Nein, wahrscheinlich nicht... Überleg ich mir dann im Urlaub.^^ Wie lange hast du denn noch Spätschicht? Vielleicht hast dus mir geschrieben, aber... I don't remember. xD Und gut zu hören, dass es wenigstens dem Pony wieder besser geht! :3 ____________
Mateo schien schon länger keinen Spass mehr an der ganzen Sache zu haben. Ob er schon bereute, das alles angezettelt zu haben? Ihrer Familie überhaupt je in die Quere gekommen zu sein? Oder ob er sich lediglich wünschte, ein bisschen genauer in Fayes Hosentaschen gewühlt zu haben? In diesem Fall hätte sie ihr Ziel noch nicht erreicht, denn er sollte nicht nur sich selbst bemitleiden, sondern im Idealfall auch lernen, sowas im Leben nie wieder einer anderen Person anzutun. Aber das konnte sie leider nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Sie musste sich einfach nur ausreichend bemühen, um in dieser Nacht dafür zu sorgen, dass niemand aus ihrer Familie diesem Abschaum je wieder begegnete. Und dafür eigneten sich seine eigenen Methoden ganz ausgezeichnet, wie Mateos verzerrtes Gesicht verriet. Die Flamme hatte sich ziemlich lange an seinem Fleisch genährt und allein das dürfte ihm einen deftigen Arschtritt in die richtige Richtung versetzt haben. Zusammen mit dem Knie, das - wenn er nur ein bisschen Pech hatte - nie wieder funktionieren würde wie zuvor, hatte er schon zwei gute Gründe, ihnen auf ewig fern zu bleiben. Während Aryana noch dabei war, ihr Opfer stumm zu begutachten, das Messer noch immer fest in ihren blutverschmierten Fingern, hörte sie Mitchs Frage, die wohl an Gil gerichtet war. Von dem kam kurz darauf auch eine abgehakte Antwort. Und sie konnte sich schon denken, warum das relevant war. Die zwei Arschlöcher tropften etwas zu munter vor sich hin, als dass es auf Dauer gesund sein könnte. Entsprechend lag ihr Blick berechnend auf Mateos Wunden, als Mitch die entsprechende Frage an sie stellte. Sie wusste nicht, wie stark die beiden hier auf Blutverlust reagierten. Konnte nur von sich selbst aus schliessen, wobei sie wusste, dass sie diesbezüglich sicherlich empfindlicher war als der Grossteil der erwachsenen Menschen. Von dieser Ausgangslage aus, sollten sie aber doch nicht mehr allzu lange warten, bis irgendwas gegen den Blutfluss unternommen wurde. "Wahrscheinlich beides... in dieser Reihenfolge", murmelte sie zurück, richtete ihre Augen dann auf Mitch und zuckte kurz mit den Schultern. Sie mussten natürlich keine perfekten Verbände basteln. Aber in Anbetracht der bestehenden Verletzungen, könnte selbst die eine Stunde, die es sicher dauern würde, bis sie beide zuhause und Riley dann auch hier war, tödlich sein. Ihr Blick rutschte wieder zu Mateo und dann nochmal zu Mitch. Aryana gab ein fast tonloses Seufzen von sich und liess das Messer sinken. Waren sie fertig? Sie hatte keine Ahnung, ob der angerichtete Schaden ausreichte, aber ihr war akut die Lust vergangen. Die kurze Unterbrechung hatte ausgereicht, um ihren Blutdurst lahmzulegen und ihr stattdessen ein bisschen zu klar vor Augen zu führen, was sie hier eigentlich machten. Aber es war nötig, oder? Es gab keine andere Möglichkeit. Wenn nicht Mateo und Gil, dann Faye und Victor oder Ryatt oder am Ende auch sie beide. Und das würde nicht passieren. "Lass uns das zu Ende bringen und verschwinden...", bat sie ihren Freund in dezent müdem Tonfall, wenn auch noch immer ausreichend leise, um ihre beiden Nicht-Freunde aus dem Gespräch auszuschliessen. Damit wandte sie sich wieder Mateo zu, der sie schon ein paar Sekunden zu lang hatte vermissen müssen. Er stand ziemlich schief an dem Pfosten, was sicherlich nicht zuletzt den Schmerzen in seinem Knie zuzuschreiben war, das ihn lieber liegend als stehend hätte. Immerhin war es kein zu grosser Krampf, hier zu stehen, wenn ihn die Fesseln doch so nett dabei unterstützten. Aryana hob das Messer doch nochmal an, um es steil unter sein Kinn zu halten und mit der Spitze in der frischen Brandverletzung zu provozieren, dass er brav wieder in ihre Augen blickte. „Weisst du… ich hab eigentlich echt gar keine Lust auf das hier. Im Gegensatz zu euch find‘ ich erstaunlich wenig Gefallen darin, dir diesen Denkzettel zu verpassen… Leider sogar deutlich weniger, als ich erwartet habe - obwohl du es so sehr verdienst. Richtig schade, aber ich würde dich lieber einfach ganz aus meinem Leben streichen. Aus dem Leben meiner Familie. Und darum kannst du dir sehr sicher sein, dass das der einzige Denkzettel für euch alle bleiben wird. Solltet ihr euch also nochmal wagen, auch nur in die Nähe von Faye, Victor, Ryatt oder uns zu kommen, wird euch keiner mehr retten.“, setzte sie zum ersten Mal an diesem Abend auf etwas mehr als zwei bis drei für ihn und seine Ohren bestimmten Worte. Das Messer bohrte sich vielleicht unnötig nochmal in die sowieso schon verletzte Haut, aber ob das jetzt wirklich noch eine Rolle spielte, war fraglich. Da war sowieso überall Blut. Und es war nötig, dass er den Schmerz nochmal sehr unverfälscht und frisch spürte. Victor hatte sich am Ende der Folterstunde umbringen oder zumindest in die Bewusstlosigkeit befördern wollen. Klar, das hatte sicher auch noch an dem gelegen, was Gil daneben mit Faye angerichtet hatte - trotzdem war Mateo noch nicht auf diesem Level angekommen. Und sie fragte sich unvermittelt, ob das ausreichen würde. Oder ob sie trotz fehlender Lust noch einen draufsetzen musste, um ihren Standpunkt deutlich zu machen... Fragen konnte sie ihn ja schlecht, er würde sowieso in jedem Fall mit der gleichen Antwort dienen.
Sie wandte den Blick relativ bald wieder von ihm ab, als ihr bewusst wurde, dass sie ihm damit eindeutig keinen Gefallen tat. Sie wollte eigentlich nicht, dass das jetzt alles so komisch war und wurde hier. Aber ihr fiel auch partout nichts ein, was sie tun oder sagen könnte, um dieser unbeholfenen, unangenehmen Situation entgegenzuwirken. So tippten ihre Finger unruhig auf dem schwarzen Bildschirm des Smartphones herum, auf dem auch ihr starrer Blick mittlerweile lag. Irgendwann ging das Display wieder an und sie blickte somit nicht mehr ins schwarze Nichts, sondern auf das Bild ihres Sperrbildschirms. Auf eine Momentaufnahme einer herrlich unbeschwerten Faye, die sich an einen herrlich unbeschwerten Victor klammerte, der wiederum seine Füsse in den zarten, weissen Sand im Schatten einer Palme grub, irgendwo auf einer Insel im Nirgendwo, fernab jeglicher Sorgen und Probleme, weit weg von allen Hernandez' dieser Welt. Das war das Ziel. Es war immer das Ziel gewesen und es war auch jetzt wieder das Ziel. Und sie würde es wieder schaffen. Sie musste. Nur vielleicht noch nicht heute Nacht... Ryatt parkte das Auto am Strassenrand vor dem Haus, in dem Mitch und Aryana wohnten, ohne dass sie es geschafft hätte, eine Nachricht für Victor zu verfassen. Später... alles irgendwann später. Sie nickte auf Ryatts Worte, stieg unverändert zögerlich und langsam aus, faltete die Decke in ihren Armen, um sie dann ordentlich zurück auf den Sitz zu legen. Auch wenn Ryatts Geldprobleme zurzeit wohl nicht mehr wirklich existierten, hatte er sicher auch anderweitig Verwendung für die Decke. Sie hatte selbst genügend und ausserdem wären sie gleich drinnen in einer warmen Wohnung. Weil sie zu lange damit beschäftigt gewesen war, auszusteigen, das Ladekabel wieder zu verstauen und die Decke zu falten, bekam sie nicht mit, wie Ryatt Weste und Jacke auszog und im Kofferraum zurückliess. Tatsächlich hatte sie zwischenzeitlich auch ganz verdrängt, dass er ein Messer abbekommen hatte, was definitiv untypisch für sie war. Aber vorerst ging's jetzt nach oben in die Wohnung, endlich wieder an einen Ort zurück, an dem sie sich zumindest einigermassen sicher fühlen konnten. Faye nahm die Tasche und traute sich auch gerade so zu, die Tür selbst aufzuschliessen. Beziehungsweise beide Türen, bis sie schliesslich in der Wohnung angekommen waren. Die Wohnungstür schloss sie hinter sich sorgsam wieder ab, zog aber den Schlüssel aus dem Loch, damit Aryana und Mitch später ohne Probleme zu ihnen stossen konnten. Hoffentlich sehr bald. Sie schob sich langsam die Schuhe von den Füssen und griff kontrolliert nach dem Reissverschluss ihrer Jacke, als sie Ryatts Frage vernahm. Faye hob minimal den Kopf an, um ihn anzuschauen, bevor sie aber verhältnismässig rasch den Kopf schüttelte. "Nein, alles... gut", so ähnlich, jedenfalls. So gut wie er sich denken konnte. "Riley hat aufgepasst... sozusagen", beschloss sie, ein paar gemurmelte Worte nachzuschieben, um ihm ein bisschen deutlicher zu versichern, dass ihr im Grunde nichts fehlte. Dass dieser Tag so gut ausgegangen war, wie er hätte ausgehen können. Es war alles gut. Ihre Handgelenke hatten gelitten, aber wenn sie sich nicht gerade streckte, um ihre Jacke an den Bügel zu hängen, verdeckten die Ärmel ihres Pullis das eigentlich ganz gut. War auch nichts verheerendes und würde bald wieder weg sein. Alles war gut. Ihre Kleider - und sie - brauchten dringend eine Wäsche, beziehungsweise eine Dusche, aber wenn das die einzige Art von Dreck war, die sie aus dieser Erfahrung gezogen hatte, dann konnte sie sich nicht beklagen. Schweiss war sehr einfach abzuwaschen und ein maximal vergängliches Problem. Ihre Augen wanderten nochmal zurück zu ihm, nachdem sie Jacke und Schuhe losgeworden war und sich die unordentlichen Strähnen aus dem Gesicht gestrichen hatte. Jetzt fiel ihr auch das Blut wieder auf, das sie zwischenzeitlich vergessen hatte und sie legte sofort die Stirn in Falten. "Brauchst du... ist das tief?", sie deutete mit der Hand auf seine Seite, wartete seine Antwort aber nicht ab, sondern machte sich fast schon zielstrebig auf zu dem Schrank, wo Aryana und Mitch ihr Apotheken- und erste Hilfe-Inventar aufbewahrten. Auch wenn ihre Schritte ein bisschen wackelig waren, hiess sie die Beschäftigung tatsächlich fast willkommen. Weil sie auch ein Stück Normalität bedeutete. Weil sie in Anbetracht einer Wunde immerhin wusste, was sie zu tun hatte. "Ist nicht meine Apotheke, aber ich find sicher was Passendes, damit ich dir das verarzten kann, bevor ich duschen gehe...", diese paar Minuten hielt er bestimmt auch noch aus in ihrer nicht ganz so frisch riechenden Gegenwart. Wobei sie vielleicht erstmal die Hände waschen sollte, bevor sie überhaupt irgendwas aus dem Schrank holte.
Spätschicht hab ich jetzt öfter (auch nächste Woche wieder), weil ich teilweise auch noch in einem anderen Bereich in der Abteilung aushelfen soll, worauf ich ehrlicherweise NOCH weniger Bock habe, also auf die Arbeit an sich. But it is what it is... x'D hab zum Glück übernächste Woche wo hier Feiertag ist komplett Urlaub und dann über Weihnachten/Neujahr hab ich mir meine drei freien Wochen gesichert.^^" _____________
Eine Kombination aus beiden Vorschlägen – die letztendlich eher pure Notwendigkeit waren – gab uns zweifellos die größte Sicherheit in dieser Sache. Ich nickte langsam, blieb aber noch einen Augenblick stehen, weil ich das Gefühl hatte, dass das nicht alles war, was Aryana zu sagen hatte. Nur einen Moment später bat sie mich darum, dieses Desaster alsbald hinter uns zu lassen. Ich antwortete mit einem knappen "Okay.", bevor ich mich Gil wieder zuwendete, stets getreu dem Motto, keine weitere Zeit zu verlieren. Sein Abbild hatte sich nicht maßgeblich verändert: Er wirkte angestrengt bis müde, litt sehr offensichtlich Schmerzen und hing inzwischen schwer an den Fesseln im Rücken. Es war nicht ganz einfach, mich tatsächlich auf seine Verletzungen zu konzentrieren, während ich gleichzeitig Aryanas Worte an Mateo hörte. Gils Kinn und Hals waren kein Problem, da hatte sich schon eine Kruste aus getrocknetem Blut gebildet. Die Schnitte längs an den Armen würden schwer auf ganzer Länge abzudecken sein. Mit seiner Brust war es im Grunde ähnlich – man konnte über so große Flächen keinen effektiven Druckverband anlegen. Auch konnte man Gliedmaßen nicht ewig abbinden, ohne sie zu gefährden. Welche andere Möglichkeit gab es, das Blut zu stoppen und dem Arschloch das Leben zu retten? Ich fand auf die Schnelle nur eine einzige Alternative, die effektiv genug und auch umsetzbar war. Noch immer trug ich mein Feuerzeug täglich mit mir herum – eigentlich nur noch, um mich bei jedem Phantomgriff in die Hosentasche daran zu erinnern, dass ich der zeitweise aufkeimenden Sucht nicht nachgeben sollte. Manchmal erfolgte besagter Griff aber auch, wenn ich nachdachte. Man konnte das jetzt sehen, wie man wollte… aber irgendwann, wenn die Narben verheilt waren, könnte Gil vielleicht trotzdem ein bisschen froh darüber sein, dass ich ihm die Wunde noch ausbrennen würde. Je nachdem, wie sein Lebenswille dann stand. Nach einem kurzen Blick auf die blutige Messerklinge und ein Seufzen später war sein Schicksal besiegelt, ich holte das Feuerzeug raus. "Irgendwann später wirst du mir dankbar dafür sein.", grummelte ich vor mich hin, während ich das Messer etwas mühselig mit dem Feuerzeug erhitzte, ohne Gil anzusehen. Es dauerte einen Moment, bis er mit einem leisen Lachen reagierte, das eher wie ein Weinen klang. Erst als das Messer ausreichend glühte, trat ich an ihn heran. "Du hast gehört, was Aryana gesagt hat..?", fragte ich ihn. Er nickte schwer atmend. "Hoffen wir mal, dass du's auch verstanden hast. Sonst machst du das jetzt noch ganz umsonst durch.", betonte ich nachdrücklich die Konsequenzen für sein Spatzenhirn, damit es auf jeden Fall ankam. Schon als ich die stumpfe und flache Seite des Messers in die erste Buchstabenlinie drückte, musste ich mich fragen, ob Gil diesen Schmerzpegel bewusst bis zum Ende durchstehen konnte. Der Gestank nach Verbranntem lag diesmal direkt vor meiner Nase und das machte die Sache auch für mich eine ganze Stufe ekliger. Immerhin hörte es aber sehr effektiv zu bluten auf, kaum waren die Enden der Arterien von Hitze versiegelt. Etwa nach der Hälfte – und es zog sich unangenehm für alle Beteiligten in die Länge, weil ich das Messer immer wieder neu erhitzen musste – wurden Gils Reaktionen auf die Verbrennungen schwächer. Es fehlte noch das T am Ende, als er den Kopf schließlich endgültig hängen ließ und sich nicht mehr regte. Sein Körper wollte ihm damit einen nett gemeinten Gefallen tun, zusammen mit der Kälte war die Bewusstlosigkeit aber gefährlich. Es war jetzt echt etwas spät, um über Konsequenzen nachzudenken. Ich brachte den letzten Buchstaben noch zu Ende, bevor ich das Feuerzeug kurz wegsteckte und nach seinem Puls tastete. Sein Herz schlug gleichmäßig, wenn auch langsam. Er atmete jedoch deutlich flacher. Meine Augen wanderten zu seinen Armen, die in ihrem Blutfluss nicht maßgeblich abgenommen hatten. Insofern konnte Gil froh sein, nicht mitzubekommen, wie ich die Schnitte immer wieder leicht zusammendrückte und somit – im Gegensatz zur Brust – ziemlich oberflächlich versiegelte. Am Hals hatte ich weniger tief geschnitten, da hatte ich schließlich nicht durch den dicken Stoff des Pullovers gemusst. Die Blutung war dort für mein Empfinden auch schon schwächer, weshalb ich nach kurzem, angespannten Kopf hin und her wiegen – und erneutem Puls checken – beschloss, diese Wunden offen zu lassen. “Es ist nicht Zeit zu sterben, komm schon.”, sprach ich Gil an und schnitt mit noch heißem Messer den Kabelbinder an seinen Handgelenken entzwei. Ich hielt ihn mit meinem eigenen Körper am Geländer und tätschelte seine Wange, während ich das heiße Messer fallen ließ und das Feuerzeug in der Hosentasche verstaute. “Hey!”, appellierte ich nochmal lauter an ihn, um eine Reaktion hervorzurufen. Er reagierte mit einem tiefen Atemzug und einem Stöhnen, woraufhin er insgesamt besser atmete, was mir vorerst als Lebenszeichen genügen musste. Ich nahm Gil vergleichsweise vorsichtig an den Schultern und zog ihn in Richtung des Büros, in dem zuvor noch Faye gesessen hatte. Er kam mir jetzt schwerer vor als vorhin und der Weg wirkte weiter, als er eigentlich war. Vielleicht lag das an meinem Tinnitus oder einfach daran, dass das Adrenalin in meinen Adern jetzt doch eine unterschwellige Panik auslöste. Gil durfte nicht abkratzen. Im Büro war es immerhin noch direkt neben dem Heizkörper warm, die offene Tür hatte den Großteil der Wärme entfliehen lassen. Ich lehnte ihn direkt neben der Heizung an die Wand, bevor ich eine seiner Hände am Verbindungsstück zur Wand befestigte. Es sollte reichen um ihn hier festzuhalten, immerhin waren seine Füße nach wie vor gefesselt... und er wirkte allgemein nicht so, als wäre er überhaupt fähig zu flüchten. Das Arschloch blinzelte spärlich, den Kopf schief an die Wand gelehnt. Das war am Leben genug, oder? Vielleicht sollte ich mich zur Sicherheit noch an dem Wasser bedienen, das draußen vor dem Büro stand... ich gönnte es Gil aber eigentlich nicht.
Faye versicherte zeitnah, dass ihr nichts passiert war – auf Rileys Geheiß, irgendwie..? Ich fand im kurzen Blickwechsel nichts in ihren Augen, das auf eine Lüge hingedeutet hätte. Trotzdem konnte ich das nicht hinnehmen, ohne sie nochmal von oben bis unten zu mustern. Doch selbst wenn da etwas war, würden die Klamotten es wahrscheinlich verstecken… außer es war Blut. Denn das suchte sich für gewöhnlich nicht sonderlich unauffällig einen Weg nach draußen. Das bestätigten mir auch meine Augen, als ich nach kurzem Zögern von Faye weg und an mir selbst hinunter sah. Dabei hob ich den linken Arm ein bisschen, um den Blutfleck unterhalb des letzten Rippenbogens zu begutachten. "Nein." Eigentlich war diese knappe Antwort auf beide ihrer Fragen bezogen. Auch mich von Faye zum gefühlt tausendsten Mal verarzten zu lassen, würde einen unangenehmen Beigeschmack zurücklassen. Ich wollte das also liebend gerne vermeiden, was die zierliche Brünette jedoch anders zu sehen schien. Sie saß quasi schon wühlend im Vorratslager für Patientenversorgung, als ich den Arm gerade erst runterließ. Ich machte einen tiefen Atemzug, als Faye sich frisch ausgerüstet dem Badezimmer zuwendete. Ein kurzes Zögern später folgte ich der Brünetten – würde ihr den Gefallen tun, sie einfach machen zu lassen, für ein einziges Mal nicht mit ihr darüber diskutieren. Solange Faye noch mit Händewaschen beschäftigt war, sah ich mich flüchtig im Badezimmer um. Meine Augen verloren sich dabei unweigerlich wieder zu ihr und ich sah ei wenig gerötete Haut an ihren Handgelenken. Auch wenn sie inzwischen einen Hauch besser aussah als noch vor einigen Minuten hinter der Fensterscheibe im Lagerhaus, suchte ich instinktiv nach einer Möglichkeit, ihrem Kreislauf das Verarzten so angenehm wie möglich zu machen. "Setz' dich bitte.", bat ich Faye murmelnd mit einem schwachen Nicken in Richtung des geschlossenen Klodeckels. Ich machte keine Anstalten, mich als Patient zur Verfügung zu stellen, bis sie ihren Hintern auf dem Sitz geparkt hatte. Erst dann stellte ich mich in Reichweite und hob mit beiden Händen den Pullover an. Meine Arme hielt ich vor dem Bauch über Kreuz – auf diese Weise konnte ich den Saum verhältnismäßig entspannt festhalten und musste die Arme nicht unnötig weit anheben. Letzteres hätte die Wunde zu sehr unter Spannung gesetzt, so viel konnte ich beurteilen. Ich warf nur einen knappen Blick auf den Schnitt, bevor ich mich wieder aufrichtete, damit Faye ihre Arbeit vernünftig machen konnte. Natürlich hatte Mateo die Klinge nicht schön gerade in meinem Körper versenkt. Ich schätzte den Einstich auf wahrscheinlich nur einen Zentimeter tief, aber er zog sich über gute drei Zentimeter Länge. Trotzdem eine Lappalie in meinen Augen – wenn auch eine, die sich weigerte, mit dem Bluten aufzuhören. Ich musste den Impuls, zur Seite wegzuzucken, unterdrücken, als Faye die Verletzung das erste Mal berührte. "Er hätte echt wenigstens die andere Seite nehmen können…", fluchte ich leise und kniff die Augen angespannt zu. Eine Narbe mehr oder weniger machte den Kohl eigentlich nicht mehr fett. Auf dem verbrannten Hautgewebe meiner rechten Seite hätte ich aber den Schmerz nicht gespürt und es wäre trotzdem weniger auffällig gewesen. Das war der einzige Vorteil, den die Brandnarbe hatte: Kein Schmerzempfinden mehr in der Haut. Dass ich die Augen zukniff, lag jedoch nicht ausschließlich an den Schmerzen. Meine schon seit langer Zeit immer dünner werdende Fassade – die nur für Faye hier und da mal geöffnet wurde – hatte bis hierhin eine kleine Meisterleistung vollbracht, versagte nun aber allmählich in ihrem Dienst. Die verdammten Tränen würden genau da bleiben, wo sie gerade waren. Gut versteckt hinter den Augenlidern, während ich gleichmäßig zu atmen versuchte… ohne hingegen wirklich tief zu atmen, weil ich den Brustkorb nicht zu sehr bewegen sollte, bis Faye fertig war. Das alles resultierte zwangsweise in mindestens mittelmäßig verkrampfter Körperhaltung.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Danke danke, soweit läuft alles bestens und dank einer relativ langen Metro-Fahrt in die Stadt, hast du hier tatsächlich schon die erste Handy-Antwort aus dem Urlaub. xD
Oh mann das ist echt ein Elend, ich drück dir weiterhin ganz fest die Daumen, dass du irgendwann wieder dort bist, wo du sein möchtest/solltest… :‘) Immerhin ein paar Lichtblicke, Urlaub ist immer gut! :3 ____________
Eigentlich sollte sie keine Gnade walten lassen, genau wie Mateo das bei Victor nie getan hatte. Abgesehen von der Nettigkeit, ihn nur halb und nicht ganz tot im Wald abzuladen. Aber es fiel ihr zunehmend schwer. Wahrscheinlich hatte Mitch also dadurch, dass er sie kurz zum Innehalten gezwungen hatte, eher ungewollt aber doch sehr effizient dafür gesorgt, dass ihre Rache an Mateo weniger ausartete, als er es verdient hätte. Es dürfte ihm trotzdem eine Lehre sein und sie war sich sicher, dass er diese Nacht nie wieder vergessen durfte. Der Schmerzen und Narben wegen nicht, aber auch, weil er das Leid seines Bruders sehr genau mitbekam und Aryana brav dafür sorgte, dass er nichts davon verpasste. Dass sein Trauma auch ja alle Aspekte der Folter umfasste und ihn nie wieder ruhen liess. Ihre Augen lagen halb auf Mateo, halb auf Gil, als Mitch mit der unschönsten, aber halt irgendwie auch einzigen Option dessen Blutungen stoppte. Genau wie das bei Faye und Victor gewesen war, drehte sie Mateos Kopf unbarmherzig zurück in die Richtung seines Bruders, kaum machte er Anstalten, den Blick abwenden zu wollen. Seine vorher sehr konstanten Flüche hatten nun ein Ende gefunden und das akute Bedürfnis, mit ihr zu diskutieren, schien endlich verstummt. Das Elend zog sich nochmal ein ganzes Stück hin, wobei sie sich selbst eine Auszeit gönnte und ihren Blick auf Mateo statt Gil ruhen liess, noch bevor dieser das Bewusstsein verlor. Sie wartete, bis Mitch Gils kraftlosen Körper aus ihrem Sichtfeld geschleift hatte, bevor ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur dem blossen Aushalten der Situation und gleichzeitig an nicht zu viel Denken galt. Dann schaute sie an Mateo runter, beschloss dabei kurzerhand, sein sowieso zerschnittenes Shirt in einen Druckverband umzufunktionieren. Beziehungsweise mehrere. Der erste kam an sein Knie, wobei es ihr schwer missfiel, dass sie dafür vor ihm in die Hocke gehen musste. Er sagte zwar nichts dazu - zum Glück nicht, weil sie sonst eindeutig noch nicht genug gemacht hätte - aber es war trotzdem scheisse. Scheisse genug, dass sie nach dem zweiten Verband, der der nicht so schöne Stichwunde an seinem Oberarm galt, nochmal hinter ihm verschwand, um ihm mit viel Schwung ins unverletzte Knie zu treten. Seinem erschrockenen Laut und dem nach Luft Schnappen beim Einknicken entnahm sie, dass er das nicht unbedingt erwartet hatte. Wohl zusammen mit seiner nachlassenden Kraft die Hauptgründe, dass sie ihn so leicht in die Knie zwang. So rum wars ihr nämlich lieber, als wenn sie diejenige war, die vor ihm am Boden rum surrte. „Mir ist was eingefallen“, begründete sie ihren plötzlichen Entschluss, den Feierabend um ein paar Minuten nach hinten zu verschieben. Dabei griff sie bereits nach der Fessel an seinen Händen, zog diese langsam aufwärts, während ihr Fuss auf seiner Schulter dafür sorgte, dass er bestimmt nicht wieder auf die Füsse kam. Sie drückte seine Arme so lange aufwärts, bis das gewünschte Knacken einen Erfolg verkündete. „Die ausgerenkte Schulter haben wir beinahe vergessen… und deinem armen Bruder ist sie wohl nicht mehr zuzumuten“, erklärte sie ganz rational, liess seine Arme aber erst nach ein paar Sekunden los. Und das auch nur, um nach dem letzten Stück Stoff zu greifen, um die zweite Schusswunde mehr schlecht als Recht zu versorgen. Dann war sie aber durch, trat wieder vor ihn heran, um sich einen kurzen Überblick zu verschaffen, bevor ihre Augen in Richtung Büro wanderten. Von ihr aus konnten sie verschwinden.
Sie nutzte den Badezimmerbesuch zuerst dazu, ihre zerzausten Haare aus dem Zopf zu befreien, um dann vorübergehend mit einer Klammer nochmal hochzustecken. Haare im Gesicht waren nämlich eher unpraktisch, während sie eine Wunde versorgen wollte. Dann wusch sie wie geplant gründlich die Hände, konzentrierte sich ganz auf das Gefühl des warmen Wassers, das auf ihre Finger plätscherte und im Abfluss versank und nahm darum mehr nur unbewusst wahr, wie Ryatt ihr im Badezimmer Gesellschaft leistete. Aber er war da und sprach eine Bitte aus, kaum hatte sie die Hände am Handtuch getrocknet. Eine Bitte, deren Nachdruck eher an einen Befehl erinnerte und sie innerlich schon wieder schwer seufzen liess. Eigentlich wollte sie noch nicht sitzen, weil sie ein bisschen Angst hatte, dann nicht mehr hoch zu kommen. Vom Auto hatte sie es zwar gerade noch geschafft, da war sie aber auch nochmal auf andere Weise angespannt gewesen. Jetzt war sie in Sicherheit und Zuhause und ihr Adrenalinspiegel hatte das längst gemerkt. Sie fühlte sich nicht mehr nur beschissen und besorgt, sondern auch durch und durch ausgelaugt, müde, kaputt. Trotzdem tat sie wie ihr geheissen, liess sich auf dem Klodeckel nieder und spürte sofort, warum sie das erst wesentlich später hätte tun sollen. Aber jetzt lenkte sie möglichst alle ihre Hirnzellen auf das Problem an Ryatts Seite. Die Wunde war nicht tödlich, blutete aber tatsächlich noch immer - oder schon wieder - ganz schön hartnäckig. Faye zögerte kurz, schob dann aber doch vorsichtig die Ärmel ihres Pullovers etwas weiter zurück, um auch damit keine Infekte zu provozieren. Ihre Handgelenke sahen nicht gut aus, wie sie jetzt zum ersten Mal bewusst feststellte, nachdem sie selbst beim Händewaschen versucht hatte, die roten Spuren und Schürfwunden zu ignorieren. An einer Stelle an der Innenseite ihres rechten Handgelenkes hatte die Kante eines Kabelbinders offenbar oberflächlich ihre Haut eingeschnitten, wie ein kleiner Streifen getrocknetes Blut verriet. Alles kein Wunder, wenn sie sich daran erinnerte, wie wenig ihr Kopf zeitweise noch funktioniert hatte, während sie gegen das scharfe Plastik angekämpft hatte. Es war trotzdem sehr ironisch, wie die neue, eigentlich harmlose Wunde den Streifen nur ein paar Zentimeter vor die Narbe ihres letztjährigen Selbstmordversuches zeichnete. Sie würde sich später drum kümmern. Später darüber nachdenken. Jetzt erstmal die Handschuhe überziehen, die wie immer Pflicht waren, wenn sie mit fremdem Blut in Berührung kommen könnte. Ryatt wartete eh schon ein paar verdächtige Sekunden zu lang darauf, dass sie endlich anfing. Faye desinfizierte die Hände, beziehungsweise Handschuhe, nochmal zusätzlich und hielt dann einen Tupfer an seine Haut direkt unter der Wunde, während sie die Verletzung gründlich mit einem Desinfektionsspray spülte. Anschliessend versuchte sie mit einem frischen Tupfer die Wundumgebung so nachhaltig wie möglich zu trocknen, bevor sie den Schnitt mit einigen Strips klebte. Ihrer Einschätzung nach sollte das ohne Nähen wieder zusammenwachsen. Wenn er viel Pech hatte, musste er halt nachträglich doch noch was machen lassen, aber sie bezweifelte es. Nach getaner Arbeit kam ein dickes, steriles und auf alle Seiten abgedichtetes Pflaster drauf und ihre Arbeit war beendet. Faye liess die Hände sinken und schob unvermittelt ihre Ärmel in die Ausgangsposition zurück, blieb etwas schief auf dem Klodeckel sitzen. Das war dann auch das erste Mal, dass sie überhaupt zu ihm nach oben in sein Gesicht blickte, seit sie das Bad betreten hatten. Und was sie sah war eigentlich keine Überraschung… aber es war nicht schön. Er wollte ihr das alles, was in seinen Augen lag, bestimmt gar nicht erzählen. Aber im Grunde brauchte er es ebensowenig zu verbergen. Sie wusste es sowieso. Sie hatten beide auf unterschiedliche Weisen einen sehr beschissenen Tag hinter sich, den sie im Archiv zu den anderen beschissendsten Tagen ihrer Leben stellen konnten. Sie konnten sich aber gleichzeitig beide nicht wirklich Linderung verschaffen. Weil sie beide eigentlich so tun wollten, als wäre alles gut. „Das… das war nicht deine Schuld, Ryatt... ich bin mir sicher, dass du das nicht hören willst, aber es ist das Einzige, was ich dir dazu unbedingt sagen möchte…“, hauchte sie ein paar Worte vor sich hin, die nur für ihn waren, auch wenn er sie (noch) nicht annehmen konnte. Sie würde nicht hier im Bad irgendeine aussichtslose Diskussion anreissen. Aber das wollte sie trotzdem gesagt haben. So wenig sinnvoll es auch sein mochte.
Damit hatte ich nicht gerechnet, aber da beschwer ich mich natürlich nicht drüber. x'D das hier ist jetzt tatsächlich auch ein Handypost von der Arbeit aus, lel.
Dankeee und ja, ein well deserved break diesmal ausnahmsweise... 😂 _____
Ich hörte im Hintergrund, dass auch Mateo nochmal eine Runde leiden musste. Sein Aufschrei unterbrach meinen Denkfluss erneut. Würde Gil oberkörperfrei frieren, trotz Heizung? Allzu viel war von seinem Pullover halt nicht mehr übrig. Mit einem Seufzen ging ich vor ihm in die Hocke und zog an dem Stoff über seiner Hüfte, um ihn über seine Brust zu ziehen. Dabei konnte ich mir nochmal etwas zu genau ansehen, was ich dort angerichtet hatte – es roch auch noch immer ungefähr genauso abartig, wie es aussah. Ich klemmte die einstigen Ärmel des Pullis zwischen der Wand und seinen Schultern ein. So kroch ihm die Kälte mit Pech noch immer an den Rücken, aber ich hatte mehr oder weniger mein Bestes gegeben und die Heizung würde schon den Rest erledigen. Ich spürte seine Augen auf mir, weshalb mein Blick ein letztes Mal in seinen rutschte. "Das nächste Mal, wenn einer von euch uns über den Weg läuft, seid ihr tot. Alle vier.", inkludiert ich auch Sean, der hoffentlich noch für ein paar lange Jahre hinter Gittern festsaß. Gil reagierte nur damit, den Blick auf seinen Schoß abzuwenden. Ich stemmte die Beine durch und verließ das Büro. Ein bisschen erleichtert, dass ich jetzt gleich verschwinden konnte, aber doch auch noch minimal besorgt darum, in welchem Zustand Gil sein würde, wenn Hilfe für ihn eintraf. Ich ließ die Tür hinter mir einen kleinen Spalt breit offen. Aryana schien mit Mateo nun ebenfalls fertig zu sein, also hielt uns hier nichts mehr. Ich ging nur noch einmal zum Ort der Folter zurück, um dort mein Messer Vom Beton zu bergen. Es war noch immer ziemlich warm, aber wieder anfassbar. Also klappte ich es zusammen und steckte es zurück in die Hosentasche – in eine andere als das Feuerzeug, das ich ziemlich akribisch vom Blut ferngehalten hatte. Als klebte mir das Zeug nicht sowieso überall, seit ich den bewusstlosen Gil ans Geländer gedrückt hatte. Ich sah zu Aryana, die ebenso aufbruchbereit zu sein schien. Ich ging hinter ihr zur Tür, die uns aus dieser Hölle entlassen würde. Ich zog sie mit einem letzten Blick auf Mateo und dessen sehr ungesunde Körperhaltung gewissenhaft hinter mir zu, bevor wir uns auf den Weg zum Auto machten. Zum Auto, in das ich so unmöglich einsteigen konnte. Wir hatten gewusst, dass es blutig wurde – es jetzt so richtig bewusst wahrzunehmen und mehr oder weniger so zu tun, als wäre nichts, war nochmal eine andere Sache. Ich hätte mich am liebsten nicht nur aus den Klamotten, sondern aus der ganzen Haut geschält. Glücklicherweise war es auf der Straße noch immer sehr ruhig und sehr dunkel, denn wir mussten zügig die Kleidung wechseln, kaum war der Kofferraum offen. Wir hofften natürlich sehr darauf, dass das hier keine strafrechtlichen Konsequenzen mit sich bringen würde. Wissen konnten wir das aber nicht. Dementsprechend wanderte sämtlicher besudelter Stoff – auch die glücklicherweise überflüssige Weste – in einen großen schwarzen Müllsack. Die Hände wurden daraufhin hastig mit Wasser-Seife-Gemisch aus einem Kanister abgespült und mit einem – ebenfalls zu entsorgenden – Handtuch abgetrocknet, bevor wir in frische Klamotten schlüpften. Ungefähr so schnell, als ginge es dabei um unser Leben, was nüchtern betrachtet auch der Fall war. Aryana hatte nach wie vor die Autoschlüssel, ich fand mich also einfach wieder auf dem Beifahrersitz ein. Mir zitterten ein bisschen die Finger, also war das wahrscheinlich ohnehin besser so. Obwohl fraglich war, inwiefern es der Brünetten tatsächlich besser ging.
Das brennende Desinfektionsmittel war nicht unbedingt hilfreich für mein Tränenproblem. Denn wie das immer so mit Tränen war, waren sie grundsätzlich schwer in die Enge zu treiben, sobald sie ein gewisses Volumen erreichten. Sie mochten vielleicht in meinen Augen hängen bleiben, bis Faye damit fertig war, den kleinen Stich zu versorgen, doch ich brauchte mir nicht wirklich was vorzumachen: Ich spürte die nassen Augen auch ohne in einen Spiegel zu sehen, als ich die Lider wieder anhob und den Stoff des Pullovers vorsichtig sinken ließ. Mein Blick rutschte nur für einen kurzen Moment in ihren, als Faye ein paar Worte sagte, die rundum schwierig waren. Vielleicht war es zu viel verlangt, von ihr zu wollen, dass sie nichts dazu sagte, weil ihr das einfach nicht im Blut lag. Wahrscheinlich war es auch dumm und ziemlich sinnlos von mir, das noch immer zu wollen, obwohl die zierliche Brünette von allen Menschen am ehesten wusste, wie es mir jetzt gehen musste und wie kaputt ich ganz allgemein war. Definitiv nicht weniger als sie, so viel stand wohl fest. Kaputt war eigentlich auch nicht schlimm, das Leben zog nunmal bei jedem Spuren… wenn man sich aber wie ich so fühlte, als wäre man schlicht zu blöd dafür die entstandenen Scherben aufzulesen und wieder ranzukleben, dann war das gleichermaßen unangenehm wie peinlich. Mal ganz davon abgesehen, dass ich die heutige Tragödie theoretisch schon viel früher hätte abwenden können. Ich hätte Faye nicht anlügen dürfen, es gar nicht erst so weit kommen lassen dürfen. Kamen dann auch noch unpassende Gefühle in einer eigentlich rein platonisch laufenden Freundschaft dazu, wurde es unnötig schmerzhaft. "Du bist ziemlich sicher mit Abstand die einzige Person, die so denkt… und ich rechne es dir hoch an, auch wenn ich das schwer glauben kann." Ich sprach allgemein gedrückt und musste mich zwischendurch kurz räuspern. Danach schüttelte ich schwach den Kopf und blickte auf den gefliesten Boden des Badezimmers. Eigentlich hatte ich Faye so viel zu sagen. So viel, das entweder dazu führen würde, dass sie mich besser verstand oder sich stattdessen nur wünschen würde, mir keine tausendste Chance gegeben zu haben. Aber im Grunde war es völlig egal, oder? Sie würde nach Los Angeles gehen und ich war mir ziemlich sicher, dass wir uns nie wiedersehen würden. Es war besser, uns diese unnötigen zusätzlichen Stiche und Gedankenstrudel zu ersparen. Unsere Beziehung war schon völlig aus dem Gleichgewicht gekippt, da brauchte ich nicht mehr nachzuhelfen. "Sehen… sehen wir uns nochmal?", fragte ich nach kurzem Schweigen stockend und suchte zögernd nach ihrem Blick, noch immer etwas sehr auffällig blinzelnd. Dabei schob ich die Hände in die Bauchtasche des Pullovers. Wenn das hier unsere letzten kläglichen Minuten zusammen waren, wollte ich mich am liebsten gleich doppelt im Boden vergraben. "Wenn nicht, dann… dann sag mir bitte, wie ich dir jetzt noch helfen kann. Wirklich, ich… ich halt dieses Gefühl nicht aus. Lass mich…", ausnahmsweise mal dir helfen. Nicht immer nur was von dir nehmen, damit du am Ende alleine mit leeren Händen dastehst. Ich ballte die Hände im Pullover zu Fäusten. Beim Duschen brauchte sie meine Hilfe nicht, schon klar. Victors Rückkehr hatte alle Träume in dieser Richtung ziemlich nachhaltig beerdigt, auch wenn das nicht unbedingt hieß, dass ich mich so leichter endgültig davon verabschieden könnte. Aber vielleicht wollte Faye einen Tee, was Essen, eine Wärmflasche… ich würde noch aus dem verdammten Fenster springen, wenn ich stumm im Wohnzimmer sitzend nur darauf warten sollte, von hier verschwinden zu müssen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Wunderbar, schlagen wir uns ein bisschen gemeinsam mit zu kleinen Handytastaturen rum.🌝👍 _____________
Kaum liess sie von Mateo ab, kehrte Mitch zu ihnen zurück, um seine Sachen einzusammeln. Und damit war dann endgültig der Moment des Abschieds gekommen. Sie trat ein paar Schritte rückwärts von ihm weg, behielt Mateo dabei noch kritisch im Auge. Er machte aber nicht mehr sonderlich viel und so konnte sie sich gewissermassen entspannt abwenden und den Ausgang ansteuern. Dabei verzichtete sie auf weitere Worte ihm gegenüber, hoffte einfach für alle Beteiligten, dass sie sich zuvor deutlich genug ausgedrückt hatte und trat durch die Tür. Draussen schlug ihr sofort die kühle Nachtluft entgegen und auch wenn es in der Halle selbst ebenfalls nicht wirklich warm gewesen war, begrüsste sie die Kälte nicht wirklich. Kälte macht wacher. Kitzelte ihr Bewusstsein und machte ihr nochmal deutlicher, was sie gerade getan hatte. Nichts Gutes, nichts Schönes. Am Auto angekommen, klaubte sie den Schlüssel hervor und begab sich zu Mitch an den Kofferraum, um sich ebenfalls schnell umzuziehen. Am liebsten hätte sie sich direkt komplett unter das Seifenwasser gestellt, so besudelt wie sie sich fühlte. Aber dafür war keine Zeit. Sie glaubte zwar nicht, dass hier noch irgendwelche Cops aufkreuzen würden, aber sie wollte auch nicht hier sein, um ihr Schicksal unnötig zu reizen. Wenn die Hernandez sie für dieses Verbrechen verklagen wollten, würden sie es tun und sie würden sehr sicher genügend Beweise finden, um ihre Schuld zu unterstreichen. Aber davon wollte und sollte hier keiner ausgehen. Vielleicht ging auch einfach alles gut. Das war der Satz, der sich immer und immer wieder in ihrem Gedächtnis wiederholte, während Aryana sich hinters Steuer setzte und den Motor startete. Sie hatten gewusst, dass das Spielchen hier riskant war. Sie hatten gewusst, was ihr Einsatz war. Und sie hatten das alles wissentlich in Kauf genommen, um hier ein für alle Mal für Ordnung zu sorgen. Trotzdem war es nicht einfach, jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Es wurde auch nicht einfacher, als sie den Wagen erfolgreich aus dem Industriegebiet gesteuert hatte. Die Strassen waren leer um diese Uhrzeit und auch sonst gab es gerade denkbar wenig, das sie von ihrem Kopf angelenkt hätte. Mitch war auch still - weil es für ihre eben veranstaltete Misere keine Worte gab. Und sie könnte schwören, er kämpfte genauso wie sie. Aryana fuhr nicht direkt nachhause, sie hatten immerhin noch blutigen Müll loszuwerden, der besser nicht in die Tonne vor ihrem Haus gekippt wurde. Sonst hätten sie sich den Klamottenwechsel nämlich gleich sparen können. Allgemein hatte sie es nicht so eilig mit dem Heimkommen. So wie sie sich gerade fühlte, wäre weder ihr noch Faye ein Gefallen getan, wenn sie zu bald aufeinander trafen. Faye sollte besser denken, dass alles gut sei und dieser Abend sie nicht belastete. Und das konnte sie aktuell maximal nur sehr schlecht vorspielen - also niemals ausreichend, um ihre Schwester zu täuschen. Viel Zeit blieb ihr nicht, um ihren Kopf zu ordnen, wenn sie wollten, dass Riley möglichst bald bei ihren Brüder ankam… aber ein paar Minuten brauchte sie trotzdem. Gil und Mateo würden das schon überleben, abgesehen von dem Blutverlust war ihnen nichts Tödliches zugestossen und die Kälte in der Halle würde sie auch nicht innerhalb von Minuten töten. Dürfte immer noch wärmer sein, als es damals in der Scheune gewesen war, wo sie Faye und Victor einen ganzen Tag hatten liegen lassen. Ohne Heizung und praktisch nackt. Darum lenkte Aryana den Wagen noch einmal von der Strasse, um am Rand des kleinen Waldstückes unweit des Industriegebietes den Motor auszuschalten. „Ich muss kurz… eine Pause haben, sonst pack ich das nachher nicht“, erklärte sie knapp, obwohl eine solcher Erklärung für Mitch sicherlich gar nicht nötig gewesen wäre. Eine Mülltonne für ihre Zwecke gabs hier zwar nicht, dafür Dunkelheit und Stille, die es ihr erlaubten, für ein paar Sekunden die Augen zu schliessen und tief durchzuatmen. Entspannt wirkte sie dabei trotzdem nicht, so wie sie ihre Fingernägel an ihren Oberschenkeln in den Stoff der frischen Hose grub. Aber das verlangte auch niemand von ihr. Sie musste nicht entspannt sein. Sie musste nur auch nicht mehr eins vor Schreikrampf sein. Wenn sie auf der Arbeit tötete, dann kam sie doch auch klar damit, wie viel anders konnte das hier sein?? Mateo und Gil waren nichtmal tot. Sie waren nur gezeichnet, gerecht bestraft. Mehr oder weniger gerecht jedenfalls, aber mehr lag leider auch nicht drin. Sie sollte damit gar nicht zu kämpfen haben. Mal wieder wunderbar, wie die menschliche Psyche funktionierte… „Ich hoffe echt… dass das funktioniert hat… Insofern, dass wir nie wieder was von denen hören, aber auch im Hinblick auf… uns“, gab sie ein paar weitere Worte von sich, die ein bisschen gedrückt und undeutlich klangen. Was genau sie mit uns meinte, liess sie erstmal offen. Aber Mitch kannte ihre Dämonen, die noch nicht lange genug begraben lagen, um zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten zu sein. Das hier durfte nicht den Preis ihrer psychischen Stabilität kosten, auch wenn Mitch sicher nicht mit seinem Therapeuten darüber reden durfte. Schweigepflicht hin oder her, das war viel zu offen kriminell, um nach aussen zu dürfen.
Er schaute sie nur kurz an aber sein Blick fasste bereits offen zusammen, was seine Worte ihr anschliessend mitteilten. Ja, vielleicht war sie das. Weil alle anderen, also Victor, Aryana und Mitch, sich in diesem Zusammenhang nie selbst in einer Rolle, sehr ähnlich der seinen gesehen hatten. Sich nicht stundenlang in einer Psychotherapie mit der Frage auseinandersetzen mussten, was Schuld bedeutete und wer sie trug. Es war ihre Entscheidung gewesen, sich mit ihm anzufreunden. Ihre Entscheidung, den Kontakt wieder aufzunehmen, obwohl sie letztes Jahr bereits die grauenvolle Bekanntschaft mit allen Geschwistern dieser Familie des Teufels gemacht hatte. Ihre Entscheidung, die paar Wochen länger hier zu bleiben als Victor. Auch wenn sie alles immer sorgfältig anzuwägen versucht hatte und auch wenn sie sich nicht bewusst für eine weitere Entführung entschieden hatte, lag die Schuld dafür nicht bei Ryatt. Schuld war sowieso das falsche Wort - es ging viel mehr um Verantwortung. Und sie wollte die Verantwortung für ihre Entscheidungen und Taten selbst tragen. Sonst gab sie sehr bald auch die Kontrolle ab, die Fähigkeit, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und ihr Glück unabhängig zu formen. Ryatt hatte auch Entscheidungen getroffen, die zu diesem Tag geführt und vieles beeinflusst hatten. Aber sie weigerte sich gedanklich vehement dagegen, ihn als Teil des Bösen in diesem Narrativ zu sehen. „Du hast mich vorgewarnt… ich bin trotzdem geblieben. Du warst nicht derjenige, der in mein Auto eingebrochen ist… ich weiss, dass das Leben nicht so einfach in Schwarz und Weiss zu erklären ist. Aber ich hoffe, dass du dich damit nicht zu lange quälst“, und das tat sie wirklich. Für ihn, für sich, für Aryana, für Mitch und auch für Victor hoffte sie, dass sie diese Nacht schneller als all das andere Elend davor begraben konnten. Alles andere wäre de facto nämlich nicht wirklich tragbar. Auf seine kurz darauf folgende Frage zu antworten, war ein bisschen schwieriger und nun war sie es, die nachdenklich den Blick senkte, weil sie nicht wusste, was sie darauf sagen sollte. Eigentlich hatte sie ihn nochmal treffen wollen, um sich anständig von ihm zu verabschieden. Eigentlich wollte sie das noch immer. Aber sie wusste nicht, ob sie es schaffte. Es war schwer abzuschätzen, wie ihre Psyche die nächsten Tage prästieren würde. Ob sie es schaffte, bis zu ihrer definitiven Abreise zu funktionieren, wie sie das eigentlich musste. Es gab keinen Plan B - morgen kam das Zügelunternehmen, die drei darauffolgenden Tage musste sie arbeiten und dann kam der 30. November und sie fuhr nach Los Angeles. Alleine, mit ihrem eigenen Auto, das sie vorhin kaum mehr hatte anschauen können. Aber sie musste. Sie durfte sich jetzt nicht so aus dem Konzept bringen lassen. Nicht schon wieder. Und sie musste auch die drei Tage Arbeit ohne Schwierigkeiten abliefern. Sonst hätte sie nämlich auch schon viel früher gehen können und dann zahlte sich all das überhaupt nicht mehr aus. „Ich… ich denke schon… ich wollte mich eigentlich noch… verabschieden…“, das angedeutete Schulterzucken unterstrich die wage Antwort, machte deutlich, dass sie gerade nicht wirklich einen Plan hatte, wie die nächsten Tage denn wirklich aussehen sollten. Ebensowenig hatte sie eine Idee, wie er ihr helfen könnte. Sein Bedürfnis konnte sie verstehen, aber auch mit dieser Antwort war sie ein bisschen überfordert. Sie sollte wahrscheinlich etwas essen… etwas trinken… und hauptsächlich viel schlafen. Was nicht möglich sein würde, wegen des morgigen Zügeltermins. Allein der Gedanke klang stressig, aber sie zwang sich dazu, auch hier nicht weiter zu denken. „Vielleicht… kannst du Tee machen..? Bis ich geduscht habe… und dann kommen hoffentlich bald die anderen zurück…“, war ihr unbeholfener Vorschlag, einer sicherlich etwas zu simplen Aufgabe. Aber sonst brauchte sie eben gerade nichts, womit er sie unterstützen könnte.
seems like. x'D Am Wochenende war viel los bei mir, hab deswegen leider erstmal nur Mitch... vielleicht schaff ich Ryatt nachher auf der Arbeit fertig, but idk yet. ____________
Der Tinnitus im Ohr begann mit der Fahrt zu schwächeln und in jedem anderen Moment wäre ich dankbar dafür gewesen, das Piepen loszuwerden. Jetzt eher nicht. Es war das einzige, was mich noch ein bisschen von der aktuellen Realität fernhielt. Im Krieg, zwischen Granaten und Kugelhagel, da war derartige Gehörschädigung häufig vorgekommen. Sterbende Soldaten um mich herum zu haben war auch traumatisch, aber doch irgendwie angenehmer als das hier. Ich hatte schon vorher schlimme Dinge getan, weit mehr als einmal. Ich hatte mich längst davon verabschiedet, eine Vorzeige-Persönlichkeit, ein guter Mensch zu sein, sondern versuchte nur mehr das Beste aus dem zu machen, was nach den Jahren im Krieg noch von mir übrig war… und vielleicht war das noch weniger, als ich angenommen hatte. Noch so oft konnte ich mir hier einreden, dass Gil das verdiente und ich mich deswegen nicht schlecht fühlen musste – das kleine bisschen zurückgebliebenes, eingetrocknetes Blut, das ich unter den Fingernägeln spüren konnte, erzählte mir trotzdem was ganz anderes. Die Blutspuren in der Dunkelheit in diesem Tempo restlos wegzukriegen, war unmöglich. Also schleppte ich das Opfer weiter mit mir herum. Bis in die Wohnung, wahrscheinlich. Bis nach Hause, bis zu Aryana. Ich warf einen flüchtigen Blick zu ihr rüber, schluckte tonlos und kurz darauf fuhr die Brünette an den Straßenrand. Sie hätte gar nichts sagen müssen. Ob wir die Klamotten jetzt oder in fünfzehn Minuten wegschmissen war egal. “Habs nicht eilig…" Es war nach wie vor ein Instinkt von mir, zu Humor zu greifen, wenn es mir beschissen ging. Nur klang es nicht so sarkastisch wie ursprünglich gewollt und ich begann mit dem rechten Bein zu wippen. Fahrig strich ich mir mit einer Hand die Haare nach hinten und machte die Augen zu, als Aryana weitersprach. Ich wollte schon gar nicht mehr darüber nachdenken, ob es funktionieren würde. Denn das musste es schlichtweg und wenn es das nicht tat, konnten wir gute Nacht sagen. Ein zweites Mal Knast – und dann womöglich für immer oder mindestens sehr lange – würde ich nicht überleben. Schon gar nicht, wenn die Brünette mich nicht besuchen kommen konnte, weil sie selbst irgendwo einsaß. Aber wie viel besser würde es mir damit gehen, Aryana mit denselben Händen anfassen zu müssen, die Gil derart grausam in die Bewusstlosigkeit getrieben hatten? Es ging ihr offensichtlich genauso wenig gut wie mir mit dem, was erst vor ein paar Minuten passiert war. Ich würde sie eigentlich gern in den Arm nehmen und ihr versichern, dass wir das auch dieses Mal wieder grade biegen konnten. In diesem Augenblick sträubte sich in mir aber eine ganze Menge nach Berührung und leeren Versprechen. “Ich werd’ mir Mühe geben, aber… naja.” Ich schnaubte leise und sah neben mir zum Fenster raus. In neun von zehn Fällen war ich bisher das Problem in unserer Beziehung gewesen – wenn man banale Streits wegließ, da hielten wir uns ziemlich die Waage – und ich hatte wirklich keine Lust darauf, eine weitere Linie zur Strichliste hinzuzufügen. Hatte ganz generell die Schnauze voll von diesen Talfahrten, die immer nur der Schwung für einen viel zu kurzen Höhenflug waren. Es war schlicht unmöglich, eine Sache wie diese einfach mal so unter den mentalen Teppich zu kehren. Erst recht wenn ich möglicherweise nicht der einzige sein würde, der eine ganze Weile daran zu kauen hatte. “Wenigstens ist Faye nichts passiert... das war das Wichtigste.”, murmelte ich vor mich hin und lehnte den Kopf an die Scheibe neben mir. Das war die Priorität gewesen, deswegen hatten wir mit der Befreiung nicht warten wollen und keine bessere Lösung als das gehabt. Ziel erfüllt, sozusagen. Es fühlte sich nur leider wirklich nicht so an, als wäre es den Kollateralschaden, der auf unser eigenes Konto ging, wert gewesen.
Ja, das war so ziemlich das einzige, was man an dieser Stelle noch hoffen konnte und ich war mir nicht sicher, wie realistisch das war. Zumindest in diesem Moment war ich mir sicher damit, mir für immer Vorwürfe für all den Schmerz zu machen, den ich verursacht hatte. Die Hoffnung mochte immer zuletzt sterben, aber ich war bekanntlich ein ziemlich festgefahrener Realist. Außer vielleicht in Hinblick auf Faye und die Zukunft, die wir hätten haben sollen. Da war ich geradezu naiv gewesen, jedenfalls zum Ende hin… ich nickte trotzdem auf ihre Worte, wusste sonst jedoch nichts darauf zu sagen. Ohnehin starrte ich lieber auf den Fußboden, der weniger Schuldgefühle auslöste. Er half wiederum aber auch nicht bei der nächsten Antwort der Brünetten. Instinktiv wollte ich jede weitere Sekunde von Faye haben, die ich noch kriegen konnte. Andererseits wurde es mit jedem weiteren Treffen vielleicht nur noch schmerzhafter, als es jetzt schon war. "Verstehe…", murmelte ich zuerst nur. Ich wollte sie nicht dazu drängen, mich noch irgendwo in ihren Abreiseplan zu quetschen, wenn ihr das zu viel war. Es war aber offensichtlich auch schwer zu verstecken, dass ich gerne noch wenigstens ein paar Minuten mit ihr hätte, die nicht mehr direkt vom Chaos des heutigen Tages beeinflusst wurden. Die den Abschied so normal machen würden, wie es noch möglich war. "Falls du noch Zeit findest, sag Bescheid. Egal wann, auch wenns nur kurzfristig fünf Minuten sind.", kam ich nicht umhin zu betonen, dass mir etwas daran lag, auch wenn ich leicht nuschelte. Falls diese fünf Minuten irgendwo in meine Arbeitszeit fielen, dann war das eben so. Sollte Easterlin mir dafür Überstunden aufbrummen oder was auch immer, mich konnte er dank meines Vertrages nur schwer in den Kugelhagel schicken. War halt leider auch nicht so, als hätte ich noch viel Besseres zu tun als zu arbeiten, wenn Faye erstmal weg war. Es folgte ein weiteres kleines Nicken auf den Tee. "Mach ich.", bestätigte ich leise und schluckte den Kloß im Hals runter. Einen kurzen Seitenblick warf ich der Brünetten noch zu, bevor ich mich leicht stockend umdrehte, um aus dem Badezimmer zu hinken. Ich machte die Tür hinter mir zu und brauchte dann erstmal einen kurzen Moment zur Reorientierung und zum Durchatmen, bevor ich – erneut gegen die dummen Tränen anblinzelnd – weiter zur Küche ging. Langsam, weil es sich so anfühlte, als würde der Druck in der Brust mich lähmen. Nur die Suche nach einer der Teesorten, die wir irgendwann mal gemeinsam getrunken hatten, und das Aufsetzen des Wassers lenkten mich für eine viel zu kurze Zeitspanne ab.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ich hab mich bei Aryana für etwas kürzer entschieden… wir sind mal wieder an einem Punkt, wo das meiner Meinung nach gut zu verkraften ist. xD ________
Wäre das alles besser ausgegangen, wenn sie sich selbst um Gil gekümmert hätte? War es egoistisch gewesen, ihn an Mitch abzutreten, in der Angst, sie könnte es übertreiben? Wohlwissend, dass Mitch ebenso dem Rausch verfallen könnte wie sie? Sie hatte sich das im entscheidenden Moment - oder im Vorfeld - nicht überlegt. Wie so vieles nicht. Wie die potenziellen Folgen nicht. Ihr Gehirn war mehr oder weniger ausgestiegen aufgrund ihrer Sorge um ihre Schwester. War in das alte ich muss meine Familie retten Muster verfallen, das die irrationalen Handlungen, die es eigentlich immer nach sich zog, quasi schon prophezeite. Aber was hätten sie sonst tun sollen?? Das war die Frage, die ihr nun lustigerweise sehr penetrant durch die Birne kreiste. Jetzt, wos eh zu spät für Alternativen war. Gut, dass ihr sowieso nicht wirklich eine Antwort darauf einfallen wollte. Die Polizei war keine Option gewesen. Eine blosse Rettung hätte bei diesem Ungeziefer keine längerfristige Wirkung gezeigt. Ryatt seine Probleme alleine lösen lassen, hätte zu lange gedauert und Faye zu stark gefährdet. Zu stark traumatisiert. Vielleicht hatten sie das durch ihr Rettungsmanöver wenigstens einigermassen verhindert… war immerhin ihr Ziel gewesen, wie auch Mitch nochmal leise betonte. Blieb nur die Frage zu welchem Preis… und wer diesen Preis am Ende bezahlte. „Mhm…“, stimmte Aryana ihm eher nur leise und beiläufig zu. Aber selbst aus diesem Geräusch war herauszuhören, dass das allein als Verdienst nicht ausreichte. Aber Mitch wusste das, er war dabei gewesen, sein Kopf und seine Seele würden die Folgen kennenlernen. Ihre Augen lösten sich von ihren Händen am Lenkrad, rutschten stattdessen zu Mitch, der schief an seinem Fenster hing. „Lass uns diesmal einfach so gut wie möglich von Anfang an offen kommunizieren, okay? Wie es uns geht, was wir fühlen, was wir brauchen… einfach alles, was nötig ist, um diese Nacht möglichst bald hinter uns zu lassen…“, bat sie leise ins Halbdunkle hinaus. Sie waren weiterhin nicht perfekt, was Kommunikation und das Ausdrücken von Gefühlen und Bedürfnissen anging. Es würde sicherlich nie ihre Stärke werden, dazu waren sie einfach zu unabhängig, beide lösten ihre Probleme am liebsten allein. Aber sie hatten viel gelernt in den letzten Monaten und mussten jetzt einfach daran festhalten, dass sie mit diesen Erfahrungen und dieser Übung auch die nächste Hürde gemeinsam nehmen konnten. Eine beschissene Hürde, um die hier niemand gebeten hatte…
Sie nickte auf seine Bitte hin schwach. Irgendwo würde sie wahrscheinlich schon noch ein Zeitfenster finden, das gut für diesen Abschied passte. Sie war sich eh nicht sicher, wie viele andere Abschiede sie in ihrem aktuellen Zustand verkraftete. Wie oft sie so tun könnte, als wäre alles gut. Und da sie Stand jetzt niemandem von dem heutigen Tag zu erzählen plante, der nicht eh schon davon wusste, musste sie sehr gut spielen - besser als jetzt. „Klar. Ich… ich schreib dir, sobald ich einen Überblick habe…“, das hatte nämlich Priorität, bevor sie irgendwem irgendwas versprach, das sie dann gar nicht halten konnte. Als Ryatt das Bad verlassen hatte, starrte sie ein paar Sekunden die verschlossene Tür an. Sie konnte sie schlecht offen lassen, während sie duschte… trotzdem konnte sie dem Bedürfnis nicht widerstehen, die Klinke versuchsweise nochmal runter zu drücken, um sicher zu gehen, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Natürlich erst nachdem sie einen Moment gewartet hatte und hoffen konnte, Ryatt wäre bereits in der Küche. Als das abgeklärt war, begann sie tatsächlich, sich aus den Klamotten zu schälen, die allesamt direkt in die Wäsche wanderten. Die anschliessende Dusche tat gut. Ein bisschen zu gut. Es war jedes Mal spätestens die Dusche, wo ihre Emotionen hervorbrechen wollten. So auch heute. Aber sie durfte nicht weinen. Sie durfte nicht in diese Negativspirale rutschen. Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen. Bis zu ihrer Abreise musste sie sich zusammenreissen. Ein bisschen für sich, ein bisschen für Ryatt, auf jedem Fall aber für Mitch und Aryana. Und für ihr neues Leben, das voraussetzte, dass ihr altes Leben hier sauber abgeschlossen wurde. Sie konnte keinen sauberen Abschluss hinlegen, wenn sie von Nervenzusammenbruch zu Nervenzusammenbruch hangelte. Dafür war ihre Reise in den Süden da - die paar Tage, die sie dann einfach aus ihrem Gedächtnis löschen konnte, die weder zu alt noch zu neu gehören mussten. Dort konnte sie weinen. Nicht jetzt. Und darum fiel die Dusche auch relativ kurz aus. Kaum waren ihre Haut und Haare ausgiebig gewaschen und gespült, stieg sie wieder aus der Wanne und vergrub die Füsse im weichen Duschvorleger. Auch der Rest ihres Badezimmeraufenthaltes zielte darauf ab, sich nicht zu sehr mit sich selbst und ihren Problemen zu befassen, dauerte entsprechend kurz und umfasste möglichst wenig Blicke in den Spiegel. Dann huschte sie in ein grosses Handtuch gewickelt ins Gästezimmer, wo sie sich mit einer weichen Jogginghose und einem frischen Shirt einkleidete. Bevor sie das Zimmer verliess, zog sie doch auch wieder einen Hoodie über. Obwohl die Temperaturen in der Wohnung das nicht gefordert hätten, aber sie musste ihre Handgelenke nicht mehr zur Schau stellen als nötig. Weder für Ryatt noch für sich selbst. Fertig angezogen, ging Faye in den Flur, um endlich nach ihrem Handy zu greifen und die Nachricht, die Ryatt schon im Auto angesprochen hatte, tatsächlich zu verfassen. Sie hätte das vorhin schon machen müssen… denn letztendlich bekam sie auch jetzt nicht mehr als ein paar lausige Worte auf die Reihe. Ich bin zuhause… es geht mir gut, ich melde mich morgen bei dir. Las die Nachricht, die sie für Victor eintippte. Die irgendwie zu trocken und nichtsaussagend klang, als dass sie sie wirklich schicken konnte. Aber was sollte sie sonst sagen? Es tut mir leid. fügte sie an - und löschte die vier Worte nach kurzem Zögern wieder. Genau das sollte sie nicht schreiben. Es war nicht ihre Schuld. Sie hatte so viele Vorkehrungen getroffen, damit das nicht passierte und es lag nicht an ihr, dass Mateo sie trotzdem aus dem Auto gerissen hatte. Ich liebe dich. Formulierte sie das Ende der kurzen Nachricht um und drückte auf Senden. Nicht, dass es sich wirklich richtig anfühlen würde so… aber sie wusste, dass es richtig war. So richtig wie gerade irgendwas sein konnte. Hier in ihrem neugewonnenen, ungebetenen Chaos. Sie hielt das Handy mit seinen zwei Prozent Akku in der Hand, als sie zu Ryatt in die Küche ging. Nur falls Aryana schreiben würde, warum auch immer.
Absolut fine, weil auch das von mir hier wieder nur ein gammliger Handypost ist. Da kürze ich auch liebend gerne. x'D __________
Ich machte hörbar einen tiefen Atemzug, als Aryana darüber zu sprechen begann, dass wir unsere kommende Aufgabe möglichst gewissenhaft angehen sollten. Sie hatte Recht damit, das wusste ich. Genauso wie ich wusste, dass dieses Wissen allein die Angelegenheit weder leichter, noch angenehmer machen würde. Ich tat mir nach wie vor oft schwer damit, Dinge zuerst ihr gegenüber auszusprechen, noch bevor ich eine Probedurchlauf mit einem anderen Ansprechpartner gemacht hatte. Letzterer war in 9 von 10 Fällen mein Therapeut und in dem einen anderen Fall war es Jetman. Wie lustig, dass keiner von beiden für die ganze Scheiße in Frage kam, die ich dieses Mal getan hatte. Ansonsten waren da theoretisch nur Faye und Victor, die aufgrund des sensiblen Themas und der Distanz aber auch keine Optionen waren. Ich hatte also nur die Wahl, mit Aryana darüber zu sprechen oder es wie so oft in mich reinzufressen, bis die nächste Scheiße passierte. Letzteres war die zwangsläufige Konsequenz, wie ich aus Erfahrung wusste. "Ich schätze, wir brauchen Schlaf… weil ich blind darauf hoffen möchte, dass morgen alles besser aussieht. Wie auch immer das möglich sein soll..." Grummelnd hob ich die rechte Hand und massierte mir die Schläfen. Der Pessimist war ziemlich schwer aus mir rauszukriegen und ein bisschen Schlaf würde das nicht richten. Mir war eher danach aus dem Wagen zu steigen und so lange stur in eine Richtung ins Nirgendwo zu laufen, bis ich nicht mehr konnte oder ein Fluss mich am weitergehen hinderte. Meine Augen folgten meiner Hand, als ich sie wieder sinken ließ. Es dauerte kaum zwei Sekunden, bis ich damit anfing, das bisschen Blut unter meinen Fingernägeln lösen zu wollen. Ein relativ aussichtsloses Unterfangen mit kurzen Nägeln, weshalb ich es mit einer energischen Bewegung wieder sein lies. "Ich will dieses Blut nicht an den Händen… und schon gar nicht an dir… was nicht mal Sinn ergibt, weil du in dieser Sache kaum sauberer bist als ich.", murmelte ich hörbar angespannt vor mich hin. Ich mahlte mit dem Kiefer und auch das Bein fing wieder zu wippen an. Meine Gedanken drehten sich um sich selbst und nahmen mit jeder Runde neuen Schwung. Ich hatte meine bedingungslose Loyalität, die nur streng ausgewählten Personen und allen voran Aryana galt, immer als etwas Gutes gesehen. Selbst das ließ sich jetzt aber einwandfrei in Frage stellen, wenn mich das zu solchen Taten schreiten ließ. Ohne es überhaupt erst richtig abzuwägen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hoffte wirklich für Faye, dass sie Gil damit endgültig hinter sich lassen konnte, aber mich würde er mit Sicherheit heimsuchen. Identitätskrise 2.0 stand quasi schon in den Startlöchern.
Bis ich Faye aus dem Badezimmer kommen hörte, tigerte ich zwischen dem nächstgelegenen Fenster und den beiden ziehenden Tees hin und her. Ein bisschen Wärme im Inneren konnte auch meine Gemütslage ausschließlich verbessern und möglicherweise sogar das schreckliche Gefühl in meiner Kehle lindern. Ich zog gerade die beiden Teebeutel aus den Porzellanbechern, als ich die Schritte der Brünetten näher kommen hörte. Mit beiden Tassen in den Händen schloss ich zu ihr auf und hielt ihr die in der rechten Hand entgegen. Die Situation zwischen uns fühlte sich jetzt noch nicht besser an als vorhin im Auto oder im Badezimmer, aber die paar Minuten allein hatten mich wenigstens einige Male tief durchatmen lassen. Das schmälerte immerhin die Wahrscheinlichkeit auf weitere Panikattacken, half mir wiederum aber nicht dabei, ansatzweise passende Worte zu finden. Ich würde mich gerne zum ungefähr hundertsten Mal bei Faye entschuldigen, doch sie gab mir allem Anschein nach nicht die Schuld dafür und es hätte so oder so einen bitteren Beigeschmack. Es wäre schließlich bei Weitem nicht meine erste Entschuldigung an sie. Gleichzeitig war ich viel zu aufgewühlt, um mich jetzt hinzusetzen, weshalb ich wie bestellt und nicht abgeholt stehenblieb. "Geht's dir etwas besser..?" Ich sprach ziemlich undeutlich. Wie viel besser konnte es ihr jetzt gehen, ein paar Minuten später? Ihr mussten die letzten Stunden noch immer tief in den Knochen sitzen, aber sich wieder sauber zu fühlen war ein Anfang, oder? Ich schüttelte leicht den Kopf und sah auch jetzt wieder auf den Boden. "Ich wünschte wirklich, wir hätten…" Diesmal war die unbeholfene Unterbrechung nicht meine Schuld. Ich hielt inne, weil ich ein Handy vibrieren hörte und es nicht meins sein konnte. Das lag einsam unten im Wagen, weil ich es nicht aus der Jacke geholt hatte. Wahrscheinlich dumm von mir. Ich erhoffte mir natürlich einen komplikationslosen Ablauf für Aryana und Mitchell, aber falls sie mich zu erreichen versuchten, hätten sie damit ein Problem. Sollte Faye der Sinn nach einem Telefonat stehen, hätte ich eine gute Gelegenheit es zu holen. Ich ließ es aber genauso gern unten im Wagen, um stattdessen bei ihr zu bleiben… was nüchtern betrachtet ziemlich egoistisch war, aber mein Selbstbild wurde heute sowieso nicht mehr besser.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Er sagte einfach ein wundervolles gar nichts dazu, nahm ihre Worte einfach nur zur Kenntnis… um sie dann darauf hinzuweisen, dass sie schlafen sollten. Weil Schlaf diese Probleme ganz bestimmt aus dem Weg schuf. Sie konnte sich ja kaum an eine Situation erinnern, in der das nicht so gewesen war. Schlaf war quasi ihre Wunderwaffe. Und darum war ihr Leben ja auch so einfach und gemütlich. Weil jeder Morgen ein Neustart ohne Probleme darstellte. Sie kannte Mitch gut genug, um nichts von dem als tatsächlichen Angriff oder ähnliches zu sehen. Sie wusste, dass er sich nur einfach gerade mindestens genauso verloren fühlte. Den nächsten Absturz zu deutlich vor sich sah, während sie noch versuchte, irgendwie gegen den Sog zu steuern. Als würde sie ihr wackliges Kanu drei Meter vor dem reissenden Wasserfall noch herumreissen und vor dem Sturz in die Tiefe bewahren können. Sie sollte es besser wissen. Sie sollte vieles besser wissen. Auch bezüglich ihres Umgangs mit dieser wundervollen Situation hier. Nur war sie immer noch Aryana und Aryana war auch mit ihren mittlerweile 29 Jahren nicht die Art Mensch, die mit ein paar simplen Worten eine beschissene Lage erträglicher machen konnte. Tröstende oder ermutigende Worte waren noch immer nicht ihr Ding. Also ja. Blieben sie wohl dabei, dass sie Schlaf brauchten. Und er das Blut von seinen Fingern waschen musste. Und sie auch. Trotzdem schwieg sie noch ein paar Sekunden, versuchte mit tiefen Atemzügen ihre Nerven zu beruhigen. Auch so etwas Dummes, das sie immer wieder probiere, obwohl es so selten Wirkung zeigte. „Okay, dann lass uns nachhause fahren, gründlich duschen und dann möglichst viel schlafen“, die Worte klangen hohler, lächerlicher, wenn sie sie aussprach, nochmal wiederholte. Dabei wollte sie gar keinen Spott draus machen. Das war immerhin tatsächlich ihr Plan und sie hatte keinen besseren. Sie drehte den Zündschlüssel, startete damit den Motor, steuerte den Wagen wieder auf die Strasse und zurück in die Stadt. Erstmal in eine andere Nachbarschaft in einem anderem Viertel als ihrem Zuhause, damit sie den gut verschnürten, komplett unauffälligen Abfallsack entsorgen konnten. Er landete in einem Container und damit schlossen sie ihre nebenberufliche Kriminalkarriere hoffentlich direkt wieder ab. Man könnte meinen, es sollte reichen, wenn sie für Easterlin gefühlt täglich solche Drecksarbeit übernahmen..
Sie wurde unmittelbar mit der gewünschten Tasse warmem Tee begrüsst, den sie mit einem leisen „Danke“ entgegennahm, kaum betrat sie das Wohnzimmer mit der offenen Küche. Wenig später, sie war gerade dabei, ihren Tee anzublasen als würde er dadurch massgebend schneller abkühlen, kam schon die nächste, schwer zu beantwortende Frage. Ihr Wohlbefinden war schwer in ein Ja oder Nein zu packen. Aber sie hatte ihm vorhin schon gesagt, dass es ihr gut ging, oder? Wenn das gestimmt hätte, müsste es ihr jetzt nicht wirklich besser gehen. „Ich… bin wieder sauber, trag frische Klamotten und stinke nicht mehr… also… ja. Ich denke schon“, das war irgendwie eine dumme Antwort gewesen, sie hauptsächlich darauf abzielte, den offenen Fakt zu überschatten, dass sie auf die Frage nicht wirklich antworten konnte. Sie ihm nicht sagen wollte oder konnte, wie es ihr ging. Weil sie es nicht wusste, nicht in Worte fassen konnte, nicht aussprechen wollte, selbst damit fertig werden musste, niemandem anvertrauen sollte. Ihr Handy vibrierte, kaum hatte Ryatt zum nächsten Satz angebrochen. Sie blickte aufs Display, um nicht zu verpassen, falls das Aryana war. War es natürlich nicht. Es war Victor. Und auch ihn schloss das niemanden aus. Seine Nachricht zeigte exakt die gleiche Zeit an wie ihre. Victor hatte nichtmal 60 Sekunden gebraucht, um ihr zu antworten, als hätte er das Handy bereits in der Hand gehalten. Dabei war er doch auf der Arbeit, wenn sie seinen Plan richtig in Erinnerung hatte. Trotzdem fragte er, ob sie nicht kurz telefonieren konnten. Aber sie konnte nicht. Victor konnte sie von allen Menschen dieser Welt am allerbesten lesen - besser noch als Aryana. Oder er war zumindest offensiver, die Dinge anzusprechen, die er feststellte. Wenn er hörte, wie schlecht ihre Worte zu ihrer Stimme passten oder wie unmöglich ihre Erklärungen bei ihrer Persönlichkeit klangen. Dass es ihr unmöglich gut gehen konnte. Sie wollte ihn gar nicht aussperren oder sich vor ihm verstecken. Darum gings ihr gar nicht… oder vielleicht doch. Sie wollte diese Erfahrung nicht teilen, diese Emotionen, den Schmerz. Sie wollte damit keinen weiteren Fall riskieren, keine weiteren Schlaglöcher in ihrer Beziehung, von denen sie nicht voraussagen konnte, ob sie zwei Zentimeter oder zwei Kilometer tief waren. Sie wollte nicht wieder die sein, die ihn - sie beide - ins Straucheln brachte, bis er irgendwann nicht mehr konnte und ging, weil er auf sich selbst aufpassen musste. Sie wollte Deborah nicht Recht geben. Nicht schlecht für ihn sein. Und diese Gedanken waren ungesund, immerhin sah sie das ein. Aber hier gings nicht um sie. Sie würde damit klar kommen. Sie musste es, und zwar bald. Nur war heute Abend zu früh um gegenüber Victor so zu tun, als hätte sie das bereits geschafft. Ich kann gerade nicht... Aryana und Mitch kommen hoffentlich bald zurück. Aber Morgen, wirklich. Es tut mir leid., diesmal löschte sie die Entschuldigung nicht. Schickte die Nachricht und fühlte sich scheisse dabei. Und als sie das Handy wiedwe wegsteckte, wanderten ihre Augen zurück zu Ryatt. Und sie fühlte sich noch beschissener. „Sorry… Victor - ich dachte eigentlich, er arbeitet… Aber er hat sich bestimmt zu viele Sorgen gemacht…“, sie liess die fahrige Erklärung so stehen, Ryatt war noch immer nicht der Mensch, mit dem sie über Victor reden sollte. Ausserdem tat allein der Gedanke daran, wie viele Sorgen Victor sich womöglich wirklich gemacht hatte, einfach zu fest weh. „Komm wir.. wir setzen uns. Ich hoffe, Aryana und Mitch sind bald hier, dann kannst du vielleicht auch schlafen gehen… Was… was wolltest du sagen?“, die Sätze kamen weit zerstreuter als gewünscht. Sie war zu müde und emotional überfordert, um sich anständig auf ihre Mission zu konzentrieren und das war scheisse. Also brauchte sie Ablenkung. Was auch immer Ryatt hatte sagen wollen - es wäre bestimmt besser, wenn er sprach und nicht sie. Sie liess sich aufs Sofa sinken und zog die Füsse hoch, diesmal nicht mehr wirklich mit der Absicht, vor dem endgültigen Gang ins Schlafzimmer nochmal aufzustehen.
Ich wusste schon, dass das nicht das war, was Aryana hören wollte. Es war aber das einzige, was sie gerade von mir kriegen konnte. Wie das mit dem Einschlafen wohl laufen würde? Ich rechnete mir nicht mal dafür gute Chancen aus, was an und für sich schon kontraproduktiv war. Mich selig unter der Decke in den Tiefschlaf zu verkrümeln, nachdem ich einen anderen Menschen bewusst verstümmelt hatte, ging selbst gegen meine teils stark abgestumpfte Natur. Meine Gedanken hörten nicht auf umherzuwirbeln, als Aryana den Wagen zurück auf die Straße lenkte. Mir fehlten jegliche Worte dafür, die Situation angenehmer zu machen. Ich hätte sie vermutlich eher weiter verschlimmert, also kehrte kaltes Schweigen ein. Es wurde auch nicht besser, als wir das blutverschmierte Zeug im weiteren Schutz der Dunkelheit loswurden. Wie so oft erledigten wir das möglichst zügig und effizient, um damit hoffentlich weitere Folgen zu vermeiden. Als wären am Tatort selbst nicht auch irgendwelche Spuren zu finden. Das Bild des Grauens flackerte bei diesem Gedanken kurz mit leerem Blick vor meinem inneren Auge auf, weshalb ich mit dem Einsteigen zögerte. Erst als ich mich davon lösen konnte, ging es weiter nach Hause. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken dabei, dass Faye uns so sah. Ryatt war mir zugegeben egal dabei. Sollte er ruhig wissen, wozu wir fähig waren – dann kam er wenigstens niemals wieder auf den hirnrissigen Gedanken, uns auf der Nase herumtanzen zu wollen oder uns in welche Scheiße auch immer mit reinzuziehen. Aryanas Schwester hingegen… ich wollte nicht, dass Faye ein solches Bild von mir bekam. Von uns beiden. Ich sah wahrscheinlich nicht ganz so schlimm aus wie damals, als ich den Schuss beim Einsatz daneben gesetzt und geweint hatte, völlig zusammengebrochen war. Das lag daran, dass ich mich immer tauber fühlte, je länger ich darüber nachdachte. Eine emotionslose bis maximal leicht angespannte Miene war aber halt auch alles andere als gesund, nach so einer Aktion. Mir war vor ein paar Minuten noch nach Schreien zumute gewesen, doch selbst das verflog mit der Fahrt. Als der Wagen geparkt war, fühlte ich mich nicht bereit, tatsächlich auszusteigen. Mit dem Beinwippen hatte ich irgendwann aufgehört. Trotz vermeintlich ansatzweise eingekehrter Ruhe wusste ich, dass es gut war, nach wie vor keinen Alkohol im Schrank zu haben. Mir war, wie so oft, nach Zigaretten und ich hätte auch zum Hochprozentigen nicht nein gesagt, wäre welcher da gewesen. Mein Inneres brodelte weiter, ich fühlte mich hellwach und todmüde zugleich. “Sie wird nicht fragen, oder?”, stellte ich eine genuschelte Frage an Aryana. Dabei sah ich erst noch zum Fenster raus, danach aber doch zu ihr rüber. Wahrscheinlich wäre es am besten, ich wechselte heute kein Wort mehr mit Faye. Vielleicht sogar am besten, ich ginge ihr ganz aus dem Weg, was bei einer Wohnung dieser Größe unter Umständen schwer werden konnte. Ich wollte nicht wieder irgendwas zu ihr sagen, das ich hinterher schwer bereute. Nicht darüber reden, was genau passiert war, nachdem sie mit Ryatt verschwunden war. Wollte außerdem alles, was in den letzten Stunden passiert war, für mindestens heute und morgen am liebsten ganz vergessen. Nur funktionierten Gehirn und Seele so leider nicht.
Die Antwort auf meine Frage nach ihrem Wohlbefinden nickte ich mit einem schwachen Lächeln ab, das sich in etwa genauso erzwungen anfühlte, wie Fayes Antwort klang. Auf meine eher überflüssige Frage kam eine ebenso überflüssige Antwort, die ich mir, so oberflächlich wie der Inhalt ihrer Worte war, größtenteils selbst hätte zusammenreimen können. Es war ein weiterer winziger Stich in der Brust. Ich hatte Faye mehr von mir anvertraut als so ziemlich jedem anderen Menschen, verglichen mit den letzten Jahren meines Lebens. Andersherum hatte auch die zierliche Brünette mir hier und da ihr Herz ausgeschüttet. Trotzdem machten wir beide hier – so gut es ging – irgendwie dicht. Als wäre das nötig, als wäre es nicht sowieso offensichtlich, dass ungefähr gar nichts okay war. Bei ihr nicht, bei mir nicht. Ich drehte mich leicht zur Seite weg und nahm einen sehr kleinen Schluck vom noch heißen Tee, während Faye mit ihrem Telefon beschäftigt war. Aber ein Telefonat folgte nicht, stattdessen eine Erklärung. “Kann man ihm nicht verdenken…”, antwortete ich beiläufig und zuckte leicht mit den Schultern. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte gar nichts dazu gesagt, aber es machte irgendwie doch keinen Unterschied. So oder so huschte mir der nächste dunkle Schatten übers Gesicht, kaum fiel sein Name. Mir war auch dann nicht nach Hinsetzen, als Faye sich schon Richtung Sofa in Bewegung setzte. Trotzdem folgte ich ihr nach kurzem Zögern und sparte mir die weitere Antwort noch, bis ich mit etwas Abstand zur Brünetten ebenfalls ins Polster sank. Dabei zog ich die rechte Seite des Pullovers etwas nach vorne. So hing er zwar recht schief, aber ich wollte vermeiden, das Blut irgendwo an den Sofabezug zu schmieren. Gleichzeitig versuchte ich Zeit zu schinden, weil das, was ich vor der Nachricht ihres Liebsten hatte sagen wollen, wahrscheinlich auch dumm war. Deswegen schüttelte ich leicht den Kopf und schloss beide Hände um die warme Tasse auf meinem Schoß. “Nichts, nur… dass ich mich darüber ärgere, so viel Zeit mit meinem… Ego-Trip verschwendet zu haben. Die Wohnung zu streichen wär sicher lustig gewesen… und es isst sonst keiner so gern Donuts und Kuchen wie du.”, murmelte ich und sah dabei auf die Tasse runter. Mir wären noch zahlreiche andere Dinge eingefallen, die wir zusammen hätten machen können. Aber so war das halt mit der Reue – sie kroch logischerweise erst danach an. Es hätte auch an dieser Situation hier nichts geändert und sie wäre dann vermutlich eher noch schmerzhafter geworden. Faye und ich hatten uns in letzter Zeit – genauer genommen seit Victors Rückkehr – deutlich weniger gesehen als davor und vielleicht war das gut so, als Entwöhnung. Es fühlte sich nur nicht gut oder richtig an. Nichts von alledem hier, weshalb ich mit vor Schmerz kurz zuckendem Mundwinkel etwas tiefer sank und für einen Moment die Augen zumachte. “Allzu viel Schlaf wird’s für mich nicht geben… kommt nicht besonders gut, wenn ich mitten in der Nacht unter der Woche aufs Gelände zurückfahre. Mit blutigem Pullover.”, musste ich Faye in ihrer Hoffnung ausbremsen, mit weiterhin gedrückter Stimme. Der Kombi wäre wahrscheinlich bequemer als mein Truck damals, aber mein Kopf würde nicht zur Ruhe kommen. Nicht nach dem, was heute passiert war und vor allem nicht mit dem Wissen, dass mich da draußen theoretisch Jemand einsammeln konnte, um noch vor Sonnenaufgang postwendende Rache zu nehmen. Die Augen zuzumachen wäre viel zu leichtsinnig. Der Arbeitstag morgen war jetzt schon auf dem besten Weg, absolut beschissen zu werden.
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Sie parkte das Auto vor dem Haus, auf dem gleichen Parkplatz, den es immer besetzte, wenn sie zuhause waren. Das war wieder so eine verdammt schräge Situation, in der alles normal wirkte. Die Strasse, die Nacht, der Gehsteig, der Parkplatz, die Eingangstür. Nichtmal das Licht hinter den Fenstern ihrer Wohnung war besonders auffällig. Es war nicht das Einzige, das zu dieser Uhrzeit noch brannte, wenn auch die meisten normalen Menschen mittlerweile schlafen gegangen waren. Sie hasste es, wenn alles so normal aussah, während in ihr ein Sturm brodelte. Es fühlte sich so an, als würde die Welt sie einmal mehr höhnisch auslachen, weil sie es einfach nicht auf die Reihe zu kriegen schienen, jemals normal zu leben. Sie waren immer irgendwie anders, immer irgendwie abgefuckt. In einer Parallelwelt, in der man für Gerechtigkeit und Frieden sorgte, indem man ein paar Menschen ein bisschen entstellte. Einer Parallelwelt, in der der Glaube an das Gute im Menschen längst verloren zu sein schien. Und sie hasste das. Wollte da nicht leben. Aber was sollte sie denn sonst tun? Sie konnte nicht vorspielen, dass es nicht so wäre - dass die Menschheit im Grunde gut war, wenn sie so oft so deutlich gesehen hatte, dass das einfach eine offensichtliche Lüge war. Aryana merkte kaum, dass Mitch ebenfalls mit dem Aussteigen zögerte, weil sie selbst ein bisschen zu tief in ihren Gedanken versunken war. Es war nichtmal gemütlich hier im Auto, welches nun ziemlich schnell abkühlte, seit sie den Motor ausgemacht hatte. Es wäre besser, wenn sie sich nach drinnen und unter die Dusche begaben, sich mal richtig schrubbten. Aber Mitch schien in diesem Unterfangen ein kleines Problem zu erkennen, an das sie ebenfalls schon gedacht hatte. Trotzdem konnte sie ihn in Hinblick auf seine Frage relativ bald beruhigen. Das Kopfschütteln fiel schwach aus, aber ihre Worte waren relativ sicher. "Nein... Zumindest nicht dich. Und sicher nicht heute...", das einzige Szenario, in dem sie Faye Mitch eine entsprechende Frage stellen sah, wäre irgendwo Jahre oder zumindest viele Monate in der Zukunft. Und sie hoffte schwer, dass sie bis dahin das drohende Tief überwunden hätten. Es wäre ihr trotzdem lieber, wenn ihre Schwester sie jetzt nicht sah. Frühestens nach der Dusche. Darum zog sie auch ein paar Sekunden später das Handy raus. Sie sollten nicht länger hier draussen sitzen bleiben, immerhin mussten sie noch mit Ryatt sprechen, damit er Riley anrief... Aber jetzt wählte sie zuerst die Nummer von Faye, auch wenn sie kaum wirklich wusste, was sie ihr sagen sollte. Es dauerte ungefähr 0.01 Sekunden, bis sie ihren Namen hörte. Mit dem gleichen besorgen Unterton, den sie schon zehntausendmal gehört hatte. "Hey... Es ist alles gut, wir sind gleich da", es klang beinahe glaubwürdig. Man konnte ihre Tonlage relativ leicht auch purer Erschöpfung zuschreiben. Was ja auch stimmte, es war nur nicht das Einzige und die Erschöpfung war nicht zu verwechseln mit simpler Müdigkeit. "Seid ihr zuhause?", natürlich waren sie das, sie konnte das Licht oben sehen und Ryatt hatte nicht unbedingt viele andere Orte zur Auswahl gehabt, wo er Faye hätte hinbringen können. Ganz davon abgesehen, dass dieser Treffpunkt abgemacht war und er sehr dumm gewesen wäre, sich nicht an diese Abmachung zu halten. "Hör zu, kannst du mir einen Gefallen machen und einfach im Wohnzimmer bleiben, wenn wir nach oben kommen? Wir sollten zuerst duschen und ich... ich möchte ehrlich gesagt einfach nicht, dass du uns so siehst. Okay? ... Nein, von uns ist niemand verletzt. Wirklich nicht. Nur dreckig. ... gut, danke. Ich liebe dich. Bis gleich", sie drückte den roten Hörer und schob das Handy in Zeitlupe zurück in die Tasche, ohne dabei erneut Blickkontakt mit Mitch zu suchen. Es fühlte sich alles beschissen an, da gabs nichts zu lügen. Sie wollte sich nicht wieder vor Faye verstecken, jetzt, wo sie endlich an einem gesunden Punkt angelangt waren in ihrer Beziehung. Nach all der Zeit und den Worten und der Vergebung, die sie beide im letzten Jahr investiert hatten. Aber es war nur für einen kleinen Moment. Nur für heute Nacht... Ein paar Stunden, die unter ein rotes Tuch gekehrt wurden. Sie würden das verkraften. Und sie und Mitch würden es verkraften. Jeder für sich und beide zusammen, irgendwie. Weil sie mussten, so war das immer gewesen.
Ja, Ryatt hatte natürlich Recht. Er hätte es nicht sagen müssen, um Faye daran zu erinnern. Glücklicherweise hatte sie schon ganz allein ein schlechtes Gewissen entwickelt und wusste, dass Victor eigentlich eine Erklärung verdiente. Oder eher einen kurzen Bericht - die Erklärung war schon allgemein bekannt. Auch wenn er ihr natürlich keinen direkten Vorwurf machte, die Nachricht, die gleich darauf auf ihrem Display leuchtete, war verständnisvoll und enthielt als einzige Forderung die Bitte, dass sie ihm sagte, wenn die anderen wieder da waren. Und er schrieb, dass er sie auch liebte. Und sie musste kurz aufpassen, dass es nicht genau diese Worte waren, die ihr sehr akut auf die Tränendrüsen drückten. Weil sie sich das gedankliche wie?? etwas zu spät verkniff und sie gerade nicht die Kraft oder den Nerv hatte, dagegen anzukämpfen und sich die tausend Gründe aufzuzählen, die sie trotz allem liebenswert machten. Sie wusste nicht, ob hinsetzen die passendste Idee gewesen war. Aber stehenbleiben auch nicht. Also waren sie jetzt hier und hielten sich an warmen Teetassen fest, während sie versuchten, mit diesem Abend und seinen Folgen klarzukommen. Und als wäre das nicht genug, scheinbar auch noch mit anderen Problemchen wie Reue und Wehmut. Ryatt sprach die Dinge geschickt so an, dass sie seine Emotionen auf jeden Fall teilen konnte. Obwohl es mitunter ihre eigene Entscheidung gewesen war, so bald von hier weg zu ziehen. Natürlich beeinflusst von vielen Faktoren die ausserhalb ihres Wirkungsgebiets lagen, aber es war trotzdem nicht Ryatt, der von der Bildfläche verschwand, sondern sie. „Naja, das… du hattest deine Gründe. Und kein Mensch trifft immer die richtigen Entscheidungen. Dafür lässt sich unsere Spezies viel zu stark von Emotionen leiten… Manche mehr, manche weniger“, war ihre einmal mehr sehr pragmatische Antwort. Eine von der typischen Sorte, mit der sie jeweils am liebsten auf Fehler und Reue anderer Personen reagierte. Von aussen liess sich das eben leichter mit gutem Wille und etwas Rationalität betrachten. Aber genug zu ihrer persönlichen inneren Dissonanz, die ja jetzt auch nicht unbedingt News für die Welt war. Sie hatte sich noch gar nicht überlegt, dass Ryatt heute Nacht möglicherweise nicht mehr in seine Wohnung zurück sollte. Instinktiv hätte sie ihm gerne direkt das Sofa angeboten... aber das war keine gute Idee und zwar nicht nur, weil das Sofa gar nicht ihr gehörte. War also ganz gut, dass sie, noch bevor sie sprechen konnte, erneut von ihrem Handy unterbrochen wurde. Diesmal wars ein Anruf und diesmal war er auch tatsächlich von ihrer Schwester. Neben der sehr guten Neuigkeit, dass sie beide unverletzt waren, rief Aryana aber mit einer Bitte an, von der Faye eher nicht so viel hielt. Sie konnte ihr den Gefallen schon tun und hier sitzen bleiben, aber ihr Bauchgefühl verhiess dabei die nächste Katastrophe. Gut, hatte sie noch immer nichts gegessen und konnte somit nichts anderes als ein paar Schlucke Tee kotzen, wenn ihr schlecht wurde. Sie hatte bisher vermieden, darüber nachzudenken, was Aryana und Mitch zwischenzeitlich in der Lagerhalle getrieben haben könnten. Aber jetzt, wo sie ihrer Schwester mit klammer Stimme zusicherte, im Wohnzimmer zu bleiben und anschliessend das Handy sinken liess, war das quasi unvermeidbar. Faye starrte ein paar Sekunden abwesend aufs Display, als hätte sie vergessen, dass Ryatt neben ihr sass. Sie hatten sie doch kaum getötet oder? Sie wusste nichtmal, was sie von diesem Gedanken allein halten sollte. Vom Gedanken, dass jemand ihretwegen getötet wurde. Nicht nur im Eifer des Gefechts anonym abgeknallt, sondern sehr persönlich hingerichtet. Man könnte sagen, dass es sie selbst oder Gil und Mateo gewesen waren, nachdem letzterer ihr heute Morgen sehr direkt den Tod angedroht hatte. Und trotzdem... sie spürte eine Gänsehaut am Körper, ein seltsames Frösteln. Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sturm. Ein bisschen viel Sturm. Gil und Mateo hatten es verdient, egal was sie bekommen hatten. Aber Aryana und Mitch hatten nicht verdient, sich einmischen zu müssen. Egal was sie getan hatten. Faye stellte die Tasse bemüht konzentriert auf dem Beistelltisch ab, weil ihre Hände zitterten. Was leicht festzustellen gewesen war, nachdem der Tee bereits übergeschwappt war und ein paar dunkle Tropfen auf ihre Jogginghose gemalt hatte. Auch das Handy blieb neben ihr auf dem Sofa liegen. Sie zog die Hände in die Ärmel des Pullis zurück, rieb sich damit übers Gesicht, als würde das die bösen Gedanken vertreiben und ihr helfen, den Teil ihrer Fassung zurück zu erlangen, den sie hier zu wahren versucht hatte. Sie würde lieber schreien. Wegen absolut allem. Und weil das mit dem Sitzen schon wieder unmöglich wurde, sprang sie auf die Füsse, ging fast schon zielstrebig zur Tür des offenen Wohnzimmers, um diese zuzumachen. Innerlich ertappte sie sich beim Wunsch, Aryana und Mitch würden genau jetzt ganz zufällig zur Wohnungstür reinkommen, dass sie ganz unabsichtlich doch schon einen Blick auf sie erhaschen und sich sicher sein könnte, dass sie okay waren. Das war falsch. Darum schob sie die Tür ins Schloss. Rieb dann unruhig mit ihren Händen an den gegenseitigen Oberarmen, bevor ihr Blick plötzlich zurück zu Ryatt glitt, als hätte sie genau jetzt festgestellt, dass er auch hier war. "Sie... haben sie jemanden umgebracht..?", die Frage war schneller über ihre Lippen gehuscht, als sie darüber hatte nachdenken können, ob sie sie stellen wollte. Aber ihr Gehirn wollte das offensichtlich wissen. Jetzt. Auch wenn Ryatt das selbst nicht zu hundert Prozent wusste, weil er hier bei ihr gewesen war. Sicher wusste er trotzdem mehr von dem Plan... Dem Plan, den Faye rückblickend betrachtet vielleicht mal hätte ansprechen sollen, bevor es zum Eklat gekommen war. Hatte sie nicht. Sie hatte den Tracker organisiert, sich aber nie mit den Folgen befasst, die ein mögliches Kidnapping nach sich ziehen würde. Die nötige Befreiungsaktion, falls sie selbst nicht rauskam, hatte nie in ihrer Verantwortung gelegen. Dumm... Dumm dumm.
Wahrscheinlich hatte Faye auch damit – mal wieder – Recht. Menschen machten Fehler, im Grunde war das der Grundstein unserer Natur. Schließlich bestand das ganze Leben daraus, ständig mal mehr und mal weniger wichtige Entscheidungen zu treffen. Man konnte unmöglich immer richtig damit liegen. Trotzdem fühlte es sich so an, als hätte ich in Hinblick auf Faye und unsere fragile Freundschaft weit mehr als einmal eine verflucht blöde Entscheidung getroffen… und vielleicht war das wirklich egal. Vielleicht waren wir wirklich von vornherein dazu bestimmt gewesen, nur temporär denselben Weg zu bestreiten. Das war auch das, was ich mir gewünscht hatte. Leider änderten sich Wünsche manchmal mit der Zeit. “Mag sein, dass du damit Recht hast, ja… nur war ich früher nie so.”, murmelte ich eine oberflächliche Antwort und zuckte schwach mit den schweren Schultern, ohne die Augen wieder aufzumachen. Ich ersparte es uns beiden lieber, meine Gedanken dazu auszubreiten. Trotzdem war es leider Fakt, dass sich mit Avery in meinem Leben ziemlich viel geändert hatte. Zu diesen ganzen ernsthaft schmerzhaften Gefühlen hätte ich es früher nie kommen lassen, auf keiner von beiden Seiten. Nur konnte oder wollte ich offensichtlich eben nicht mehr nur so von mitmenschlichem Ast zu Ast springen, obwohl ich das nie wirklich als eine temporäre Phase angesehen hatte. Die neue Ära schien jedenfalls den Titel qualvolle Abschiede zu tragen und ich hatte davon jetzt schon die Schnauze voll. Im ersten Moment war ich beinahe froh darüber, dass dieses Gespräch wieder unterbrochen wurde. Allerdings nur so lange, bis ich die Augen wieder einen Spalt weit öffnete und im Augenwinkel sehen konnte, wie unruhig Faye nur aufgrund dessen wieder wurde. Mild ausgedrückt. Ich hob den in den Nacken gekippten Kopf wieder an und mein Blick folgte jeder Bewegung der zierlichen Brünetten, als sie die Tasse loswurde und offensichtlich mit sich rang. Ich hätte beinahe die Hand nach ihr ausgestreckt, um ihr beruhigend über den Rücken zu streicheln. Aber das machte es wieder nur schlimmer, richtig? Im kaputtmachen war ich besser als darin, tatsächlich Linderung zu schaffen. Also setzte ich mich mit einem Schlucken bloß wieder etwas mehr auf, als Faye gerade aufstand und zur Tür ging. Nur um sie zuzumachen und dann sichtbar angespannt stehenzubleiben. Meine Augen ruhten noch immer auf ihr, als ihr Blick in meinen rutschte. Wohlwissend, dass Aryana irgendetwas gesagt haben musste, das ihrer Schwester zugesetzt hatte, in welcher Form auch immer. Nur indirekt bekam ich einen Hint darauf, worum es bei diesem Gespräch genau gegangen war. Allzu viele Optionen gab es da aber wohl auch nicht, in der jetzigen Situation... und ich würde gerne auf ein Nein zur Antwort schwören. Weitere Lügen standen aber nicht zur Debatte und außerdem käme diese sowieso irgendwann zutage. Ich klammerte mich bei der Antwort also an meine eigene Hoffnung: “Kann ich mir nicht vorstellen, nein. Das war nicht das Ziel… die Hernandez haben Niemanden umgebracht…” Jedenfalls nicht in unserem Kreis. “Es würde alles nur in neues Ungleichgewicht bringen. Genau das wollten Aryana und Mitch ja beseitigen.” Ich sprach so klar, wie die Situation und der Inhalt meiner Sätze es mir ermöglichten. Versuchte, die Sache möglichst sachlich darzulegen, um Faye damit hoffentlich einen kleinen Teil des Gedankenkarussels abzunehmen, das ihr so quer übers Gesicht geschrieben stand. Ganz weg war der Kloß in meinem Hals aber noch nicht und ich hatte Aryana und Mitch keine klaren Grenzen in dieser Mission gesetzt. Möglich war es also theoretisch schon. Unabhängig davon, dass sie auf Grenzen von mir wahrscheinlich sowieso geschissen hätten, wenn sie ihnen nicht in den Kram passten, hielt ich sie aber für schlau genug, diese eine, einzige Grenze nicht zu überschreiten. Das würde nur den nächsten Krieg bedeuten. Nur den nächsten Absturz. Das nächste Drama.
Ich lauschte den Worten der Brünetten und wollte ihr gerne glauben, dass uns immerhin heute noch dieses unangenehme Gespräch erspart blieb. Der Tag und die Nacht waren schlimm genug gewesen und ich konnte nur erahnen, was es mit den beiden Geschwistern anstellen würde, wenn sie irgendwann darüber sprachen. Ich war nicht feige, aber da hielt ich mich liebend gern raus, solange nicht explizit etwas anderes von mir verlangt wurde. Vielleicht war Aryana auch nicht unbedingt immer geschickt mit Worten, aber doch sicher etwas schonender im Umgang als ich. Vor allem in Hinblick auf Faye. Auch für mich gehörte sie zur Familie, aber ich machte bekanntlich selten einen Unterschied dabei, wenn es um die Wortwahl ging. Spätestens dann nicht mehr, wenn sich ein gewisses Maß an unangenehmen Gefühlen in meiner Brust breitmachte. So nickte ich auf Aryanas Antwort nur schwach, bevor ich ihrem Anruf nebenbei zuhörte. Dabei sah ich ein weiteres Mal auf meine Hände runter, als würden sie davon sauber werden. Mittlerweile juckte mir der ganze Körper, weil ich das Gefühl hatte, von oben bis unten mit Gils Blut besudelt zu sein, obwohl meine Klamotten und die Weste das meiste davon abgefangen haben mussten. Faye schien dem Anliegen ihrer Schwester zugestimmt zu haben, was soweit ganz gut allein aus Aryanas Worten herauszufiltern war. Das führte nicht automatisch dazu, dass ich mich weniger wie im Sitz festgetackert fühlte, aber es schmälerte zumindest die bösen Vorahnungen. Ich machte kurz die Augen zu, schüttelte wenige Sekunden darauf den Kopf und streckte dann die Hand nach dem Griff an der Beifahrertür auf. Beim Aussteigen spürte ich endgültig, dass das Adrenalin Adieu gesagt hatte. Es war unverhältnismäßig anstrengend, wieder auf die Beine zu kommen. Als hätte ich zehn Kilometer Marsch hinter mir, holte ich meine Jacke in gemächlichem Tempo vom Rücksitz. Mein Hirn schaltete auf Autopilot, als ich den kurzen Weg zur Haustür einschlug. Aufschloss, ohne dabei wirklich darauf zu achten, ob Aryana mir schon folgte oder nicht. Auch die Treppe kam mir länger vor als sonst, während ich mich im Tunnelblick nach oben schleppte. Stufe für Stufe, nach der letzten hob ich die rechte Hand mit dem Schlüssel erneut. Ich traf das Schloss erstaunlich gut, schmiss den Schlüssel drinnen aber nicht unbedingt sanft in die Schale auf der Ablage. Die Schuhe schob ich mir etwa genauso mechanisch von den Füßen, wie ich die Jacke auszog und weghängte. Mir reichte eigentlich schon, was ich im Augenwinkel im Spiegel bei der Garderobe sehen konnte. Ich ging daran vorbei, warf nur einen flüchtigen Blick auf die geschlossene Wohnzimmertür und bog ins Badezimmer ab. Kaum den Pullover über den Kopf gezogen, wurden meine Augen aber doch final vom verspiegelten Glas über dem Waschbecken links von mir angezogen. Ich hielt den Stoff noch in den Händen, während ich mich fragte, wer mich da eigentlich aus diesen halbtoten Augen ansah. Wer da diese fetten Schlieren Blut seitlich am glatt rasierten Kiefer, aber hauptsächlich am Hals hatte. Wie sie da überhaupt hingekommen waren… aber vermutlich war das passiert, als Gils Körper an meinen gekippt war. Weil er bewusstlos geworden war von all dem Schmerz, dem verbrannten Fleisch. Meine Fäuste ballten sich fester in den Stoff und ich schlug wohl nur deswegen nicht rein, weil ich zu weit vom Spiegel weg stand, um ihn ohne weitere Schritte zu erreichen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das konnte sie nachvollziehen und im Übrigen von sich selbst auch behaupten. Sie waren früher alle nie so gewesen. Hätten wohl eher nicht damit gerechnet, jemals in ihrem Leben in einer Situation wie der heutigen zu stecken. Und doch waren sie jetzt hier. Leider alle in eine Sache verstrickt, die sich keiner je gewünscht hätte. Einer Sache, die doch schon so lange vorbei sein könnte und sollte... stattdessen zog sie sich immer weiter und Faye begann gerade erst langsam das Ausmass zu begreifen, das die Folgen der heutigen Nacht haben könnten. Weniger für sie selbst als für Mitch und Aryana, die nie etwas damit hätten zu tun haben sollen. Und alles war einfach so falsch. Dass kein Mord auf der Agenda gestanden hatte, war ein kleiner Trost und sie wünschte, Ryatts Worte hätten eine beruhigendere Wirkung auf sie. Hatten sie aber leider nicht, weil sich ihr Kopf natürlich liebend gern am Rest seiner Worte aufhing. Sie hatten ein Ungleichgewicht beseitigen wollen? Das war der Plan gewesen? Faye hatte nie mitbekommen, dass Victor Aryana in einem Fall wie heute um Vergeltung gebeten hatte. Sie hatte nie darüber nachgedacht, was die Folgen für die Hernandez sein könnten, wenn sie sich wagten, nochmal eine solche Aktion durchzuziehen. Natürlich hatte sie auch gewisse Rachegelüste verspürt... aber sie hatte sich nie so genau mit möglichen Formen der Rache auseinandergesetzt. Sie wünschte sich, Gil wäre längst tot, seit sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Aber was sie sich eigentlich darunter vorgestellt hatte, konnte sie rückblickend betrachtet gar nicht mehr sagen. Irgendwie nicht, dass er ihretwegen starb. Mehr nur, dass er schlicht nicht mehr existierte, von der Bildfläche verschwand, sie sich keine Gedanken mehr um ihn machen und einfach nur ruhig schlafen konnte. Vor allem nicht, dass Mitch und Aryana diesen Mord - oder was auch immer es jetzt eben geworden war - ausführen mussten. Zur Hölle, was hatten sie getan? Was waren die Massnahmen gewesen, die sie hatten ergreifen müssen, um endlich für eine Art Frieden zu sorgen? Frieden war das falsche Wort, es ging maximal um Ruhe. Scheinbar ein gutes Stichwort für die Subjekte ihrer Gedankenwelt, um nachhause zu kommen. Sie hörte die Wohnungstür, konnte sich den Geräuschen folgend vorstellen, wie Mitch und Aryana die Wohnung betraten, sich die Schuhe von den Füssen schoben und in einem anderen Raum als Küche / Wohnzimmer verschwanden. Sie sagten kein Wort und es könnte genauso gut jemand Fremdes heimgekommen sein. Faye hatte sich wieder umgedreht, um die verschlossene Tür vor ihrer Nase anzustarren, hatte eine Hand an das Holz gelegt, als könnte sie dadurch fühlen, was auf der anderen Seite geschah und ihr gerade den Verstand zermürbte. Aber sie wusste es nicht und sie durfte nicht nachschauen und sie durfte jetzt auch kein Breakdown präsentieren, indem sie hier Rotz und Wasser heulend vor der Tür zu Boden sank. Ryatt war noch hier. Nicht bevor sie alleine war, hatte sie sich vorgenommen. Eigentlich auch nicht mehr heute, nicht morgen, nicht übermorgen. Faye versuchte durchzuatmen, auf zehn zu zählen, innerlich im Augenblick präsent zu bleiben. Ihre Finger zu spüren, ihre Zehen, den nassen Teefleck auf ihrem Oberschenkel, die Hitze in ihren Wangen, obwohl ihr eigentlich kalt war, das Brennen in ihren Augen, den Kloss in ihrem Hals. Keinen Nervenzusammenbruch. Faye ging zurück zu Ryatt, setzte sich ohne ein Wort zurück aufs Sofa und nahm sich erneut die Teetasse zur Hand. Das Wasser war noch immer ziemlich warm, aber so bot es vermutlich mehr Ablenkung, als wenn es kalt wäre. "Scheint so, als könnten wir uns die Schuldgefühle diesmal teilen...", das war keine Errungenschaft, auf die sie stolz sein sollten oder die ihnen sogar irgendwas brachte. Nur eine Feststellung und einen kleinen Hinweis zu ihrer Gefühlswelt, die ohne Zweifel wieder Kopf stand.
Sie brauchte ein paar Sekunden länger als Mitch, um sich von ihrem Sitz zu lösen und die Tür aufzumachen. Bis sie bei der Haustür ankam, fiel diese schon beinahe zurück ins Schloss und Aryana konnte gerade noch den Fuss in die Öffnung schieben. Oben in der Wohnung blickte sie auf ihre Schuhe hinab, nur um ganz sicher zu gehen, dass da kein Blut dran klebte. Beschloss dann aber kurzum, dass sie die Stiefel trotz fehlender objektiver Verschmutzung morgen definitiv schrubben musste. Hatte nur keine Priorität jetzt. Das Bad war bereits besetzt und Aryana hatte nicht vor, sich zu Mitch zu gesellen - jedenfalls nicht bevor er geduscht hatte. Dazu war der Raum zu klein und sie konnte sich ganz einfach auch akut nicht mit seinem Anblick und den damit deutlich werdenden Problemen auseinandersetzen, ertrug diese Emotionen schlicht nicht. Trotzdem konnte sie nicht wirklich was tun, bevor sie sich gewaschen hatte. Andererseits dauerte das alles hier zu lange - bis Mitch und sie geduscht waren, verging viel zu viel Zeit. Aryana konnte zumeist auch in schwierigen Situation verhältnismässig rational denken - solang keine akute Gefährdung ihrer Liebsten im Raum stand - und genau dieses rationale Denken sagte ihr, dass sie Ryatt dringend ein Telefonat diktieren sollte. Das Schlafzimmer wollte sie nicht betreten, bevor sie zumindest äusserlich wieder sauber war, aber zu ihrem Glück waren die Waschlappen in einem Schrank im Flur verstaut. Sie holte einen frischen hervor und ging damit ins Gästebad, das leider nicht mit einer Dusche ausgestattet war, aber immerhin mit einem Wasserhahn und Waschbecken dienen konnte. Zuerst schmierte sie ihre Hände dreimal gründlich mit Seife ein und spülte sie mit viel Wasser sauber. Dann griff sie zum Waschlappen, um ihr Gesicht zu waschen. Genaugenommen war gar kein Dreck erkennbar gewesen, aber ihr Gefühl hatte was anderes gesagt und der saubere Lappen auf ihrer Haut fühlte sich besser an, als sie es vielleicht verdient hätte. Nach dieser allgemeinen Katzenwäsche blickte sie an sich runter, um mit einer Sichtkontrolle zu überprüfen, dass nichts an ihr von Blut und Grausamkeit zeugte. Dann band sie die Haare in einem etwas ordentlicheren Zopf zusammen und blickte nochmal in den Spiegel... nur um nach zwei Sekunden den Blick wieder abzuwenden. Sie konnte sich nicht anschauen und sie konnte auch nicht verstecken, dass sie sich nicht anschauen konnte. Ihre Augen sprachen deutlich und für einmal war lügen keine Option. Das half nur alles nichts, sie musste trotzdem mit Ryatt sprechen. Straffte mühsam die Schultern und ging in Richtung Wohnzimmer. Dabei kam sie am Bad vorbei und blieb kurz stehen, lauschte den Geräuschen im Versuch, halbwegs abzuschätzen, wies um Mitch stand. Plätscherndes Wasser war die nichtssagenden Antwort und sie drückte die Augen zu, verlängerte die Pause um ein paar Sekunden, bis sie sich beinahe gefangen hatte und weiter zum Wohnzimmer ging. Letztendlich unfähig, die Tür ganz zu öffnen, schob sie sie nur einen Spalt breit auf, um nach drinnen zu schauen. Ihre Augen trafen selbstverständlich sehr direkt auf die ihrer Schwester, aber immerhin sass sie einige Meter entfernt auf dem Sofa. Vielleicht erkannte sie die Probleme von da aus nicht so klar. Grossartige Hoffnung. "Ryatt, kannst du kurz rauskommen, bitte?", war ihre Forderung, die sie ohne Begrüssung oder irgendwelche anderen Floskeln deponierte. Kaum hatte sie ausgeredet, trat sie wieder von der offenen Tür zurück und blieb für Faye nicht sichtbar im Flur stehen.
Zum ungefähr tausendsten Mal im letzten Jahr fühlte ich mich unfassbar nutzlos. Musste dabei zusehen, wie Faye weiß Gott was für Szenarien in ihrem Kopf abspielte, weil ich ihr damit nicht helfen konnte. Ihr nicht sagen konnte, ich wüsste, was genau passiert war. Auch nicht sagen konnte, dass jetzt endlich alles gut wurde, weil ich dafür keine Garantie hatte. Sie würde nach Los Angeles gehen und ich hoffte wirklich für Faye, dass sie dann endlich durchatmen konnte. Ein neues, schönes Leben beginnen konnte, das nichts von dieser alten Dunkelheit in sich trug. Aber wie gut würde das funktionieren, wenn die andere Hälfte ihres Lebens hier blieb? Mein unruhiger Blick lag ein weiteres Mal voll Wehmut und böser Vorahnung auf ihrem Gesicht, als die zierliche Brünette sich mir wieder näherte. Gerötete Wangen, leicht glasige Augen. Alles an ihr schrie wiederholt nach therapeutisch notwendigen Sitzungen und die Schuld kroch mir fröhlich ein weiteres Mal ganz tief in den Nacken. Ein Gefühl, das wir offenbar auch noch teilten. Ich atmete tief ein und mit einem fast stummen Seufzen wieder aus, bevor ich den nächsten Versuch mit dem Tee wagte. Noch immer sehr heiß, aber inzwischen mit Vorsicht in kleinen Schlucken trinkbar. Nur vom sich gefühlt immer weiter ausbreitenden Übel ablenken tat er nicht ansatzweise ausreichend. “Ich würd’ sie dir abnehmen, wenn ich könnte.”, murmelte ich mit geschlossenen Augen, als ich die Tasse zurück auf meinen Oberschenkel hatte sinken lassen. So funktionierten Gefühle nur leider nicht, sonst hätte ich meine eigenen auch schon an wen anderes abgetreten. Ein weiterer Wunschgedanke, der ins Leere verlief. Aber Faye hatte genug gelitten. Genauso wie die Menschen um sie herum. Könnte ich, würde ich diesen ganzen Ballast auf meine eigenen Schultern umladen. Ich sah automatisch zur Tür auf, als ich hörte, wie sie sich öffnete. Aryanas Gesicht war der nächste Beweis dafür, dass es innerhalb dieser Wohnung wirklich Niemandem auf mentaler Ebene gut gehen konnte. Ich hatte seit ihrer hörbaren Rückkehr noch auf etwas anderes gehofft, aber auch diese Hoffnung wurde mit Schwung begraben. Die ältere Schwester wartete meine Antwort gar nicht ab, bevor sie wieder in den Flur verschwand, was eine gewisse Dringlichkeit nahe legte. Ich beugte mich nach vorne, stellte den Tee ab und stand wegen der stechenden Seite etwas gekrümmt auf. Als ich die Tür ein wenig mehr öffnete, um durchgehen zu können, warf ich noch einen flüchtigen Blick über meine Schulter hinweg zu Faye. Danach machte ich die Tür hinter mir zu. Ob es fair war, Faye nicht mithören zu lassen, war eine Frage, die ich mir in diesem Moment nicht stellen wollte. Wahrscheinlich wollte sie nicht geschont werden. Aber wenn Aryana nur mit mir allein sprechen wollte, musste das trotzdem einen guten Grund haben. Nahm ich zumindest an. “Ist was schief gelaufen?”, fragte ich grade heraus, wenn auch mit gesenkter Stimme, damit bestenfalls nichts bis in den Wohnbereich durchdrang. Ich versuchte Aryana nicht so offensichtlich zu mustern, aber das war ziemlich unmöglich. Sie gab ein ganz anderes Bild ab, als ich es von ihr gewohnt war. Von der starken Soldatin, die ich sonst immer zu sehen bekam, war herzlich wenig übrig geblieben.
Es dauerte noch eine kleine Weile, bis ich damit aufhören konnte, mein Spiegelbild anzustarren, dann die Hände zu lockern und den Pullover in die Wäschebox zu schmeißen. Ich hätte ihn lieber zerrissen. Ganz allgemein gerne irgendwas kaputt gemacht, obwohl ich wirklich erschöpft war. Nur eben mehr mental als körperlich. Ich wurde alle Klamotten los und stieg unter die Dusche. Nachdem ich gewissenhaft das Blut unter den Fingernägeln losgeworden war und ungefähr fünf Mal viel zu exzessiv mit Duschgel über meinen Hals gerieben hatte, war die Haut dort tatsächlich leicht wund. Ich fühlte mich nur einigermaßen sauber genug, als auch der Rest meines Körpers abgedeckt war. Davis sagte immer, dass ich vermeiden sollte, an schlechten Tagen zu lange innezuhalten, wenn es nicht gleichzeitig der richtige Moment dafür war, etwas tatsächlich aufzuarbeiten. Das lud nur so zum Nachdenken und Abrutschen ein, aber am Ende war es ziemlich sicher scheißegal, ob ich zwei Minuten länger unter der Dusche stand oder dann eben im Bett lag, um schlaflos an die Decke zu starren. Es war alles nur aufgeschoben und die Fliesen lachten mich schon nach kurzer Zeit hämisch von der Seite an. Die Vernunft siegte nur um ein Haar. Nicht aber weil ich mich vor den gebrochenen Fingern fürchtete, sondern weil Easterlin einen Arbeitsausfall meinerseits, der aus derartigem Kontrollverlust resultierte, sicher nicht gern sehen würde. Dabei wollte ich gar nicht wieder zur Arbeit. Jetzt noch viel weniger als noch vor ein paar Stunden. Ich drehte das Wasser ab und trocknete mich mit demselben Duschhandtuch ab wie gestern auch. Ging zum Waschbecken, cremte mir das Gesicht ein und putzte mir die Zähne, weil ich absolut sicher nichts mehr Essen würde. Dabei ließ mich jeder weitere Blick in den Spiegel noch kaputter aussehen. Ich putzte mir auch deutlich länger als sonst die Zähne, weil ich zwischen all den Bildern und der Selbstkritik – die eher Selbstgeißelung war – einfach vergaß, damit aufzuhören. Als ich mich vom Spiegel lösen konnte und zur Tür ging, hörte ich Ryatts Stimme und kurz darauf auch Aryanas. Fayes hingegen nicht, weshalb es keinen nennenswerten Unterschied machte, ob ich nun hier wartete oder ins Schlafzimmer ging. Ich verhielt mich trotzdem beinahe wie ein Geist, als ich mit dem Handtuch um die Hüfte den Flur kreuzte. Sah Ryatt nicht an, weil ich wusste, dass mich auch das nur wütender gemacht hätte. Ihn traf vielleicht nur indirekte Schuld an Gils Taten – und an meinen eigenen auch nicht mehr –, aber er war viel zu eng mit alledem verstrickt, um mich völlig kalt zu lassen. Besser also, ich beschäftigte mich hinter geschlossener Schlafzimmertür damit, mir was anzuziehen. Als könnte Stoff irgendwas von dem Monster verstecken, das ich nur auf Biegen und Brechen hinter der Schwelle halten konnte, die es heute auf keinen Fall nochmal übertreten sollte. In eine Jogginghose und ein Shirt gehüllt ließ ich mich auf die Bettkante sinken, einfach nur um einen Moment lang zu sitzen. Dabei fiel mir das erste Mal bewusst auf, dass meine Hände leicht zitterten und war wirklich froh darüber, dass wir hier keinen Schrank mit großflächigem Spiegel hatten. Ich senkte den Kopf und legte die schwächelnden Hände verschränkt an meinen Hinterkopf. Übte Druck auf meinen Schädel aus in der Hoffnung, die Gedanken würden dadurch leiser werden, in diesem viel zu ruhigen Zimmer. Aber es half nicht, kein bisschen. Also stand ich wieder auf und ging weiter zum Fenster, um etwas von der kalten Luft nach drinnen zu lassen.
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Das war natürlich sehr nett von ihm... aber es war letztendlich genauso unmöglich wie sie auch nicht wollte, dass er sich mit noch mehr solchen Gefühlen belastete. Sie war sich sicher, dass seine eigenen Schuldgefühle völlig ausreichten, um ihm das Leben zu vermiesen, da brauchte er nicht ihre noch obendrauf. Sie würde sie lieber ganz in Luft auflösen, einfach dem Universum übergeben und damit abschliessen. Aber ihr Leben bemühte sich bekanntlich ganz gerne drum, ihr immer wieder vorzuhalten, dass sie hier nicht beim Wunschkonzert waren und sie zwar immer aufs bestmögliche Ergebnis hoffen durfte, eigentlich aber besser jedes Mal vom Schlimmsten ausging. Ihr Blick schnellte zur Tür, als sie diese aufgehen hörte, traf damit direkt auf ihre Schwester, die für ein paar schnelle Sekunden den Kopf ins Wohnzimmer steckte. Faye wusste irgendwie nicht, was sie nach dem Anruf vorhin erwartet hatte. Dass beide blutüberströmt die Wohnung betraten und dann sofort unter der Dusche verschwanden, weil sie so keiner sehen sollte. Sie hatte gedacht - oder eben auch wieder nur gehofft - dass der Grund dafür, dass Aryana sie nicht sehen wollte, nicht so aussah. Nicht diese durch und durch aufgewühlten, puren Zwiespalt und inneren Konflikt in sich tragenden Augen umfasste. Die dunklen Augen, die sie sofort wieder zur gleichen Frage zurück führten. Was war in der letzten Stunde alles passiert und mit welchen Folgen?? Die Antwort bekam sie auch jetzt nicht, denn Aryana bat Ryatt darum, zu ihr zu kommen. Nicht Faye. Schlimmer noch, sie schloss sie viel mehr aktiv vom Gespräch aus, weil sie nicht wollte, dass sie zuhörte. Und soviel sei gesagt: Es unterstützte ihren inneren Frieden nicht unbedingt. Sie blickte eher verstört dahin, wo Aryana gerade gewesen war und wo Ryatt jetzt hin ging und ebenfalls verschwand. Er machte die Tür zu und sie blieb alleine im Wohnzimmer sitzen, starrte auf die Tür und spürte deutlich, dass die vorhin schon dumpf angekündigte Übelkeit jetzt deutlich stärker wurde. Und ihre Augen waren feucht. Sie fühlte sich ausgeschlossen, in diese altbekannte Situation zurück versetzt, wo alle immer aufpassen mussten, was sie ihr sagen konnten und was nicht. Weil sie die Wahrheit nicht ertrug. Und wenn die Wahrheit so aussah, dass sie sie nicht ertragen konnte, was beinhaltete sie dann?? Faye stellte hastig die Tasse auf dem Couchtisch ab, da sie sowieso nicht trinken konnte, wenn sie fast kotzte, und sprang wieder auf die Füsse. Wackelig, weil ihr Kreislauf das als zu schnell empfunden hatte. Aber sie war viel zu unruhig um zu sitzen und sie musste dringend etwas tun. Keinen Nervenzusammenbruch. Nur weil sie jetzt alleine war - für ein paar Minuten - konnte sie sich das noch lange nicht leisten. Sonst würde diese Heimlichtuerei für immer so weitergehen. Sie trocknete mit dem Ärmel ihres Pullis ihre Augenwinkel schüttelte im nächsten Ablenkungsversuch ihre Hände, um die angekündigte Taubheit vorzubeugen. Der anhaltende Schwindel zwang sie dann doch zurück ins Sitzpolster, wo sie hastig nach ihrem Handy suchte, Victor die erbetene Nachricht schickte und ihn darüber informierte, dass mittlerweile alle zuhause waren. Sie öffnete ihre Anrufliste, kreiste mit dem Daumen über seinen Namen. Plötzlich hatte sie doch das sehr dringende Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Eigentlich hatte sie das schon die ganze Zeit. Sie wollte mit ihm reden und sie wollte bei ihm sein. Ihm alles erzählen und sehr viel weinen. Sie vermisste ihn nicht erst seit heute, aber jetzt mal wieder ganz besonders. Ihr Finger drückte ganz von selbst seinen Namen an und das Handy startete den Verbindungsaufbau. Vielleicht würde sie irgendwann später dankbar dafür sein, dass Victor keine Chance bekam, den Anruf entgegen zu nehmen. Die zwei Prozent Akku waren schneller aufgebraucht und das Display in ihrer Hand wieder schwarz. Also nicht nur keinen Nervenzusammenbruch und keinen Tee, sondern auch keinen Anruf und keine Nachricht. Das mit der Ablenkung lief echt gut. Fast besser als der ganze Rest dieses Tages. Das sagte auch die nächste Träne, die sie von ihrem Augenwinkel wischte, damit niemand ausser ihr erkannte, dass sie rundum fertig war. Gott sei Dank, hätte man das nur gesehen, wenn sie ihre Augen nicht schnell genug getrocknet hätte. Abgesehen davon war sie nämlich das blühende Leben.
Es war falsch, mit Ryatt zu sprechen und die Tür zuzumachen, das war ihr schon klar. Aber das hier war einfach auch nicht der richtige Moment, um Faye darüber aufzuklären, wie ihr Abend ausgesehen hatte. Falls sie das irgendwann tun würde, dann sicher nicht so zwischen Tür und Angel. Und sie hatte genügend andere Probleme, mit denen sie aktuell nicht umgehen konnte, es überstieg also leider langsam ihre Kapazitäten, jetzt auch noch mit diesem zusätzlichen Problem umzugehen. Also erstmal nur Ryatt, hier auf dem Gang vor verschlossener Tür. War es falsch, dass seine Frage sie schon wieder nervte und sie ihn allein dafür gerne zumindest sehr unfreundlich angeschaut hätte? Musste sie sich nicht fragen, denn nichtmal das Augenrollen, welches sie zustande brachte, wirkte irgendwie annähernd genervt unter all den anderen Emotionen, die so deutlich überwogen. "Natürlich nicht. Und hör auf mich so zu mustern, ich weiss nicht, was du suchst, aber du wirst es nicht finden", sie hätte ja auch lieber erst nach der Dusche mit ihm geredet. Aber hier waren sie nun, weil die Umstände es anders forderten und alles, was sie jetzt sicher nicht brauchte, war eine Inspektion seinerseits. Dafür fühlte sie sich viel zu dreckig und emotional - etwas, was ihr als Person, die gern immer und überall die Kontrolle über alles behielt, bekanntlich so gar nicht in den Kram passte. "Du musst Riley anrufen. Ihr sagen, dass sie ihre beschissenen Brüder holen soll. Sie leben natürlich noch, aber besonders lange sollten sie sich vielleicht nicht in der Halle erholen, wenn das so bleiben soll.", kam sie auf den Punkt, wobei ihre Stimme immer leiser wurde. Nicht undeutlich, nur leise. Weil eine gewisse Person sich im Gegensatz zu Mateo und Gil sehr wohl erholen und eben nicht solche Sachen mithören sollte. Kurz nachdem sie Ryatt seine neue Aufgabe auferlegt hatte, ging die Badezimmertür auf, was ihre Augen fast automatisch anzog. Sie blickten Mitch an, obwohl er nicht in ihre Richtung schaute, folgten ihm, bis er im Schlafzimmer verschwand und da die Tür zuging. Dann klebten sie am Holz, als hätte es Antworten auf Fragen, die sie nicht stellen konnte. Sie wollte zu ihm, wünschte, Ryatt hätte schon verstanden und sich verpisst. Aber dann musste sie immer noch duschen. Und wenn sie geduscht hätte, musste sie trotzdem noch zu Faye. Sie konnte sie nicht einfach in der Wohnung parken und ohne ein Wort zu wechseln hier sitzen und mit ihrem neuesten Trauma fertig werden lassen... oder? Eigentlich nicht. Aber vielleicht musste sie, wenn sie mit ihrem eigenen Kopf nicht klar kam... Nein. Nein, sie musste noch mit Faye reden. Und wenn sie das gemacht hatte, konnte sie zu Mitch. Und dann sah sie sich mit seinem Trauma und ihrem Trauma konfrontiert, mit sehr wenig Nerven und sehr viel Erschöpfung und sehr wenig Ahnung, wie sie mit sehr vielen Emotionen und noch mehr Gedanken umgehen sollte.
ich lass jetzt Mitch diesmal weg, weil tut grad nix. Er dreht nur am Rad und so, wir wissen's jetzt alle. x'D _______
Mitchell hatte für eine kurze Unterbrechung gesorgt und so war ich noch gar nicht dazu gekommen, Aryanas Worte zu verarbeiten. Meine Augen folgten ihm ähnlich wie ihre. Es war nicht wirklich seine Art, Blicke zu meiden – demnach war es ziemlich sicher absichtliche Ignoranz unserer Anwesenheit. Auch ohne direkten Blickkontakt wirkte er sehr angespannt, um es mild auszudrücken. Glücklicherweise gab es für mich noch etwas anderes, woran ich mich aufhängen konnte: Aryanas Antwort mit anschließender Aufforderung. Grundsätzlich alles in den falschen Hals zu kriegen, war wirklich ihre Paradedisziplin. Zumindest schien sie es bei Leuten, denen sie nicht traute oder die sie per se einfach nicht mochte, genau darauf anzulegen. So wie sie reagierte, war es einzig der Situation geschuldet, dass sie nicht noch mehr dazu sagte. “Ich wollte nur sicher sein, dass du unversehrt bist. Wenigstens körperlich.” Was in ihrem Gesicht passierte, hatte allem Anschein nach keine Unterstützung von körperlichem Schmerz. Auch wenn sie Faye am Telefon schon versichert hatte, dass sie unverletzt waren, schadete ein zusätzlicher Blick diesbezüglich nicht. Nur auf ungefähr allen anderen Ebenen war diese Kontrolle absolut nicht hilfreich. Es war aber auch nicht wirklich so, als könnte ich bei Aryana noch viel mehr verbocken, als ich es ohnehin schon getan hatte. Das machte den Kohl jetzt nicht mehr fett. Vielleicht sollte es mich irgendwie mehr schockieren, dass ich Riley aus diesem Grund anrufen sollte. Es kam nur nicht wirklich überraschend. Sie hatten Victor und Faye damals übel zugerichtet aus der Folter entlassen… es sprach also alles für eine ähnlich bestialische Vergeltung, um sie daran zu hindern, ihre widerlichen Finger noch einmal in unsere Richtung auszustrecken. Auge um Auge, Blut für Blut. Ich senkte für einen Moment den Blick und nickte mit einem leisen Räuspern. “Ich ruf sie gleich an.”, lieferte ich Aryana die einzige Antwort, die es an dieser Stelle zu sagen gab. Allerdings folgte zwei stumme Sekunden später noch ein Zusatz: “Ich verabschiede mich nur zuerst.” Bei diesen Worten ging ich schon den einen Schritt zurück zur Tür hinter mir und tastete nach der Klinke, bevor ich sie mit einem letzten Blick zu Aryana erneut passierte. Eine Minute mehr würde nicht über Leben und Tod entscheiden. Wäre dem so, hätte ich schon früher anrufen müssen. Als die Tür hinter mir dann zurück ins Schloss fiel, stellte ich zum hundertsten Mal fest, dass ich nicht bereit für den Abschied war. Schon gar nicht, wenn ich in Fayes Gesicht sah. Obwohl es in der Theorie gar nicht der Abschied war, wenn wir hier ausnahmsweise mal vom besten Fall ausgingen. Es war leider absolut nicht das erste Mal, dass ich sie am Boden zerstört sehen musste. Nur wurde es gefühlt mit jedem Mal schmerzhafter. Vielleicht täte es mir langfristig sogar gut, mich so hässlich von ihr verabschieden zu müssen – damit ich für immer genau dieses Bild mit all dem Schaden, den ich verursacht hatte, vor Augen hatte. Damit mir all das hier eine gehörige Lehre war. Aber das war doch einfach nur beschissen. Ich tat mir schwer damit, mich von der Tür zu lösen und auf Faye zuzugehen, meine Schritte waren langsam. “Ich muss einen Anruf machen… und hab mein Handy unten im Auto gelassen.”, fing ich leicht stockend damit an, mein Verschwinden einzuleiten. Es war richtig so, oder? Meine Anwesenheit stocherte nur in Wunden herum. “Es ist das Beste, wenn ich dann gleich gehe, denke ich… wegen den anderen beiden.”, die mich nach wie vor nicht gerade als ihren besten Freund betitelten. Andererseits war mir einen Gedanken später dadurch nur noch unwohler damit, Faye hierzulassen. Zusammen mit zwei offensichtlich genauso kaputten Menschen. Damit sie alle gemeinsam noch tiefer sinken konnten. Wunderbar, wirklich. Ich ließ mich noch einmal kurz neben der Brünetten ins Polster sinken, weil sie nicht so aussah, als wäre es eine gute Idee, sie aufstehen zu lassen. Zumindest eine kurze Umarmung musste aber drin sein, also streckte ich die Arme nach ihr aus. Nur für den Fall, dass das mit dem offiziellen Abschied nicht hinhauen würde, aus welchen Gründen auch immer. “Aber du kannst anrufen… falls du nicht schlafen kannst… nicht allein sein willst… egal was.”, murmelte ich währenddessen mit brüchiger Stimme an ihr Ohr. Ich war sowieso wach und viel schmerzhafter wurde es heute nicht mehr. Der Kloß im Hals wurde wieder dicker, die Augen feuchter.
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passt schon, er soll mal chillen. xD Aryana ist jetzt auch nur ganz kurz, die kommt dann nachher wieder, wenn Ryatt weg ist. xD ...und Faye ist auch kurz, weil ich nichts mehr zu schreiben weiss, lel. x'D ___________
Das hatte sie im Prinzip schon erwartet, es nervte sie aber trotzdem. Beide Brüder waren bereits gefesselt gewesen, als Ryatt die Lagerhalle verlassen hatte, wie hätten sie sie also noch gross verletzen sollen? So unvorsichtig waren Mitch und sie im Normalfall nicht. Offenbar auch nicht in einer solchen Ausnahmesituation. Aber Aryana sagte nichts mehr dazu und nahm die Erklärung einfach zur Kenntnis. Auch auf seine Bestätigung bezüglich des Anrufs nickte sie nur knapp und damit war das Gespräch eigentlich auch schon beendet. Zumindest fast. Ryatt hatte sich schon wieder zur Tür umgewandt, die Klinke bereits in der Hand, als Aryana ihn für eine zweite kleine Bitte stoppte. "Sag ihr bitte, dass ich nachher zu ihr komme... ich will nur zuerst duschen", wünschte sie, redete dabei natürlich von Faye. Inwiefern sie nach der Dusche bereit für ein Gespräch wäre, wusste sie nicht, aber sie würde ihr wenigstens noch eine halbwegs erholsame Nacht wünschen gehen, bevor sie sich zu Mitch verzog. Und es wäre besser, wenn Ryatt das schonmal ankündete, nicht dass Faye glaubte, Aryana wollte überhaupt nicht mehr mit ihr reden. Dann liess sie ihn jedoch gehen, um sich selbst ins Badezimmer zu begeben und alle Klamotten, die ihr gefühlt am Leib klebten, in der Wäsche verschwinden zu lassen, bevor sie sich mit ausreichend Seife bewaffnet unter die Dusche stellte. Auch die Haare brauchten mehrere Waschgänge, weil sie nicht riskieren konnte, dass sie später noch nach verbranntem Fleisch rochen. Am liebsten hätte sie auch Nase, Luftröhre und Lungen von innen nach aussen gekehrt, um alles gründlich zu waschen. Sie hatte den Geruch noch immer in der Nase - oder halt im Kopf. Hatte Mateo quasi eingeatmet. Allein die Vorstellung war einfach ekelhaft. Und sie war selbst schuld, weil sie ja das Feuerzeug absichtlich nicht weggezogen hatte. Seine Haut und ihn hatte brennen sehen wollen.
Sie brauchte nicht besonders lange auf das schwarze Display unter ihren Fingern zu starren. Aryana schien Ryatt nicht viel zu sagen zu haben, so schnell wie er wieder im Wohnzimmer stand. Allerdings nicht mit der Absicht, sich wirklich wieder zu ihr zu setzen, sondern um sich zu verabschieden, weil er einen Anruf machen musste. Was für einen Anruf? Wer brauchte um diese Uhrzeit ihrem Plan zufolge einen Anruf? Und warum sagte Ryatt ihr das nicht von sich aus? Sie hätte ihn fast gefragt. Aber wenn er diese Info hätte teilen wollen, hätte er das getan. Er sagte nichts dazu. Also blieb sie weiterhin von diesem Wissen verschont... oder ausgeschlossen, je nachdem ob man die Sache nett oder realistisch ausdrücken wollte. Und auch sie sagte nichts dazu. Als er sich zu ihr setzte und die Arme öffnete, erwiderte sie die Umarmung zum Abschied, auch wenn sie sich nicht gut anfühlte. Diesen Anspruch konnte hier und heute wohl sowieso niemand mehr haben. "Okay... du... du kannst auch anrufen, wenn etwas sein sollte... Und pass auf dich auf, ich hoffe, dir ist nicht zu kalt...", lenkte sie ihre eigenen Gedanken mit Worten zurück auf ein Problem, welches sie selbst nicht wirklich betraf. Sie machte sich nicht direkt Sorgen um ihn, so lang war die Nacht nicht mehr und er hatte sicher schon bei kälteren Temperaturen im Auto gesessen. Schön war trotzdem anders. Schön hatte es hier gerade niemand. Noch ein Grund, sich zu wünschen, dieser Abschied wäre noch nicht der letzte. In ein paar Tagen ging es ihnen sicher allen schon etwas besser. "Ich melde mich dann, sobald ich... naja, irgendwie weiss, wie die nächsten Tage aussehen", meinte sie, als sie sich schon wieder voneinander gelöst hatten. Sie hatte es nochmal sagen wollen, damit Ryatt wusste, dass sie den Abschied tatsächlich noch irgendwo einplanen wollte. Dass sie ihn brauchte, um auch für sich irgendwie mit Seattle und allem, was sie hier zurückliess, abzuschliessen. Mit der Zeit ihrer Freundschaft, die für sie beide wichtig gewesen war. Obwohl sie ohne jede Frage viel zu viele Tiefpunkte mit sich gebracht hatte, die keiner je gewünscht hatte.
In der Kürze liegt die Würze... oder so. Manchmal braucht's halt einfach nicht mehr. :'D ____
Ich würde Faye vermutlich nicht mal dann anrufen, wenn tatsächlich irgendwas wäre. Schon nur deswegen, weil sie mehr als genug mit sich selbst und mit dem zu tun hatte, von dem sie bisher nur raten konnte, was es war. Möglicherweise sollte ich es besser wissen, weil solche Situationen mit mir alleine aushalten zu müssen, bekanntlich selten zu guten Ergebnissen geführt hatte. Aber falls Faye aufgrund der Erschöpfung tatsächlich einigermaßen schlafen konnte, wollte ich sie dabei nicht auch noch stören. “Mach ich.”, erwiderte ich trotzdem. Wohlwissentlich, dass das auf zwei Dinge bezogen werden konnte. “Hab ja noch die Decke… und das Benzin wird nicht ausgehen.”, hängte ich kurz darauf murmelnd an, mit der Intention, der Brünetten wenigstens diese unnötige Sorge zu ersparen. Den Motor wegen der Heizung laufen zu lassen war nicht gerade umweltfreundlich, schon klar. Das war in meinem Zustand allerdings echt nichts, worauf ich gerade Wert legte. Faye versicherte noch, dass sie sich melden würde, wenn sie in ihrer Planung irgendwo eine brauchbare Lücke für uns fand. Ich nickte und zog die Mundwinkel dabei flüchtig zu einem viel zu verspannten Lächeln hoch, bevor ich mich vom Sofa erhob. “Aryana kommt gleich noch zu dir… sobald sie im Bad fertig ist.” Ich hätte es beinahe vergessen, vor lauter unangenehmem Herzflattern. Für beide Schwestern hoffte ich aufrichtig, dass dieses – wahrscheinlich eher kurz ausfallende – Aufeinandertreffen wenigstens im Ansatz ihre Nerven beruhigen konnte. Im Worst Case wurde alles dadurch noch schlimmer, aber davon wollte ich nicht ausgehen. Mein Kopf war so schon überladen genug. “Ich hoffe, du findest zumindest ein bisschen Schlaf.”, war mein letzter lieb gemeinter Wunsch in Fayes Richtung, bevor ich mich schweren Herzens endgültig von ihr abwendete. Wie vorhin auch schon, warf ich einen flüchtigen Blick über meine Schulter, bevor ich endgültig den Raum verließ. Im Flur blieb ich direkt hinter der Tür noch einen Moment lang stehen und atmete tief durch. Ging dann weiter zu meinen Schuhen und zog sie beinahe falsch herum an. Kurzzeitig musterte ich noch den Boden im Eingangsbereich, so als müsste eigentlich irgendwo Blut zu sehen sein. War da aber nicht, also wandte ich den Blick mit einem Kopfschütteln davon ab und verließ die Wohnung. Die Stufen abwärts fluchte ich leise, weil mir jede kleine Erschütterung den Schnitt an der Seite stechen ließ. Ich versuchte mir sowas wie passende Worte zurechtzulegen, bis ich beim Auto ankam. Die ausgekühlte Jacke fischte ich aus dem Kofferraum und zog sie an. Als ich vorne auf den Fahrersitz rutschte, zog ich im gleichen Atemzug das Handy aus der Jackentasche. Kaum war die Tür geschlossen, wählte ich Rileys Nummer. Es dauerte einen Moment, bis sie ranging. Anders als sonst konnte ich ihr den süffisanten Tonfall heute tatsächlich erfolgreich ausreden, bevor ich sie abwürgte und den Wagen anschmiss.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ja echt. Und ist ja nicht so, als würden meine Posts im Allgemeinen zu wenig Drama enthalten. Ich glauben nicht, dass ich da was aufholen muss.. xD ______________
Sie hätte Mateo die Schulter nicht noch ausrenken müssen am Ende. Eigentlich war ihre Message da schon deutlich genug gewesen. Aber sie hatte kein Risiko eingehen wollen, war sich nicht sicher gewesen, ob Mateo wirklich endgültig verstanden hatte, dass er sich nie wieder blicken lassen sollte. Hatte es ihr Spass gemacht? Nein, oder? Nichts davon. Es war nichtmal wirklich eine Genugtuung gewesen, das Blut fliessen zu sehen. Alles hatte sie angewidert, alles war hässlich gewesen. Hatte sich in ihre Erinnerungen gebrannt und würde sich von da nicht wieder löschen lassen. Ein Horrorfilm, bei dem sie nicht rechtzeitig die Augen zugemacht hatte. Sie würde sogar behaupten, dass sie sich jetzt besser fühlen würde, wenn sie die beiden Brüder einfach erschossen hätten. Kurz und schmerzlos. das wäre weniger traumatisch gewesen. Allerdings auch komplett am Ziel vorbei und sie hatte abgesehen von Warren noch nie einen gezielten Mord begangen. Wahrscheinlich war das eine Grenze, die sie nicht nochmal überschreiten durfte... Sicher hatte auch die Folter dieser Nacht hinter einer Grenze gelegen, die sie nie hätte passieren sollen. Sie merkte es längst sehr deutlich, Mitch merkte es und alle anderen auch. Und noch immer gab es nichts, was sie sonst hätten tun können. Ohne die Folter hätte der Besuch keine Wirkung gezeigt. Die hätten sich nie so leicht abwimmeln lassen. Oder vielleicht doch? Wenn sie sie nur festgebunden und Faye befreit hätten, was wäre dann passiert? Faye ging sowieso nach L.A., hätte da dann wirklich noch eine für sie relevante Gefahr bestanden? Vielleicht für Ryatt. Aber das Druckmittel wäre weg gewesen. Und sie und Mitch waren keine nutzbaren Druckmittel, da war keine Freundschaft, die sie mit Ryatt verband. Hatte sie es also in der Wut einfach nicht gesehen oder wäre eine Befreiung allein wirklich keine Lösung gewesen? Es war Victors Wunsch gewesen, dass sie Rache ausübten. Wahrscheinlich hatten sie darum gar nichts anderes in Betracht gezogen, weil sie ihm schon zugesichert hatten, in einem solchen Fall keine Gnade und Nachsicht walten zu lassen. Keine weiteren Chancen zu verteilen. Der imaginäre Gott allein wusste, was das jetzt für sie und Mitch bedeuten würde... Auch wenn das Wasser, welches während ihrer Dusche den Abfluss runter schwemmte, ihrem Gefühl zufolge nicht annähernd rot und dreckig genug war, drehte Aryana irgendwann den Hahn zu und verliess die Dusche. Beschäftigte sich so kurz wie möglich vor dem Waschbecken und damit auch vor dem Spiegel mit ihrem Gesicht, ihren Zähnen und ihren Haaren. Dann wickelte sie sich in das grosse Handtuch und ging ins Schlafzimmer. Sie musste irgendwas anziehen, bevor sie zu Faye ging, auch wenn sie lieber zuerst zu ihrer Schwester und dann erst zu Mitch gegangen wäre. Im Schlafzimmer war es kühl, wie sie feststellte, als sie die Tür öffnete. Mitch musste zwischenzeitlich das Fenster aufgemacht haben. Sie schlüpfte in frische Unterwäsche und ihren langen Schlafanzug für die kalte Jahreszeit, bevor ihre Augen etwas länger an ihrem Freund hängen blieben. Aber sie sollte sich noch nicht mit ihm befassen. "Ich geh noch kurz zu Faye...", informierte sie ihn wahrscheinlich überflüssigerweise darüber, dass sie nochmal eine Runde drehte, bevor sie unter die Bettdecke schlüpfen oder sich zumindest ins Bett setzen konnte. Ihren Worten folgend verliess sie das Schlafzimmer nochmal und ging stattdessen zu ihrer Schwester. Sie fand Faye im Büro / Gästezimmer, welches vor ein paar Wochen vorübergehend zu ihrem Zimmer geworden war. Sie sass einfach nur da und starrte auf ihre Füsse und Aryana wusste mal wieder so gar nicht, was sie sagen oder tun sollte, liess sich nach kurzem Zögern neben Faye aufs Bett sinken. Das Gespräch fiel wie erwartet ziemlich kurz aus. Aryana erkundigte sich, ob Faye schon mit Victor gesprochen hatte und bekam ein Nein, bis auf die Textnachrichten zurück. Auf die Frage, ob sie irgendwas für sie tun konnte, schien Faye kein Anliegen äussern zu können. Sie wollte nur wissen, ob es Aryana und Mitch gut ging, bedankte sich für die Befreiung und bat darum, morgen Aryanas Auto ausleihen zu dürfen, weil sie in ihre Wohnung musste aber ihr Auto noch beim Krankenhaus stand. Aryana hatte diesen Termin gar nicht wirklich präsent gehabt und wenn, dann wäre sie sich davon ausgegangen, dass Faye ihn verschieben würde. Dem war aber scheinbar nicht so und obwohl sie natürlich sofort ihre Hilfe anbot, war es sicher besser, dass Faye diese dankend ablehnte und meinte, das auch alleine zu schaffen. Sowohl weil sie keine Ahnung hatte, wie es Mitch und ihr morgen früh ging, als auch weil sie und Faye ein klärendes Gespräch brauchten, wenn nicht jede folgende Unterhaltung so verkrampft und unbeholfen ausfallen sollte wie diese hier. Das war dann wohl auch die Quintessenz ihres Gute-Nacht-Schwatzes. Immerhin kriegten sie es beide hin, die Umarmung am Ende nicht genauso umständlich zu gestalten wie den Rest. Wenigstens darin lag ein Funke Normalität und Zuversicht, verbunden mit Dankbarkeit und Liebe. Die positiven Emotionen würden nur leider nicht lange nachklingen, das spürte Aryana schon, als sie das Zimmer ihrer Schwester verliess und die Tür dabei einen Spalt breit offen stehen liess. Sie ging zur Wohnungstür, um dort nach Ryatt noch die Tür abzuschliessen und trat dann final zu Mitch ins Schlafzimmer. Sie schaltete das grosse Deckenlicht aus und zog die Tür zu, ging auf ihre Seite des Bettes und schlüpfte unter die kalte Bettdecke. Erst dann liess sie ihre Augen nach ihrem Freund suchen, versuchte sofort, einzuschätzen, wie es ihm in der Zwischenzeit ergangen war, was er dachte, was er fühlte. Was das bedeuten könnte für heute, morgen und übermorgen.
Als würd' uns hier jemals auf irgendeiner Ebene Drama fehlen können... XD ________
Es fühlte sich so an, als würde mir die kalte Luft nach zwei Minuten schon die noch nassen Haare einfrieren. Trotzdem war es angenehm. Ein bisschen wie damals auf dem Balkon, als ich mich ins Abseits getrunken hatte. Nur nahm ich es diesmal bewusster wahr. Es war ruhig draußen. Keine Vögel oder Autos zu hören, dafür war gerade schlicht die falsche Zeit in einem Wohngebiet. Auch meine Arme und mein Gesicht kühlten ab, während ich die Umgebung musterte. Nur die Straßenlaternen verbreiteten ein wenig Licht, abgesehen davon war es dunkel. Um diese Uhrzeit sah ich für gewöhnlich nicht aus dem Schlafzimmerfenster – trotzdem wirkte es so, als wäre alles wie immer. Eine ganz normale Nacht, nach einem ganz normalen Tag. Meine Finger verkrampften sich an der Kante des kalten Fensterbretts und ich mahlte mit dem Kiefer. Alles daran fühlte sich von jetzt auf gleich wieder unfassbar falsch an. Hier zu leben, zwischen all den Familien in der Nachbarschaft, obwohl ich wusste, wozu ich fähig war… und nicht nur ich. Aber für diese Leute waren wir nicht gefährlich. Wir konnten das unterscheiden, richtig? Bemüht beherrscht schloss ich das Fenster, als die Kälte beinahe schmerzhaft auf der nackten Haut wurde. Ich schleppte mich zurück zum Bett, wo ich unter die Bettdecke kroch, um wieder warm zu werden. Aryana kam wenig später ins Zimmer – so wie sie immer aussah, wenn sie frisch aus der Dusche kam. Jedenfalls auf den ersten Blick, auf den zweiten nicht mehr. Meine Augen folgten ihr nur deshalb, weil sie das einzige war, das sich in diesem Raum bewegte. Ich nickte auf ihre Worte bloß stumm, bevor meine Augen auf die Bettdecke abrutschten. Genau da blieben sie auch kleben, als ich wieder allein war. Sie folgten dem dezenten Webmuster der Bettwäsche, als würden mir die Linien den Weg aus dieser ungewollten Achterbahnfahrt aufzeigen. Mit einem angestrengten Atemzug rollte ich mich irgendwann auf die Seite und zog die Decke bis unters Kinn. Eigentlich schrie alles in mir danach, mich nicht der noch leeren Betthälfte, sondern der Wand auf der anderen Seite des Raumes zuzuwenden. Ich wollte Aryana nicht sehen lassen, was ich durchmachte. Das einzige, das ich noch weniger wollte, war allein zu sein. Allein mit meinen Gedanken und den schmerzhaften Abgründen, die sie bereit hielten. Trotzdem hatte ich die Augen geschlossen und öffnete sie noch nicht, als die Brünette zurück ins Zimmer kam. Erst als ihr Gewicht auf der Matratze spürbar war und schon ein paar Sekunden Ruhe eingekehrt war, hob ich die Lider und mein Blick fand sofort den ihren. Ich versuchte gar nicht erst, ein Geheimnis daraus zu machen, wie ich mich fühlte. Selbst mit dem besten Pokerface hätte Aryana dahinter blicken können. Außerdem sah sie mich genauso an – war wie so oft der Spiegel, dem ich nichts vormachen konnte und in den ich manchmal lieber nicht sehen wollte. Es dauerte einen weiteren stillen Moment, bis ich in ihrem traumatisierten Blick das fand, was ich finden musste. “Sieht so aus, als hätten wir… das nächste Gefängnis gemauert…”, flüsterte ich in die erdrückende Stille hinein. Merkte, wie meine Augen dabei ein wenig zu brennen anfingen. “...aber wenigstens sitzt diesmal keiner alleine drin.”, vollendete ich den Satz noch leiser, bevor etwas Bewegung in mich kam. Nur gerade so viel, dass ich die Bettdecke direkt vor meiner Brust anhob, um dort Platz für Aryana zu machen und die Wärme auf meiner Betthälfte zu teilen. Niemals wäre ich in diesem Moment fähig dazu, der Brünetten satzweise zu diktieren, wie kartenhausartig mein Schädel in der letzten Stunde mal wieder in sich zusammengeklappt war. Dafür war das alles viel zu frisch, viel zu schmerzhaft. Doch es gab keinen Grund dafür, sie auch körperlich auf Abstand zu halten. Ihre Hände und auch ihre Seele waren genauso in Blut und Ruß getränkt wie meine.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈