Hatte jetz keinen Bock nochmal im RP genau nachzusehen ob da ein spezifischer Tag drinstand, sondern hab mich mit dem Datum nur nach der Zeitsprungliste orientiert. 🤷♀️😂 ______
"Vierter Dezember.", nannte ich Faye den exakten Tag. Anfang des letzten Kalendermonats würde die Frist verstreichen und damit unweigerlich der Tag des jüngsten Gerichts anrücken. Das war in weniger als eineinhalb Monaten und auch ich konnte nur bedingt vorhersehen, was dann genau passierte. Ob sie Faye wirklich noch einmal so schrecklich in die Mangel nehmen würden… ich wusste es nicht, aber es war denkbar. Völlig leer war die Drohung bestimmt nicht, also ja - sie sollte bitte von hier verschwinden. Dass sie nicht hierbleiben würden, wenn sie ihre Beziehung neu aufrollten, war ohnehin klar gewesen. Unglücklicherweise war der beste Zeitpunkt für den Umzug eigentlich nicht jetzt, wo sie wahrscheinlich noch überhaupt nicht darauf vorbereitet waren. Der Gedanke daran, Faye in Zukunft womöglich nie wieder zu sehen, bereitete mir Bauchschmerzen. Trotzdem nickte ich langsam, sah dabei auf meine Jeans hinab. "Ja, das… ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, ihnen durch die Lappen zu gehen.", bestätigte ich langsam. Ich für meinen Teil saß dann aber nach wie vor hier fest, was - wie Victor schon bemerkt hatte - vorübergehend lösbar war, indem ich Easterlins Gelände nur noch im Notfall verließ. Die Hernandez hatten keine Chance, ohne Zutrittsberechtigung diese Festung zu betreten. Aber das war auch keine Dauerlösung. Auf der Arbeit zu wohnen war nicht lebenswert und ich hatte keine Ahnung, wie ich da heil herauskommen sollte. Es war aber erstmal wichtiger, dass Faye da nicht nochmal mit reingezogen wurde. "Geht das… ansatzweise unauffällig? Der Umzug, meine ich. Wenn sie euch im Blick haben, solltet ihr am besten keine Gründe für Verdacht liefern…", weil die Geschwister sonst ziemlich sicher entweder direkt zu ihnen oder zu mir kamen, weil sie mich verdächtigten, geplaudert zu haben. Ich sprach etwas undeutlich, weil es nun mal meine Schuld und entsprechend unangenehm war, dass die beiden nun in Windeseile ihre Zelte abbrechen mussten. Es war egoistisch gewesen, Faye zu verschweigen, dass sie von Anfang an die Zielscheibe gewesen war. Zu egoistisch. Fühlte sich alles andere als richtig an, jetzt wo ich die beiden voller Sorge im Polster hängen sah. Auf die gezielte psychische Folter des Teufelspacks kam also noch meine eigene mit obendrauf. Auf diese Weise sollte unsere Freundschaft nicht enden und ich hatte die leise Befürchtung, dass genau das passieren würde. Es tat weh, die beiden jetzt so zu sehen, obwohl es das nicht sollte. Schmerzhafter würde wohl nur ein endgültiger Abschied werden. "Diese Wirkung verfehlen sie selten...", stellte ich mit einem tiefen Atemzug fest und lehnte mich zurück, bevor ich mir einmal mit Nachdruck übers Gesicht rieb.
Als Faye mit ihren Worten am Ende angelangt war, neigte ich ihr den Kopf zu und hauchte einen Kuss in ihr Haar. Lehnte noch einen Augenblick länger mit dem Kinn und geschlossenen Augen an ihrem Kopf, um das alles sacken zu lassen. So gut wie das in so kurzer Zeit eben möglich war. Es schien schon wieder alles den Bach runterzugehen und von diesem ständigen Karussell wurde mir schon wieder schwindelig. Es sollte endlich vorbei, nicht mehr unser Problem sein. Ich blickte wieder zu Ryatt. Das Ganze hier war einfach nicht fair. Für Faye nicht, für mich nicht und streng betrachtet auch für ihn nicht. Er hatte Sean schließlich nicht befohlen, kriminell zu werden und dafür konnte man eben eingebuchtet werden, wenn man aufflog. Trotzdem hatte auch der Veteran im Sessel hier in meinen Augen Fehler gemacht, die ich ihm nicht hier und heute verzeihen konnte. Vielleicht war er im Grunde gar nicht so verkehrt, weil Faye sonst wahrscheinlich nicht mit ihm befreundet wäre, aber das reichte mir nicht als guter Grund. "Naja… ich muss in ein paar Tagen wieder arbeiten und nachdem ich das jetzt definitiv nicht mehr hier tun werde, sondern den Standort wechsle, ist das wahrscheinlich nicht wirklich auffällig für sie. Weil ich dann leider erstmal alleine weggehe und Faye noch hier bleibt. Ich war vorher ja schon ohne sie weg, also... nicht besonders auffällig, denke ich.", erklärte ich Ryatt bemüht sachlich mit abschließendem Seufzen, dass wir eher nicht gemeinsam sofort hier weg konnten. Das ging schlicht nicht und auch, wenn ich mich mental schon mehrfach mit solch hässlichen Umständen auseinandergesetzt hatte, wurde bei mir bei dem Gedanken daran, vorerst alleine nach L.A umzusiedeln, richtig schlecht. Dank Bürokratie war es unmöglich, ein Leben von heute auf morgen vollständig zu beenden und woanders ein neues anzufangen. Außer vielleicht, wenn man nach Alaska auswanderte und sich gefälschte Ausweispapiere mit neuem Namen erstellen ließ, um für immer komplett unterzutauchen, was definitiv nicht unser Plan war. Ich wollte endlich frei sein und alle Altlasten mit ruhigem Gewissen hinter mir lassen. Ryatts Augen lagen nach meiner Antwort einen Moment lang auf Faye, bevor er zurück zu mir sah. "Das ist gut… mehr oder weniger eben.", erwiderte er mit leicht gedrückter Stimme. Schien nicht recht zu wissen, was er sonst dazu sagen sollte. Es war für mich ein sehr zweischneidiges Schwert. So gerne ich auch schleunigst von hier weg und in die Sonne L.A.s wollte, genauso ungerne ließ ich Faye alleine hier. "Wann… kannst du weg?", fragte er an meine Freundin gerichtet, weshalb er erneut in ihre Richtung blickte. Gute Frage, weshalb ich den Kopf ebenfalls Faye zuwandte. Sie hatte ja eigentlich sowas wie einen Notfallplan. Das änderte nur nichts daran, dass wir nicht beide für immer jetzt sofort weg konnten… und dass sie eigentlich mit zu mir nach Kalifornien sollte, nicht zu ihrer Verwandtschaft in Colorado. Wobei mir auch das recht wäre, solange sie nur nicht mehr allzu lange hierblieb, wo sie jeden Tag Gefahr lief, nochmal von einem dieser Wahnsinnigen von der Straße geholt zu werden. Trotzdem waren die Umstände rund um diesen jetzt noch plötzlicher anstehenden Umzug rundum beschissen. Wir hatten uns ja noch keine Wohnungen angesehen, ich würde vorübergehend wieder aus dem Koffer leben müssen und das war ich schon das letzte Mal schnell leid geworden. So gut wie bei meinem Abschied in Vegas fügten sich die Dinge hier und heute keineswegs. Mal ganz davon abgesehen, dass es mindestens mittelmäßig riskant war, in meinem Job wieder arbeiten zu gehen, wenn ich mit dem Kopf eigentlich ganz woanders war.
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Ach ich glaube kaum, dass da ein Datum stand... Wir haben sehr selten Daten fixiert bisher. xD ________
Vierter Dezember war zu bald. Aber sie hatte gewusst, dass es zu bald sein würde. Sie waren einfach noch nicht bereit für den Umzug und damit war eben grundsätzlich jede Antwort, die er ihr hätte geben können, mit zu bald zu quittieren. Vielleicht hätten sie besser direkt nach Victors Rückkehr mit dem Umzug begonnen, anstatt erstmal die Zeit zu geniessen und mal noch gemütlich in den Urlaub zu fliegen. Das hätten sie auch später tun können und dann wären sie jetzt vielleicht besser vorbereitet auf das Worst Case Szenario. Hätte, wäre, könnte... es brachte nichts. Sie brauchten eine Lösung für jetzt, nicht für vor zwei Monaten. Und diese einzige Lösung schien ein sofortiger Umzug zu sein, wie auch Ryatt bestätigte. Ein unauffälliger, sofortiger Umzug. Wie zog man unauffällig um? Indem man alles perfekt im Versteckten vorbereitete, um dann am entsprechenden Tag direkt mit dem Zügelunternehmen wegzufahren und nie wieder zurückzukommen vielleicht. Dann waren immer noch Aryana und Mitch in der Nähe... Ob Riley und Co. mittlerweile auch schon die Verbindung zu ihrer Schwester gezogen hatten? Gut möglich. Aber sie würden kaum soweit gehen, auf Aryana zurückzugreifen, bloss weil Faye nicht mehr da war, oder? Ryatt hatte ja kaum einen Bezug zu ihrer Schwester. War auch nicht wirklich relevant, dieses Risiko konnten sie eh nicht auch noch berücksichtigen. Sie hatten so schon genug Probleme. Ausserdem standen die Chancen, dass Aryana sich sehr viel geschickter gegen diese Hobbykriminellen verteidigen würde als sie, auch relativ gut. Klar konnten auch ausgebildete Menschen nur mässig viel tun, wenn der Lauf einer geladenen Waffe auf sie zeigte. Aber trotzdem. Das war doch alles scheisse. Faye lehnte sich automatisch ebenfalls etwas mehr an Victor, als dieser ihr einen Kuss auf den Haaransatz hauchte. Leider war das hier eine dieser Situationen, in denen auch seine Nähe sie kaum beruhigen konnte. Eine dieser Situationen, die nicht besser wurden, weil sie zu zweit drin steckten. Für den Moment noch jedenfalls, bis Victor eben in ein paar Tagen ging. Dann wäre sie alleine. Was zu gleichen Teilen Fluch wie Segen wäre. Sie konnte es nur befürworten, wenn er aus dem Gefahrenradius raus war, aber der Gedanke daran, alleine hier zu wohnen mit dieser nackten Drohung im Hinterkopf, war nichts als grausam. Sie hatte schon zu Beginn seiner letzten Abwesenheit mit starker Paranoia und Ängsten aller Art zu kämpfen gehabt und sie wollte wirklich nicht dahin zurück. Aber es war fraglich, inwiefern Mrs White ihr dabei helfen könnte, diesmal dagegen anzukämpfen, wenn die Gefahr so real war und nicht nur in ihrem Kopf existierte. Das letzte Mal hatte sie sich einreden können, dass Riley ihr Wort darauf gegeben hatte, sie in Ruhe zu lassen. Diesmal? Nicht mehr so ganz. "Ich... ich weiss es nicht... Ich kann schon relativ spontan weg, wenn ich mich krankschreiben lasse, aber das ist keine Dauerlösung...", auch keine Lösung für sechs Wochen. Eher für ein paar Tage bis zwei Wochen und dann musste was besseres her. Sie hatte echt keine Ahnung. "Ausserdem kann ich den Umzug schlecht organisieren, wenn ich nicht da bin... Und wenn ich nicht schon wieder so einen beschissenen Abgang hinlegen will wie beim letzten Mal, muss ich umgehend die Kündigung einreichen... Ich habe eine Frist von nur einem Monat, weil ich erst ein Jahr da bin... also Ende November. Und ich habe keinen einzigen Urlaubstag mehr...", erneut brach ihre Stimme ab, bevor sie sinnvoll zu Ende gesprochen hatte. Allein bei der Vorstellung, morgen zur Arbeit zu spazieren und die Kündigung einzureichen, würde sie am liebsten heulen. Sie hasste Abschiede und sie hatte Angst davor, in L.A. keine solche Stelle mehr zu finden. Sie hatte jetzt zweimal in Folge Glück und wirklich tolle, verständnisvolle Teams gehabt. Vielleicht kam dort ein drittes Mal, vielleicht nicht - das konnte ihr niemand versprechen. Genauso wenig wie ihr niemand versprechen konnte, dass Ende November früh genug war, um den Klauen dieser Psychopathen zu entkommen.
Ja ich glaubs auch nicht. Wobei das mit der Liste jetzt ja eigentlich theoretisch kein Problem mehr wäre, mit spezifischen Daten. Solange ich die ansatzweise gewissenhaft weiterführe, muss ja keiner mehr zurückblättern gehen, lel. x'D ______
Der Abschied würde nicht leichter werden als beim letzten Mal, oder? Auch wenn es nur temporär und nicht wieder für ganze neun Monate lang sein würde, war das unter diesen Umständen absolut grausam. Wie sollten wir das aushalten, bis der November vorbei war? Es klang viel zu riskant, dass Faye erst zum Monatswechsel - also kurz vor knapp - nach Kalifornien kam. Trotzdem fiel mir auf die Schnelle keine bessere Idee ein, die Faye nicht auf irgendeine Art ihr zukünftiges Berufsleben versauen könnte. Ich war schließlich nicht der einzige von uns beiden, der einen Sinn im Leben brauchte und Faye liebte ihren Job, auch wenn der Wiedereinstieg nach der Zeit in Syrien nicht immer einfach gewesen war. Unsauber hinzuschmeißen käme nicht gut an - weder hier, noch bei zukünftigen Arbeitgebern. Schwer abzuschätzen, wie riskant es am Ende tatsächlich war, wenn sie noch so lange hier blieb. Aber wenn wir eins gelernt hatten, dann war es, dass man diesen skrupellosen Arschlöchern im besten Fall hundert Schritte voraus war. “Das klingt wahnsinnig knapp…”, murmelte ich mit flatterndem Herzen. Trotzdem sagte ich aber nichts dagegen, so lange abzuwarten, weil ich schlichtweg keine bessere Alternative in petto hatte. Einer von uns beiden musste vor Ort bleiben, um unser Leben vernünftig auf dem Papier abzuschließen und alles rund um unsere Wohnung zu regeln. Ich konnte das wegen der Arbeit nicht machen, also blieb nur Faye übrig. Außerdem sträubte sich schon jetzt mein ganzes Inneres dagegen, auch nur noch eine einzige Stunde hier auf dem Sofa sitzen zu bleiben, während ich offenbar schon wieder Gefahr lief, die nächste Nahtod-Erfahrung einzusammeln. Ich musste meinen Arm von Faye lösen, um mich nach vorne auf die Knie zu stützen und meine Augen in die Dunkelheit meiner Handflächen zu hüllen, weil ich nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand. Ich wollte es nicht bereuen, hierher zurückgekommen zu sein, aber mein Therapeut hatte mich weit mehr als einmal davor gewarnt, bei meiner Rückkehr alles naiv in rosa Farbe zu tunken. Ich hatte wirklich versucht, nicht so positiv zu denken, dass es an Blindheit herankam. Trotzdem kamen mir die letzten Wochen jetzt unfassbar bescheuert vor. So als hätte ich ahnen müssen, dass sowas wieder passierte. Als wäre es unverantwortlich gewesen, trotz der neuen Erkenntnisse über Ryatts Problem - das offensichtlich schnell wieder zu unserem geworden war - mal eben Urlaub auf den Malediven zu machen. Faye hätte ihre Urlaubstage noch, wären wir nicht weggeflogen. “Ich… ich werde alles versuchen, um sie so lange es geht ruhig zu halten. Vielleicht halten sie die Füße still, wenn ich…” Ich sah von meinen Händen auf und unterbrach ihn. “Ja, das will ich dir auch geraten haben, Ryatt. Ich hab es nämlich wirklich satt, dass wir für deine Scheiße grade stehen.”, zischte ich bissig zu ihm rüber und funkelte ihn mit einer Mischung aus Ärger und purer Verzweiflung an, ohne mich wirklich aufzurichten. Was wollte er denn machen? Ihnen irgendwelche angeblichen Ergebnisse auftischen, für die er keine Beweise hatte? Das würde sie nur wütend machen, da war ich mir sicher. Wenn sie wütend wurden, wurden sie ungeduldig und was dann passierte, konnten wir alle hier uns bestens selbst ausmalen. Zur Hölle mit allem, was Ryatt bisher versucht hatte - es brachte ja nichts.
Ich atmete tiefer durch im Versuch, meine vibrierenden Nerven nicht gänzlich über Bord zu werfen. Wenn ich nach dem Grund dafür, dass ich hier so wahnsinnig nervös im Sessel saß, aktiv suchen würde, wäre er schnell gefunden. Denn eigentlich lebte ich schon sehr lange mit solchen Gewissensbissen. Sie waren in der Army nicht vermeidbar gewesen und über die Jahre hinweg war mir das immer gleichgültiger geworden. Eigentlich. Gewissenlosen Gegnern war ich auch schon mehr als einmal gegenüber gestanden und trotzdem war ich da jedes Mal wieder irgendwie rausgekommen... nur eben ziemlich allein, Kollateralschäden immer inbegriffen, so wie hier jetzt auch. Ich hatte keine Angst davor, in der Sache mit den Hernandez zu sterben - ich wollte es nicht, natürlich nicht, aber besser noch es traf mich, als dass es Faye erwischte. Oder Victor, der seine Wut auf mich bis jetzt gerade eben zumindest noch relativ gut vergraben hatte. Bekanntlich wurden unter hitzigen Umständen aber immer die übelsten Sachen ausgebuddelt und das wurde mir gerade zum Verhängnis. “Ich wollte nie, dass sowas passiert, Victor. Ehrlich nicht. Hätte ich gewusst, wie sehr das alles ausartet, hätte ich nie…”, Fayes Hilfe angenommen? Das wäre gelogen und ich wollte nicht noch mehr Lügen auf dem Tisch ausbreiten. Hätte ich ihre rettende Hand damals nicht ergriffen, wäre ich entweder sehr bald nach meiner Flucht aus dem Krankenhaus wieder eingesammelt worden oder an der Wunde verreckt, weil ich sie selbst nicht vernünftig hätte versorgen können. Ich kam ohnehin nicht dazu, den Satz noch anders zu beenden, weil mir der hochgewachsene Dunkelhaarige gar nicht die Chance dazu gab. “Hast du aber. Und jetzt sitzt du gefühlt zum tausendsten Mal auf diesem Sofa, um dich zu entschuldigen und pseudomäßige Schadensbegrenzung zu betreiben, die sowieso unmöglich ist, weil du überhaupt keine Kontrolle darüber hast. Wir müssen also wieder alleine zusehen, wie wir da rauskommen, was ja schon das letzte Mal wunderbar funktioniert hat.” Er klang bitter verzweifelt und ich öffnete den Mund, um mich zu verteidigen. Noch im selben Moment stellte ich aber fest, dass Victor Recht hatte. Es gab nichts, was ich dagegen sagen konnte - sonst hätte ich es schon getan. Nüchtern betrachtet hatte ich im Leben jetzt nicht mehr, als zu dem Zeitpunkt, als ich auf der Straße gesessen hatte. Sogar noch weniger, ohne meinen Truck. Das Geld auf meinem Konto war nicht meins, sondern das der Hernandez. Das Dach, unter dem ich wohnte, war nicht meins. Das Auto, das ich fuhr, war nicht meins. Mein ganzes Leben war im Grunde nicht meins - ich atmete ja scheinbar nur noch, um der Teufelsbrut das Kautionsgeld zu beschaffen und nicht mal das bekam ich hin. Also schluckte ich den Brocken, den Victor mir an den Kopf geworfen hatte, einfach nur gut sichtbar runter. Allzu gerne würde ich dabei helfen, dass sie endlich aus der Sache raus waren, aber ich wusste wirklich nicht, wie ich das schaffen könnte. Man kam zu einer Schießerei nicht mit einem mickrigen Dolch in der Hand und ich hatte ja nicht einmal den in den Händen, sondern rein gar nichts. “Wenn es irgendwas gibt, das ich tun kann, lasst es mich bitte trotzdem wissen... ich will nichts mehr, als dass ihr aus dieser Sache heil raus kommt." Zumindest fast nichts.
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Ganz genau darum hab ichs diesmal auch gemacht. xD Vielleicht hilft uns das ja, mal etwas weniger zu verrutschen in Jahreszeiten und Daten. xD ____________
Es klang nicht nur wahnsinnig knapp, sondern war genau das zweifellos auch. Sie wollte nicht bis Ende November hier bleiben. Und sie würden sich noch sehr ausgiebig Gedanken darüber machen müssen, was am Ende wirklich schlimmer war. Das Risiko einer erneuten Kollision mit den Hernandez' einzugehen oder eine schlechte Referenz bei künftiger Stellensuche vorzuweisen. Beides Scheisse, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass sie in Kalifornien gerne einen Neustart hinlegen würden, der nicht von Altlasten vergiftet wurde. Aber wenn sie hierblieb und Seans Familie sie aufsuchte, würde sie ziemlich sicher auch keinen sauberen Abgang im Krankenhaus mehr machen können. Warum musste das so sein?? Faye starrte auf den Couchtisch, als würde auf dessen Oberfläche die bessere Lösung erscheinen, wenn sie nur lange genug sehr konzentriert draufblickte. Passierte nicht. Auch nicht, als Victor seinen Arm von ihr löste. Oder als Ryatt zu sprechen begann, nur um gleich darauf wieder unterbrochen zu werden. Faye begann sofort nervös auf ihrer Unterlippe herumzureisen, als sie Victors aufgebrachte Stimme vernahm. Sie hasste Streit noch immer genau wie früher und verspürte damit auch das gleiche Bedürfnis, sofort der Situation zu entfliehen. Konnte sie aber schlecht tun. Also blieb sie unruhig sitzen, streckte nur die Hand aus, um sie auf Victors Oberschenkel abzulegen und mit den Fingern leicht über seine Hose zu streichen. Nicht als hätte sie ernsthaft Hoffnung, damit etwas zu erreichen oder zu seiner Beruhigung beizutragen. Niemand hier konnte den Anspruch haben, dass sich hier irgendwer beruhigte. Ganz egal wie deeskalierend Ryatt argumentierte. Das Übel war trotzdem angerichtet und schwebte wie eine dunkle Wolke, prall gefüllt mit Regentropfen oder Hagelkörner über ihnen. Was genau sich wann genau daraus entladen würde, wusste noch keiner. Und Faye wusste nicht, was sie sagen sollte. Ryatt tat ihr leid - nicht zum ersten Mal - weil sie wusste, dass er das genauso wenig wollte wie sie. Klar war es teilweise eine Folge seiner falschen Entscheidungen, aber hätte er damals in die Zukunft sehen können, hätte er sich nie im Leben auf Sean eingelassen. Das half ihnen jetzt auch nichts mehr, aber trotzdem... "Du musst uns unbedingt sagen, wenn du etwas von ihnen hörst... Was sie sagen, was sie tun, was sie fordern... Alles, was du weisst. Und wenn du irgendwie das Gefühl bekommst, dass die Gefahr grösser wird, dann müssen wir eine andere Lösung finden", also spätestens dann. Von ihr aus konnten sie auch unter gegebenen Umständen eine andere Lösung finden - es war nur leider relativ wahrscheinlich, dass es keine andere Lösung gab. Sie konnte nichtmal mehr ihre Schichten so verschieben, dass sie die Freitage alle auf Ende November verschob und davor zwanzig Tage durcharbeitete oder so, weil der Schichtplan für den November schon erstellt war. Vielleicht konnte sie diesbezüglich noch irgendwas abtauschen, aber wenn die Pläne erstmal kommuniziert wurden, waren diese leider eher nicht mehr so flexibel. Auch ihre Wohnsituation müsste sie gut durchdenken. Sie sah sich eher nicht einen Monat lang alleine in dieser Wohnung leben, wenn sie genau wusste, dass sie beobachtet wurde und theoretisch dauerhaft in Gefahr war. "Kannst du wirklich nichts tun, um bei denen etwas mehr Zeit rauszuschlagen? Es muss ihnen doch selbst klar sein, dass sechs Monate nie reichen für diese Summe...", versuchte Faye es noch ein bisschen anders, auch wenn sie kaum Hoffnung hegte, dass Ryatt hier noch Chancen hatte. Nicht mit diesen inflexiblen Verhandlungspartnern... Und selbst wenn. Es würde ihren Kopf vielleicht aus der Schlinge ziehen - vielleicht auch nicht. Und Ryatt wäre damit nicht gerettet. Sie konnte nicht mehr den Anspruch haben, ihn ebenfalls sicher aus der Sache herauszuziehen, das wusste sie. Aber der Gedanke daran, dass er sich alleine mit diesen grausamen Gestalten konfrontiert sah, wenn sie Blut sehen wollten, jagte ihr eine Gänsehaut den Rücken hinab und drehte ihr den Magen ein weiteres Mal ungesund um. Es tat ihr einfach leid. Zumindest ein Teil von ihr konnte einfach nicht akzeptieren, dass sie ihn nicht retten konnte. Sie unternahm zwar keinen aktiven Versuch, das doch zu tun, aber ihr Kopf suchte trotzdem fieberhaft nach einem Ausweg. Einem, den es wohl nicht gab.
Ich nickte langsam. "Ja, natürlich… ich halt’ euch auf dem Laufenden.", willigte ich ein, sie in alle neuen Erkenntnisse einzuweihen, sobald es welche gab. Das war wohl auch wirklich das Mindeste, was ich tun sollte, angesichts der Umstände. Es fühlte sich nicht wie genug an, aber mir waren dank Mangel an erfolgversprechenden Möglichkeiten leider ziemlich die Hände gebunden. Es gab da natürlich ein paar Details, die ich von Anfang an ein bisschen verdreht oder ganz verschwiegen hatte. Details, mit denen ich bezüglich der Sicherheit aller Beteiligten wahrscheinlich besser rausrücken sollte. Aber wie schon gesagt - dann gabs hier unter Umständen mindestens einen Toten. Während Faye wahrscheinlich den nächsten Nervenzusammenbruch bekäme, würde ihr Liebster mich eigenhändig erwürgen. Er kämpfte noch immer offensichtlich mit seinen Emotionen, was ihm nicht zu verübeln war. Alle pflegten zu sagen, dass die Wahrheit ohnehin irgendwann herauskam und man sie deshalb besser selbst aussprechen sollte, bevor es dafür zu spät war. Da war vermutlich auch was dran, nur war ich in meinem Leben zu oft zu gut damit durchgekommen, um an meinem Verhältnis zu lügen in diesem Moment tatsächlich etwas ändern zu wollen. Ob mir das diesmal auf die Füße fallen würde? Könnte passieren, würden wir aber definitiv nicht heute herausfinden. Als Faye fragte, ob ich wirklich absolut gar keine Möglichkeit dafür sah, das Teufelspack zu beschwichtigen und die ganze Sache weiter in die Länge zu ziehen, zog ich die gefühlt sekündlich schwerer werdenden Schultern nach oben und ließ sie anschließend mit einem Seufzen wieder sinken. “Ja, das wissen die schon… scheint ihnen nur wie immer absolut egal zu sein.” So wie ihnen ungefähr alles egal war - außer natürlich ihre eigene, beschissene Familie, nach der sonst kein Hahn krähte. Wenn die Hernandez mit den Fingern schnippten, dann wurde gesprungen. Komme was da wolle, auf Teufel komm raus. “Ich wüsste nicht, wie ich sie wirklich davon überzeugen könnte, dass ich nur ein bisschen mehr Zeit brauche.” Denn ein extrem viel größeres Zeitfenster würde ich noch weniger spendiert kriegen, als nur eine oder zwei Wochen mehr. “Es gibt eigentlich nur eine einzige Möglichkeit, an Easterlins Geld zu kommen… aber das ist wahnsinnig riskant, streng genommen illegal und kann ich realistisch gesehen absolut nicht alleine durchziehen. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass sie auch in der Bar, in der ich gearbeitet habe, einen Spitzel hatten… es gab ja einige Gäste, die regelmäßig da waren. Also sehr gut möglich, dass sie auch Aryana und Mitch schon auf dem Schirm haben.” Eigentlich hatten sie die beiden sogar absolut sicher auf dem Radar, aber das konnte ich aufgrund meines Lügen-Konstrukts auch wieder nicht sagen. Dass sie es auf diese Weise herausgefunden hatten, hatten mir die Hernandez so nie gesagt, aber mittlerweile ging ich eigentlich davon aus, dass sie auf diesem Weg auf die ältere Cooper gekommen waren und sie unter die Lupe genommen hatten. Ich wüsste jedenfalls nicht, aufgrund welcher anderen Anhaltspunkte sie plötzlich auch noch nach Fayes Verwandtschaft hätten graben sollen. “Frage ich auf der Grundlage basierend, dass ich erst einen lückenloseren Plan und vertrauenswürdige Komplizen dafür brauche, nach mehr Zeit… dann bekomme ich statt Aufschub vielleicht den Auftrag, auch noch deine Schwester und ihren Freund zu involvieren und das will ich wirklich nicht auch noch verantworten müssen. Weder hinsichtlich dieser Gestörten, noch in Hinsicht auf das Risiko, dass das komplett schiefgeht… und was anderes hab ich nicht.”, schloss ich diese Sache mit einem sehr entschiedenen Kopfschütteln aus. Erpressung war strafbar und Easterlin wurde vom Staat offensichtlich gedeckt - fragwürdig also, ob er nach vorübergehender Zahlung des Lösegelds nicht einfach zu Mutti Staat rennen würde, um mich und alle anderen Beteiligten einbuchten zu lassen. Bisher hatte ich keine Lösung dafür, dieses Risiko zu umgehen und ich war mir sehr sicher, dass unser guter Mitch eher nicht wieder in den Knast zurück wollte. Das war laut Akte nicht gerade gut für ihn gelaufen. Vielleicht konnte ich noch eine Lücke im Strafrecht finden, aber das würde dauern. Wahrscheinlich zu lange. Ich konnte ja nicht zu einem Anwalt marschieren und ihn danach fragen, ob es möglich war, mit dieser Form von Erpressung ohne schwerwiegende Folgen durchzukommen. Sich selbst da durchzuwühlen und nach Präzedenzfällen mit Freispruch zu suchen, bereitete schon nach zwei bis fünf Minuten rauchende Kopfschmerzen. “Und worum geht’s genau..?”, fragte Victor aus dunklen Augen heraus und mein Blick traf auf seinen. Offenbar reichte es ihm nicht, wenn ich nur sagte, dass das eine saublöde Idee war. Andererseits war es in seiner Lage wiederum kaum verwunderlich, dass er alle Optionen in Betracht zog, bis er sich sicher damit war, dass es tatsächlich keine guten Optionen waren. “Erpressung. Da sind endlos viele Leichen im Keller. Es traut sich aber aus gutem Grund keiner, die auszugraben." Victor schnaubte und schüttelte den Kopf, bevor er sich die Stirn mit der rechten Hand stützte und die Augen nochmal zumachte. Ja, so wie ihm gings mir auch. Nur nicht erst seit heute oder wenigen Wochen, sondern seit bald 5 Monaten.
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War auch nicht so, als hätte er irgendeine andere Wahl. Klar könnte er ihnen auch einfach alles verschweigen, aber ob er am Ende irgendwas davon haben würde, war sehr fraglich. Seine kriminelle Karriere hatte ihm bis Anhin nichts als Scheisse eingebrockt und das würde auch so weitergehen… Dabei spielte es nüchtern betrachtet jedoch gar keine Rolle, ob er sie belog oder nicht. Höchstens für sein Gewissen und sehr sicher für ihre wackelige Freundschaft, deren Zukunft hinter einem wolkenverhangenen Himmel irgendwo in den Sternen stand. «Danke…», murmelte Faye zur Antwort, weil es sonst nichts mehr zu sagen gab. Und weil sie wollte, dass er sich nicht komplett alleingelassen und verurteilt fühlte. Sie glaube ihm, dass er sein Bestes gab, um sie zu schützen und dass ihm das alles unendlich leidtat und er nie gewollt hätte, dass sie seinetwegen in potenzieller Gefahr schwebten. Er brauchte sich dafür jetzt nicht noch beschissener zu fühlen – war ja schon Kacke genug, dass er überhaupt noch mit diesen Pestbeulen reden musste… Natürlich verstand sie auch absolut, dass Victor hier nicht ganz so sanft ins Gericht fuhr, weil er mit allem, was er sagte, Recht hatte. Nur half es nichts, Ryatt diese Wut spüren zu lassen. Er war es nicht, der mit dem Messer um die Ecke wartete und kalkulierend die Tage, Stunden und Minuten zählte. Ihr Herz zog sich sofort schmerzhaft zusammen, als Ryatt ihre Schwester und deren Freund erwähnte. Riley hatte keinen Grund, ihre hässlichen Klauen noch weiter nach ihr und ihrer Familie auszustrecken. Sie hatten gar nichts mehr damit zu tun verdammt – es war nicht ihre Schuld, dass Sean im Knast steckte. Sie hatte nicht gegen ihn ausgesagt, sie war nicht im Gerichtsaal gesessen, als Zeugen befragt wurden, das war nicht ihre Schuld und wenn Rileys beschissener Bruder glaubte, kriminell sein zu müssen, dann sollte er doch den Rest seines Lebens hinter Gitter krepieren, wie er es verdiente – war nicht so als kämen die Konsequenzen von Straftaten irgendwie überraschend. Er hatte mit diesem Risiko gespielt und seine Rechnung war nicht aufgegangen. Schade für ihn aber nicht ihr Problem. Mit welcher Art kranker, irrationaler Opferrolle identifizierten sich diese Teilzeit-Wahnsinnigen eigentlich?! Jetzt war Faye an der Reihe, ihr Gesicht in ihren Händen zu verstecken und entnervt aufzustöhnen. Das war die Alternative zum Heulen, wonach ihr eigentlich deutlich mehr zumute war, so wie sie sich fühlte. Ryatts Optionen zur Geldbeschaffung klangen genauso bescheiden wie alle anderen Neuigkeiten auch. Sie war ja schon fast in dieser Tag kann weg-Laune, nur leider konnte kein einziger Tag weg, bis sie hier irgendwas wenigstens ansatzweise organisiert hatten. Eine Fristverlängerung schien ja nicht zur Diskussion zu stehen - eine Lösung für die horrende Geldsumme hatten sie aber auch nicht. Kurz gesagt: Alles super soweit. Faye legte die Hände wieder auf den Knien ab, kratzte dabei aber weiterhin unruhig auf dem Stoff der Jeans herum, während sie versuchte, irgendeine vielversprechende Idee zu kreieren. "Kannst du ihn denn nicht einfach fragen..?", das klang im ersten Moment nach einer sehr lächerlichen und viel zu simplen Idee. Aber vielleicht musste es das nicht sein. "Vielleicht kann Easterlin dir das Geld ja leihen... Er zahlt doch so unglaublich gerne Gefängniskautionen für seine Angestellten. Mitch und Aryana haben schliesslich einen ähnlichen Deal mit der Verpflichtung zur Abarbeitung der Schulden...", natürlich gings in diesem Fall nicht um eine Kaution für Ryatt selbst, aber wenn er von seinen netten Feinden umgelegt wurde, hatte Easterlin gleich viel verloren, wie wenn er im Gefängnis sitzen würde. In ihrem Kopf klang das folglich nach einer nicht ganz so unmöglichen Option. Gerade wo Ryatt sich doch so gut eingenistet hatte und dem Geldhahn gewissermassen ans Herz gewachsen war. Damit wären sie - Ryatt, und nur Ryatt diesmal - dann mit dem nächsten Problem konfrontiert, weil Sean draussen war und sicherlich noch immer Rache suchte, aber vielleicht... Ach keine Ahnung. Vielleicht war das auch doof. Aber vielleicht hatte Easterlin auch Möglichkeiten, die sie noch nicht kannten und folglich überhaupt nicht in Betracht zogen. Es musste sicher gut durchdacht werden, bevor Ryatts Arbeitgeber in die Problematik eingeweiht wurde, aber dann? Wer weiss...
Ich nickte nur noch schwach auf Fayes Antwort, weil es auch meinerseits sonst nichts mehr dazu zu sagen gab. Es herrschte anschließend ein kurzes, für mich sehr unangenehmes Schweigen. Dabei musterte ich Faye ein weiteres Mal, was unweigerlich dazu führte, dass ich mich noch schlechter fühlte. Dass Victor offensichtlich sauer auf mich war, war natürlich auch unschön - es traf mich aber nicht genauso, als wenn ich Faye dabei beobachtete, wie sie sich am liebsten aus der Situation winden und einfach in einem schwarzen Loch im Boden verschwinden würde, bis das Auftauchen wieder sicher war. Meine Seele war noch nicht wirklich wieder verheilt, seit der Sache mit Avery, und trotzdem verabschiedeten sich die notdürftigen Flicken bei diesem Anblick von ganz allein. Mein Blick lag inzwischen ziemlich leer in Fayes Gesicht, während mir bewusst wurde, dass ich sie zu gern hatte und mich gleichzeitig auf ihren Vorschlag bezüglich des Geldes zu fokussieren versuchte. Ihre Worte in meinem Kopf zu sortieren war mild ausgedrückt ziemlich schwierig, solange ich noch dabei war, den schweren Schmerz in der Brustgegend zu ersticken, weil ich so nicht denken konnte. Was Gefühle anbelangte war ich bis heute nicht multitaskingfähig geworden, aber ich sollte wohl wenigstens so tun, als würde ich die Nerven behalten. Ich sah auf den Couchtisch, während ich versuchte, möglichst geistreich über Fayes Vorschlag nachzudenken. In der Theorie stimmte das schon - Easterlin bezahlte relativ häufig Kautionen, weil mehr als nur ein Kriegsverbrecher in seinen Reihen grade stand. Das waren genau die Soldaten, die sich von allen am liebsten die Hände schmutzig machten, weil sie über den Punkt mit der Moral schon hinweg waren. Der wahrscheinlich entscheidende Unterschied zu Sean war jedoch, dass Easterlin über ihn keine Kontrolle haben würde. Wenn seine Kaution bezahlt war, lief er auf Bewährung draußen rum und konnte tun und lassen, was er wollte. Sein Strafregister war lang und was er tatsächlich alles getan hatte stand da noch nicht mal drin. Als Kautionszahler übernahm man zwar keine Verantwortung für den freigekauften Verbrecher, aber wenn das irgendwer rausbekam, wurde sicherlich Easterlins Ruf durch den Dreck gezogen. Hieße also, er müsste mir das Geld zuerst überweisen, um in dieser Sache nicht selbst namentlich aufzutauchen. “Ich weiß nicht… es wäre zwar nicht seine erste Kaution, aber Sean wird ja nicht für Easterlin arbeiten und ist eine ziemliche Gefahr für seine Mitmenschen. Es ist leider anzunehmen, dass er in seiner bisherigen Schiene weiterfährt. William will also bestimmt nicht selbst damit in Berührung kommen, was wiederum eine ziemlich große Summe an Geldverschiebung über wahrscheinlich mehrere Konten bedeuten würde. Sieht das Finanzministerium sicher nicht gerne und wird dementsprechend Fragen stellen… sofern er die Leute dort nicht auch irgendwie in der Tasche hat, das kann ich wirklich nicht einschätzen. Über mein Konto kann das ja auch nicht laufen, weil ich mit dem ganzen Prozess um Sean in Verbindung stehe. Das wird Jemand merken und dann stehe ich wieder im Gerichtssaal, was auch nicht in Easterlins Interesse ist… außerdem hat er davon eigentlich ganz allgemein keinen Mehrwert. Ich bin nicht gerade sicherer als jetzt, wenn Sean zusätzlich zu seinen anderen gestörten Geschwistern wieder draußen ist.” Ich machte mit angespannter Stirn die Augen zu und schüttelte ganz langsam den Kopf. Vielleicht würde mein Chef das tatsächlich auf sich nehmen, weil er bessere Einblicke in sein Imperium und seine wahrscheinlich dreihundert verschiedenen Konten in weiß Gott welchen Ländern überall hatte, als ich selbst. Wenn er bei Aryana und Mitch jeweils 12 Jahre veranschlagt hatte, bekam ich dann aber Seans volle 30 aufgebrummt..? In dem Fall würde ich den Rest meines arbeitsfähigen Lebens bei William festsitzen und nicht viel von meinem satten Gehalt haben, weil er Vieles davon einbehielt, um die Kaution wieder reinzukriegen… ich wusste, dass das dann mein Problem und auch meine eigene Schuld wäre. Wenn das jedoch die zukünftige Aussicht auf mein Leben war - geknechtet durch einen solchen Vertrag nie wieder eine andere Option als Easterlins Armee zu kriegen - könnte ich mir auch gleich die Kugel geben. Ich mochte meinen neuen Job. Allerdings nicht so sehr, dass ich freiwillig mindestens 10 Jahre umsonst arbeiten ging. Das war mir das konstante Schwimmen in einer Grauzone ohne Moral nicht wert. "Aber ich behalt's im Hinterkopf. Vielleicht kommt mir dazu ja doch noch ein Einfall, der erfolgsversprechender wäre.", schloss ich die Sache für mich ab, weil ich ohnehin nicht hier und jetzt innerhalb von zwei Minuten alle Haken und möglichen Probleme, die mit dieser Option verbunden waren, herausfiltern konnte. Wenn ich mich konzentrierte, dann konnte mein Hirn wahnsinnig effektiv arbeiten. Mit Konzentration war aber leider gerade eher nicht so.
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Es dauerte einen Moment, bis er zu einer Antwort ansetzte. Weil sie eben alle ein bisschen zu viel nachdenken mussten, als dass sowas wie schnelle Antworten gerade irgendwie drinliegen würden. War aber nicht schlimm, sie hatten eh auch so jeder für sich genug nachzudenken, womit sie die Stille zwischen den einzelnen Worten gut überbrücken konnten. Ihre Augen lagen noch eine Weile auf Ryatt, während er zu überlegen schien. Als würde sein Anblick sie in der Lösungsfindung inspirieren. Bisher passierte das leider eher nicht - wobei grundsätzlich fraglich war, inwiefern es hier überhaupt eine Lösung zu finden gab. Eine Lösung, die nicht mindestens eine Person in dieser Runde komplett unter die Karre fuhr. Sie wollte Ryatt ja auch nicht zu einem Leben in Knechtschaft bei Easterlin verbannen. Aber sie brauchten mehr Zeit als sie hatten und für dieses Problem liesse sich dann wenigstens ohne Zeitdruck ein Ausweg suchen. Oder eben auch nicht... Es gab ein anderes, ihnen bestens bekanntes Beispiel, das ähnlich verlaufen war, und für das auch jetzt nach knapp eineinhalb Jahren noch keine Lösung gefunden war. Ausserdem gab es einen massiven Haken, den Ryatt in seiner Resonanz zu Fayes Vorschlag ebenfalls am Rande erwähnte: Sean wäre draussen. Das bedeutete nicht nur Ärger, sondern viel mehr potenzielle aber ernstzunehmende Lebensgefahr. Vielleicht nur für Ryatt, vielleicht auch für sie alle. Wenn schon Seans Geschwister davon absahen, sich an die Abmachung zu halten und sie in Ruhe zu lassen, wie viel weniger würde der grosse, kriminelle Bruder höchstpersönlich sich dafür interessieren? Er, der schon vor seiner Knastzeit gerne mit Messerklingen um sich geworfen und Leute lebensgefährlich verletzt hatte, die er damals eigentlich noch nichtmal hatte sterben sehen wollen? "Okay... Es ist sicher nicht die beste Idee... Aber wenn sich bald herausstellen sollte, dass es keine andere gibt.... Dann kannst du vielleicht ja trotzdem mal mit ihm reden. Vielleicht weiss er ja was besseres", ihre Stimme verriet relativ deutlich, dass Faye nicht desillusioniert genug war, um sich wirklich grosse Hoffnungen auf Easterlins Einweihung zu bauen. Auch wenn der Geschäftsführer als besonders klug galt und den Umgang mit Kriminellen bestens gewohnt war. Wahrscheinlich würde er eher auf die Beschützerschiene setzen und Ryatt ganz einfach anraten, das Gelände nicht mehr zu verlassen. Vielleicht würde er ihm auch Bodyguards zur Verfügung stellen, sie hatte keine Ahnung, wie ernst das Problem genommen würde und wie viel Wert Easterlin am Ende wirklich auf Ryatts Leben setzen würde. Sollte es jedoch so kommen, wäre das für sie höchst ungünstig, sofern sie nicht fort war, bevor der brodelnde Vulkan sein Magma in die Luft spie. "Einen besseren Einfall hab ich jedenfalls aktuell nicht...", murmelte sie, hob langsam den zwischenzeitlich abgerutschten Blick wieder an, um Ryatt ein bisschen verloren zu mustern. Auch sonst hatte sie offensichtlich nichts mehr zu sagen. Die ganzen Infos und das Wissen um die Ernsthaftigkeit der Bedrohung mussten definitiv erstmal sacken. Sie durften sich trotzdem nicht zu viel Zeit damit lassen, sich auf die neue Sachlage einzustellen. War ja nicht so, als würden andere Leute in der Zwischenzeit schlafen...
War leider fraglich, ob mir bis dahin noch eine bessere Idee kam, als Easterlin zu fragen. Mir wäre generell in jedem Fall mehr als unwohl dabei, meinen Chef über die Problematik, die mir jetzt gefühlt schon ein halbes Leben lang im Nacken saß, in Kenntnis zu setzen und im gleichen Atemzug auch noch um eine von ihm herbeigeführte Lösung zu bitten. Ich arbeitete noch nicht ewig lang für ihn und auch, wenn ich mich als sehr fähiger Offizier entpuppt hatte, fühlte es sich schlicht und ergreifend nicht so an, als stünde mir Hilfe in diesem Ausmaß von ihm zu. Andererseits hatte er auch nichts mehr von mir, wenn ich so wie Faye und Victor entführt wurde und halbtot irgendwann wieder auftauchte. Oder wenn sie Faye noch einmal so etwas antaten, denn allerspätestens dann würde mein Gewissen mich bis auf den letzten Krümel auffressen. Es war schon schlimm genug, dass sie bald wieder alleine hier wohnen würde. Ganz gleich, wie groß mein Neid auf Victors Stellenwert in ihrem Leben auch sein mochte, so würde ich es doch sehr schätzen, wenn Irgendjemand bei ihr wäre, um ein Paar Augen mehr auf der Umgebung zu haben. “Mir fällt auch nichts mehr ein, was ich nicht schon tausend Mal durchgegangen wäre…”, stimmte ich unglücklich in Fayes Worte ein, ohne wirklich mit meinen vorherigen Gedanken abgeschlossen zu haben. Kurz darauf kam mir nämlich zumindest noch eine Art Notfall-Präventionsmaßnahme in den Sinn. Ich wollte Aryana und Mitch natürlich sehr viel lieber überhaupt gar nicht in die jetzt noch akuter dampfende Scheiße einweihen, die komplett auf meine Kappe ging. Nicht jetzt, wo ich gerade erst versuchte, mit den beiden langsam wieder auf einen ansatzweise grünen Zweig zu kommen. Es war mir aber auch an der Stelle lieber, sie würden mich wieder aus tiefstem Rache-Herzen hassen, als dass Faye etwas passierte. “Außer vielleicht… nehmen wir mal an, ich finde tatsächlich keine annehmbare Möglichkeit, uns mehr Zeit zu verschaffen… dann könnte ich wenigstens dafür sorgen, dass Aryana und Mitch Zuhause sind, wenn die Frist abläuft. Ich teile die Soldaten für einen Großteil der Aufträge ein und wenn sich nicht gerade durch Pech zu viele überschneiden, kann ich sie im entsprechenden Zeitraum bestimmt hier auf der Reservebank lassen.” Meine Augen wanderten von Faye zu ihrem Freund, weil der wiederum zu ihr sah.
Allein das Kopfzerbrechen über eine brauchbare Lösung, die wir hier und heute wahrscheinlich sowieso nicht finden würden, verstärkte die dumpfen Schmerzen in meinem Hinterkopf. Man konnte wohl auch nicht wirklich von Ryatts Arbeitgeber erwarten, dass er die Sache für ihn - und damit auch für uns - in die Hand nahm. Trotzdem wäre das eine angenehm einfache Lösung und Easterlin tat sonst selten was Gutes, wenn man dem glauben konnte, was ich bisher so mitbekommen hatte. Ein bisschen sein Karma zu bereinigen konnte dem reichen Arschloch also kaum schaden. Er wusste bestimmt sowieso schon nicht mehr wohin mit seinem Geld. Trotzdem zerschlug Ryatt die leise Hoffnung gleich wieder ziemlich gekonnt, indem er ein paar ungünstige Punkte an der Sache nannte. Ich rieb mir noch einmal übers Gesicht, bevor ich mich ratlos zurück nach hinten an die Sofalehne sacken ließ. Trotzdem schien das doch noch nicht ganz alles zu sein, was er zu sagen hatte. Er kam noch mit einer weiteren Idee - falls man es denn so nennen wollte - die sich allerdings hauptsächlich darum drehte, dass Faye im Worst Case Szenario nicht alleine sein musste. Das war nicht wirklich eine Lösung, ließ mich aber dennoch zu ihr hin sehen. Ich fühlte mich schlecht damit, sie in ein paar Tagen hier zurückzulassen. Erst recht dann, wenn es noch keine geplante Abhilfe gegen das Böse gab. Dennoch hatte ich nicht wirklich eine andere Wahl, als wieder zur Arbeit zu gehen und mir wäre zumindest ein winziges bisschen wohler damit, wüsste ich, dass auch Aryana und Mitch Bescheid wussten - dass sie hier wären, wenn der 4. Dezember gefährlich nahe rückte. Es ginge mir besser damit, sie würde ab einem gewissen Punkt nicht mehr alleine rausgehen… ich sollte mich wahrscheinlich ermahnen, schon wieder meinen zwanghaften Beschützer-Wahn ausleben zu wollen, aber der war in Hinblick auf die Hernandez eben leider absolut nicht unbegründet. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, dass Gil meiner Liebsten noch einmal zu nahe kam. Vor allem für Fayes wiedergefundenen Einklang mit sich selbst, aber auch für mich. Obgleich mich die Narben auf ihrer Haut nicht störten, so wollte ich einfach nicht, dass sie noch mehr Schaden davontrug. “Das klingt… auch nicht nach einer Lösung, aber falls uns bis dahin wirklich nichts anderes einfällt… wäre das möglicherweise besser als gar nichts.”, murmelte ich mit einem Seitenblick in Ryatts Richtung, bevor ich zurück zu Faye sah. Am Ende müssten natürlich Aryana und Mitch entscheiden, ob sie tatsächlich freiwillig als Wachposten fungieren wollten. Die ältere Cooper war inzwischen ja ohnehin mehr oder weniger eingeweiht, also kam das jetzt vielleicht auch nicht mehr so besonders überraschend… auch wenns rundum Scheiße war, egal wie man es drehte und wendete. Ich blickte schließlich auf Fayes Hände und streckte meine Finger nach der näheren von beiden aus. “Nur als letzten Ausweg natürlich, aber… mir ist wirklich nicht wohl dabei, dich alleine hier zu lassen, Faye. Ich erinner’ mich noch etwas zu gut daran, wie dieser Wahnsinnige dich einfach von der Straße gezogen hat…” Und da war ich noch nicht mal selbst dabei gewesen. Mit ihrem traumatisierten Anblick im Nachhinein war ich aber auch vollends bedient gewesen.
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Die Ergebnisse ihrer Denkerei waren wirklich ernüchternd. Wenn auch leider nicht überraschend, weil es nunmal meistens keine schnellen Lösungen für ein solches langfristiges Problem gab. Gäbe es diese, hätte Ryatt sie längst gefunden und sie würden hier nicht zu dritt ziemlich entmutigt und dezent besorgt in den Polstern hängen.Ryatt tat zwar einen Moment später kund, noch einen Einfall zu haben - aber das war keine Lösung, nur eine Linderung der Umstände, die auf sie zukamen. Eigentlich fuhr sie noch immer am liebsten die Mitch und Aryana auf keinen Fall mit reinziehen-Schiene, aber zumindest in der Theorie liess sich das vielleicht sogar miteinander vereinbaren. Bloss weil ihre Schwester und Freund im kritischen Zeitraum zuhause waren, rückten sie ja nicht direkt in den Fokus der Hernandez. Dafür war Faye persönlich hier, ha ha. Es würde ihr aber sicher ein bisschen Sicherheit bringen, wenn schon Victor - aus guten Gründen und zum Glück - nicht bei ihr sein würde. Möglicherweise würde sie auch schon früher nicht mehr in dieser Wohnung wohnen, eben weil das mit dem Alleinsein eine schlechte Idee sein könnte. In diesem Moment klang sogar der Gedanke an einen kleinen GPS-Tracker, den sie ständig unauffällig auf sich trug, nicht mehr verkehrt. Wäre ja nur für ein paar Wochen und könnte ihr im Worst Case realistischerweise das Leben retten. Das Handy wäre aus logischer Sicht ungefähr das Erste, was einem bei einer Entführung abgenommen wurde, aber einen Sender suchte eher niemand gezielt, weil auch eher niemand einen solchen freiwillig und wissentlich auf sich tragen würde. Ausser eben Menschen, die damit rechnen mussten, dass irgendwo hinter einer Ecke das hässliche Elend lauern könnte. Faye umschloss Victors Finger schnell wieder mit ihren, als er sie nach ihr ausstreckte. Schaute ihn an, als sie seine Blicke auf sich spürte. Auch wenn ihre Augen eigentlich zu deutlich verrieten, wie viel Angst sie schon wieder verspürte und sie ihm das im ersten Moment lieber nicht so offensichtlich gezeigt hätte. Sie musste in diesem Belangen aber auch nicht lügen. Victor wusste, was sie erlebt hatte, er wusste, wovor sie sich fürchtete, weil es das Gleiche war, was er in der dunkelsten Version der Zukunft kommen sah. "Ja... das... das wäre wohl nicht falsch...", stimmte auch sie dem Vorschlag leise zu. Was sie dazu sagen sollte, als Victor ihren letzten Zusammenstoss mit Sean erwähnte, wusste sie hingegen leider auch nicht. So versteckte sie nur für einen Moment ihr Gesicht an seine Schulter, blickte nach hinten zur Sofalehne und atmete tief durch im Versuch, sich nicht weiter mit Flashbacks zu beschäftigen. Sie konnte sich hier auch schlecht einfach ganz bei Victor verkriechen, wie sie das liebend gerne in schwierigen Momenten oder bei allgemeiner Überforderung tat. Ryatt war auch noch hier und sie musste die Situation nicht unangenehmer machen für ihn, als sie das schon lange war. So überwand sie sich nach einem kurzen Augenblick auch dazu, sich wieder dem Gespräch - und damit Ryatt - zuzuwenden, um sich nochmal direkt an ihn zu wenden. "Ich wäre dir dankbar, wenn du das in die Wege leiten könntest... Natürlich nur, wenn die beiden damit auch einverstanden sind, aber davon ist wohl auszugehen...", meinte die Brünette, zuckte daraufhin einseitig mit der Schulter. Aryana würde sowieso zu allem Ja sagen, wenn es dem Zweck dienen würde, Faye am Leben zu halten. Und Mitch wohl auch, er hatte sie damals ja nicht aus den Hügeln geholt, um sie nun an ein paar grössenwahnsinnige Kriminelle abzugeben. "Vielleicht... find' ich bis dahin noch einen geeigneten, kleinen GPS-Tracker, den ich für eine gewisse Zeit unauffällig auf mir tragen kann... Nur für den Fall...", tat sie ihre eigene Idee einer weiteren Vorsichtsmassnahme kund. Sie wussten alle, für welchen Fall das nützlich sein könnte. Den, den sie nicht erleben wollten, aber auch nicht sicher ausschliessen konnten. Sie würde Ryatt ja vorschlagen, das Gleiche zu tun. Aber sie wusste nicht, ob er wirklich wollte, dass jemand jeden seiner Schritte verfolgen konnte. War immerhin kein kleiner Eingriff in die Privatsphäre und Grundsätzlich nicht so toll. Aber hilfreich, wenn man schnell gefunden werden wollte.
Es würde ein Ende haben, dieses Mal. Auf die eine oder andere Art würde das ständige Gefühl, in Angst vor dem mehr oder weniger Ungewissen zu leben, vorüber gehen. Ich wollte diesen Ausdruck in Fayes Augen nie wieder sehen müssen. Auch ein normales Leben konnte einem zuweilen ordentlich einheizen oder Ängste bescheren - die würden aber niemals vergleichbar mit der Angst vor diesen krankhaften Psychopathen sein. Letztere wollten wir eigentlich nicht auch noch auf Aryana und Mitch übertragen müssen, aber ich würde einfach still weiter hoffen, dass die beiden nicht mit den Kriminellen kollidieren würden. Nicht, dass ich bis zum Vorschlag einer tatsächlich erfolgversprechenden Theorie an Ryatts Erfolg glaubte, aber wenn ich mir zusätzlich einredete, dass Faye sowieso dem Untergang geweiht war, konnte ich mich auch gleich wieder einweisen lassen. Das war keine Option. Auch für die Brünette selbst nicht, die dem indirekten Einbezug von ihrer Schwester und Mitch zustimmte. Während ich gerade dabei war, meinen Kopf in Fayes Richtung zu drehen, um ihn behutsam an ihren zu lehnen, war ein fast stummes Räuspern vom Sessel aus zu hören, das ich für meinen Teil völlig ignorierte. Die zierliche Brünette hingegen wandte sich Ryatt vor mir wieder zu, meine Augen lagen noch einen Moment länger auf ihr. Erst als sie noch einmal ausdrücklicher eingewilligt hatte, sah ich selbst zu dem Veteran. “Dann mach ich das… in Absprache.”, willigte er murmelnd mit einem Nicken ein, die Planung zu Fayes Gunsten zu verschieben. War nicht anders zu erwarten gewesen, war schließlich sein Vorschlag. Meine Augen wanderten zurück zu Faye, als sie erneut sprach. Ich streichelte fast ununterbrochen ihren Handrücken und sah letztlich auch auf unsere Finger hinab, als sie auf einen zukünftigen Peilsender zu sprechen kam. Es war unfassbar, zu welchen Handlungen uns diese Teufelsbrut trieb. "Hoffen wir mal, dass das überflüssig sein wird.", war alles, was ich daraufhin ziemlich leise - und damit wahrscheinlich unverständlich für Ryatt - zu Faye rüber nuschelte.
Das alles war blanker Wahnsinn. Heutzutage, wo sowieso gefühlt alles irgendwie überwacht wurde, auch noch freiwillig mit einem Tracker herumzulaufen, sprach Bände. Kein Wunder, dass Faye langsam aber sicher das Bedürfnis zu entwickeln schien, sich einfach irgendwo verkriechen zu wollen. Für mich war das unangenehm zu beobachten. Nicht nur, weil ich der Auslöser dafür war, sondern weil ich offensichtlich wollte, dass sie sich bei mir verkroch. Das hatte schon in der Silvesternacht ganz gut funktioniert - den Umständen entsprechend eben, aber da hatte ihr meine Schulter zum Anlehnen noch gereicht. Ich wusste, dass ich mich ziemlich bereitwillig hatte ausnutzen lassen, weil ich selbst ebenfalls einen temporären Nutzen davon gehabt hatte. Trotzdem fühlte sich diese außerordentliche Dummheit jetzt an wie ein Schlag in die Magengegend. Es bildete sich langsam ein Knoten in meinem Hals, den ich durch ein Räuspern zu eliminieren versuchte. Funktionierte natürlich nicht, weshalb die Worte im Anschluss etwas undeutlicher ausgefallen waren. “Ist wohl leider auch keine schlechte Idee, ja...”, murmelte ich leise seufzend, nachdem Victor sich schon geäußert hatte. Ich wollte ihr mit dem Tracker nicht zustimmen müssen, aber es ließ sich auch an dieser Stelle wieder nicht leugnen, wie sehr wir möglicherweise in der Scheiße saßen. Faye wahrscheinlich mehr als alle anderen hier im Raum. Abgesehen davon hatte ich vorerst aber auch nichts Produktives mehr beizutragen, weshalb ich nach ein paar stummen Sekunden tief durchatmete. “Dann… lass ich euch zwei mal alleine, damit ihr…” Ich rutschte beim Sprechen langsam an die vordere Kante des Sessels, um jeden Moment aufzustehen. Dabei sah ich noch immer überwiegend auf meine Jeans, weil das die einzige Möglichkeit war, den Frosch im Hals klein zu halten. Ich wusste nicht recht, wie ich den angefangenen Satz beenden wollte, aber das musste ich auch gar nicht - Victor war hier scheinbar noch nicht fertig. Als ich drauf und dran war, aufzustehen, bremste er mich nochmal aus. “Gewöhn dir in Zukunft an, vorher anzurufen.” Ich sah ihn wohl für einen Moment lang so an, als würde ich ihn fragen wollen, ob wirklich ausgerechnet das gerade sein größtes Problem war. “Mach ich.”, war dementsprechend alles, was ich als sehr knappe Antwort darauf zu sagen hatte. Meine Augen formten im Anschluss ganz allein das stumme ’kann ich jetzt gehen?’, was der Dunkelhaarige offensichtlich noch abwägte. Ihm schien etwas auf der Zunge zu liegen, aber es kam erstmal nichts, weshalb ich wie ursprünglich geplant aufstand.
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Damit machten sie wohl so ziemlich alles, was sie tun konnten. Es fühlte sich nur kein bisschen an wie genug. Sie würde sich wohl noch einmal sehr gut überlegen müssen, ob sie wirklich hierbleiben und das jeweilige Ende ihres Arbeits- und Mietvertrages abwarten konnte, oder ob sie die schlechte Referenz nicht einfach doch riskieren wollte. Das konnte sie sich eigentlich nicht schon wieder leisten, wenn sie sich nicht potenziell die Zukunft in LA verbauen wollte. Wenn sie nicht wollte, dass ihr Start im Süden dadurch so viel schwieriger wurde. Aber was brachte ihr der vermeintlich leichtere Neuanfang noch, wenn sie dafür kurz davor nochmal ordentlich Trauma abstaubte? Je nach Glück- und Unglückslage auch Trauma von der Sorte, die sie nicht nochmal überleben würde? Nichts. Sie musste dringend mit Mrs White sprechen, vielleicht wüsste sie die Situation rationaler einzuschätzen, konnte ihr besser helfen als ihr eigener Kopf, der fröhlich vor sich hin pochte. Vielleicht könnte sie sie ja wirklich wenigstens die letzten beiden Wochen krankschreiben, damit sie ein kleines bisschen früher hier wegkam. Die Hernandez müssten ja bis zum Ende der Frist warten, oder? Sonst konnten sie ja nicht wissen, ob Ryatt es schaffte oder nicht. Ganz sicher. Weil sie sich in der Vergangenheit ja auch schon als extrem vertrauenswürdige Kriminelle bewiesen hatten... Besser sie besorgte den Tracker früher als später, so sehr sie Victors Hoffnung auch teilen wollte. Ryatt hatte scheinbar alles gesagt, war mit seinem unheilvollen Update soweit durch, wie er sowohl wörtlich signalisierte, als auch dadurch, dass er seinen Aufbruch einleitete. Um alleine den Heimweg anzutreten... Keine gute Idee, was ihr besorgter Blick wohl auch unterschwellig mitteilte. Aber er würde noch oft alleine unterwegs sein. Ausserdem hatte er seine tägliche Dosis Hernandez heute schon durch. Er würde also schon sicher nachhause kommen und sich wieder hinter den Mauern verkriechen können, sobald er hier draussen war. Victor war scheinbar mit den Gedanken noch woanders, wie er kurzum kundtat, noch bevor ihr Besucher auf die Füsse gesprungen war. Ja, ein Anruf wäre sicher nicht falsch. Aber es war auch irgendwie selbsterklärend, warum Ryatt so spontan hergefahren war, wie sie fand. Er hatte sich - begründete - Sorgen gemacht. Besser er passte einmal mehr auf, als einmal zu oft unvorsichtig zu sein, oder nicht? Ausserdem hatte er ja eine Nachricht geschickt, sie hatte sie nur noch nicht gelesen... Sie würde es Victor nicht sagen, aber trotzdem fand sie es nicht nötig und auch nicht so fair, jetzt noch zusätzlich gegen Ryatt zu schiessen. Seine eigene Schuld hin oder her, er hatte das alles nie gewollt und das war es in Fayes Augen, was so viel mehr zählte. Die Brünette stand ebenfalls auf, auch wenn Ryatt den Weg zur Tür bestimmt auch selbst gefunden hätte. Vielleicht sogar gerne selbst gefunden hätte... Sie liess Victors Hand dafür nach einem letzten Drücken vorübergehend los, um in Richtung Flur zu gehen. "Pass auf dich auf, Ryatt... Und wenn irgendwas ist, rufst du an. Es... es gibt bestimmt noch irgendeinen Ausweg, den wir noch finden werden...", meinte sie leise, klang dabei weit weniger hoffnungsvoll, als sie das gerne getan hätte. Sowohl Ryatt als auch Victor waren in vielen Belangen aber sowieso zu realistisch veranlagt, um hier grosse Hoffnungen zu hegen, die Sache unbeschadet zu überstehen. Es schien fast so, als wäre eine plötzliche Flucht, Hals über Kopf, die einzige Option. Und selbst dann wäre das nicht geklärt und sie konnten kaum einschätzen, ob ihre Widersacher die Sache bei einem Umzug von ihnen allen wirklich einfach vergessen würden.
Einerseits wollte ich ganz dringend hier weg, weil ich nach den paar Minuten schon keine Lust mehr hatte, noch länger im Eifersüchtiger-Freund-Radar zu schwimmen. Ich konnte es ihm zwar nicht so richtig verübeln, weil es mir an seiner Stelle wahrscheinlich nicht anders gehe würde, aber es war trotzdem scheiße für mich, wie er sich benahm. Also doch, ich kreidete es ihm ziemlich an. Er braucht sein Revier schließlich nicht zu markieren - ich wusste schon, dass ich hier nicht länger erwünscht war. Das war das einzig Gute daran, dass Victor ging. Dann brauchte ich keinen Bogen mehr um ihn zu machen. Denn andererseits wollte ich Faye natürlich schon gerne wieder nahe sein. Sie ansatzweise regelmäßig mal sehen und das bevorzugt ohne das unangenehme Gefühl, dabei beobachtet zu werden oder um Erlaubnis fragen zu müssen. Sie hatte sich schon vor Jahren für ihn entschieden, was hatte Victor also vor mir zu befürchten? Ich hatte den Korb doch sowieso schon kassiert. Ich erwartete eigentlich nicht, dass ich noch zur Tür geleitet wurde und doch hörte ich schon bald leise Schritte hinter mir. Als ich Fayes Worte vernahm, folgte ziemlich bald der nächste tiefe Atemzug meinerseits. Es war wirklich erstaunlich, wie optimistisch sie trotz allem noch sein wollte. Ihr Tonfall hatte einen Knick weg, ja, aber ich für meinen Teil käme in ihrer Situation wohl niemals auf die Idee, sowas auszusprechen. Ich war schon dabei in meine Schuhe zu schlüpfen, als ich zu einer Antwort ansetzte: “Deine scheinbar unsterbliche Hoffnung in allen Ehren, Faye, aber ich denke schon ziemlich lange über einen Ausweg nach und hab noch immer keinen gefunden. Gehen wir zur Sicherheit also besser erstmal vom… Gegenteil aus.” Ich murmelte, hauptsächlich um den Druck in meinem Rachen nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. Mein nervös taktendes Herz wäre wohl dankbar gewesen, wäre Faye mir nicht in den Flur gefolgt. Als ich in beide Sneaker geschlüpft war und wieder aufrecht stand, suchte ich nach ihrem Blick und wünschte mir noch im selben Moment, ich wäre einfach wortlos durch die Tür abgehauen. Es tat weh, sie so zu sehen und schon wieder der Grund dafür zu sein, dass ihr Leben Kopf stand, dass sie einfach nicht zur Ruhe kam. Nicht zum ersten Mal dachte ich, dass es besser gewesen wäre, sie nach der ersten Katastrophe nicht mehr angesprochen zu haben… und doch wollte ich nicht gehen. Jetzt noch weniger als vor viereinhalb Monaten. Ich hatte ihn ganz und gar nicht vermisst, diesen Krieg zwischen Kopf und Herz. “Mach dir um mich bitte keine Sorgen. Ich bin wahrscheinlich am sichersten von uns dreien.”, hielt ich sie dazu an, sich in erster Linie um ihren eigenen Verbleib zu kümmern, während ich die zwei bis drei Schritte auf sie zuging. Ich zögerte noch ein winziges bisschen, holte mir dann aber doch eine sehr flüchtige Umarmung ab. Dabei war ich ein weiteres Mal versucht, mich für all das zu entschuldigen, aber so langsam bekam das einen sehr faden Beigeschmack. Also ließ ich es bleiben, löste mich von ihr und wandte mich dann endgültig in Richtung Wohnungstür. “Lass mich wissen, falls sich was ändert.”, bat ich Faye mit noch immer eher dünner Stimme im Gegenzug ebenfalls darum, sich im Fall der Fälle bei mir zu melden. Falls sie doch früher von hier verschwinden konnte oder falls sich irgendetwas Anderes änderte, das für mich in dieser Sache von Bedeutung war. Ich quälte noch ein erzwungenes Lächeln mit einem letzten Blick in ihre Richtung über die Lippen, aber schon als ich die Wohnungstür aufzog fielen meine Mundwinkel zurück ins Bodenlose. Keine Ahnung, was in diesem Moment mehr wehtat - meine Seele, weil ich offenbar nicht das haben konnte, was ich ganz dringend wollte oder doch mein Kopf, weil ich mir diese ganze Gefühlsduselei am liebsten sofort austreiben würde. Ich hatte gewusst, worauf ich mich einließ, als ich in den Versuch einer fortbestehenden Freundschaft - nur Freundschaft - mit Faye eingewilligt hatte. Meinem normalerweise recht logischen Denken nach zu urteilen war das eine der dümmsten Entscheidungen meines Lebens gewesen, was mir die auf dem Weg nach unten schlimmer werdende Übelkeit im Grunde nur bestätigte. Wäre da nur nicht dieser irrationale, allzu starke Funken in meiner Brust, dem vorübergehend schon eine kurze freundschaftliche Umarmung ausreichte, um am Leben zu bleiben.
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Ihr war vollkommen klar, dass Optimismus an dieser Stelle nicht nur schwer nachvollziehbar, sondern auch wirklich naiv war. Da war es aber auch nicht, was sie verspürte oder vermitteln wollte. Dafür war es zu spät und sie steckten zu tief in der Scheisse. Aber hoffen wollte sie trotzdem. Auf irgendeinen guten Ausgang der Dinge - für sie alle, nicht nur jemanden oder zwei von ihnen. "Ich weiss. Ich meine damit auch keinen Ausweg, den wir uns selbst ausdenken können oder den du nur übersehen hast. Eher irgendeine Wendung des Schicksals... Ein Hieb von zu viel schlechtem Karma. Ein Autounfall, in den per Zufall alle drei Geschwister verwickelt sind und bei dem sie tödlich verletzt werden. Drei fatale Herzinfarkte. Ein Amoklauf mit genau drei spezifischen Opfer... Oder ein ordentlicher Schlag auf den Hinterkopf, um mal ein paar Sachen sinnvoll zu überdenken", präzisierte die Brünette ihre vorangehenden Worte. Grundsätzlich hasste sie ja keine Menschen, wünschte auch niemandem den vorzeitigen Tod. Aber für die Hernandez machte sie an dieser Stelle wohl eine grosszügige Ausnahme. Die würde sie gerne durch einen Unfall tot wissen. Erstens, weil sie sie wirklich hasste für das, was sie Victor und ihr angetan hatten, und zweitens, weil ihr Ableben gefühlt die einzige Möglichkeit zu sein schien, diese Schatten der Hölle endgültig loszuwerden. Aber wie dem auch sei. Momentan lebten sie noch und Faye musste zwangsläufig an der Hoffnung festhalten, dass sie den Ausweg, den Ryatt ihr schon mehr oder weniger absprechen wollte, doch noch finden würden. Seine anschliessenden Worte machten dabei nochmal deutlich klar, wie er die Lage wirklich einschätzte. Er, der persönlich mit dem Elend kommuniziert hatte und insofern am besten wusste, wie die Lage aussah. Nämlich brandgefährlich - und scheinbar vor allem für sie. Diese sehr direkte letzte Warnung liess Faye seinem Blick doch nochmal ausweichen und schwer durchatmen. "Ich mach' mir trotzdem Sorgen. So wie du. Und Victor.", murmelte sie fast tonlos. Sie machten sich alle Sorgen umeinander. Nicht zu gleichen Teilen natürlich, aber trotzdem waren ihr die Folgen von Bedrohungen gegenüber Menschen, die sie mochte oder liebte, eben nur allzu gut bekannt. Somit war sie auch froh, dass Ryatt ihr immerhin eine kurze Umarmung zum Abschied schenkte. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob er das heute wollen würde - sie war ja nicht dumm und wusste, dass die Situation mit Victor für ihn wie auch für ihren Freund einfach unangenehm war - und hätte folglich auch keinen solchen Abschied von sich aus initiiert. Aber sie schätzte die flüchtige Verabschiedung, bevor ihre letzten drei Worte "Machs gut, Ryatt", den Dunkelhaarigen zur Wohnungstür hinaus begleiteten. Sie schob die Tür hinter ihm zu, lehnte auch direkt ihre Stirn gegen das kühle Holz, um für ein paar Sekunden die Augen zu schliessen und durchzuatmen. Half eher wenig und so wurde gewissenhaft der Schlüssel gedreht und im Schloss verkeilt, bevor Faye langsamen, kraftlosen Schrittes zurück ins Wohnzimmer schlich, eindeutig verlassen von so ziemlich jeglichem Elan oder Energie. Ihr Blick traf auf Victor, aber sie versuchte gar nicht erst, sich vom Ausdruck seiner Augen beeinflussen zu lassen, schloss viel mehr direkt wieder zu ihm auf, um ihn umgehend in die Arme zu schliessen. Diesmal richtig und ohne Zurückhaltung, weil keiner sich davon gestört fühlen könnte. Sie liess die Entschuldigung bleiben, schwieg stumm gegen seine Brust und liess die ganzen Gedanken und Sorgen und Gefühle über sich hereinbrechen. Sie wusste auch nicht, was sie überhaupt dazu sagen sollte ausser Scheisse. Gab es Worte für sowas? Wenn ja, waren ihr diese längst ausgegangen....
Ich presste die Lippen aufeinander, als Fayes Finger aus meinen rutschten und meine Augen klebten auf ihrem Rücken, während sie Ryatt hinterher in den Flur ging. Überflüssig zu erwähnen, dass es mir lieber gewesen wäre, sie hätte den Auslöser für diese ganze Scheiße einfach alleine den Weg nach draußen finden lassen. Er musste ihn ja bestens kennen, war nicht unbedingt selten hier gewesen… und bei diesem Gedanken drehte sich mir gleich ein weiteres Mal der Magen um. Ich wollte nicht eifersüchtig sein und doch ließ sich das Gefühl einfach nicht ersticken. Vielleicht war das irgendwie menschlich, bis zu einem gewissen Grad. Trotzdem konnte es nicht wirklich richtig sein, wie gerne ich Ryatt noch deutlich mehr Dinge an den Kopf geworfen hätte. Allem voran die Frage, ob er tatsächlich völlig okay damit war, dass Faye ihn nur auf der platonischen Ebene behalten wollte. Vielleicht war die Art, wie er sie angesehen hatte, nur durch die schlimmen Hernandez-Umstände beeinflusst worden. Vielleicht aber auch nicht. Ich wusste nur, dass ich das unruhige Schimmern in seinen Augen vorerst als verdächtig einstufen würde. Damit tat ich mir keinen Gefallen, aber ich konnte diese Gedanken kaum kontrollieren. So wenig, das ich beinahe versucht war, den beiden noch in den Flur zu folgen, obwohl Ryatt schon kurz darauf verschwunden war. Demnach hing mein Schädel bei Fayes Rückkehr noch schwerer, als er das vorher ohnehin schon getan hatte. Ich streifte mit meinem Blick nur kurzzeitig ihren, als sie wenig später auf mich zukam. Alter Gewohnheit folgend legten sich meine Arme wie von selbst um ihren zierlichen Körper, als sie sich auf meinem Schoß verkroch und ich mich ihrem Kopf zuneigte. Doch ihre Nähe bot mir weniger Auftrieb, als wünschenswert war. Die ganze Situation war so bodenlose beschissen, dass auch mir eigentlich schon wieder nach heulen zumute war. Es fühlte sich schon wieder so an, als hätte sich überhaupt nichts geändert. Eventuell abgesehen davon, dass ich mich mit eigentlich unnötiger Eifersucht plagte. Faye hatte längst zugestimmt, ein neues Leben an einem der vielen anderen Enden der Vereinigten Staaten aufbauen zu wollen. Mit mir, nicht mit Ryatt oder irgendwem sonst. Sie hatte sich klar für mich entschieden, wieso schaffte ich es nicht mich darauf zu fokussieren? Oder wenigstens auf die akut wichtigen Dinge - wie zum Beispiel, dass Faye und ich beide sicher von hier weg kamen, ohne nochmal mit einer der Höllen in Person zu kollidieren. Ich wusste selbst nicht, was ich in diesem Moment hätte sagen sollen. Es gab unseren vorherigen Worten nichts mehr anzufügen, weil ich mich nicht wieder in irgendeiner Illusion wiegen würde, in der ganz bestimmt Niemandem etwas passierte. Schließlich waren wir gerade akut genau davor gewarnt worden. Also hielt ich Faye nur so lange fest, bis mir nach etwas mehr als fünf Minuten auch der letzte, dafür nötige Funken Ruhe ausging. An diesem Punkt schluckte ich leise und ließ meine Arme zu ihrer Taille rutschen, wo ich nur minimalen Gegendruck ausübte. "Ich…”, musste mich erstmal räuspern, weil ich schon das eine Wort nur als dünnen Hauch über die Lippen brachte. “Ich sollte mich schonmal auf den Anruf mit meinem Chef morgen vorbereiten. Schauen, wann Flüge gehen... wo ich in der Zwischenzeit unterkommen kann... und so weiter.", murmelte ich eine zumindest ansatzweise fester klingende Begründung vor mich hin, ohne dabei aktiv Fayes Blick zu suchen. Ich musste mich auf das Vorwärts fokussieren, wenn ich meine hart erarbeiteten Nerven nicht gleich wieder mit dem Abrutschen in die Vergangenheit wegschmeißen wollte. Das bedeutete für mich ab nach Los Angeles und weg von diesem unablässig unter uns brodelnden Kochtopf im Norden. Wäre es nicht schon so spät gewesen, hätte ich Ragsdill ohne Umschweife angerufen, um die Sache dingfest zu machen. Es ging mir absolut nicht gut damit, Faye hier alleine zu lassen - es ginge mir aber offenbar noch schlechter damit, ebenfalls hierzubleiben. Auch unabhängig davon, dass die Hernandez potenziell hinter jeder gottverdammten Straßenecke sitzen konnten. Denn dass ich Fayes Nähe nicht lange ertrug, nur weil sie kurz davor einen Freund zur Tür gebracht hatte, machte etwas zu deutlich, wie fragil das neu geknüpfte Band zwischen uns im Grunde noch war.
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Sie wollte eigentlich wirklich nicht daran denken, dass sich diese Umarmung im Prinzip schon wieder sehr heftig nach Abschied anfühlte. Nach einem Abschied, der auf einer ganz anderen Ebene unendlich ungewiss wirkte, als der letzte es getan hatte. Vor elf Monaten hatten sich ihre Gedanken hauptsächlich darum gedreht, ob er wirklich wieder zurückkommen würde, wann dieser unbestimmte Zeitpunkt denn sein könnte, ob sie dann noch zusammenpassten und ob es ihm in der Zwischenzeit gut ging. Der letzte Punkt war heute sehr viel präsenter. Aber dazu gesellte sich noch ein anderer, der für sie eher ungewöhnlicher Natur war. Zumindest war es ungewöhnlich, dass er ungeschlagen an erster Stelle thronte. Es war die Sorge um sich selbst. Die riesigen Ängste, die sie einholten. Die pure Ungewissheit, ob sie es schaffen würde, der Hölle diesmal rechtzeitig zu entschlüpfen, um mit Victor auf Feld Eins einer so viel schöneren Karte neu zu starten. Sie hatten heute den entscheidenden Vorteil zu all den anderen Malen, dass sie sich dem Ausmass der Gefahr sehr bewusst waren. Dass sie alle Vorsichtsmassnahmen der Welt treffen konnten. Es konnte ihnen nur leider niemand sagen, ob das am Ende reichen würde. Die Umarmung zog sich bereits ein paar Minuten dahin, als Victor sich vorsichtig daraus zu lösen begann. Von ihr aus wären sie an dieser Stelle aber noch lange nicht aufgestanden. Seine Erklärung dazu war ebenfalls etwas dürftig, hinterliess bei der Brünetten einen etwas faden Beigeschmack. Den Anruf vorbereiten, wollte er... Aber er musste theoretisch erst in elf Tagen los. Sie war natürlich voll dabei, so rasch wie möglich die entsprechenden Vorbereitungen zu treffen - aber dass er jetzt gleich aufspringen wollte, führte doch unweigerlich dazu, dass sie sich fragte, was in diesem Moment wirklich in ihm vorging. Was er ihr gerade verschwieg. Oder ob da gar nichts war und sie sonst irgendwas nicht verstand oder checkte. Er hatte sie vorgewarnt mit den Worten, dass er hier sofort weg wäre, sollte er das ernsthafte Gefühl bekommen, möglicherweise ein drittes Mal mit ihr fast zu sterben. Das war dann wohl dieses sofort weg sein. Und sie verstand es, so war es ja nicht. Es war ihr lieber, wenn er in Sicherheit war, und zwar besser morgen schon als in zwölf Tagen. Das hiess aber nicht, dass es für sie irgendwie erträglicher sein musste, dann plötzlich wieder ganz alleine hier zu sein. Ständig gefühlt mit dem heissen Atem des Teufels im Nacken. Das hiess nicht, dass sie es befürworten musste, dass er jetzt aufstand, um seine Abreise zu organisieren. Trotzdem rutschte sie von ihm runter, erstmal nur neben ihm ins Sofapolster, weil sie für ihren Teil noch nicht in Organisationslaune war. "Okay... Ich... Ich werde mich wohl erst morgen um die Wohnungskündigung... und die... Arbeitskündigung kümmern...", tat sie leise kund, dass sie sich heute eher nicht mehr um so viel Drama scheren konnte. Wobei es bei diesen beiden Sachen auch kaum relevant war, ob sie den Ausdruck heute oder morgen zur Post brachte - war ja beides nur auf Ende Monat möglich und bis dahin hatten sie noch ein paar Tage. Faye blickte von ihren Knien auf, um Victor doch nochmal mit einem schwer zu definierenden Blick anzuschauen, nochmal nach dem gewissen irgendwas zu suchen, das er gerade für sich behielt. "Wenn irgendwas ist.... du über etwas reden möchtest oder ich die Sache irgendwie leichter machen kann für dich... dann lass es mich wissen, okay?", bat sie ihn im entsprechenden Fall um eine kurze Memo. Vielleicht wollte er auch einfach nicht mit ihr drüber reden. Aber das wäre nicht gut, oder? Sie sollten reden können zusammen, über alles.... oder? Das war es doch, was ihre Beziehung ausmachen sollte. Ob es wirklich nur wegen Ryatt war..? Das wäre blöd.... Aber insofern bald geklärt, weil sie in ein paar Wochen sehr weit weg von Ryatt sein würden. Aber es sollte Victor nicht so sehr belasten. Nicht, wenn zeitgleich die Drohung der Hernandez im Raum stand. Das waren zwei sehr unterschiedliche Kaliber, gar nicht miteinander vergleichbar. Das eine war ein ernstzunehmendes Risiko und potenziell tödlich - das andere eine sehr unbegründete... Vermutung? Angst? Es sollte kaum das Ausmass von Angst einnehmen. Sonst mussten sie wirklich sehr gut miteinander reden.
Die Wohnung und ihre Arbeitsstelle eilten nicht allzu sehr, weshalb ich Fayes Worte diesbezüglich mit einem schwachen Nicken abtat. Ich für meinen Teil wollte auch das Auto noch loswerden, bevor ich hier wegflog. Theoretisch konnte ich das Faye machen lassen, weil sie noch länger hier war und mehr Zeit dafür hätte. Nüchtern betrachtet schätzte ich sie aber als nicht unbedingt herausragend ein, was knallharte Preisverhandlungen anging und ich wollte noch so viel wie irgendwie möglich für den Gebrauchten kriegen. Das Auto war kein Goldesel, aber sich über den Tisch ziehen zu lassen kam eben auch nicht in Frage. Außerdem schätzte ich die Symbolik, alles Alte für immer hier zu lassen. Nur Faye hoffentlich nicht… vielleicht war es auch bei mir nur die Situation, die mich nichts mehr wirklich klar sehen ließ. Ich war noch immer nicht ganz so nah am Wasser gebaut wie die zierliche Brünette, aber ich war ebenso wie sie ein sehr emotionaler Mensch. Man sollte meinen, dass man irgendwann abstumpfte, wenn man mehrmals fast draufging und ich konnte bestätigen, dass ich an diesem Punkt auch weitgehend angekommen war. Ich setzte mehr Grenzen und schüttelte über viele Dinge, die ich mir früher zu Herzen genommen hatte, jetzt nur noch den Kopf - nicht aber bei Faye. Ich wollte es nicht gerne so rational sehen, aber manchmal war sie Fluch und Segen. Segen, wenn sie mir mehr Kraft gab, als es jeder andere Mensch konnte und Fluch, wenn sie mir diese Kraft an einem anderen Tag - aus welchen Gründen auch immer - wieder entzog. Würde das aufhören, wenn wir endlich so richtig von vorne anfingen? Ich sah sie für einen Moment lang nur ziemlich leer an, als sie mich dazu anhielt, mit ihr zu reden. Für eine Antwort musste ich zuerst meinen viel zu schweren Schädel aufräumen. "Morgen, wenn ich drüber geschlafen hab.", sagte ich verhältnismäßig nüchtern, weil ich in selben Moment versuchte, den Sturm in meinem Kopf zu ersticken. Anschließend stand ich mühselig aus dem plötzlich unendlich tief wirkenden Sitzpolster auf. "Ich bin gerade viel zu emotional, um vernünftig darüber zu reden. Damit würden wir uns keinen Gefallen tun, glaube ich.", begründete ich meinen Aufschub auf morgen mit einem angestrengten Seufzen. Ich wollte mich nicht darüber streiten und war mir ziemlich sicher, dass aber genau das passieren würde, wenn ich das ganze Ryatt-Thema hier und jetzt von vorne bis hinten aufrollte. Es war wahrscheinlich nicht so viel besser, wenn das Unausgesprochene später zwischen uns im Bett lag. Trotzdem hasste ich Streit bis zum heutigen Tag noch immer genauso sehr wie Faye und ich konnte gerade nicht ansatzweise klar denken. "Und mit dem vorübergehend alleine Umziehen komm ich schon klar, ist ja jetzt leider nicht das erste Mal.", murmelte ich mit einem kurzen seitlichen Blick zu ihr runter, bevor ich mich von ihr abwendete, um meinen Laptop aus dem Schlafzimmer zu holen. In der kleinen Wohnung gab es kein Arbeitszimmer für mich, weshalb ich den portablen PC überall da nutzte, wo es gerade tauglich war. Mal war das tagsüber auf dem Balkon, wenn die Sonne nicht zu ungünstig stand, manchmal in der Küche, weil es sich am Esstisch am besten damit sitzen ließ und manchmal schleppte ich ihn auch ins Bett, wenn ich mich aus Bequemlichkeit schon ins Laken schmiss, bevor ich tatsächlich schlafen ging. Wenn ich jetzt aber damit im Bett versinken ging, kam ich meinem eigentlichen Ziel wahrscheinlich nicht besonders nah, weshalb ich den Laptop unter dem Arm in Richtung Küche ging. Dabei machte ich trotzdem nochmal einen Umweg am Türrahmen zum Wohnzimmer vorbei, wo ich kurz innehielt und zu Faye sah. “Du kannst mir aber trotzdem Gesellschaft in der Küche leisten, wenn du möchtest. Ich mach mir Tee, willst du auch..?", fragte ich sie leicht gemurmelt und blieb ihre Antwort abwartend im Türrahmen stehen. Auch wenn kuscheln aufgrund der Umstände gerade nicht ganz das Richtige für mich war, wollte ich Faye nicht unbedingt komplett räumlich von mir schieben. Im gleichen Atemzug musste ich mich jedoch dringend mit etwas anderem als Ryatt oder den Hernandez direkt beschäftigen. Weitgehend war ich gegen Flashbacks inzwischen zwar immun - so weit, wie das eben möglich war - aber ich wollte trotzdem keinen riskieren, indem ich damit anfing mir intensiv auszumalen, was Faye in meiner Abwesenheit alles zustoßen konnte. Mir reichte schon der alarmierend hämmernde Hinterkopf, ich brauchte dazu nicht auch noch Kopfkino.
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Eigentlich sollte sie froh sein, dass er versuchte, die Sache rational zu betrachten und das Gespräch somit auf Morgen zu verschieben. Eigentlich. In Wirklichkeit traf es sie auf eine ungesunde Art an einer zu empfindlichen Stelle. Es erinnerte sie ein kleines bisschen an damals, als Victor ihr zum ersten mal von seinem Plan einer längeren Abwesenheit erzählt hatte. Da hatte sie auch gesagt, dass sie erstmal Zeit brauchte, um das sacken zu lassen, bevor sie redeten. Letztendlich hatte sie sich die Zeit ihm zuliebe dann doch nicht genommen und alles hatte in einem sehr grossen Drama geendet. Also ja... Sie warteten besser bis morgen. Auch wenn sie ihm liebend gerne hier und jetzt sagen würde, dass er, falls es wirklich um Ryatt ging, bitte nicht noch so viel zusätzliches Drama dazudichten sollte. Es verstand sich von selbst, dass sie das niemals wirklich sagen würde - gerade auch mit ihren persönlichen Erfahrungen bezüglich der Unberechenbarkeit von Gefühlen - aber trotzdem war es einfach nicht gerechtfertigt. Auch wenn Victor das Scheisse fand, hatte Ryatt im letzten Jahr eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt - und das definitiv überwiegend positiv, wenn man von dem Funkloch im Frühling absah. Und eben von der Assoziation mit den Hernandez, die er sich aber halt auch nicht wünschte. Ja, sie hatte ihn einmal geküsst, ja, das war dumm und ja, Ryatt hatte es ebenfalls ein bisschen auf mehr angelegt. Das war aber vorbei gewesen, bevor es wirklich zum Thema geworden war und seit da war nie wieder etwas passiert. Ausserdem konnte er ihr doch vertrauen... oder? Sie sollte sich wirklich nicht so sehr den Kopf darüber zerbrechen, wenn er sowieso noch nicht mit ihr reden wollte. Sie theoretisch noch nichtmal wusste, ob es wirklich um dieses Thema ging oder um den ganzen Berg an anderen Problemen. Faye sagte nichts mehr dazu und liess Victor gehen, starrte von da an jedoch ziemlich angestrengt auf den Couchtisch. Spürte noch immer das Pochen in ihren Schläfen und das Brennen in den Augenwinkeln. Aber es fühlte sich falsch an, jetzt hier zu heulen, wenn sie zugleich schon wieder diese leisen, fiesen Schuldgefühle hörte. Die, die sie eigentlich totgeglaubt hatte. Die ungesunde Kombination aus Victor und Ryatt schien aber auszureichen, um diesbezüglich wieder irgendwas in ihr aufzuwecken. So schüttelte sie ziemlich bald langsam den Kopf, als ihr Freund nochmal im Türrahmen auftauchte und ihr eine Frage stellte. Sie blickte nur kurz in seine Richtung, rieb sich dann mit beiden Händen das Gesicht und erhob sich ebenfalls „Vielleicht später… ich glaube, ich geh erstmal duschen…“, erklärte sie, wartete kurz, bis er die Antwort akzeptiert und sich entsprechend in Richtung Küche abgewandt hatte, bevor sie sich tatsächlich daran machte, im Schlafzimmer frische Kleidung zu holen und sich damit im Bad zu verziehen. Sie wüsste auch nicht, was sie in der Küche tun sollte, während er sich mit den Dingen auseinandersetzte, die es jetzt eben zu tun gab. Während sie mit nicht reden beschäftigt wären. In irgendwie unangenehmem Schweigen Tee trinken und ihm beim Tippen zuhören? Klang nicht nach Spass oder Ablenkung. Klang auch nicht hilfreich für ihn. Also nein, sie leistete ihm vorerst keine Gesellschaft, sondern wurde ihre Kleidung los und verzog sich unter dem warmem Wasserstrahl. Fühlte sich irgendwie taub... hilflos... mal wieder wie die Marionette des Schicksals, welches ihr ein bisschen zu viel schlechtes Karma anrechnete. Es dauerte unter der Dusche noch maximal zwei Minuten, bis das Wasser in ihrem Gesicht einen salzigen Beigeschmack bekam. Aber hier spielte es keine Rolle, wenn sie weinte. Hier musste sie niemandem mehr beweisen, dass sie die Neuigkeiten der letzten Stunde irgendwie mit Fassung tragen konnte. Hier, wo sie auf ihrer Brust die letzten Spuren von Gils Schandtat an sich sah, durfte sie Angst haben. Auch Panik. Sie durfte verzweifelt sein und wütend. Solange sie es nicht lauter war als als das Wasser, das an ihr vorbei auf den Boden prasselte. Logischerweise zog sich die Dusche durch den nicht ganz so spontanen Gefühlsausbruch ein bisschen in die Länge, und als sie schliesslich wieder angezogen vor dem Spiegel stand, sah sie auch definitiv kaputter aus als davor. Immerhin sauber - aber inwiefern Victor ihr glauben würde, dass die roten Augen vom Shampoo kamen, war fraglich. Sie wäre lieber direkt ins Bett und unter die Decke gekrochen, als ihm jetzt noch kurz offenbaren zu gehen, dass sie mal eben ein bisschen die Nerven verloren hatte. Entsprechend schlich sie eher wie ein kleiner Geist in die Küche, blickte dabei auch bevorzugt zu seinem Laptop als zu Victor selbst, als sie neben ihm zu stehen kam. "Schon weitergekommen..?", fragte sie leise. Sie wusste nicht genau, wie lange sie im Bad gewesen war, könnte alles zwischen fünfzehn Minuten und einer Stunde gewesen sein. War also möglich, dass er tatsächlich schon eine Antwort auf eine ihrer zwanzig Fragen hatte.
Wieder nickte ich nur, als Faye ihren eigenen Freiraum durch einen Gang ins Badezimmer einforderte. Ich ahnte was das anging nicht unbedingt etwas Gutes, weil die zierliche Brünette nicht selten immer genau dann duschen ging, wenn gerade etwas Schwerwiegendes vorgefallen war. Schwerwiegend in Form von emotional sehr belastend. Trotzdem sagte ich nichts weiter dazu, sondern setzte meinen Weg in die Küche fort. Während der auf dem Esstisch abgestellte Laptop hochfuhr, erledigte ich meinen Gang zum Wasserkocher und zum Tee im Küchenschrank. Solange das Wasser noch nicht kochte, räumte ich die Küche restlos auf. Aus dem Abendessen war jetzt leider nichts geworden. Ich goss den Teebeutel auf und setzte mich mit der Tasse an den Tisch. Konzentration für effektives Arbeit war wenig vorhanden, aber es blieb akut die einzige Möglichkeit, um nicht weiter in der teuflischen Gedankenspirale zu versinken. Ich wusste nicht, wie lange Faye am Ende tatsächlich im Badezimmer war, weil ich nicht auf die Uhr sah. Die Zeit verging sicherlich schneller als mir lieb war und meine Ohren lauschten sehr akribisch dem rauschenden Wasser der Dusche. Nur für den Fall, dass plötzlich irgendwas Verdächtiges zu hören sein sollte - was genau das dann auch immer sein mochte. Gleichzeitig sah ich mir nochmal den genauen Standort des Unternehmenssitzes in Los Angeles an und hielt nach möglichst nahen Unterkunftsmöglichkeiten Ausschau. Es gingen an fast allen Wochentagen direkte Flüge von Seattle nach L.A. und wieder zurück, womit die Fluganbindung sehr unproblematisch war. Die Zweigstelle hingegen lag schön teuer in der Nähe der Schönen und Reichen - aus praktischen Gründen nicht weit entfernt von Bel Air und Beverly Hills, wo ich wahrscheinlich überwiegend arbeiten würde. Glücklicherweise brauchte ich nicht viel, solange ich alleine war. Ich musste dort nur schlafen und essen können. An Ruhe war nicht zu denken, solange Faye noch nicht nachgezogen war. Als ich schließlich die Badezimmertür aufgehen hörte, hatte ich immerhin schonmal zwei Lesezeichen im Browser gesetzt, die zu potenziellen Wohnmöglichkeiten führten. Ich hatte bisher vielleicht höchsten zweimal am Tee genippt und als ich es jetzt erneut tat, war er schon nur noch lauwarm. Ich blickte mit dem linken Ellbogen nach vorne auf die Tischplatte gebeugt zu Faye auf, als sie bei mir ankam und ihr Wort an mich richtete. Obwohl ihre Wangen nach einer warmen Dusche grundsätzlich immer leicht gerötet waren, glaubte ich zu sehen, dass sie jetzt noch deutlich roter wirkten als sonst. Es dauerte mit daraufhin spezifisch suchendem Blick also nicht lange, bis mir auch die roten, leicht geschwollenen Augen auffielen. Die Ablenkung hatte mich eigentlich wieder ein bisschen runtergefahren, aber dass Faye geweint hatte, bescherte mir unmittelbar den nächsten dicken Knoten in der Brust. Schon nur deswegen, weil ich mir sicher war, dass das zu mindestens 50% meine Schuld war. "Ein bisschen... Flüge gehen viele, die sind kein Problem. Ich werd' aber wohl irgendwo ein kleines privates Zimmer suchen müssen für den Übergang, wenn ich kein halbes Vermögen ausgeben will.", zog ich meine bisherige Bilanz mit einem tiefen Atemzug und Blick zurück auf den Laptop. Ich tat in den nächsten fünf Sekunden aber nichts, außer tatenlos auf die Sucherergebnisse zu schauen, während ich mit den Gedanken schon wieder wo ganz anders war. Ich erinnerte mich bestens daran, wie sehr es mich jedes Mal aufs Neue verletzt hatte, wenn Faye mich aus unterschiedlichen Gründen von sich geschoben hatte. Dass das jetzt ausnahmsweise umgekehrt passierte, schien genau denselben Effekt auf sie zu haben. Dabei hatte sich eigentlich nichts geändert - ich wollte nach wie vor gemeinsam ein neues Leben mit ihr aufbauen. Meine sehr positive Sicht auf unsere Zukunft wurde nur mal wieder stark durch äußere Einflüsse ins Straucheln gebracht. Die Eifersucht würde sich wahrscheinlich nicht von heute auf morgen gänzliche legen. Trotzdem musste ich einen Weg finden, damit umzugehen, solange Ryatt sich noch in ihrer direkten Nähe aufhielt - angefangen damit, Faye nicht so extrem für ein Gefühl von mir zu bestrafen, auf dass sie es gewiss nicht angelegt hatte. Deshalb ließ ich mich zurück an die Stuhllehne sinken und rutschte mit einem fast stummen Räuspern ein Stück vom Tisch zurück, bevor ich erneut zu Faye aufsah. "Schauen wir nach Wohnungen in den Vierteln, die wir uns rausgesucht haben? Ist ja jetzt viel akuter, als wir dachten...", fragte ich sie, weiterhin ohne sie auf die Tränen anzusprechen. Wenn ich das tat, brach in 9 von 10 Fällen nämlich sofort der nächste Damm und sie hatte schon genug geweint. Drei Sekunden später streckte ich langsam den Arm nach Faye aus und legte die Hand sanft an ihren unteren Rücken. "Ich kann sowieso nicht schlafen und ich... brauch' jetzt irgendwas Positives. Auch wenn wir jetzt sowieso nichts finden... darum geht's nicht wirklich.", fügte ich murmelnd noch ein paar mehr Worte an. Es war unwahrscheinlich, dass wir in unserem Zustand gezielt Wohnungen raussuchen und morgen da anrufen würden. Aber das war eben auch gar nicht meine Intention damit. Ich wollte einfach nur noch einige Minuten mit Faye auf den Oberschenkeln hier sitzen - selbst wenn die Eifersucht erneut im Rachen hochkroch -, mich mit ihr und unserer Zukunft befassen und danach ansatzweise beruhigter ins Bett gehen können. Von mir aus konnten wir bei dieser Suche auch mit einem Traumschloss von Haus enden, das in absolut unerreichbarer Nähe lag. Irgendwann vielleicht aber nicht mehr. Ich durfte nicht aufhören, zu träumen. Immer wenn ich das tat, ging es nämlich zeitnah mit meinem Schädel bergab. Sobald mein Fokus massiv von dort abrutschte, wo ich hinwollte, konnte man quasi schon die Tage zur nächsten Depression zählen... und das war das absolut Letzte, was ich jetzt noch brauchen konnte.
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Sie wäre besser an der Tür stehengeblieben, dann würde er sie jetzt nicht so genau anschauen können und hätte vielleicht gar nichts gemerkt. Es war zwar fraglich, inwiefern es ihr wirklich besser gegangen wäre, wenn sie sich jetzt einfach stumm ins Bett verkrochen und alleine die Decke angestarrt hätte, aber... naja, vielleicht wäre es wenigstens ihm dann besser gegangen, als wenn er jetzt mal wieder mit ihrem verheulten Anblick konfrontiert wurde. Dabei hatte sie seit seiner Rückkehr für ihre Verhältnisse wirklich nur sehr wenig geweint bis jetzt. Nur zweimal, soweit sie sich erinnerte und das erste Mal waren es definitiv Freudentränen gewesen. Tja, die Glückssträhne schein heute in vielerlei Hinsicht vorbei zu sein. Auch wenn Victor nichts dazu sagte und die Anzeichen kommentarlos zur Kenntnis nahm. Sie lauschte seinem Update und nickte daraufhin langsam. Ein Zimmer wäre wohl die beste Übergangslösung. Ganz allgemein waren selbst eineinhalb Monate noch ein ziemlich sportlicher Rahmen zum Finden einer geeigneten Wohnung. Besichtigungen waren auch schwierig, solange nicht zumindest Victor vor Ort war. Aber letztendlich waren sie sich sicher einig in der Tatsache, dass sie lieber erstmal in ein Zimmer ziehen würden, als länger als nötig in Washington State zu bleiben. "Ist wahrscheinlich am einfachsten, ja... Vielleicht hat ja Ragsdill noch irgendwelche Connections oder Tipps, die dir die Suche nach einer vorübergehenden Behausung erleichtern", machte sie den leisen Vorschlag, dass er sich morgen zumindest im Nebensatz auch darüber noch kurz unterhalten könnte, wenn er sowieso anrief. Es dürfte für den Chef keine Überraschung sein, dass Victor in so kurzer Zeit noch nicht alles organisiert haben würde und ausserdem konnte er nicht mehr als einfach Nein zu sagen. Wider ihres ursprünglichen Planes, schien der Tag auch für sie noch nicht ganz vorbei zu sein, wenn es nach Victor ging. Und wahrscheinlich wäre das besser, da auch sie kaum in irgendeine Form von entspanntem Schlaf fallen würde, wenn sie jetzt zu Bett ging. Sie hatte nur nicht unbedingt damit gerechnet, dass er nun um ihre Gesellschaft bat - hoffte zugleich aber, dass er es nicht nur tat, weil sie offensichtlich geweint hatte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie sich tatsächlich auf seinem Schoss niederliess und nochmal ein kurzes Zögern später auch an seine Brust lehnte. Sie atmete tief durch und versuchte, sich auf das Vorhaben einzulassen. Weil sie auch sehr dringend irgendwas Positives brauchte. Faye schloss die Augen und dachte angestrengt an ihr zukünftiges Zuhause, den Ort, den sie sich wirklich wünschten. "Also... mindestens drei Zimmer, nach oben sind wir offen...", begann sie mit leicht ironischem Unterton, ihre Ansprüche aufzuzählen, ohne dabei die Augen bereits wieder aufzumachen. "Viele Fenster, ein Balkon oder Garten... Geschirrspüler... Nette Nachbarschaft... Haben wir überhaupt mehr Ansprüche, die sich bestenfalls als Suchkriterien eingeben lassen?", sie zog leicht eine Augenbraue hoch, blickte mit diesen Worten kurz fragend zu Victor und dann wieder nach vorne zum Bildschirm. Ihr fiel auf die Schnelle gar nicht so viel ein. Der Rest würde sich anhand der Fotos oder eben einer Besichtigung sicher besser beurteilen und aussortieren lassen.