Faye nichts zu sagen war mitunter wohl auch deshalb richtig, weil es Aryana zusätzlich belasten würde. Auch hier wieder – Pest oder Cholera, Irgendwem ging es mit der Wahrheit schlechter als dem anderen. Ich sollte mich mehr darauf fokussieren, was für die ältere Cooper in diesem Augenblick besser war…. Faye würde mir das Schweigen viel leichter vergeben als eine tote Schwester, die auch ohne diese zusätzliche Belastung schon am Ende war. Deswegen die Frage nach dem Waschlappen für ihr ungewöhnlich verheultes Gesicht. Ich nickte sofort und nahm Gewicht auf die Hände auf, um es mit dem Aufstehen leichter zu haben. “Ja, sicher.”, bestätigte ich, während ich aufstand. Dann hinkte ich zum Kleiderschrank. In dem kleinen Badezimmer war nicht wirklich Platz für Schränke mit tatsächlichem Stauraum, deswegen hatte ich auch Handtücher und Co. beim Rest meiner Wäsche verstaut. Ich nahm einen der beiden frisch gewaschenen Waschlappen aus dem Fach, schloss die Schranktür wieder und ging zu Aryana zurück, um ihr das Stück Stoff mit einem schwachen Lächeln zu reichen. Das Bedauern und das Mitgefühl, das ich in diesem Moment bei ihrem Anblick empfand, versuchte ich jedoch für mich zu behalten. Auch wenn es wirklich nicht meine Absicht gewesen war, sie derartig zu Tränen zu rühren, war ich mir ziemlich sicher, dass sie dafür jetzt nicht auch noch mein Mitleid wollte. Ich sah der Brünetten kurz nach, als sie im Bad verschwand und stand dann erstmal da wie bestellt und nicht abgeholt. Ein paar tiefe Atemzüge später hatte sich der lebhafte Druck auf meiner Brust minimiert und ich hatte nicht mehr das Gefühl, jeden Moment mit starken Kopfschmerzen gesegnet zu werden. Ich holte mir selbst ein Glas Wasser und kippte es mit zweimal Ansetzen ganz runter, bevor ich es an dem kleinen Küchenwaschbecken ausspülte und mir ein weiteres Mal ziemlich fest übers Gesicht rieb. Nichts davon machte die Umstände wirklich besser, aber es half vorübergehend den Kopf ansatzweise frei zu bekommen. Ich lehnte noch etwas abwesend an der kurzen Theke, als Aryana aus dem Bad kam und… naja, wie zu erwarten nicht urplötzlich völlig erholt aussah. Man sah die Spuren der Tränen zwar nicht mehr, aber ihre roten Augen waren weiterhin offensichtlich. Ihre ersten paar Worte hielten mich dazu an, über weitere mögliche Gegenmaßnahmen nachzudenken und als sie dann schon an der Tür und eigentlich auf dem Sprung war, stieß ich mich von der Küche ab. “Warte kurz.”, hielt ich sie mittels Worten auf, als ich schon auf dem Weg zu der kleinen Garderobe neben der Tür war. Über den Kleiderhaken war noch eine Hutablage in der Wand verschraubt. Da fanden sich zwei Wintermützen, aber auch eine schlichte schwarze Cap ohne jeglichen Wiedererkennungswert. Die hatte ich mir letzten Sommer spontan gekauft, als effektiven Schutz gegen Sonnenstich. Mir standen Caps nicht wirklich gut und sie war nicht teuer, also würde mir bis zum Sommer nicht mal auffallen, dass sie nicht mehr da war. Ich zog sie vom Brett, machte sie etwas enger und hielt sie Aryana hin. “Ist besser als nichts und ich werd’ sie nicht vermissen.” Wenn sie die Cap tief genug zog und den Kopf tendenziell unten hielt, dürfte man von dem verheulten Gesicht nicht mehr allzu viel sehen. “Und meine Tür steht dir weiterhin offen… jetzt, wo du sowieso weißt, wo du mich findest.”, verpackte ich die indirekte Annahme ihres Danks mit einer Prise Humor, einem schiefen Lächeln und leicht angehobenen Augenbrauen. Das Gespräch war für beide Seiten absolut unangenehm gewesen und ich pochte nicht auf eine Wiederholung, aber ich sagte es gerne noch einmal: Aryana sollte mir lieber ständig auf die Nerven gehen, als irgendwas unaussprechlich dummes und unumkehrbares zu tun.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sein Blick bestätigte, was sie schon vor dem Spiegel festgestellt hatte: Sie sah noch immer scheisse aus. Ein bisschen sauberer - sofern man Tränen als schmutzig bezeichnen wollte - aber mehr dann auch nicht. Aryana seufzte innerlich, während sie sich darauf gefasst machte, einfach mit gesenktem Kopf bis zum Parkplatz zu sprinten in der Hoffnung, dass keiner ihr begegnete. Ryatt hatte scheinbar aber doch noch ein kleines Mittel zur Abhilfe zur Hand, wie er ihr bedeutete, als sie schon die Tür erreicht hatte. Sie blickte ihn fragend an, brauchte aber nicht lange zu warten, da streckte er ihr bereits die Cap entgegen. Aryana blickte einen Moment auf das Accessoire, bevor sie nickte und danach griff, um es sich über den Kopf zu ziehen. Ganz unauffällig war es jetzt auch nicht, wenn sie mit einer Cap über das Areal spazierte. Aber wenn sie den Kopf tief genug hielt, erkannte sie keiner, da ihr ganzes Outfit eigentlich unauffällig war. Und dann wäre ein suspektes Erscheinungsbild auch nicht mehr ihr Problem. Aryana nickte auch auf seine weiteren Worte nochmal langsam, auch wenn sie sicher nicht vorhatte, nochmal einen solchen Auftritt zu bieten. Von vorhaben konnte man heute jedoch auch kaum sprechen, also versprach sie mal lieber nicht, dass das nie wieder vorkam. "Danke... halt' fürs nächste Mal besser schonmal eine Skimaske ohne Augenaussparung bereit", kommentierte sie trocken, verzog ein bisschen das Gesicht im Versuch, sein Lächeln zu erwidern. Aber so ganz wollte das noch nicht reichen. War auch egal... "Machs gut", verabschiedete sie sich schliesslich endgültig, als sie den Türgriff fasste und nach einem letzten Blick in seine Richtung die Wohnungstür aufzog. Einen gründlichen Kontrollblick später trat sie auf den Flur hinaus, um dann mit raschem Gang und gesenktem Kopf nach draussen zu huschen. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber die Sonne war schon weit hinter den Bäumen, die das Gelände umgaben, verschwunden und die Gebäude warfen lange Schatten. Irgendwas kurz vor 18:00 Uhr wahrscheinlich, wenn die Sonne definitiv untergehen würde. Wenn Mitch Feierabend hatte, wenn sie sich richtig erinnerte. Für einmal hoffte sie wirklich, dass er sich ein bisschen verspätete. Sich mit einem Kollegen verquatschte oder so, wie ihnen beiden das halt wirklich oft passierte, ha. ha. Sie hatte ihr Auto schnell da gefunden, wo sie es heute Morgen abgestellt hatte - immerhin keine Gedächtnislücke, das war schonmal was. Lag vielleicht auch einfach daran, dass sie immer hier parkten - möglichst nah am Tor, möglichst weit von jeglichen Easterlin-Gebäuden entfernt. Ein wirklich unnötiger Versuch, diesem Drecksladen hier früher zu entwischen, als Ryatt einen Plan für sie bereithielt. Aber heute war sie froh drum, dann konnte sie die kühle Luft noch ein paar Schritte länger auf ihr Gesicht wirken lassen. Und Mitch würde auch etwas länger brauchen, bis er bei ihr wäre. Und sie konnte sich etwas länger überlegen, ob sie auf der Beifahrerseite oder hinter dem Lenkrad einsteigen wollte. Wobei das ein verhältnismässig leichter Entscheid war gerade. Mitch sollte sich ruhig mit dem Verkehr beschäftigen auf dem Nachhauseweg und ganz sicher nicht zu viele Blicke in ihr Gesicht riskieren. Aryana entriegelte den Wagen und liess sich auf den Beifahrersitz sinken. Atmete tief durch und schob sich langsam die Cap vom Kopf. Dann riskierte sie einen Blick in den Spiegel der Sonnenblende... aber selbst bei dem nicht wirklich guten Licht liess sich schlecht übersehen, was Sache war. Sie klappte das Teil wieder hoch und sank mit einem resignierten Seufzen tiefer in den Sitz. Drehte die Cap in den Händen und versuchte, ihren Kopf zu ordnen, während sie darüber nachdachte, wie zur Hölle sie Mitch mit den Tatsachen konfrontieren sollte, die sie in diesen Zustand versetzt hatten.
Eine ganze Weile lang hatte ich wirklich noch aktiv versucht, gegen den Strudel anzukämpfen. Gegen meinen und auch gegen Aryanas. Doch die altbekannte Wut, die sich zu großen Teilen auf mich selbst bezog, schwappte täglich aufs Neue mit einer großen Welle aus Verachtung und Hilflosigkeit in den Hafen, den ich definitiv noch nicht fest genug gemauert hatte. Selbst wenn, hätte ich diesem Tsunami kaum standhalten können. Man kam nicht ans Ziel, wenn man nicht den richtigen Weg dafür ging. Egal wie oft ich mir sagte, dass Mateo und Gil es beide nicht anders verdient hatten und zumindest diese Schuldfrage mich heute tatsächlich nicht mehr quälte, wollte ich einfach nicht mehr diese Person sein. Ein Mann, der bloß einen einfachen Kippschalter in seinem Hirn umzulegen brauchte, um sich von einem Menschen, der nichts als Ruhe und Frieden suchte, in den Teufel höchstpersönlich zu verwandeln. Ich fühlte mich nicht schuldig, weil ich diesen schrecklichen Menschen übel zugerichtet hatte, sondern weil ich nichts getan hatte, um dieses Mal endlich einen besseren, im Idealfall friedlichen Weg zu gehen. Ich wusste auch, dass ich es immer wieder ganz genau so tun würde, wenn eine ähnliche Situation erneut auf der Matte stünde und an meine Tür klopfte. Wenn es keine andere Möglichkeit gab. Es existierte nicht viel in dieser Welt, das mir lieb und heilig war und genau deshalb würde ich es bis aufs Blut verteidigen. Egal mit welchen Konsequenzen, egal mit welchen Mitteln. Mit jedem weiteren Tag wurde mir schmerzlicher bewusst, dass ich aus dieser extremen Persönlichkeit nicht mehr rauskommen würde. Dafür lebte ich schon viel zu lange ein zu hartes Leben und letzteres würde mich für immer prägen. Dass ich diese Erkenntnis irgendwann so hinnahm, machte die Gespräche mit Aryana nicht einfacher oder gar produktiver, irgendwann gaben wir uns damit beide geschlagen. Es brachte nie wirklich viel und gefühlt töteten wir und jedes Mal ein bisschen mehr gegenseitig mit der zu ehrlichen Wahrheit. Ich hatte anfangs noch versucht, die Brünette wenigstens vom Alkohol abzuhalten, weil um dessen Konsequenzen bestens wusste… allerdings erfolglos und nur, um dann ein paar Tage später selbst wieder an mein altes Höchstlevel von Zigarettenkonsum anzuknüpfen. Die Kippen betäubten die Wut oft vorübergehend und sorgten immerhin dafür, dass ich bei der Arbeit Niemandem an die Kehle sprang. Trotzdem war ich täglich ein absolutes Nervenbündel. Jedenfalls bis vor ungefähr zwei Wochen. Da hatte ich für mich selber beschlossen, dass der Therapeut mir sowieso nicht helfen konnte, solange ich in dieser gottverdammten Armee feststeckte und dass sich auch rein gar nichts an meinem Leben ändern würde, solange das kein Ende fand und ich ständig ein ums andere Leben mehr von diesem Planeten fegte. Wieso also noch da hingehen, damit wir zusammen auf der Stelle traten? Ich hörte damit auf, meine ständig kreisenden Gedanken noch umpolen zu wollen. Rief Jetman nicht mehr an. Klammerte mich nicht mehr an Dinge, die mir nichts brachten, solange sich an meinem Lebensstil nichts änderte. Diese endgültige Akzeptanz schubste mich in völlige Taubheit. Ich rauchte jetzt nur noch, weil mein Körper wieder abhängig war. Ich rutschte von den extremsten negativen Gefühlen in einen Zustand völliger Betäubung. Fühlte so gut wie gar nichts mehr, selbst beim Blick in den Spiegel nicht. Ich verfiel in monotones Verhalten und arbeitete den wiederkehrenden Tagesablauf mechanisch ab. Das meiste davon steckte mir ja ohnehin längst in Fleisch und Blut, den kaputten Kopf konnte ich also getrost Zuhause unter der Bettdecke lassen. Ich spürte auch weniger, wenn ich Aryana ansah. Wusste im gleichen Moment aber immer noch, dass sie der einzige Mensch war, den ich jemals auf diese Art lieben würde. Obwohl sie genauso schlecht war wie ich, oder vielleicht genau deswegen. Ich kam selbst nicht aus diesem endlosen Kampf heraus und sah deswegen auch keine Optionen dafür, meiner Freundin aus diesem Schmerz zu helfen. Wusste auch nicht, woher ich den Ansporn dafür noch nehmen sollte. Wie ich noch zehn Jahre unter Easterlins Fuchtel durchhalten sollte, ohne mir nicht doch irgendwann wieder eine Pistole an den Schädel halten zu wollen. Ich ließ mich weiter in der trüben Suppe aus sinnloser Leere treiben, während ich heute am späten Nachmittag auf dem Schießplatz am hinteren Ende des Geländes am Scharfschützengewehr hing. Easterlin hatte neue Visiere für sehr große Distanzen anfertigen lassen, die wir testen und im gleichen Atemzug damit trainieren sollten. Sie waren nicht wirklich gewöhnungsbedürftig, ich traf nach den ersten beiden Schüssen immer ziemlich mittig ins Schwarze und damit versank ich den Rest der Lektion über wieder in schematischen Bewegungen. Nachladen, Zielen, Abdrücken und dann wieder von vorn. Es war heute beinahe windstill, also eine durchweg anspruchslose Übung. Zeitverschwendung, aber es war auch nicht so, als hätte ich was Besseres zu tun – als wäre der Rest meines Lebens gerade irgendwie lebenswert. Nachdem sämtliche Gewehre wieder den Sicherheitsvorschriften entsprechend verräumt waren, holte ich nur noch meinen Rucksack aus dem Spint und kramte nach der Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug im vordersten Fach. Beides verstaute ich in der rechten Hosentasche, bis ich ein paar Minuten später am Parkplatz ankam, wo das Rauchen nicht mehr verboten war, solange man seine Stängel nicht auf den Boden schnippte. Ich blieb nahe einem Mülleimer mit Aschenbecher stehen, während ich an der Kippe zog, weil die im Auto nichts verloren hatte… und weil die kühle Luft angenehmer als die erdrückende Stille im Fahrzeug war. Aryana und ich hatten uns gefühlt täglich noch weniger zu sagen, weil die Situation die gleiche blieb und wir fast auf dieselbe Art innerlich tot waren. Ich warf zwar immer wieder einen Blick zum Auto, ließ mir aber Zeit. Letztendlich trugen meine Füße mich doch zum Wagen und ich sah schon ein paar Meter vorher, dass meine Freundin nicht auf dem Fahrersitz saß. Davon war ich eigentlich ausgegangen, weil sie durchschnittlich öfter am Steuer saß als ich, dachte mir im ersten Moment aber noch nichts weiter dabei. Schweigend ließ ich den Rucksack hinter dem Fahrersitz in den Fußraum fallen, bevor ich mich träge hinters Steuer setzte. Mit den geseufzten Worten “Das war so überflüssig wie erwartet.” griff ich nach dem Gurt, um mich anzuschnallen. Erst als ich die Hand schon nach dem Zündschlüssel ausstreckte, musterte ich Aryana, die bis dahin noch stumm blieb, beiläufig im Augenwinkel. Sie wirkte verkrampft und drehte irgendwas in den Händen, was mich wiederum irritiert zu ihr rübersehen ließ. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass sie gefühlsmäßig mittlerweile deutlich mehr unter Strom stand als ich, aber das war trotzdem ungewöhnlich. Zuerst entdeckte ich die Cap, die nicht ihre sein konnte, weil sie heute früh ohne das Ding ins Auto gestiegen war. Ihre Wangen, ihre Nasenspitze und ihre Lippen waren ungewöhnlich rötlich, ihre Augen gereizt… ich spürte das erste Mal seit Tagen wieder Druck auf der Brust. Mehr als normalerweise, mehr als nur die gewöhnliche Last eines fortwährend mordenden Menschen. Einen Moment lang dachte ich darüber nach, ohne Umschweife nachzuhaken. Es gab wahrscheinlich tausend triftige Gründe, die Aryana in ihrem desolaten Zustand zu Tränen rühren könnten, aber mir fielen nur sehr wenige ein, die sie sogar hier zum Weinen bringen würden. Auf Easterlins Gelände – genau da, wo nur Menschen herumliefen, denen wir unsere momentane Schwäche am allerwenigsten zeigen wollten. Ich blinzelte kurz, wendete schweigend den Blick von ihr ab und schmiss den Motor an. Lenkte den Wagen zuerst vom Gelände und auf die Seitenstraße, die uns durch den Wald geradewegs zur Hauptstraße führen würde. So wie fast jeden eintönigen Tag, heute wars trotzdem anders. “Wirst du’s mir sagen?”, fragte ich nach und räusperte mich direkt im Anschluss, weil mein Hals sich trocken anfühlte und meine Stimme angeschlagen klang. Vielleicht wegen der Kippe, vielleicht wegen der unguten Vorahnung eines Neins als Antwort, vielleicht wegen der ansteigenden Unruhe in meinem Innern. Ich sah weiter geradeaus auf die Straße und war mir nicht mal sicher, wie ich auf ein Nein reagieren sollte. Was, wenn Jemand sie angegangen war? Was, wenn Easterlin ihr rein zufällig über den Weg gelaufen und wieder irgendeine Scheiße von sich gegeben hatte, für die ich ihm zu gerne den Schädel wegpusten würde?
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Ihr unausgesprochener Wunsch, dass Mitch ihr noch ein paar Minuten Zeit gab, bevor er ihr im Auto Gesellschaft leistete, wurde tatsächlich erfüllt. Wirklich was bringen, tat ihr die zusätzlich Zeit zum Nachdenken und sich beruhigen jedoch nicht. Sie fing nicht nochmal an zu weinen, aber trotzdem war sie viel zu aufgewühlt, um mit ein paar tiefen Atemzügen allein ihre Fassung wieder zu erlangen. Als er dann schliesslich zu ihr stiess, sass sie noch immer mit gesenktem Kopf und der Cap zwischen den Fingern ziemlich tief in ihrem Sitz. Schaute auch nicht auf, als er ein kurzes Fazit zu seiner Übung abgab, das ebenfalls kaum überraschend ausfiel. Sie nickte nur schwach und spürte schon seinen Blick auf sich, hörte die bis dahin noch unausgesprochene Frage bereits laut in ihrem Kopf. Aryana versuchte nochmal, tief durchzuatmen, sich etwas aufzurichten und die Hände mit dem Cab ruhig auf ihren Schoss zu betten. Aber sie wusste, dass es ihren Freund kaum wesentlich beruhigen würde. Es war nicht das erste Mal in den letzten Wochen, dass sie weinte. Aber allzu häufig war es trotzdem nicht vorgekommen - jedenfalls nicht in seiner Gesellschaft. Und definitiv noch nie auf diesem Gelände, was wohl der Aspekt war, der ihn am meisten irritierte. Aber er würde seine Erklärung bald genug bekommen. Zuerst mussten sie hier weg. In diesem Auto, dessen Luft sich langsam mit dem Duft von Zigarettenatem mischte. Sie fand es nicht wirklich gut, dass Mitch wieder mit dem Rauchen angefangen hatte. Aber sie wäre die allerletzte, die ihm dafür einen Vorwurf machte oder machen konnte. Er sagte auch nichts mehr, wenn sie zur Flasche griff. Einfach, weil sie beide ein bisschen aufgegeben hatten. Wahrscheinlich in unterschiedlicher Form und unterschiedlichem Ausmass, aber das würde sich bald zeigen. Auf jeden Fall gehörte Mitchs rauchfreie Episode scheinbar in den Lebensabschnitt, in dem es fast gut geworden wäre. In dem es so ausgesehen hatte, als würden sie es schaffen. Als gäbe es ein Morgen, als wäre da noch Hoffnung. Der Klang seiner Stimme verriet deutlich, dass Mitch nicht wirklich mit einem Ja rechnete. Was sicher ein Teil des Problems war... Oder auch nicht, sie hatten es ja schon mit Reden versucht und waren jetzt trotzdem hier angekommen. So wirklich massgeblich geholfen hatte das also auch nicht. Und doch mussten sie es nun wieder tun. Auch wenn Aryana überhaupt kein Bedürfnis verspürte. Lieber stumm nachhause gefahren und unter die Dusche gehuscht wäre, um sich dann mit oder ohne erzwungenem Abendessen unter der Bettdecke zu verkriechen. Das war nur keine Option, wenn es dazu führen würde, dass Ryatt das Gespräch mit Mitch suchte. Das unsanfte, unschöne Gespräch, das viel mehr sie ihrem Freund schuldig war. Ihr Hals schnürte sich schon in diesem Auto wieder zu, als würden sich zwei grosse Hände um ihre Kehle legen. Ihr das Atmen und das Sprechen verbieten wollen, damit sie sich alleine mit den Bürden ihrer Seele erdrückte. Daran erstickte. Sie konnte nicht sofort antworten, obwohl es eigentlich nur eine Antwortmöglichkeit gab. Blickte auf die Cap und dann zum Fenster raus, biss auf ihrer Unterlippe rum, als würde es irgendwas helfen, ihn länger warten zu lassen. "Kannst du... vielleicht nicht nach Hause, sondern zu den Hügeln fahren? Da, wo wir auch schon waren... bisschen ausserhalb?", bat sie ihn noch vor einer Antwort. Ihre Stimme klang heiser, abgeschlagen. Ein bisschen erstickt durch die imaginären Hände, die sie weiterhin umbringen wollten. Sie hatte den Blick aber vorsichtig zu ihm gerichtet, um zu sehen, ob er verstand, welche Hügel sie meinte. Sie waren schon öfter da gewesen. Das erste Mal direkt nachdem er sich die Gitarre gekauft hatte, kurz nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis. Die Hügel waren nahe und von hier kein allzu grosser Umweg. Der Aufstieg zu Fuss dauerte dann auch nur eine Viertelstunde und da erst ganz oben drei Bäume standen, würde ihnen das verbliebene Tageslicht ausreichen, um einigermassen sicher nach oben zu stapfen. Und wieder runter würde dann der Mond helfen. Die Nächte draussen waren zwar noch frisch, aber sie hatten ja beide eine Jacke dabei und eine Decke im Auto, damit sie sich auf den Boden setzen konnten. Irgendwie würde das also schon gehen. "ich... ich wills dir sagen, aber... nicht zuhause... und nicht hier", folgte schliesslich die leise genuschelte Bestätigung auf seine Frage. Zuhause würde sie direkt nach einer Flasche greifen, wenn sie überhaupt den Mund aufmachen sollte. Ausserdem würden die vier Wände sie erdrücken. Sie brauchte Platz - und kühle Luft - um mit möglichst freiem Kopf das zu kommunizieren, was sie heute schon einmal sehr ungeplant losgeworden war. Wahrscheinlich hätte sie also sogar bei Regen diesen Umweg vorgeschlagen.
Ich konnte nicht sagen, was es war, aber irgendwas war anders. Hatte sich verändert in der einen kurzen Stunde während des Seminars, das nur ich hatte belegen müssen. Es war aber nicht das erste Mal, dass einer von uns beiden länger für das reiche Arschloch buckeln musste als der andere, also konnte es nicht an meiner bloßen Abwesenheit liegen. Irgendwas war passiert und ich war nicht da gewesen. Aryana ließ sich Zeit mit der Antwort und beflügelte damit unnötig mein ungutes Gefühl, dass jetzt noch mehr falsch lief als vorher. Als bräuchte einer von uns beiden gerade noch mehr schlechte Nachrichten. Genau darauf schien es jedoch hinauslaufen, denn eigentlich waren die ganz üblen Zeiten, in denen wir neutrales Terrain noch häufiger für unsere Gespräche genutzt hatten, vorbei gewesen. Scheinbar fühlte sich das Auto nicht nur für mich eher wie ein Käfig als wie ein nützliches Fortbewegungsmittel an. Dass Aryana mit der Sprache rausrücken wollte, ohne dass ich weiter nachbohren musste, war zwar gut, aber der erbetene Aufwand für das Gespräch rückte selbst das in ein ziemlich düsteres Licht. Wir taten uns beide nie leicht damit über Dinge zu sprechen, die uns sehr nahe gingen. Tendenziell war es trotzdem eher meine Wenigkeit, die dafür besondere mildernde Umstände brauchte. Trotzdem käme ich nie auf die Idee, der Brünetten nicht dasselbe Recht einzuräumen, wenn sie es offensichtlich zu brauchen schien. Ich war froh darüber, dass ich vermeintlich sehr mit dem Autofahren beschäftigt war, weil ich dann wenigstens nicht ihren Blick erwidern musste. Nicht in Aryanas Augen sehen musste, die schon seit einer ganzen Weile mehr und mehr von dem züngelnden Feuer verloren, das ich mir stundenlang ansehen konnte. “Klar, wenns das einfacher macht…”, willigte ich ein und warf ihr einen nur sehr flüchtigen Seitenblick zu, bevor ich zurück auf die Straße und die bald kommende Kreuzung an der Hauptstraße sah. Fast unmittelbar nach meiner Antwort fing ich aber mit dem Kiefer zu mahlen an und mein Kopf begann fröhlich damit, sich die wildesten Theorien rund um die Cap auszumalen. Unweigerlich verspannte sich während der paar Minuten Fahrt mehr und mehr auch der Rest meiner Mimik und immer dann, wenn ich auf dem Weg zu den Hügeln nur Lenken und für eine Weile nicht schalten musste, setzte gelegentliches Knie-Wippen am untätigen Bein ein. Ich war noch nie ein geduldiger Mensch, aber wohl am allerwenigsten in so einer Situation. Wenn mir das Blut förmlich in den Adern gefror, weil Aryana Stimmlage die nächste Hiobsbotschaft ankündigte, die dann frech grinsend an meiner Türschwelle stand. Um mir die Fußmatte unter den Schuhen wegzureißen, als würde ich nicht sowieso schon 24/7 auf dem Boden rumkriechen wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln… und Beinen. Ich stieg fast sofort aus, als der Wagen geparkt und der Schlüssel vom Lenkrad gezogen war. Eigentlich wollte ich Aryana wirklich nicht auch noch unter Druck setzen oder hetzen, weil es ihr ganz offensichtlich sowieso schon richtig beschissen ging. Mir gings nur auch nicht gut und die Warterei zerrte mich gefühlt in das Grab, vor dem ich mich bis zum heutigen Tag noch wehrte, einfach reinzuspringen, obwohl es das einfachste wäre. Da ich schwer erwartete, dass das Gespräch nicht nach fünf Minuten vorbei sein würde, ging ich zum Kofferraum und holte die Decke raus – räumte der Brünetten damit ein paar wenige Sekunden mehr zum Aussteigen ein. Fraglich, inwieweit das Gras oben auf dem Hügel schon trocken sein würde, nachdem es gestern erst geregnet hatte und von Sonne auch heute keine Spur war. Ein möglicherweise nass werdender Hintern schien mir gerade allerdings mein kleinstes Problem zu sein, als ich nach einem kurzen, halbfragenden Blick in Aryanas Gesicht – das nach wie vor nichts als Unbehagen und Schmerz ausstrahlte – den milden Anstieg mit ihr in Angriff nahm. Ich musste mich zu einem angemessenen Gehtempo zügeln und wäre trotz meiner kaputten Lunge am liebsten hoch gesprintet. Vielleicht wäre ich aufgrund von Atemnot dann schon abgekratzt, bevor ich ganz oben den nächsten Boxhieb vom Leben kassierte. Einen, für den ich wahrscheinlich wie immer überhaupt nicht bereit oder gar vorbereitet war.
Seine Körpersprache und Mimik wirkten nicht ganz so begeistert von ihrer Bitte. Was sie ihm ebenfalls nicht übelnehmen konnte, sie hatte schon gemerkt, dass ihre Verfassung ihn dezent aus dem Konzept geworfen hatte. Und jetzt, wo sie erstmal bestätigt hatte, dass etwas nicht in Ordnung war - falls man das noch so bewerten wollte, als wäre überhaupt irgendwas an ihrem Leben aktuell in Ordnung - und sie auch benennen würde, um welches Problem es sich diesmal handelte, war es nur verständlich, dass ihn das Warten nur zusätzlich verrückt machte. Aber es musste sein. Das waren keine drei Sätze, die sie ihm beim Fahren ins Ohr flüstern konnte. Und eben auch keine Worte, die sie zuhause von sich geben wollte. Ihre Wohnung hatte längst genügend schreckliche Dinge gehört, sie konnte diesen Ort nicht auch noch mit solchen Neuigkeiten vergiften oder sie würden dort gar nicht mehr schlafen können und gar nicht mehr zur Ruhe finden. Also eben den Hügel und damit verbunden die nervöse Autofahrt, während der kein weiteres Wort fiel, was die Atmosphäre noch ein bisschen elektrischer auflud. Das half ihr wiederum wenig dabei, ihren einst so rational und strategisch denkenden Schädel auf das kommende Gespräch vorzubereiten. Sie hatte noch nichts bereitgelegt, als sie ihr Ziel erreichten und sie sich - im Gegensatz zu Mitch - langsam und mühselig aus dem Sitz hievte, die Cap fast widerwillig im Auto zurückliess. Draussen schlüpfte sie neben dem Auto erstmal in die Jacke, zog den Reissverschluss jedoch noch nicht zu. Der Aufstieg würde nochmal ein bisschen wärmen, aber wenn sie sich oben erstmal hingesetzt hatten, würde es schnell genug kühl werden. Ausserdem wollte sie Mitch nicht unnötig warten lassen und ihm auch nicht das Gefühl geben, dass sie sich hier absichtlich gemütlich mit ihrer Jacke beschäftigte. Es war mehr ihr Körper, der keine wirklich schnelleren Bewegungen zuliess, weil ihre ganze Aufmerksamkeit auf dem Sturm in ihrem Kopf lag. Auf den überwältigenden Emotionen, die da kochten und die sich scheinbar partout nicht runterkühlen liessen. Die sich anfühlten, als wäre Aryana zeitweise gar nicht mehr wirklich in ihrem Körper, sondern nur noch in ihrem Kopf anwesend, schwebte in einer schwarzen Welt, die sich drehte und in der sich keine Richtung erkennen liess. Aber mehr dazu später. Sie sollte sich erstmal zusammenreissen, um hier mit Mitch den Hügel zu erklimmen. Bestenfalls ohne ohnmächtig zusammenzubrechen, weil sie nicht anständig atmete. Das war dann auch ihre Priorität während der nächsten Minuten, die sie erneut schweigsam verbrachte. Ihr Blick musterte dabei den Wegboden vor sich, was immerhin den Vorteil hatte, dass sie dadurch nicht über Steine stolpern sollte. Betonung auf sollte, ein gewisses Restrisiko blieb bestehen, solange ihre Konzentration komplett woanders lag. Sie kamen aber tatsächlich beide heil oben an und sie liess das erste Mal den Blick etwas schweifen, während Mitch noch die Decke ausbreitete. Sah an den langsam abdunkelnden, wolkigen Horizont, zu den entfernten Häuser der Stadt und schliesslich direkt zu den drei Bäumen, neben denen sie nun standen. Es wurde Zeit, zu reden. Eigentlich war es für ihre Verhältnisse nicht lange her, dass sie das letzte Mal mit offenen Karten gespielt und einander mehr oder weniger alles gesagt hatten. Aber für das untragbare Ausmass der psychischen Last der letzten Wochen war es eben doch zu lange her. Aryana liess sich auf die Decke sinken, auch wenn ihr eher nach unruhigem Hin und Her tigern war. Sie stellte die Füsse direkt vor dem Rand der Decke ab, setzte sich so hin, dass sie die Ellbogen auf ihren angewinkelten Knien abstützen konnte. Vorerst lagen ihre Arme verschränkt auf ihren Knien und sie wandte den absolut unsicheren, planlosen Blick nur kurz in Richtung ihres Freundes, bevor sie in die Ferne schaute. Vielleicht war das Reden einfacher, wenn sie dabei seine Augen nicht sehen musste. Wahrscheinlich aber nicht. "Ich... ich war bei Ryatt...", wählte sie einen verhältnismässig schonenden Einstieg, um den Stein ins Rollen zu bringen. Der erste Satz war aber das einzige Einfache daran, wie sie unmittelbar feststellte, weil sie nicht wusste, wie sie fortfahren sollte. Entsprechend folgte schon hier die erste Pause, bevor sie stockend weiter sprach. "Ich wollte... etwas von ihm. Das war dumm... weil... weil ich wollte eine Handynummer von den Hernandez...", es war sogar noch schwieriger, von ihrer Wahnidee zu erzählen, als sie geglaubt hatte. Einfach, weil sie sich jetzt im Nachhinein auch noch fett dafür schämte. Es war wirklich eine selten dumme Aktion gewesen. Alles davon hatte sozusagen dumm angefangen und dümmer geendet... "Ich dachte... keine Ahnung, ich war dezent neben der Spur... irgendwie hat es mir keine Ruhe gelassen, dass wir nie abschliessende Gewissheit hatten, dass wir diese Arschlöcher nie wiedersehen...", das war das kleinere Problem an der ganzen Sache, aber es war wirklich schlimm genug. Sie hatte schon jetzt die Hände hochgenommen, um sich das erste Mal fest übers Gesicht zu reiben. Aber wie immer half das wenig bis gar nichts. Sie hatte Mitch schon jetzt gestanden, dass ihr Verstand flöten gegangen war. Dass sie an einem Punkt war, an dem sie eindeutig bereit war, Mittel und Wege zu nutzen, die sie früher nie gegangen wäre. Weil sie früher noch hatte denken können, noch nicht ins Irrenhaus gehört hatte. Oder vielleicht eben doch...
Das Schweigen beunruhigte mich nur zusätzlich. Ich wusste aber auch nicht, was ich gefahrlos hätte sagen können, wenn ich noch überhaupt keinen Plan davon hatte, was überhaupt los war. Schon einen falschen Schritt zu machen, bevor ich im Bilde war, wollte ich nicht riskieren. Also blieb ich genauso still wie Aryana und kümmerte mich oben an unserem angestammten Platz angekommen um die Decke. Brauchte dafür länger als gewöhnlich, was daran lag, dass ich mit einem Auge bei der Brünetten festhing und mich dabei viel zu sehr selbst wieder erkannte. Diese leere Art von Blicken, mit denen man sich an alles außer die eigene Existenz klammern wollte. Trotzdem war der Stoff letztlich ausgebreitet und ich ließ mich ebenso wie meine Freundin darauf nieder, obwohl alles in mir danach schrie, dass die Decke aus Lava war. Ich wusste nicht mal, wie ich mich hinsetzen sollte, weil ichs eigentlich nicht wollte. Grade war nicht mit entspanntem Schneidersitz oder sowas, weshalb ich in einer ähnlichen Position wie Aryana endete. Versetzt hinter ihr zu sitzen war nicht drin, denn dafür interessierte mich viel zu sehr, was sich in ihrem Gesicht abspielte. Immerhin das linke Bein legte ich aber unter dem anderen angewinkelt ab, was dazu führte, dass die Decke sicherlich etwas von meinem Schuh in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das könnte mich gerade allerdings kaum weniger jucken, während ich den rechten Ellbogen bemüht locker auf dem Knie ablegte. Denn Aryana war bei Ryatt gewesen. Diese Aussage allein erklärte mir nicht die Beweggründe, aber diese Begebenheit für sich war schon komisch. Wir gingen nicht zu Ryatt, wenn wir's nicht aus irgendwelchen Gründen unbedingt tun mussten. Schon gar nicht alleine. Meine Augenbrauen wanderten etwas nach oben, während ich ungeduldig darüber nachdachte, ob es seine Kopfbedeckung war, die im Auto zurückgeblieben war. War dann schon drauf und dran die ersten ein bis zehn Fragen zu stellen, als Aryana doch noch von sich aus weitersprach… und damit alles schlimmer machte. Mein Kopf drehte sich wie ferngesteuert nach links in ihre Richtung und ich fragte mich, ob die Bedeutung des Wortes dezent für sie eine deutlich größere Spannweite hatte, als für mich, obwohl ich um die Ironie in ihrer Formulierung wusste. Wir waren beide schon an durchschnittlichen Tagen grundsätzlich dezent neben der Spur, weil wir mehr als einen Knacks weg hatten. Mir ging es auch nicht gut damit, dass ich nicht wusste, ob uns eines dieser Pestgeschwister mal nachts die Wohnungstür eintrat, daraus machten meine Alpträume keinen Hehl. Trotzdem ging ich nicht zu Ryatt. Alleine. Ohne Aryana was davon zu sagen, weil ich ganz genau wusste, dass sie gerade dank ihrer Abwesenheit nichts an meiner Handlung ändern könnte. Sie wusste, dass ich sie davon abgehalten hatte. Weil es eben wirklich dumm war und verdammt nochmal nichts brachte. Was hatte sie denn dann mit der Nummer vorgehabt? Anrufen und freundlich nachfragen, wie der Stand der Dinge war? Ganz sicher nicht. Sie wusste selbst, was das für eine hirnrissige Aktion gewesen war. Das zeigte Aryanas Körpersprache überdeutlich und in ihrer Formulierung schwang Reue mit. Die Frage war bloß, weshalb genau und darauf bekam ich in ihren wenigen Worten noch keine eindeutige Antwort. Mein Puls beschleunigte sich. “Und... was war seine Antwort darauf?”, versuchte ich sie mit einer simplen Frage zum Weiterreden zu animieren, wobei eine gewisse Grundspannung in meiner Stimme mitschwang. Weil ich mir bekanntlich schwer damit tat, nicht sofort zehn Vorurteile und voreilige Schlüsse zu ziehen und weil ich jetzt völlig unter Strom stand. All die unterdrückten Gefühle der letzten zwei Wochen in mir hochkriechen wollten und ich bis jetzt noch nicht wusste, auf wen ich eigentlich wütend sein sollte. Auf Aryana, weil sie den Kopf endgültig zu verlieren schien und daraufhin leichtsinnige Dinge tat? Eher nicht, weil sie mir das auch nie lange vorgehalten hatte, obwohl ich gefühlt alle zwei Wochen Scheiße baute. Vielleicht auf Ryatt, falls er ihr tatsächlich eine Nummer gegeben hatte oder er der Grund für ihre Tränen war. Oder vielleicht doch lieber wieder auf mich selbst, weil ich in meinem eigenen stumpfsinnigen Leid nicht gemerkt hatte, dass ich nicht mehr nur mich selbst von solchen idiotischen Taten abhalten musste.
Sie wusste, wie sehr Mitch sich wünschte, dass sie schneller sprach, dass sie auf den Punkt kam und ihm alles von ihrem kleinen Tripp in den Wahnsinn offenlegte. Das Problem für sie war nur, dass die Wahrheit mit jedem Teil, den sie aussprach, schlimmer wurde. Dass der Kloss in ihrem Hals sehr bald untragbar wäre. Dass sie beim besten Willen nicht wusste, ob sie alles offenlegen konnte. Auch wenn die Gefahr bestand, dass Ryatt sonst die Aufklärungsarbeit für sie übernahm. Die Brünette verzog etwas das Gesicht, versuchte sich an einem tiefen Atemzug, der exakt so erstickt klang, wie er sich anfühlte. Mitch anschauen konnte sie ganz sicher nicht, aber sie hob den Kopf an, um in Richtung Horizont zu blicken. Sich etwas mehr zu strecken, um das Atmen einfacher zu machen. "Er... er hat gesagt... dass Faye nicht wollen würde, dass er mir die Nummer gibt... und dass er es auch abgesehen davon nicht tun würde...", folgten die nächsten mühsamen Brocken der Wahrheit. Wieder gefolgt von einer Pause, die überdeutlich darstellte, wie sehr sie mit sich kämpfte. Wie wenig sie reden wollte, obwohl ihr klar war, dass Schweigen nicht länger eine Option war. "Ich... ich... habe... dumme Sachen gesagt... und er... er hat versprochen, dass er sich beeilt... mit einem Plan... damit wir von Easterlin wegkommen...", da waren sie wieder, die Tränen. Diesmal legten sie einen wesentlich weniger sanften Einstieg hin, begannen sofort beidseitig ihre Wangen hinab zu fliessen und brachten auch gleich den ersten Schluchzer mit. Ihre Emotionalität gepaart mit der eigentlich nur schwachen, kühlen Brise hier oben und dem Wissen darum, was sie Mitch alles sagen musste, führte ausserdem zeitnah zu einem leichten Zittern, das nicht nur ihre Stimme, sondern auch ihren Körper in Mitleidenschaft zog. "Ich wollte wissen, wie lange wir warten müssen... weil ich das nicht mehr kann. Weil ich nicht nur den Verstand, sondern absolut alles und mich selbst verliere... weil mein verdammter Kopf mich umbringt... und das jeden. verdammten. Tag. aufs Neue...", sie bemühte sich, die Worte so auszusprechen, dass er sie verstand und sich nicht alles in den Tränen verlor. Ausserdem versuchte sie, etwas schneller zu reden, um zu verhindern, dass ihr Nachdenken zu einem Unterbruch oder einem kompletten Stopp führte. "Er hat gesagt... drei Monate...", die letzten Worte kamen mehr nur noch gehaucht über ihre bebenden Lippen. Sie wusste nicht, ob er das Ausmass der Bedeutung verstand. Sie hatte sich nicht sehr deutlich ausgedrückt. Aber bei Ryatt hatte sie das auch nicht getan und er hatte trotzdem dahinter geblickt, obwohl er sie nicht wirklich gut kannte. Mitch würde es verstehen - wenn er nicht zugleich versuchte, die Wahrheit nicht zu erkennen, weil er nicht wahrhaben wollte, was dahinter liegen könnte, zumindest. So wie ihr die Tränen haltlos die Wangen hinab rannen und sie hier heulte, würde er aber nicht nur ein Auge vor der Wahrheit verschliessen müssen. Ausserdem kannte Mitch die Situation und die Anzeichen dafür wohl gut genug... Er war selbst schon an diesem Punkt gestanden. Hatte es irgendwie wieder rausgeschafft. Nur um jetzt mit seiner suizidalen Freundin konfrontiert zu werden. Ausgerechnet jetzt, wo er es am wenigsten brauchte, weil es ihm genauso beschissen ging. Wo er selber keine Kraft hatte, keine Energie, um sie beide zu ziehen, keinen wirklichen Lebenswillen. Es tat ihr wirklich leid. Alles davon. Aber es wäre nicht schöner, wenn Ryatt ihm das ins Gesicht warf... Zumindest nicht für Mitch. Was sie selbst betraf, war sie sich dessen nicht so sicher. Sie fühlte sich aktuell nicht unbedingt besser als rundum beschissen - bezweifelte, dass es noch wirklich schlimmer werden könnte. Aber klar... Schlimmer geht immer. Das dachte sich wohl auch Mitch in diesem Moment. Dank ihr.
Ich konnte die Vorboten für die nächsten Tränen schon in Aryanas Gesicht erkennen, bevor die salzigen Tropfen sich etwas später selbstständig machten. Ryatt hatte sehr Recht damit, dass Faye das nicht wollen würde, aber was war mit mir? Wenigstens schien er auch unabhängig der jüngeren Cooper genug Rückgrat zu haben, um ihre ältere Schwester nicht in dieser bescheuerten Idee zu unterstützen. Trotzdem hatte ich noch ungefähr hundert Fragen dazu. Sprach jedoch nichts davon aus, weil Aryana sich auch so schon unheimlich schwer damit tat, überhaupt irgendwelche Worte zusammenzukratzen… und sie erinnerte mich so sehr an mich selbst. Je länger sie sprach, desto mehr bekam ich eine ganz blöde Vorahnung, worin das alles hier resultieren würde. Auch ganz abgesehen von dem Heulkrampf, der Aryana überhaupt nicht ähnlich sah. Als ihr Körper zusätzlich zu beben anfing, legte sich eine kalte Gänsehaut auf meinen Nacken. Es war auch völlig egal, wie undeutlich die Worte teilweise über ihre Lippen purzelten. Mein von all den Gefechten wahrscheinlich schon stark geschädigtes Gehör lief auf Hochtouren und das Deja Vu vervollständigte sich: Weil mein verdammter Kopf mich umbringt. Ich hatte fast dasselbe zu ihr gesagt. Damals auf dem Balkon, als sie mich völlig betrunken vorgefunden hatte. Als das Leben für mich nur noch Schwarz und meine Seele nur noch purer Schmerz war. Als jeder einzelne Tag viel zu viel für mich war und drei weitere Monate wie ein unerreichbares Ziel ausgesehen hatten… und jetzt wusste ich, wie Aryana sich damals gefühlt hatte, als ich ihr das an den Kopf geworfen hatte. Wie sie alles, was ihr etwas bedeutete, durch ihre Finger rinnen sah und sie gefühlt vollkommen machtlos dabei zusehen musste. Noch dazu zu wissen, dass ich selbst sehr lange dafür gebraucht hatte, diese Suizidgedanken loszuwerden und nicht mehr bei jeder schwierigen Situation sofort erneut daran zu denken, führte zur kompletten Entgleisung meiner Gesichtszüge. Wenn das nicht sowieso schon vorher passiert war – da, wo Aryana zu weinen angefangen hatte. Wann war das passiert? Wann hatte ich sie ganz verloren? Wann hatte sie aufgehört, sich an mir festzuhalten und wieso zur Hölle hatte ich das nicht gemerkt? Ich konnte nicht ständig mein eigenes Leid für alles als Ausrede benutzen. Es dauerte ein paar sehr lange Sekunden, bis ich die angehaltene Luft bebend ausatmete und im Anschluss hörbar schluckte, weil meine Kehle inzwischen nicht mehr nur rau, sondern komplett zugeschnürt war. Weil ich noch immer das ganze Ausmaß dieser paar Worte zu verdauen hatte und es mich zerbrach, den Menschen, den ich am meisten liebte, so sehen zu müssen. Zu wissen, dass ich ihr genau diesen unbeschreiblichen Schmerz auch schon angetan hatte. Dabei konnte ich nicht benennen, ob ich das plötzlich durch meine Adern pumpende Adrenalin als Ansporn für einen winzigen Lichtblick nach oben oder doch lieber nur als endgültige Bestätigung für den letzten Absprung nehmen sollte. Was hielt mich denn noch in dieser Welt, wenn ich Aryana nicht mehr hatte? Ich versuchte diesen Gedanken zu kappen und wandte mich der Brünetten neben mir etwas mehr zu, rutschte näher zu ihr hin. Meine eigenen Finger zitterten leicht, als ich die Hände nach ihr ausstreckte und unter ihren Armen durchgriff, um die krampfartige Körperhaltung ihres ansonsten ziemlich instabil wirkenden Körpers etwas zu lösen und sie so an meine Brust kippen lassen zu können. Ich war nicht gut mit Worten und selbst viel zu sehr durch den Wind, als dass ich schon irgendwas hätte sagen können. Also hielt ich sie erstmal nur fest, so wie sie es damals bei mir gemacht hatte. Eine lange Umarmung heilte keine einzige all der klaffenden Wunden, aber wenn ich gerade schon nichts sagen konnte, dann musste ich Aryana auf diesem Umweg trotzdem schon wissen lassen, dass ich sie verstand. Dass das ganz bestimmt kein Grund für mich war, jetzt abzudrehen und zu gehen. Wir hatten schon oft für immer gesagt und daran hielt ich mich auch jetzt fest, wo meine eigenen Augen zu schimmern anfingen und mir gefühlt die Luft zum atmen wegblieb. Bis auf Aryanas Schluchzen war es lange still. Ich versuchte angestrengt, den Gedanken loszuwerden, Aryana einfach an der Hand nehmen und sofort von der nächstbesten Klippe springen zu wollen, bevor ich ihr eine Frage stellen konnte. Sie weinte auch noch immer, als ich letztendlich den Mund aufmachte. Ich wartete nicht länger, weil ich ohnehin vermutete, ihr mit meiner Frage noch mehr Tränen aus den Augen zu spülen. “Willst dus wirklich? … endgültig springen, meine ich.” Ich war recht nahe an ihrem Ohr und die Worte waren gemurmelt, meine müden Augen geschlossen. Gleichzeitig versuchte ich mich an das Gespräch zu erinnern, das wir geführt hatten, nachdem ich uns in der Mongolei beinahe beide gekillt hätte. Wenn sie wirklich null Lebenswillen mehr übrig hatte, dann wusste ich nicht, ob ich das konnte. Bei mir selbst war kaum noch welcher vorhanden, wie sollte das für uns beide reichen? Mein Herz hatte längst angefangen zu schreien, weil es sich nicht einig mit den Gedanken in meinem Kopf war und fand, dass ich es Aryana schuldig war – sie jetzt auch hochzuziehen, nachdem sie meinen ständig in die Bredouille schlitternden Arsch schon so oft vom Glatteis gezerrt hatte. Aber wie sicher war es, dass Ryatt einen wirklich guten Plan hinbekommen würde, in nur drei beschissenen Monaten? In elend lang werdenden 90 Tagen, in denen ich Aryanas Kopf auf Teufel komm raus wieder über die Wasseroberfläche kriegen musste, während ich selbst am Absaufen war und längst keine Luft mehr bekam…
Sie konnte ihn weiterhin nicht anschauen, auch wenn sie dank der Tränen sowieso nur mässig viel erkannt hätte. Sie hätte den Schmerz trotzdem gesehen. Die Auswirkungen ihrer Worte auf seine Seele, die sie eigentlich doch gar nicht noch mehr verletzen wollte. Das war einer von mindestens drei Gründen, warum sie dieses Gespräch nicht hatte führen wollen. Sie hatte ihn nicht so zerreissen, nicht noch mehr foltern und auf seinem Herz herumtrampeln wollen. Sie wollte nicht der Grund für noch mehr Schmerz sein, dafür, dass das Elend niemals endete. Sein Leiden führte wiederum zu neuen Messerstichen in ihr eigenes halbtotes Herz, was der zweite Grund war. Es war kaum tragbar, kaum auszuhalten wie ihr Inneres sich anfühlte. Ihre Seele und ihr Herz und ihr Geist oder was auch immer es war, das sie hier zu Tode quälen wollte. Sie würde lieber schreien als heulen, aber die Schluchzer nahmen ihr alle Luft und bringen würde es auch nichts. Genau wie die Tränen. Sie schaffte es nichtmal, sich Mitch entgegen zu drehen, als er näher an sie heran rutschte. Liess sich vollkommen unselbstständig von ihm heranziehen und fand sich an seiner Brust wieder, in seinen Armen. Sie hatte seine Nähe vermisst, zugleich aber auch vermieden, weil sie ihn nicht noch zusätzlich mit diesem Gift, das sie in sich trug und ausströmte, verseuchen wollte. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen, war aber davon überzeugt, dass sie diese Luft nur verpestete. Und trotzdem liess sie sich von ihm umarmen, hielt sich an ihm fest, als würde er sie wirklich vor dem Ertrinken retten können. Wohl eher aus Reflex und weil ihr Körper akut dringend eine Stütze brauchte, während sie sich in einem haltlosen Heulkrampf wand. Sie wusste nicht, wann sie zuletzt so geweint hatte. Wann ihre Emotionen das letzte Mal so ungeschlagen das Zepter an sich gerissen und partout keine Beruhigung zugelassen hatten. Aber es war auf jeden Fall sehr, sehr lange her. Geweint hatte sie vor und mit Mitch schon ein paar Mal, aber nicht so. So, dass selbst seine Arme erstmal nur sehr begrenzt etwas dagegen ausrichten konnten. Es wurde eher nur noch schlimmer, jetzt wo er sie festhielt. Bei Ryatt hatte sie ja auch schon geheult, aber eben auch da... noch einigermassen kontrolliert, wenn man bei unfreiwilligen Tränen von sowas reden konnte. Es hatte noch nicht so sehr wehgetan wie jetzt, bei dem Mann, der ihr alles bedeutete, den sie nicht verlieren, nicht enttäuschen, nicht zerstören aber irgendwie auch nicht mehr glücklich machen konnte. Der Mann, der ihr irgendwann, nach langer, unglaublich lauter Stille, eine einzige Frage stellte. Eine Frage, die sie sich auch schon gestellt hatte. Der dritte Grund, warum sie nicht mit Mitch hatte sprechen wollen, war die Möglichkeit, dass er sie zu gut verstand. Dass er ihre Hand nahm, mit ihr zu einer Klippe spazierte, sie in seine Arme packte und mit ihr sprang. Die Vorstellung war schön - die Erlösung, die dahinter winkte, schier endlos. Aber ein Teil von ihr wollte ihn nicht aufgeben. Ihm seine Chance auf ein glückliches Leben nicht nehmen und schon gar nicht dafür verantwortlich sein, dass er endgültig verschwand. Ohne Happy End. Ohne Nichts. Die Frage hatte also zwei Antworten: "Ja... Ich... ich möchte sehr gerne...", stammelte sie die ersten paar Worte zusammen, die in sich aber schon deutlich machten, dass gleich ein Aber folgen würde. Nach einem weiteren Schluchzen, wenn sie genug Luft zum Sprechen bekam. "Wenn... wenn du und Faye nicht wärt...", der Klassiker, den er vielleicht schon erwartet hatte. Sie quälte sich längst nicht mehr für sich selbst durch diese dunklen Tage. Sie tat es nur, weil sie diese beiden Menschen nicht so endgültig im Stich lassen konnte. Weil sie wusste, dass sie nicht nur einem von beiden, sondern sowohl Mitch als auch Faye das Genick brechen würde, wenn sie sich selbst befreite. So sehr sie sich auch einreden wollte, dass Victor Faye auffangen würde, wusste sie doch, dass das allein nicht ausreichen würde. Von Mitch brauchte sie gar nicht erst anzufangen. Sie glaubte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bestens zu wissen, was mit ihm passieren würde, wenn sie freiwillig starb. "Ich... ich will... sterben... aber... aber ohne euch... ohne euch komplett zu zerstören...", und das geht nicht, fügte sie gedanklich noch hinzu, während ihr Körper schon vom nächsten Schluchzer geschüttelt wurde. Er wusste, was sie meinte. Es war das ewige Problem mit zu engen Beziehungen. Mit der Abhängigkeit von Liebe.
Gut, dann springen wir einfach zusammen, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, kaum hatte Aryana das erste Bisschen ihrer Antwort zusammengekratzt. Ich wusste ganz genau, wie falsch das war und kam doch nicht dagegen an, weil ich ihre Erschöpfung und ihren Schmerz zu gut kannte. Ich war nicht weniger müde als sie. Immer wieder aufzustehen, nachdem man frontal mit dem Gesicht im übelsten Dreck landete, war unfassbar anstrengend. Wenn dann noch der wunderbare moralische Zwiespalt dazu kam, der einem konstant eintrichterte, dass man sowieso besser nicht mehr auf dieser Erde wandeln sollte, dann war aufzugeben das einfachste der Welt… wären damit nicht gewisse Haken verbunden. Nach all den Tagen mit halbtotem Nervensystem tat ich mir wirklich schwer damit, richtig mit diesen geballten Emotionen umzugehen. Aryanas Worte holten so viele Dinge in mir wieder hoch, die ich eigentlich hinter mir gelassen geglaubt hatte. Zusätzlich zu dem neuen tonnenschweren Ballast, den sie mit ihren Suizidgedanken auf meinem Herzen ablud, während sie völlig am Ende in meinen Armen hing. Mit einem Bein stand sie schon im Grab. So wie ich damals, als ich vor meinem inneren Auge von der Decke meiner Zelle gehangen hatte und kurz davor gewesen war, es in die Tat umzusetzen. Wäre da eben nicht diese eine Person gewesen, die meinen Körper unter den Lebenden festgehalten hatte, während meine Seele schon an die hundert Mal zerbrochen war. Ich kniff die Augen fester zu und biss die Zähne zusammen. Versuchte krampfhaft, das alles mit einem tiefen Atemzug loszulassen. Oder eher mit mehreren, weil ich nach dem ersten nach wie vor gefühlt erstickte. Ich hatte Aryana damals, nachdem ich ihr meine halbe Lebensgeschichte aufgetischt hatte, versprochen, dass ich absolut alles versuchen würde, damit wir aus dieser endlosen Spirale rauskamen. Damit wir endlich damit aufhören konnten, ständig dieses Mal wirklich zu sagen, weil das verdammt nochmal nicht mehr tragbar war. Hatte ich schon alles versucht und es war vielleicht einfach nicht genug? Ich hatte nur zwei Optionen: Nochmal aus dem Treibsand kriechen und es ein tausendstes Mal versuchen, oder uns beide willentlich untergehen lassen. Mitsamt Faye, wohlgemerkt, Victor würde daraufhin vielleicht auch noch folgen. Wenn ich mir ausgerechnet das Blut der drei Menschen, die mir am meisten bedeuten, zusätzlich zu allem anderen an die Hände schmieren musste, würde ich noch tiefer sinken, als ich für möglich gehalten hatte. „Dann… hab ich schlechte Nachrichten für dich.“, setzte ich nach zwei stummen Minuten leise an. Schluckte dabei den dicken Frosch in meinem Hals runter, der meine Stimme drückte und schlang die Arme noch fester um Aryanas bebenden Körper. „Ich spring dir ohne zu zögern hinterher, wenn du‘s tust.“, meine Stimme klang weiterhin kratzig. Die Brünette wusste das längst, sie sollte es nur trotzdem ganz unmissverständlich von meinen Lippen hören. Ich würde sie nicht loslassen, niemals, unter keinen Umständen. Wenn ich für immer sagte, dann meinte ich das auch so. In guten, wie in schlechten Tagen. Im Leben und im Tod. Trotzdem war die Tatsache, dass Aryana so sehr an Faye und mir hing, keine Garantie für ausbleibende Suizidversuche. Ihr Schmerz wurde dadurch nicht kleiner und er war jetzt schon schier unerträglich für sie. Ich konnte mich nicht darauf verlassen, dass sie nur für mich weiter atmete. Sogar die Liebe hatte Grenzen des Erträglichen, das konnte ich leider aus Erfahrung berichten. Ich atmete stockend durch, bevor ich schließlich die Augen öffnete und weitersprach: „Aber als ich... als ich uns beide fast umgebracht habe… da hast du gesagt, dass du‘s liebst… das Gefühl, dass ich nur für dich weiterkämpfe… also werd‘ ich nicht ausgerechnet jetzt damit aufhören, wo du‘s am meisten brauchst.“ Ich hätte gerne nach felsenfester Überzeugung geklungen, stattdessen war es eher ein Murmeln mit etwas Nachdruck. Weil ich selbst müde war. Nicht wusste, wie ich die Energie dafür aufbringen sollte. Weil ich keine Ahnung davon hatte, wie ich ihr überhaupt helfen sollte, weil wir schon einige der Sachen versucht hatten, die mir damals geholfen hatten, seit es uns beiden so beschissen ging. Vielleicht schaufelte ich nur mein eigenes Grab noch tiefer mit dem aussichtslosen Versuch, Aryana von der Kante wegzuziehen. Vielleicht schubste ich uns stattdessen auch beide da runter. Aber selbst das würde nicht so weh tun wie der Gedanke daran, dass ich so lange durchgehalten und gekämpft hatte, nur um doch noch mit leeren Händen zu sterben. Ohne je wirklich frei gewesen zu sein. Ohne gelernt zu haben, was es überhaupt bedeutete, richtig zu leben, weil ich davon noch immer keine richtige Vorstellung hatte. Ohne Aryana wollte ich es aber auch nicht herausfinden. Ich würde mich lieber mit ihr von der endlosen Schwärze überrollen lassen, als irgendwann alleine in das erlösende Licht zu treten, von dem ich genauso wenig wie sie das Gefühl hatte, dass ich es verdiente.
So wie sie an seiner Brust hing, konnte sie wunderbar die Unregelmässigkeit seiner Atmung spüren. Ein weiteres unmissverständliches Indiz dafür, wie fertig sie beide wirklich waren. Wie sehr sie ihn mit ihren schlechten Nachrichten mitnahm. Obwohl er sicher schon heute Morgen an einem Punkt gestanden hatte, an dem er keine schlechten Nachrichten mehr ertragen hätte. Aber jetzt waren sie hier. Und es war mal wieder diese elende, ewig währende Frage, die in ihren Leben schon lange viel zu viel Bühnenzeit bekommen hatte: Weiter kämpfen oder aufgeben? Noch einmal aufrappeln und irgendwo im Dreck mühselig die Kraft zusammenkratzen, um aus diesem viel zu tiefen Loch heraus zu kriechen, oder liegen bleiben und den Deckel schliessen? Endlich einschlafen und Frieden im Jenseits finden oder diesem beschissenen Leben, das gefühlt nur eine Odyssee von schlechten Entscheidungen war, noch eine Chance geben? Die hunderttausendste, mindestens? Sie wusste, was sie am liebsten tun würde. Sie wusste aber auch, wofür sie sich letztendlich auch diesmal entscheiden würde - zumindest für drei Monate. Mitch liess ihr eher keine andere Wahl als die Sache mit dem Durchhalten. Irgendwie, ein weiteres Mal... wenn sie nicht wollte, dass er hinter - oder eher neben - ihr über den Abgrund hüpfte. Er sagte es sehr deutlich genau so, wie sie es schon vorher gewusst hatte. Trotzdem führte die Endgültigkeit seiner Worte den nächsten Schwall an Tränen und den nächsten schmerzhaften Schluchzer herbei. Sie klammerte sich automatisch ebenfalls enger an ihn, als seine Umarmung fester wurde, wollte ihn weder loslassen noch mitreissen. Aber in diesem Moment musste sie sich an ihm festhalten, konnte nicht anders, als sich an ihn zu klammern, in der verzweifelten Hoffnung, dass er einen Ausweg für sie beide finden würde. "Ich weiss... ich weiss... darum... bin ich ja hier...", tat sie stammelnd kund, was er sicher schon erwartet hatte. Sie hatte es ja soeben mehr oder weniger klar gesagt. Dass sie nur noch lebte, weil sie Mitch und Faye nicht zerstören wollte. Wenn sie wollte, dass er stattdessen gemeinsam mit ihr ein paar Kugeln schluckte, hätte sie eine Pistole mitgebracht. Dann würde sie nicht so in seinen Armen hängen. Dann würden seine folgenden Worte ihr nicht schon wieder das Herz, oder was auch immer davon noch übrig war, aus der Brust reissen. Es wäre einfacher gewesen, wenn er beim Gemeinsam Springen geblieben wäre. Hätte sicher auch nicht wirklich viel Überzeugungsarbeit seinerseits gebraucht und sie wäre mit ihm bis zur nächsten Klippe und darüber hinaus gefahren. Aber das sollten sie nicht. Das war aufgeben. Das war schlecht. Das würde Faye das Herz brechen. Und Victor. Und Ryatt würde nicht seine versprochenen drei Monate bekommen, um das Ruder herum zu reissen. Und sie beide würden nie wieder die Chance auf ein besseres Leben haben. Also mussten sie kämpfen. "Du für mich... und ich für dich...", fügte sie leise an. Weil sie beide zu tief im Selbsthass versunken waren, um auch nur einen einzigen Schritt sich selbst zuliebe machen zu wollen. "Ich weiss... nur noch nicht... wie...", offensichtlich. Wenn sie das noch wüsste, würde sie keine Suizidgedanken beichten müssen. Das war ja genau das Problem, dass sie eben nicht wusste, wie sie weitermachen sollte. Solche Aktionen wie heute durften nicht zur Gewohnheit werden, durften überhaupt gar nicht mehr vorkommen. Aber nur die Tatsache, dass sie mit Ryatt und schliesslich endlich mit Mitch geredet hatte, würde ihren Kopf nicht wieder gerade auf ihren Schultern zurecht rücken. "Ich weiss nicht... was wir ändern können... wie wir in dieser Situation... noch einmal hochkommen...", was wiederum eine Atem- und Heulpause erforderte. "Ryatt hat gesagt... er kann uns ein paar kurzfristige Urlaubstage einplanen... weil wir noch welche haben... und die ja dann nicht mehr brauchen, wenn... wenn er... wenn wir raus sind...", versuchte sie ihren mehr oder weniger produktiven Teil zur Lösung beizusteuern. "Er... er würde uns auch bis dahin helfen... wenn wir ihm sagen, wie...", versuchte sie das Angebot von Ryatt an Mitch weiterzugeben, falls er eine Option sah, dieses zu nutzen.
Es tut mir echt leid, dass ich hier schon wieder so Breaks verursache und uns aus dem Flow reiße, aber ich hatte echt null Kopf zu schreiben, weil ich ständig nur von A nach B gehetzt bin die letzten Tagen und wenn ich dann Zuhause war, war ich SO kaputt. >.< _______
Würden wir aus diesen krankhaften Emotionen und Gedanken überhaupt jemals vollständig rauskommen? Konnten wir das, was Aryana gerade dazu brachte, sich heftiger an mir festzukrallen und noch mehr zu weinen, ohne Rückfälle für immer hinter uns lassen? Ich wollte nicht in der Angst leben müssen, dass wir immer wieder so wie jetzt enden könnten, weil wir so oft falsch abgebogen waren. Vielleicht zu oft. Davis hatte mehr als einmal zu mir gesagt, dass man sich bewusst dafür entscheiden könne, glücklich zu sein, und dass ich das auch tun musste. Aber wie zur Hölle, wenn ich weiterhin hier festsaß und mir auch noch mit ansehen musste, dass ich nicht als einziger an dieser Scheiße zerbrach? Dass Aryana ein weiteres Mal ähnliche Worte wählte, wie ich es damals getan hatte, riss mich in der Mitte durch. Eigentlich liebte ich es, wie ähnlich wir uns waren, weil ich mich deshalb deutlich seltener vor ihr erklären oder rechtfertigen musste als vor jeder anderen Person auf diesem Planeten. Nur in Momenten wie diesen war es furchtbar, weil ich sie zu gut verstand und zu gut wusste, was sie gerade empfand. Doch vielleicht musste ich genau diesen Schmerz spüren, um weiterzumachen – die meisten Menschen handelten erst dann aktiv gegen ein großes Übel, wenn sie den Ist-Zustand nicht mehr länger aushielten und rückblickend betrachtet passte ich gut in dieses Muster. Das machte die lähmenden Stiche in der Brust jedoch nicht erträglicher. “Ich… ich hatte wirklich gehofft, dass du… das nicht auch durchmachen musst… dass ichs verhindern kann…”, hauchte ich ziemlich atemlos an Aryanas Haar, weil ich ein weiteres Mal unbewusst die Luft anhielt. Dicht gefolgt vom erneuten Schließen meiner Lider, weil sich auch bei mir Tränen anbahnten. Ich wollte aber nicht auch noch heulen – der Brünetten nicht noch einen Grund mehr dafür geben, sich selbst in diesem Moment zu hassen. Doch ganz gleich wie gut ich wusste, dass ihr jetziger Zustand wohl ebenso wenig meine Schuld war wie es damals umgekehrt der Fall gewesen war, änderte das nichts an dem Druck in meinem Hals oder an dem aufgeregt pochenden Herzen. Oder an dem schmerzhaften Stich im Rücken, weil Aryana es trotz allem scheinbar wirklich Ryatt vor mir gesagt hatte, so wie sie weitersprach. Einem Menschen, mit dem wir normalerweise eigentlich beide nichts anfangen konnten. Dem Menschen, der in Ruhe Faye nach Hause gefahren hatte, während wir zwei Mexikaner verstümmelt hatten. Es war nicht so, dass ich nicht verstand, wieso sie es getan hatte. Damals hatte ich schließlich auch Faye zuerst gesagt, dass ich mich am liebsten vor das nächstbeste Auto werfen würde. Es war naheliegend, dass es auch für Aryana einfacher war, zuerst einem Menschen davon zu erzählen, der ihr nicht so nahe stand wie ich… den es weniger hart treffen würde. Musste es aber ausgerechnet der Idiot sein, der ihr damals in meiner Abwesenheit ganz offen gedroht hatte? Überflüssig zu erwähnen, dass ich seine Hilfe jetzt eigentlich erst recht nicht annehmen wollte, wo ich mir damit bekanntlich grundsätzlich schwer tat. Ich lockerte die Umarmung langsam ein wenig, weil ich merkte, dass mir diese verkrampfte Körperhaltung nur noch mehr emotionalen Zwang und noch unregelmäßigere Atmung bescherte. Schließlich hob ich eine Hand, räusperte mich leise und schob die Finger unter Aryanas Haar. Legte die Hand wie so oft in ihren Nacken und begann mit dem Daumen über die hitzige Haut an ihrem Hals zu streicheln. “Das weiß keiner, der so tief fällt wie wir… und trotzdem… schaffen Viele es wieder hoch.”, murmelte ich hauchdünnen Optimismus, der eher direkt meinem Therapeuten und nicht meiner eigenen Seele entsprang. Wenn ich das Zeug, das er mir in all den Stunden aufgetischt hatte, hier und da etwas weitergab, dann war das zumindest schon mal der Beweis dafür, dass was hängen geblieben war. “Wir müssen… wieder mehr zusammenrücken. Du fühlst dich viel zu weit weg an…” Je länger ich sprach, desto leiser wurde ich und eine einzige Träne löste sich doch aus meinem rechten Augenwinkel. Weil ich nicht wahrhaben wollte, dass es wieder so weit gekommen war und weil es so weh tat. Nur wie sollten wir etwas daran ändern? Ob freie Tage dabei halfen? Genauso wie Aryana war mir eigentlich ausschließlich danach, stumpfsinnig rumzuliegen und in meinem eigenen Kopf zu ersaufen. Das war aber genau das, was uns am allerwenigsten helfen würde. Wenn wir diese Schritte nicht für uns selbst gehen wollten, dann mussten wir sie für unsere bessere Hälfte machen. Zumindest so lange, bis wir mit uns selbst wieder klar kamen. “Vielleicht sind ein paar freie Tage nicht schlecht…”, setzte ich eine ganze Weile später murmelnd dazu an, auf Ryatts Angebot einzugehen. Es konnte auf jeden Fall nicht mehr dabei schiefgehen, als wenn wir im Ausland rumballerten. Ich versuchte allerdings nicht wirklich lange, schon jetzt eine super Idee für unsere Tagesplanung in der Freizeit zu kriegen. Mein Hirn war schon mit dem Rest überfordert genug. “...auch wenn ich noch nicht weiß, wie wir die nutzen sollen… ich… ich lass’ mir was einfallen.”, nahm ich diese Bürde freiwillig auf mich, weil Aryana aktuell offensichtlich schon mit ihrer bloßen Existenz überfordert war. Ich auch, aber ich war das wohl trotzdem schon gewohnter, aus diversen Gründen. Ob Ryatt uns abgesehen vom Erteilen freier Tage noch weiterhelfen konnte, wusste ich nicht. Aber auch an dieser Stelle galt, dass ich mir darüber gerade noch keine wirklich produktiven Gedanken machen konnte. Schon nur gleichmäßig zu atmen war gefühlt das Anstrengendste schlechthin.
Ohjeee ._. Sinds denn wenigstens noch paar schöne Termine oder nur Stress? :‘) Hoff ich für dich, dass es irgendwann wieder besser wird.. :3 __________
Ja das hatten sie wohl alle gehofft... das alles so gekommen war, wie es jetzt eben war, hatte sich niemand herbeigewünscht. Als es einmal in Richtung Gut gegangen war bei ihnen beiden, hatte sie schon fast ein bisschen naiv geglaubt, dass es das jetzt endlich sein würde. Von diesem Rückfall der Extraklasse hatte sie da eher noch nichts geahnt. Und doch waren sie jetzt hier. Was jedoch keineswegs sein Verschulden war, wie er es mit seinen Worten fast ein bisschen darstellte. Was hätte er denn tun sollen? Wenn ihr Problem sie selbst und ihre eigenen Taten waren, wie hätte Mitch hier irgendwas verhindern sollen? Die Antwort war simpel: Gar nicht. Wenn jemand an ihrem aktuellen Zustand die Schuld trug, dann war sie es selbst. Sie, mit ihrem ausgeprägten Flair, absolut ständig die falschen Entscheidungen zu treffen. "Wie hättest du das denn verhindern wollen..? Das... das war nie deine Schuld...", machte sie einen schwachen Versuch, ihm diese zusätzliche Last sofort wieder abzunehmen. Es war ebensowenig sein Versagen, das dazu geführt hatte, dass sie heute so an seiner Brust hing, wie es damals nicht ihr Versagen gewesen war, dass Mitch selber eins vor Suizid gestanden hatte. Auch wenn sie damals mit nicht zu wenigen Gewissensbissen gesegnet gewesen war und darum schon nachvollziehen konnte, wie er sich jetzt fühlte. Aber es waren beides Situationen, in denen ihre eigenen Köpfe die Endgegner waren. Sie kaputtmachten, statt ihnen zu helfen. Sie spürte, wie Mitch wieder etwas mehr Luft zwischen sie liess. Nicht massiv, aber doch genug, dass er dann die Hand heben konnte und sie bald schon seine Finger auf ihrer Haut spürte. Sie versuchte ebenfalls, ein bisschen mehr Entspannung in ihre Glieder fliessen zu lassen. Allzu viel liess sich hier aber noch nicht machen. Ihre Umarmung wurde ein kleines bisschen lockerer, weil sie ja auch nicht versuchte, Mitch hier zu erdrücken. Irgendwie zurückweichen tat sie aber sicher noch nicht. Dazu heulte sie noch immer zu sehr, auch wenn die Schluchzer langsam, nach etlichen Minuten endlich weniger wurden. Was ihr Hals auch dankbar akzeptierte und ihr Herz sowieso. Viele schafften es wieder hoch. Sie musste sich wirklich konzentrieren, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen und nicht nur gedanklich das stille aber leider nicht alle dazuzudichten. Eigentlich war sie gar nicht so pessimistisch veranlagt, überliess diesen Teil sonst eher Mitch. Sie wollte auch daran glauben, dass sie beide zu denen gehörten, die es wieder hoch schaffen würden - wie all die Male davor. Es war nur leider nicht zu lügen, dass sie aktuell den Weg nicht sah. Nicht nur schemenhaft oder im Nebel oder durch unwegsames Gelände oder durch Schlamm. Da war viel eher einfach wirklich gar nichts. Und das machte die Ausgangslage ungewöhnlich für sie. Sie wusste eigentlich, wofür sie kämpfte - für Mitch und für sie. Da fehlte nur akut das Ziel. Vielleicht halfen seine nächsten Worte ja dabei, dieses wieder etwas besser zu erkennen. Vielleicht war mehr zusammenrücken das Ziel. Ein kurzfristiges Ziel, aber es gab vielleicht wenigstens ein bisschen Orientierung. Sie drehte etwas den Kopf, um einen Blick nach oben in sein Gesicht zu riskieren. Offensichtlich im falschen Moment, denn obwohl ihre Sicht dezent verschwommen war, konnte sie die Träne erkennen. Sie hatte ihm nicht wehtun wollen mit all dem... Was ein Grund war, warum sie es ihm nicht gesagt hatte. Was aber auch ein Grund war, warum es ihm jetzt umso mehr wehgetan hatte. Warum er das gerade gesagt hatte. Warum da eine Träne war. Sie löste nun doch einen Arm von ihm, um die leicht zittrige Hand nach seinem Gesicht auszustrecken. Strich über seine Wange und trocknete mit ihrem Daumen die Träne. Seine Haut war ebenfalls warm, obwohl es hier draussen eigentlich nicht mehr warm war. Aber auch Mitch lebte eben noch und solange sie lebten, würden sie solche Emotionen spüren. Auch wenn sie keine Lust mehr hatten, weil alles einfach nur noch ermüdend war. "Ich... ich wollte nicht weit weg... Es... es war nur irgendwann leichter, nicht mehr darüber zu reden... Das haben wir ja davor versucht. Und das machen wir jetzt... und ich tu' dir nur wieder weh...", murmelte sie müde, auch wenn sie wusste, dass er Recht hatte. Sie wollte auch nahe bei ihm sein, ihm alles sagen können und mit ihm durch Dick und Dünn gehen. Sie war nur kaputt... Und er auch... Die Hoffnung, dass ein paar Tage frei daran gross was ändern würden, hatten sie sicher beide nicht. Trotzdem willigte Mitch diesem Vorschlag von Ryatt zu und Aryana lehnte ihren Kopf wieder gegen seine Brust und blickte in die langsam in der Dunkelheit verschwindende Ferne. Schloss die Augen, aus denen nach und nach immer weniger Tränen zu fliessen vermochten, weil sie sich wohl alle Tränenspeicher ausgeheult hatte. Ihre Hand lag noch immer auf seiner Wange, streichelte noch immer in unregelmässigen Abständen über seine Haut. "Okay... dann sollten wir ihm das dann sagen... Und... wir können uns zusammen was ausdenken...", machte sie ein nettes Angebot zurück, auf das er wohl kaum eingehen würde, weil, so sehr sie sich auch bemühen wollte, wohl keine grosse Denkleistung in irgendeinem Belangen von ihr erwartet werden konnte. Sie funktionierte einigermassen, mal mehr, mal weniger - so wie heute. Aber alles, was mehr von ihr verlangte, war eher zum Scheitern verurteilt. So wahrscheinlich auch sinnvolle Freizeitplanung.
Fast nur Stress natürrliicchhhh... musste bis gestern das Pony meiner Schwester mitversorgen, weil sie in der Klinik war. Kollege ist diese Woche leider auch noch im Urlaub, heißt auf der Arbeit bleibt ausnahmslos ALLES an mir hängen, aber zum Glück nur noch heute und dann langes Wochenende... und dann bald endlich selber Urlaub, hatte ja dieses Jahr noch keinen. x'D __________
Ich atmete schwer durch, mit einem noch schwereren Seufzer im Abgang. “Das weiß ich… aber ich hätte es erkennen können… viel früher schon, wahrscheinlich… ich kenn das doch alles von mir selber.”, wollte ich mich nicht vollständig davon abbringen lassen. Ich hätte wenigstens genauer hinsehen sollen. Natürlich konnte ich Aryana genauso wenig in den Kopf sehen, wie sie das bei mir konnte. Hätte ich aktiv nach Anzeichen dafür gesucht, dass es ihr wirklich dermaßen schlecht ging, hätte ich sie aber finden können. Rückblickend betrachtet verhielt sie sich schließlich nicht wirklich viel anders als ich damals. All die Wenns und Abers brachten mich nicht weiter, ich sollte mich nicht daran aufhängen. Es fiel mir jedoch schwer, das einfach so hinzunehmen. Wenigstens schien die Nähe, die wir in letzter Zeit oft eher vermieden hatten, der Brünetten jetzt mit den Tränen zu helfen, wenngleich nur schleppend. Auch sie konnte sich zumindest ein bisschen aus dem Klammergriff lösen und hörte sogar damit auf, ihre Augen stur abzuwenden. Wenigstens so lange, bis die Träne komplett abgetrocknet war oder ich mal auf die schlaue Idee gekommen wäre, sie mit der Schulter zu beseitigen, hätte Aryana aber gern noch woanders hingucken können. Vielleicht war das eines unserer Probleme – dass wir eigentlich beide nicht wollten, dass der jeweils andere diese starken negativen Gefühle mitbekam, obwohl man einen Partner nun mal nicht nur für die schönen Zeiten hatte. Ich mied Aryanas Blick gezielt, als ich ihre Finger an meiner Wange spürte. Erst als sie ein paar Worte loswurde, mit denen ich nicht wirklich einverstanden war, rutschte mein Blick in ihre dunklen Augen. Vielleicht würden wir beide uns für immer schwer damit tun, ganz offen miteinander zu reden. Es deswegen nicht zu tun, war aber nicht mehr wirklich eine Option. “Ich hab mich ja irgendwann auch davor gedrückt.”, bestätigte ich die junge Frau zumindest in ein paar ihrer Worte. “Aber der leichte war für uns bisher selten der richtige Weg.”, erinnerte ich sie etwas nüchtern an das, was uns das Leben sowieso schon ständig einprügelte und das beinahe pausenlos. Ich zögerte ein wenig, bevor ich noch ein paar Worte sprach: “Außerdem… tut es so mehr weh, glaube ich… auch wenn ich jetzt besser verstehen kann, wie du dich gefühlt hast, als ich so drauf war.”, murmelte ich vor mich hin. Eigentlich wollte ich schon nach dem ersten Wort zurückrudern, wie so oft, weil das ganze Gespräch einfach nur unangenehm war. Normalerweise war ich bis hierhin immer derjenige gewesen, der die ganz üblen Sachen in seinem Kopf zu beerdigen versuchte. Jetzt wusste ich wenigstens, was ich Aryana damit immer angetan hatte. Vielleicht würde das in Zukunft helfen – vielleicht auch nicht. Die Kernaussage dieser Sache ging für unsere aufgewühlten Gemüter möglicherweise in meinen zögerlichen Sätzen verloren, weswegen ich doch nochmal das Wort ergriff. “Lass das bitte nie der Grund dafür sein, mir irgendwas nicht zu sagen… du könntest mich sowieso nie so sehr verletzen, wie ich mich selbst.” Ich sprach noch leiser als vorher und räusperte mich im Anschluss, weil meine Stimme durch den Druck auf der Kehle dünner wurde. Ich wusste leider ganz genau, dass sich das leichter sagen als durchziehen ließ. Dennoch mussten wir wenigstens versuchen, uns dieses krankhafte Verhalten irgendwann mal abzugewöhnen. Beiderseits. Aryana verkrümelte sich mehr an meiner Brust und ich machte die Augen wieder zu. Es war auf diese Weise sowieso einfacher, die restlichen Tränen hinter Schloss und Riegel zu halten. Langsam kroch mir die Kälte an den Rücken, aber ich fokussierte mich stattdessen auf die Nähe der Brünetten. Bezüglich Ryatt und der freien Tage ließ ich nur ein “Hmm, machen wir.” von mir hören, weil beides gerade noch nicht meine Priorität war. Erstmal sollte Aryana sich vollständig beruhigen, so gut wie in ihrer Verfassung möglich, weshalb ich sie weiter festhielt und über ihren Nacken streichelte. Versuchte zugleich auch, mich auf ihre zarten Finger zu konzentrieren, um wieder auf den Teppich zu kommen. Ob ich mir dann später alleine oder doch mit ihr zusammen Gedanken über eine sinnvolle Tagesplanung für die scheinbar anstehende Freizeit machte, war mir für den Augenblick noch egal.
Das ist blöööd. :( Aber immerhin Urlaub in Aussicht! xD Wann ist es soweit? _________________
«Du bist doch selber kaputt, Mitch… willst du dir jetzt wirklich einen Vorwurf dafür machen..?», stellte Aryana – für einmal ohne Bedarf einer langen Denkzeit bevor sie auf seine Worte antworten konnte – eine eher rhetorische Frage. Sie machten sich beide gerne für viele Dinge Vorwürfe und hassten sich für mindestens ebenso viel selber. Aber von ihr aus konnte er diesen Punkt getrost fallen lassen. Es würde ihr sogar besser gehen, wenn er sich nicht noch zusätzlich den Kopf darüber zerbrach, weil es letztendlich genau solche Sachen waren, die sie davon abhielten, einander alles zu erzählen. Weil sie verhindern wollten, die andere Person mit solchen Gefühlen zu belasten, die doch eigentlich überhaupt nicht nötig waren. In diesem Belangen konnte sie jedoch leider auch seiner nächsten Aussage zustimmen: Bloss weil es einfacher war, nicht darüber zu reden, hiess das noch lange nicht, dass es auch richtig war. Das bestätigte er ihr unter anderem auch mit den Worten, die er gleich darauf zögerlich und eher gemurmelt anfügte. Worte, die jetzt nicht unbedingt ihren Tränenstopp begünstigten und stattdessen eher dazu führten, dass doch nochmal ein leises, hilfloses Schluchzen zu hören war, dem das entsprechende Wasser in ihren Augen folgte. Sie hatte ihm nicht mehr weh tun wollen, sondern weniger. Aber auch hier hatte sie offensichtlich ziemlich falsch kalkuliert… Was sie einerseits auf ihre allgemein verminderte Denkkapazität schieben konnte, aber eben auch auf das wiederkehrende Kommunikationsproblem, das sie beide viel zu gut kannten. Dabei sollten sie es doch langsam aber sicher besser wissen. Gerade auch, weil sie die gleichen Gefühle, die sie ihm gerade bescherte, umgekehrt auch schon zu spüren bekommen hatte. Sie war echt nicht gemacht für so viele Emotionen in diesem Ausmass… «Das… wollte ich auch nicht… tut mir leid…», murmelte sie schlecht verständlich ein paar Worte gegen seine Brust, die er eigentlich auch nicht zu hören brauchte, weil ihm sicher bewusst war, dass ihn zu verletzen nicht ihre Motivation zu schweigen gewesen war. Auch als Mitch fortfuhr, sprach er ihr leider aus der Seele. Sprach das aus, was sie die letzten Wochen über wunderbar am eigenen Leib – beziehungsweise an eigener Seele – erfahren hatte. Wenn jemand anderes sie verletzte, konnte sie wenigstens jemanden anderes dafür hassen. Jemand anderem die Schuld geben. Wenn sie selbst es war, die die falschen Entscheidungen getroffen und die dummen Sachen gemacht hatte, dann war da nur sie gegen sie. Und sie war immer ihr grösster Feind. «Okay…», meinte sie gedrückt auf den ersten Teil seiner Worte. Den Rest liess sie lieber unkommentiert, weil sie eigentlich weiterhin versuchte, die Tränen abzustellen und das dabei sicher nicht helfen würde. Stattdessen bemühte sie sich nun unter Beihilfe seiner zarten Berührungen um tiefere Atemzüge und eine allmähliche Entspannung ihres Körpers, soweit das zu diesem Zeitpunkt im Allgemeinen eben möglich war. Sie blieb wieder ein paar Minuten still, hatte dabei die Augen erneut geschlossen und versuchte, sich auf seine Nähe, seinen Duft, seine Wärme und seine Finger zu konzentrieren. Auf das, was ihr schon so oft dabei geholfen hatte, sich wieder zu erden. Als sie dann den Kopf irgendwann wieder etwas anhob, um mit ihren Augen erneut nach seinem Blick zu suchen, schienen die Tränen langsam ihr Ende gefunden zu haben. Ihre Finger hatten eine Weile still gelegen, strichen nun wieder über seine Haut. «Es wäre wirklich schön, wenn wir uns einmal selbst so erleben könnten, wie wir uns gegenseitig sehen… Anstatt nur immer mit so viel Wut… und Hass… Schuldgefühlen und Selbstzweifel….», hauchte sie leise zu ihm hin. Aryana wusste, dass er das Gleiche für sie empfand wie sie für ihn. Das war auch nötig, weil er sonst längst davongelaufen wäre. Aber die Gefühle, die sie für sich selbst übrig hatten, sahen nunmal leider ganz anders aus… und das war das Gift, das sie beide langsam zerfrass… Ihr Endgegner, den sie leider auch nach jahrelanger Schlacht nicht tot kriegen wollten.
Ab nächsten Samstag hab ich zwei Wochen frei und vom 9.-16.6. bin ich an der Ostsee bei meiner Verwandtschaft. Ist aber gut möglich, dass ich in der Zeit dann auch nicht viel schreibe aus Gründen. :'D _____
Ja! Aber sollte ich das? Ich antwortete Aryana nicht darauf, aber sie brachte mich mit diesen paar Worten noch mehr ins Grübeln. Es war zweifelsfrei ungesund, mir freiwillig noch mehr Schuld aufzuladen, obwohl meine Freundin mir das niemals vorhalten würde, weil ich selber kaputt war. Früher hatte ich das als Ausrede für alles Mögliche genommen. Für meine Wutausbrüche, für das Wegschubsen mir nahestehender Menschen, für meinen schwierigen Charakter, ja teilweise sogar für schlimme Taten. Zwar konnte ich an meiner katastrophalen mentalen Verfassung aktuell wenig ändern, weil ich nicht aus der zu großen Teilen dafür verantwortlichen Situation herauskam, aber ich wollte trotzdem nicht, dass das auf ewig meine Ausrede für alles war. Zumindest nicht Aryana gegenüber. Ich wollte sie nämlich nicht immer wieder zum Weinen bringen. Das hatte ich nie gewollt und trotzdem war es schon viel zu oft passiert. Diesmal mochte ich nur eine Teilschuld daran haben, weil meine Worte mal wieder nicht sensibel genug gewählt waren, aber dennoch… “Das weiß ich, Aryana… ist schon gut.”, murmelte ich ebenso bedrückt vor mich hin und hauchte einen flüchtigen Kuss an ihren Haaransatz, eng begleitet von weiteren Streicheleinheiten. Natürlich war hier gerade gar nichts ansatzweise gut, aber aus ihrem Schweigen würde ich ihr niemals einen Strick drehen. Schließlich tat sie das umgekehrt genauso wenig, obwohl ihr das oftmals nicht weniger weh getan hatte als mir jetzt. Es kehrte ein länger anhaltendes Schweigen ein, bei dem nicht nur die Brünette sich allmählich beruhigte. Die schlechten Neuigkeiten waren nicht plötzlich wie weggeblasen, aber der Druck auf meiner Brust nahm mit den fast stillen Atemzügen, die wir irgendwann beinahe synchron machten, immerhin etwas ab. Mein Herzschlag beruhigte sich und irgendwann machte ich sogar die Augen auf, um über Aryana hinwegzusehen. Es war eigentlich ganz schön hier oben. Vor allem bei Sonnenuntergang, aber auch wenns immer dunkler wurde. Es war nicht vollkommen still, man hörte von Weitem immer mal wieder das leise Rauschen eines Autos. Ansonsten war da aber nichts – nur wir beide und die Dunkelheit, in der wir uns nicht erst hier oben verirrt hatten. Die junge Frau unterbrach meine Gedanken, als sie sich regte. Ich lockerte den um ihren Körper liegenden Arm automatisch ein wenig, um ihr mehr Spielraum zu geben, und sah zu ihr runter. Die leisen Worte, die dann über ihre Lippen kamen, waren noch nicht gerade von purem Optimismus getränkt. Zeigten viel mehr ein weiteres Mal, wie sehr wir uns beide selbst in die Scheiße ritten. Mich selber so zu sehen, wie ich Aryana sah, war gefühlt unmöglich. Nicht in greifbarer Nähe. “Vielleicht werden wir das irgendwann… wenn wir endlich die Möglichkeit dafür haben, aus diesem ewigen Kreislauf rauszukommen… und mal wirklich wir selbst zu sein.”, nuschelte ich. Danach umspielte ein noch dezent geknickt wirkendes Lächeln meine Lippen, denn eigentlich hatte ich die Hoffnung ja selber schon längere Zeit aufgegeben. Dabei durfte ich genau das eigentlich absolut nicht tun. Wenn einer von uns beiden aufgab, tat der andere es früher oder später auch und irgendwann wäre das eine endgültige Sache. Diesmal wars Aryana, die das Licht am Ende des schier endlos langen Tunnels nicht mehr sehen konnte, weil sie es selbst erstickt hatte. Wenn sie es alleine nicht mehr wiederfinden konnte, dann musste ich es suchen gehen. Für sie und irgendwie wohl auch für mich… und für Faye. Die hätten wir nämlich eigentlich gar nicht erst retten brauchen, wenn wir es jetzt nicht hinbekamen, auch uns selbst aus der Dunkelheit zu ziehen.
Das klingt gut und ist schön für dich, trifft sich aber nur so semi gut mit meinem eigenen Urlaub, der dann nämlich vom 15.-23.6. dauert. x'DD Aber wir werden auch das überleben. xD ___________
Gut... Gut war hier eigentlich nichts, wie ihnen beiden bestens klar war. Darum hatte sie gerade auch so lange und so heftig geheult, wie sie es wohl seit Julians Tod nicht mehr getan hatte. Offensichtlich war das nötig gewesen... Vielleicht auch gut. Vielleicht würde es jetzt besser... Aber so ganz sicher wusste das eben keiner. Sie wollte gerne daran glauben, dass ihre Probleme sich in Luft auflösten, bloss weil sie sie jetzt mit Mitch teilte, aber um darauf zu vertrauen, war sie wohl langsam etwas zu desillusioniert. Trotzdem. Es war besser als vor einer Stunde. Ihr Herz fühlte sich wenigstens ein kleines bisschen leichter an. Sie hatte die zwischenzeitlich halb eingestürzte Brücke zwischen sich und Mitch wieder gekittet. Wie gut sie diesmal hielt, würde sich im Verlauf der nächsten Wochen zeigen... aber sie hoffte - und würde sich schwer darum bemühen - dass sie stärker, stabiler und nicht schwächer wurde. Aryana lauschte seinem Herzschlag, der sich nach und nach mit ihrem synchronisierte, bis sie beide wieder einen normalen Puls und eine normale Atemfrequenz aufwiesen. Normal war sonst eher nicht ihr Fachgebiet, aber immerhin ihre Körper schienen sich noch an sowas wie ungeschriebenen Leitlinien zu orientieren. Was die Brünette durchaus begrüsste. Es machte ihre aktuell vorrangige Mission, sich endlich zu entspannen, wesentlich einfacher. Sie versuchte, sein kleines Lächeln sachte zu erwidern. Es musste noch mindestens genauso angeschlagen aussehen wie sein eigenes, aber trotzdem war es ernst gemeint. Die Vorstellung, eine ganz ungezwungene Version von ihm und ihr zu finden, war schon schön. Auch wenn sie sofort die Frage mit sich brachte, wie genau diese Version denn aussehen würde. Was sie machten, wenn sie wirklich sich selbst waren. Das war neu, hatten sie so noch nicht gehabt... Aber sie würde sich freuen, wenn es eintreffen würde. Wenn es eine Zukunft für Mitch und sie gab, dann sollte es diese werden. Aryana richtete sich ein bisschen mehr auf, rückte näher zu Mitch heran, um neben ihm sitzend erneut ihre Hand an seine Wange zu legen, seinen Kopf in ihre Richtung zu drehen und ihre Lippen sanft auf seine zu legen. Sie war noch immer dicht bei ihm, lehnte nur nicht mehr an seiner Brust, sondern eher an seiner Seite. "Ich… ich bin froh, hab ich dich, Mitch. Egal, wie das alles weitergeht… es gibt niemanden, mit dem ich das eher schaffen könnte, als mit dir.", hauchte sie ein paar Worte an seine Lippen, die Augen dabei noch geschlossen. Ihre Wangen waren noch feucht, aber für den Moment schienen die Tränen versiegt. Sie versuchte, den Blick aufs Wesentliche zu legen. Auf ihn und sie und den Weg hier raus, den sie eben nicht mehr sah. "Ich bin wirklich froh... Auch wenn du mich zwingst, nicht aufzugeben und das verdammt anstrengend ist…", ein weiterer zarter Kuss, bevor sie ihren Kopf auf seiner Schulter ablegte und ihr Blick in die Weite glitt. Es liess sich gerade schwer abschätzen, inwiefern das allein reichen würde. Aber sie hatte Ryatt sowieso mehr oder weniger die drei Monate versprochen. Es war also okay, wenn sie gerade noch nirgendwo wirklich drüber sah... Sie musste sowieso noch drei Monate kämpfen. Dann konnte sie das auch gleich mit allen Karten auf dem Tisch machen - mit Mitch, statt ohne ihn. Und wenn das nicht genug sein würde, dann hätte es ohnehin nichts mehr gegeben, was sie hätte retten können.
Dann weiß ich ja schon, was ich in meiner anschließenden zweiten Urlaubswoche definitiv nicht machen werde - nämlich hier schreiben, leeel. x'D ________
Ich folgte Aryanas unausgesprochener Bitte, ließ sie meinen Kopf drehen und kurz darauf schon meine Lider sinken. Ihre weichen Lippen auf meinen zu spüren, hüllte mein Herz zurück in einen wohligen Schleier. Alles in mir war stetig kälter geworden, in den letzten Wochen. Die wieder aufkommende Distanz zu der Person, die mir am nächsten stand, hatte diesen Effekt zweifelsohne verstärkt. Das merkte ich jetzt, wo wir ansatzweise zurück zueinander fanden, umso deutlicher. Wie kam es, dass wir noch immer manchmal glaubten, etwas alleine in die Hand nehmen und tragen zu müssen? Nach allem, was wir schon gemeinsam durchgestanden hatten, schien es uns trotzdem noch immer nicht gelungen zu sein, diesen Schutzmechanismus komplett auszuhebeln. Keiner von uns. Aryanas Worte verliehen meinen bestens dazu passenden Gedanken einen noch etwas bittereren Geschmack… wenngleich auch das schnell wieder durch den nächsten von mir erwiderten Kuss gemildert wurde. Mein Blick haftete noch einen langen Moment auf der Brünetten, als sie längst nicht mehr zu mir hoch sah. Ich hatte bis jetzt noch nichts erwidert, weil das Karussell in meinem Kopf sich heftiger drehte, als ich es in Worte fassen konnte. Was Aryana gesagt hatte, trug ebenso viel Schönes wie Schlimmes in sich und ich sehnte mich nur noch mehr danach, endlich mal auf der grünen Seite des verdammten Zauns anzukommen. Meine Hand rutschte aus ihrem Nacken und an ihrem Rücken abwärts bis zu ihrer Taille, wo ich die Hand schließlich liegen ließ. “Bei der Wortwahl kauf ich dir das mit dem froh irgendwie noch nicht so ganz ab…”, stellte ich nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit leise fest, grummelig und fast schon etwas trotzig, streichelte ihr aber beinahe unermüdlich über die Seite. Der Trotz kam nicht davon, dass die Brünette gerade nicht besonders froh über auch nur irgendwas wirkte, sondern daher, dass ich das schlichtweg nicht akzeptieren wollte. Nicht langfristig jedenfalls. Sie sollte das wieder mit mehr Freude, mit mehr Gefühl sagen können. Irgendwann, wenn wir dieses absolut beschissene Etappe unseres gemeinsamen Lebens endlich hinter uns lassen konnten. “...aber ich werd’ das Streichholz schon finden. Ich… vermiss’ dein Feuer… deine Wärme.”, murmelte ich weiter und endete in einem leichten Seufzen, als ich meinen Kopf gegen ihren lehnte und die Augen wieder zumachte. Es war eines der Dinge, die ausschlaggebend dafür waren, dass ich mich in sie verliebt hatte, oder zumindest glaubte ich das. Für mich hatte Aryana ab einem gewissen Zeitpunkt immer viel heller geleuchtet als alles andere. Ich hatte mich zu ihr gesetzt und mich an ihr gewärmt, weil in mir gefühlt schon damals alles kalt, längst gestorben war… und seitdem war ich noch unzählige weitere Male innerlich verreckt. Trotz meiner kaputten Seele und dem so oft zerschossenen Herzen sah sie mich nie so an, als wäre ich weniger wert als vorher. Jetzt war da leider nur noch eine läppische Glut, die Aryana sogar noch austreten versuchte, weil das Feuer sie verbrannt hatte. Wir stritten uns nicht mal mehr, hatten beide keine Energie und auch keinen Grund dafür. Selbst das vermisste ich – zumindest die belanglosen Zankereien, die nach fünf Minuten sowieso vergessen waren. Während ich an Aryanas einst flammenden Ehrgeiz und deswegen auch daran dachte, wie wir vor Jahren zusammen am Feuer der Army gesessen hatten, kam mir ein spontaner Einfall. Ich machte die Augen wieder auf und sah schräg zu ihr runter, ohne ihr Gesicht richtig sehen zu können. “Hat Ryatt irgendeinen zeitlichen Rahmen für die freien Tage gesetzt? Oder sonst noch irgendwas Wichtiges gesagt?”, fragte ich in die entstandene Stille hinein nach etwaigen Dingen, die uns auf irgendeiner Ebene bei jeglicher Form von Planung im Weg stehen konnten, jetzt wo Aryana hoffentlich ansatzweise klarer denken konnte. Am liebsten hätte ich sowieso den exakten Wortlaut gewusst, den des ganzen Gesprächs. Es schien aber selbst mir dezent übertrieben, danach zu fragen.
Ja wird wahrscheinlich so sein, da ich ja bekanntlich am Handy selten bis nie die Motivation finde… xD ________
Es tat gut, seine Nähe zu spüren. Seine Lippen und die Zärtlichkeit dieser Berührung. Sie hatten sich lange nicht mehr so geküsst - mit voller Präsenz und mit all den Gefühlen, die sie doch eigentlich noch immer so tief verbanden. Diesmal waren es keine Differenzen zwischen ihnen, die sie auseinander getrieben hatten, sondern sie und ihre Probleme mit sich selbst. Aber das sollte jetzt endlich ein Ende finden. Seine Lippen lösten nur wieder die unmittelbare Frage in ihr aus, wieso sie überhaupt je das Gefühl gehabt hatte, alleine eher einen Weg aus der Dunkelheit zu finden als gemeinsam mit ihm. Vielleicht hatte sie das Gefühl auch gar nicht gehabt. Vielleicht hatte sie es einfach gar nicht mit ihm versuchen wollen, weil sie offensichtlich einfach ganz aufgegeben hatte und es gar nicht mehr nochmal versuchen wollte. Trotzdem waren die zwei eigentlich gar nicht langen Küsse eine direkte Erinnerung an das, was sie ebenfalls aufgab, wenn sie aufhörte, einen Weg aus der Dunkelheit zu suchen. Ihn, sie beide. Das, wofür sie jetzt schon so lange gekämpft hatten. Das Leben war nicht nur unfair zu ihr, sie war auch unfair zu Mitch, wenn sie ihn hier hängen liess. Und das wollte sie nicht sein. Das sagte auch das tonlose Seufzen, das nach einem tiefen Atemzug über ihre Lippen glitt, noch bevor sie seine Antwort auf ihre vorangegangenen Worte vernahm. Vielleicht hatte sie sich nicht so schön ausgedrückt. Aber sie waren ja gerade beim nicht lügen... Und der ganz grosse Optimismus betreffend einer unbeschwerten Zukunft, war bei ihr trotz diesem Gespräch noch nicht angekommen. Wäre auch ein bisschen komisch, wenn sie innerhalb von einer halben Stunde von ich will sterben zu das schaffen wir problemlos schwenken würde. Das Feuer war aktuell leider einfach nicht da, wie er gleich darauf so schön feststellte. Die Kombination von schlimmen Erfahrungen und falschen Entscheidungen hatte etwas zu oft darauf herumgetrampelt. Sie wollte aber gerne daran glauben, dass die Glut noch existierte. Dass es nur ein bisschen frischen Brennstoff und das von Mitch erwähnte Streichholz brauchte. Aryana hielt die Augen ebenfalls noch ein bisschen länger geschlossen, während der Sturm an Emotionen sich langsam beruhigte. "Wir... wir schaffen das... Ich kratz schonmal die Glut zusammen, bis du das Streichholz gefunden hast...", versuchte sie mit noch sehr sachtem Sarkasmus doch noch den Weg in Richtung positiver Affirmation einzuschlagen. Sie hatte sich schon bei Ryatt mehr oder weniger dazu entschieden, dem Leben nochmal eine dreimonatige Chance zu geben. Wenn sie sich nicht wenigstens einredete, dass dieser Versuch tatsächlich gut ausgehen könnte, konnte sie das alles auch gleich bleiben lassen. Und das wollte sie ja nicht. Eigentlich wollten nicht nur Mitch und Faye und Ryatt, dass sie am Leben blieb und alles gut wurde - eigentlich wollte sie das auch. "Nein... er hat nichts gesagt, ich weiss aber auch nicht, wie viele Urlaubstage wir noch haben... Und ich habe auch noch überhaupt nichts nachgefragt zum zeitlichen Rahmen oder anderen Konditionen...", beantwortete sie seine Frage. Nach kurzer Pause hob sie den Kopf, um ihn nochmal anzuschauen, suchte nach seinem Blick und strich wieder mit ihren Fingern über seine Wange. "Es tut mir leid... dass ich bei Ryatt war, statt bei dir... Ich... du glaubst mir sicher, dass ich absolut nicht mit der Absicht zu ihm gegangen bin, dort mein Herz auszuschütten oder einen Nervenzusammenbruch hinzulegen... Alles an dem Besuch war eigentlich ungeplant, aus irgendeinem dummen Affekt heraus passiert... Aber vielleicht wars nötig...", murmelte sie eine weitere Entschuldigung, die ihr eigentlich schon seit dem Besuch bei Ryatt auf der Zunge gelegen hatte. Auch wenn sie den Umweg zu diesem Geständnis nicht wirklich absichtlich gegangen war.