachen von sich preisgegeben. Das erzählte Aryana mir, als der Blickkontakt schon abgebrochen war und ich das Gewicht ihres Kopfes wieder an der Schulter spürte. Ich schluckte tonlos, als sie auf mein absolut offensichtliches Problem zu sprechen kam und mich in dieser Sache mit Ryatt verglich. Konnte schon sein, dass wir da was gemeinsam hatten. Dass ich nicht der einzige war, der nach Wiedergutmachung suchte. Damit war ich wieder an der Reihe, einen Schluck zur Ablenkung nehmen, um nicht gedanklich ins nächste Massengrab zu steigen. Was Fayes Menschenkenntnis anging, verließ ich mich doch weiterhin lieber auf Aryanas… ich mochte die jüngere Cooper auf ihre Art, aber sie war dennoch allzu bekannt für einen Funken Naivität zu viel und auch etwas zu viel Vergebung für meinen Geschmack. Ich vergab vielleicht noch eine zweite Chance nach einer großen Enttäuschung, aber sicher keine dritte, vierte und fünfte. Faye hatte sich auch verändert in den letzten Jahren, was ihr blindes Vertrauen in fremde Menschen anging und ich hatte schon das Gefühl, dass sie inzwischen ansatzweise gesünder abwägte. Trotzdem waren wir da noch meilenweit voneinander entfernt. Es war nur nicht so, als hätte ich tatsächlich noch eine andere Wahl, als Ryatt mindestens vorübergehend die Hand zu schütteln und ihm in dieser Sache zu vertrauen. Oder wenigstens darauf, dass Faye ihm zu wichtig war, um diese Mission auch noch gegen die Wand zu fahren. Außerdem war es auch nicht so, als hätte ich nicht schon seit Aryanas Besuch bei ihm darüber nachgedacht, ob er auch nur einen winzigen Vorteil daraus ziehen könnte, uns beide in Pfanne zu hauen. Nur gab es da nichts, das wirklich plausibel wäre. Ich ließ den Nacken langsam auf die Lehne sinken und machte die Augen zu, um nicht stattdessen schon wieder zu nippen. “Bis jetzt fällts mir echt noch nicht leichter, da über meinen Schatten zu springen.”, stellte ich allem voran murmelnd fest und zog dabei angespannt die Augenbrauen nach unten. Im Knast jede Nacht die Chance darauf zu haben, abgestochen zu werden, war da keine hilfreiche Erfahrung gewesen. Ich würde beschissen schlafen, in Kolumbien. “Aber wer weiß… vielleicht ist’s ausgerechnet Ryatt, der mir da für die Zukunft noch was mitgibt.”, hängte ich etwas sarkastisch an, sprach aber nicht lauter als vorher. Man sollte niemals nie sagen, aber zu einer vertrauensseligen Person würde ich eher nicht werden. Ich wäre schon mit weniger chronischem Misstrauen gut bedient. Einen tiefen Atemzug lang nahm ich mir ganz bewusst Zeit dafür, mir darüber klar zu werden, zu was für einer halsbrecherischen Mission wir schon mehr oder weniger zugestimmt hatten. “Also... willst du's versuchen?”, fragte ich und hob dabei langsam die Lider. Sah schräg zu Aryana runter, konnte ihr Gesicht so aber unmöglich sehen. “Klingt wie immer alles sehr nach Tod und Verderben, aber… das ist das hier ja auch... irgendwie.”, stellte ich für mich selber fest, dass es eigentlich keine Frage gab und warf daraufhin einen Blick zur anderen Seite. Auf meine tätowierten Finger, die den Whiskey fest im Griff hatten, als würde er nächstens weglaufen wollen. Wenn wir so weiter – also absolut gar nichts – machten, gingen wir in jedem Fall vor die Hunde. Ich würde nicht behaupten wollen, meine Motivation für Südamerika kratzte hier bereits an den 100%. Nicht im geringsten, aber es war ein Ansatz. Den ersten Schritt hatte Ryatt für uns beide gemacht, wir brauchten nur noch weiter vorwärts zu gehen. Mit welchen Reserven auch immer. Ich brauchte ein Ziel, um zu funktionieren. Wo ich hin wollte, zusammen mit Aryana, das wusste ich längst… zumindest eine grobe Richtung. Jetzt war unser neuer alter Komplize so freundlich gewesen uns den Weg für diese Zukunft direkt vor die Füße zu legen. Den Weg, den wir lange vergeblich gesucht und nie gefunden hatten. Den wahrscheinlich einzigen und letzten möglichen Weg.
Da konnten sie sich gerne die Hand geben. Natürlich hatte sie - beziehungsweise ihr Unterbewusstsein - schon früher entschieden, Ryatt ihre Flucht anzuvertrauen, weil sie das Unterfangen ohne Hilfe offensichtlich nicht zu Ende bringen konnten. Trotzdem wäre es eine brandschwarze Lüge, wenn sie behaupten würde, nicht lieber selbst auf die Lösung gekommen zu sein. Selbst einen Plan geschmiedet und diesen ohne Unterstützung durchgeführt zu haben. Sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die strategisch denken konnte und sich demzufolge einen Plan aus den Fingern saugen konnte. Im Moment gab es sogar unendlich viele Menschen, die das besser konnten als sie - Ryatt ohne jeden Zweifel eingeschlossen. Aber dieser Plan bedeutete eben auch, dass sie und Mitch ihre Leben mehr oder weniger in Ryatts Hände legen und darauf vertrauen mussten, dass er wusste, was er tat und dass alles, was er zusammengedichtet hatte, den unkalkulierbaren oder unbeeinflussbaren Faktoren standhalten würde. "Das kann ich tatsächlich sogar verstehen. Die delikate Ausgangslage hilft halt auch nicht", erwiderte sie ein kleines bisschen sarkastisch angehaucht, weil delikat schon ein sehr nettes Wort für ihre aktuelle Situation war. "Und ja... vielleicht ist es Ryatt. Es müsste halt fast er sein, weil ich tatsächlich nicht vorhabe, mich mit meinen Nervenzusammenbrüchen noch in andere Wohnungen zu verirren. Und weil wahrscheinlich auch niemand sonst sich dadurch besonders zum Helfen animiert fühlen würde", ging es ebenso sarkastisch weiter, bevor sie ein leises Seufzen von sich gab. Es war halt nicht einfach, eine in diesem Umfeld gefangene Person mit Suizidgedanken zu sein. Es war übrigens auch nicht einfach, als Person mit Suizidgedanken solche Entscheidungen zu treffen. Trotzdem hatte sie eher keine Wahl, wenn sie nicht hier sitzen bleiben und sich selbst in den Tod bemitleiden wollte. Aryana blieb noch ein paar Sekunden an Mitch's Schulter kleben, nachdem er ihr die direkte Frage gestellt hatte. Schliesslich löste sie sich aber, nach eigentlich zu kurzer Zeit, wieder davon, richtete sich etwas auf und nahm nochmal einen grossen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Dann stellte sie das Glas in ihrer Hand für einen Moment auf dem Couchtisch ab und wandte sich vollends ihrem Freund zu, blickte offen in seine Augen, um noch bevor sie ihre Antwort gegeben hatte, nach seiner zu suchen. "Ganz genau... Wie ich schon gesagt habe: ich weiss nicht, ob wir überhaupt eine andere Wahl haben. Ryatt meinte, ein Plan B sei unrealistisch. Von uns wird leider wohl auch keiner kommen. Warten können wir nicht, das ist kein Leben mehr und selbst wenn wir nicht freiwillig aufgeben, werden wir früher oder später auf einem der Einsätze draufgehen... seis wegen einem tatsächlichen Versagen unsererseits oder wegen einem angeordneten Versehen seitens Easterlins Marionetten... Ich bin müde, Mitch... So müde. Und das wird auch nicht besser, wenn wir warten... Darum ja... Ich würde es versuchen. Wenn wir einen möglichst sicheren Weg zur Vermeidung einer Reaktivierung deiner Haftstrafe finden, wenn wir vorher noch in L.A. vorbeigehen und wenn du ebenfalls glaubst, dass es das wert ist.", beantwortete sie seine Frage mitsamt den drei Bedingungen, die sie kumulativ erfüllt oder zumindest zugesichert haben musste, bevor sie definitiv für Südamerika einwilligte. Die Brünette schaute ihn noch immer an, ihr Blick weitaus weicher als ihre Worte. Auch nicht genauso überzeugt. Sie mussten eben nicht nur Ryatt, sondern vor allem auch sich selbst vertrauen, wenn sie sich sowas zutrauen wollten. "Glaubst du, dass wir das schaffen können..? Trotz... allem?", stellte sie die Frage, die ihre Augen schon vorher formuliert hatten. Grundsätzlich mussten sie es glauben. Aber tat er es bereits? Trotz ihrer katastrophalen Verfassung?