Victor musste wirklich aufpassen, dass er sie hier nicht auf dumme Ideen brachte. Sie konnte praktisch schon hören, wie die Räder in Mitchs Kopf zu drehen begannen und tatsächlich war die neu ins Spiel gebrachte Option aus diversen Gründen gar nicht mal so unattraktiv. Reiche Leute ausrauben, damit sie sich endlich ihren entspannten Lebensstil gönnen könnten, klang auf mehreren Ebenen verlockend. "Schau nicht so zweifelnd, Victor - wir würden uns selbstverständlich auf die ganz Reichen konzentrieren. Nicht die, die ihr Geld ehrlich und mit viel Arbeit verdient haben. Du kennst uns. Erstens haben wir einen durchaus ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und einen lobenswerten moralischen Kompass und zweitens...", Aryana seufzte und lächelte fast verträumt vor sich hin. "Zweitens wäre alles andere viel zu einfach und du weisst, wie sehr wir den Nervenkitzel lieben.", argumentierte sie für absolute Entwarnung, während sie gleichzeitig direkt wieder umkehrte, was Mitch zuvor gesagt hatte. Wegen dem sauberen Neustart ohne Raubüberfälle... An mangelnden Skills würde das Vorhaben jedenfalls nicht scheitern, Easterlin sei Dank waren sie bestens ausgebildet. Fenster aufgebrochen hatten sie auch schon - sie erinnerte sich vage an eine Lagerhalle in einer dunkle Nacht, die sie theoretisch lieber aus ihrem Gedächtnis streichen würde - und viel schwieriger wurde es nicht mehr. Paar Videos auf YouTube und sie wären bereit für die Praxis. Und dabei war es ganz egal, ob die Praxis das Bestehlen von Reichen oder das Gassigehen mit zwanzig Hunden umfasste. Oder eben nur mit einem, ihrem, dessen Geschlecht wie erwartet auch für Mitch absolut sekundär war. Hatte beides seine Vor- und Nachteile, die auf keiner Seite so heftig überwogen, dass sie allein deswegen ein Tier ausschliessen würden. Aryana hatte nicht unbedingt erwartet, dass Mitch, wenn sie schon mehr oder weniger dabei waren, das Kinderthema gegenüber Faye so indirekt direkt ansprechen würde. Sie sah darin doch eine gewisse Gefahr, das Gespräch erneut in eine sehr fragile Richtung zu lenken. Vielleicht war das unbegründet, vielleicht lag es auch an einem seitens ihrer Schwester doch sehr emotionalen Gespräch, das sie letztes Jahr in Denver geführt hatten und das sich ausführlich um diesen Kinderwunsch gedreht hatte. Ihr Blick ging bei der Frage also automatisch ebenfalls zu Faye, wenn auch nur kurz, weil sie sich lieber wieder aufs Essen konzentrierte, um der Stille gar nicht erst eine Bedeutung zu geben. Faye dachte offensichtlich nach, brauchte einen Moment und zuckte dann eher zögerlich mit den Schultern. "Naja, ich... weiss nicht. Planung ist hier irgendwie genauso überflüssig, nicht?", fragte sie zurück, blickte kurz zu Victor, als würde sie sich versichern wollen, das einigermassen Richtige zu sagen, bevor ihre Augen wieder Mitch fanden und ihre Lippen ein kleines Lächeln formten. Planung und Wünsche waren natürlich nicht das Gleiche, aber auch wenn ihre Augen ihm indirekt ein kleines bisschen recht geben wollten, fände sie es wohl unangebracht, sich jetzt schon allzu sehr für ein Geschlecht auszusprechen. Aber das war nicht alles, was sie sagen wollte, auch wenn das, was ihr sonst noch auf der Zunge brannte, erneut ein paar Sekunden Zeit und einen abschweifenden Blick zum Meer forderte. "Siehst du mich als Mama? Von einem eigenen Kind, mein ich. Nicht nur... generell aufgrund von gewissen Persönlichkeitsmerkmalen.", die Frage kam leise aber nicht undeutlich und sicherlich auch nicht ohne deutliche Neugier, während Faye noch immer aufs Wasser hinausschaute und die seichten Wellen betrachtete.
An unserem – zuweilen vielleicht etwas extremen – Sinn für Gerechtigkeit ließ sich nur schwer rütteln, aber was den Rest unseres moralischen Kompass anging… der war ungefähr so strikt, wie er auch variabel war. Kam nicht selten vor, dass die Nadel wild umher schwang und wir dann am Ende mit Alkohol auf dem Sofa oder mit zu vielen Zigaretten auf dem Balkon landeten. Es war nicht so, als hätten wir es jemals für aufrichtig gut befunden, so viele Menschen das Leben zu kosten. Man konnte aber definitiv sagen, dass wir es uns lange genug schön geredet und als okay abgestempelt hatten, um noch eine ganze Weile trotzdem damit weiterzumachen. Geld damit zu verdienen. Mir meine eigentlich unverdiente Freiheit damit zu erkaufen. Moral war etwas sehr fragiles für die meisten Menschen. Immer situationsabhängig. “Wir sollten wirklich nicht länger darüber reden… bloß keine verbotenen Gedanken manifestieren und so.”, grinste ich, weil Victor – berechtigterweise – immer noch ein bisschen so aussah, als würden wir ihn in ein paar Monaten seine hart verdiente Zukunft kosten. Allerdings provozierte ich ihn trotzdem noch etwas weiter, indem ich mich zu Aryanas Ohr lehnte und die Worte “...oder wir reden einfach später weiter darüber.” hinein flüsterte. Leise genug, dass sie sonst keiner verstehen konnte. Allerdings rückte die Sache sowieso in den Hintergrund, weil Faye meine Frage nach dem eventuell erwünschten Geschlecht eines genauso eventuellen Kindes nicht so gezielt beantworten konnte, wie ich mir das für sie wünschen würde. Vielleicht wollte sie es auch einfach nicht sagen. Natürlich konnte man sich nicht aussuchen, ob man letztendlich ein Mädchen oder einen Jungen in die Wiege legte, aber das war eigentlich nicht meine Frage gewesen. Ich nahm ihre Antwort einfach mit leicht schief gelegtem Kopf hin und musterte die jüngere Cooper einen Moment. Dass sie noch etwas zu sagen hatte, war gut ersichtlich – mit der Frage, die sie mir dann zuspielte, verursachte sie trotzdem ein verdutztes Blinzeln. “Ist das… nicht zwangsläufig ausschlaggebend? Ich meine, ich hatte nie Eltern, aber… ich denke, der Charakter und die Art, wie man sich in gewissen Situationen verhält, sind relativ entscheidend dafür, ob man ein Kind haben sollte oder nicht.” Nun war ich damit an der Reihe, etwas zu grübeln. Es fiel mir schwer, davon abgesehen eine sachlich fundierte Meinung zu bilden. Ich war Waise. Alles, was ich über gute Eltern wusste, war, dass ich eigentlich gar nichts darüber wusste… was ironisch war, weil ich mir Faye und Victor trotzdem gut als Eltern vorstellen konnte. Woher auch immer ich das wissen wollte. Worauf auch immer basierend ich mir dieses Urteil so einfach bildete, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Es zogen einige Sekunden erneute Stille ins Land, bevor ich mit einem beinahe stummen Seufzen ratlos die breiten Schultern zuckte und mein sich unvollständig anfühlendes Resümee startete: “Ich hab keine Ahnung von der ganzen Thematik. Ich weiß nur, dass ich definitiv bei Hunden bleiben sollte… und mir im Gegensatz dazu niemals Sorgen darum machen würde, ob es… eurem Kind an irgendwas fehlt, wenn eins da wäre. Ihr hattet beide eine schöne Kindheit. Wisst, was ein Kind braucht, um glücklich zu sein. Seid beide Teil davon… und eine gute Kombination, glaube ich.” Ich zuckte ein zweites Mal mit den Schultern, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, mich hier wenig zielführend um Kopf und Kragen zu reden. So als wäre meine Meinung jetzt plötzlich ausschlaggebend dafür, ob sie ein Kind wollte oder nicht. Wie war ich von meinem eigenen, eher unproblematischen Hundekind so schnell an diesen Punkt abgerutscht? Ich blickte zum Strand, weil das eher ein Ort für ein noch sehr junges Kind war als das Boot, in dem wir gerade saßen. Versuchte dadurch, eine bildliche Sicht auf die Zukunft in meinem Kopf zu kreieren. “Ich weiß wirklich nicht, ob irgendwas davon deine Frage beantwortet… aber wenn ich mir jetzt vorstellen müsste, wie du mit einem Kind da hinten am Strand unter einem großen Sonnenschirm sitzt, sieht das für mich richtig aus.” Ich hätte fast noch ein drittes Mal mit den Schultern gezuckt, stattdessen sah ich mit bemüht neutralem Gesichtsausdruck zurück zu Faye.
Sie hatte eigentlich wirklich nicht beabsichtigt, Mitch mit ihrer Frage in Bedrängnis oder Erklärungsnot zu bringen. Die Chance, dass seine Einschätzung das ausschlaggebende Argument lieferte, um ihre Pro und Kontra Liste mit Gründen für oder gegen ein eigenes Kind in eine der beiden Richtungen zu kippen, war doch relativ gering. Nichts im Vergleich zu all den anderen Risiken, die er im Laufe seines Lebens schon eingegangen war. Aber vielleicht hatte sie bei ihrer Fragestellung vergessen, dass sie über solche Fragen besser mit anderen Menschen philosophierte als mit Mitch. Bloss weil er sie vorhin mit einem unerwartet gefühlsvollen Monolog mit den genau richtigen Worten abgeholt hatte, war er nicht plötzlich ein anderer Mensch. Was auch gut so war, weil sie in ihrem Vierergespann im Normalfall nicht noch mehr überemotionale Seelen brauchten. War eigentlich eher ihre Rolle und sie war ziemlich gut darin - nicht selten etwas zu gut, selbst für ihren eigenen Geschmack. "Natürlich... Das war auch keine Fangfrage, wir... wir sind zwar noch nicht ganz sicher, was die Familienplanung angeht, aber ich werde das noch mit der richtigen Person besprechen - kann dich also beruhigen, dein Urteil ist nicht ganz matchentscheidend.", konnte Faye mit einem kleinen Lächeln Entwarnung geben, da sie sicher nicht gewollt hatte, dass es nun Mitch war, der sich nicht mehr entspannt fühlte. Ihre Augen fingen für eine oder zwei Sekunden den Blick ihres Freundes, auf dessen Bein auch ihre Hand wieder ihren Platz eingenommen hatte. Als Mitch weitersprach, wanderte ihr Blick ebenfalls zum erwähnten Strand und sie malte sich aus, wovon er sprach. Einen Sonnenschirm. Eine grosse Decke. Ein paar farbige Spielzeuge, eine kleine Schaufel, zwei Eimer. Eine mässig gut als solche erkennbare Sandburg. Ein kleines Kind mit Sonnenhut, das sonst nichts als eine leuchtend gelbe Badehose trug, die bestens zu dem rundum vergnügt lachenden Gesicht passte. Victor, sie selbst. Sie wusste, dass es schön sein könnte. Sie wusste, dass sie es wollte. Sie wusste auch, dass sie beide alles tun würden für das Kind, alles, damit es immer so lachte, wie sie sich das genau jetzt ausmalte. Ihre Finger hielten sich unbewusst etwas fester an Victors Bein fest und sie konnte sich gerade noch zurückhalten, bevor das innerliche, tiefe Seufzen tatsächlich über ihre Lippen gekommen wäre. "Ist schon eine schöne Vorstellung.", war stattdessen alles, was sie dazu sagte, blickte nun auch wieder zu Victor, um ihn mit ihrer zweiten Hand in seinem Nacken für einen kurzen, zärtlichen Kuss zu sich zu ziehen. Heute beschloss sie, all den Abers, die mit dieser Vorstellung verbunden waren, keine Beachtung zu schenken. Es war sowieso nicht der richtige Moment zum Grübeln und es war auch einfach mal schön, nur an die schöne, optimistische Version ihrer Zukunft zu denken. Einen Abend am Strand zu dritt. Vielleicht irgendwann. Sie wandte sich nach einem weiteren flüchtigen Kuss an Victors Schulter, wieder dem Essen zu, beziehungsweise zuerst dem Trinken. Nach ein paar Schlucken Wasser schaute sie wieder zur gegenüberliegenden Bank, zu Mitch und Aryana. "Wenn euer irgendwann-Hund ein ganz guter Junge oder ein ganz gutes Mädchen ist, können er und unser irgendwann-vielleicht-Kind von mir aus beste Freunde werden.", tat sie kund, schob sich dann ein paar Tomaten zwischen die Zähne, bevor sie sich ein Stück des ebenfalls mitgebrachten Brotes abriss und dieses ebenfalls mit Hummus verfeinerte. "Und ihr werdet natürlich nicht nur weltbester Onkel und weltbeste Tante, sondern auch weltbeste Pateneltern. Ich glaube, damit wäre das Kind wirklich rundum perfekt versorgt.", ihr Grinsen wurde wieder breiter als sie überzeugt nickte, eindeutig amüsiert von der Vorstellung. Wie viel Gefallen Mitch und Aryana dann an dieser Rolle finden würden, würde sich zu gegebener Zeit und in gegebenem Fall wohl zeigen - sie war sich aber sicher, dass das Kind seine coolen Patenonkel und -Tante definitiv lieben würde.
Das Kinderthema ließ die eher ungezwungenen Gedanken bezüglich hypothetischer Raubzüge in den Reichenvierteln von Los Angeles ziemlich schnell verpuffen. Obwohl Mitch das Thema selbst angeschnitten hatte, fühlte er sich damit offensichtlich eher unwohl, sobald ihm der Ball mit einer für ihn schwer zu beantwortenden Frage zurückgespielt wurde. Wie Faye schon sagte, war das aber gar nicht weiter schlimm. Er war dafür wohl einfach die falsche Adresse und ich schenkte Faye ein kleines Lächeln, als sie zu mir rübersah. Streckte gleichzeitig meine Finger wieder nach ihren aus, als ich ihre Hand auf dem Oberschenkel spürte und streichelte wenig später über ihren Handrücken, weil sie sich etwas verspannte. Der Grund dafür lag recht offensichtlich in Mitchs Worten und auch mir wurde das Herz unweigerlich ein bisschen schwer. Meine Augen folgten Fayes Blick zum Strand und es war ein bisschen zu schön. Es war nicht so, als hätten wir uns bis dato schon gegen ein Kind entschieden, aber ein bisschen fürchtete ich mich trotzdem immer davor. Vor dem Moment, in dem Faye in dieser Sache doch ihr endgültiges Veto einlegte, aus berechtigten Gründen. Ich würde ihr nie Vorwürfe dafür machen, aber es wäre dennoch ein lang ersehnter Wunsch von mir, dem ich beim Zerschellen zusehen müsste. Deswegen war ich dankbar für die Wärme des Kusses, als die zierliche Brünette mich zu sich zog. Ich erwiderte ihn zärtlich und ließ mich dabei an all die Liebe erinnern, von der ich allein durch Faye jeden Tag aufs Neue überschüttet wurde. Sie würde immer genug davon für mich übrig haben. Hoffentlich genug, um auch die Liebe eines Kindes zu ersetzen. “Ist es…”, murmelte ich zustimmend vor mich hin, wahrscheinlich etwas undeutlich, auch nicht besonders laut. Ich beobachtete Faye schwach lächelnd dabei, wie sie mit dem Kuss an der Schulter ein leichtes, angenehmes Kribbeln auslöste und mein Blick hing noch immer an ihr fest, als sie sich wieder dem Picknick zuwandte, was mir gerade etwas schwerer fiel. Was den Hund und dessen direkten Kontakt zum Kind anging, hatte ich wie immer meine sicherheitsbedingten Einwände aus Übervorsicht: “Wenn es alt genug ist, ja… wird sicher kein kleiner Hund und dann wird’s zwangsläufig irgendwann umgerannt.” Ich sah mit fragend hochgezogenen Augenbrauen zu Mitch und Aryana. Kinder waren ab gewissem Alter nicht mehr aus Zucker, aber vorher würde ich da nichts riskieren. Meine eigenen Gehirnerschütterungen reichten für die ganze Familie. “Also mit der Größe… muss ich dir wahrscheinlich zustimmen.”, sagte Mitch, klang wieder ein wenig ungezwungener und zuckte mit den Schultern. Ich sah ihn jedenfalls nicht mit einem Cocker Spaniel um die Ecke biegen und er sich offensichtlich auch nicht. Ich wollte dem noch gar nicht anwesenden Hund auch gar kein schlechtes Benehmen unterstellen. Sowas passierte einfach schnell, wenn im Garten gespielt wurde - noch so eine etwas zu schöne Vorstellung. “Euch ist aber hoffentlich klar, dass ich keine Kirche auf diesem Planeten jemals wieder betrete, oder? Ich bin der Inbegriff eines Atheisten.” Er legte den Kopf schief. Klar, das Amt des Paten hatte auch religiöse Einflüsse und bei einer Taufe sah der Tätowierte sich offensichtlich nicht so auftauchen. “Ihr wollt also hoffentlich nicht in einer Kirche heiraten… oder?” Ich fing ein bisschen an zu grinsen. “Gegen das Amt als weltbester Onkel hast du also offenbar schonmal nichts einzuwenden, gut zu wissen.”
War offensichtlich ein bisschen ein schwieriges Thema und eigentlich hatten sie das wohl alle geahnt. Denn auch Victors Reaktion zeigte deutlich, dass die mit der Kinderfrage verbundenen Emotionen tief reichten. Das wusste Faye längst, aber sein Blick war trotzdem eine erneute Erinnerung daran, dass sie endlich eine vertretbare, gültige Antwort für sich selbst formulieren sollte und sich dann mit ihm zusammensetzen sollte. Oder auch umgekehrt - auf jeden Fall sollten sie reden. Nicht jetzt, aber bald. Vorzugsweise sobald sie das ganze Drama, welches ihnen heute Abend angekündigt wurde, überstanden hatten. Immerhin schafften sie es relativ erfolgreich, dem Thema etwas seiner Ernsthaftigkeit zu nehmen, indem sie sich lieber auf die Kind-und-Hund-Sache konzentrierten. Victor hatte einen klassischen Einwand, der Faye doch gleich ein bisschen grinsen liess. Natürlich fiel ihm das auf. Natürlich musste er genau jetzt schon so unterschwellig und vermutlich auch unbewusst seine Dad-Qualitäten präsentieren. Fayes Hand drückte abermals Victors Oberschenkel und sie warf ihm ein amüsiertes Lächeln zu, bevor sie sich streckte und einen weiteren Kuss auf seine Wange pflanzte. Nicht, weil sie sich über ihn lustig machen wollte, sondern einfach, weil sie ihn ein bisschen süss fand. Wie er ihr so beiläufig zeigte, dass ihre Ängste grundsätzlich unbegründet waren, weil er schon dafür sorgen würde, dass dem Kind nichts zustiess. Nichtmal zufällig und unbeabsichtigt durch Spielereien mit einem zu grossen Hund, dessen Grösse Mitch zugleich bestätigte. Kein übergrosses Meerschweinchen also, kam tatsächlich nicht überraschend. Von Kind und Hund ging das Gerede plötzlich über zu ihrer Hochzeit und auch hier war Fayes erste Reaktion ein schwaches Grinsen, besonders auch, als sie Victors Kommentar vernahm. Die Onkel- und Tantenfrage für Kind und Hund schien tatsächlich weniger kontrovers als der Ort ihrer Hochzeit. "Kann wohl Entwarnung bieten... egal was es letztendlich wird, eine Kirche dürfe von der Planung nicht betroffen sein", gab sie bekannt. Die Hochzeitsplanung existierte bis Anhin überwiegend in ihren Träumen und auf irgendwelchen Pinterest-Boards. Dass die Location aber nicht eine Kirche sein würde, darin waren sie sich längst einig. Lieber irgendwas draussen, an irgendeinem schönen Ort, den sie definieren würden, wenn sie erstmal den Kopf für alles davon hatten. Ähnlicher zeitlicher Rahmen wie die Familienplanung. "Und ihr so? Herrscht noch immer allgemeine Ablehnung gegenüber der Heiratsfrage oder könnte es vielleicht irgendwann doch mal noch eine Option werden?", fragte Faye ziemlich unverblümt. In einer anderen Situation wäre das vielleicht eine heikle Frage gewesen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass Aryana und Mitch sich hier weiterhin das Lager teilten und somit keine zu starken negativen Spannungen mit der Frage zusammenhingen. Die Vermutung bewahrheitete sich, als Aryana schwach den Kopf schüttelte, ihr Gesicht aber weiterhin von einem entspannten Lächeln gezeichnet. "Vielleicht überlassen wir das einfach lieber euch und wenn euer Testlauf uns irgendwann ausreichend überzeugt, können wir nochmal drüber reden.", erwiderte sie, unterstrich die leise Provokation in ihren Worten mit dem Funkeln in ihren Augen und dem Grinsen auf ihren Lippen. Natürlich sah sie eine Ehe eher nicht als Testlauf, schon gar nicht, wenn es ihre Schwester und Victor betraf. Aber sie hatte keine Eile in dieser Frage, von ihr aus konnten sie in zwanzig oder vierzig Jahren noch heiraten, wenn sie es dann plötzlich aus irgendwelchen Gründen für sinnvoll hielten. Vielleicht auch in zwei Jahren, wenn ihre Köpfe mal ein bisschen Luft geschnappt hatten und sie sich in einem neuen Leben mit neuen Prioritäten wiederfanden, wer weiss. Aber aktuell hatten sie weder den Kopf noch die Nerven, um auch noch übers Heiraten nachzudenken, das stand fest.
ZS bis zum… ich sag mal 20-22. Juli, weil ich gemein sein möchte – ist Victors Geburtstag :) XD
Und ich möchte an dieser Stelle erwähnen, wie sehr ich Zeitverschiebungen ausrechnen hasse, ich bin da immer SO verwirrt, obwohl es eigentlich total simpel ist und jgöeuihofidwd. >.< Jedenfalls dachte ich, ich gönn' den beiden erst noch einen kurzen Moment zusammen, bevor sie sich ins Verderben stürzen müssen. ___________________________________
Der Abschied im Süden tat weh. Das Wochenende in Kalifornien war schön – bis auf den kurzen Zwischenfall auf dem kleinen Boot – und ich wollte nicht, dass es vielleicht das letzte für Aryana und mich war. Deshalb sträubte ich mich für dieses eine Mal auch nicht gegen die überdurchschnittlich langen Umarmungen, die beim Abschied bei Faye und Victor Zuhause auf mich zukamen. Wir waren uns damit einig gewesen, ein Taxi zum Flughafen zu nehmen, damit die Öffentlichkeit von diesem schmerzlichen Moment verschont blieb. Victor musste sowieso bald im Anschluss zur Arbeit und Faye sollte nicht mit Tränen in den Augen nach Hause fahren. Es war das Beste so und trotzdem fühlte ich mich, als hätte ich nicht genug zu Faye und Victor gesagt, als wir in das Taxi einstiegen. Egal wie sicher Aryana und ich uns damit waren, dass diese Mission für uns machbar war und dass wir es auch schaffen würden, brauchten wir das Schicksal trotzdem ein bisschen auf unserer Seite. Keiner von uns hatte gewollt, dass es wie ein endgültiger Abschied klang. Trotzdem schwebte genau diese unheilvolle, tonnenschwere Wolke erneut über meinem Kopf, als ich am 20. Juli um 23 Uhr neben Aryana mit den anderen Soldaten im Bauch des Flugzeugs Platz nahm. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon seit einer Woche auf Rufbereitschaft, weil die Polizei in Paraguay einen neuen Informanten hatte und die Lage dadurch schnell sehr ernst und dringlich wurde. Unsere bereits ausgesendeten Kameraden unterstützten die örtlichen Kräfte zum Teil bereits und es machte nicht unbedingt Mut, zu hören, dass zwei davon bereits erschossen wurden. Einfach so, weil sie nur kurz unvorsichtig gewesen und aufgeflogen sind. Im Zuge dessen ermahnte Ryatt Aryana und mich bei unserem letzten Treffen – der letzten, wie vorhergesagt abschließenden Besprechung, bei der wir von Neuem alles bis ins Detail aufrollten und durchleuchteten – zwei Tage vor Abflug nochmal eindringlich, unter keinen Umständen unnötige Risiken einzugehen und uns insgesamt so bedeckt wie nur irgendwie möglich zu halten. Im Gefecht und auch danach. Ich hielt beinahe den gesamten Flug über Aryanas Hand, obwohl wir beide immer wieder für eine Weile zu schlafen versuchten, mit Unterbrechung der Zwischenlandung im südlichen Mexiko fürs Auftanken. Wenn ich zwischendurch aufwachte, hielten wir uns trotzdem meistens noch aneinander fest. Es waren unsere letzten Stunden vollkommen sicheren Schlafs, bis wir den Army-Stützpunkt erreicht hatten, in dem Ryatts ehemalige Kollegen uns Schutz gewähren sollten. Auf uns warteten ein paar sehr lange Wochen, wenn wir es in der morgigen Nacht einigermaßen heil vom Übergabeort wegschafften. Wir waren gut vorbereitet. So gut, wie es in unserem Geisteszustand möglich war. Auch nach unserer Kurzreise nach Los Angeles hatte ich Aryana noch ein paar Mal mit ins Studio genommen und versucht, ihr den Tunnelblick einzuhämmern, den ich bis heute mit mir herum schleppte. Cassidy und Gemma hatten sich sogar beide mal dazu überreden lassen, uns mit dem Sparring auszuhelfen. Ich hatte schon das Gefühl, dass Aryana mental in dieser Zeit ein paar Fortschritte machte, aber letzten Endes konnte sie das nur selbst beurteilen. Sie hatte um meine Hilfe gebeten und das war, neben ein paar anderen Kleinigkeiten, alles, was ich ihr hatte anbieten können. Also hoffte ich stumm darauf, dass es genug sein würde, dass ich genug für sie getan hatte, als der Pilot um kurz nach Mitternacht am 22. Juli die anstehende Landung ankündigte. Das war der letzte Moment, den wir für unseren Kuss haben würden. Wenn wir erstmal voll ausgerüstet waren, dann würde es dank der Nachtsichtgeräte und Helme schwierig für unser Kuss-Ritual werden. Schon bei jedem vorherigen Einsatz hätte es unser letzter sein können, doch diesmal fühlte sich diese Gefahr wieder realer an – vor allem war sie uns jetzt, mit der Aussicht auf Freiheit, nicht mehr so egal wie vorher. Ich drehte meinen Kopf zu Aryana, als ich spürte, dass sie mich schon ansah. Einen Moment lang blickte ich in die dunklen Augen, die mir schon unendlich oft den Weg neu aufgezeigt, die Funken in meinem Herzen neu entfacht hatten. Dann zuckten meine Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln nach oben und ich streckte meine freie Hand nach ihrer Wange aus, während ich mit der anderen noch ihre Finger festhielt. Ich lehnte meine Stirn an ihre und schloss die Augen, machte einen tiefen Atemzug. “Dieses eine Mal noch… wie wir’s gesagt haben.”, murmelte ich an ihre Lippen und streichelte ihre Wange. Die Motorengeräusche des Flugzeugs waren nicht ohrenbetäubend, man konnte sich ganz gut unterhalten, aber ein gewisser Grundlärmpegel war vorhanden. Die anderen würde uns nicht verstehen, solange wir leise sprachen und es war ohnehin normal, dass wir uns vor einem Einsatz nochmal einander zuwandten. Es war also nichts, was unser Team für heute nicht schon mehrfach gesehen hätte. Dass wir beschlossen hatten, unseren Kampf gegen Easterlin zu unserem letzten in diesem schwerwiegenden Ausmaß zu machen, war schon eine ganze Weile her. Hatte viel länger gedauert, als wir gedacht hatten, weil wir uns damit überschätzt hatten. Jetzt war es aber endlich soweit und das Adrenalin schlich sich schon unterschwellig in meine Blutbahn. Doch nicht wegen der Angst vor meinem möglichen Tod. “Kali ist unsere Zeugin: Wir beerdigen heute Maria, damit Bonnie endlich durchstarten kann.”, lächelte ich an ihre Lippen, bevor ich Aryana küsste. Vielleicht ein bisschen stürmischer, als wir es sonst vor den Einsätzen taten, weil ich aufgeregt war. Ich war nach wie vor bekennender Atheist, das hatte sich in den letzten paar Wochen nicht geändert, aber ich hatte diese frech die Zunge herausstreckende Göttin nicht umsonst auf meinem Oberkörper tätowiert. Heute war es endlich soweit. Wir würden alles hinter uns lassen, alles zerstören, was uns in dieser ewigen Schleife aus Terror und Leid gefangen hielt, um neu anzufangen. Wenn das schiefging, dann hatten wir es wenigstens mit allem versucht, was wir hatten.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
awww poor Vicky... we love shitty birthdays haha x'D
well, haben Sie gut gemacht, denk ich... ich hab nicht nachgerechnet aber bin einverstanden mit deinem Vorschlag haha.^^ ________________________
Es war merkwürdig, wie weit entfernt sich alles anfühlte, während sie auf ihren Plätzen in diesem Flugzeug sassen. Aryana konnte praktisch spüren, wie die physische Distanz mit jeder Minute wuchs, aber das war nicht alles. Das passierte jedes Mal, wenn sie auf einen Einsatz flogen. Aber diesmal war es anders. Sie hatten mit Seattle abgeschlossen, in dem Moment, in dem sie einen Fuss in diese Maschine gesetzt hatten und es war pure Befreiung, zu wissen, dass sie nie wieder in dieses Leben zurückkehren würden. Aryana hatte nicht mehr vor, zu sterben, ihr einziges, klares Ziel war der Erfolg, gemeinsam mit Mitch. Aber selbst wenn ihnen dieser Erfolg verwehrt blieb: Seattle, wie sie es die letzten zwei Jahre über gekannt hatten, gab es nie wieder für sie. All der Schmerz, die Verzweiflung, die Stunden zwischen Alkohol und Melancholie, Depression und Selbsthass - sie waren Vergangenheit und das allein fühlte sich so unglaublich gut und befreiend an, dass Aryana während des Fluges zum ersten Mal wieder das Gefühl hatte, richtig frei atmen und denken zu können. Ihr Fokus lag nicht auf dem, was vor ihnen stand, sondern auf diesem Moment der puren Erlösung. Sie hatte erwartet, dass sie sich gestresst fühlen würde, dass der Druck auf ihren Schultern zu schwer sein könnte. Dass sie den Tunnelblick, den sie über die letzten Wochen so intensiv trainiert hatte, nicht fand oder sie sich sogar mit einer Panikattacke konfrontiert sah. Nichts davon trat ein und auch die kaum tragbaren Risiken, die sie die kommenden Wochen über erwarteten, wirkten in diesem Moment unglaublich weit entfernt. Es war die richtige Entscheidung und der richtige Moment, dessen war sie sich sicher. Sie würden nie besser in Form sein, sich nie besser vorbereitet fühlen und es wurde Zeit, dass sie taten, was sie am besten konnten: Kämpfen. Aber nicht einfach nur kämpfen und sich durch fremde Schlachten boxen, um für fremde Leute Siege zu sammeln. Nein. Was sie am besten konnten, war kämpfen für sich selbst und das, was sie für richtig hielten. Kämpfen für ihre Überzeugungen und Werte, ihre Freiheit und die Menschen, die sie am allermeisten liebten. Die Menschen, die sie nicht enttäuschen wollten, nicht enttäuschen konnten. Und das waren Mitch und Aryana und Victor und Faye. Aryana wachte etwa eine halbe Stunde vor der Ansage des Piloten auf. Spürte das unterschwellige Kribbeln des Adrenalins, das sich langsam in ihrem Körper verteilte, ihren Fokus schärfte und ihr deutlich machte, dass es bald soweit war. Ihre Finger strichen über Mitchs Handrücken und sie lächelte ihn an, als er sich schliesslich zu ihr umdrehte. Alles an ihr und dem Ausdruck ihrer Augen verriet, dass sie sich bereit fühlte. Dass sie hier war, um mit ihm gemeinsam zu kämpfen und zu siegen. Aryana schloss die Augen, als er näher kam, seine Stirn schliesslich gegen ihre lehnte. Das Lächeln auf ihrem Mund zuckte etwas, als sie seine Worte hörte. Genau wie sie's gesagt hatten, ja. Sie hatten nicht gedacht, dass es zwei Jahre dauern würde, aber vermutlich war es besser, dass sie das damals nicht gewusst hatten - sie hätten wohl schon viel früher aufgegeben. Jetzt war es soweit. Sie waren soweit. Die Brünette erwiderte den Kuss mit nicht weniger Leidenschaft und einer Prise Übermut. Löste sich dann ein kleines bisschen von seinen Lippen - gerade genug, um etwas auf seine Worte zu erwidern. "Bonnie, hm? Gefällt mir. Ich glaube, ich bin sehr bereit, eine Bonnie zu werden und die Maria hinter mir zu lassen. Passt möglicherweise sogar ein bisschen besser zu meiner Persönlichkeit", sagte sie mit einem schwachen Grinsen. Es folgte ein weiterer Kuss, diesmal etwas zärtlicher, bis sie für einen kurzen Moment seine Unterlippe zwischen ihre Zähne klemmte und die Augen öffnete. Als er sie anschaute, liess sie seine Lippe wieder los. "Aber nur, wenn mein Clyde mich begleitet. Und zwar bis hinten raus", stellte sie ihre Bedingung, während das Flugzeug langsam in Richtung Boden glitt und sie gleich in Paraguay ausspucken würde.
imma say it right away – falls ich dir irgendwas genauer oder irgendwie bildlich beschreiben soll, sags einfach, weil ich weiß beim besten Willen bis heute nicht, wie ich ein komplettes Schlachtfeld/Operationsgebiet so mit Worten darstellen soll, dass es völlig klar ersichtlich ist. :’) Und weil der Text wie immer bei solchen Posts wieder so monströs ist, lass ich mal die Leerzeilen drin, damit du vielleicht ein kleines bisschen weniger darin verloren gehst... *sigh* x'D ______________
Nicht nur ich war aufgeregt, das ließ Aryana mich deutlich mit dem Kuss spüren. Zeigte mir, dass sie sich der unmittelbar an unsere Tür klopfenden Aufgabe gewachsen fühlte und sie keine Zweifel daran hatte, dass sich das hier für uns lohnen würde. Wir hatten eine Chance und wir griffen beide danach. Ihr Grinsen war ansteckend, wurde jedoch schnell vom nächsten Kuss erstickt, auf den ich mich gerne einließ. Ja, eigentlich war die schöne Brünette noch nie wirklich eine Maria gewesen, was genau der Grund für diesen überspitzten Kosenamen war. In Wirklichkeit war sie schon immer Bonnie. Sie stand bedingungslos hinter mir, egal unter welchen Umständen. Auch dann, wenn wir uns von Zeit zu Zeit voneinander entfernten – sie war immer da und sie war es auch jetzt, wo es am bittersten nötig war. Bereit, die nächsten Grenzen mit mir an der Hand einzureißen, so als wären sie nur für uns aufgestellt worden, als würden sie nur darauf warten. Ich fing wieder an zu grinsen, kaum spürte ich ihre Zähne an der Unterlippe und blickte zurück in ihre Augen. Clyde war ungefähr tausend Mal angenehmer als Mitchiliii. Oder Herzkäferchen. “Immer. Ride Or Die, Baby.”, versprach ich ihr schmunzelnd genau das, was für mich sowieso schon lange selbstverständlich war. Sie wich mir nicht von der Seite und ich nicht von ihrer. Wir gingen hier zusammen raus, auf die eine oder die andere Art. Für uns gab es keine andere Lösung. Hatte es nie. Für andere Menschen mochte diese Phrase nur symbolisch stehen, doch für uns war zu sterben auch heute wieder eine bittere Option. Ich stahl mir noch einen weiteren, kurzen Kuss, bevor die unmittelbar anstehende Landung uns dazu zwang, die Köpfe voneinander zu entfernen, wenn sie nicht unsanft kollidieren sollten. Noch ein letztes Streicheln über ihre Wange, dann ließ ich die Hand sinken. Das Flugzeug setzte auf und daraufhin dauerte es nicht mal zwei Minuten, bis es vollständig zum Stehen kam und ein kurzer Signalton das Öffnen der Rampe ankündigte. Mit der freien Hand löste ich den Sicherheitsgurt, mit der anderen hielt ich Aryanas noch fest. “Pass’ auf dich auf… kein unnötiges Risiko…” Ich zitierte da gerade nicht Ryatt, oder? “Wir sehen uns später. Ich liebe dich.” Noch ein letztes Versprechen, ein letzter Kuss, ein letzter direkter Blick in Aryanas wundervolle Augen. In das dunkle Feuer, das heute unendlich viel heller brannte, als all die letzten qualvollen Monate über.
Dann war es Zeit aufzustehen und uns zu trennen. Jeder für sich steuerten wir in vier sortierten Reihen verlassend die vier bereits auf unsere Ankunft wartenden Fahrzeuge an. Der Trupp bestand aus insgesamt vier Fünferteams, inklusive der Fahrer, die aus organisatorischen Gründen schon vor ein paar Tagen mit den Vehikeln rübergeflogen waren. Am Heck der Fahrzeuge griff ich mir genauso wie der Rest meines Trupps die sperrigen Teile unserer Ausrüstung. Mit geübten Handgriffen legte ich mir die gepanzerte Schutzausrüstung längst wie im Schlaf an, bevor ich mit Ian, Nolon, Vera und Hank ins Innere des Wagens stieg. Als alle startbereit waren, setzte sich die Kolonne in Bewegung und während wir jeder für sich noch die restliche Ausrüstung anlegten – sämtliche Verkabelung für den Funk, Helm, Befestigung des Nachtsichtgerätes, und so weiter – und dabei letzte funktionelle Checks machten, ging ich im Kopf längst wieder einen ganz anderen Plan durch. Versuchte noch einmal alles abzurufen, was Ryatt uns über die ganzen letzten Wochen hinweg eingetrichtert hatte. Jedes Detail, jeden Tipp, jede Warnung. Aryana war dem zweiten der flankierenden Trupps – Dogma und Sigma – zugeordnet und nicht den anderen beiden – Alpha und Omega – die frontaler auf die Zielpersonen zugingen, in der Hoffnung, die Fluchtwege zu eliminieren. Das garantierte uns bessere Überlebenschancen und vor allem insgesamt mehr Möglichkeiten, uns davonzustehlen, weil mehr Sichtbeschränkung im Hinblick auf unsere restlichen Teams gegeben war, durch die nicht lineare Bauweise der Hallen. Es gab nur eine einzige komplette Durchfahrt auf dem Gelände und dort würden die beiden Clans aufeinander treffen, um den Waffendeal abzuschließen – ergo, es gab also nur genau diesen Fluchtweg für die Kriminellen. Die beiden Alpha und Omega würden versuchen, diese Fluchtwege mit jeweils einem Fahrzeug zu blockieren, aber das war keine Garantie – deren Lastwagen würde wahrscheinlich so gut wie alles vorbeischieben, als wäre es Kleinholz, wenn genug Schwung vorhanden war. Wenn alles nach unserem verdeckten Plan lief, dann würde ich zuerst das Zeitliche segnen, weil Easterlin laut Ryatt nach wie vor der festen Ansicht war, dass ich das entscheidende Problem war, das Aryana mit runterzog und nicht umgekehrt. Wenn es um diese Sache hier ging, dann bestätigte ich das reiche Arschloch verdammt gerne in seinem Glauben. Dieses eine, einzige Mal durfte er Recht behalten und in ein paar Monaten hoffentlich elendig an seinen zu späten Erkenntnissen im Knast ersticken.
Erst nach knapp 45 Minuten Fahrt bis auf die andere Seite der Stadt, gut zwei Kilometer vor dem Übergabeort, teilte sich unsere Kolonne auf und wir fuhren unsere Zielkoordinaten aus unterschiedlichen Richtungen an. Ich sah aus dem verdunkelten Fenster und blickte kurz dem Fahrzeug nach, in dem Aryana saß. Danach begann ich die Umgebung erstmalig aktiv wahrzunehmen: Der Uhrzeit entsprechend war der offensichtlich von Armut geplagte Rand der Stadt sehr ruhig. Nur vereinzelt ging jemand am Rand der hier nicht mehr geteerten Straßen entlang und ich konnte keine auffälligen bewaffneten Gruppierungen erkennen. Das musste jedoch nichts heißen. Wenn sie so gefährlich und gut organisiert waren, wie Ryatt sagte, dann war diese Ruhe mit äußerster Vorsicht zu genießen. Wir durchquerten bereits das Machtviertel der Noartél Guerreiros und ich war mir sicher, dass wir schon beobachtet wurden.
Per Funk kam gerade die Meldung durch, dass ein auffälliger Lastwagen die nördliche Grenze des Viertels überquert hatte und aller Wahrscheinlichkeit nach unsere Lieferung enthielt, als unser Fahrzeug anhielt. Als flankierende Teams wurden wir etwa zweihundert Meter vom Übergabeort entfernt starten, weil es zu riskant und zu auffällig war, von allen Seiten stumpf direkt ranzufahren. Es hieß jetzt also, schnell Meter gutzumachen, damit wir dort ankamen, bevor wir restlos aufgeflogen waren. Unser Fahrer war der letzte, der sich am Heck des Wagens bewaffnete. Für mich war es ungewohnt, wieder Fußsoldat zu sein und nicht längst auf irgendeinem Dach zu liegen, um mich vorzubereiten und aus der Ferne Köpfe rieseln zu lassen. Es war bei den verschachtelt gebauten, stillgelegten Produktions- und Lagerhallen, zu denen wir vordringen wollten, jedoch äußerst schwer, unsererseits effizient einen Sniper zu platzieren. Es gab drumherum keine höheren Dächer. Das hier war eine der wenigen Missionen, wo es keinen besonders effektiven Schutz von oben gab, was schon allein deshalb ein massiver Nachteil war, weil unser Feind aller Voraussicht nach Männer auf den einsturzgefährdeten Dächern platziert haben würde. Einzig der Helikopter des örtlichen Einsatzteams, das uns bei der möglichen Flucht der beiden Kartell-Köpfe dann Unterstützung leisten sollte, war eine Hilfe. Nur nicht für Aryana und mich – wenn alles nach Plan lief, würden wir das Gebiet später alleine, erst nach den anderen verlassen und uns überhaupt nicht mehr um diese Sache kümmern müssen.
Wir bahnten uns, in regelmäßigem Funkkontakt mit den anderen drei Truppen, einen möglichst unauffälligen Weg durch schmale Gassen, um die Hauptstraßen zu meiden. Hank ging voraus und ich bildete nach hinten absichernd das Schlusslicht. Bisher schien es noch an allen vier Enden keinen Feindkontakt zu geben, als sich unsere ortsansässige Basis via Funk meldete. ‘Zielpersonen identifiziert. Der Lastwagen erreicht die Zielkoordinaten in ca. 30 Sekunden. Positionierung der Wärmebildkamera erfolgt jetzt, haltet die Augen offen.’ Hank bestätigte die eingehende Information und wir rückten noch die letzten Meter weiter bis zum unmittelbaren Grundstücksrand des einstigen Industriebetriebs vor. Dort machten wir Halt und ich konnte mein Herz pochen hören, als ich die Gasse im Blick behielt, die hinter uns lag. Dabei atmete ich tief durch, während unsere aus sicherer Entfernung gesteuerte Drohne drauf und dran war, uns aufzudecken, mit wie vielen schießwütigen Clananhängern wir es tatsächlich zu tun haben würden. ‘Ziele sind eingetroffen. 12 feindliche Kämpfer im unmittelbaren Übergabegebiet, darunter unsere beiden Zielpersonen. Zusätzlich 47 Wärmesignaturen auf dem umliegenden Gelände, teilweise unbewaffnet – könnten Zivilisten sein, wenn möglich evakuieren.’ Hieß so viel wie wenn sie im Weg sind, sind sie halt im Weg und ein Kollateralschaden. Das Übliche. ’Warten auf Freigabe.’, seitens der Polizeibehörden, die das Ganze in unserer Basis mit überwachten und natürlich zuerst ihre Beweise für den Tatbestand wollten, bevor wir anfingen, alles aufzuscheuchen. Es folgten knapp zehn Minuten fast durchgehende Stille mit wenig Funk, in der sich mein Puls dank sehr gleichmäßiger, sehr tiefer Atemzüge weiter beruhigte. Alles wie immer. Alles bestens. Syrien war schlimmer, da waren bestimmt mehr als 59 Schwerter schwingende Ameisen im Hügel gewesen und ich war da allein rein gerannt. Easy.
Dann ging’s wie immer plötzlich ganz schnell: Meine unruhig die Gasse taxierenden Augen registrierten eine Bewegung, noch in derselben Millisekunde den langen Lauf eines Maschinengewehrs und ich war gezwungen, die ersten Schüsse abzugeben, um nicht selbst zu sterben. Hinter mir hörte ich Hank ’Feindkontakt, ich wiederhole, FEINDKONTAKT!’ ins Funkgerät brüllen. Gleich darauf erfolgte seitens der Basis der sofortige Aufruf zum Zugriff, um nicht die komplette Mission gleich in den Grundsteinen beerdigen zu müssen. Die Reifen, die ich keine Minute später quietschen hörte, gehörten bestenfalls zu Teams Alpha und Omega, welche die beiden Zufahrten blockieren sollten und der Kerl, dem Vera gerade auf dem Dach schräg oberhalb von uns den Garaus gemacht hatte, landete mit zerschossenem Gesicht unweit von mir auf dem Boden. Es gab schon Tote, bevor wir den eigentlichen Bereich – noch gute 50 Meter entfernt – überhaupt betreten hatten. Vielleicht doch nicht so viel einfacher als Syrien.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Auf Aryanas Lippen bildete sich das gleiche Grinsen, als sie seine Worte hörte. Wortwörtlich Ride Or Die, in dieser verhängnisvollen Nacht mehr denn je. "Gut. Das ist das Einzige, was ich brauchen kann", murmelte sie mit einem neckischen Unterton an seine Lippen, wohlwissend, dass es auch das Einzige war, was für sie beide je infrage gekommen war. Das war eine Sache, in der Mitch sie bis heute kein einziges Mal enttäuscht hatte: Er stand immer hinter ihr und er liess sie auch nicht hängen, obwohl ihre Lebensweise nicht immer unterstützenswert war. Weil er genauso unvernünftig war, eine ebenso dezente Spur Wahnsinn in sich trug, wie sie. Und das war perfekt. Als das Flugzeug auf der Landebahn ansetzte, drückte Aryana noch einmal seine Hand, löste ihren Gurt und blickte ihn lächelnd an. "Du auch, mein Clyde. Denk dran: Sterben und verletzt werden ist nicht Teil des Plans.", liess sie ihn mit einem kleinen Lächeln wissen. "Bis später, ich liebe dich auch.", und dann war er weg und sie auch und wenn sie sich das nächste Mal wiedersahen, wären sie bereits mitten im Kampf um ihre Freiheit. Aryana steuerte mit Jasper, Cassy und Rafael den zweiten Wagen von links an, wo ihr Fahrer, Alex, bereits am Heck stand und die Ausrüstung bereitmachte, welche sie kurzum anlegten. Die Handgriffe waren geübt und das Prozedere schnell und doch konzentrierte Aryana sich auf jede einzelne Bewegung, als würde sie sie zum ersten Mal ausführen. Es hatte etwas Meditatives, den Fokus auf Dinge zu legen, die eigentlich kaum mehr ihr Denken erforderten. Und das war es, was sie suchte - den Tunnelblick, den Mitch und seine Sportkameraden ihr im übertragenen Sinne in den Schädel geprügelt hatten. Ausserdem hatte dieses Vorgehen den Vorteil, dass sie sicher keinen Fehler bei der Montur der Ausrüstung machte, der schlimmstenfalls später fatale Folgen haben könnte. Als alle bereit waren, stiegen sie in den Wagen. Aryana nahm hinter Alex auf der Fahrerseite Platz und sobald alles korrekt verkabelt war, schloss sie nochmal für zehn Minuten die Augen. Natürlich nicht, um zu schlafen. Sie führte sich ein letztes Mal vor Augen, was sie heute, in den nächsten Tagen und Wochen erreichen wollten, erreichen mussten. Was ihr Ziel war und was auf dem Spiel stand. Dachte ein letztes Mal an Faye und Victor. Und ein bisschen länger noch an Mitch. An ihre Zukunft, Kalifornien, den Hund, die Sonne, die Zeit, zu heilen. Und dann legte sie all das beiseite, atmete tief durch und schlug die Lider wieder auf. Von da an war ihr Blick aus dem Fenster gerichtet, stets wachsam und aufmerksam, obwohl sie noch kilometerweit von ihrem Zielort entfernt waren. Sie nahm die Gegend in sich auf, die Atmosphäre der Nacht, das Flackern einzelner Lichter, hier und da eine Bewegung im Schatten - möglicherweise Hunde oder Katzen. Als sie die Kreuzung erreichten, wo sich ihre Wege vorerst trennten, hing auch ihr Blick einen Moment länger an dem Wagen, in dem Mitch in die Nacht getragen wurde. Viel Zeit blieb ihr dafür jedoch nicht, die Fahrzeuge verloren sich schnell zwischen den heruntergekommenen Häuser der ärmlichen Gegend und es dauerte nur noch ein paar Minuten, bis Alex den Wagen im Schatten einer leerstehenden, halb eingestürzten Lagerhalle anhielt. Das Zielobjekt war am Rande des Viertels stationiert und ihr Trupp nährte sich den Hallen von Seiten des stillgelegten Industriegebiets. Wobei das ein bisschen beschönigt ausgedrückt war, es waren hauptsächlich nur eingestürzte Hallen und Gebäude, die, je näher sie dem Ziel kamen, umso weniger Schutz boten. Höher als vier, maximal fünf Meter standen im Abstand von etwa fünfzig Meter zu den angepeilten Hallen auf dieser Seite wohl keine Mauern mehr. Aber immerhin hatte es Mauern, immerhin hatte es Deckung, durch die sie sich rasch und wachsam im trügerischen Schutz der Dunkelheit vorwärts arbeiten konnten. Sie hatten sich den angestrebten Hallen bis auf etwa 70 Meter genähert und warteten dort auf den endgültigen Funk zum Zugriff. Aufgrund der schlechten Deckung wäre näher besser gewesen - aber eben auch auffälliger und sie konnten nicht so viel zu früh schon einen der mit Sicherheit positionierten Wachpersonen aufscheuchen. Diese Aufgabe blieb letztendlich nicht ihnen überlassen, sondern dem gegenüberliegenden Team. Also Mitch. Sie wusste, dass er dort war, dass es ihn betraf - aber es durfte sie nicht irritieren. Er konnte schiessen, vielleicht besser als alle anderen hier - auf jeden Fall besser als ihre Feinde. Er wusste, was auf dem Spiel stand und sie zweifelte keine Sekunde an ihm. Ausserdem wären sie sowieso kurzum allesamt im Kreuzfeuer. Aryana stürzte hinter Jasper und gefolgt vom Rest vorwärts. Es dauerte keine zehn Sekunden, dann fielen auch auf dieser Seite die ersten Schüsse, sie waren offensichtlich entdeckt worden. Die alten Mauern bröckelten, wenn sie getroffen wurden und bröckelten, wenn Aryana sich dagegen drückte. Weitere wertvolle Sekunden verstrichen, bis es schliesslich Rafael gelang, den Schützen vom Dach zu holen, damit sie weiter vorankamen. Sie erreichten die äusseren Hallen vollzählig und unbeschadet, aber im Grunde wartete die erste Katastrophe direkt um die Ecke. Nachdem sie sich in zwei Gruppen aufgeteilt hatten - Alex und Cassy gingen links um das erste Gebäude, Rafael, Jasper und Aryana rechts - kam ihnen schneller Gesellschaft entgegen, als ihnen lieb war. Rafael führte ihr Dreierteam an, Aryana hatte in weiser Voraussicht das Schlusslicht gebildet... und war sehr froh um diese Wahl, als sie sah, wie einer dieser Irren mit einer verdammten Machete um die Ecke sprang und Rafael gezielt zu Boden riss. Das Arschloch hatte zwar eine Schusswaffe dabei, aber auf diese Distanz schien er seine Machete zu bevorzugen - und einen dringenden Todeswunsch zu haben, denn selbstverständlich wurde er innert Sekunden von Aryana niedergeschossen, zuckte noch kurz, bevor er in der Ecke liegen blieb um auszubluten. Bluten tat aber auch Rafael aus einer langen Wunde an seinem Oberarm. Offenbar nicht tief genug, um ihn davon abzuhalten, sofort weiter voran zu preschen. Trotzdem war es eine sehr deutliche Warnung, die sie den letzten Gang zwischen den äusseren Hallen umso schneller entlang rennen liess, um die letzten Meter zu den Lastwagen und den Zielpersonen so rasch wie möglich hinter sich zu bringen.
Wie immer, wenn ich in solche Situationen schlitterte, leerte sich mein Kopf schnell. Nicht mal eine Sekunde lang dachte ich darüber nach, dass mein schon verdammt hohes Konto an Opfern auch heute wieder ansteigen würde. Zwischen den Schüssen war kein Platz für sowas, ich musste überleben. Am heutigen Tag war ich so bereit, über Leichen zu gehen, wie schon sehr lange nicht mehr. Es mochte ein hoher Preis für die Liebe und die Freiheit sein, aber im Umkehrschluss würde ich hoffentlich nie mehr wieder einem Menschen das Licht aus den Augen nehmen müssen. Das war es wert, für all die Leben, die dadurch in der Zukunft hoffentlich verschont blieben – inklusive Aryana und mir selbst, Faye und Victor. Schüsse waren nicht nur mehr in meiner unmittelbaren Nähe zu hören, als Hank sich wieder in Bewegung setzte und wir einer nach dem anderen den ungeschützten Fußweg überquerten, der unseren Weg zu den Hallen kreuzte. Uns gegenseitig Feuerschutz einräumend erreichte unser Team die gegenüberliegende Seite unbeschadet, doch der Kugelhagel wurde schlimmer. Wir hielten uns jeweils zu zweit und zu dritt dicht an den etwa fünf Meter voneinander entfernt aufragenden Wänden, die unseren Weg zum Zielpunkt einrahmten. Ich bildete mit Ian und Vera das Dreiergespann, wobei ich eigennützig die mittlere Position einnahm und das Dach auf der anderen Seite im Auge behielt. Ian sicherte uns nun von hinten ab und Vera bildete mit Hank die Vorhut, während Nolon das Dach des Gebäudes in meinem Rücken abdeckte. So schafften wir es unverletzt, wenn auch mit Gegenwehr bis zur Biegung, wo Vera vorsichtig ihr Gewehr aus der Deckung schob, um zu sehen was passierte – Kugeln knallten zischend an das beständige Metall und es war klar, dass jeder Versuch, um diese Kurve zu biegen, mit mindestens einem Tod enden würde. Lange an Ort und Stelle zu bleiben, war jedoch nicht weniger gefährlich und so griff Hank bereits nach einer Rauchgranate, um uns einen Vorteil zu verschaffen. Er warf die Granate Vera zu und sie zögerte nicht, sie entsichert um die Ecke zu werfen. Der Rauch war rot gefärbt, um unseren Verbündeten im Gefecht eindeutig zu vermitteln, dass im fortan sichtbeschränkten Bereich unsere eigenen Truppen involviert waren. Doch auch der Rauch schützte uns nicht ausreichend. Obwohl er sich schnell ausbreitete, war einer der Guerreiros bereits auf dem Weg zu uns und das mit dem sicheren Ziel, Vera zu beseitigen. Sie bog vorsichtig um die Ecke, konnte sich aber trotzdem nicht schnell genug wieder zurückziehen, um verschont zu bleiben. Sie taumelte rückwärts und fiel auf den Rücken, doch um sie konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Ich ging in die Hocke, um weniger Angriffsfläche zu bieten und wartete nur darauf, dass der Kämpfer sich aus seiner Deckung wagte. Als er vor meinem Lauf auftauchte, erwischte er auch Hank noch, bevor ich ihn mit dem Maschinengewehr durchsiebte. Genauso wie Vera lag der Unbekannte röchelnd auf dem Boden und die junge Frau meines Teams hielt sich den blutenden Hals. Das war tödlich viel Blutverlust, so oder so. Mein Blick glitt zu Hank, an dessen Oberschenkel sich ein rasch größer werdender Fleck ausbreitete. Immerhin schienen alle anderen Schüsse lediglich die Schutzweste getroffen haben. Das tat auch verflucht weh, war aber weniger tödlich. Als er wieder genug Luft in den Lungen hatte, meldete er unter Schmerzen einen Verlust und seine eigene Verletzung. Veras Zucken war schon stark abgeflacht und würde wohl jeden Moment ganz vorüber sein. Ich blickte zurück zu Ian, der unweit eines kaputten Fensters stand. Sollten die anderen sich von mir aus ruhig noch an dieser Ecke abknallen lassen, aber ich würde heute nicht sterben. “Gehen wir durchs Gebäude… da ist mehr Deckung.”, und mehr Spielraum für meinen vorgetäuschten Tod. Es war ein Vorschlag, der von Ians Schüssen unterbrochen wurde. Hank sah auf sein Bein runter, dann zum Fenster und schüttelte schließlich den Kopf. “Das schaff’ ich mit dem Bein nicht.” Genau darauf hatte ich abgezielt. Mit einer Kugel im Bein war es so gut wie unmöglich, noch geduckt zu gehen oder zügig zu klettern. Das machte der schwer geschädigte Muskel nicht mehr mit. “Dann teilen wir uns eben auf.” Ich wartete nicht auf seine Freigabe, sondern setzte mich in Bewegung und hielt an Ian vorbei auf das Fenster zu. “Warwick..!”, hörte ich Hank hinter mir rufen, als ich im Begriff war, mich aus der Gruppe zu lösen. Er rief noch ein zweites Mal, als ich durch das Fenster vorsichtig ins Innere der völlig dunklen Halle blickte und anschließend mit dem Gewehr den Rest der potenziell gefährlichen Scherben aus dem Rahmen stieß. Ich sah nur noch einmal in Ians Gesicht, bevor ich durch das Fenster kletterte und drinnen das Nachtsichtgerät runterklappte, um besser sehen zu können. Die Halle war nicht leer und es roch sehr muffig, was wohl an den Überbleibseln der einstigen Produktionshalle lag. Scheinbar hatte sich Niemand die Mühe gemacht, die Reste von was auch immer ordentlich zu entsorgen. Ich lehnte mich gerade an einen alten Tank, als Jemand hinter mir durchs Fenster stieg. Im selben Moment gab Hank durch, dass wir uns aufgeteilt hatten und ich erkannte Ian. Er schien sich an meiner Seite bessere Chancen auszurechnen. Ich nickte ihm zu und wir einigten uns schnell auf eine gemeinsame Funkfrequenz. Daraufhin gab ich ein Handzeichen, dass ich vorrücken würde und setzte mich mit dem Gewehr im Anschlag in Bewegung. Der schwere Staub in der Luft war unangenehm, als ich um den Tank herum nach weiteren Fenstern Ausschau hielt. Ich sah eines an der Frontseite, durch das wir theoretisch einen Blick bis auf den Übergabeort haben würden. Nach kurzem Austausch mit Ian rückten wir weiter vor und ich hatte Glück, dass ich nicht getroffen wurde, als ich die Deckung wechseln wollte. Mit den Schüssen erklang irgendwo tiefer in der Halle auch der Schrei einer Frau. Eine Zivilistin, sehr wahrscheinlich. Weil ich nicht sehen konnte, woher die Schüsse gekommen waren, bedeutete ich Ian auf der anderen Seite des Tanks zu agieren, wo er nicht vermutet wurde. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er dort war, doch er konnte gezielte Schüsse abgeben und gab mir damit Luft, weiter voranzuschreiten. Auch direkt außerhalb der Mauern fielen weitere Schüsse, als wir die Halle durchkämmten. Wir kamen gut voran, bis ich aus seiner Deckung zwischen hoch gestapelten, alten Holzkisten heraus von einem Mann am Hals gepackt wurde. Ich ließ das Gewehr reflexartig los, um dem Würgegriff einen Riegel vorzuschieben, doch das kam zu spät. Ich bekam keine Luft und es dauerte einen Moment, bis ich den blanken Überlebensinstinkt überwunden hatte und nicht mehr stumpf gegen den dicken starken Arm ankämpfte. Ich knallte dem Mann den Helm ins Gesicht, doch ich hatte nicht genug Schwung, um ihn damit ernsthaft zu schädigen. Also griff ich nach dem Messer in dem Holster an meinem rechten Oberschenkel und rammte es ihm in den Unterarm. Erst daraufhin ließ er schreiend ab und ich konnte mich zu ihm umdrehen, nach dem vor meinem Körper baumelnden Gewehr greifen und ihn erschießen. Das Messer zog ich aus seinem Fleisch und steckte es wieder ein, als auch auf der anderen Seite der Halle wieder Schüsse fielen. Es wurde jedoch schnell wieder still und damit blieb die Frage, ob es Ian oder den anderen erwischt hatte. Ich erkundigte mich über Funk nach ihm und er antwortete schwer atmend. Wir kämpften uns weiter zum Fenster vor und erreichten es weitgehend unbeschadet, bis auf einen Streifschuss an Ians Oberarm. Er war auch derjenige, der daraufhin aus dem Fenster spähte. Der Rauch hatte sich schon etwas gelichtet. Nolon und Hank waren nicht zu sehen, als Ian sich dazu entschloss, durchs Fenster zu klettern, um weiter zu den anderen Trupps aufzuschließen. Ich nahm mit dem Gewehr auf der Unterkante des Fensters seine vorherige Position ein. Es schien auf unserer Seite im ersten Moment deutlich ruhiger geworden zu sein, doch das war ein Trugschluss. Ian erreichte den Durchgang zur Durchfahrt sicher und ließ mich von seiner neuen Position direkt am Rand des Geschehens wissen, dass sich das gegenüberliegende Team ebenfalls unmittelbar dem Übergabeort näherte. Aryana. Nolon kämpfte sich von links schwer verletzt durch den Rauch und zog damit meinen Blick auf sich. Dicht gefolgt von zwei wütenden Männern, von denen ihm einer mehrfach ein Messer in die Seite rammte – genau da, wo keine Panzerung war. Ich ging stark davon aus, dass Hank ihnen schon vorher zum Opfer gefallen war und dass sie sich Ian holen würden, wenn ich nichts dagegen unternahm… trotzdem zögerte ich. Hier drin war es im Vergleich zu draußen sicher, von meinem Team wäre dann keiner mehr übrig und ich könnte mich völlig ungestört hier drin verkriechen. Keiner würde nach mir suchen, ich brauchte bloß noch sämtliche Möglichkeiten, mich orten zu lassen, zu vernichten. Es war perfekt und ich war es nicht. In letzter Sekunde gab ich Ian Feuerschutz und eliminierte beide. Sagte ihm daraufhin mittels Funk, dass Nolon und Hank gefallen waren, ich noch hinter der Mauer bleiben und seinen Rücken im Auge behalten würde, solange er so ungünstig exponiert war. Eigentlich reichte nicht mal mein Augenpaar, um die beiden Gänge links und rechts vollständig abzudecken. Von den Dächern ganz zu schweigen – ich verriet mich unfreiwillig selbst, als ich einem weiteren Schützen den Garaus machte und spätestens damit endgültig meinen Standort verriet. Jemand sprang von links geradewegs zu mir durchs Fenster und ich konnte das Gewehr nicht schnell genug drehen, um den folgenden Kampf zu vermeiden. Ich kümmerte mich also gerade ausschließlich um das Retten meiner eigenen Haut, als mittels Funk durchgegeben wurde, dass eine der beiden Zielpersonen sich in den Lastwagen verkrochen hatte und sich eben jener unmittelbar rückwärts mit Vollgas in Bewegung setzte.
Pain? I Love It. Anything else can be fake - happiness, crying, smiles, hugs... even the sweetest kisses. But Pain? Daaamn, that shit's real.
Der Durchgang, den sie entlang in Richtung der Lastwagen und damit ihrer Zielpersonen rannten, bot wenig Schutz. Rafael rannte schnell, nach aussen hin vollkommen ungerührt von seiner blutenden Verletzung. Jasper folgte ihm schneller und Aryana bildete weiterhin das Schlusslicht. Sie blieb an der Ecke zurück, um ihren beiden Kollegen und sich selbst den Rücken zu decken, das Risiko eines weiteren Überraschungsangriffs möglichst klein zu halten. Mittlerweile hallten die Schüsse zahlreich und von allen Seiten durch die Hallen und früher, als ihr lieb war, vernahm sie die Meldung eines Verlustes auf der anderen Seite. Nicht Mitch. Sie wusste, dass es nicht Mitch sein konnte. Genau wie der nächste Verlust, der gefühlt nur Sekunden später von Team Sigma - also ihrer Seite - verlautet wurde, nicht sie sein konnte. Cassy sprach ins Funkgerät, es hatte also Alex erwischt. Was bedeutete, dass Cassy jetzt allein auf der anderen Seite kämpfte, hoffentlich aber sehr bald wieder auf sie treffen würde. Aryana hatte keine Zeit, sich irgendeinen Plan auszudenken, um ihrer Kollegin schnelleren Schutz zu bieten. Das war nicht ihre Mission. Sie musste nur dafür sorgen, das hier zu überleben, das war alles. Und das war schwer genug. Jasper und Rafael hatten das Tor erreicht, das von dieser Halle direkt zu den Lastwagen führte. Was bedeutete, dass es Zeit wurde, dass sie folgte. Aryana rannte nach einem letzten Blick zurück los, vor ihr lagen vielleicht dreissig Meter eines etwa fünf Meter breiten Flurs. Dreissig Meter. Nach fünfzehn Metern lag auf der Innenwand des Gangs, also tiefer ins Innere der Halle, die sie eigentlich bereits hinter sich gelassen hatten, eine Tür. Aryana wusste nicht, welcher Art von mal wieder beschissenem Karma sie es zu verdanken hatte, dass diese Tür aufgerissen wurde, als sie mehr oder weniger genau daneben durchrannte. Sie wusste nicht, wie Jasper, der sie und den Flur eigentlich im Blick halten sollte, nicht hatte merken können, dass die Tür bereits einen Spalt breit offen gestanden hatte. Aber Fakt war, dass irgendeiner dieser Wahnsinnigen sie erfolgreich zu Boden riss. Der Aufprall ließ die Luft aus ihren Lungen entweichen, und sie spürte den unmittelbaren Schmerz, als ihre Schulter hart auf dem Beton aufschlug. Sie hatte keine Zeit, zu fluchen, war schon dabei, sich sofort wieder unter ihm hervor zu winden, als der Angreifer bereits seine Pistole zückte. Ihr Glück, hielt sie ihre eigene Waffe noch immer fest in der Hand, sodass sie ihm den stählernen Lauf gegen die Schläfe knallen konnte, bevor sein erster Schuss fiel und sein Ziel knapp verfehlte, direkt neben ihrem Kopf in den Boden schlug und in die entgegengesetzte Richtung abprallte. Auch er hielt die Waffe fest, als Aryana sich aufgerappelt hatte, aber er war langsamer als sie. Langsamer auch als Jasper und die beiden Schüsse durchlöcherten seine Kehle von hinten und sein Gesicht von vorne mit präziser Fatalität. Grauenhaft. Aryana liess sich keine Zeit, den Anblick länger als nötig in sich aufzunehmen, blickte zu der geöffneten Tür und lauschte kurz, aber es war nichts zu hören. Vermutlich war er alleine gekommen, aber so wirklich sicher, konnte sich keiner sein. Trotzdem schob sie die Tür vorsorglich und ohne weitere Abklärung wieder ins Schloss, weil fast zeitgleich die Meldung erfolgte, dass eine der Zielpersonen sich bereits in den Lastwagen verkrochen hätte. Und sie waren noch nichtmal bis dahin vorgedrungen. Die Brünette schloss zu Jasper und Rafael auf und tatsächlich näherte sich wenige Meter entfernt, bereits in Sichtweite, nun auch Cassy. Blutend. Sie hatte keine Verletzung gemeldet, aber offensichtlich hatte sie irgendwas gefangen, in mindestens gleichem Ausmass wie Rafael. Doch auch dafür blieb keine Zeit, als sie das Tor erreichten und damit unmittelbar vor dem Ziel standen. Ab hier wurde die Deckung noch schlechter, aber immerhin waren sie nicht mehr nur auf sich allein gestellt. Das wäre jedenfalls wahrscheinlich, was ein Optimist aus der Situation gezogen hätte - Aryana sah nur Gefahr. Ein Sterberisko an jeder Ecke, das Chaos vor ihren Augen. Sie blieb nach kurzer Verständigung mit ihrem Team am Hallentor in Deckung, während Jasper und Cassy sich weiter vor wagten und hinter einem zweieinhalb Meter entfernten Stahlcontainer Position einnahmen. Sobald das geschehen war, begann der Schussregen von Neuem, in alle Richtungen. Vor allem aber zu dem Lastwagen, dessen Motor soeben gestartet wurde. Die Schüsse zielten vor allem auf die Reifen und die Frontscheibe und es war unmöglich, zu eruieren, wer letztendlich wirklich was und wie oft getroffen hatte. Der Reifen vorne rechts platzte mit einem Knall, was den Fahrer nicht von seinem Vorhaben abhielt. Auch die Blockade von Alpha reichte nicht aus, um ihn zum Anhalten zu bewegen - der Lastwagen krachte mit voller Wucht in das Fahrzeug, das dadurch unschön aus dem Weg geschoben wurde. Würde nicht ihr Fluchtfahrzeug werden, soviel stand fest. Ein weiterer Reifen platzte, der Fahrer hatte offensichtlich grosse Mühe, die Kontrolle über den schlenkernden Lastwagen zu behalten. Und das war alles, was Aryana sich zu sehen erlaubte, bevor sie sich weiter zurückzog. Gerade rechtzeitig, bevor irgendeiner der verbleibenden höhergelegenen Schützen das Feuer auf die Deckung von ihr und Rafael eröffnete. Rafael, ein weiteres Mal zu langsam, zu unvorsichtig. Sie konnte von der gegenüberliegenden Seite des Tores dabei zuschauen, wie er in sich zusammensank. Sie meldete den nächsten Verlust. Ein weiterer Toter für Easterlins Geldbeutel und sonst absolut. gar. nichts. Der Funk verlautete, dass sich die zweite Zielperson mittlerweile auf dem Rücksitz des schwarzen G-Wagons verbarrikadiert hätte. Aber Aryana wartete. Rafael war tot, der Schütze wusste vermutlich, dass Rafael nicht alleine hier gewesen war. Sie musste keine Feinde töten. Sie musste nichts gewinnen. Die Waffen und Drogen und Gegner waren ihr egal. Sie musste nur leben. Also wartete sie. Rafaels Leiche wie eine Warnung zu ihren Füssen. Nur leben.
Er griff nach dem Lauf meines Gewehrs, als ich mich reflexartig in seine Richtung drehte. Das war der einzige Vorteil, den er mir in der Situation bot – der Mann hielt meine Waffe nur mit einem Arm aus dem Weg, um mit dem anderen seine Pistole anzuheben. Als er den ersten Schuss löste, hatte ich schon über das Gewehr, das ich noch mit beiden Armen hielt, sein Gleichgewicht irritiert. Die Kugel zischte neben mir ins Leere, doch er ließ meine Waffe nicht los. Mit einem harten Ruck zog ich ihn zu mir hin und löste die Hand nach instinktiver Sicherung am Hebel vom Abzug, um stattdessen nach seinem Handgelenk zu greifen. Ich hatte es fest im Griff und ließ das Gewehr ganz los, um mich voll auf den Nahkampf einzulassen. Der Guerilla war von schmalerer Statur als ich, aber zweifelsohne flinker – sicher auch deshalb, weil er kein Zusatzgewicht durch Ausrüstung trug. Er wich dem Schlag, mit dem ich auf seinen Kehlkopf zielte, mit Bravour seitlich nach hinten aus und nutzte die Distanz unserer nahe seiner Waffe verbundene Arme als Sicherheit. Also drängte ich ihn gegen die nächstgelegene Wand, wodurch wir uns von dem offenen Fenster entfernten. Mit dem freien Unterarm an seinem Hals schlug ich seine bewaffnete Hand mehrfach an die bröckelnde Wand, bis er sie fallen ließ. Ian fragte gerade mittels Funk, wo ich abgeblieben war, weil er mich nicht mehr sehen konnte, doch ich hatte keine Zeit zu antworten. Ich war zu beschäftigt damit, auch noch dem Messer auszuweichen, das dieses Arschloch zückte, solange ich mit seiner Pistole beschäftigt war. Er erwischte mich knapp oberhalb des Hüftknochens, direkt unter der Weste. Ich konnte ihn in der Bewegung stoppen, musste dafür jedoch den Arm von seinem Hals nehmen und ich spürte den Stich trotzdem deutlich. Den beißenden Schmerz schluckend ließ ich zu, dass er mit der von der Wand blutigen Hand nach meinem Hals griff. Das hatte ich heute schon, es ließ mich kalt. Er drückte mir die Luft weg, aber ich brauchte nicht lange, um nach meiner eigenen Pistole zu greifen und ihm eine Kugel quer durch den Kopf zu jagen. Seine Hände erschlafften und ich hielt ihn noch am Arm fest, um zu verhindern, dass er bei seinem Fall das Messer abwärts weiter durch mein Fleisch riss. Als ich sicher war, dass er es nicht mehr berührte, ließ ich ihn schwer atmend fallend. Ich rettete mich erst selbst in den Schutz der Wand und checkte die Lage in der Halle mit ein paar kurzen Blicken, bevor ich auf das Messer hinab sah. Es steckte im Muskel, das hatte ich in meiner vorsichtigen Bewegung zur Wand deutlich gespürt. Ich war mir sicher genug, dass es nicht bis zu den Organen vorgedrungen war, um die Klinge unter einem Knurren aus meinem Fleisch zu ziehen. Wie jeder Schnitt blutete auch dieser gefühlt völlig unverhältnismäßig, aber vielleicht spülte das wenigstens ein paar Keime aus der Wunde… Ich atmete durch, hörte das Kreuzfeuer im Hintergrund. Einen Knall. Noch einen. Die Geräuschkulisse war so dicht, dass die Zuordnung ohne einen einzigen Blick auf die Situation unmöglich war und es machte mich wahnsinnig. Ich wollte da raus und Aryana sofort aus dieser Situation rausholen – so wie sonst von einer erhöhten Position auf sie runterschauen, sie im Blick haben und sie wenn nötig durch gezielte Schüsse unterstützen. Mit einem tiefen Atemzug musste ich den Schmerz in der Hüfte zusammen mit der Sorge bei Seite schieben, um mich auf die Mission zu fokussieren. Meine Mission – nicht Easterlins. Ich schaltete rechtzeitig die Frequenz um, um Ian zum Rest der Truppe sprechen zu hören: Dass er jetzt auf sich allein gestellt war und auch zu mir den Sichtkontakt verloren hatte. Ich hatte noch nicht mal Zeit gehabt, die anderen Verluste zu melden und Ian hatte das nicht gesehen. Ich fühlte mich verpflichtet, Klarstellung zu leisten und außerdem war mir wichtig, Aryana wissen zu lassen, dass ich an diesem Punkt noch atmete. Es war zwar der Plan, dass ich zuerst von der Bildfläche verschwand, aber sie sollte sich sicher sein, damit sie geerdet weitermachen konnte… und ich konnte gleichzeitig noch mehr stichhaltige Beweise für mein theoretisches Ableben liefern. “Hier Warwick: Hank und Nolon sind KIA. Bin verletzt und eingekesselt in Gebäude B, versuche aufzuschließen.” Es war nicht mal gelogen, ich hörte durch das offene Fenster nahe, koordinierte Schreie. Wenn ich da jetzt rausging, wäre ich absolut sicher tot. Wir waren hier in ihrem Heimatviertel, das war wie mit dem Ameisenhügel in Syrien: Da würden immer wieder neue Quälgeister nachkommen, solange es Gründe dafür gab. Aryana und ich mussten später noch zueinander finden. Ohne Kommunikation. Wir würden warten müssen, bis das Grundstück wieder ansatzweise leer war, um dabei nicht draufzugehen. Umso wichtiger also, dass ich ihr jetzt noch mitteilte, wo ich mich aktuell befand, um uns das Zusammenfinden später zu erleichtern. ‘Basis an Alle: Zielperson A flüchtet im Lastwagen und wird von den örtlichen Behörden übernommen.’ Vermutlich, weil das Fahrzeug nicht besonders schnell unterwegs war. ’Wir verfolgen Zielperson B, es sammeln sich bereits weitere Schützen in dem schwarzen Mercedes. Alpha und Omega Richtung Süden zusammenschließen. Macht Zielperson B den Weg frei, um euer Fahrzeug unbeschadet zu sichern, bevor es gerammt wird.’ Omega und Alpha quittierten, machten sich auf den Weg. ’Dogma und Sigma Zusammenschluss auf der Ostseite, erbitte Rückmeldung sobald ihr euer Fahrzeug erreicht habt. Senden euch dann Koordinaten.’ Das war Aryanas Seite, was mich stark darauf schließen ließ, dass mit mir nicht mehr kalkuliert wurde. Oder dass der Aufwand auf meiner Seite größer erschien. Was auch immer. Niemand würde in meine Richtung kommen, also beschloss ich, mich von der Wand zu lösen. Gerade, als ich mich mit zusammen gebissenen Zähnen duckte und wieder tiefer in den Schutz der Halle eintauchen wollte, krächzte der Funk erneut: ’Wenn du’s nicht rechtzeitig schaffst und du durchhältst, sammeln wir dich später ein, Warwick.’ Das war so eine ganz klassische, unprofessionelle Zwischenmeldung, die laut Ryatt für gewöhnlich aus Protokollen gestrichen wurde. Überflüssig also, meinerseits irgendetwas darauf zu erwidern. Würde sowieso ausradiert werden. Die geduckte Haltung ließ mich bei jedem Schritt mit dem rechten Bein Feuer in der Hüfte fangen, aber ich arbeitete mich trotzdem vorsichtig in den Bereich der Halle vor, den ich zuvor nicht durchkämmt hatte. Ich musste das Umfeld sichern, um nicht nochmal überrascht zu werden, um zu überleben. Schlimm genug, dass ich wegen Ian den Stich kassiert hatte. Mein wankendes Ehrgefühl würde mich immer wieder in die Irre führen. Er hatte sich zuerst für mich entschieden, also hatte ich ihm den Gefallen erwidert, weil er keines der Söldner-Arschlöcher war. Ian teilte nicht meinen Humor, war aber in Ordnung. Trotzdem hockte ich jetzt hier mit der Stichwunde und nicht er. Immerhin hatte ich Glück damit, auf keinen Widerstand mehr zu stoßen, während ich die Halle fokussiert durchquerte und parallel dazu den Funk mit den Ohren verfolgte. Das Gewehr hing noch vor meiner Brust, weil die Pistole aufgrund der Verletzung leichter zu handhaben war. Schließlich begegnete ich nur noch den beiden Frauen, von denen eine vorhin geschrien haben musste. Sie hockten zwischen alten Kisten in einer Ecke, mehr schlecht als recht getarnt. Ich konnte kein Spanisch, also senkte ich zur Verdeutlichung meiner Absichten die Waffe Richtung Boden und hielt Abstand – sie sollten sich nicht bedroht fühlen und ich konnte nicht wissen, ob sie Sprengsätze bei sich trugen. Das war hier vielleicht weniger verbreitet als in Syrien, aber ich plante nicht heute in die Luft zu fliegen. Deshalb versuchte ich es ruhig mit Englisch. Fehlanzeige, also blieb mir nur die Hände-Und-Füße-Kommunikation.
Sie hörte den Funk und die Meldung von Ian. Das klang grundsätzlich nach ihrem Plan, grundsätzlich richtig. Ian sollte Sichtkontakt zu Mitch verlieren, damit Mitch sich absetzen und pseudosterben konnte. Und doch spürte sie, wie ihr Herz kurz stockte, spürte, wie sie sich kurz fragte, ob Mitch wirklich freiwillig zurückgeblieben war. Glücklicherweise brauchte sie nicht lange zu zweifeln, hörte die Stimme ihres Freundes im Funk und die Worte waren genau das, was sie hören musste. Er war verletzt und eingekesselt und er kam nicht mehr nach. Ob er wirklich verletzt war? Aryana schloss für eine halbe Sekunde die Augen, liess dem einen tiefen Atemzug folgen und konzentrierte sich auf das, was sie tun sollte und auf das, was vor ihr lag. Rafaels Leiche. Ein Kampf, der noch lange nicht gewonnen war. Ein Plan, dessen Ziel sie sehr klar vor Augen sah und den sie nur erfüllen konnte, wenn sie genau das tat, was sie abgemacht hatten - und wenn sie dabei niemals den Fokus verlor, denn dann war sie tot. Aryana gab weitere Schüsse ab, ohne sich aus dem Eingang zu bewegen. Eher nur sporadisch - es war schwer, von hier aus noch jemanden zu treffen. Und sie würde nicht weiter vordringen, das war nicht ihre Aufgabe. Weder inoffiziell noch offiziell, denn der Funk verlautete in diesem Moment, dass das Schauspiel an dieser Stelle vorbei war. Zusammenschluss auf der Ostseite. Erneut machte ihr Herz einen kleinen Aussetzer, denn es war das, womit Ryatt kalkuliert hatte. Mitch war verletzt. Er wurde zurückgelassen und sie würde tun, was kopflos verzweifelte Freundinnen gerne taten: Irrational handeln. Aber erstmal wartete sie, bis Jasper und Cassy wieder zu ihr stiessen, schwer atmend, aber tatsächlich beide noch lebend. Wie durch ein Wunder schaffte auch Ian als letztes Überbleibsel von Team Dogma es zu ihnen, womit dann der Rückzug als Vierergruppe anstand. Theoretisch. Sie gingen tatsächlich durch den gleichen Gang zurück, bis zum Ende der Hallen, wo dann wieder der Teil mit schlechter Deckung anstand. Noch immer waren sie vollständig, noch immer hatten sie keine weiteren Verluste zu vermelden, während der Funk bekannt gab, dass der Mercedes das Gelände verlassen hatte und von Alpha und Omega verfolgt wurde. "Ich lass' Mitch nicht allein und verletzt hier zurück. Geht vor und ich decke euch den Rücken, bis ihr das Fahrzeug erreicht habt.", verkündete Aryana plötzlich, noch bevor Ian sich als erster aus dem Schatten der Hallenwand hätte lösen können. Ihre Stimme klang klar und fest, es war offensichtlich, dass das keine Frage gewesen war. Das sagte auch der ungläubige Blick, mit dem Jasper und Cassy sie anschauten. "Willst du sterben oder was hat dir ins Gehirn geschissen, Aryana?!", hörte sie Ian keuchen. "Wir müsssen hier weg und zwar sofort und du hast deine Befehle.", startete er immerhin einen Versuch, sie zur Vernunft zu bringen. Aber die Brünette schüttelte bloss energisch den Kopf, warf einen hektischen Blick zurück und machte eine Handbewegung in Richtung Fahrzeug. "Geht einfach. Niemand hier hat Zeit für Diskussionen.", und damit war das Gespräch beendet und die drei Überlebenden machten sich daran, die letzten Meter zurückzulegen. Aryana verzichtete darauf, via Funk auch die Basis über ihre eigenwillige Planänderung zu informieren. Sie verfolgte für ein paar Sekunden ihre drei Kollegen mit ihren Blicken. Sie verschwanden schnell hinter der nächsten Deckung. Waren dann nochmal sichtbar und verschwanden wieder. Und damit wandte die Brünette sich ab, um zurück in die Hallen zu gehen. Sie konnte ihnen keine ernsthafte Rückendeckung geben, genau wie sie keine Rückendeckung gehabt hätten, wenn Aryana mit ihnen zum Auto aufgebrochen wäre. Würde sie schiessen, würde sie verraten, dass sie noch hier war. Und das brachte wiederum nur ihren eigenen, wackeligen Plan ins Wanken, was sie sich nicht leisten konnte. Also trat sie weiter nach innen, schlich sich unbemerkt zurück zu Rafaels Leiche. Sie musste auf die andere Seite, zu Mitch... Es war auf einmal sehr still hier drin, wo die Fahrzeuge verschwunden waren und gefühlt der ganze Rest diesen hinterher jagte. Aber sie war nicht dumm genug, um der Stille wirklich zu trauen, auch wenn sie am liebsten einfach kopflos nach drüben gestürzt wäre, um nachzusehen, ob Mitch wirklich verletzt war oder dies nur vorgetäuscht hatte. Und so wartete sie, kauerte mit gezückter Waffe in Alarmbereitschaft am Boden und lauschte in die Stille. Sie hörte die Meldung von Jasper im Funk, der die Basis informierte, dass sie zu dritt beim Fahrzeug angekommen und aufgebrochen waren. Die Zielkoordinaten folgten. Aber ihre indirekte Desertion blieb umkommentiert. Sie sah das kollektive Aufstöhnen und Easterlins roten Kopf schon vor ihrem inneren Auge. Und es stimmte sie glücklich, gab ihr den nötigen Schwung, um sich auf den Weg zu Mitch zu machen. Sie schaffte es tatsächlich auf die andere Seite des Durchgangs und damit zu dem Gebäude, in dem sie ihren Freund vermutete. Eigentlich hatte sie auch geglaubt, dass sie es unbemerkt geschafft hatte. Aber vielleicht war das auch Einbildung gewesen und vielleicht brauchte ihr Glück eine Pause. Sie hörte das Geräusch hinter sich, auch wenn es beinahe lautlos war, nur kurz und unscheinbar. Sie hörte es und wusste, dass ihre Deckung beschissen war. Sie stand an einer Wand, hinter ein paar Holzpaletten, die sie weder vollkommen verbergen konnten, noch Schutz vor feindlichem Feuer zu bieten vermochten. Aber Aryana würde heute nicht sterben, stürzte vor, noch bevor sie das Klicken der fremden Waffe vernahm. Sie rannte zu der Tür etwa zehn Meter vor ihr, rannte und betete, dass sie nicht abgeschlossen war. Und als sie sie erreicht hatte, fiel die Brünette nahezu hindurch, rettete sich in den unbekannten Raum. Ihr Unterarm brannte und sie wusste, dass sie nicht schnell genug gewesen war, sie hatte nur auch keine Zeit, sich darum zu kümmern. Nur leben, hallte es wieder in ihrem Kopf nach. Nur leben und sie schoss zurück.
Ich war ratlos. Die Kommunikation mit den beiden Frauen gestaltete sich fast unmöglich und so musste ich letzten Endes einfach darauf hoffen, dass sie sich weiterhin bloß verstecken und ansonsten genau gar nichts tun würden. Es war in der Halle ansonsten still und sicher – ich wollte die beiden auch nicht nach draußen verscheuchen und sie grundlos dem Tod ausliefern, also musste ich darauf vertrauen, dass sie sich weiterhin bedeckt hielten. Die Angst in ihren schimmernden Augen sprach dafür. Ich bedeutete ihnen nur noch mit der internationalen Geste des Fingers vor den Lippen, still zu bleiben, ehe ich mich – ohne ihnen den Rücken zuzuwenden – wieder distanzierte und mir einen strategisch sinnvollen Platz in der Halle suchte. Die Ausgänge und das kaputte Fenster an der Front, die Aryanas Standort am nächsten lagen, sollten bestenfalls alle einigermaßen zügig erreichbar sein. Das erste zusammengeschlossene Team war schon dabei den Mercedes zu verfolgen und als das zweite verkündete, am Fahrzeug angekommen zu sein und sich auf den Weg zu machen, atmete ich durch. Es lief alles nach Plan, Aryana fuhr nicht mit und die Einsatzleitung hatte keine andere Wahl, als das einfach zu akzeptieren. Jetzt hieß es nur noch die Köpfe unten zu halten und Geduld zu haben… zumindest für mich, denn ich war nicht derjenige, der sich noch einmal übers Schlachtfeld bewegen musste. Doch sie würde es schaffen, sie würde zu mir kommen und dann machten wir zusammen die Biege – an diesen Gedanken musste ich mich klammern, als ich mich mit dem Rücken an ein volles Schwerlastregal lehnte, das an der Mauer zwischen dem kaputten Frontfenster und einer der Türen stand. Es gab mir immerhin Deckung und draußen wurde es immer ruhiger, bis bald fast nur noch der Funk an meinem Ohr zu hören war, der mich längst nicht mehr zu interessieren brauchte. Deshalb stellte ich ihn auch irgendwann ab. So hatte ich das erste Mal Zeit dazu, Ausrüstung und Oberteil weit genug hochzuziehen, um mir die Stichwunde anzusehen. Sie blutete immer noch, was ich anhand des sich immer nasser anfühlenden Thermoshirts längst befürchtet hatte. Ich schluckte und steckte die Pistole zurück ins Holster, bevor ich vorsichtig die Schutzweste öffnete und das Shirt noch höher schob. Ich zog meine dünnen Handschuhe aus, griff in eine der unzähligen Taschen an meinem linken Hosenbein und durchforstete sie nach einem ganz bestimmten Päckchen. Die fast ausschließlich beim Militär genutzten All-In-One Druckverbände waren praktisch – wenn man es denn bis in eine Situation schaffte, die einem das gezielte Anlegen ermöglichte. Ich riss den sterilen Verband auf und ließ die Folie achtlos fallen, bevor ich die eingearbeitete sterile Wundauflage auf dem Schnitt platzierte. Mir entwich ein leises Zischen, das ich nicht ganz schlucken konnte, als ich den Verband anlegte und daraufhin den Druck im ersten Moment sehr schmerzhaft spürte. Es ließ sich aufgrund der Verbandslänge nicht genauso viel Druck erzeugen wie an Extremitäten, aber es war besser als nichts. Schließlich konnte ich nicht wissen, wie lange Aryana brauchen würde, um zu mir aufzuschließen. Also steckte ich das nasse Shirt über dem Verband achtsam zurück in die Hose und schloss die Weste darüber, zückte die Pistole und lehnte mich an die Wand. Meine Ohren klingelten noch vom Gefecht, doch ich versuchte in den folgenden Minuten trotzdem auf Unregelmäßigkeiten zu lauschen. Mich auf die Geräusche zu fokussieren half dabei, nicht zu intensiv darüber nachzudenken, ob es Aryana gut ging. Die Augen machte ich nur zum Blinzeln zu, hielt die Waffe bereit und entlastete das Bein so gut wie möglich, während ich mich anlehnte, ohne mich hinzusetzen. Mir war das Risiko, dass ich im Fall der nächsten Bedrohung sonst aufgrund der Verletzung nicht schnell genug aufstehen konnte, zu groß. Ich hörte durch das offene Fenster immer mal wieder leise Schritte, die sich von der Stille der Lagerhalle und dem nur dumpfen, leisen Grundlärm der Stadt weit im Hintergrund abhoben. Irgendwann konnte ich hören und mit einem Blick über einigen Krempel in der Halle hinweg auch sehen, dass die beiden Frauen sich in Bewegung gesetzt hatten und – meinem Gehör nach – durch eine der Türen die Halle verließen. Ich konnte in den folgenden Minuten, die sich eher wie Stunden anfühlten, zumindest keine weiteren Bewegungen in der Halle erkennen. Es war von da an ziemlich still, bis ich draußen jemanden nicht gehen, sondern rennen hörte. Mir stellten sich die Nackenhaare auf im selben Moment, in dem ich die Waffe hob, weil ich Schüsse hörte. Ich wandte mich dem Gehör nach der vermeintlich richtigen Richtung zu, sah vorsichtig an dem Regal vorbei nach links. Es dauerte keine Sekunde mehr, bevor die Tür in dieser Richtung aufschwang und ein Schatten, den ich unter tausend anderen wiedererkennen würde, hindurch in die vermeintlich schützende Dunkelheit stürzte. Die Tür knallte schwungvoll an die bröckelnde Wand und durch den Aufprall schwenkte sie beinahe bis in den Rahmen zurück, bevor sie erneut aufgestoßen wurde. Ich konnte den Verfolger erst sehen, als er sich aus dem schützenden Türrahmen löste, weil er Aryana sonst wohl nicht erwischen konnte. Sie traf ihn sogar selbst, doch brachte der Streifschuss ihn nur aus dem Gleichgewicht. Meine Kugeln waren dank meiner aktuell absolut unentdeckten Position gezielter, als ich weit genug aus der Deckung trat und ihn zweifach am Oberkörper erwischte. Erst seitlich unterhalb des Arms und und dann, weil er sich infolge des schrägen Treffers drehte, auf Lungenhöhe am Rücken. Ich verharrte nur noch kurz an dem Regal, während mir der Puls schon ungut in den Ohren schlug, um abzuwarten, ob noch mehr hinterher kamen – doch er schien der einzige zu sein, vorerst. Dicht an der Wand entlang ging ich konstant leicht hinkend in seine Richtung, nur um dann mit einem letzten Blick festzustellen, dass er bereits Blut röchelnd am Ersticken war. Ich schob die Tür zu, um akustische Warnung für Aryana und mich zu ermöglichen, sollten doch noch mehr Guerillas hinterher kommen. Dann sah ich sofort über die nass schimmernden Flecken auf dem Boden hinweg mit langsam absinkender Waffe in die Richtung, in die meine Freundin sich geflüchtet hatte. Die Anspannung, die sich bis gerade eben eisern um mein Herz geklammert hatte, wich von einer Sekunde auf die nächste – sie lag nicht schwer verletzt oder gar tot mitten auf dem Boden, nein, sie hing nur hektisch atmend in Deckung hinter ein paar rostenden Metallfässern. Mein erster Instinkt war, blind auf sie zuzurennen und sie in die Arme zu schließen, doch ich gab ihm nicht nach. Ich ging rückwärts möglichst zügig trotz der Schmerzen in ihre Richtung, sicherte die Tür weiter mit meinem Blick und der Pistole ab. Als ich bei Aryana ankam, ließ ich die Waffe sinken, klappte das Nachtsichtgerät nach oben weg und ging neben ihr in die Knie, versuchte dabei das Gesicht so gut wie möglich nicht zu verziehen und zog sie schwer atmend an meine Brust. “Endlich.”, hauchte ich ein beinahe stummes Wort und machte dabei für nur eine lange Sekunde die angestrengten Augen zu. Es war mir ewig vorgekommen, seit dem verklungenen aktiven Schusswechsel und ihrem Auftauchen. Eine flüchtige Umarmung – die für meine völlig aufgekratzte Seele unabdingbar war – mit unruhigem Durchatmen später schob ich sie jedoch vorsichtig an der Schulter von mir weg. Sah ihr zuerst ins Gesicht und musterte dann flüchtig ihren Oberkörper, was im Grunde sinnlos war, weil es ohnehin viel zu dunkel war, um Verletzungen leicht entdecken zu können. “Bist du okay?”, fragte ich deshalb nach und sah nervös die Antwort abwartend zurück in ihr schemenhaftes Gesicht. In ihr schönes, zum Glück ziemlich unversehrtes Gesicht. Ob wir gleich Nolons Leiche waghalsig den Schlüssel abknöpfen oder den Wagen einfach kurzschließen würden, konnten wir auch nach dem Statusupdate noch klären. Letzteres war ohnehin essentiell für unser weiteres Vorgehen. Wir mussten uns auch noch auf eine Version für unsere spätere Geschichte einigen und unsere Peilsender entsprechend loswerden.
Sie hätte in ein Wespennest stürmen können und hätte es erst gemerkt, wenn sie vollkommen verstochen draufgegangen wäre, weil ihr einziger Fokus auf der Tür lag. Das war waghalsig und gefährlich - aber zu ihrer Verteidigung blieb zu sagen, dass die Hallen mittlerweile so gut wie leer waren und ihr Verfolger doch ein sehr dringendes Problem darstellte. Dringend genug, dass Aryana keine Zeit blieb, um sich in dem Raum umzusehen, den sie betreten hatte. Dringend genug, als dass sie sich nur so rasch wie möglich hinter die nächste Deckung hatte fliehen können, bevor die Tür wieder aufschwang, um dem Guerilla Einlass zu gewähren. Sie schoss, aber die Kugel war nicht gezielt genug gewesen. Zwei weitere Schüsse erklangen, Aryana befürchtete bereits das Schlimmste - aber zu ihrer Überraschung war das keine Verstärkung für ihn, sondern Verstärkung für sie. Der Angreifer sank zu Boden, röchelte noch, als sie ihren Retter, dessen Schatten sich aus seinem Versteck löste und in Richtung Tür schob, längst erkannt hatte. Und seine Erscheinung liess sie aufatmen, nahm ihr eine riesige Last vom Herzen und auf ihrem Gesicht bildete sich fast sofort ein erleichtertes Lächeln, obwohl die Situation noch gar nicht rundum entschärft war. Mitch lebte, er war fit genug, um zu schiessen, er kam auf sie zu, sie hatte ihn gefunden. Sie hatten den Anfang fast überlebt und damit ohne Zweifel einen der kritischsten Teile ihres gesamten Plans. Jetzt nur noch heil hier raus, heil zum Wagen und dann tausende von Kilometern unbeschadet zum Ziel. Quasi nichts. Sie hatte das Hinken gesehen, als er auf sie zugekommen war, obwohl sie noch damit beschäftigt gewesen war, den Rest der Halle mit ihren Blicken abzusuchen. Da Mitch sich jedoch bereits vor ihr hier drin aufgehalten hatte, ging sie nicht davon aus, auf weitere akute Gefahr zu stossen und ihr Blick traf erneut auf ihn, als er bei ihr ankam. Auch Aryana klappte das Nachtsichtgerät weg, erwiderte die Umarmung mit der gleichen Erleichterung und den gleichen überwältigenden Gefühlen. Er schob sie zu bald wieder von sich und doch wusste sie, dass es richtig war. Dass sie hier noch nicht alles überstanden hatten, noch nicht in Sicherheit waren. Was auch seine Frage implizierte und Aryana blickte an sich runter, auf ihren rechten Unterarm, den sie bis hierher gut ignoriert hatte. "Hab was erwischt aber ist nicht schlimm, glaub ich...", meinte sie, zog sich dabei bereits den linken Handschuh aus, um sich anschliessend den nassen Ärmel des verletzten Arms hochzukrempeln. Noch während sie dabei war, die Verletzung des vermeintlichen Streifschusses freizulegen, hob sie den Blick aber erneut in Mitchs Gesicht. "Was ist mit dir? Du hinkst", fragte sie zurück, schob dem gleich eine Feststellung nach, damit er gar nicht auf die Idee kam, irgendwas zu beschönigen. Sie hatte es bereits gesehen. Aryana ertastete die Verletzung im Halbdunkeln, war sich anhand der Schmerzen sicher, dass es nichts Lebensbedrohliches sein würde und machte sich rasch daran, die Wunde zu verbinden, um das auch so zu behalten. Bluten tat sie nämlich natürlich trotzdem, als würde ihr Leben in umgekehrter Form davon abhängen, als es tatsächlich der Fall war. Sie nahm die Hilfe ihres Freundes in Anspruch, um mit zusammengebissenen Zähnen den Verband zu knoten, zog dann den Handschuh wieder über ihre verschmierten und nur dürftig am Hosenbein abgewischten Finger. "Liegt Nolan weit von hier? Ich nehme an, dass er den Autoschlüssel auf sich trägt, oder?", erkundigte sich die Brünette betreffend ihres weiteren Vorgehens. Wenn sie sowieso an der Leiche vorbeikamen auf dem Weg zum Wagen, würde der offizielle Diebstahl sicher die schnellere Flucht ermöglichen als ein Kurzschluss. Aber wenn sie dafür noch ewig durch diese verdammten Hallen irren mussten, war der Zeitgewinn das Risiko möglicherweise nicht wert.
Es war grundsätzlich so, dass ich Aryanas Verletzungen als wichtiger empfand als meine eigenen. Vermutlich ging es ihr andersrum oft ähnlich. Soweit ich es bei diesen miserablen Lichtverhältnissen beurteilen konnte, war sie aber definitiv nicht lebensbedrohlich verletzt. Der Streifschuss würde zweifelsohne die nächste Narbe hinterlassen, aber für uns gab es Schlimmeres. Wundinfektion zum Beispiel. „Stichwunde unterhalb der Weste, hab die Blutung aber schon eingedämmt. Bisher merk‘ ich nichts.“, gab ich ehrlich zu Protokoll. Der letzte Satz bezog sich auf den Blutverlust und damit einhergehende Kreislaufprobleme. Natürlich würde der Einstich nicht zu bluten aufhören, bis er ansatzweise sauber zugenäht war, aber der Druckverband gab uns einen Zeitpuffer. Ähnlich war es mit Aryanas Streifschuss. Der konnte auch eine Naht vertragen, damit keine unnötig große Narbe zurückblieb, aber vorerst tat es ein Verband. Wie es explizit um ihren Arm stand, konnte ich in der Dunkelheit jedoch unmöglich erkennen, während ich ihr dabei half, den Verband so gezielt wie möglich festzuziehen. Dabei presste ich selbst die Lippen aufeinander, weil ich der Brünetten nur sehr ungerne wehtat – es war in diesem Moment leider trotzdem notwendig. Ich beobachtete Aryana dabei, wie sie sich wieder vollständig anzog. Den Griff zu meinem Holster, in dem die Pistole zwischenzeitlich verstaut war, tätigte ich gleichzeitig wie im Schlaf, ohne hinzusehen. Bei Aryanas nächster Frage sah ich jedoch zurück in ihr Gesicht und zog nickend die Waffe. „Ja, den hat Nolon… er liegt nur etwa zehn Meter außerhalb des Fensters“, ich deutete auf die kaputte Scheibe, die sich wiederum ein paar Meter von der Tür entfernt befand, durch die meine bessere Hälfte reingekommen war, „und theoretisch können wir von da aus direkt weiter zum Wagen, ist kein Umweg. Bist du draußen noch auf viel Widerstand gestoßen? Wenn nicht, würde ich sagen, wir holen den Schlüssel, statt weiter hinten aus der Halle zu klettern.“ Ich zuckte schwach mit den Schultern und deutete grob in die Richtung, in der das erste Fenster lag, durch das ich heute geklettert war. Es lag näher an der Grundstücksgrenze. Sollte draußen noch Trubel herrschen, wäre es sicherer, den Großteil des Rückweges innerhalb der Halle zurückzulegen, in der wir gerade saßen. Da sich das Fahrzeug später aber sicher besser inklusive Schlüssel verkaufen lassen würde, wäre es schon gut, den zu haben – falls das Risiko nicht zu groß war. Immerhin war das unsere einzige Chance auf Geld für die anstehende Reise. Von unseren Waffen oder der Munition was zu verkaufen wäre leichtsinnig. Laut Ryatt wurde es im Norden des Kontinents nur schlimmer mit Guerillas, da sollten wir nicht mit schlechter Verteidigung reinstolpern. Immerhin verlief bis jetzt alles ziemlich genau nach seiner Prognose. “Wegen der Peilsender…” Ich dachte kurz nach – hauptsächlich über die tausend Dinge, die Ryatt uns diesbezüglich ans Herz gelegt hatte. “...würde ich vorschlagen, wir lassen beide hier. Nicht an der exakt selben Stelle, aber wenn wir bei der Story bleiben, dass wir gekidnappt wurden, sollten wir keine Zeit mit dem sterben werden verlieren.“, schlug ich vor, sprach dabei aufgrund des Nachdenkens jedoch insgesamt etwas langsamer. Es war die sicherste Variante, wenn wir vermeintlich noch hier auf dem Grundstück von der Gegenseite gefangen genommen wurden. Denn das erklärte den Verlust des Funkkontakts - uns würde in Gefangenschaft jedwede Ausrüstung abgenommen werden - und es kam auch keiner auf die Idee, uns beiden zu unterstellen, wir hätten uns Easterlins Wagen genommen. Der wurde selbstredend auch getrackt und das zu unterbinden würde zu lange dauern - wir mussten hier weg und unser GPS-Signal durfte keine Bewegung mehr verzeichnen, wenn die Basis versuchte, uns zwecks Evakuierung erneut zu erreichen. In unserer Version der Geschichte hätten wir in den kommenden Stunden also auch nie in unserem Einsatzfahrzeug gesessen, sondern uns erstmal mit den Guerillas herumgeschlagen und dann mit Nichts dagestanden. Äußerst widrige Umstände also, könnte man sagen. Um gegen zu checken, wie weit der Rest unseres längst ausgeflogenen Teams mit der Mission war, drehte ich den Funk an meinem Ohr leise wieder auf. Den Funksprüchen zufolge waren sie noch mit der hitzigen Verfolgungsjagd beschäftigt. Die Zielperson im LKW wurde aber bereits mitsamt Fracht gestoppt, der G-Wagon hingegen hielt eisern gegen Easterlins Trupp. Damit sollte er auch ruhig noch ein bisschen weitermachen.
Aryana nickte schwach, als er ihr das Ausmass seiner Verletzung kundtat. Stichwunden waren ungünstig, weil schwer einzuschätzen, und unterhalb der Weste war auch irgendwie unglücklich. Aber sie vertraute auf seine Worte und hoffte, dass es so blieb. Dass er nicht nur durchhielt, bis sie beim Auto ankamen, sondern sie möglichst auch längerfristig ohne fachliche Hilfe mit diesen Verletzungen fertig wurden. Immerhin ihre Flucht von diesem Ausgangsstandort sollte sich hoffentlich nicht mehr sonderlich aufregend gestalten. Nolon lag scheinbar nicht weit entfernt, was die Beschaffung des Fahrzeugschlüssels deutlich erleichterte. "Nein, nicht mehr viel los bis auf den da", sie nickte knapp in Richtung ihres toten Verfolgers, dem sie ihre eigene - absolut unnötige - Verletzung zu verdanken hatte. "Bin also auch für Schlüssel holen und möglichst rasch weg von hier." Als er die Peilsender und damit ihre Helme erwähnte, dachte Aryana einen kurzen Moment nach, bevor sie auch hier langsam zustimmend nickte. "Ja, das ist gut... Aber lass warten, bis wir am Rand der Hallen angekommen sind. Ich hab' keine Lust, dass dir bis dahin doch noch der Kopf weggepustet wird.", meinte sie, ihr Tonfall leicht sarkastisch, obwohl ihr das Anliegen durchaus am Herzen lag. Diesen einen Guerilla hatte sie auch nicht kommen sehen, es war also noch lange nicht ausgeschlossen, dass sie auf dem verbleibenden Rest ihrer Flucht zum Auto auf weitere seinesgleichen trafen. Ausserdem waren auch die Nachtsichtgeräte nicht unpraktisch, die später mit den Sendern und den Helmen zurückbleiben würden. Sie einigten sich auf dieses Vorgehen, womit der nächste Schritt darin bestand, den Schlüssel zu organisieren. Aryana klappte ihr Nachtsichtgerät wieder runter, um zur Tür zurück zu gehen, wo sie kurz wartete und lauschte, nachdem sie diese einen lautlosen Spalt breit aufgezogen hatte. Es war still, zumindest in der unmittelbaren Umgebung. Still genug, dass sie sich nach einem prüfenden Blick zu Mitch mit gezückter Waffe wieder aus der Halle wagte, um in die Richtung zu gehen, wo Nolons Leiche lag. Wahrscheinlich tröpfelte noch immer ein schwacher Fluss frischen Blutes aus den vielen Wunden, die ihn das Leben gekostet hatten, aber Aryana wollte all das gar nicht zu genau untersuchen, als sie neben ihm zu Boden ging. Es verstand sich von selbst, dass Mitch in dieser Situation die Umgebung im Blick behielt, während sie nach dem Schlüssel suchte. Nicht nur, weil er der bessere Schütze war, sondern auch, weil er mit seiner Verletzung nicht so schnell auf den Boden und wieder hoch gekommen wäre wie sie. Glücklicherweise hatte Nolon keine Innentasche zur Aufbewahrung gewählt und Aryana brauchte ihre behandschuhten Finger nicht zu tief ins bereits leicht abgekühlte Blut zu stecken. Nach kurzer Zeit hatte sie in den Fingern, wonach sie gesucht hatte, wischte den Schlüssel fahrig an ihrer Hose sauber, bevor sie ihn einsteckte und nach einem Blick zu Mitch wieder aufstand, um sich zum Auto aufzumachen. Bis zum hinteren Ende der Hallen waren sie tatsächlich ungestört unterwegs, kamen schnell voran und liefen auch niemandem mehr über den Weg. Was bedeutete, dass es nun Zeit wurde, die schützenden Helme abzulegen, wenn sie die Peilsender ganz nach Plan am Ursprungsort zurücklassen wollten. Der letzte Funkspruch, den Aryana genau in dem Moment vernahm, als sie die Schnalle des Helms öffnete, klang fast schon ironisch. "Warwick und Cooper, bitte Status melden.", wurden sie aufgefordert. Vermutlich, weil irgendeiner gerade kalkulieren durfte, ob sie es wert waren, sich mit der halbherzig vorgenommenen Bergungsarbeit zu beeilen. Aber diesbezüglich konnte Aryana Entwarnung geben: Mitch und sie waren weit über den Punkt hinaus, an dem einer von Easterlins Leuten sie noch hätte retten können. Dafür war es ungefähr zwei Jahre zu spät.
Ich vernahm Aryanas Einschätzung bezüglich der möglichen Bedrohungen außerhalb der Halle und auch ihre Meinung zu unserem weiteren Vorgehen, wobei meine Augen kurz zu der Leiche schweiften. Mit dem Blick zurück im Gesicht der Brünetten nickte ich beides ab. Es war das Beste so und das Risiko auf weitere Guerillas zu treffen endete ohnehin nicht mit der Grundstücksgrenze, wir waren hier im Epizentrum des Übels. Aryanas Worte bezüglich der Helme nahm ich mit einem inneren Augenrollen wahr. Zum einen wegen ihrem glänzenden Sarkasmus, den ich sogar in dieser Situation schätzte, und zum anderen, weil mich im Worst Case eines Kopfschusses auch der Helm nicht ausreichend schützen würde, um mich noch effektiv zu bewegen oder gar gezielt zu verteidigen. Da wäre eine starke Gehirnerschütterung noch das allerkleinste Übel. „Dachte eigentlich, du würdest mich grundsätzlich gerne auf den letzten Metern zum Auto tragen.“, stieg ich wie so oft trocken auf ihren Humor ein. Das hier würde sicher nicht die letzte Situation sein, in der wir uns den Moment mit unpassenden Kommentaren erleichterten, bevor es wieder ernst wurde. Nämlich jetzt, wo ich hinter ihr durch die Tür nach draußen schlüpfte und sie möglichst leise schloss, um keine unnötigen Geräusche zu erzeugen. Daraufhin wendete ich ihr den Rücken zu, um rückwärts gehend mit erhobener Pistole den Weg hinter uns zu sichern. Ein kurzer Seitenblick auf die Straße, in der sich das größte Massaker abgespielt hat, bestätigte mir, was ich im Funk und von Aryana gehört hatte. Als sie innehielt, um den Schlüssel zu bergen, tat ich es ihr gleich und hielt die Position. Dabei heftete ich mich an die nahe Wand, um mich so unsichtbar wie möglich zu machen und den Stich ein wenig zu entlasten, behielt dabei bestmöglich alle Richtungen abwechselnd im Blick. Die umliegenden toten Körper inklusive Nolon anzusehen, vermied ich dabei effizient, um mir nicht noch mehr Stoff für Alpträume zu liefern – als gäbe es da noch Bedarf, als würde das noch einen Unterschied machen. Schließlich konnte ich den Schlüssel leise klimpern hören und kurz darauf ging es ohne Zwischenfälle weiter wie zuvor, bis uns an der Grundstücksgrenze der nächste Funkspruch erreichte. Der nächste und letzte. Es war im Grunde nicht weniger als perfektes Timing: Man wird uns glauben, wenn wir berichten, dass unsere Geiselnehmer uns sofort unserer Ausrüstung entledigt hatten, als unsere Funkgeräte sich bemerkbar gemacht hatten. Dass das Tracking dann auch genau hier, genau in diesem Moment endete, war nur logisch. Ich wartete mit dem Abnehmen meines Helms dennoch, bis Aryana ihren abgelegt hatte, um unsere Abwehr aufrechtzuerhalten. Als sie fertig war, senkte ich während dem Abziehen meines Kopfschutzes die Pistole, nur um sie sofort wieder anzuheben, kaum hatte mein Helm den Boden erreicht. “Positionswechsel, ich kenn’ die Straßen schon.”, sagte ich mit leicht gesenkter Stimme und einem beiläufigen Nicken hinter mich zu Aryana, als wir kurz Blickkontakt hatten. Ich wusste genau, wo der Wagen stand und welche der schmalen Gassen wir nehmen mussten. Außerdem hielt ich die Brünette auch grundsätzlich gerne hinter mir, zum Schutz — ein willkommener Nebeneffekt. Ich ging an ihr vorbei und erst auf dem Weg zum Auto schlich sich langsam das Gefühl von sich lösenden Fesseln in meine Brust. Der Kampf war noch lange nicht vorbei, würde noch Monate dauern, aber hier und jetzt hatte Easterlin trotzdem keine Kontrolle mehr über uns. Wir tauchten ab, bis tief unter sein elendig breit gefächertes Radar. Es gab mir neuen Antrieb, obwohl der Schmerz sich weiterhin bei jedem Schritt von meiner Hüfte bis in den Oberschenkel zog. Meine Schritte hatten also trotz meiner Verletzung ein relativ zügiges Tempo, wobei ich noch immer darauf bedacht war, mich nahe an den Wänden zu bewegen. Ein paar Mal hörte ich leise Stimmen oder andere Geräusche und verlangsamte kurz, immer mit flüchtigem Kontakt zu Aryana – meist stumme Handzeichen – bevor es zügig ohne Kollision mit möglicher Gefahr weiterging. Die wartete erst am gepanzerten Wagen auf uns. Ich hörte schon vorher ein paar Männer reden und wurde langsamer. Nur vorsichtig ging ich auf so leisen Sohlen wie nur möglich bis zur Ecke des Hauses neben uns und lugte noch vorsichtiger daran vorbei, deutete Aryana gleichzeitig mit der Hand, inne zu halten. Ich konnte vier Guerillas sehen, die scheinbar darauf warteten, dass irgendjemand versuchte, das Auto wieder abzuholen. Zwei lehnten an der von uns abgewandten Motorhaube, von denen einer von hier aus schlecht zu treffen war. Der Dritte hat das Heck aufgebrochen und durchwühlte gerade die Ausrüstung, die wir selber dringend brauchten. Der vierte patrouillierte langsamen Schrittes die Straße entlang, sah sich dabei wachsam um. Keine günstige Ausgangslage – ein undurchdachter, länger anhaltender Schusswechsel würde Aufmerksamkeit auf sich ziehen, was wir dringend vermeiden sollten. Ich zog mich gänzlich in die Deckung zurück, um Rücksprache mit Aryana zu halten. “Wir müssen uns aufteilen, dann können wir den Schusswechsel kurz halten. Es sind vier… einer von uns sollte zwei Häuser weiter in dieser Richtung”, ich machte eine entsprechende Handgeste, “Stellung beziehen und die beiden an der Motorhaube umlegen.” Ich stand dicht bei Aryana und sprach insgesamt leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war nun etwas ungünstig, dass wir keine Möglichkeit hatten, uns über eine Distanz hinweg ohne Sichtkontakt zu verständigen, weshalb ich kurz nachdachte. “Das solltest du machen, dann bist du gleich näher am Wagen. Ist sicher nicht sinnvoll, wenn ich jetzt fahre, mit dem Stich…”, dachte ich laut nach. Mit dem rechten Fuß müsste ich im Stadtverkehr ständig schalten und es würde meine Wunde wohl mehr belasten, als wenn Aryana mit ihrem Streifschuss das Lenkrad bediente. Beides war beschissen, aber das war die mildeste Lösung für den Moment. “Ich halte mich bereit und wenn du den ersten Schuss abgibst, schalte ich die anderen beiden aus.”, nickte ich ihr abschließend zu. Mir schien das die einzige Möglichkeit zu sein, ein einigermaßen reibungsloses Abwickeln der Situation zu erreichen, um schnell von hier wegzukommen und danach bestenfalls keine weiteren Kletten am Arsch zu haben. Selbst wenn uns Jemand folgte, hatten wir im Auto mehr Schutz als hier auf der Straße.
Sie liess es sich selbstverständlich nicht nehmen, ein zweites Mal auf die wenig ernstgemeinte Äusserung seinerseits einzugehen. Weil sie die kurzfristige Lockerung der Anspannung dringend brauchte und weil er ihr eine etwas zu gute Vorlage bot. "Du würdest mir einen Traum erfüllen aber dazu müsstest du für ein paar Meter deine toxische Männlichkeit ablegen und dich von einer schwachen Frau tragen lassen und ich weiss bedauerlicherweise nicht, ob du das hinkriegst", seufzte sie, als wäre irgendeiner der genannten Punkte tatsächlich wahr und dabei auch noch ernsthaft belastend für sie. Trotzdem schenkte die Brünette ihm noch ein versöhnendes Lächeln, bevor der Ernst der Lage sie wieder einholte und die Flucht mit all ihren Gefahren erneut in den Fokus rückte. Die Helme blieben wie vereinbart am äusseren Rand der Hallen zurück und Aryana nickte, als Mitch sie aus gutem Grund aufforderte, ab hier hinter ihm zu gehen. Tatsächlich fühlte sie sich bei dem folgenden Rückzug durch die Gassen ein bisschen nackt ohne den Helm. Abgesehen von der zusätzlichen Gefahr, die damit einherging, war die sanfte Brise, die hier draussen einzelne ihrer dunklen Haarsträhnen umspielte, aber sehr erfrischend, fast verheissungsvoll. Der frische Wind aus einer Zukunft, die so viel besser werden würde, wenn sie das hier erstmal überlebt hatten. Aryana stoppte, als sie die Stimmen hörte und Mitch die Hand hob. Wartet auf seine Rückmeldung, die wenig später erfolgte und ihr insgesamt zwar nicht sehr gefiel, aber immerhin auch keine unlösbare Ausgangslage schilderte. Vier Guerillas waren vier zu viel - aber mit vier konnten sie fertig werden, wenn sie sich geschickt anstellten und was anderes stand heute sowieso nicht zur Auswahl. Aufteilen fand sie eigentlich schlecht, aber sie sah auch ein, dass es sinnvoll war und so verzichtete sie auf überflüssig umfangreiche wörtliche Resonanz. "In Ordnung. Bis gleich und pass auf", war alles, was sie leise erwiderte, ehe sie sich nach einem kurzen Blick in seine Augen und einem minimalen Zögern abwandte, um sich in einem Bogen durch die Gassen auf die andere Seite des Wagens zu bewegen. Sie erreichte den angepeilten Standort ohne Zwischenfälle, bezog Stellung und warf zum ersten Mal einen Blick auf die Herausforderung, die sich ihnen bot. Aryana atmete flach durch die Nase aus, ihre Finger lagen ruhig am Abzug, die Schultern angespannt und doch strahlte alles an ihr pure Kontrolle aus. Das Einzige, was sie sich leisten konnte. Diese zwei noch. Es könnte, wenn sie viel Glück hatten, sogar sein, dass sie die letzten waren. Dass ihre Hände nach diesen beiden keine weiteren Leichen mehr schaffen mussten. Diese zwei, keine fünfzig Meter von ihr entfernt. Ein sauberer Schuss pro Kopf, wenn sie es richtig machte, kurz und schmerzlos. Sie musste es richtig machen. Und sie durfte nicht so viel denken, nicht hier, nicht jetzt. Alles später, alles irgendwann, wenn das hier durch war. Sie zielte, wollte gerade abdrücken und Aryana hatte keine Ahnung, welch teuflisches Timing es so gewollt hatte, aber natürlich musste die gottverdammte Gestalt eines Strassenjungen genau in dem Moment viel zu nahe bei ihr zwischen den Häusern herumwuseln, hatte seine Nase offensichtlich ungesund tief in fremde Angelegenheiten stecken wollen. Natürlich musste er damit die Aufmerksamkeit der Guerillas auf sich ziehen. Natürlich musste der, auf den der Lauf ihrer Waffe nicht gerichtet war, seine Knarre auf den Jungen richten und natürlich schoss er schneller, als dass ihre Kugel ihn davon abgehalten hätte. Sie traf ihn aufgrund des spontanen Zielwechsels nur an der Schulter, zog damit nun jegliche Aufmerksamkeit der aufgebrachten Männer in ihre Richtung. Der ihrerseits sofort nachgelegte Schuss traf ihn schliesslich tödlich, aber das änderte nichts daran, dass sie sich unter dem folgenden Kugelhagel vollständig hinter die Hausmauer zurückziehen und ihre Position wechseln musste. Theoretisch. Wenn da nicht ein vielleicht toter, vielleicht noch lebender Junge liegen würde. Sie hörte die Schüsse, sie wusste, dass Mitch kämpfte und sie wusste, dass sie ihn unterstützen sollte. Sie wusste, dass sie ihn nicht im Stich lassen durfte oder wollte. Trotzdem zögerte sie viel zu lange, ihre Augen auf die blutende Gestalt gerichtet. Leben. Sie wollte leben. Leben und weg hier und beides nur mit Mitch. Aryana riss sich los, eilte ein Haus weiter, viel zu spät und sie wusste nicht, wie viele Sekunden sie verloren hatte. Aber sie hörte noch immer Schüsse, da war Mitch und sie musste ihm helfen. Zusammen überleben. Das war der Fokus und wenn Mitch etwas passierte, würde sie es sich nie verzeihen, diesen im entscheidenden Moment aus den Augen verloren zu haben.
ich denke du weißt's, wills aber trotzdem nochmal erwähnen: Gibt keinen Grund, dass du dich an meine Textlänge halten müsstest. I just gooo with se flooow... x'D __________
Manchmal war ich wirklich ziemlich toxisch, oder? Vielleicht nur nicht unbedingt, wenn es darum ging, mich schwer verletzt vom Schlachtfeld schleppen zu lassen, weil ich in diesem Moment wahrscheinlich andere Sorgen hätte. Ich tat Aryanas Witz mit einem flüchtigen Augenrollen und zuckendem Mundwinkel ab – für mehr war ohnehin keine Zeit. Ich hasste es auch dieses Mal, als sich unsere Wege nahe unseres Fluchtfahrzeugs trennten. Mein leise gehauchtes “Du auch” kam beinahe zu spät, Aryana war schon im Begriff, sich umzudrehen. Ich blickte ihr naiv hinterher, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwand und ich mich mit einem tiefen Atemzug wieder dem Gefahrenherd zuwendete. Inzwischen war mir jeder Abschied von ihr zu kurz. Wir waren noch nie für endlose Umarmungen oder Küsse gewesen, wenn nur einer unser beider Schatten durch die Wohnungstür ging. Hier hingegen konnte jeder Abschied der letzte sein… aber das durfte nicht passieren. Das würde es nicht. Ich klebte förmlich an der Hauswand und war wegen meines massigen Körpers froh über die Dunkelheit. Sie war nur sehr ungünstig fürs Zielen, weshalb ich beschloss, zuerst den Guerilla ins Visier zu nehmen, der weiter entfernt war. Das war der patrouillierende, der durch seine Bewegung vermutlich ohnehin schwerer zu treffen sein würde. Meine Hüfte pochte und meine alte Schulterverletzung machte sich nach den heute schon kassierten Rückstößen bemerkbar, als ich die Hände erneut hob und den Kopf der Patrouille ins Visier nahm. Ich ignorierte das leichte Stechen und Ziehen so erfolgreich wie immer, atmete gleichmäßig und scheuchte jeden Zweifel, der sich in mein Hirn zu schleichen versuchte, sofort wieder beiseite. Doch dann verschob sich der Fokus der Guerillas unerwartet und alle Köpfe drehten sich beinahe zeitgleich in dieselbe Richtung. Auch meiner, denn es war grob Aryanas Richtung und sie war nicht die erste, die schoss. Mein Herz stand still, bis ich erkannte, dass der Körper, der in der Sekunde darauf zu Boden sackte, viel zu klein für sie war. Erleichterung und Eiseskälte fluteten gleichzeitig meine Adern und ich hatte den Fokus verloren. Nicht für lange und trotzdem musste ich mein Ziel jetzt neu anvisieren, während ich betete, dass die Brünette nichts abbekommen hatte… und würde. Weil keiner mit mir rechnete, schossen alle in Aryanas Richtung und mir glückte der erste Schuss reibungslos. Die Patrouille, die sich in Deckung begeben hatte – allerdings nur aus Aryanas Richtung gesehen – sank in sich zusammen. Ich versuchte, nicht an die Brünette zu denken, und doch war das ein recht aussichtsloses Unterfangen, während ich mein nächstes Ziel zu erwischen versuchte und Der erste Schuss auf mein zweites Ziel ging daneben. Der zweite. Auch der dritte. Er hielt sich geschickt hinter dem Wagen in Deckung und wenn er sich weit genug raus lehnte, um ihn gut treffen zu können, dann schoss er. Ich tat das gleiche. Es war aussichtlos und den Guerilla, der noch immer auf Aryana schoss, konnte ich von hier genauso wenig treffen. Zwei Kugel landeten nahe meines Kopfes in der Wand und ich kniff reflexartig die Augen zu, als der abplatzende Putz mir spürbar das Gesicht zerkratzte. Es dauerte lange, viel zu lange, bis ich tatsächlich wieder einen Schuss hören konnte, der weder meiner, noch einer der Guerillas war. Vielleicht war sie verletzt. Hoffentlich nicht. Ich sollte objektiv betrachtet nicht darüber nachdenken und doch tat ich es für einen Moment, in dem ich mich in Deckung befand, ganz bewusst. Denn es war am Ende genau das, was mich auch dieses Mal zurück in den Fokus schubste – der Blick auf das Ziel, auf Aryana. Der Blick darauf, dass wir hier beide noch abkratzen konnten und keiner von uns ohne den anderen nach Hause gehen würde. Wir überlebten beide oder keiner. Faye ging ohne Schwester und nicht blutsverwandtem Bruder hier raus, oder sie behielt beide. Victors Geburtstag mit dieser beschissenen Mission zu versauen, sollte verdammt nochmal nicht umsonst gewesen sein. Aryana schien ihre Position gewechselt zu haben, denn die Guerillas verschoben sich etwas, kaum hatte sie das Feuer wieder aufgenommen. Es war eigentlich nicht der Plan gewesen, aber der war ohnehin schon hinüber, also nahm ich den jetzt durch den Positionswechsel von mir anvisierbaren Guerilla ins Fadenkreuz, der eigentlich noch auf Aryanas Liste stand, während mein eigentliches Ziel sich zum Nachladen verkrümelt hatte. Er bewegte sich, also versuchte ich überhaupt nicht, den Kopf zu treffen. Ich nahm einen gleichmäßigen Atemzug und meine Kugel traf ihn irgendwo im Oberkörper. Noch regte er sich, doch er fiel aus der Deckung auf den Boden. Ich vertraute darauf, dass Aryana ihm den Rest gab und musste darauf nicht mehr sehr lange warten. Ich schoss schon wieder auf den noch unverwundeten Guerilla am Heck, als er scheinbar in Panik verfiel. Er gab weitere Schüsse ab, die grob in meine Richtung zielten, als er sich vom Wagen löste und los rannte, offenbar eine nahe Gasse anpeilte. Dass er mich so traf, war sehr unwahrscheinlich, also lehnte ich mich weiter aus der Deckung. Ich traf ihn auf Bauchhöhe in den Rücken. Weil er sich noch rührte, gab ich weitere Schüsse auf. Vielleicht hätte einer gereicht und es hätte nicht zwei Kugeln gebraucht – wenn es um Aryana ging, machte ich aber keine halben Sachen. Auch nicht, wenn es um das Blut an meinen Händen ging. Der Kugelhagel erstarb und es kehrte flüchtige Ruhe ein. Ich wollte instinktiv zu Aryana rennen, schob mich trotzdem zuerst langsam aus der Deckung, als ich plötzlich in der Gasse hinter mir Schritte hörte. Laute, schnelle Schritte, mehr als ein Paar. Damit war mich einfach auf die andere Seite des Hauses zu verkriechen keine Option mehr. Den ersten würde ich sicher treffen, den zweiten vielleicht nicht mehr und wer wusste schon, wie viele da kamen. Noch eine klaffende, blutende Wunde würde ich mit Pech nicht überleben. Also rannte ich los, um sie mit mir aus der Deckung zu locken. Nicht zu Aryana, sondern schräg zum Wagen. So hatte sie zumindest eine Möglichkeit, sie zu erwischen. Die Stichwunde bremste mich bei jedem zweiten Schritt und mein ganzer Körper fing Feuer im Schmerz, während ich das Maschinengewehr mit einer Hand festhielt, damit es mir nicht ständig gegen die Schutzweste prallte. Doch ich durfte nicht langsamer werden, es war nicht einmal Zeit mich nach Aryana umzusehen – geschweige denn nach dem Jungen, der mich unweigerlich daran erinnerte, dass ich nicht nur Jetman, sondern auch Josh wieder im Stich gelassen hatte, so als müsste ich dieses Verhalten unbedingt wie einen roten Faden durch mein ganzes beschissenes Leben ziehen. Schüsse eines Maschinengewehrs zischten durch die Luft und schlugen um mich herum im Boden ein. Als ich beinahe am Wagen angekommen war, fing ich an zu taumeln, begriff in diesem Moment jedoch nicht, weshalb und rutschte auf der platt gefahrenen Straße aus nichts als verdammter Erde auch noch aus, als ich mich mit letzter Kraft hinter dem Auto in Deckung warf. Meine Raucherlunge brannte, ich atmete schwer und das Herz pochte mir in den Ohren, während ich mich mit dem Rücken am Wagen aufrichtete. Mir wurde für einen kurzen Moment schwummrig vor Augen, daraufhin steckte ich die Pistole weg und wechselte zum Maschinengewehr. Das Magazin der Pistole war so gut wie leer und mir zitterten die Finger zu stark, als dass ich mir einen schnellen Magazinwechsel zutraute. Mein Körper kam seinem Limit näher und mit dem MG musste ich dank mehr abgefeuerter Kugeln weniger genau zielen.