Ich möchte nur schonmal mental darauf einstellen: Wenn ich das nächste Mal meine Banner neu mache (was wie immer nur eine Frage der Zeit ist lol), dann werden sie wohl wieder eine andere Form haben müssen. Die Vorlage ist nämlich scheinbar beim neu Aufsetzen des PCs verloren gegangen und ich mag nicht dieselbe nochmal neu machen. :') _______
“Da fällt mir glatt ein, ich hab meinen Gehstock wohl im Hotel liegen lassen… sieht aus, als müsstest du mich auf dem Heimweg stützen.”, seufzte ich theatralisch und sah mich links und rechts neben meinem Stuhl um, so als hätte da normalerweise mein Stöckchen gestanden. Natürlich war da rein gar nichts Wahres dran, der Abend stand im Zeichen der guten Laune. Das hieß nur nicht zwangsläufig, dass nicht auch immer wieder etwas ernstere und fürs Leben tatsächlich relevante Themen aufkommen konnten. Ich interessierte mich dafür, wie Faye ihr zukünftiges Leben verbringen würde und umgekehrt war das offensichtlich genauso. Wir hatten uns sonst nur begrenzt darüber unterhalten, was schade war. Immerhin gab es Vieles, was ich sie noch nicht gefragt hatte und jetzt vielleicht auch nie mehr fragen würde. Ich nickte nur lächelnd, als Faye das Hochzeitsthema abschließend abgerundet hatte. Viel mehr gab es meinerseits schlichtweg nicht dazu zu sagen, weil ich damit nichts am Hut hatte – sicherlich nicht einmal anwesend sein würde, wenn die Vermählung dann stattfand. Selbst wenn ich eingeladen wäre, könnte ich es möglicherweise ohnehin noch nicht mit mir vereinbare, je nach Gefühlsstatus… Ein bisschen ähnlich ging es Faye mit zukünftigen Kindern. Schon ihre Körpersprache verriet mir, dass das kein so einfaches Thema wie die Hochzeit für sie war. Je länger sie sprach, desto klarer wurde auch, wieso das so war. Ich kam nicht umhin, mich deshalb mitschuldig zu fühlen. Deshalb sank mein Blick im Laufe ihrer Worte auch auf die Tischdeko zwischen uns. Egal wie oft die zierliche Brünette noch betonte, dass sie mir an alledem maximal sehr begrenzt eine Schuld zuschob, würde ich für meinen Teil sicherlich noch lange Zeit dafür brauchen, diese Ansicht zu teilen. Ich wollte nicht der Auslöser dafür sein, dass sie nicht schlafen konnte, Paranoia sie quälte, sie unter Angststörungen litt. Für ungefähr zwei Sekunden machte ich bei einem längeren Atemzug die Augen zu. Versuchte dabei trotzdem möglichst flach zu atmen und das anschließende Schlucken tonlos zu halten. Mir war schon vorher klar gewesen, dass es ihr nicht gut ging. All die Symptome von ihr aufgelistet zu bekommen, war aber noch mal was anderes. “Ja, das…”, setzte ich etwas planlos zu einer Antwort an, weil Schädel und Herz sich wieder gegen mich zu verbünden schienen. Irgendwo ganz hinten in meinem Kopf war sie wieder, die leise Stimme. Du musst dir das alles nicht antun, weißt du? Ich will sowieso keine, alles gar kein Stress. Ich würde mich mittlerweile gerne selbst dafür erwürgen, dass meine Hoffnung auf eine Zukunft mit Faye noch immer nicht vollständig gestorben war. Müssten wir uns noch zehn Mal darüber streiten, damit selbst die letzte meiner Zellen kapierte, dass mehr als rein platonische Umarmungen nicht drin waren? “...das ist vernünftig. Dein Part dabei wäre immerhin der wesentlich anstrengendere… und es ist eine Entscheidung für immer, nicht nur für ein paar Jahre. Du hattest bis hierhin schon mehr als genug Probleme im Leben, da sollte das gut überlegt sein.”, knüpfte ich leicht murmelnd mit etwas Mühe an den schon angefangenen Satz an. Irgendwie klang das so, als würde ich ihr die Kindersache ausreden wollen. Was eigentlich gar nicht so war… oder zumindest nur ein winziges bisschen, weil ich offenbar ein noch schlechterer Zuhörer war, wenn mir dabei eigene Gefühle in die Quere kamen. Ich blickte noch immer auf die Kerze in der Tischmitte. Sie hatte etwas Hypnotisches an sich, fraglich nur ob in guter oder schlechter Hinsicht. Fühlte sich ein bisschen an, als wäre das winzige Flämmchen erneut in meinen Brustkorb gehüpft. Mit dem nächsten, sehr bewussten Blinzeln, löste ich die Augen endlich davon und konnte immerhin mit einem noch minimal angespannten Lächeln dienen, als ich weitersprach: “Ich hoffe wirklich für dich, dass du das alles hinter dir lassen kannst. Dass du gesund wirst und das Leben so genießen kannst, wie du das möchtest… von allen Menschen, die ich kenne, hast du dir das nämlich mit Abstand am meisten verdient.” Erst mit den Worten wurde mein Lächeln noch etwas breiter. Faye hatte definitiv schon mehr Punkte dafür gesammelt, endlich ein gutes, glückliches Leben zu führen, als ich Punkte fürs mich glücklich verlieben auf dem eigenen Konto hatte. Nur war das kein Konkurrenzkampf, jeder spielte im Leben sein eigenes Spiel. Unsere Wege hatten sich dabei gekreuzt, aber bei so vielen guten Wünschen für die Zukunft klang es längst so, als würden wir fortan alleine weiterspielen. Wieso musste es immer so verflucht anstrengend und schmerzhaft sein, das Richtige zu tun?
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ajjj a highlight! :))) Dann wünsch ich dir viel Glück und viele Nerven, wenns soweit ist! x'D ____________
Faye winkte verständnisvoll ab, als er feststellte, dass seine Gehhilfe scheinbar nicht mitgekommen war. "Ach, kein Problem. Das passiert bei kürzlich alt Gewordenen immer wieder. Ich werde dich natürlich gerne stützen. Wollen ja lieber keine Unfälle riskieren", meinte sie gutmütig, rundete das Gerede mit einem netten Zwinkern ab. In Wirklichkeit brauchte Ryatt bekanntlich ungefähr genauso wenig einen Stock zum Gehen, wie Faye tatsächlich Kontakt zu alten Menschen, die ihre Stöcke vergassen, hatte. Okay, im beruflichen Kontext kam das mal vor, wenn sie jemanden einsammeln sollten, der gestürzt war, weil er oder sie noch immer glaubte, ohne Hilfe durch die Stadt spazieren zu können. Aber privat? Sie kannte tatsächlich sehr wenige ältere Leute und dadurch, dass der Kontakt zu ihren verbleibenden Grosseltern eher spärlich ausfiel, war auch damit wenig Erfahrung verbunden. Aber der Gehstock würde kaum zum relevanten Problem werden hier und heute. Eigentlich hatte sie auch ihre Psyche nicht zu einem solchen machen wollen. So wie Ryatt aussah, hatte sie das jedoch gerade nicht sehr geschickt gestaltet. Er wirkte nämlich ganz genau so, als würde er ihre mentale Verfassung als Problem sehen - als Problem seines Verschuldens noch dazu. Und genau darum hätte sie es nicht ansprechen sollen. Aber dafür wars jetzt zu spät und ihr schwaches Lächeln war längst wieder einem nachdenklichen Gesichtsausdruck gewichen, als Ryatt zu einer Antwort ansetzte. Eine, die scheinbar auch nicht so leicht zu formulieren war, wie sie das sein sollte. Faye nickte trotzdem schwach, weil seine Worte wahr waren und sie dem so zustimmen konnte. Es musste gut überlegt sein und genau darum hatte sie auch noch nicht definitiv zugestimmt. Obwohl sie den Kinderwunsch durchaus teilte und obwohl ein Teil von ihr sich vehement dagegen wehrte, sich von all den Arschlöchern indirekt noch weiter in ihre Lebensplanung reinreden zu lassen. Aber eben. Kinder waren eine Aufgabe für immer. Es wäre leichtsinnig, letztendlich aus Protest oder Frust ein neues Leben zu schaffen, ohne sich wirklich bereit dazu zu fühlen. Ryatt wurde aber noch ein paar weitere Sätze los, als sein Blick schliesslich wieder auf ihren traf und nun war sie es, die zur Seite weg schaute und unbewusst die Unterlippe zwischen die Zähne klemmte. Die Worte drückten plötzlich unerwartet stark auf die Tränendrüsen und sie wollte nicht weinen. Es war schön, dass er sie so sah. Aber es fühlte sich auch immer nur so halbwegs richtig an. Weil er mehrheitlich nur die Version von ihr kannte, die sie ihm hatte zeigen wollen. Wenig bis gar nichts von dem wusste, was auch sie schon Schreckliches getan hatte. Und zudem hörte sich das schon nach dem Abschied an, der doch eigentlich noch gar nicht kommen sollte. Sie konnte ihm aber auch die Frage nicht jetzt schon stellen, die ihr am schwersten auf die Seele drückte. Die Frage, die sie eigentlich gar nicht hatte stellen wollen aber von der sie langsam glaubte, dass sie beide sie heute noch beantwortet brauchten, weil das sonst nur noch schwieriger wurde. "Bestimmt... Es wird besser werden. Es ist schon besser geworden. Vor nur einem Jahr war alles viel schlimmer - ich bin also optimistisch, dass es weiter aufwärts geht... Bei uns allen", versuchte sie sich an einer möglichst diplomatischen Antwort, auch wenn offensichtlich war, dass das nicht alles war, was ihr auf dem Herzen lag. Aber alles, was in diesem Moment gesagt werden konnte, denn kurz darauf tauchte der Kellner erneut an ihrem Tisch auf. Diesmal mit den bestellten Hauptgängen, die er ihnen beiden präsentierte und vor der Nase platzierte. Der Duft der Pizza war auf jeden Fall schonmal hervorragend und zauberte das Lächeln sofort zurück auf ihr Gesicht.
danke danke, ich werds wahrscheinlich brauchen. :'D _________
Es würde wohl noch irgendwann eine Zeit kommen, in der ich froh über das schnelle Altern wäre. So mit wahrscheinlich 80, wo das Leben so oder so rapide an Lebensqualität verlor. Hier und heute hatte ich jedoch ganz andere Sorgen und Probleme, als ein paar Falten im Gesicht und einen vergessenen Gehstock. Faye war von dem Kinderthema nun ebenfalls angeschlagen. Ich hätte wahrscheinlich einfach nicht fragen sollen. Mit der Antwort hatte ich auch nichts gerettet, es vielleicht eher noch schlimmer gemacht. Das sagte mir zumindest der Ansatz glasiger Augen, als Faye sich dazu überwinden konnte, mich wieder anzusehen und antwortete. Man konnte sagen, dass wir die Stimmung erfolgreich noch vor dem eigentlichen Essen gekippt hatten - bravo. Ich sagte nichts mehr, bevor der Kellner mit dem Abliefern unserer Speisen fertig war. Das leichte Lächeln hatte sich dennoch automatisch zurück an meine Mundwinkel geklebt, als ich dem jungen Mann erneut meinen Dank ausgesprochen hatte. Als er weg war, fanden meine Augen trotzdem zuerst mein neues, zweites Glas und ich streckte die Hand danach aus. “Dann… darauf, dass in Zukunft hoffentlich ausnahmslos alles besser für uns wird.” Auch meine Fähigkeit, mit sehr emotionalen Menschen zu kommunizieren. Es schwang ein Hauch Sarkasmus in meiner Stimme mit, was aber nicht bedeutete, dass ich es nicht ernst meinte. Dabei kümmerte mich auch nicht, dass Faye nur ihr Wasser zum Anstoßen hatte. Es zählte die Geste, nicht der Inhalt. Als unsere Gläser geklirrt hatten, nahm ich den ersten kleinen Schluck vom Wein. Zufrieden mit dem Geschmack stellte ich das Glas beiseite und nahm stattdessen das Besteck auf. “Schmeckt die Pizza so gut, wie sie aussieht?”, hakte ich lächelnd nach, als ich selbst schon den ersten Löffel des perfekt abgestimmten, aber noch ziemlich heißen Risottos runtergeschluckt hatte. Das Essen auf dem Tisch war möglicherweise das einzige Thema, das für uns beide vollkommen unverfänglich bleiben konnte. Abgesehen davon blieb es meinerseits für die Dauer des Hauptgangs aber ziemlich still – gefräßiges Schweigen eben. Das Essen gab mir Zeit zum Nachdenken. Darüber, was ich überhaupt sagen wollte, wenn wir die eine Frage klärten, die vorhin für einen Moment lang so überoffensichtlich zwischen der Brünetten und mir gestanden hatte. Wie ich bestenfalls dafür sorgte, dass Faye dabei nicht weinen musste, ohne irgendetwas unrealistisch schön zu reden, denn die Fakten kannten wir beide leider bestens. Als ich damit auf einen vielleicht ansatzweise grünen Zweig gekommen war, hatte ich nur noch zwei Löffel im Teller, war schon sehr gesättigt und sah für einen Moment zu Faye auf: “Lässt du mich zahlen? Ich würde gerne.”, hakte ich neutral nach und griff zwischendurch nach meinem eigenen Glas Wasser, um es leer zu machen. Einen Streit würde ich nicht aus der Rechnung machen, wenn die junge Frau aus welchen Gründen auch immer strikt dagegen wäre. Geld machte natürlich auch keine noch so kleine meiner Schandtaten wieder gut und es würde mein schlechtes Gewissen auch nicht beruhigen, aber diesen kleinen Gefallen würde ich Faye trotzdem gerne tun. Sie konnte ihr Geld in Los Angeles besser brauchen. Für den Neustart, für ihr hoffentlich endlich gut werdendes Leben.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie war eigentlich froh, dass das Essen gebracht wurde und der Kellner der ungeschickten Wendung des Gesprächs somit entgegenwirkte. Ihnen gar keine andere Wahl liess, als den Elefant im Raum auf später zu verschieben. Es war sowieso nicht der richtige Moment dafür und das wussten sie beide. Weder war das Restaurant der richtige Ort noch war vor dem Essen irgendwie geschicktes Timing. Auch Faye bedankte sich beim Kellner, wartete, bis der Wein eingeschenkt war und der junge Mann sich auf zum nächsten Tisch machte. Als Ryatt daraufhin sein Glas anhob, tat sie es ihm gleich, liess ihres sachte gegen seines klirren. Auch wenn seine Worte ein bisschen sarkastisch klangen und auch wenn von ihr aus nicht ausnahmslos alles besser werden musste. Also schon im Sinne von was sollte sie schon gegen positive Steigerung haben. Aber einige Dinge im Leben liefen auch jetzt schon gut und seine Worte implizierten ein wenig, dass gerade alles mindestens ein bisschen schlecht war. "Ausser das Essen... Das sollte glaub' ich heute schon hervorragend sein", entschied sich die Brünette nur für einen winzigen Einwand, wobei ihr Lächeln ansonsten volle Bestimmung signalisierte. Dann machte sie sich daran, das scharfe Messer durch die dampfende Pizza zu ziehen, um diese in acht mehr oder weniger gleich grosse Stücke zu teilen. Erst dann widmete sie sich dem ersten Stück, war somit noch mit Kauen beschäftigt, als Ryatt sich bereits nach dem Geschmack erkundigte. Ihre Augen verrieten schon bevor sie geschluckt hatte und somit zu einer wörtlichen Antwort ansetzen konnte, dass sie vollumfänglich zufrieden war mit ihrer Auswahl. "Ganz wunderbar, ja. Wie siehts mit deinem Risotto aus?", bestätigte sie schliesslich offiziell, gefolgt von der sicherlich erwarteten Gegenfrage. Er wirkte jedoch keineswegs enttäuscht, weshalb sie sich schon zusammenreimen konnte, dass auch er sehr zufrieden war mit der Wahl des Restaurant. Viel mehr wurde dann aber nicht mehr gesagt, während sich jeder für sich seinem Hauptgang widmete. Obwohl die Pizza eine ziemlich normale Grösse hatte, war das eben doch schon ziemlich viel und Faye war gut beschäftigt mit Essen. Sie hatte noch zwei Stück übrig, als Ryatt sich nach dem Bezahlen der Rechnung erkundigte und sie somit zumindest kurzfristig von Rest ihrer Pizza ablenkte. Sie zögerte kurz. Weniger, weil sie sich unbedingt querstellen wollte, sondern weil sie innerlich automatisch schon wieder versuchte, diese Worte korrekt einzuordnen. Ihnen wahrscheinlich mehr - oder komplett andere - Bedeutung zuteilte, als sie wirklich hatten. "Darfst du natürlich gerne... aber nur, wenn du wirklich willst. Ich meine, du hast mich heute immerhin schon bis nach Portland begleitet und hast meinetwegen den ganzen Aufriss auf der Arbeit... Also denk bitte nicht, dass du mir noch ein Abendessen schuldig bist", kam sie nicht umhin, auch diese Antwort nicht nur mit einem schlichten Ja zu beantworten. Das war eher nicht so ihre Art, falls irgendwer das bis hierhin noch nicht festgestellt hatte. Einen Moment blickte sie Ryatt noch fragend an, wobei ihr Gesicht trotzdem deutlich machte, dass sie sich über die Einladung freute. Eben nur nicht wollte, dass er das als irgendeine unsinnige Verpflichtung sah. Schliesslich setzte sie ihre Gabel jedoch wieder an ihrer Pizza an, um auch den Rest noch zu verspeisen. Nicht, dass sie wirklich noch hungrig wäre, aber sie hatte auch nicht so Lust drauf, die Pizza mitzunehmen und morgen kalt zu essen. Und wegschmeissen kam sowieso nicht in Frage, dafür war sie eindeutig viel zu gut.
Fayes Zuspruch quittierte ich mit einem leichten Neigen des Kopfes, wobei ich überdeutlich zustimmend blinzelte. Denn ja, das Essen hier auf dem Tisch sollte bestenfalls schon jetzt super sein und was das anging schien auch keiner von uns beiden enttäuscht werden zu müssen. Die Brünette bestätigte, dass sie mit ihrer knusprigen Pizza vollauf zufrieden war und ich nickte ohne Zögern vor mich hin, als die Gegenfrage von ihr kam. “Absolut nichts zu beanstanden.”, gab ich auch wörtlich noch das preis, was sie ohnehin schon aus meinem Gesicht gelesen haben dürfte und schwenkte dabei ausschweifend den Löffel. Der Reis mitsamt Fisch schmeckte ausgezeichnet, Faye hatte mit ihren vorherigen Worten zum Trinkspruch also Recht behalten. Wenigstens eine Sache, die im Laufe unserer Freundschaft nicht schiefgehen musste. Was die Kosten des Essens anging, kam hingegen nicht sofort eine Antwort von ihr. Wie genau ich dieses Zögern deuten musste, wurde sofort klar, als sie dann mit der Sprache rausrückte. Es führte außerdem dazu, dass ich wieder lächeln musste. Eines der Dinge, die Faye nach wie vor ganz hervorragend konnte, war sich zu viele Gedanken zu machen – um eine in diesem Fall tatsächlich simple Geste. “Erstens hab ich diese Autofahrt gerne mit dir gemacht. Im Gegensatz zu dir stecke ich wahrscheinlich noch eine ganze Weile hier oben fest, da kann dieser kurze Tapetenwechsel kaum schaden. Und zweitens ist auch das mit der Arbeit eigentlich halb so schlimm. Ich bin diese Art von Herausforderung nur nicht mehr unbedingt gewohnt. In den letzten Jahren hab ich schließlich nie das Tätigkeitsfeld gewechselt, wenns um tatsächlich… naja, anspruchsvolle Jobs ging.”, stellte ich erstmal klar, wobei durchaus wieder ein bisschen Humor mitschwang. Hinter einer Bar auszuschenken oder ein paar Kinder zu hüten, zählte für mich nicht zu fordernden Tätigkeiten. Es war dann eben schon was anderes, ob man irgendwelche Militäreinsätze plante oder mal kurzerhand zum Grundstückskauf mit tausenden Auflagen switchte. Auf dem Stützpunkt erledigte ich viele meiner Aufgaben schon im Schlaf, das konnte man von meiner morgigen Aufgabe wiederum absolut nicht behaupten. Aber das war gut, dann hatte ich wenigstens keine Zeit, um über den Abschied von Faye viel nachzudenken. Was ich allerdings besser für mich behielt und stattdessen nach dem Weinglas griff, um mich mit dessen kläglichem Restinhalt für einen Moment entspannt lächelnd zurückzulehnen. “Also ja: Als Freund möchte ich dir einfach nur den Gefallen tun, das Essen zu übernehmen. Dafür gebe ich mein Geld ziemlich gerne aus, jetzt wo ich wieder welches habe.”, lächelte ich und sah noch einen Moment zu ihr rüber, bevor ich das Glas zum Trinken anhob. Ich hatte Faye in letzter Zeit selten glücklich oder auch nur zufrieden gesehen. Für eine Pizza, die ihr offensichtlich so gut schmeckte, dass sie diese trotz offensichtlichem Kampf bis auf den letzten Happen verputzte, legte ich gerne Easterlins dreckiges Geld auf den Tisch. Irgendwann im Laufe der letzten Minuten machte ich auch meinen eigenen Teller noch vollständig leer. Nicht ganz so hart kämpfend wie Faye, aber der richtige Hunger war bei mir theoretisch schon nach der Vorspeise weggewesen. Große Mahlzeiten in diesem Ausmaß kamen immerhin nicht jeden Tag vor und genau deswegen war Essen zu gehen eine schöne Sache. Nur das nach Hause rollen war meistens etwas anstrengend. "Du brauchst keine Nachspeise mehr, würde ich vermuten..?", fragte ich Faye grinsend, wenn auch völlig rhetorisch, weil man ihr den vollen Magen deutlich ansah. Wenn mich draußen nicht zufällig irgendwo Churros anlachten, würde es auch bei mir kein exzessives Weiterfuttern mehr geben. Ich hatte es trotzdem nicht eilig, von mir aus konnten wir noch eine Weile hier sitzen bleiben. Die Frage war mehr fürs indirekte Einholen von Informationen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie wäre auch sehr überrascht gewesen, wenn er tatsächlich irgendwas auszusetzen gehabt hätte. Sein Gesicht hatte ihr wie gesagt schon vor seiner Antwort deutlich genug Auskunft über den Geschmack seines Reises gegeben. Somit waren sie auf jeden Fall beide bestens versorgt und konnten schonmal sicher sein, dass jegliche triste Laune dieses Abends nicht dem Essen zu verschulden war. Aber das war praktisch schon beim Betreten des Restaurants, den hier drin herrschenden Gerüchen und den Blicken auf die Teller und Gesichter der anderen Gäste besiegelt gewesen. Ihr Geldbeutel musste scheinbar ebenso wenig leiden wie ihr Magen, denn Ryatt tat ihren minimalen Sorgen sofort Abbruch, indem er mit einem Lächeln beteuerte, das Angebot nicht irgendeiner Verpflichtung folgend gemacht zu haben. Sie erwiderte das Lächeln bei seinen Worten sanft, wann immer sie nicht mit dem Kauen des zweitletzten Stücks Pizza beschäftigt war. "Wohl einer der wenigen Vorteile deiner Anstellung...", meinte sie etwas trocken in Betracht auf Easterlins Ansprüche und Forderungen. Dass diese Ryatt herausforderten und immerhin nicht langweilten, war wahrscheinlich ein Pluspunkt. Faye hatte zwar selbst wenig Erfahrung mit langweiligen Tätigkeiten, aber soweit ihr bekannt, war nicht erfüllende Arbeit ein ziemlicher Killer guter Laune. Vielleicht sollte sie herausfordernd in diesem Zusammenhang nicht mit erfüllend gleichstellen, aber es ging in diese Richtung. Als sie erneut eine Pause zum Durchatmen zwischen dem zweitletzten und dem letzten Pizzastück einräumen musste und sich etwas zurücklehnte, legte auch Faye nochmal sachte den Kopf schief, um Ryatt ein kleines Lächeln zu schenken. "In diesem Fall nehme ich die Einladung natürlich gerne an und danke dir herzlich sowohl für das hervorragende Essen, als auch für die tolle Auswahl des Lokals. Hast du wundervoll gemacht", sprach sie ihren Dank und ihre abschliessende Zustimmung nun ohne Sarkasmus, dafür mit einer Prise guten Laune aus. Nachdem diese zwischen Vorspeise und Hauptgang kurz einen Schlenker in die entgegengesetzte Richtung gemacht hatte, schaute sie nun ausgelöst durch das gute Essen - zumindest vorübergehend - nochmal vorbei. Was Faye natürlich nur begrüssen konnte, während sie hoffte, dass sie sich nicht nach dem Essen gleich wieder verabschiedete. Sie schaffte auch das letzte Stück mit Ach und Krach, hätte Ryatt beinahe gefragt, ob er nicht auch noch was wollte. Er wirkte allerdings auch gut versorgt, weshalb sie sich dann doch dagegen entschied. Dafür war sie dann definitiv sehr satt und konnte seine Frage bezüglich Nachtisch ohne Nachzudenken mit einem zügigen Kopfschütteln verneinen. "Auch wenn ich sicher bin, dass dieser ebenso vorzüglich schmecken würde, glaube ich nicht, dass das gut enden würde... Ich sollte also besser aufhören, wenns am schönsten ist. Aber wenn du noch was magst, schau ich dir gerne beim Essen zu", bestätigte sie seine Vermutung. Sie ging nicht davon aus, dass da noch viel mehr Raum in seinem Magen war, als das bei ihr der Fall war, aber wenn doch, sollte er sich ihretwegen nicht von irgendwas Süssem abhalten lassen. Nachdem der Kellner wenige Minuten später erneut an ihrem Tisch aufgetaucht war, um ihre Teller abzuräumen, schafften sie es tatsächlich, nochmal ein relativ lockeres Gespräch zu entwickeln. Angefangen bei der Diskussion darüber, ob Ryatt sich das Rezept für das Risotto geben lassen sollte, um seine Kochkünste zuhause auszubauen, obwohl das aktuell Dank vorzüglicher Kantine absolut unnötig war. Etwa eine halbe Stunde später bat Ryatt dann aber doch langsam um die Rechnung, da sie den Nachtisch letztendlich beide dankend abgelehnt hatten. Und nach Begleichung des offenen Betrages - und Fayes erneutem Dank in Richtung des Zahlenden - schlüpften sie wieder in ihre dicken Jacken, um das Restaurant hinter sich zu lassen und zurück nach draussen in die nun doch recht kalte Dunkelheit zu treten. Der Wind hatte ebenfalls zugenommen, was nicht nötig gewesen wäre und Faye tiefer in ihren Schal sinken liess. "Du hättest statt dem Stock besser dein elektrisches Opamobil mitgebracht... Dann könnten wir jetzt damit zurückrollen...", bedauerte sie mit einem Seufzen, um gar nicht erst die grosse Stille aufkommen zu lassen. Nicht hier draussen wos dunkel und kalt und ungemütlich war.
"Kann man so sagen.”, bejahte ich mit einem leichten Schulterzucken, nur etwas weniger trocken als Faye. Es würde sicherlich nicht zur Gewohnheit werden, dass Easterlin mich für solche Angelegenheiten aus der Stadt schickte. Es gäbe auch keinen Grund dafür, weil ich meinen eigentlichen Job so oder so besser beherrschte. Glaubte ich jedenfalls, vielleicht entpuppte ich mich morgen auch als wahres Genie in Verkaufsgeschäften. Ich hatte was das anging alles getan, was ich vorbereitend hätte tun können und so blieb der Rest eine Überraschung mit bestenfalls gutem Ausgang. Was das Begleichen des Rechnungsbetrags anging, wurde mein Lächeln nochmal ein klein wenig breiter. “Stets zu Diensten, immer wieder gern.”, antwortete ich locker. Natürlich war klar, dass wir uns nicht in einer Woche wiedersehen und nochmal zusammen essen würden. Da verhielt es sich jetzt ähnlich wie mit dem Skifahren vorhin – vielleicht irgendwann, vielleicht auch gar nicht. Die Worte dienten ohnehin viel mehr dazu, zu verdeutlichen, dass ich ebenso was von dem Essen hatte wie Faye und dementsprechend gerne mit ihr hier saß. Wir blieben auch noch eine Weile am Ort des Geschehens und unterhielten uns weiter, jetzt wo die Teller leer waren. Es grenzte ein bisschen an eine akrobatische Meisterleistung, dass wir es tatsächlich schafften, kein zweites Mal beim Gespräch zu kentern. Schließlich zückte ich dann aber doch wie angekündigt die Brieftasche, um die Rechnung samt Trinkgeld zu begleichen, was unseren Aufbruch einleitete. Der Dezember zeigte sich draußen von seiner unbarmherzigen Seite, was zu erwarten gewesen war zu späterer Stunde. Deswegen wanderten meine Finger auch umgehend wieder in die Jackentaschen. “Wie kommst du drauf, dass ich mir als armer alter Rentner sowas überhaupt leisten kann?”, fragte ich gespielt empört. Das Grinsen kehrte jedoch schnell auf meine Lippen zurück. “Eins von diesen Golf Carts wäre jetzt auch praktisch. Easterlin fährt immer mit so einem Ding übers Gelände, weil er offensichtlich zu faul ist, die paar Meter zu laufen. Oder zu beschäftigt, wie er sagen würde. Das Ding ist ganz bestimmt irgendwo unter lebenserhaltende Maßnahmen zu finden.”, erzählte ich ironisch. Diese offenen Mini-Fahrzeugen waren flott unterwegs und die paar Meter zum Hotel hätten wir den Fahrtwind ganz bestimmt verkraftet. Dafür konnten unsere Gesichter dann früher wieder auftauen. Es würde uns auf jeden Fall maßgeblich dabei unterstützen, die vollen Bäuche von A nach B zu schieben. Auch wenn ich im Grunde noch gar nicht müde war, sondern durch die Gespräche eher wieder auf Touren kam, sparte ich mir die Frage danach, ob wir nicht doch noch irgendwo anders hingehen wollten. Erstens war es draußen kalt und ungemütlich, zweitens fiel alles in Richtung Bar aus mindestens zwei Gründen flach, drittens wäre es besser, wenn es heute für uns nicht allzu spät wurde und viertens konnten wir die tatsächlich wichtigen Dinge – die bis dahin zwangsläufig zwischen uns standen – nicht besprechen, bevor wir zurück im Hotel waren. Wegen des Potenzials von Gefühlsausbrüchen, was auf mindestens einer Seite zu Tränen führen könnte. Heulen in der Öffentlichkeit war hochgradig unangenehm, also lieber zurück zu unseren Zimmern. Es passierte im Privatbereich selten, aber ich konnte die Vernunft hin und wieder auch mal siegen lassen. “Warst du eigentlich schonmal Mini-Golfen und falls ja, ist das eines deiner versteckten Talente?”, brachte mich die Kutsche meines Chefs direkt zur nächsten Frage, während wir denselben Weg wie vorhin in entgegengesetzte Richtung gingen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Tja, was sollte sie denn darauf sagen..? Sie konnte ihm schlecht vorhalten, dass er kaum so arm sein konnte, wenn er soeben das Abendessen für sie beide bezahlt hatte. Immerhin war es im Leben oft so, dass weniger gut betuchte Menschen grosszügiger mit Geld umgingen und eher mal etwas spendierten. Von den Reichen lernt man sparen, oder wie sagte man so schön? Jedenfalls war das allein kein Indikator für ausreichend oder gar viel Vermögen. "Naja... erstens hat mir ein Vögelchen gezwitschert, dass du noch gar nicht in Rente seist - oder nochmal davon zurückgekehrt bist. Und zweitens hat das Vögelchen auch eine massive Einkommenssteigerung im letzten Halbjahr erwähnt. So, dass ein solches Rentner-Upgrade eigentlich kein Problem mehr darstellen sollte. Ich hab' das Vögelchen als vertrauenswürdige Quelle eingestuft, aber hey - ich lass mich auch eines besseren belehren, wenn das nötig sein sollte", redete sie sich munter und natürlich besonders glaubhaft aus der Verantwortung. So konnte man seine vorübergehende Arbeits- und Obdachlosigkeit natürlich auch bezeichnen. Als Rente. Nur ohne Einkommen eben. Aber seine Armykarriere hatte er davor tatsächlich beendet. Der Rücktritt war unerwartet und unfreiwillig - und ganz sicher nicht altersbedingt - gewesen, aber das tat hier nichts zur Sache. Wie so oft war auch diese Diskussion gerade eher von Humor als von Wahrheit geprägt. Schien langsam fast so, als gäbe es bei ihnen nur sehr wenig zwischen diesen beiden Extremen... Entweder ganz viel Witz und Ironie - oder ganz viel Drama. Siehe vorhin. Oder später, wenn sie wieder im Hotel ankamen. Die dunkle Wolke über ihren Köpfen wurde beinahe von Schritt zu Schritt dicker, schwerer, machte deutlich, dass die Tropfen sehr bald auf sie niederprasseln würden. Aber eben erst, wenn das eher unsinnige Gerede sein Ende fand, was hier und jetzt noch nicht der Fall war. Lieber drehte sich das Gespräch um Easterlins Elektromobil, mit dem er scheinbar im Alltag gerne seine Geschäfte überwachte. Faye hatte nie ein Bild von diesem Mann gesehen, hatte somit keine Ahnung, wie er wirklich aussah oder auf sein Umfeld wirkte. Aber so wie Ryatt ihn gerade schilderte, malte sich vor ihrem inneren Auge automatisch ein Bild von einem ziemlich korpulenten Greis, der für jede Distanz ab drei Meter schwer abwägen musste, ob er seinen Arsch nicht doch lieber auf dem Sitzpolster des durch sein Gewicht in eine akute Schieflage kippenden Golf Carts platzieren wollte. "Er hätte dir eigentlich eins ausleihen können für die Rückreise von Portland. Du wärst vielleicht etwas länger unterwegs gewesen, aber stell dir vor wie erholt und durchgelüftet du wieder auf heimisches Gelände gerollt wärst!", kam ihr die nächste dämliche Idee, die sie mit einem breiten Grinsen und angetan funkelnden Augen präsentierte. Sicherlich würde ihm auch der Arsch wehtun nach zu vielen Stunden Golf Cart, ganz zu schweigen von der ganzen Zeit, die er an Ladesäulen verbringen müsste, weil der Akku schwand. Aber es wäre zweifellos ein Erlebnis. Wahrscheinlich ein spannenderes als Mini-Golf. "Ja und nein", konnte sie seine Fragen diesbezüglich grob beantworten. "Das letzte Mal ist lange her, aber ich habs schon gemacht. Soweit ich mich erinnern kann, war ich darin aber eher kein Ausnahmetalent. Im Gegensatz zum Klettern", er hatte sich im Frühling also durchaus das richtige Geburtstagsgeschenk für sie ausgesucht. "Kann mich jedoch auch eher nicht daran erinnern, dass ich besonders viel Spass daran gehabt hätte. Ist das nicht eher langweilig? Oder was sagst du als Profi?", dichtete sie ihm kurzerhand den nächsten Titel an, von dem er sich nichts kaufen konnte und den er vielleicht auch gar nicht verdient hatte.
“Diese verdammten Vögel, auf die ist echt kein Verlass. Das waren bestimmt Tauben, die mag sowieso keiner.”, seufzte ich pseudo-angesäuert und hob die Nase ein bisschen an, sah dabei stur geradeaus. Völlig egal, dass diese Vögelchen eigentlich ich selbst gewesen waren. Ich war mir nicht zu schade dafür, an dieser Stelle meine eigene Person aufs Korn zu nehmen. Scheinbar nahmen wir sowieso mal wieder weniger als gar nichts wirklich ernst, was mir dann doch lieber war, als in Schuldgefühlen zu baden. Das kam früh genug zurück, aber ein paar Minuten blieben uns bis dahin noch. Die Vorstellung, mit Easterlins kleiner Schepperschüssel über den Highway zu brettern, ließ mich eine Augenbraue hochziehen und die Nase rümpfen. “Durchgelüftet? Ich glaube, dass halb bis ganz erfroren es wesentlich präziser beschreibt.”, schnaubte ich amüsiert. Allein bei dem Gedanken daran wurde mir in Kombination mit einer Böe, die vom Fluss her in unsere Richtung wehte, gefühlt nochmal fünf Grad kälter. “Nur die ganzen dummen Gesichter der Auto- und LKW-Fahrer wären fast einen Versuch wert. Ist sicher unterhaltsam.”, hängte ich kurz darauf an. Ich würde selbst ziemlich dämlich aus der Wäsche gucken, wenn vor mir auf einer mehrspurigen Straße plötzlich ein Golf-Cart in Sicht kam. “Allerdings nicht im Winter.”, schloss ich mit einem leichten Kopfschütteln, das eher wie übertriebenes Zittern aussah. Was die stark abgespeckte Variante vom Alte-Männer-Sport anging, musste ich unweigerlich erneut Grinsen. Meine Erinnerungen an meine eigenen Erfahrungen diesbezüglich waren zwar ziemlich schwammig, aber durchweg unterhaltsam. “Dann hast du's wahrscheinlich nüchtern gespielt.”, stellte ich fest und nickte leicht vor mich hin. Das war schließlich die reguläre Art, dieses Spiel zu absolvieren. Nur eben auch die weniger lustige, wie's schien. “Ich war während einer vorübergehenden Stationierung auf Heimatboden mit ein paar Kollegen golfen… das muss mindestens sechs oder sieben Jahre her sein. Einer hatte Geburtstag und hätte uns am liebsten zu richtigem Golfspielen gezwungen, aber das höchste der Gefühle war Minigolfen für uns… ich hab damals nicht viel mehr vertragen als heute und zum Schluss kaum noch was anderes als die Neon-Beleuchtung gesehen. Wie's ausgegangen ist weiß ich nicht mehr, aber gewonnen hab ich definitiv nicht.”, schilderte ich leise in mich hinein lachend meine sehr begrenzte eigene Erfahrung mit einem Golfschläger. “Also gut möglich, dass es ohne das Vorglühen maximal halb so lustig gewesen wäre und wir besser beim Klettern bleiben sollten.” Ich zuckte mit den Schultern. An und für sich war es wenig spektakulär, einem Ball beim ins Loch rollen zuzugucken. Für mich jedenfalls, aber ich war auch eher der Typ Mensch für Adrenalinkicks der üblen Sorte – ohne zu zögern sprang ich lieber ein paar tausend Meter aus einem Flugzeug, als nüchtern golfen zu gehen. Es gab offensichtlich aber auch genügend Leute, die etwas am Golfen gefunden hatten, das sie begeisterte. Wieso konnte ich mir Victor in alt bestens mit einer Golftasche vorstellen? Lag vielleicht daran, dass ich sein Gesicht nur in ernster Version kannte. Oder daran, dass ich ihm gerne alles andichtete, was langweilig war, um mich besser zu fühlen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
"Na das war jetzt aber echt gemein. ich bin mir sicher, keine Taube hat dir je in deinem Leben irgendein Unrecht getan. Und hier bist du und machst solche Bemerkungen. Wunder' dich mal lieber nicht, wenn dir Morgen wer auf den Kopf kackt, Ryatt", tadelte Faye kopfschüttelnd und in perfekten Erzieher-Allüren. Die armen Tauben. Er konnte ja von Glück reden, dass sie sich bereits einen anderen Lieblingsvogel ausgesucht hatte - sonst wäre die Kritik wesentlich schärfer ausgefallen. Oder sie wäre jetzt beleidigt, was er sicher auch nicht schätzen würde. Gut, dass beides nicht zutraf und sie sich somit relativ leicht zum nächsten Thema hinreissen liess: Der Unterkühlung auf der Fahrt nachhause. Möglich, dass das ein realistischeres Szenario war, als ein Ryatt, der sich in T-Shirt und Sonnenbrille den kühlen Wind durch die Haare fegen liess, während er in Richtung Norden tuckerte. Das Bild liess sie trotzdem schwach grinsen, während sie unschuldig die Schultern anhob. "Naja. Das könnte natürlich auch eine mögliche Folge sein. Also ja, vielleicht wartest du besser bis im Sommer. Falls diese Runde erfolgreich sein sollte, weisst du also schon, wie sich die nächste in Hinsicht auf das Fortbewegungsmittel ausgestalten sollte - thank me laterrr", relativierte sie das ganze Spektakel pragmatisch, ohne sich wirklich von der Idee abbringen zu lassen. Sie würde ihn ja gerne um einen Videobeweis bitten, sollte es je dazu kommen. Aber das war wieder ein Punkt, den sie (noch) nicht ansprechen sollte. Ein paar Worte, die sie besser erstmal für sich behielt und damit auch hier direkt zum nächsten Punkt hüpfte. Faye zog eine Augenbraue hoch und blickte skeptisch aber mit unverändert schiefem Grinsen zu Ryatt rüber, als dieser die Minigolf-Sache zu differenzieren begann. In der Tat hatte er mit seiner Vermutung natürlich Recht. Sie war nüchtern gewesen und das hatte kaum geholfen. Es war einfach ein in ihren Augen dezent langweiliges Spiel - eins, bei dem sie noch dazu, soweit sie sich erinnern konnte, kaum glänzte. Sie konnte bekanntlich ganz gut verlieren, aber trotzdem machten die meisten Dinge im Leben mehr Spass, wenn man sie zumindest ein kleines bisschen beherrschte. "Ich nehme das mal so zur Kenntnis... und werde den Tipp bei der nächsten Einladung zum Minigolf auf jeden Fall gerne berücksichtigen. Und entsprechend wohl dann den ersten Shot feierlich dir weihen", versprach Faye mit breitem Grinsen. Sie würde todsicher sehr viel früher wieder an ihn denken, als erst bei einem potenziellen Minigolf-Game. Aber all die anderen Male sollte sie darauf besser keinen Alkohol kippen. Sie wollte schliesslich keine ungesunden Gewohnheiten manifestieren.
“Dann sei es so… auch wenn ichs wirklich nicht hoffe. Das kommt bei Verkaufsgesprächen wahrscheinlich nicht so gut. Andererseits könnte Vogelkacke sicherlich das Eis brechen.”, sinnierte ich gegen Ende sehr ironisch vor mich hin und schüttelte anschließend den Kopf. Überflüssig zu erwähnen, dass ich lieber ohne Exkremente eines Vogels im Haar in die entsprechenden Büros lief. Zur Sicherheit vielleicht lieber Taxi fahren, nur für den Fall. Auf Fayes Bemerkung zu der Golf-Cart-Angelegenheit rollte ich nur noch grinsend mit den Augen. Sie sollte das Easterlin bloß nicht vorschlagen. Der sah das am Ende wirklich noch als das kostengünstigste Fortbewegungsmittel – dass ich für die Fahrt dreimal so lange brauchen würde, konnte ihm dann ja fast schon egal sein. Hoffentlich bekam ich von Fayes betrunkenem Golfspiel dann auch eine Foto-Dokumentation. “Thank meee laaateeerrr und vergiss das betrunkene Selfie für mich nicht”, äffte ich die junge Frau in übertriebenem Tonfall nach und zwinkerte ihr ebenso gestellt zu. Mit einem Kurzen startete es sich definitiv besser ins Spiel. Oder mit drei. Wie viel genau dafür nötig war, hing sicherlich vom Spieler ab. Aber der Gedanke an eine das Loch erst recht nicht mehr treffende Faye, die stattdessen hier und da über die Bahn tanzte – wie die kleine Ballerina, die sie war – war ungemein amüsant. Bis wir ein paar Minuten später am Hotel ankamen, blieb unsere Unterhaltung weiterhin ähnlich niveaulos – sehr viel Witz und meistens sehr wenig Sinn dahinter, weil uns das am leichtesten fiel. Ich ließ Faye voran durch die Tür in die warme Lobby gehen und konnte förmlich spüren, wie auch ihre Mundwinkel etwas absanken, sobald wir den Flur mit unseren Zimmern erreichten. Die Ernsthaftigkeit rückte damit unweigerlich sehr schnell sehr nahe und das war einfach unangenehm. Trotzdem war ich sicher nicht der einzige, der während der letzten paar Stunden sehr deutlich gemerkt hatte, wie wichtig es war, dass wir darüber sprachen. Nicht umsonst hatten unsere Gespräche hier und da gestockt. Es einfach so auf uns zukommen zu lassen, ob und wann sich einer beim jeweils anderen meldete, war schlicht keine gute Option. Das löste nur sehr viel Ungewissheit und Warten aus. Zumindest meinerseits, weil ich im Gegensatz zur zierlichen Brünetten kein neues Leben aufzubauen hatte. Ich hatte keine Ablenkung. Bei mir lief alles weiter wie vorher, nur ohne sie. Das würde mir eher früher als später bewusst auffallen. Immer wieder. “Gehen wir in dein Zimmer.”, beschloss ich für uns beide, weil ich es für das Beste hielt. Wenn einer weinte, dann tendenziell eher Faye. So musste sie danach nicht mehr raus, sondern konnte sich sofort unter die Decke verkriechen. Mich außerdem bei Bedarf auch vor die Tür setzen, sollte ich irgendetwas exorbitant Unangebrachtes sagen. Ich wollte unsere mindestens vorerst letzte gemeinsame Zeit nicht mit heftiger Diskussion oder Streit verbringen, wusste im selben Atemzug jedoch auch, dass ich manchmal viel zu stur war, um den Mund zu halten, wenn es eigentlich angebracht wäre. Nämlich immer dann, wenn ich eine sehr andere Ansicht als mein Gegenüber pflegte… auch wenn ich wirklich hoffte, dass Faye und ich uns zur Abwechslung mal mit was anderem als dem Rumblödeln einig waren. Im Zimmer angekommen stellte ich erstmal fest, dass unsere Räume beinahe identisch und im Grunde nur gespiegelt waren, während ich die Tür langsam hinter mir zumachte. Dann machte ich meine Jacke auf und hängte sie an einen der kleinen Haken nahe der Tür, weil ich sonst zeitnah durchgeschwitzt wäre. Falls das nicht so oder so passieren würde, aber ich sollte nicht vorab schon schwarzmalen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Er hatte wahrscheinlich mit beiden Aspekten der Vogelscheisse auf dem Kopf Recht. Trotzdem war sie sich relativ sicher, dass er das grundsätzlich lieber nicht erleben wollte - einfach weils hässlich war. Gut, dass die Tauben gerade nicht Hochsaison hatten und sich im Winter ebenfalls gerne etwas mehr zurückzogen. Und er seine Verkaufsgespräche auch eher nicht in Tauben-Zonen führen musste. Die wohnten ja vorzugsweise in der Stadt und da brauchte Easterlin wohl kein Grundstück. Sie auch nicht. Zumindest nicht in dieser Stadt. In einer anderen, weit südlich von hier, vielleicht schon irgendwann, wenn sich was finden liess, dass ihren Wünschen gerecht wurde und bezahlbar war. Worauf sie bei der Auswahl auf jeden Fall nicht achten mussten, war die Nähe zu einem Golfplatz. Erstens ging Faye davon aus, dass es in LA keinen Mangel an Golfplätzen gab. Zweitens konnte sie, sollte sie den Sport tatsächlich einmal ausprobieren wollen, für dieses eine Mal auch einen etwas weiteren Weg in Kauf nehmen. Halt bevorzugt mit Taxi, wenn sie sich davor schon betrinken sollte. Ganz egal was sie heute noch besprachen, traute sie es sich auch absolut zu, dass sie Ryatt dann ein sehr bescheuertes Bild zukommen lassen würde. "Jaja sag das besser nicht zu früh... Sonst schick ich dir nicht nur das Foto, sondern ruf' dich anschliessend auch mitten in der Nacht an, um dir auszurichten, dass es mich aufgrund meines Alkoholpegels auf dem Golfplatz auf die Fresse gelegt hat und ich mir beim Fall den kleinen Finger verstaucht habe", sah sie das Drama schon vor sich und schüttelte leicht den Kopf. Vielleicht war diese Beschäftigung schon eine Stufe zu gefährlich, um sie betrunken einigermassen risikofrei zu geniessen. Ein Minigolf-Kurs bot schon so seine Absätze und Gefahren, die nicht unterschätzt werden sollten. Wie realistisch die Sache mit dem Anruf noch werden sollte, würde sich höchstwahrscheinlich in der nächsten Stunde zeigen. Das schien längst nicht mehr nur ihr selbst klar zu sein, so wie ihr Gespräch versandete, kaum hatten sie das Hotel erreicht. Faye nickte auf seinen Entscheid, die Unterhaltung in ihrem Zimmer zu führen, da sie das wohl auch selbst vorgeschlagen hätte. Dort angekommen, kramte sie den Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür, schlüpfte nach drinnen und schälte sich ebenfalls direkt aus dem dicken Wintermantel. Auch die Schuhe, den Schal und die Handschuhe zog sie aus, legte alles einigermassen ordentlich zur Seite und schaute sich kurz zögerlich im Zimmer um. Da es wie so oft in diesen Hotelzimmern nur einen Sessel gab, überliess sie diesen ihrem Gesprächspartner. Da war noch ein Stuhl am Tisch, aber den bevorzugte sie auch eher nicht in dieser Situation. "Möchtest du Tee?", fragte sie, während sie schon dabei war, den Wasserkocher mit frischem Wasser zu füllen, um zumindest für sich selber ein warmes Getränk für ein bisschen Scheinkomfort zu brühen. Das Geschirrset würde sogar zwei Tassen bieten, womit seinen Wünschen diesbezüglich keine Hürde gestellt war. Auch der Wasserkocher erfüllte seinen Zweck und so tauchten wenig später die Beutel ins Wasser und die Tassen wurden verteilt. Da es keine Auswahl gab, was die Teesorte anging, kamen hier keine weiteren Fragen auf und fünf Minuten später sass Faye mit ihrer Tasse zwischen den Händen im Schneidersitz auf dem Bett. Wie schon einmal erwähnt: Normalerweise gehörten Alltagsklamotten definitiv nicht aufs Bett. Aber das war gerade nicht Problem der Stunde. Das bestätigte sich auch, als sie die noch zu heisse Tasse auf dem Nachttisch abstellte und ihr Blick langsam zu Ryatt fand. "Ich glaube... wir sollten noch über die Zukunft reden... in Bezug auf uns", bemerkte sie leise und natürlich vollkommen überflüssig. Aber irgendwie musste der Einstieg ins Gespräch gemacht werden und auch schönere Worte hätten die Umstände nicht besser gemacht. Auch wenn sich das so jetzt anfühlte, als würde sie mit ihm Schluss machen wollen - in irgendeinem Paralleluniversum. "Da wir vor einem Jahr bereits darüber gesprochen haben, gehe ich mal davon aus, dass ich nicht die Einzige bin, die sich Gedanken dazu gemacht hat...", fuhr sie fort, wobei ihre Augen schon jetzt immer wieder abdrifteten und sich nicht recht auf Ryatt fixieren wollten. "Willst du mir sagen, ob du zu einem Ergebnis gekommen bist?", vielleicht war es besser, wenn er zuerst seine Sicht darlegte. Er tat sich meistens weniger schwer damit, direkt zu sein... zumindest war das in der Vergangenheit so.
Ob ich diesen mitternächtlichen Anruf als schlimm empfinden würde? Solange er am Wochenende stattfand und ich da nicht arbeiten musste, wahrscheinlich nicht. Wenn es Faye war, die mich anrief, ging ich sicher auch ohne zu zögern ans Telefon – könnte Etwas wichtiges bis sehr dringendes sein, wenn sie ausgerechnet nachts den Kontakt suchte. Es gab auf jeden Fall Schlimmeres, als letztlich nur mit Lallen und Gelächter geweckt zu werden. Wie locker ich das tatsächlich nehmen würde, würden wir ohnehin nur herausfinden, wenn wir die Sache geklärt hatten, die auf den Tee folgen würde. “Ja, gerne.”, erwiderte ich auf diese Frage hin und warf Faye ein kurzes Lächeln zu, während ich noch die Schuhe loswurde. Die innere Unruhe, die sich sofort wieder in mir ausbreiten wollte, kaum stand das gefühlsmäßig große Übel so unmittelbar auf der Matte, hinderte mich beinahe daran, mich hinzusetzen. Ich setzte mich nicht gerne, wenn ich wusste, dass ich gleich vielleicht viel mehr das Gefühl kriegen würde, weglaufen zu müssen. Aber vielleicht kam es gar nicht dazu, vielleicht blieb mir der Schmerz erspart. Ich steuerte den Sessel trotzdem erst an, als die Beutel in den Teetassen landeten. Gedanklich stellte ich unnötig detailliert fest, dass meine Sitzmöglichkeit bequem war, nur um mich damit beschäftigt zu halten. Das fand zügig sein Ende, als Faye mir meine Tasse aushändigte, die ich ihr mit einem leisen “Danke” abnahm, ehe sie das Thema anschnitt. Leicht nickend symbolisierte ich ihr, dass wir uns da einig waren. Die Brünette wirkte genauso wenig begeistert davon, dass wir noch darüber reden mussten, wie ich selbst auch. Half nur eben nichts. “Da liegst du richtig…”, bestätigte ich ihr leicht gemurmelt die aufgestellte These. Und wie ich darüber nachgedacht hatte. Zu oft und zu lange, wenn wir ganz ehrlich waren. Es war so Vieles so vollkommen anders für mich gewesen, als wir vor einem Jahr darüber diskutiert hatten. Mein Blickwinkel hatte sich vollkommen geändert und ich wollte eigentlich gar nicht wissen, ob ich damit einen Fehler machte. “Ja, das bin ich.”, startete ich bereits mit einem kurzen Statement, hatte den Blick dabei noch in den Tee gerichtet. Die Tasse verweilte auf meinem rechten Hosenbein, wo ich sie am Henkel festhielt. Einen kurzen Moment blickte ich noch schweigend auf das verfärbte Wasser in der Keramik, weil ich noch ein paar Sätze in meinem Kopf sortierte. Als ich meine eigene Haltung zum Thema zu erklären begann, zwang ich mich jedoch dazu, Faye anzusehen, obwohl es mir unangenehm war. Sie sollte auch in meinem Gesicht, in meinen Augen sehen können, dass ich es ernst meinte und ihr nicht nur das Auftischen würde, was sie vielleicht hören wollte. “Ich würde gerne behaupten, das letzte Jahr wäre irgendwie weniger negativ turbulent gewesen, als unsere Zeit davor… aber das wäre nur für eine gewisse Zeitspanne zutreffend.” Nämlich die, in der wir uns sehr häufig getroffen, uns gegenseitig vom eigenen Leben abgelenkt und einfach Spaß gehabt hatten. “Ich hab echt viel Mist gebaut, ums nett zu formulieren. Nicht nur, was… die Hernandez angeht, sondern auch in Bezug auf uns beide, auf unsere Freundschaft. Ich hab viele Fehler gemacht." Das konnte ich relativ leicht aussprechen, weil es in meinen Augen nackte Tatsachen waren. Es war nicht zu leugnen, dass ich mehr als einmal die falsche Abzweigung genommen und Faye mit mir runtergezogen hatte. In vielerlei Hinsicht. Vielleicht war das nicht alles nur meine Schuld, aber ich war auf jeden Fall ein zündender Auslöser dafür gewesen. Der Kollateralschaden auf meiner Seite unserer Freundschaft war leider, dass ich mehr als nur das wollte, aber das würde verfliegen. Das tat es immer… fast immer, aber meine Freundschaft mit Faye konnte nie im Leben so brutal enden, wie die Sache mit Avery. Ich würde in den Monaten, in denen wir uns erstmal ganz definitiv nicht sahen, genug Zeit dafür haben, das zu verarbeiten und zu den Akten zu legen. Nach einer kurzen Pause fuhr ich fort: “Aber ich nehme auch sehr viel Gutes mit aus unserer Zeit. Vielleicht gerade deswegen, weil wir in vielen Dingen so verschieden sind… du hilfst mir, so Manches aus anderen Winkeln zu sehen und ich glaube, dass das etwas sehr Wertvolles ist, auch wenn mein Sturkopf das vielleicht nicht immer sofort einsehen will. Das, was ich gesagt habe, als wir uns nach der Funkstille getroffen haben, hab’ ich sehr ernst gemeint… und das hat sich auch bis jetzt nicht geändert. Kein Weglaufen mehr.” Meine Mundwinkel zuckten kurz ein bisschen nach oben, sanken aber fast genauso schnell wieder ab. Für durchweg positive Mimik schlug mein Herz viel zu unruhig und die Erinnerungen an dieses Treffen waren wie vieles andere ziemlich schmerzhaft. “Ich würde also schon gern versuchen, die Freundschaft trotz der Distanz aufrecht zu halten… aber von meiner Seite aus ist das, glaube ich, viel weniger kompliziert und viel leichter gesagt, als von deiner. Ich möchte nicht immer wieder noch mehr Unruhe in dein Leben bringen, wenn ich da ganz einfach nicht reinpasse... deswegen sollte es am Ende trotzdem viel mehr deine als meine Entscheidung sein, denke ich.” Die letzten Worte waren etwas gemurmelt und ich sah zurück in den Tee. Ich war von uns beiden nicht derjenige mit einem potenziell eifersüchtigen Freund. Auch nicht der, der die Turbulenzen am schlimmsten hatte ausbaden müssen. Ich hatte viel von Faye gefordert und auch genommen. Es war höchste Zeit, ihr dafür endlich etwas zurückzugeben – sei es auch nur, indem ich ihre betrunkenen Anrufe annahm oder damit sie sich wann immer sie es brauchte bei mir auskotzen konnte, über was auch immer. Ich schuldete ihr viel mehr als nur diese läppische Fahrt bis nach Portland, damit sie nicht alleine fahren musste. Natürlich stand Aryanas und Mitchells Entlassung auf dem Plan, aber das war kompliziert und ich wusste nicht, ob und wann ich Faye diesen Wunsch erfüllen konnte. Aber wenn das alles nicht ging, weil unsere Freundschaft mit ihrem Leben und ihrer Beziehung nicht vereinbar war, dann konnte und sollte ich daran nichts ändern. Ganz gleich, wie hart diese Pille zu schlucken auch sein mochte.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie war schon davon ausgegangen, dass er nicht Nein zum Tee sagen würde. Wenn schon das Gespräch unangenehm war, konnten sie mit dem warmen Getränk vielleicht wenigstens die Kälte von draussen aus ihren Knochen scheuchen, wo sie aktuell zumindest bei Faye noch hartnäckig festsass. Ebenfalls wenig überraschend war dann die Bestätigung, dass auch Ryatt sich schon zum gleichen Thema den Kopf zerbrochen hatte. Im Gegensatz zu ihr, schien er dabei jedoch letztendlich auf einen grünen Zweig gekommen zu sein. Diese Aussage führte schliesslich dazu, dass auch Faye sich dazu anhalten konnte, seinen Blick zu erwidern, während er redete. Zumindest am Anfang. So ganz durchziehen konnte sie die Mission nicht, es wurde schon schwer, als er den Mist erwähnte, den er gebaut hatte. Noch schwerer, als dabei der Name der Hernandez' fiel. Die kurze Pause, die er einlegte, war dann quasi ihr Aufgeben bezüglich Blickkontakt und ihre Augen klebten fortan für ein paar lange Sekunden an ihrer Tasse auf dem Nachttisch, bevor sie dem Vorhaben, in seine Richtung zu schauen, einen weiteren Versuch schenkte. Am Ende war dann auch er es, der den Blick sinken liess, als er vorerst alles gesagt hatte und Fayes Augen nachdenklich auf ihm ruhen blieben. Es dauerte einen Moment, bis sie das, was er gerade in den Raum gestellt hatte, ausreichend verarbeitet hatte, um über ihre Antwort nachzudenken. Hatte sie damit gerechnet..? Wie er gesagt hatte, hätte sie das eigentlich tun sollen. Er hatte diese Antwort vor einem halben Jahr bereits angekündigt. Er hatte damals schon gesagt, dass der Kontaktabbruch, den er vor einem Jahr prophezeit hatte, nicht mehr sein Ziel war. Dass er eben nicht mehr weglaufen wollte. Sie hatte trotzdem nicht gewusst, was er sagen würde, wie er heute zu allem stand. Und sie merkte auch wunderbar, wie sehr sein Statement gerade schon wieder ihre eigenen Ansichten beeinflusste. Wie unsicher sie war und wie wenig sie wusste, was an dieser Stelle die beste Option war. Der sicherste Weg in eine gesunde Zukunft - aber eben nicht nur das, sondern auch die richtige Lösung für ihr Herz und sein Herz und all die Emotionen, die sie verbanden. So war für ein paar lange, stille Minuten ein nachdenkliches Nicken die einzige Reaktion ihrerseits, die überhaupt verriet, dass sie ihm soweit folgen konnte. Der Tee blieb weiterhin auf dem Nachttisch stehen, als sie endlich beschloss, ein paar Worte wagen zu können. Angefangen mit einem tiefen Seufzen, in dessen Begleitung sie den Kopf anhob, um von ihrem Schoss aufzusehen und wieder Ryatt anzupeilen. "Ich schätze dich und die Freundschaft zu dir sehr, Ryatt. Ich weiss nicht, ob ich das oft genug gesagt habe und ob du das wirklich weisst... Aber ich hoffe es", begann sie, musste nach diesen zweieinhalb Sätzen jedoch bereits die erste Pause einlegen, um die weiteren Worte zu büscheln und weil sich das als Einstieg irgendwie zu sehr nach Abschied anhörte. Mehr, als sie beabsichtigt hatte. Mehr, als sie selber verkraftete. "Der Gedanke daran, einen Menschen aus meinem Leben zu streichen, den ich mag und den ich nicht verlieren will… das ist wirklich schwierig für mich und auch komplett gegen meine Natur. Ich würde mich ständig fragen, wies dir geht. Immer wieder an dich denken und mich dauernd fragen, ob das wirklich der richtige - der einzige - Weg gewesen war...", es folgte ein erneutes Seufzen und Faye hob angestrengt die Schultern an. "Zugleich hab ich aber auch Angst. Wenn... wenn diese Freundschaft auf unerklärliche Weise nochmal zu einem solchen Eklat jenseits von Gut und Böse führt... Ich hab Angst vor dem, was passieren könnte. Und ich hab Angst vor den Folgen davon. Weil ich... weil ich Victor nicht verlieren will, um keinen Preis je wieder. Und ich Angst habe, dass es genau das ist, was ich aufs Spiel setze...", ihre stockenden Worte kamen ein bisschen unkoordiniert. Faye vertraute einfach darauf, dass Ryatt die Zusammenhänge schon verstand. Er kannte die Gesamtsituation besser als die meisten und auch Victors Meinung war ihm in den Grundzügen bekannt. Wahrscheinlich hatte er sich ihr innerliches Dilemma sogar schon selbst zusammengereimt. "Ich muss den Neustart diesmal wirklich hinkriegen. Muss es schaffen, die Vergangenheit und die ganzen Erfahrungen hinter mir zu lassen, die mich kaputt gemacht haben. Sonst nehm' ich uns die Chance, je wirklich glücklich zu werden, je vollends zu heilen. Und das darf ich nicht und will ich nicht. Aber ich kann beim besten Willen nicht sehen, was das für uns beide bedeutet...", ihre Stimme war nie wirklich laut gewesen, wurde nun aber zunehmend leiser und unsicherer, genau wie der Inhalt ihrer Worte. Ein grosses Fragezeichen, von dem so vieles abhängig war, das Ryatt ihr aber sicher auch nicht beantworten konnte. "Ich werde auf jeden Fall noch mit Victor darüber reden müssen, weshalb ich dir ganz grundsätzlich nichts versprechen kann. Weil ich ihm das schuldig bin, nach... vielem anderem. Aber abgesehen von ihm sind einfach die... Hernandez ausschlaggebend. Ich kann nicht einschätzen, ob sie sich je wieder melden bei dir. Ich weiss nicht wirklich, was Aryana und Mitch getan haben... Kann mir nur denken, wie sie sie zum Schweigen gebracht haben - scheinbar aber ohne jemanden zu töten. Denkst du, dass sie wiederkommen? Dass sie dich nochmal finden werden und dabei auch nach mir suchen?", am liebsten wollte sie sich einfach nie wieder über diese Geschwister aus der Hölle unterhalten. Aber Faye war mittlerweile nahe genug an der Realität angekommen, um verstanden zu haben, dass es ihr nichts brachte, wenn sie die Augen vor der Gefahr verschloss. Dieses wenn ich dich nicht sehe, siehst du mich auch nicht-Spiel funktionierte leider nur bei Babys. Darum musste sie wissen, was Ryatt, der die Geschwister von allen am besten kannte, von der aktuellen Lage hielt. Sean war noch im Gefängnis, aber irgendwann würde er rauskommen. Seine Geschwister würden irgendwann vergessen, wie sich diese Nacht von vor ein paar Tagen für sie angefühlt hatte. Die Erinnerungen würden verblassen und die Rachegelüste würden wieder grösser werden. Was passierte dann? Waren Mitch und Aryana die neuen Opfer oder gingen sie auf den Ursprung - Ryatt - zurück? Hatte Gil etwas gelernt oder würde er es sich in den Kopf setzen, sie doch nochmal zu finden, wie er es bei ihrem ersten Abschied angekündigt hatte? Inwiefern konnte Ryatt das überhaupt wissen oder einschätzen und voraussagen?
Ich müsste lügen, um zu sagen, dass das Warten auf eine Antwort für mich keine Qual war. Faye zeigte zuerst kaum eine Reaktion, was mich zu anderweitiger Beschäftigung drängte. In der Zwischenzeit hob ich die Tasse zweimal an, pustete ein wenig und wagte übervorsichtige Schlucke. Erst als die Brünette mit einem frustrierten Laut zu verstehen gab, dass sie nun zu einer Antwort ansetzen würde, versuchte ich die Tasse auf dem Oberschenkel ruhen zu lassen und Faye erneut anzusehen. Es war schön zu hören, dass sie mich und unsere Freundschaft schätzte. Auch wenn sie das eigentlich nicht betonen musste, weil das durch ihre Taten und ihre ganze Art mir gegenüber längst offensichtlich für mich war. Ich nickte und sah es zuerst nicht als notwendig an, noch etwas dazu zu sagen, aber die junge Frau machte an dieser Stelle schon wieder eine kurze Pause. Ich entschied mich also um, damit ein paar Sekunden weniger unangenehme Stille herrschte. “Das ist offensichtlich geworden, früher oder später.”, ließ ich sie wissen. Trotzdem spiegelte sich bestimmt da schon die Unruhe in meinen Augen und das wurde eher nicht besser, als Faye schließlich weitersprach. Sie hätte mir nicht noch einmal erklären müssen, dass sie vertraut gewordene Gesichter nicht gerne für immer aus ihrem Leben strich, aber es gehörte wohl der Vollständigkeit halber dazu… und es war schon schön zu hören, dass ich für sie in diesen engen Kreis gehörte, trotz all meiner Fehler. Dass sie sich – genauso wie ich andersherum – fragen würde, was bei mir so los war. Dennoch machten diese Worte alles, was danach noch kam, ein bisschen schwerer zu schlucken. Dabei war nichts davon wirklich neu für mich, ich wusste das alles. Wie schrecklich schmerzhaft, traumatisch und kompliziert unsere Verbindung aus ihrer Sicht sein musste. Nicht nur für sie, sondern eben auch für Victor, der berechtigterweise ein gutes Stück Mitspracherecht in dieser Sache hatte. Egal wie wenig mir das in den Kram passte. Ich nickte ein paar Mal vor mich hin, während Faye all diese Sätze in den Raum stellte, damit sie wusste, dass ich ihr folgte und zuhörte. Es wurde zuweilen schwer, was hauptsächlich an dem beklemmenden Gefühl in meiner Brust lag. Ein hässlicher Klumpen aus Schuld, Verlustängsten und zu viel Zuneigung, der noch schwerer wurde, als Faye mir abschließend Fragen stellte, die ich ihr nicht beantworten konnte. Zumindest nicht mit sicheren Tatsachen, sondern nur mit prozentualer Wahrscheinlichkeit. Solange ich noch hier war, brauchten diese Psychopathen ja nicht einmal nach mir zu suchen – sie wussten längst, wo ich mich den lieben langen Tag versteckte, wenn ich nicht gerade zufällig herauskam, um ihnen mit Hilfe eine Geiselnahme zu versauen. Mit einem tiefen Atemzug und einem kaum sichtbaren Kopfschütteln setzte ich zu einer Antwort auf ihren Redeschwall an, allerdings ohne Faye anzusehen. “Ich habe nichts mehr von ihnen gehört, seit der Nacht in der Lagerhalle. Von keinem von denen.” Wobei Mateo und Gil wahrscheinlich auch nach wie vor damit beschäftigt sein dürften, etwaige Verletzungen ansatzweise erträglich zu gestalten. Also wenig Bewegung, viel Schmerzmittel und vielleicht auch etwas Antibiotika zur Vorbeugung, wenn der Denkzettel so gelaufen war, wie ich das vermutete. “Ich denke nicht, dass Riley dumm genug ist, nach alledem noch ein weiteres Mal zu versuchen, mich oder einen von euch wie eine Weihnachtsgans ausnehmen zu wollen. Ich weiß nicht, ob oder was Aryana dir erzählt hat, über den... Denkzettel." Wenn sie was erzählt hatte, dann auf jeden Fall nicht viel, Fayes Worten nach zu urteilen. "Aber als sie nach Hause gekommen sind, hat sie mich darum gebeten, Riley anzurufen. Mindestens einer von den beiden muss so schlecht dagestanden haben, dass bis zum nächsten Schichtwechsel zu warten keine Option war. Wenn sie es also jetzt noch nicht endgültig begriffen haben, dann tun sie's nie." Ich seufzte schwer, machte eine kurze Pause, ehe ich fortfuhr. "Soweit ich weiß, hat Riley ihre Brüder unter Kontrolle. Sean ausgeklammert… ich denke, dass diese ganze Sache eigentlich auch immer noch von ihm ausging. Weil er leider nicht der Typ Mensch ist, der gerne etwas auf sich sitzen lässt… obwohl spätestens jetzt auch er mal begriffen haben sollte, dass es manchmal Dinge im Leben gibt, die man einfach schlucken muss.” Riley hatte es nie wortwörtlich ausgesprochen, aber es war durch diverse unterschwellige Andeutungen bei unseren Treffen recht offensichtlich geworden. Dieser Idiot hatte sich mit den Konsequenzen für seine Taten vielleicht noch immer nicht abgefunden. Ich schüttelte ein weiteres Mal nachdenklich den Kopf und sah Faye erst ein paar Sekunden später wieder direkt an, als ich weitersprach: “Ich weiß es nicht. Ich kann dir für nichts eine Garantie geben, Faye, egal wie gerne ich dir am liebsten sagen würde, dass du dich davor nie wieder fürchten musst… ich müsste mich mit ihnen unterhalten, um zu wissen, was sie denken.” Die Feststellung am Ende klang ziemlich nüchtern. Es wäre schön zu wissen, was in den Köpfen der Hernandez jetzt noch vorging, nachdem Aryana und Mitch die beiden Brüder ziemlich übel zugerichtet hatten. Nicht nur Faye interessierte das, ich wüsste es selbst genauso gerne. Auch mir fehlte ein richtiger Abschluss mit dieser Sache – das Wissen, dass es jetzt tatsächlich vorbei war. Ich hasste das. Mir diese Informationen zu beschaffen wäre jedoch leichtsinnig bis tödlich. Mateo und Gil mochten gerade keine Bedrohung sein, aber ich konnte nicht einschätzen, wie Riley nach alledem tickte. Mit Sean zu sprechen – sofern er denn einwilligen und mich empfangen wollte – wäre wohl noch am sichersten, so von der anderen Seite einer unkaputtbaren Glasscheibe aus. “Und ich… ich verstehe, wenn euch beiden das nicht reicht. Das Leben ist nicht unbedingt dafür bekannt, unendlich viele Chancen zu verteilen…”, murmelte ich etwas leiser vor mich hin, während meine Augen wieder in den Tee abrutschten. Vielleicht hatte Faye mir längst zu viele Chancen eingeräumt. Vielleicht hätte ich einfach früher begreifen müssen, dass man einen Menschen, den man gerne mochte, besser nicht von sich wegschieben sollte. Man sah ja, wo das hinführte. “...auch wenn das manchmal schwer zu akzeptieren ist.”, schloss ich ab und zuckte mit den Schultern, bevor ich die Tasse anhob und daran nippte. Einmal, noch ein zweites Mal. Der Tee beruhigte nicht wirklich meine Nerven, war aber eine willkommene Beschäftigung, während mein Schädel und mein Herz sich krampfhaft in dieser Achterbahnfahrt vor dem Kotzen zu bewahren versuchten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Er setzte nach einer Gedenkpause zu seiner Antwort an und alles, was er sagte, war zumindest im Ansatz das, was sie erwartet hatte. So oder so ähnlich. Dass er nichts mehr von den Hernandez gehört hatte, nahm sie schwer an, weil er es ihr oder Aryana und Mitch sonst sicher gesagt hätte. Dass niemand davon ausging, dass dieser Abschaum je wieder etwas von sich hören liess, war ebenfalls bekannt. Das war ja der Zweck der Aktion gewesen, wie ihn auch ihre Schwester nach getaner Arbeit in knappen Worten geschildert hatte. Dass Aryana Ryatt um einen Anruf bei Riley gebeten hatte, weil kein Anruf möglicherweise das Todesurteil für jemanden gewesen wäre, war neu - aber keineswegs erstaunlich. Führte nur dazu, dass sich ihr Magen unangenehm drehte und bei ihr - in Kombination mit der Wirkung der ganzen übrigen Emotionen. - den Gedanken auslöste, dass es vielleicht doch besser gewesen wäre, nicht die ganze Pizza zu essen. Und dann kam das Fazit, das sie eben nicht hatte haben wollen. Das, was sie sich ebenfalls längst zusammengereimt hatte. Ihre Fragen in Kombination mit den vorangehenden Worten hatten eigentlich schon deutlich gemacht, was sie von Ryatt hören wollte. Sie wünschte, er könnte ihr einfach versprechen, dass die Pest nie wieder sein Leben heimsuchen würde und eine Freundschaft zwischen ihnen beiden somit keine Gefahr mit sich brachte. Sie wünschte, er könnte ihr irgendeine Garantie geben. Sie wünschte, er hätte irgendeine Sicherheit. Für ihn, für Faye, für sie beide. Aber da war nichts. Ryatt konnte nicht hellsehen, er wusste nicht, was eines Tages passieren könnte - er kannte Sean und dessen Familie nichtmal lange und gut genug, um eine zuverlässige Prognose zu stellen. Also keine Garantie. Nicht genug. Faye erwiderte seinen Blick solange er sie ansah und schweifte ebenfalls abwärts ab, als er wieder seine Tasse anpeilte. Ihr Tee wartete noch immer auf dem Nachttisch, aber die Bettdecke war fast genauso spannend. Wusste ähnlich viel tröstenden Rat beizufügen. "Das ist doch scheisse.", waren ein paar frustrierte Worte, die ihre gemeinsame Basis unterstrichen. Sie hasste solche Entscheidungen. Wenn alle Optionen nicht wirklich gut waren und potenziell böse Folgen auf dem Spiel standen. Sie hasste sie noch mehr, weil sie wusste, dass sie in der Vergangenheit in ähnlichen Momenten falsch abgebogen war. Weil sie sich selbst nicht ausreichend vertraute, um sicher zu sein, dass sie nicht wieder einen Fehler machte. Aber auch wenn jemand anderes für sie entscheiden würde, würde sich die Entscheidung in jedem Fall nicht ganz gut anfühlen, nicht ohne Beigeschmack vorbeiziehen. Darum war das nachdenkliche, bedrückte Schweigen, das auf seine Antwort folgte, auch wieder ungewollt länger, als dass es sein sollte. Irgendwann streckte sie sich doch nach ihrem Tee aus, hob die Tasse in ihre Hände, stellte sie dann aber auf ihrem Knie ab, ohne etwas davon getrunken zu haben. "Ich denke, das Risiko wird auf jeden Fall kleiner, sobald du - beziehungsweise ihr alle drei - nicht mehr in Seattle und Umgebung seid. Wenn die räumlichen und zeitlichen Distanzen grösser werden und zumindest ein bisschen Gras über die Sache gewachsen ist. Ganz so einfach wird es auch für sie nicht sein, alle von uns in verschiedenen neuen Orten ausfindig zu machen und aufzusuchen. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis ihr da wegkommt...", noch eine Frage, auf die er eher nicht ohne weiteres eine unkomplizierte Antwort bieten konnte. Aber das war langsam ihr Standard-Terrain. "Wie gesagt muss ich sowieso mit Victor sprechen... Vielleicht reicht es ja, wenn wir für ein paar Wochen oder Monate den Ball flach halten. Treffen können wir uns eh nicht und dann versuch' ich in der Zwischenzeit erstmal, da unten anzukommen und du versuchst, da oben wegzukommen...", war das reine Problemverschiebung? Möglich. Aber sie hegte die leise Hoffnung, dass sie bis dahin auch etwas klarer sah, was für ihr Herz und ihren Kopf am sinnvollsten war. Wenn es ihnen alles etwas besser ging als heute. Das dürfte die Entscheidungsfindung auf jeden Fall nur positiv beeinflussen... Und es wirkte immer unrealistischer, dass sie heute Nacht ohne eine goldene Pille überhaupt ein Auge zumachen würde. Vielleicht doch nicht so falsch, dass sie die angefangene Schachtel nicht weggeschmissen, sondern mitgenommen hatte. Victor würde sie sehr sicher lieber mit laufendem Schlafmittelkonsum empfangen, als sie irgendwo auf der Hälfte des Weges in einem Krankenhaus zu besuchen, weil sie sich nicht aufs Autofahren hatte konzentrieren können.
Fayes knappes Resumé zu meinen Worten traf den Nagel leider mal wieder allzu passend auf den Kopf. Die ganze Situation war scheiße und ich wusste, dass sie nur schwieriger wurde dadurch, dass wir eigentlich beide an dieser aufreibenden Freundschaft festhalten wollten. Würde ich die Sache noch immer so rational betrachten wie vor einem Jahr, dann würde ich Faye ein letztes Mal umarmen und dann Lebewohl sagen. Es war für sie am sichersten, sich für immer von mir fernzuhalten. Was man liebte, musste man manchmal auch gehen lassen. Nur konnte ich das jetzt nicht mehr ohne Hilfe dabei, offensichtlich. Wenn Faye mir also nicht sagte, dass ich ans andere Ende der Staaten ziehen und mich nie wieder blicken lassen sollte, dann würde ich das auch nicht tun. Letzteres jedenfalls nicht. Wo es mich am Ende hin verschlug, konnte ich jetzt noch nicht sagen. Ich nahm Fayes Bewegung im Augenwinkel wahr, als sie nach ihrer eigenen Tasse angelte. Auf ihre darauffolgenden Worte hätte ich beinahe nochmal geseufzt. Ich wusste, dass es nicht ihre Intention war, mich damit unter Druck zu setzen, aber es fühlte sich unweigerlich so an. Je früher Aryana und Mitchell aus dieser Armee rauskamen, desto besser wäre es schließlich. Gerade jetzt, nachdem sie die nächsten Schlaglöcher in ihrer Psyche in Kauf genommen hatten. Vielleicht eine tickende Zeitbombe, die auf keinen Fall hochgehen durfte, solange sie noch für Easterlin arbeiteten. Ich hatte noch nichts dazu gesagt, als die Brünette noch ein paar mehr oder weniger abschließende Worte loswurde. “Das ist so oder so nötig, denke ich… nicht nur die Höllenbrut braucht Zeit, um das alles zu verarbeiten.”, murmelte ich in den Tee, den ich ans Kinn gelehnt noch dicht vor den Lippen hielt. Nach einem weiteren langsamen Schluck senkte ich die Tasse zurück aufs Bein und sah Faye an. Unsere Freundschaft war viel zu schmerzgeprägt, viel emotionaler als sie sein sollte. Victor brauchte sicherlich Zeit, um mich nicht mehr als Staatsfeind Nummer Eins anzusehen – egal wie weit weg ich auch sein mochte – genauso wie Faye und ich etwas Zeit brauchten, um all die Erlebnisse zu verarbeiten und früher oder später auch ruhen zu lassen, um neuen Platz zu machen. Wenn diese Freundschaft funktionieren sollte, dann mussten wir diesen Schmerz hinter uns lassen und neue, gute Erfahrungen sammeln. Irgendwann in frühestens ein paar Monaten, denn so lange würde es mindestens dauern, bis ich das Paar vom Stützpunkt verabschieden konnte. “Solange ich ab und zu von dir höre, wie’s dir geht, kann ich in der Zwischenzeit mit wenig Kontakt umgehen, ohne auf dumme Gedanken zu kommen, glaube ich.”, fügte ich nach kurzer Pause an, sprach dabei nach wie vor etwas undeutlich. Ich glaubte zu wissen, dass ich mich möglicherweise wieder zu sehr von Faye distanzieren würde, wenn der Kontakt bis zu meinem – und Aryanas und Mitchs – Umzug komplett auf Null fiel. Ich würde zu deutlich vor Augen haben, dass ich alleine auch irgendwie klar kam und ich wusste wirklich nicht, ob ich bezüglich zwischenmenschlicher Beziehungen jetzt schon stabil genug war, dass ich dann nicht doch wieder darüber nachdachte, lieber einen kompletten Schlussstrich zu ziehen. Das wollte ich Faye zuliebe nicht riskieren, sofern Victor sich nicht ohnehin komplett quer stellte und sie darum bat, mich für immer loszuwerden. Letzteres blieb abzuwarten. Ich brauchte gewiss nicht jeden Tag einen Code Green von Faye, aber kurze Zwischenmeldungen hin und wieder wären eben schon gut… gut bis notwendig, damit ich nicht doch übers Wegrennen nachdachte. “Wenn ich weiß, dass du okay bist, dann sollte ich in der Zwischenzeit einigermaßen beruhigt schlafen und mich darauf konzentrieren können, deine Schwester und ihren Freund rauszuboxen… auch wenn das irgendeine besondere Situation erfordern wird, fürchte ich.”, seufzte ich und schloss für einen Moment lang die Augen. Easterlin hatte derzeit alle Asse in seinen Händen und wir müssten ihm mindestens eins davon stehlen, wenn wir eine Chance haben wollten. Wir brauchten irgendeinen Vorteil. Irgendetwas, das er nicht kommen sah, wogegen er demnach auch nichts ausrichten konnte. Ich bräuchte einen Plan, in den er uns nicht effektiv reinpfuschen könnte, weil es sich außerhalb seines direkten Wirkungskreises abspielen müsste. “Ziehen die beiden zu euch nach L.A., wenn wir Easterlin erfolgreich ausgedribbelt haben?”, fragte ich. Auch das zweite Paar im Bunde würde Seattle verlassen, sobald es konnte. Vielleicht hatten Aryana und Faye sich darüber ja schon unterhalten. Möglicherweise würde ich mich etwas besser damit fühlen, zu wissen, dass das zuweilen skrupellose Duo zur Not trotzdem in Fayes Nähe war. Auch wenn ich wirklich hoffte, dass die Hernandez jetzt genauso wie wir ein Ende in dieser Sache gesetzt hatten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das war sehr wahr und auch wenn sie nie wirklich darüber gesprochen hatten, war es gut, dass sie sich immerhin in diesem Bereich ohne Diskussion einig waren. Eine Pause, Abstand und Zeit zum Verdauen war nötig und wahrscheinlich war es gar nicht so übertrieben optimistisch, zu glauben, dass sich in dieser Zeit sicher auch die ein oder andere ausstehende Frage klären würde. Somit nickte sie nur nachdenklich und langsam, hob dabei auch endlich ihre Tasse an ihre Lippen, um zuerst ein paarmal über den Tee zu pusten, bevor sie den ersten, sehr vorsichtigen Schluck davon trank. Wie erwartet war das Getränk auch noch nicht wirklich abgekühlt, weshalb sie es dann auch dabei beliess und die Hand mit der Tasse wieder auf ihr Knie sinken liess. "Ja... ich denke, das können wir so machen. Vielleicht sind wir bis dahin mit dem Rest auch weiter und sehen irgendwie ein bisschen drüber...", stimmte sie zu. Ein wenig Kontakt um die Nerven zu beruhigen und sich gegenseitig bei Laune zu halten, war sicher nicht falsch. Zumindest konnte sie auf den ersten Blick nichts erkennen, was dagegen sprechen würde. Wie sich ihre Meinung diesbezüglich mit der Zeit entwickeln würde, würde sich von selbst zeigen und die Möglichkeit, dass Victor hier sein Veto einlegte, hatten sie bereits besprochen. Also ja. Klang nach sowas wie einem Plan. Nur mit der Dauer dieser semi-definierten Pause war sie sich nicht so sicher. Sie wollte ihm eigentlich nicht die Verantwortung dafür auferlegen, einen Fluchtplan für Aryana und Mitch zu erfinden. Er hatte auch sonst genug zu tragen und musste schon sein eigenes Leben irgendwie neu auslegen und planen. Gleichzeitig liess sich aber auch nicht lügen, dass sie sich wirklich wünschte, er würde einen Ausweg für die beiden finden, der funktionierte und nur bisher allen verborgen geblieben war. Nach allem, was in der letzten Woche wieder passiert war, war es dringender denn je, dass Mitch und Aryana da rauskamen. Mit welcher besonderen Situation das dann auch immer geschehen sollte... Trotzdem hatte sie das Bedürfnis, hier noch einen Kommentar abzugeben und das nicht einfach so im Raum stehen zu lassen. So fanden ihre Augen nun zurück zu Ryatt, den sie nachdenklich betrachtete, den Kopf wieder etwas schief gelegt. "Das ist gut. Aber ich hoffe, dass du dir auch Zeit für dich selbst nimmst... Ich finde es natürlich super, wenn du ein Schlupfloch für Aryana und Mitch findest. Aber du hast es selber auch verdient, irgendwann zur Ruhe zu kommen, nach vorne zu schauen und dir eine bessere Zukunft zu basteln...", gab sie ihm zu bedenken. Es war ein bisschen Wunschdenken, was sie hier erzählte, das war ihr bewusst. Man konnte im Leben selten alles haben. Und inwiefern Ryatt an seiner Anstellung bei Easterlin festhalten konnte, um Aryana und Mitch da rauszuboxen, und gleichzeitig für sich selbst einen Weg nach vorn erarbeiten konnte, war fraglich. Falls er sich also wirklich für ihre Schwester und deren Freund einsetzen wollte, dann blieb schwer zu hoffen, dass dieses Unterfangen nicht ganz so lange dauerte und nicht ganz so kompliziert wurde, wie sie alle vermuteten. Seine letzte Frage war dann wohl die, die gerade am wenigsten Hirnleistung ihrerseits forderte und ihr sogar ein seichtes Lächeln entlockte. "Ja... das ist zumindest aktuell der langfristige Plan. Ob sie direkt nach L.A. ziehen wollen oder einfach irgendwo in die Nähe, wissen wir noch nicht. Aber auf jeden Fall in diese Richtung, damit wir uns wieder regelmässig sehen können", bestätigte sie seine Vermutung. Das waren genau die Dinge, an die sie sich aktuell so klammerte. Eine Vorstellung der Zukunft, die irgendwann nicht mehr nur maximal okay war.
“Das hoffe ich.”, stimmte ich Faye ohne Umschweife zu. Ich hatte aktuell grundsätzlich das Gefühl, völlig zerstreut zu sein und ich konnte damit offensichtlich nicht umgehen. Hier zu viele Gefühle, da zu viele Hernandez im Nacken, da noch ein paar verärgerte Aryanas und Mitchells und on top ein Job, der zeitweise durchaus meine Gehirnzellen forderte… es war alles zu viel gewesen in den letzten Monaten. Zu viel, um effektiv denken und auch danach handeln zu können. Die Zeit heilte vielleicht nicht alle Wunden, aber Ruhe einkehren zu lassen half zweifellos beim Durchatmen und anschließend mit neuer Energie weiterzumachen. Dass mein – oder Irgendjemandes – Leben sich nur durch die Atempause von selbst komplett neu sortieren würde, war völlig surreales Wunschdenken, aber es konnte trotzdem nur helfen. Ich sah zur zierlichen Brünetten, als ich ihren Blick auf mir spürte. Sie wurde weitere Worte los, die mich müde lächeln ließen. Es wäre ein bisschen zu schön um wahr zu sein, wenn ich zwischen der Arbeit, den Schuldgefühlen und dem Ausdenken eines Fluchtweges auch noch irgendwo Zeit dazu finden würde, mich selbst wieder zu sortieren. Oder zu heilen, wie alle anderen das immer nannten. Mir kam es immer nur vor wie pures Chaos im Schädel… und diesmal eben auch im Herzen, aber das Ding würde sich schon berappeln, wenn Faye nicht mehr in unmittelbarer Nähe zu finden war. “Das… wird nicht passieren. Nicht, bevor ihr nicht alle Vier aus Seattle weg seid. Ich seh’ die beiden zwar nicht jeden Tag auf dem Stützpunkt, muss ihre Namen aber ständig auf dem Papier hin und her schieben, als würden sie mich genauso wenig interessieren, wie die anderen Söldner… es ist ziemlich unmöglich, sich dabei nicht schlecht zu fühlen, auch wenn ich sie nach wie vor schonend einzuteilen versuche… was jetzt nötiger ist denn je, fürchte ich." Ich machte in den Tee starrend eine kurze Pause. Aussprechen tat ich es nicht, aber es war leider naheliegend, dass diese nächtliche Aktion verheerende psychische Folgen bei Aryana und Mitchell haben würde. Wie schlimm die tatsächlich waren, konnte ich erst sagen, wenn ich sie zu Gesicht bekam oder vorher in einem Bericht etwas hässliches über sie auftauchte. Letztere würde hoffentlich nicht passieren. "Genauso wie dich hab ich sie da mit reingezogen, obwohl ich das gar nicht wollte… bis ich das nicht ausgebügelt habe, soweit das jetzt im Nachhinein noch möglich ist, find’ ich hier wahrscheinlich sowieso keine Ruhe. Ich bin schon froh, wenn ich's in der Zwischenzeit schaffe, einfach zu funktionieren. Höher ist mein Anspruch an mich selbst erstmal noch nicht.”, seufzte ich, ließ den Kopf nach hinten an die Lehne kippen und machte einen Moment lang die Augen zu. Dabei tastete ich mit den Fingern an der Tasse ganz bewusst an die eigentlich zu heiße Außenwand des Gefäßes. Versuchte mich auf dieses unangenehme, körperliche Gefühl zu fokussieren, um nicht noch tiefer in meinem eigens geschaffenen Gefühls-Dilemma zu versinken. “Aber danach werd’ ich mich mal auf die Suche nach einem gesünderen Zukunfts-Ich machen, ja.”, endete ich etwas sarkastisch, was nur daher kam, dass ich keine Ahnung hatte, wie das aussehen würde. Dabei machte ich auch die Augen wieder auf, ließ den Kopf aber erstmal noch angelehnt. Trotz alledem war es schön zu hören, dass dieses scheinbar unzertrennliche Vierergespann schon über eine gemeinsame Zukunft nachgedacht hatte. “Ich bin auf jeden Fall froh darüber, dass ihr Vier zusammenbleiben möchtet. Scheint mir das einzig Richtige zu sein.”, sagte ich aufrichtig lächelnd. Die Cooper-Schwestern hatten bisher kein leichtes Leben gehabt, soweit ich wusste. Es konnte nur gut für die beiden sein, endlich irgendwo zur Ruhe zu kommen und dabei möglichst nah beieinander zu sein und auch zu bleiben. Unabhängig davon herrschte offensichtlich blindes Vertrauen zwischen den beiden Paaren. Derartig blind, dass über gewisse Schandtaten leicht hinweggesehen wurde. Bei dieser gemeinsamen Vergangenheit war das eigentlich kein Wunder, aber in der heutigen, sehr schnellen Gesellschaft waren tiefe, loyale Verbindungen etwas sehr Seltenes.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das hofften sie sicher alle. Nicht nur sie beide, sondern eben auch Victor, Aryana und Mitch. Alle, die irgendwie mit einbezogen waren und auf die ein oder andere Weise ihr Glück damit verbanden, dass sie die letzten Wochen hinter sich lassen konnten. Wie sehr sie da alle dran hingen, schien Ryatt durch und durch bewusst zu sein, wenn man den Worten glaubte, die er hinterher schob. Und sie hatte keinen Grund dazu, ihm nicht zu glauben, immerhin sagte er es kaum, um sich damit Pluspunkte zu erarbeiten oder ähnliches - sie hatte ihn soeben spezifisch darum gebeten, sich auch um sich selbst zu kümmern und nicht nur um die nächste private Mission. Und fast fragte sie sich, ob es vielleicht sogar eine schlechte Idee gewesen war, ihn überhaupt um Hilfe zu bitten in diesem Belangen... Aber wenn er Mitch und Aryana wirklich da raus bekam, dann... Dann war es das wahrscheinlich schon wert. Dann war das der Gefallen, den niemand ausser Ryatt ihnen allen tun konnte und für den sie ihm letztendlich auf ewig dankbar wären. Dann war es vielleicht sogar die Fügung des Schicksals - ein Grund, warum sie sich überhaupt je begegnet waren und sich nicht direkt wieder aus den Augen verloren hatten, kaum hatte sie ihn von der Strasse gekratzt und im Krankenhaus abgeliefert. Wenn er denn einen Weg für Mitch und Aryana fand und nicht einfach daran kaputt ging, einen zu finden, wo es keinen gab. Unter Umständen war aktuell jedoch schon die schonendere Einteilung Gold wert, rettete möglicherweise bereits Leben. Ryatt brauchte es nicht auszusprechen, sie hatte die beiden in den letzten Tagen ja gesehen und erlebt. Ein paar weitere Wochen Urlaub - und engmaschige psychologische Begleitung - wären das Mindeste, was nötig wäre, um wieder eine einigermassen gesunde Ausgangslage zu schaffen. Beides war ihnen nicht vergönnt und aktuell war vollkommen unklar, was das für Auswirkungen nach sich ziehen würde. Das war die Richtung, in die ihre Gedanken drifteten, während sie nun wieder stumm in ihren Tee starrte und nicht recht wusste, ob es überhaupt noch Worte gab, die dem Hinzuzufügen waren. "Ich verstehe... und wahrscheinlich ist das auch sinnvoll. Du kannst schlecht was Neues anfangen, solange du mit dem Alten nicht abschliessen kannst... Und würdest damit vielleicht auch nur riskieren, dass das Alte das Neue direkt wieder vergiftet. Ich möchte nur nicht, dass das alles zu viel wird für dich... Auch wenn das wahrscheinlich etwas zu spät ist jetzt. Aber ich hoffe, dass du...", sie schaute weiterhin auf ihren Tee, hatte den Blick nicht angehoben, als sie zu sprechen begonnen hatte und tat es auch jetzt nicht, während sie nach den richtigen Worten suchte, ohne recht zu wissen, ob sie das überhaupt aussprechen sollte oder nicht. "Ich hoffe, dass du nicht alles alleine tragen musst. Dass du mit jemandem reden kannst, wenns dir zu viel wird oder wenns dir schlecht geht. Und du... du darfst mich anrufen, wenn etwas ist oder du mich brauchst oder was auch immer, okay?", erst jetzt traf ihr Blick wieder auf ihn. Sie hatten vorhin sowas wie eine Übergangsfrist vereinbart, die mit wenig Kontakt überbrückt werden sollte. Aber ihr Herz fand keine Ruhe bei dem Gedanken, dass er diese Zeit ganz alleine in Seattle verbringen würde. Dass sie ging und er mit den gleichen Problemen zurückblieb. Nicht ganz den gleichen, die Hernandez' dürften aktuell keine Sorgen mehr machen. Aber seine Probleme waren noch immer zu stark mit den Geschehnissen der letzten Monaten verwoben - die Probleme, die sie mit ihm geteilt hatte. Sie wusste, dass sie selber auch auf sich aufpassen musste, dass sie hier nicht wieder auf eigene Kosten zu viel Hilfe anbieten sollte. Aber sie war sich auch relativ sicher, dass Ryatt dieses Angebot nicht leichtfertig nutzen würde - er war nicht dafür bekannt, allzu gerne Hilfe anzunehmen oder ausgerechnet sie übermässig belasten zu wollen.