Der Klassiker mit den streitenden Nachbarn... >.> Kurzfassung: Das Paar in der Wohnung unter mir hat laut gestritten und das Haus ist relativ ringhörig, weshalb ich sie zum Teil verstanden habe und sie hat mehrmals geschrien, er habe sie geschlagen. Das fand ich unsympathisch, also hab ich mal meine Wohnungstür zum Treppenhaus aufgemacht und als es nicht aufgehört hat, plötzlich auch ihr kleines Baby zu schreien angefangen hat und sie mehrfach ihre eigene Wohnungstür auf- und wieder zugemacht haben, bin ich nach unten gegangen und hab gefragt, ob bei ihnen alles ok ist.... weils scheinbar ja sonst keinen interessiert hat, obwohls wahrscheinlich das ganze Haus mitgekriegt hat. Und die Frau hat mir dann gesagt, ich soll die Polizei rufen, der Mann hat gesagt nein sicher nicht, ich hab nochmal gefragt, sie hat wieder gesagt ich soll und jaaa... dann hab ich sie angerufen. Dann kam der Mann zu mir hoch, um mir alles zu erklären, ich hatte zum Glück die Tür aber schon abgeschlossen weil gaaaaar kein Interesse an einem Gespräch, ich wollte doch eigentlich nur nen ruhigen Abend... ._. Ende vom Lied: zehn Minuten nachdem die Cops wieder weg waren, standen die zwei friedlich auf ihrem Balkon, haben geraucht und sich ganz nett unterhalten. Fühle mich verarscht... aber jaaa, DRAMAAAA, dabei wohn' ich doch in so nem Kaff hier. ô.o _______________
Sie sich auch, soviel stand fest. Weil es ihre Hochzeit sein würde, weil sie das gerne plante, aber eben auch, weil das mit Hazel doch nochmal eine andere Art von Spass versprach. Victors kleine Schwester war ein unterhaltsamer Mensch und Faye war sich entsprechend sicher, dass die ganze Planung eigentlich nur lustig werden konnte - und schliesslich zu einem rundum perfekten Hochzeitstag führen würde. Genau die Richtung, in die sie ihre Gedanken lieber wandern liess, als dort, wo sie davor gelegen hatten. Die enge Umarmung tat dann für sie den Rest, um innerlich vorübergehend mit den Hernandez abzuschliessen. Sie hatte es diesbezüglich natürlich wesentlich leichter, weil sie nicht erst heute davon erfahren hatte. Dafür konnte sie jetzt aktiv dazu beitragen, dass die dunklen Wolken über Victors Kopf möglichst bald wieder ein paar Sonnenstrahlen durchliessen und auch er nicht unnötig stark von diesen leidigen Gestalten gequält wurde, ohne dass sie überhaupt je davon erfuhren. Faye wusste nicht, ob dieser Verbrecherfamilie bewusst war, dass Ryatt sie über ihre Kontaktaufnahme informiert hatte. Sie hatten ihm ja sicher ausreichend klar gemacht, dass er mit niemandem darüber sprechen durfte. Wahrscheinlich hatten sie also keine Ahnung davon, dass Victor und Faye innerlich schon wieder ein paar Tode gestorben waren wegen ihnen. War sicher auch besser so. Da war anschliessend aber ein kleines Lächeln auf dem Gesicht ihres Freundes, das ihr bestimmt nicht entging und das automatisch auch ihre Mundwinkel sachte aufwärts zog. Die Vorstellung war doch etwas lustig, wie sie beide wegen gewissen Dingen die Nerven verloren, nur damit sie ihn dann ziemlich aus der Luft gegriffen fragen konnte, ob das denn eigentlich wirklich so schlimm war. Während sie selbst genauso aufgebracht war. "Okay, ich behalt's im Hinterkopf... Kannst mich dann jeweils zurückfragen, dann können wir die Antwort gemeinsam formulieren", meinte sie mit einer Prise Sarkasmus. Konnte er wirklich machen. Vielleicht würden sie zusammen ja auf besonders wertvolle Ergebnisse kommen, wer weiss? Es würde sich zu gegebener Zeit schon zeigen, auch wenn sie jetzt beide erstmal hoffen wollten, dass diese Zeit möglichst lange nicht kam. Sie für ihren Teil fand den Themenwechsel zurück zu ihrem zukünftigen Wohnort jedenfalls äusserst angenehm und ging auch entsprechend mit einem nun schon wieder etwas breiteren, verträumteren Lächeln darauf ein. "Darauf können wir uns auf jeden Fall freuen... warme Tage am Strand und im Meer könnte ich in der Tat auch ein paar mehr verkraften, als ich sie hier in der Gegend vergönnt bekomme...", freute sie sich mit ihm auf diese Zukunftsaussichten. "Wo war das Meer denn schöner? Miami oder LA/Malibu? Können wir vielleicht auch noch in unsere Entscheidung einfliessen lassen", gab sie zu bedenken, wobei das wenn dann höchstens minimalen Einfluss auf ihren Wohnort haben würde, so wie die anderen Faktoren gewichtet werden dürften. "Glaub ich dir... der Sommer war hier dieses Jahr auch schön, aber der ist halt jetzt schon vorbei - mit dem Zeitpunkt deiner Rückkehr hast du dir also wettertechnisch leider keinen Gefallen getan... Aber immerhin weisst du, dass du in zwei Monaten wohl nochmal in die Wärme kannst, nicht wahr? Vielleicht nicht ganz so warm wie bisher, aber eben - wärmer als in Seattle bestimmt", und das war immerhin schon etwas. Ausserdem schien zur Zeit ja noch die Sonne hier und es war warm genug, um hier gemütlich und ohne zu frieren am See sitzen zu können. Könnte schlimmer sein.
Oh maaaan, verstehe... sowas Ähnliches hatten wir in unserer alten Wohnung öfter mal mit den Nachbarn die direkt unter uns gewohnt haben (das war eine alleinerziehende Mutter und die hatte immer mal wieder 'nen anderen Freund, die wenigsten davon waren keine Schreihälse... :') ) und wir wohnen ja auch ziemlich ländlich, das begrenzt sich wohl leider nicht auf Städter. x'D Absolut nachvollziehbar, dass du durch den Wind warst, aber auch, dass du dir danach dezent verarscht vorgekommen bist. Wär mir genauso gegangen... *facepalm* War sicherlich trotzdem nicht verkehrt, dass du nachgeguckt hast, was da vor sich gegangen ist, auch wenns am Ende "umsonst" war. ^^" ______
Das Bild, das Faye mit ihren Worten ausmalte, war schon irgendwie schräg. Allerdings auch in etwa genauso unterhaltsam, was mich langsam doch etwas schmunzeln ließ. "Na wenigstens können wir mittlerweile drüber scherzen, dass wir 'nen Sprung in der Schüssel haben.", stellte ich genauso sarkastisch fest. War halt schon ein ziemlich großer Fortschritt, wenn man das mit unserer Verfassung vor der vorübergehenden Trennung verglich. Uns selbst etwas weniger ernst zu nehmen, konnte uns ab und zu ganz gut tun. "Aber ja, mach ich natürlich. Schaden kanns kaum.", schloss ich mit einem Nicken ab. Es könnte nur dann in eine falsche Richtung rutschen, wenn wir uns beide gleichzeitig weigerten, ein Problem als weniger schlimm einzustufen und wir uns stattdessen nur gegenseitig weiter hochschaukeln würden. Ich glaubte aber daran, dass wir es - jeder für sich - besser wissen würden. Sonnige Tage am Strand konnte gefühlt wahrscheinlich jeder Mensch mehr brauchen, als er am Ende abbekam. Hier oben rund um Seattle war die Niederschlagsrate aber besonders hoch und der Sommer definitiv kürzer - es konnte also nur besser für uns werden, wenn wir hier weg und in den Süden zogen. “Das kommt wohl darauf an, wie viele warme Tage am Strand du genau haben willst…”, dachte ich laut nach, als Faye mich danach fragte, welche Küste ich denn als schöner empfunden hatte. Ich war jeweils nur kurz an den Stadtstränden gewesen - weil man die halt mal gesehen haben musste - und hatte mir nicht die umländischen, weniger touristischen Strände angesehen. Wir würden uns vermutlich eher von letzteren angezogen fühlen, so wie ich uns beide kannte. “Ich war nicht mal schwimmen, weil wir uns mehr als nur die Strände ansehen wollten. Wirklich viel Freizeit hatte ich ja nicht auf der Reise.” Man wurde halt nicht fürs Nichtstun bezahlt, schon gar nicht in diesem Ausmaß. “Aber auch, wenn ich jeweils nur mit den Füßen kurz drin war, ist das Wasser in Miami schon deutlich wärmer… Florida ist das ganze Jahr über noch einen Tick wärmer, allerdings regnets da mehr als in Kalifornien und letzteres kommt halt ganz ohne Regenzeit. Leider knackt der Pazifik in L.A. aber nur selten mal die 20°, also würden wir da wahrscheinlich öfter nur in der Sonne liegen als baden.”, führte ich mit Humor zum Ende hin weiter aus. Ich war zwar nicht per se gegen kaltes Wasser, weil das durchaus gut tun konnte, aber eben nicht immer. Es hatte beides seine Vor- und Nachteile, das Meer selbst war in Florida - nahe den Bahamas - aber etwas angenehmer zum Schwimmen. Zumindest immer dann, wenn es im Spätsommer gerade nicht regnete. Ich hatte mich ja über beide Orte schon etwas umfassender informiert und wenn man nicht für kühle Temperaturen gemacht war, waren generell beide Standorte lebenswert. "Und nicht ganz so warm ist mir eigentlich ganz recht, 40° brauch ich jetzt auch nicht unbedingt sofort wieder.", stellte ich abschließend fest und schüttelte ganz leicht den Kopf. Man musste es mit den heißen Temperaturen langfristig gesehen nicht übertreiben, Temperaturen wie im Sommer in Vegas waren irgendwann nur noch anstrengend. Das war einer von etlichen Gründen, warum ich dort langfristig nicht wohnen wollen würde. Auf jeden Fall war ich mit den Gedanken jetzt eher wieder in der schönen Zukunft angekommen und hing nicht weiter im akuten Hernandez-Drama fest, das mich gleichzeitig in der Vergangenheit festhielt. Es war sinnvoller, über letzteres das nächste Mal in Ruhe nachzudenken. Auch wenn ich ziemlich sicher nie vollkommen ruhig und sachlich über diese Pest nachdenken konnte, Trauma sei Dank. "Spätestens dann, wenn wir einen eigenen Pool oder Whirlpool haben, kann uns der Winter dann aber auch egal sein.", meinte ich relativ unbeschwert und zuckte mit den Schultern, ehe mein Blick von Faye zu dem noch unangetasteten Picknickkorb schwankte. Unser erstes richtiges Eigenheim mochte noch etwas weiter in der Zukunft liegen als unser Umzug, aber ich freute mich darauf. Keine potenziell nervenden Nachbarn im selben Haus mehr und man konnte nach Lust und Laune verändern, wonach einem der Sinn stand. Irgendwann, wenn das Haus abbezahlt war, hatte man schlagartig weniger laufende Kosten und außerdem eine gewisse finanzielle Sicherheit durch den Besitz in der Rückhand, sollte etwas Unvorhersehbares geschehen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ja, das war bestimmt schon mal ein schöner Fortschritt. Hatte ja lange genug gedauert und sie hatten ziemlich viel durchgemacht in der Zwischenzeit. Und von diesen Dingen war auch eindeutig ein ausreichend grosser Teil anstrengend und ernst und traurig gewesen, dass sie noch sehr viel Fröhlichkeit und Lachen aufzuholen hatten, bis sie das alles wieder wettgemacht hatten. Wurde Zeit, damit anzufangen. „Das ist tatsächlich ein weiterer Fortschritt in Richtung einer Zukunft, in der wir wesentlich mehr lachen sollten als in der Vergangenheit", fasste Faye mit einem schwachen Lächeln ihre Gedanken zusammen. Das war auch genau die Art von Zukunft, die sie sich so sehr wünschte. Eine, die von Glück und Freude gespickt war. Genau die Zukunft, die endlich alles für sie bereithielt, wofür sie schon so lange arbeiteten und kämpften. Natürlich hatten sie unterwegs noch viel zu tun und mit dem Thema Selbstoptimierung schloss man bekanntlich auch nie wirklich ab. Die Sache mit dem gedanklichen Reinsteigern beispielsweise würde sie sicher noch eine Weile begleiten. Aber das war in Ordnung, denn trotzdem war ihr Standpunkt heute nicht mehr vergleichbar mit dem Ort, an dem sie vor etwa einem Jahr gewesen waren. Damals hätten sie sich eher nicht über Sonnentage und Wassertemperaturen in Florida und Kalifornien unterhalten. Und wenn doch, hätte es damals auf jeden Fall noch kaum Relevanz für sie gehabt. "Hmm... das weiss ich noch nicht. Müssen wir wohl noch ein bisschen überlegen... Schwimmen ist schon toll, aber nur in der Sonne liegen klingt eigentlich auch nicht grundsätzlich verkehrt", gab sie ihre wenig weiterbringende Meinung dazu ab und zuckte schwach mit den Schultern, ehe sie ihn nochmal mit einem leichten Lächeln anschaute. "Ich mein, mit dir würd' ichs ja auch im Regen gut aushalten, so ists ja nicht...", fügte sie mit etwas sarkastischem Unterton an, was er längst wusste. Darum ging's ja eigentlich auch gar nicht, denn dass sie gemeinsam umziehen würden, stand gar nicht zur Diskussion, weil das schon lange klar war. Wie lange es dann für sie beide dauern würde, am Zielort von einer Mietwohnung ins Eigenheim mit Pool umzuziehen, würde sich über die nächste Jahre sicher bald abzeichnen. "Oh ja, auf den Pool freu ich mich schon seit ich klein war... Das ist eines der Dinge, die ich mir immer ausgemalt habe, wenn ich über Mein Haus in der Zukunft philosophiert habe", erklärte die Brünette, wobei sich ihre Mundwinkel noch etwas höher zogen. Sie hatte eigentlich nie wirklich akribisch ihr Leben geplant, aber so ein Haus mit Pool in Meeresnähe klang definitiv wie etwas, über das die kleine Faye absolut ausgeflippt wäre. Faye bemerkte seinen Blick zum Picknickkorb, blieb aber vorerst noch etwas an seiner Seite hängen, bevor sie eine Antwort auf die entsprechende Frage bekam "Ist der Appetit schon langsam zurück oder sollen wir lieber noch ein bisschen planen, wie unser Traumhaus ausgestaltet werden sollte?", erkundigte sie sich nach seinen Vorlieben. Ihr spielte es grundsätzlich keine Rolle, ob sie jetzt oder in einer Viertelstunde das Essen auspackten - das würde schon noch ein paar Minuten gut bleiben und warten können.
Damit waren wir uns, wie mit so vielen anderen Dingen, sehr einig. "Ist in Anbetracht der Vergangenheit sicherlich eine der höchsten Prioritäten.", beschloss ich einstimmig und bediente mich dabei ähnlichem Tonfall wie Faye, warf ihr einen kurzen Blick zu. War leider schon so, dass wir in den letzten Jahren deutlich zu wenig zum Lachen gehabt hatten. Wenn wir hier erstmal weg waren und unser Leben sich eingependelt hatte, dürfte dem jedoch nichts mehr im Wege stehen. Umzüge selbst waren meistens eher anstrengend, aber wer weiß..? Vielleicht fanden wir auch eine gute Möglichkeit dafür, die Schlepperei, das Streichen und das Einrichten irgendwie unterhaltsam zu gestalten. Auf jeden Fall hatte sowohl eine Abkühlung im Meer, als auch Sonnenbaden seine schönen Seiten. Keines von beiden dürfte mir allzu schnell langweilig werden, wenn Faye bei mir war. Genauso wenig wie gemeinsam drinnen bei Regen auf der Couch zu sitzen und Tee oder Kaffee trinken. Ich mochte das Geräusch an den Fensterscheiben, wenn die Tropfen dagegen prasselten. "Hoffen wir trotzdem mal lieber nicht, dass wir den Regen von Seattle mit nach Kalifornien oder Florida nehmen.", gab ich sarkastisch zu bedenken. Nur im übertragenen Sinne waren meine Worte ernst zu nehmen. Ich zweifelte jedoch nicht daran, dass Faye ebenso wie ich nicht vor hatte, irgendwelche Altlasten mit in die neue Heimat zu zerren. Der Neustart war schließlich nicht dafür da, den alten, versalzenen Geschmack unseres bisherigen Lebens beizubehalten. "Damit sind wir schon zu zweit.", erklärte ich mit einem schmalen Grinsen. Es gab in den Vereinigten Staaten nicht unbedingt wenige Häuser mit Pool, zumindest in den wärmeren Regionen waren die sehr häufig zu sehen - man musste sich das aber trotzdem erstmal leisten können. "Im Sommer eine Runde zu schwimmen, statt morgens laufen zu gehen, klingt jedenfalls nach angenehmer Abwechslung… von den Poolpartys ganz zu schweigen.", hängte ich mit übertrieben bekräftigendem Nicken an. War fragwürdig, ob wir plötzlich zu den absolut beliebtesten Partyschmeißern des Viertels mutieren würden. Wahrscheinlich eher nicht, weswegen da auch eine gute Prise Ironie mitschwang. Bekanntlich sollte man niemals nie sagen, aber in größerem Umfang Feten zu organisieren, war noch nie unser Ding gewesen. Wenn wir unsere eigenen vier Wände hatten und zusätzlich in absehbarer Zeit Nachwuchs anstand, würde sich das vermutlich eher nicht ändern. Aber eine Einweihungsparty, die musste schon sein - selbst wenn sich das in sehr begrenztem Rahmen hielt. Was das Essen im Korb anging, war ich hingegen nur semi-entschlossen. Ich sah unser wartendes Picknick an, wiegte einen Moment lang unentschlossen den Kopf hin und her und zuckte dann schließlich mit den Schultern. "Ist 'nen Versuch wert.", entschied ich und warf der Brünetten ein leicht schiefes Lächeln zu. Dann löste ich mich kurzzeitig von ihr, um einen Arm nach dem Korb auszustrecken. Ich war noch nicht wieder superhungrig, aber schlecht war mir auch nicht mehr. Noch etwas mulmig, aber nicht mehr nach Kotzen zumute.
* ~ einmonatigen ZS hier einfügen *
Ich wollte mich für Faye freuen. Wollte, dass sie glücklich wurde. Obwohl ich mit der Arbeit für Easterlin, die sich langsam einpendelte, und dem Druck durch die Hernandez im Grunde schon genug um die Ohren hatte, kam ich einfach nicht umher, mir wieder und wieder das Hirn wegen Victors Heimkehr zu zermartern. Es war gut, dass die junge Frau nun nicht mehr alleine Zuhause war und Jemand auf sie aufpasste - wobei das streng genommen auch das letzte Mal schon nicht geholfen hatte - und dennoch wurde ich das beklemmende Gefühl diesbezüglich nicht los. Dass ich sie noch nicht gesehen hatte und noch nicht wieder mit ihr gesprochen hatte, seit ihr Lover wieder von Gott weiß woher zurückgekehrt war, war auch nicht gerade hilfreich. Wir tauschten schon noch ein paar Nachrichten aus, auch abgesehen von den “Code Greens”, aber das war ebenfalls weniger geworden - sie hatte ja jetzt wieder besseres zu tun. Es sollte mich nicht so wahnsinnig machen, wie es das tat. Faye lag etwas an unserer Freundschaft und Victor schien wohl wenigstens einverstanden damit zu sein, mich nicht sofort zum Teufel zu scheren, aber das half alles nur bedingt. Abgesehen von der Arbeit, die für mich sehr gut lief, hing ich mental wieder völlig in der Luft. Ich fühlte mich nicht per se alleine, weil ich dazu inzwischen doch ein paar zu viele, eigentlich ganz nette Kollegen kannte, aber Faye fehlte mir trotzdem. Das war schon so gewesen, als wir uns das letzte Mal für eine ganze Weile nicht gesehen hatten. In Sachen Hernandez kam ich leider nur bedingt weiter - ja, es gäbe vielleicht schon eine Möglichkeit, meinem Arbeitgeber eine gute Stange Geld aus den Taschen zu leiern. Bisher war mir aber nichts besseres als Erpressung eingefallen und das schien mir sehr riskant. Zumindest alleine und ich gedachte nicht, in diese Angelegenheit noch mehr Leute reinzuziehen. Außerdem wollte ich diesen Job eigentlich gerne behalten - ich konnte all das, was ich in den Jahren bei der Army gelernt und erlebt hatte, wieder mit Bravour umsetzen und es hagelte wenig bis keine Kritik. Easterlin war zufrieden, ich war zufrieden… wenn auch leider ausschließlich in Hinblick auf die Arbeit. Ein einziges Problem gab es jedoch auch während meiner Dienstzeit noch - die einst bedrohte Cooper-Schwester und ihren mich grundsätzlich bei jeder Gelegenheit feindselig anfunkelnden Macker. Natürlich verstand ich, dass wir wohl eher nicht Friede-Freude-Eierkuchen-mäßige, beste Freunde wurden und das war auch vollkommen in Ordnung für mich. Trotzdem hatte ich langsam aber sicher keine Lust mehr auf die nervtötenden Blickwechsel, bei denen nie ein Wort fiel. Meinerseits stand einer Versöhnung nichts im Wege, an mir würde es also nicht scheitern. Ich hatte nichts gegen die Beiden, also wollte ich es zumindest versucht haben. Im Augenblick war ich neben einem Vorgesetzten - mehr oder weniger Easterlins rechte Hand, wenn man so wollte - und zwei der Ausbilder auf dem Weg vom Bürotower zur Kantine. Schon als wir zusammen hinein gingen, klinkte ich mich mit den Augen und einem Ohr aus dem Gespräch aus, um stattdessen an den Tischen nach dem Paar Ausschau zu halten. Dank Einsicht in die Dienstpläne wusste ich, dass sie jetzt eigentlich hier sein mussten, wenn sie nicht bis nach Schluss hungern wollten. Ich machte die beiden schließlich dabei aus, wie sie gerade jeweils mit einem Tablett in den Händen zu einem der noch freien Tische gingen. Ganz die Einzelgänger, die sie auch sonst meistens verkörperten, wenn die Arbeit ihnen nicht explizit etwas anderes abverlangte. Ich blieb noch bei meinen Kollegen, bis alle - mich eingeschlossen - etwas auf dem Tablett hatten, bevor ich mich vorübergehend von ihnen verabschiedete und mit dem Mittagessen in den Händen zu Aryana und Mitch rüber hinkte. Ich ging von hinten an sie heran, weshalb ich erst dann die löchernden bis fassungslosen Augen auf mir spürte, als ich schon ihnen gegenüber das Essen auf dem Tisch abstellte, um mir anschließend den Stuhl ein Stück zurück zu ziehen. Ich kam aber nicht mal dazu mich richtig hinzusetzen, bevor Gegenwind über die Tischplatte fegte: "Falls du noch mehr Drohungen dabei hast, kannst du dich gleich wieder verpissen.", murrte Mitch mir ungeschönt, wenn auch nicht allzu laut entgegen, gefolgt von einem eisigen Blick. Ich machte einen etwas tieferen Atemzug, während ich vollständig an den Tisch rutschte. Erst danach sah ich zu den beiden auf, erwiderte die Blicke möglichst neutral. "Nein, habe ich nicht. Ich würde gerne das Kriegsbeil begraben.", sagte ich ruhig und sah sie dabei abwechselnd an. Es war in meinen Augen kein allzu verkehrter Moment für dieses Gespräch - Faye war nicht da, sondern purzelte außerhalb der Reichweite der Hernandez unter Palmen herum. Ihre Schwester konnte sich also nicht postwendend bei ihr über mich beschweren gehen, sollte das hier nicht wie gewünscht verlaufen. Das hing wahrscheinlich maßgeblich von der Sturheit des Paares ab und Easterlin nach gaben sie sich diesbezüglich beide absolut nichts. Ich sollte mir diesmal also besser 10 mal überlegen, was ich sagte und was nicht.
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Im Grossen und Ganzen konnte Aryana für die letzten Wochen doch eine - zumindest für sie - absolut überdurchschnittlich positive Bilanz ziehen. Sie hatte ihren letzten einsamen Einsatz ohne Mitch erfolgreich überstanden und Easterlin hatte beschlossen, dass er sein Zeil erreicht hatte. Sie durften also seit ein paar Wochen wieder gemeinsam ausrücken, gegenseitig auf sich aufpassen und gemeinsame freie Tage geniessen und das bedeutete ihr so viel mehr, als sich irgendwer vorstellen könnte, der sie vor ein paar Jahren als durch und durch unabhängige, einzelgängerische, vielleicht minimal seltsame Menschen kennengelernt hätte. Ihre Beziehung lief also nun bereits seit ein paar Monaten auf ihrem Allzeithoch und solange sie sich nicht in Easterlins Knast aufhalten musste, fühlte die Brünette sich doch sehr gut. Hinzu kam die ganze durch und durch positive Aufregung um Victors Rückkehr, die nicht nur Faye in pure Frühlingslaune versetzt hatte. Aryana hatte selbstverständlich umgehend von Mitch ihre Updates bezogen und kurz nach dem Ende ihres Auslandeinsatzes folgte die ausgelassene Feier zur Wiedervereinigung, bei der sie zum ersten Mal seit schon wesentlich mehr als neun Monaten wieder alle vier an einem Tisch gesessen und einen Abend lang gelacht hatten. Das war die Kurzfassung der beiden Highlights der letzten Monate, die abgesehen davon relativ ruhig vorbeigezogen waren. Keine weiteren Verletzungen, keine hässlichen Streits... nur halt die eine Sache mit Fayes gutem Freund Ryatt und allem, was dieser Mensch eben so mit sich herumschleppte. Aryana brauchte nicht zu leugnen - es wäre ihr wesentlich lieber, Faye hätte diesen Mann nie von der Strasse gepflückt. Oder ihm zumindest nie ihre Handynummer gegeben. Dann würde er sich nun nicht wie eine Zecke an sie dranhängen und einfach nicht mehr verschwinden wollen. Nicht auch dann plötzlich wieder auftauchen, nachdem er eigentlich schon wochenlang verschwunden war. Wahrscheinlich hatte er sein Wort gehalten und wahrscheinlich hatte er bei Easterlin ein gutes Wort für Aryana und Mitch eingelegt. Aber was brachte ihnen ein gutes Wort und in welcher Welt entschuldigte das sein Vorgehen, sie in ihrer eigenen Wohnung so überfallen zu wollen? Aryana hatte ihre Meinung bezüglich ihrem Mitarbeiter / Vorgesetzten auf jeden Fall noch nicht revidiert und gedachte eigentlich auch nicht, dies in naher Zukunft zu tun. Sie hatte sich dreimal in ihrem Leben mit Ryatt unterhalten und ihrer Meinung nach konnten sie es gerne bei diesen dreimal belassen. Seiner Meinung nach scheinbar nicht. Und das obwohl ihre Arbeitstage doch so schon anstrengend genug waren und sie und Mitch die Mittagspausen sehr gut ohne zusätzliches Rumgenerve herumbekamen. Das schien Ryatt jedoch entgangen zu sein und so war es natürlich sein Tablett, welches aus heiterem Himmel ihnen gegenüber auf die Tischplatte geknallt wurde. Aryana zog sofort eine Augenbraue nach oben, musterte ihn mit durch und durch skeptischem bis abweisendem Blick. Sie hatte schon fast Luft geholt, um ihn ihrerseits darauf hinzuweisen, dass es weiter hinten noch ein paar hübsche freie Plätze gab und wenn er Glück hatte, sogar einer seiner Arschkriecher-Freunde mit ihm das Tischgebet sprechen würde... da kam ihr Mitch jedoch schon vor. Was nun Ryatt seinerseits mit einer Umschreibung seiner Intentionen quittierte. Das wiederum führte zu einem noch dunkleren Blick ihrerseits, weil sich das ganz einfach nicht richtig anhörte. Eher so als möchte er beispielsweise ein bisschen schnüffeln kommen. Seit er hier arbeitete und sein Büro etwas zu nah bei Easterlin bezogen hatte, hatte sie milde gesagt nämlich nochmal einen wirklich guten Grund weniger, ihm auch nur einen einzigen Funken Vertrauen zu schenken. "Mhm... Und mit welchen überzeugenden Argumenten, Chef?", fragte sie, betonte das letzte Wort mit triefendem Sarkasmus, der nur allzu deutlich heraushören liess, wie wenig sie auf seinen Posten und seine Rolle in diesem Unternehmen gab. Wenn überhaupt dann erntete man mit Easterlins Respekt bei ihr maximal das Gegenteil - sehr viel Verachtung. Aber das wusste Ryatt sicher schon lange, Easterlin hatte ihn bestimmt längst darüber aufgeklärt, was sie für zwei schwierige waren.
Ich hatte nicht wirklich mit mehr Kooperation gerechnet, als mir hier gerade präsentiert wurde. Das war nicht mal ein Funke davon. Möglicherweise musste man es ihnen aber auch schon anrechnen, noch nicht ihr Essen über den Tisch geworfen oder einfach kommentarlos aufgestanden zu sein. Ich wusste selbst schließlich am besten, was ich mir alles zu Schulden hatte kommen lassen und das waren keine Lappalien. Wenn man in anderer Menschen Leben nur Schaden anrichtete - was nüchtern betrachtet aus Sichtweise von Aryana und Mitch der Fall sein musste - dann konnte man nicht mit einem freundlichen Empfangskomitee und Blumensträußen rechnen. Es gab einiges gutzumachen, das war mir klar. Nach Aryanas nicht minder patzigen Worten, sah ich sie nur noch einen Moment lang direkt an und senkte den Blick anschließend erstmalig auf das Essen vor mir, bevor ich nach dem Besteck griff. “Würde ich als euer Chef mit euch sprechen wollen, würde ich nicht hier mit euch reden, sondern im Büro.”, stellte ich ohne jegliche Hast mit demselben entspannten Tonfall allem voran klar, dass mir hier gewiss nichts daran lag, mich in meiner Position als Vorgesetzter aufzuspielen. Wäre dem so, hätte ich auch vorhin schon nur zum Telefon greifen und sie später nach den restlichen Einheiten des Tages schicken lassen können. Ich musste mir nicht die Mühe machen, sie selbst aufzusuchen und mir potenziell das Mittagessen verderben zu lassen, tat es aber dennoch. Dass sie sich gerne abseits aller anderen beim Essen aufhielten, fiel mir heute ja auch nicht zum ersten Mal auf und war dahingehend einfach sehr günstig… für mich zumindest, in deren Augen wahrscheinlich nicht. “Erstmal möchte ich mich noch bei dir entschuldigen, Mitchell…” Ich warf einen kurzen Blick in sein Gesicht, bevor ich weitersprach, weil ich zu eruieren versuchte, was er davon hielt. Er schien zwiegespalten, fiel mir jedoch nicht ins Wort, also fuhr ich fort: “Dafür, dass ich auch deinen Seelenfrieden und deine Privatsphäre durch das Aufkreuzen in eurer Wohnung gestört habe. Und dass ich mir so lange Zeit damit gelassen habe, das Gespräch zu suchen… du hast leider nie besonders kooperativ ausgesehen und ich hatte gehofft, dass sich das mit der Zeit vielleicht legt…”, sprach ich weiter, was in einem Schnauben seinerseits resultierte. Scheinbar hatte es auch nichts geändert, dass ich mich zumindest bei Aryana schon für diesen massiven Fauxpas entschuldigt hatte, was sie ihm mit Sicherheit erzählt haben dürfte, weil sie mehr als bloß flüchtig befreundet waren. Er schien in seiner Wut auf mich unbeirrbar zu sein… was - wie ich ungerne zugab - ganz Easterlins Beschreibung und Mitchs Akte entsprach. Ihn umzustimmen dürfte wohl genauso schwer werden, wie es das bei der älteren Cooper war und das war schon jetzt anstrengend.
“Und ich hatte gehofft, dass sich die Gesetzeslage vielleicht irgendwann ändert und ich willkürlich Leute von meiner schwarzen Liste abhaken kann, wie es mir passt, aber hier sind wir nun…”, spuckte ich ihm mit überaus trockenem Humor über den Tisch entgegen. Die letzten Wochen waren so entspannt für mich gewesen, wie es in der aktuellen Situation möglich war. Die Arbeit für Easterlin widersprach noch immer allem in mir, aber sie ließ sich mit Aryana an meiner Seite wieder deutlich besser ertragen. Ich konnte mir zumindest einigermaßen verzeihen, dass ich uns in diese blöde Lage gebracht hatte, jetzt wo wir deutlich mehr miteinander sprachen und ich mir etwas leichter damit tat, ihr mehr als nur meine körperliche Unversehrtheit anzuvertrauen. Manchmal kostete es mich noch immer Überwindung, aber ich ließ sie dennoch daran teilhaben, was in meinem Kopf vorging. Eben besonders dann, wenn ich einen schlechteren Tag hatte. Bei Aryana war es okay, wenn sie wusste, weshalb ich durchhing und sie konnte mir damit auch besser helfen, als ich es selbst konnte. Dumm, dass ich das nur auf eine unnötig harte Tour restlos hatte begreifen können, aber die brünette Schönheit war dahingehend zum Glück mit einer Engelsgeduld ausgestattet. Ich hatte wahnsinniges Glück damit, dass ich für sie so sehr Alles war, wie sie für mich. Umso dümmer von Ryatt, ausgerechnet ihr zu drohen. Aryana war nachtragend, ich war nachtragender. Je nach Sachlage stritten wir uns dabei mit Feuereifer um Platz Eins. Es tat mir also nach wie vor überhaupt nicht leid, dass ich in den letzten Wochen nicht besonders kooperativ ausgesehen hatte. Dennoch ließ der Störenfried sich nicht von meiner Reaktion vertreiben oder auch nur bremsen. “Es war nie meine Intention, euch zu schaden. In keiner Hinsicht. Ich bin die Sache leider völlig falsch angegangen und das sehe ich ein. Mir tut das aufrichtig leid, aber ich kann es nicht mehr ändern.” Reden konnte er endlos, oder? Wie all die anderen Leute, die sich in irgendeiner Führungsetage den Arsch platt saßen, während andere für sie die eigentliche Arbeit machten. Worte waren mir nicht genug wert, als dass ich auf seine hier und heute viel gegeben hätte. Ich sah ihm völlig unbeeindruckt dabei zu, wie er seelenruhig die Spaghetti um seine Gabel rollte. Es war mir unbegreiflich, wie er alles, was er getan hatte, noch irgendwie mit sich vereinbaren konnte. So gut, dass er in seinem sicherlich nicht unwichtigen Job hier sehr gute Leistungen ablieferte und nebenbei den Friedensstifter markieren wollte, den ich ihm nicht abkaufen würde. “Du kannst dir das alles sparen, Ryatt… in diesem Scheißladen redet täglich jeder so viel Bullshit, dass wir darauf nichts geben. Tu uns allen also einen Gefallen und schieb deine Pasta auf einen anderen Tisch.” Meine nach wie vor tief ins Gesicht gezogenen Augenbrauen untermauerten meine Meinung sehr unmissverständlich. Den Teller vor meiner eigenen Nase hatte ich noch nicht angefasst. Stattdessen hob ich die rechte Hand an, um sie vermeintlich beiläufig auf Aryanas Oberschenkel zu schieben. Suchte ihre Nähe, um den zwangsweise überwiegend in meinem Hals stecken bleibenden Ärger zu kompensieren. Ryatt kaute seine Nudeln zu Ende und redete anschließend weiter, statt meiner Aufforderung nachzukommen. “Deswegen komme ich nicht mit leeren Händen. Eine weiße Flagge gibt's niemals umsonst." Ich legte den Kopf schief und musterte ihn aus schmalen Augen. "Ich bin seit letzter Woche für die strategischen Aufstellungen in Afrika und Asien zuständig. Nicht ganz alleine natürlich, aber ich kann das eingeteilte Personal in den meisten Fällen stark beeinflussen.", erklärte er oberflächlich und sah anschließend von seinen Nudeln auf, bevor er sich die nächste Gabel voll in den Mund schob.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ach nee, was er nicht sagte. Hatte er wohl glatt die Ironie in ihren Worten überhört denn - breaking news - es war nicht so, als würde sie ihn wirklich als Chef respektieren. Klar, hier musste sie die Rangordnung zwangsläufig einhalten. Das hiess aber noch lange nicht, dass sie Ryatt irgendwie weniger verachtete oder ihn tatsächlich als Führungsperson anerkannte. Musste er jedoch nicht persönlich nehmen, er teilte sich das Leid immerhin mit vielen anderen. Inklusive Easterlin persönlich. "Wirklich nett, dass du in dieser Rolle immerhin unsere Pausen respektieren würdest. Danke.", liess sie es sich nicht nehmen, denn Ball in triefendem Sarkasmus zurückzuspielen, ihm dazu ein liebreizendes Lächeln zu schenken, das er bestimmt sehr ernst nehmen konnte, weil es so von Herzen kam. Ryatt hatte jedoch noch nicht geschlossen und war scheinbar tatsächlich der Meinung, das hier durchziehen zu wollen. Das zeigte er als nächstes, indem er seine aufrichtigste Entschuldigung an Mitch richtete, was Aryana erneut ungläubig die linke Augenbraue hochziehen liess. Warum tat er überhaupt so, als würde ihm der Frieden mit ihnen so viel bedeuten? Warum konnten sie es nicht einfach dabei belassen, dass sie ihn nicht leiden konnten, sie sich auf der Arbeit aus dem Weg gingen - so schwierig war das ja auch gar nicht, dank ihrer sehr unterschiedlichen Funktionen - und er seines Weges ging? Reichte es nicht, dass Faye sich noch immer mit ihm herumschlug? Offensichtlich hatte sein ungeschicktes Malheur nicht dazu geführt, dass seine Freundschaft zu ihrer Schwester ihr verdientes Ende gefunden hatte, also was wollte Ryatt noch? Es kam ihr irgendwie zu suspekt vor, um daran zu glauben, dass er wirklich nur sein Gewissen bereinigen und sich entschuldigen wollte. Weil sie nicht einsah, was das für ihn für einen Gegenwert haben könnte und sie ihn bisher nicht als Person einstufte, die Dinge ohne Grund tat. Ohne etwas für sich aus der Sache zu ziehen. Tat sie ihm möglicherweise Unrecht, weil sie Ryatt nunmal so gut wie gar nicht kannte, aber gut - er war nicht der Erste und es tat ihm bei ihm auch sicher nicht am meisten leid. Je länger ihr Gegenüber redete, umso mehr zog es auch ihre zweite Augenbraue aufwärts und sie bemühte sich kaum darum, zu verbergen, wie wenig sie mit diesem Auftritt anfangen konnte. Wie wenig sie wusste, was er damit erreichen wollte und sie darauf erwidern sollte. Grundsätzlich könnte sie natürlich seine Hand schütteln und die Sache gut sein lassen - aber sie war nicht weniger berechnend als sie das soeben über Ryatt gedacht hatte. Also stellte sich eben auch für sie die Frage, was sie denn davon haben würden. Mitch sagte das nämlich gerade ganz schön: Hier redeten viele Leute an vielen Tagen viele Worte und selten war was Sinnvolles dabei. Aryana spürte Mitchs Hand auf ihrem Oberschenkel, liess daraufhin auch ihre Finger unter dem Tisch verschwinden, um sie mit seinen zu verschränken. Bisschen Nerven beruhigen dies das. War auch sehr egal, ob Ryatt das mitbekam, weils ein bisschen offensichtlich war. Er liess sich jedenfalls auch davon nicht irritieren, sondern redete fröhlich weiter, um doch tatsächlich mit einer Gegenleistung auszupacken. Diese zumindest anzuteasern, zu ihrer eigenen Interpretation. Die Brünette musterte ihn forschend, während er auf den Nudeln kaute. Konnte sich jedoch selbst an dieser Stelle nicht ausreichend zurücknehmen, um nicht wenigstens einen einzigen ironischen Kommentar zu deponieren. "Toll wie du Fortschritte machst, bin richtig stolz auf dich. Wenn du den Sekt selbst bezahlst, können wir sicher in einer freien Minute darauf anstossen", liess sie ihn wissen, dass sie sich eigentlich eher gar nicht für seine Karrieresprünge interessierte. "Aus früheren Gesprächen mit deiner Person würde ich jetzt ableiten, dass du uns damit sagen möchtest, dass wir besser umgehend Frieden mit dir schliessen sollten...", sie legte eine kurze Pause ein, um tief durchzuatmen und ihn erneut mit einem netten Lächeln zu bedenken. "Weil wenn wir das nicht tun, schickst du uns von jetzt an nur noch auf die tödlichsten, riskantesten und hässlichsten Missionen, auf denen wir mit 70%-Wahrscheinlichkeit in den nächsten vier bis sechs Monaten abkratzen werden", schlussfolgerte Aryana und drehte sein potenzielles Angebot so gekonnt in eine Drohung.
An und für sich hatte ich meine Pause mit Sicherheit auch lieber für mich, als sie mit Aryana und Mitch zu teilen. Sie ausgerechnet dann aufzusuchen, hatte aber nicht nur den einfachen Grund, dass ich hier mit geringerer Wahrscheinlichkeit einen Wutausbruch oder ähnliches der beiden ertragen musste. Ich erwiderte Aryanas allzu provokatives Lächeln mit einem unterschwelligen, kurzen Schmunzeln. "Ja, ich habe meine Pausen eigentlich auch lieber für mich... aber das hier ist weniger auffällig, als euch ohne in den Akten vermerkten Grund während eurer Arbeitszeit aufzusuchen und ich bin mir sehr sicher damit, dass ihr den Feierabend noch mehr für euch selbst wollt, als die Pausen.", erwiderte ich neutral, bevor ich flüchtig den Blick über all die anderen Soldaten im Raum schweifen ließ, die gerade keinem Auslandseinsatz zugeteilt waren. Manche unterhielten sich, wieder andere schoben sich nur schweigend eine Gabel nach der anderen in den Mund, aber kein einziger sah aktiv neugierig in unsere Richtung, weil er irgendwas Verdächtiges zu beobachten glaubte. Auch die nächsten stichelnden Worte der Brünetten versuchte ich bestmöglich einfach runterzuschlucken. Ich tat es natürlich nicht gerne, weil es in diesem Moment ihrerseits schlichtweg keinen Grund für ein dermaßen überzogenes Verhalten gab, aber zurückzufeuern würde das alles hier nur noch viel schlimmer machen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich für gewöhnlich eher nicht zu diesem prickelnden Gesöff griff, obwohl das vielleicht besser für mich wäre, weil man davon weniger schnell betrunken wurde. Ich musste mich vor meiner Antwort räuspern, damit die bissigen Worte vorab von meiner Zunge verschwanden. "Wieso sollte ich das tun?", stellte ich an beide gewandt eine vollkommen rhetorische Frage, die sich natürlich auf die Drohung bezog. Ich hätte nichts davon, wenn ich die beiden in den Tod schickte. Nicht mal Easterlin wäre irgendwie froh darüber - er war zwar zuweilen genervt von Aryana und Mitchell, aber sie hatten ihm für seinen Geschmack noch bei weitem nicht genug Geld in die Kassen gespielt, um sie tatsächlich schon wieder loswerden zu wollen, solange sie von nun an die Spur hielten und nicht mehr auffällig wurden. Mir selbst würde das nur noch mehr Gewissensbisse einbringen und ich brauchte wirklich nicht noch mehr Gründe dafür, mich in Luft auflösen zu wollen. "Ich will nicht lügen - mindestens Afrika ist eigentlich per se gefährlich, weil in den Brennpunkten dort katastrophales Ungleichgewicht herrscht... aber es gibt trotzdem tödlichere und deutlich weniger tödliche Jobs zu erledigen, auf beiden Kontinenten. Als Sniper bist du meistens zu deinem Glück sowieso eher etwas außerhalb auf der sichereren Seite, wenn du nicht gerade einer Drohne in die Falle rennst...", ich warf Mitchell einen kurzen Blick zu, der weiterhin grimmig erwidert wurde, bevor ich zu Aryana sah, "...aber für dich gilt das nicht." Es war etwas überflüssig, ihnen diese Fakten nochmal aufzutischen, nachdem sie den beiden längst aus nächster Nähe bewusst waren. Es diente mir dennoch als Überleitung. "Ich würde also einfach nur gerne von euch wissen, ob ihr irgendwelche Wünsche bezüglich der zukünftigen Einteilungen habt. Das ist mein Friedensangebot.", brachte ich Klarheit darüber, mit welcher Intention ich meine nun festen Aufgaben unter Easterlins Flagge genannt hatte. Mitchell kommentierte das mit ungläubig hochgezogenen Augenbrauen und einem Schnauben. "Ich glaub dir kein Wort.", stellte er klar. Ich ignorierte das, bis ich ein paar Sekunden später entsprechende Fragen anhängte: "Mehr Sicherheit? Besser bezahlt? Kürzere Dauer? Liegt ganz bei euch."
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie fragte sich ehrlich, warum Ryatt sich die Mühe machte, hier das Gespräch zu suchen. Weil sie schlicht nicht verstand, was er letztendlich davon haben würde. Abgesehen davon, dass er in zwei angepisste Gesichter weniger schauen müsste, war da doch nichts, was für ihn heraussprang. War auch nicht so, als hätte er hier eine Freundschaft zu retten oder überhaupt erst potenzielle Freunde zu gewinnen. Und darum blieb sie auch so skeptisch gegenüber seinen Bemühungen. Ihr tat es wenig bis gar nicht weh, ihn Tag für Tag einfach zu ignorieren und ihm die kalte Schulter zu zeigen, entsprechend war ihre Motivation auf Frieden schliessen nicht gerade überragend. Höchstens Faye zuliebe, aber auch ihre Schwester hätte am Ende keinen Mehrwert davon - es würde sie höchstens freuen. Gab jedoch auch tausend andere Dinge, die sie freuen würden, war also definitiv kein notwendiges Übel. Genauso sah Aryana natürlich auch keinen Grund dafür, warum Ryatt sie hier belügen oder eben zur Abwechslung absichtlich in den Tod schicken sollte. Sie konnte ihm seine rhetorische Gegenfrage also leider auch nicht beantworten, das alles hier war einfach seltsam. Ob er sich irgendeine ihrer Qualifikationen zunutze machen wollte? Sie hatte zwar keine Ahnung wie und wozu, aber er hatte vorhin in einem anderen Zusammenhang was von Akten geredet. Vielleicht hatte er irgendwo geschnüffelt... Aryana hatte keinen blassen Schimmer davon, was da alles über sie und Mitch geschrieben stand, geschweige denn, auf welchen Teil dieser Akten Ryatt Einsicht hatte. Ob er auch lesen konnte, was sie in Syrien so getrieben hatten? Oder davor? Ob Easterlin Zugriff auf ihre mehr oder weniger kompletten Lebensläufe, wie sie damals in der Army dokumentiert wurden, hatte? Vielleicht brauchte Ryatt das auch gar nicht zu lesen, weil Faye schon was erzählt haben dürfte... aber der Gedanke allein führte jedenfalls auch nicht zu grösserem Wohlbefinden seitens der Brünetten. Ähnlich verhielt es sich mit der erneuten Betonung ihres Berufsrisikos. Sie wollte wirklich nicht sterben. Wegen sich nicht, aber hauptsächlich auch wegen Mitch, Faye und Victor nicht. Aber das wusste Ryatt auch, das wussten alle. Sehr wenige Menschen auf dieser Welt wollten wirklich sterben und sie glaubte nicht, dass auch nur einer davon hier arbeitete. Und wenn, dann war das auf jeden Fall nicht sie. Ryatt tat sich auch ehrlich keinen Gefallen damit, hier so offen darüber zu reden, wie leicht sie auf der Arbeit sterben könnte. Das hatten andere vor ihm auch schon getan und es hatte eher nicht gut geendet - weder bei Mitch noch bei ihr positive Emotionen hervorgerufen, die doch eigentlich nötig wären für sein kleines Friedensangebot. Aryana hatte sich etwas zurückgelehnt, die praktisch unbenutzte Gabel mittlerweile auf dem Tellerrand abgelegt, weil ihr der Appetit langsam aber sicher verging. Sie blickte ihr Gegenüber berechnend, alles andere als überzeugt oder wohlwollend an. «Ich geb’ dir einen Tipp, weil ich so ein netter Mensch bin… Du machst dich nicht besonders beliebt, wenn du mein Ableben als Argument zu deinen Gunsten brauchst.», informierte sie ihren unerwünschten Gesprächspartner hinsichtlich seiner eher ungeschickten Wortwahl. Sie blickte ihn noch einen Moment unverändert an, dachte zugleich aber trotzdem über seine Worte nach, während sie eher unruhig mit dem Daumen über Mitchs Hand streichelte. Wenn Ryatt wirklich einen Einfluss darauf haben könnte, wohin sie geschickt wurden und wie gross oder klein folglich ihre Überlebenschancen auf diesen beschissenen Einsätzen ausfielen, wäre es wahrscheinlich ziemlich dumm von ihr, das Angebot einfach ohne nachzudenken auszuschlagen. Auch wenn sie absolut keine Lust hatte, Freunde zu werden mit diesem Mann. Das war es aber ja glücklicherweise auch nicht, was er von ihnen wollte. «Aber gut… aus diversen Gründen habe ich nicht vor, zeitnah Abzukratzen.», seufzte sie schliesslich, steuerte das Gespräch somit doch in eine halbwegs kooperative Richtung. «Nur geht es mir leider ähnlich wie meinem Liebsten: Bin mir nicht so sicher, aus welchem Grund wir dir vertrauen sollten.»
Vielleicht war Ryatt nicht Warren, aber ich wollte ihn genauso wenig als meinen Vorgesetzten haben wie den alten Fettsack, der auf so angenehm tragische Weise verreckt war. Ich traute ihm nicht mal fünf Meter über den Weg, womit Aryana und ich uns vollstens einig waren. Dass er sich so völlig undurchsichtig zeigte - abgesehen von seiner angeblich vorhandenen Reue bezüglich gewisser Vorkommnisse - und bisher keine Beweggründe für diesen Sinneswandel geäußert hatte, machte es nicht gerade besser. Auch nicht, dass er uns beiden unsere Lage während der Einsätze erneut unter die Nase rieb und mir im gleichen Atemzug nochmal sagte, was ich einmalig verkackt hatte. Wollte Ryatt nicht Frieden schließen? Aryana wies ihn gleich mal darauf hin, dass das der falsche Weg war. "Es ist kein Argument für mich, sondern eins für euch. Für euch beide zusammen, als Paar, bestenfalls unversehrt. Ich bleibe unverletzt, egal ob ich euch in Zukunft gezielt einteile oder nicht. Ich ziehe daraus keinen Gewinn, außer ein in meinen Augen angebrachtes Gleichgewicht an Vitamin-B-Einfluss. Es gibt schon mehr als einen Soldaten hier, der sich mit Jemandem aus der oberen Etage angefreundet hat und jetzt einen Nutzen daraus schlägt. Da unterscheidet sich dieses Unternehmen hier leider kaum von irgendeinem anderen.”, entgegnete Ryatt und seufzte leise, bevor er sich erneut kurz seinem Essen widmete. Wollte ich ihm dieses Missfallen an jenem Umstand glauben? Wenn es tatsächlich so war, wie er hier behauptete - was durchaus denkbar war in diesem Scheißladen - dann war das natürlich unfair. Ihm konnte das aber eigentlich egal sein, oder? Vielleicht versuchte er auch nur, sein Angebot als kein großes Ding darzustellen. “Kann es dir nicht scheißegal sein, wer wo und zu welchen Gunsten arbeitet? Wir rücken doch sowieso ohne dich aus, während du dir den Arsch da oben im Glaskasten platt sitzt.”, hakte ich scharf nach, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Und nein, dabei wollte keiner von uns beiden abkratzen, auch wenn es bei mir unter Umständen mal kurz danach ausgesehen hatte. Für höchstens fünf Sekunden. Genauso wenig wie ich diesem Typen trauen wollte, konnte ich sein Angebot sofort ausschlagen. Das tat auch Aryana nicht, offensichtlich. Es war halt ein extrem instabiles Boot, mit dem wir theoretisch in unberechenbare Strömungen abrutschen könnten, wenn sich diese Angelegenheit hier als Täuschung entpuppte. In diesem Fall wäre es dann auch schon zu spät, um irgendetwas rückgängig zu machen. Ausnahmsweise mal nicht fast nur die Jobs machen zu müssen, die aus Gefahrengründen sonst keiner haben wollte oder genau die zu bekommen, die besonders langweilig und einfach waren, klang leider trotzdem verlockend. Lieber hatte ich ätzend langweilig zusammen mit Aryana, als sie zum wiederholten mal auf irgendeiner Krankenstation sehen zu müssen. Nichts wollte ich weniger als das. Ryatt kaute erst zu Ende, bevor er von seinem Teller hoch und uns noch immer mit derselben merkwürdigen Ruhe ansah, die meinen Argwohn eher begünstigte, als ihn zu besänftigen. “Ist es nicht. Es stört das Gleichgewicht, wenn nach Belieben bevorzugt und bestraft wird. Bei der Army gabs dafür klare Regeln, hier nicht. Ich kann dagegen leider nichts machen, also kann ich genauso gut euch beiden einen Gefallen tun, um die Wogen zwischen uns etwas zu glätten. Nur weil Easterlin euch für sich selbst degradiert hat, heißt das nicht, dass ich euch genauso benachteiligen muss, wie er es die letzten Monate über getan hat. Die Strafe war in diesem Ausmaß absolut unangemessen und das hab ich ihm auch schon ins Gesicht gesagt. Ich hab vor íhm keine Angst. Er mag ein guter Geschäftsmann sein, aber er hat absolut kein Händchen dafür, wie man eine Armee führt oder gar die Arbeitsmoral oben hält. Es war nicht allzu schwer, ihm das - natürlich in geschönten Worten, mit viel Honig - klarzumachen.”, schloss Ryatt mit bitter ironischem Tonfall und schüttelte leicht den Kopf, bevor er wieder die Gabel durch seine Spaghetti rollte. Ich zog die Augenbraue angespannt zusammen, während ich versuchte, aus seinem Gesicht zu lesen. “Niemand zwingt euch, mir das Vertrauen zu schenken, das ich mir von vornherein verspielt hab… aber ich möchte nicht, dass euch das Gleiche passiert wie mir. Easterlin spielt etwas zu viel Gott nach meinem Geschmack.” Oh, es wurde ja tatsächlich noch richtig interessant! Meine Augenbrauen zuckten nach oben. Allerdings schien unser Vorgesetzter entweder gerne übermäßig große Spannungsbögen zu ziehen, oder er zierte sich tatsächlich davor, diese Aussage in irgendeiner Weise fortzuführen, während er lieber die Nudeln aß. “Und das wäre..?”, stocherte ich penetrant nach, weil ich chronisch ungeduldig war und man Aussagen wie diese schlichtweg nicht tätigen sollte, wenn man nicht weiter darüber reden wollte. Ich war noch nicht überzeugt, er gab sich jetzt also besser mal etwas Mühe. Ryatt atmete tief durch und legte dabei sein Besteck auf dem Rand des Tellers ab. “Ich hab meine bessere Hälfte im Krieg verloren.” Er sprach langsam, schien nach wie vor mit sich zu hadern und sah uns offenbar nur ungerne dabei an. Trotzdem wendete er den Blick nicht ab. “Sie war nicht die Einzige, von der ich mich im Laufe der Jahre verabschieden musste… natürlich nicht… aber kein Verlust war so schlimm wie dieser.” Ryatts Augen wechselten inzwischen hektisch zwischen Aryana und mir hin und her. So als würde er versuchen, keinen von uns richtig anzusehen. “Ihr habt beide schon viel verloren und in meinen Augen genug mitgemacht. Zumindest soweit ich das dank der Akten beurteilen kann und ich hab inzwischen beinahe den kompletten Aktenschrank mit sämtlichen Angestellten durch… ihr seid als einziges Paar schon zusammen hergekommen und ihr unterscheidet euch grundlegend von vielen anderen Söldnern hier. Ihr seid nicht wegen dem Geld hier oder weil ihr einfach gerne ein bisschen rumballert. Ihr kämpft einfach nur für das, was euch wichtig ist - zusammen. Hättet ihr eine andere Wahl gehabt, wärt ihr nicht hier… und falls ihr kein Schlupfloch im Vertrag findet, werdet ihr noch ein paar zu viele Jahre mehr hier sein. Lasst mich euch also wenigstens den Gefallen tun, euch bestmöglich vor meinem Schicksal zu bewahren und euch diese Zeit, soweit wie es in meiner Macht steht, so einfach wie möglich zu machen. Mir tut das nicht weh und euch schon gar nicht.”
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Jaja. Man konnte es sich halt gut so zurechtlegen, wie man es lieber anschauen wollte. Ihrer Meinung nach war ihr persönlicher Schutz mindestens zu gleichen Teilen ein Argument für sie, wie für ihn, da er die Sache immerhin nutzte, um sie ihre Meinung zu ihm nochmal überdenken zu lassen. Klappte vorerst nur semi-gut, weil Aryana das alles noch immer sehr skeptisch sah. Das konnte Ryatt auch nicht ändern, indem er ihnen erzähle, wie viel denn in den oberen Etagen so allgemein schief lief. Das wollte sie gar nicht wissen... beziehungsweise hatte sie auch ohne seine Insider-Infos vermuten können. Mitch stellte dann jedenfalls die Frage, die sie durchaus ebenfalls interessierte. Womit sie dann wieder bei dem anderen Punkt waren: Warum Ryatt sich überhaupt die Mühe machte, hier das Gespräch zu suchen. Warum es ihm irgendwas bedeutete, das Kriegsbeil zu begraben, obwohl er auch ohne ihre Gunsten ein mehr oder weniger gutes Leben lebte. Wenn man von der dunklen Gefahr absah, die ihm ausserhalb dieser Mauern im Nacken sass... aber Aryana ging schwer nicht davon aus, dass seine weisse Flagge irgendwas mit den Hernandez' zu tun hatte. Und sie wich gedanklich gerade leicht vom Thema ab. Dieses Abdriften konnte Ryatt wiederum kurzum stoppen, als er mal eben erwähnte, Easterlin bereits darauf hingewiesen zu haben, dass seine Konsequenzen auf ihre schwierige Führung übertrieben gewesen waren. Die dunklen Augenbrauen der Brünetten zogen sich synchron nach oben, wie sie ihn nun anschaute und eindeutig nicht sicher war, ob sie ihm das tatsächlich glauben wollte. Vielleicht bluffte er auch nur, um hier gut dazustehen - das war ja offensichtlich Teil seines Plans. Schwer zu sagen. Ihrer Meinung nach gab es grundsätzlich eh keinen Grund, warum Ryatt sich mit Easterlin über sie unterhalten sollte. Aber auch das wich leicht vom Thema, also seinen guten Gründen zur Friedensschliessung, ab. Denen schienen sie so langsam auf die Schliche zu kommen, als Ryatt - nach Spaghettigabel Nummer 225 - endlich indirekt auf den Punkt kam. Ja, Easterlin spielte zu viel Gott und nein, wenn er so redete, wollte sie auch nicht, dass ihnen das Gleiche passierte. Wobei sie ebenso gerne wie Mitch nun auch wissen wollte, was ihm denn überhaupt passiert war. Glücklicherweise sprach ihr Freund ihr auch diesmal von der Seele und hakte nach, woraufhin eine kurze Stille folgte, die ausnahmsweise nicht einem vollen Mund zu verschulden war. Nein, diesmal lag das kurze Schweigen eindeutig an den Worten, die daraufhin gesprochen wurden. An den ersten paar Sätzen, die der Veteran - verständlicherweise - lieber nie mit ihnen geteilt hätte. Aryana lehnte sich etwas zurück, hielt Mitchs Hand dabei noch immer fest, wobei sich ihre Finger etwas enger um seine schlossen, während Ryatt einen Bruchteil seines Schicksals mit ihnen teilte. Sehr wahrscheinlich der Teil, der sie mit Abstand am meisten treffen würde. Es war schon im Grundsatz eine dumme Idee, sich im Krieg zu verlieben, nur liessen sich gerade diese Emotionen unglaublich schlecht steuern. Und wenn es dann geschah, war das, was Ryatt zugestossen war, das absolute Worst Case Szenario. Mitch war mit der Grund gewesen, dass sie nach all den Jahren endlich eingesehen hatte, dass sie nicht länger in der Army dienen wollte. Und als sie damals beide ihre Verträge gekündigt hatten, war das Wissen, dass sie bald in Sicherheit sein würden, eine unglaubliche Erleichterung gewesen - wenn auch noch nicht ganz in Reichweite, da sie beide jeweils noch nicht am Ende der Laufzeit ihrer Verträge angekommen waren. Aber sie hatte sich gefreut. Auch als sie nachhause gekommen waren. Bis dann die Gitterstäbe gekommen waren, aber das war eine andere Geschichte. Sie wusste, dass sie beide sehr viel dafür geben würden, der ständig lauernden Todesgefahr des Krieges zu entkommen. Also ja, Ryatt traf damit eindeutig ins Schwarze. Selbst wenn er seine Geschichte erfunden hätte - wovon sie einfach mal nicht ausging, weil das wirklich ganz schön dreist und unverhältnismässig wäre - brachte er sie damit mehr zum Nachdenken, als irgendwas anderes, das er hätte sagen können. "Das mit der Frau tut mir leid", war das Erste, was Aryana schliesslich als wörtliche Reaktion von sich gab. Das tat es ihr wirklich und das verriet auch ihre Tonlage. Einen solchen Schicksalsschlag verdiente niemand und der Verlust eines geliebten Menschen war mit das Schrecklichste, was einem Menschen an Schmerz widerfahren konnte. Konnte sie in den vordersten Reihen mitreden. "Ich weiss nicht, was du in den Akten so alles über uns gefunden hast... aber letztendlich spielt das wohl auch keine Rolle. Kein Mensch will in Schlachten, die er nicht kämpfen will, für Menschen, die er nicht mag, wirklich sterben...", murmelte sie, wobei ihre Stimme trotz niedriger Lautstärke gut verständlich blieb. Für sie drei jedenfalls, alle anderen in diesem Saal mussten nicht nochmal deutlich unter die Nase gerieben bekommen, dass sie keine Sympathien für die Chefetage empfand. Das wussten alle längst etwas zu gut. "Ich kann schlecht behaupten, dir von jetzt auf gleich wirklich zu glauben... Wobei ich grundsätzlich vielleicht nicht der Typ dafür bin, überhaupt irgendwem schnell zu vertrauen. Aber wenn du irgendwas dafür tun kannst, dass wir beide unseren Dienst hier einigermassen unbeschadet überleben, dann... dann wäre ich dir schon sehr dankbar", schloss Aryana ihre Ausführungen, wobei ihr Blick nun wieder direkt auf Ryatt ruhte. Ein Blick, der vielleicht ein kleines bisschen was darüber verriet, wie sehr dankbar sie wäre, das alles mit Mitch an ihrer Seite zu überleben. Um irgendwann auch noch was anderes im Leben mit ihm zu teilen, als nur immer wieder irgendwelche Kämpfe, die sie doch eigentlich überhaupt nicht interessierten.
Ich verstand die grundlegende Skepsis der Beiden, dass sie mir nicht einfach so trauen wollten und dass sie dementsprechend nicht mit sofortigen Freudensprüngen und Danksagung reagierten. Trotzdem hatte ich mir gewünscht, das Detail aus meiner Vergangenheit heute nicht über den Tisch schieben zu müssen. Je länger ich gesprochen hatte, desto unausweichlicher schien mir jedoch das Offensichtliche - ich würde bei Aryana und Mitchell so lange gegen eine unüberwindbare Mauer reden, bis ich das eine winzige Loch nutzte, das uns mehr oder weniger miteinander verband. Ich glaubte nicht, dass das Paar stur geboren worden und deshalb einfach anstrengend war. Viel mehr hatten sie beide im Leben schon etwas zu viele Seitenhiebe kassiert, die Spuren in ihrem Verhalten und ihrem Charakter hinterlassen hatten. Sie vertrauten offensichtlich beide nicht mehr leichtfertig und bestärkten sich in diesem Verhalten zusätzlich gegenseitig, was mir die Angelegenheit hier massiv erschwerte. Um zu ihnen durchzudringen brauchte es also zwingend Irgendetwas, das ihre Empathie oder ihre Sympathie aufweckte. Letzteres war für mich generell nur noch schwer zu erreichen, nachdem ich sie mir verspielt hatte, also rückte ich mühselig mit einem Detail über mein Leben heraus, das ich lieber nicht erzählt hätte. Es fiel mir zugegeben ein bisschen leichter, über Avery nachzudenken und mich mit dieser Thematik weiter auseinanderzusetzen, seit ich Faye mühsam den Hergang der Dinge geschildert hatte. Einfach war es trotzdem nicht, nun schon wieder darüber zu reden und ich hätte es gegenüber zwei beinahe Fremden wirklich lieber für mich behalten. Wenigstens löste es aber das aus, was ich mir davon erhofft hatte: Sowohl Aryana, als auch Mitchell hörten damit auf stur irgendwelche Worte zurückzufeuern und gingen einen Moment in sich. Die Brünette war die Erste, die anschließend das Wort ergriff und ihr scheinbar aufrichtiges Beileid bekundete. Ich reagierte darauf nur mit einem dankbaren Nicken und schluckte tonlos mit Blick auf die Nudeln. Dank des flauen Gefühls im Magen war mir der Appetit ebenfalls vergangen und meine Mittagspause war vermutlich nicht lang genug, um die verbliebene Pasta doch noch zu essen. Das Mittagessen war mir allerdings auch nicht so wichtig, wie eine wenigstens oberflächliche Versöhnung unter Vorbehalt. Auf diese schienen wir langsam zuzusteuern, nachdem Aryana ein weiteres Mal betonte, dass sie nicht während einem der Einsätze für Easterlin draufgehen wollte. Dank der guten Ausstattung musste unser Chef zwar nicht gerade wöchentlich jemanden ersetzen, aber Todesfälle waren nicht zu einhundert Prozent vermeidbar. Für etwas zu sterben, das man nicht mal unterstützen wollte, wäre an und für sich schon fatal genug - dann im worst case auch den Partner in genau jener Situation zurückzulassen, ein absolut friedloses Ende. Für beide Parteien. Ich spürte ihre Augen wieder auf mir, als sie erneut zu sprechen begann und sah deswegen zu Aryana auf. “Anderen blind zu vertrauen wäre ohnehin keine gesunde Eigenschaft in einem Umfeld wie diesem.”, stellte ich mit einem leichten Schulterzucken fest. Die beiden hatten sicher nicht so lange unter derart widrigen Umständen überlebt, weil sie naiv durch die Gegend hüpften und an das Gute im Menschen glaubten. Der Zug war wahrscheinlich bei beiden schon vor unzähligen Jahren abgefahren. Ich blickte eine Antwort abwartend zu Mitchell, der bisher noch keine Form von Einverständnis gezeigt hatte. Abgesehen davon, dass seine Gesichtszüge jetzt nicht mehr ganz so hart wirkten.
“Wahre Worte.”, meinte ich mit einem etwas tieferen Atemzug. Das war noch immer nicht die Antwort, die Ryatt wohl eigentlich von mir haben wollte, aber ich tat mir bekanntlich auch etwas schwerer mit Empathie, als meine bessere Hälfte. Seit Aryanas Finger meine fester griffen, streichelte ich ihr kontinuierlich mit dem Daumen über den Oberschenkel. Ich wollte nicht sterben und natürlich wollte ich noch weniger die Liebe meines Lebens für immer verlieren - der Moment, in dem ich sie vor meinem inneren Auge schon hatte sterben sehen, nur weil ich zu stolz gewesen war, das Gewehr abzugeben, hatte mir das überdeutlich gezeigt. Natürlich war es nicht schön, dass Ryatt genau das passiert zu sein schien. Dass er nicht so viel Glück gehabt hatte wie wir, die immerhin zusammen lebend da rausgekommen waren. Aber er hatte Faye und Victor schon in mächtig viel Scheiße gezogen und wir konnten hier lediglich blind hoffen, dass er nach seinem Auftritt bei uns Zuhause nicht schon wieder irgendeinen Mist im Schilde führte. Leider fiel mir keine einzige Theorie ein, in der er irgendwas davon hätte, uns Vorteile zu verschaffen. Es brachte ihm nichts, außer langfristig gesehen vielleicht einen Funken Vertrauen unsererseits - Wiedergutmachung, von der ich ihm nicht recht glauben wollte, dass sie ihm irgendetwas bedeutete. Ich zweifelte grundsätzlich an allem, was er sagte. Ich sah für einen Moment zu Aryana rüber. In ihre großen dunklen Augen, in denen ich immer wieder für kleine Ewigkeiten versinken konnte, wenn ich nicht aufpasste. “Ich schätze, wir schleppen beide längst genug Narben mit uns herum, also…”, schon während ich sprach, drehte ich den Kopf wieder in Ryatts Richtung. Meine linke Augenbraue war dank der anhaltenden Skepsis jedoch leicht nach oben gezogen. “...ja. Wenn du was dafür tun kannst, dass wir hier heil rauskommen, dann tu’s.” …bitte. Ich war mir zu stolz das Wort auszusprechen, hängte es gedanklich aber dennoch an. Unsere Partnerschaft stand für uns beide über Allem und Ryatt war nicht dumm genug, das zu übersehen. Hoffentlich aber auch nicht dumm genug, damit zu spielen. Er nickte mit kurzzeitig schwach angehobenen Mundwinkeln. “Ich werd’ euch so gut es geht aus den üblen Aufträgen raushalten.”, bestätigte er unmissverständlich erneut, das für uns beide tun zu wollen. Meine Augen funkelten nach wie vor unruhig, als ich ihm flüchtig zunickte. Wir würden wohl einfach sehen müssen, wohin uns diese Sache führte. Ryatt war vielleicht nicht der Teufel, weil diesen Posten zweifelsohne schon Easterlin besetzte, aber es blieb abzuwarten, wie loyal er als dessen kleiner Gehilfe am Ende tatsächlich war. “Wenn ihr sonst keine spezifischen Wünsche mehr äußern wollt, war’s das von meiner Seite..?”, hakte er scheinbar abschließend nach. Seinen Teller rührte er nicht mehr an, blickte stattdessen abwartend zwischen uns beiden hin und her.
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Ryatt zeigte hier mal wieder unmissverständlich grausam die Sache mit der Liebe in der Army auf... Gemäss ihrer nicht repräsentativen Studie ging das wohl gerade mal in einem Drittel der Fälle verhältnismässig gut aus, endete im zweiten Drittel der Fälle in Trauma der übelsten Stufe und im letzten Drittel schaffte es die Liebe eben nichtmal bis nachhause, weil die Klauen des Krieges sich schon auf dem Schlachtfeld nach einer Hälfte des Paares ausstreckten. Sie hätte sich heute eigentlich lieber nicht mal wieder mit einer dieser hässlichen Geschichten auseinandergesetzt, weil diese doch jedes Mal ein äusserst ungutes Gefühl und eine innere Wut bei ihr zurückliessen, die sie im Alltag wirklich nicht auch noch brauchte. Aber gut, dafür wars jetzt zu spät - dazu hätte sie Ryatts weisse Flagge ein bisschen schneller entgegennehmen sollen. Aber wie er bereits feststellte, wäre das insgesamt auch eher ungeschickt an ihrer Stelle. Vielleicht nicht jetzt in diesem Moment, aber einfach ganz allgemein in ihrem Leben. Sie hatte gute Gründe, skeptisch zu sein und ihr Vertrauen nur an auserlesene Menschen weiterzugeben. Ryatt gehörte längst noch nicht zu diesem exklusiven Kreis. Nichtsdestotrotz schien der Veteran mit seiner Geschichte nicht nur bei ihr, sondern auch bei Mitch durchgedrungen zu sein, wie ihr Freund nach kurzem Augenkontakt ihrerseits kundtat. Mit nicht ganz so charmanten Worten, aber das hatte hoffentlich niemand von ihm erwartet. Er stimmte dem Friedensangebot ebenfalls zu, was Ryatt nun die Aufgabe überliess, zu seinen Versprechungen zu stehen und ihnen zu beweisen, dass ihm wirklich etwas an dieser Versöhnung lag. Warum auch immer - das galt es irgendwie noch herauszufinden... Aryana nickte nochmal schwach aber dankend, nachdem Ryatt nochmal beteuerte, diese Aufgabe zukünftig ernst zu nehmen. "Danke... Und nein, vorerst keine weiteren Wünsche mehr meinerseits", liess sie ihn wissen, dass sie in den letzten paar Minuten noch nicht mit weiteren wilden Ideen aufgekommen war. Es gab ja auch nicht viel, was sie sich von ihm wünschen könnte. Klar wäre sie lieber mehr hier und weniger im Ausland - gerade jetzt, wo Victor und Faye noch nicht final umgezogen waren. Aber alle Privilegien konnte Ryatt wohl kaum für sie rausholen, ohne dass es zu schnell suspekt wurde. Und die Sache mit dem Überleben stand eindeutig ganz oben auf der Liste, weshalb sie vorerst daran festhielt. Es würde sich dadurch bald zeigen, wie viel ihr neuer Vorgesetzter ihnen wirklich helfen könnte. Der Vorgesetzte, dem sie hier scheinbar erfolgreich den Appetit ruiniert hatten wies schien, weil er, seitdem er die Geschichte zu seiner Vergangenheit herausgerückt hatte, ebenfalls nichts mehr gegessen hatte. Verständlicherweise.
Die letzten Wochen waren gefühlt so schnell vorbeigeflogen, wie davor ein ganzes Jahr. Victor und sie hatten unendlich viel zu besprechen gehabt - umso besser, dass die Sache mit ihrer Reise geklappt hatte und ihr Arbeitgeber ihr ziemlich spontan zwei Wochen Urlaub eingeräumt hatte. Das hätte nämlich sehr leicht auch scheitern können, wo in Krankenhäusern doch üblicherweise etwa ein Jahr im Voraus schon alle Absenzen geplant werden mussten, um die Schichtpläne nicht durcheinander zu bringen. Sie waren also in der dritten Woche nach seiner Rückkehr voller Vorfreude zum Flughafen in Seattle gefahren, um eine ziemlich lange Reise anzutreten - es gab leider eher keine Direktflüge von Seattle auf die Malediven. Das war auch der Hauptgrund, weshalb Faye sich anfangs nicht sicher gewesen war, ob sie nicht doch lieber irgendeine etwas weniger exklusive Destination in der Nähe aussuchen sollte. Die Bahamas beispielsweise sahen auf Fotos auch unendlich schön aus und wären leichter zu erreichen. Oder Bora Bora. Oder irgendwas ähnliches. Aber es war eben auch klar, dass diese Reise etwas ganz besonderes sein sollte - ein Ort, den sie nicht mal eben in einem hypothetischen Sommerurlaub besuchen würden. Und so war sie doch immer wieder auf die Malediven zurückgekommen und spätestens seit Victor ihr nochmal ausdrücklich klargemacht hatte, dass wenigstens dieses eine Mal beim Budget wirklich nicht gespart werden sollte, war der Fall klar gewesen. Sie hatte ein Rundum-Sorglos-Paket über ein Reisebüro gebucht - zehn Tage auf einer unbeschreiblich schönen Insel im indischen Ozean. Natürlich mit Überwasser-Bungalow, einem kleinen eigenen Pool auf der Terrasse, all inclusive Verpflegung und der schönsten Aussicht auf das schönste Meer, das sie in ihrem Leben je gesehen hatte. Und die Fotos hatten nicht zu viel versprochen. Es war genau das, was sie sich erträumt hatten und sie brauchte keine Sekunde darüber nachzudenken, um sich sicher zu sein, dass das die schönsten zehn Tage gewesen waren, die sie mit Victor bis Anhin erlebt hatte. Sie hatten gebadet, in der Sonne gelegen, stundenlang nur geredet, sich einmal durch die Cocktailkarte und wieder zurück geschlürft, hatten mit ihren Fahrrädern oder zu Fuss die mittelgrosse Insel erkundigt, mit Fischen um Riffe geschnorchelt, gelesen, geschlafen, gekuschelt und geplant. Zwischendurch hatte es ein bisschen geregnet - was aber kaum gestört hatte, da das wunderschöne Innere ihres Bungalows auch ausgekostet werden wollte. Ausserdem war Baden auch mit ein paar Regentropfen kein minder reizendes Erlebnis. Kurz gesagt: Der perfekte Urlaub und genau das, was sie gebraucht und sich verdient hatten, genau das, was ihre allgemeine Frühlingsstimmung unterstrich und beflügelte.
Mittlerweile waren sie seit etwa zwei Wochen zurück. Es war der 20. Oktober und Ende Monat würde Victors befristeter Urlaub zu Ende sein. Das war grundsätzlich in Ordnung, hatten sie ja beide gewusst und es war klar, dass sie - damit auch Victor - irgendwann wieder in einen etwas produktiveren Alltag zurückfinden mussten, das Leben kostete Geld. Faye sah dem Ganzen bisher eigentlich relativ entspannt entgegen. Sie wusste, dass es nichts wäre im Vergleich zu dem, was sie im letzten Jahr durchgemacht hatten. Sie würden diesmal auch in Kontakt bleiben und telefonieren können, sich ausserdem sehr bald wiedersehen. Und es wäre befristet, sie würde jeweils wissen, wann er wieder bei ihr war. Alles wäre absehbar und nur solange wirklich ein Thema, bis sie schliesslich final umsiedelten. Sie hatten sich zwischenzeitlich auch in dieser Sache weiter Gedanken gemacht und sich mit ziemlich grosser Sicherheit für Los Angeles und gegen Miami entschieden - nicht zuletzt aufgrund von politischen Themen, in denen sie sich eindeutig eher mit Kalifornien als mit Florida identifizieren konnten. Trotzdem waren sie nach nur zwei Monaten noch kaum an dem Punkt, an dem sie wirklich bereit wären, direkt ihre Taschen - oder ihren LKW - zu packen. Victors Chef sah das jedoch anders, wie er gestern in einem Gespräch mit Victor klargemacht hatte. Offenbar war der Standortwechsel nach Seattle zwar möglich - aber nur unter der Prämisse, dass Victor sich für mindestens 1.5 Jahre für diesen Standort verpflichtete. Weder 1.5 Jahre noch zwei Monate entsprachen annähernd ihrer Vorstellung der Zeit, die sie noch hier verbringen wollten. Kam also irgendwie nicht infrage. Die andere Option wäre direkt eine Umsiedelung nach LA - wobei Victor alleine vorgehen müsste und sie später nachzog, weil wie gesagt jetzt noch nichts bereit für den Umzug war. Dieses Gespräch war selbstredend eher ein Dämpfer gewesen, weil es ihren kleinen Pseudo-Masterplan ein bisschen ins Wanken brachte. Sie hatten auch nicht mehr ewig Zeit, um darüber nachzudenken - wie gesagt war Victors Urlaub bald vorbei. Somit war es wenig überraschend auch die Thematik gewesen, die sie vorhin auf ihrem Spaziergang begleitet hatte. Sie hatten noch ein bisschen frische Luft und Herbstsonne getankt, sich die Beine vertreten, in der Hoffnung, es würde sie beim Denken unterstützen. Leider hatte die Sonne nicht ausgereicht, um die Emotionen rund um die Zukunftsfrage ganz aufzuhellen und so standen sie nun seit etwa zehn Minuten eher schweigsam in der Küche und bereiteten gemeinsam ein schlichtes Abendessen zu. Sie waren fast fertig, als die Klingel der Wohnung Faye von der Spülmaschine aufblicken liess. Sie zog irritiert die Augenbrauen zusammen und blickte zu Victor, zuckte dann unwissend mit den Schultern. "Ich schau kurz nach", meinte sie, machte mit diesen Worten kehrt um zur Wohnungstür zu gehen und sich über die Gegensprechanlage nach ihrem Besuch zu erkunden. "Hallo..?", grüsste sie fragend, wartete erstmal auf eine Antwort oder einen Namen, bevor hier auch nur irgendeine Tür aufgemacht wurde. Sie erwarteten nämlich soweit sie wusste keinen Besuch.
Gesagt, getan - nach der Mittagspause mit Aryana und Mitch besah ich mir bei nächster Gelegenheit ihre bisherige Einteilung. Ich konnte sie zwar nicht mehr aus ihrem aktuellen Einsatz streichen, weil die Vorbereitung dessen personalmäßig schon komplett abgeschlossen war und ich nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen wollte, aber ihr nächster unfreiwilliger Auslandsurlaub würde langweilig werden. Sie würden nur zu Beginn wirklich eingesetzt werden und das überwiegend zur passiven Informationsbeschaffung, sprich Beschattung auf Distanz. Weil das über mehrere Tage hinweg lange Schichten waren, erledigten den gefährlichen Part im Anschluss - auf Basis der erlangten Ablaufsinformationen - dann andere Soldaten des Trupps. Ich musste für meinen Teil also nur hoffen, dass die beiden sich die Zeit zu zweit nicht etwas zu sehr versüßten und trotz früher oder später langweilig werdender Beschattung ihren Job machten. Was das anging war ich einfach zuversichtlich und war damit hoffentlich auch bald den indirekten Streit los. Leider hatte ich in diesem Moment ganz andere Sorgen, als Aryana und Mitchell. Kalter Schweiß sammelte sich allmählich zwischen meinen Schulterblättern, während ich die letzten paar Meter zu Fuß zurücklegte. Dank dem guten William brauchte ich nicht mehr die nervtötenden öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, sondern konnte bequem in einem Firmenwagen von A nach B fahren. Ich hatte es zuerst abgelehnt, weil ich jeden Penny für die Hernandez hatte sparen wollen und mich das Auto natürlich eine monatliche Gebühr kostete. Das Geld würde aber so oder so nicht reichen, wenn ich weiterhin einfach nur für Easterlin arbeitete. Leider rann mir die Zeit inzwischen nur so durch die Finger. Mir war noch immer keine goldene Idee gekommen und langsam zweifelte ich daran, dass sich das noch ändern würde. Der reiche Mann war ganz und gar nicht blöd und ihm mal eben ein paar sehr viele tausend Dollar aus den Taschen zu klauen, war quasi unmöglich. Selbst wenn ich dazu greifen würde, tatsächlich ein paar der gut vor der Öffentlichkeit verborgenen Unterlagen für eine Erpressung gegen ihn zu verwenden, kam ich alleine unmöglich dazu, entsprechende Kopien zu machen. Ohne bereits gestohlene Beweise hätte ich kein Druckmittel und eine andere Möglichkeit sah ich bisher nicht. Mal ganz davon abgesehen, dass sich ungefähr alles in mir dagegen sträubte, Sean aus dem Knast zu entlassen. Dieser Gestörte würde mich dieses Mal mit Sicherheit endgültig umlegen… Pest oder Cholera, meine Auswahlmöglichkeiten waren super. Vor ein paar Minuten hatte ich ein Treffen mit dem kriminellen Gesocks hinter mich gebracht. Riley hatte sehr unmissverständlich klar gemacht, dass sie weiterhin an der Frist festhielt und mir nochmal indirekt sehr direkt gedroht. Weder Mateo noch Gil hatten dem Treffen beigewohnt und mir pochte das Herz seit dem Moment, in dem Fayes Name erneut gefallen war, wie verrückt. Richtig schön, dass Victor auch wieder da ist, nicht? So als hätte er geahnt, dass Faye schon sehr bald wieder mit der Bekanntschaft zu dir auf die Nase fallen könnte… vielleicht früher, als du glaubst. Ich war eigentlich der festen Überzeugung, dass Riley bluffte. Dass sie mich mit dieser und noch weiteren unterschwellig drohenden Aussagen nur provozieren und anspornen wollte, das blöde Geld zu beschaffen. Trotzdem löste sie damit neue alte Panik bei mir aus, obwohl ich eigentlich kein kopfloser Mensch war. Der geschrumpfte Kontakt zu Faye war bei Alledem zusätzlich kontraproduktiv und ich war für maximal eine halbe Minute, die ich völlig aufgewühlt hinterm Steuer des Wagens saß, hin- und hergerissen. Ich wollte es mir wirklich abgewöhnen, nach Belieben ohne Vorankündigung bei ihr - oder auch bei jemand Anderem - aufzukreuzen. Deshalb schrieb ich Faye eine kurze Nachricht, bevor ich ohne weitere Umschweife losfuhr. Als ich den Wagen später am Straßenrand nahe ihrer Wohnung geparkt hatte, war noch keine Antwort auf meinem Handy angekommen. Ich zögerte nicht mehr auszusteigen und hinkte geradewegs zur Haustür. Schon von unten konnte ich sehen, dass Licht brannte - die Frage war nur, wer alles Zuhause war. Ich klingelte und tippte unruhig auf den Rahmen der Klingel, bis schließlich Fayes Stimme zu hören war. Nach erleichtertem Ausatmen brauchte ich noch zwei stumme Sekunde, bis ich ihr antwortete: "Tut mir leid, dass ich so spät noch aufkreuze…" Es war zwar noch nicht mitten in der Nacht, aber die meisten Paare verbrachten ihre Abende sicherlich lieber in Ruhe alleine, als dabei vom dritten Rad am Wagen gestört zu werden. Ich übersprang vor Unruhe eine richtige Begrüßung, aber eine Entschuldigung kam mir scheinbar angebracht vor. "Können wir kurz reden? Nur fünf Minuten..?" Ich versuchte nicht so aufgewühlt zu klingen, wie ich es war. Erleichterung über Fayes offensichtliche Unversehrtheit hin oder her, stand ich jetzt möglicherweise einem anderen Problem gegenüber. Wenn die zierliche Brünette Nein sagte und ihre Ruhe wollte, würde ich mich nicht gut damit fühlen, sie ohne Erklärung gestört zu haben und sie selbst wahrscheinlich auch nicht. Falls sie mich rein ließ oder runterkam, war Victor mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auch da und ich müsste unter Umständen ein Gespräch führen, für das ich gerade nicht in der besten Verfassung war. Über beides hätte ich nachdenken sollen, bevor mein Finger auf die Klingel gedrückt hatte. Hätte einfach abwarten sollen, bis sie auf meine Nachricht antwortete - in der ich nur schlicht gefragt hatte, wie es ihr ging und ob alles okay bei ihr war - um sie nicht unnötig zu beunruhigen. Auch wenn ich mich nicht auf eine Konfrontation mit Victor freute, war mein Unwille zur Geduld unweigerlich dadurch beflügelt worden, dass ich Faye gerne mal wieder zu Gesicht kriegen würde. Das verschobene Gefühl, sie seit Ewigkeiten nicht gesehen zu haben, wurde sicherlich durch unsere vorher mehr oder weniger regelmäßigen Treffen beeinflusst, aber ich hatte keine Lust mehr, noch länger zu warten. Erst recht nicht, wenn Riley mir unter die Nase rieb, dass sie das junge Paar ach so gut im Blick hatte und wahrscheinlich bloß mit den Fingern zu schnippen brauchte, um die nächste Katastrophe vom Zaun zu brechen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Es folgte nicht sofort eine Antwort aus der Gegensprechanlage. Wer auch immer da unten war, brauchte scheinbar zwei Sekunden, um sich zu überlegen, mit welchen Worten er sich vorstellen wollte. Dann aber begann er doch zu sprechen und zu ihrer dezenten Überraschung, schien sich niemand geringeres als Ryatt zu diesem unerwarteten Besuch entzückt zu haben. Und allein sein Aufkreuzen löste gemischte Gefühle bei ihr aus. Gepaart mit dem Klang seiner Stimme, schossen sehr schnell verschiedenste Gedanken durch ihren Kopf. Faye glaubte, eine gewisse Unruhe herauszuhören, auch wenn das noch schwer zu definieren war, da die Tonqualität der Anlage nicht gerade glänzte. Warum war er hier? Ohne Ankündigung oder ähnliches? Es musste irgendwas passiert sein, er würde doch kaum einfach so vorbeischauen, nur um sie mal wieder zu sehen? Worüber wollte er überhaupt reden? Sie sollte ihn mal wieder treffen, vielleicht war er wütend auf sie... Ihr war schon klar, dass sie die letzten Wochen sehr stark auf Victor konzentriert gewesen war und Ryatt etwas vernachlässigt hatte, aber ganz ehrlich - war ihr auch nicht wirklich zu verdenken und sie waren auch noch nicht in einem Alltag angekommen, der sich gut mit Freundschaften und Hobbys vereinbaren liess. Das würde aber kommen und sie hielt weiterhin an der Ansicht fest, dass die Freundschaft zu Ryatt auch neben Victor bestehen konnte. Aber das war wohl nicht der Grund für seinen unverhofften Besuch, ein solches Gespräch hätte sich planen lassen. Er hätte bloss fragen müssen, ob sie sich mal wieder treffen könnten. Ausserdem würde er das wohl nicht besprechen wollen, während Victor zuhause war. Und er wäre auch nicht aufgebracht, bevor das Gespräch überhaupt begonnen hatte. Also: Warum war er hier und worüber wollte er reden?? Faye war einen Schritt näher daran, ebendies herauszufinden, als sie nach einem zögerlichen, hörbar verwirrten "Okay...", den Knopf drückte, der unten an der Haustür für ein paar Sekunden die Verriegelung aufhob. Noch dabei drehte sie sich etwas von der Tür weg, um stattdessen in die Wohnung zu blicken, wo Victor mittlerweile auch den Kopf aus der Küche streckte. "Ryatt... Er will kurz reden", klärte sie ihren Freund mit allen ihr bekannten Informationen auf, zuckte sachte mit den Schultern, bevor sie sich wieder der Tür zu wandte. Faye drehte auch hier den Schlüssel, machte die Tür auf und als Ryatt im Treppenhaus die Stufen erklommen hatte, machte sie einen Schritt zurück, um ihn in die Wohnung zu lassen. Mit einem dezenten Fragezeichen, dem sich jedoch sehr bald der erste Funken Sorge beimischte, quer übers Gesicht gezeichnet. "Hey", grüsste sie ihn etwas unsicher, während die Tür bereits wieder geschlossen wurde. "Ist... alles okay?", war es nicht, offensichtlich. Die Frage war nur, wie sehr es nicht okay war. Ich hatte Stress auf der Arbeit-Nicht Okay oder eher drei Hernandez sind akut hinter mir her-Nicht Okay. Das war ein nicht unwesentlicher Unterschied. Aber bei letzterem würde er nicht vor ihrer Tür aufkreuzen, oder? Bei ersterem auch nicht. Zumindest nicht so spontan und unangekündigten. Sie brauchte dringend Antworten, bevor sich die Unruhe komplett auf sie übertrug. Der Tag war kognitiv sonst schon relativ fordernd gewesen.
Faye zögerte und ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich war bisher selten aus dem Nichts mit guten Nachrichten zu ihr gekommen und heute war das eben auch nicht anders. Was sollte ich ihr überhaupt sagen? Ich war ja schon das letzte Mal eher schweigsam gewesen, was dieses Thema anging… mild ausgedrückt. War vielleicht ein Fehler gewesen und jetzt war es irgendwie zu spät, über das alles nachzudenken. Hätte ich eher schon auf der kopflosen Fahrt mit tendenziell fünf bis zehn Meilen zu viel auf dem Tacho machen sollen und nicht jetzt, wo ich die Stufen schon nach oben ging. Wie gewohnt war die Tür schon offen, als ich an der Wohnung ankam. Mir gefiel Fayes Gesichtsausdruck nicht, als ich ein knappes "Hi." erwiderte. Schon beim Durchqueren der Tür hatte ich auch Victor weiter hinten schräg im Türrahmen der Küche lehnen sehen, weshalb mein Blick unweigerlich erstmal weiter zu ihm glitt. Ein 'Schön, dass du wieder da bist und es dir besser geht.' entsprach nicht wirklich meiner Gemütslage, obwohl es vielleicht angebracht wäre. Andererseits würde es möglicherweise auch schräg rüberkommen. Ziemlich merkwürdige Situation, die das leicht nervöse Gefühl in meiner Brust noch verstärkte. "Willkommen zurück, Victor.", grüßte ich ihn in abgewandelter Form. Seinen Blick wusste ich nicht recht zu deuten. Er wirkte nicht wirklich gereizt, aber seine dunklen Augen lagen trotzdem leicht funkelnd auf mir. Er nickte nur mit einem knappen "Ryatt.", was deutlich genug machte, dass er mindestens semi-unerfreut über mein Auftauchen war. Er schien abzuwarten, was ich auf die vorherige Frage zu antworten hatte, bewegte sich aber nicht vom Fleck. Meine Augen suchten nach Fayes. "Jaein…", zögerte ich, tatsächlich mit der Sprache raus zu rücken. "Ihr habt sie nicht gesehen, oder..?", hakte ich zuerst ohne Kontext nach, bevor ich stückweise mit einer Erklärung für mein Auftauchen aufwartete. "Ich hab dir geschrieben, du hast nicht geantwortet… ich wollte mir bloß sicher sein, dass es dir… euch gut geht." Nein, da konnte ich mir nicht helfen. Victor stand auf meiner Prioritätenliste eindeutig nicht direkt neben Faye. "Ich musste zu Riley vorhin… wegen dem Geld. Sie hält natürlich an der Frist fest und hat… sehr direkt erwähnt, dass sie weiß, dass du wieder da bist." Mein Blick wanderte zurück zu dem hochgewachsenen Kerl im Türrahmen. Er zog die Augenbrauen nach oben und seine Stirn legte sich in tiefe Falten. "Die Brüder waren nicht da. Ich wollte sicher gehen, dass sie nicht bei euch sind."
Der sonnige Urlaub in weiter Ferne war wirklich ein Segen gewesen. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt irgendwas so sehr genossen hatte. Faye hatte mich mit ihrer Wahl nicht enttäuscht und meine Erwartungen sogar noch übertroffen. Gefühlt war das nicht weniger als die schönste Zeit meines Lebens - genau das Freiheitsgefühl, das ich ewig nicht empfunden hatte. Die teilweise noch in der Luft hängenden Zukunftsfragen konnten meiner Laune auf der Insel keinen Abbruch tun. War einfach irgendwie unmöglich, wenn man ständig auf türkisblaues, glasklares Wasser sah, die Sonne fleißig zum Vitamin D-Haushalt beitrug und man das Leben nach so vielen schlimmen Jahren endlich mal wieder so richtig genießen konnte. Mit der wichtigsten Person in meinem Leben, natürlich. Das war mir die vergleichsweise hohe Rechnung absolut wert. Leider ging das Leben Zuhause wieder etwas weniger unkompliziert vonstatten. Mitunter deshalb, weil ich bald wieder arbeiten musste und das nicht so einfach war. Ich verstand Ragsdill und würde es an seiner Stelle wohl nicht anders handhaben - sonst kam bald jeder mit irgendwelchen kurzfristigen Sonderwünsche an und das war vermutlich der Alptraum eines jeden Chefs. Ich wollte eigentlich nichts von beidem. Weder eineinhalb Jahre zurück nach Seattle pendeln, noch ohne Faye schon mal vorausgehen in dem Wissen, dass sie in der Nachbarschaft hier potenziell in Gefahr war. Nach einigen sehr holprigen Nächten mit altbekannten Schlafstörungen und ein paar sehr paranoiden Tagen, hatte ich die Umstände einigermaßen verarbeitet. Hatte mich nach einer Weile an den Gedanken der lauernden Hernandez gewöhnt, aber bis Faye und ich hier weg war, würde ich mich wohl weiterhin besser zu oft umsehen und Faye lieber eine Nachricht zu viel als zu wenig schreiben, solange sie auf der Arbeit oder anderweitig nicht Zuhause war. Die Paranoia war was das anging nach wie vor in vollem Gange, weil ich einfach keine Lust auf einen weiteren Weltuntergang hatte. Apropos Paranoia - ich war scheinbar nicht der einzige, der davon verfolgt wurde. Der Tag war ohnehin schon nicht so schön verlaufen und ich war mir noch immer nicht abschließend sicher, wie ich Ragsdill antworten sollte, als es am Abend plötzlich an der Tür klingelte. Ich sah Faye an, sie wusste scheinbar genauso wenig wie ich, wer da was wollte, und so musste zwangsweise einer nachsehen gehen. Das tat sie und vielleicht hätte ich irgendwie schon ahnen können, wer gleich über die Fußmatte vor der Wohnung laufen würde. Ich atmete tonlos durch. Ryatts Timing war beschissen und als ich ihn dann letztendlich durch die Wohnungstür kommen sah, wurde es nicht besser. Ich trat ihm ohnehin schon mit stark gemischten Gefühlen entgegen und außerdem hatte er selbst damals, als er abgestochen auf unserem Sofa gepennt hatte, irgendwie weniger mental kaputt ausgesehen, als in diesem Moment. Ich malte mir also schon ein bisschen das Worst Case Szenario im Kopf aus, bevor er überhaupt sagte, warum er hier war. Mir lief eine Gänsehaut durch den Nacken, als er die Hernandez erwähnte. Es sollte mich wohl nicht überraschen, dass die Pest uns offenbar tatsächlich im Blick hatte und doch hätte ich wohl aus Verzweiflung bitter aufgelacht, würde ich nicht für ein paar schockierte Sekunden wie versteinert im Türrahmen kleben. "So viel dann dazu, dass für uns keine Gefahr besteht, hm?", rieb ich ihm trocken ganz ungeniert unter die Nase, dass ich das von Anfang an nur schwer hatte glauben können, als ich langsam meine Stimme wiederfand. Er pokerte schon wieder, oder?
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Sie hätte die Frage, ob alles okay war, wirklich getrost in was ist passiert umwandeln können - denn offensichtlich war nicht alles okay. Auch wenn er es nur halb verneinte, waren die Worte, die gleich daraus von ihm kamen, einfach das pure Gegenteil von okay. Victors Name aus Rileys Mund war grundsätzlich niemals auch nur irgendwie okay. Das machte auch ihr Gesichtsausdruck fest, der nicht minder schockiert wirkte, als der ihres Freundes im Hintergrund. Tatsächlich reichte dieser Satz allein aus, um ihr kurzzeitigen Schwindel zu bescheren und sie streckte unauffällig haltsuchend die Hand nach der Wand in ihrem Rücken aus. Ihr Blick war von Ryatts Gesicht abgefallen und lag dezent verstört auf dem Boden, während sie versuchte, auf diese Information nicht mit einem kompletten mentalen Wiedererleben des Traumas zu antworten. "Ich... ich dachte... diesmal...", sie beendete den Satz nicht, sondern hob den Kopf wieder an, um sich ziemlich hilflos nach Victor umzusehen. Er hatte es gerade schon gesagt. Diesmal sollte es für sie keine Gefahr sein. Sie hatten ihr Fett weggekriegt - in absolut unverhältnismässigem Ausmass, aber es sollte vorbei sein. Sie sollten nie wieder ein Thema bei diesen Gestörten sein. Warum nannte Riley jetzt also doch wieder Victors Name, wo sie doch versprochen hatte, dass sie sie in Ruhe liessen, wenn sie ihren Teil der Bedingungen einhielten?! Gottverdammtes Teufelspack. Sie brauchte mehr Informationen und ausserdem musste sie sich hinsetzen. Fayes Augen trafen wieder auf Ryatt, bevor sie sich von der Wand löste und ihn mit einer Handbewegung bat, ihr zu folgen. "Komm", unterstrich sie die Geste mit einem etwas heiseren Wort, setzte sich in Bewegung, um unterwegs Victor aufzugabeln - beziehungsweise fest an der Hand zu nehmen - und ins Wohnzimmer zu gehen. "Du kannst Ragsdill sagen, dass du sofort in L.A. anfangen willst... ich glaube, wir haben unsere Antwort", hauchte sie ihrem Freund zu, als sie bei ihm angekommen war und Ryatt noch kurz mit Schuhe Ausziehen beschäftigt war. Wenn sich die Sachlage so änderte, wie Ryatt ihnen hier gerade eröffnet hatte, konnten sie nicht schnell genug weit genug von hier wegkommen. Wenn das Risiko eines weiteren Zusammentreffens mit den Hernandez' so stark anstieg, war ihr auch der Job egal. Sie fand definitiv eher wieder eine Anstellung in einem Krankenhaus, als dass sie eine weitere Runde in der Klapse überstand. Oder Victor. Beim Sofa angekommen, liess Faye sich sachte ins Polster sinken, verzichtete auch sehr untypisch darauf, ihrem unverhofften Gast auch nur ein Glas Wasser anzubieten, weil sie den Kopf gerade definitiv nicht an dieser Stelle hatte. "Was hat sie gesagt Ryatt? Kommen sie hierher? Hat sie mit irgendwas gedroht? Gesagt, warum sie uns scheinbar beobachten?", stellte die Brünette ohne Umschweife eine Reihe von Fragen, die sie brennend interessieren. Ryatt hatte ihr zu Beginn dieser ganzen Misere gesagt, dass er für sie keine Gefahr sah. Wann hatte sich das geändert? Und warum? Was war wirklich die Folge, wenn er das Geld nicht bis zum verlangten, absolut unmöglichen Zeitpunkt zusammenkratzen konnte?
Ich erwiderte nichts auf Victors offensichtlich rhetorische Worte. Es tat mir wirklich leid. Alles davon. Vor allem, dass ich nicht gegangen war, obwohl ich es eigentlich vorgehabt hatte. Wären Faye und ich nicht so eng zusammengewachsen, gäbe es dieses Problem jetzt wahrscheinlich nicht. Ich müsste nicht zusehen, wie sie - mal wieder wegen mir - um ihre Fassung rang. Müsste nicht tagtäglich krampfhaft nach einer Lösung für die Kaution Ausschau halten, weil höchstens meine eigene Unversehrtheit auf dem Spiel stand. Ich schluckte stumm und sah kurzzeitig auf den Fußboden, bis wieder Bewegung in die zierliche Brünette kam. Aus den fünf Minuten wurden nun unter Umständen doch ein paar mehr, weil das Flurmeeting ins Wohnzimmer verlegt wurde. Ich nickte schwach und begann meine Schuhe abzustreifen. Als ich im Augenwinkel wahrnahm, wie Faye nach Victors Hand griff, sah ich für einen Moment zu den beiden auf und der unangenehme Druck auf der Brust verwandelte sich in unbarmherziges Stechen. Ich brauchte nicht zu verstehen, was sie zu ihm sagte, damit mir die Eifersucht in Windeseile im Hals nach oben kroch. Ich schluckte sie so gut es ging runter, aber es wurde nicht unbedingt einfacher, als die beiden schräg gegenüber eng nebeneinander auf dem Sofa saßen, während ich selbst im Sessel Platz nahm. Es war beinahe anstrengend, Faye beim Sprechen zuzuhören und noch schwieriger, möglichst unverfänglich darauf zu antworten. "Dass es schön ist, dass Victor wieder da ist. Keine wortwörtliche Drohung…", also außer die von vor einigen Wochen natürlich, die nur Faye betraf, "..nur dass dann ja jetzt wieder alle da sind, falls ich das Geld nicht zusammen kriege." Eine abgespeckte, leicht abgewandelte Version von Rileys Formulierung, aber wenn ich Faye jetzt sagte, dass ich sie vorher diesbezüglich angelogen hatte, würde das hier sehr böse für mich ausgehen.
Während in mir die Unruhe kochte, fühlte ich mich trotzdem schrecklich taub. So als wäre das hier ein Alptraum, in dem man rannte und doch überhaupt nicht vom Fleck kam. Als wären all die letzten Monate, in denen ich der Vergangenheit auf gute Art hatte entkommen wollen, völlig umsonst gewesen, auch wenn das Blödsinn war. Es war ein Schlag ins Gesicht und es brauchte Fayes Finger zwischen meinen, damit ich mich langsam aus der Starre im Türrahmen löste. Ich umschloss ihre Hand fester, als sie sagte, dass ich gehen sollte. Meine erster Instinkt dabei war, ihr sofort zu widersprechen. Ihr zu sagen, dass ich sie nicht alleine auf diesem kriminellen Schlachtfeld zurücklassen würde. Das war aber nicht richtig. Ich hatte ihr gesagt, dass ich gehen würde, sobald ich das Gefühl hatte, dass es zu gefährlich für mich wurde und genau das war so ein Fall. Ich wollte nicht schon wieder auf der Kante zwischen Leben und Tod tanzen. Das hier war nicht mein Kampf - auch dann nicht, wenn er Faye involvierte. "Sieht wohl so aus.", murmelte ich undeutlich zurück und klang meinen zwiespältigen Gedanken nach noch nicht einhundertprozentig sicher damit. Das alles ging jetzt schneller, als mir lieb war, aber die Würfel schienen ohne unseren Einfluss darauf gefallen zu sein. Ich ging mit Faye zum Sofa und setzte mich direkt neben sie. Von ihrer Hand ließ ich dabei vorübergehend ab, nur um anschließend einen Arm um ihre schmalen Schultern zu legen und sie so dicht bei mir zu halten. Noch war ich schließlich da. Zuerst lauschte ich ihren und kurz darauf auch Ryatts Worten. Meine Augenbrauen lagen angespannt noch immer tiefer als gewöhnlich, als ich seine ganze Körperhaltung musterte und ganz direkt fragte: "Und du schaffst es nicht, richtig?" Der Zeitrahmen war recht utopisch, aber ich wollte es aus seinem Mund hören. "Nach aktuellem Stand… nein. Es ist so gut wie unmöglich, eine solche Summe unauffällig aus Easterlins Tasche zu ziehen oder anderswo einigermaßen legal aufzutreiben.", bestätigte er, was bereits auf der Hand lag. Konnte er nicht ein einziges, gottverdammtes Mal irgendwas hinkriegen? Alleine? "So wie sie redet, hatten sie uns schon vorher im Visier… lange bevor sie mich aufgesucht haben. Sie wissen, wie gut wir mittlerweile befreundet sind. Ich weiß nicht, ob sie euch wirklich was tun würden… aber das ist scheinbar ihr neues liebstes Druckmittel und ich verlasse mich lieber nicht darauf, dass sie ihr angebliches Versprechen von damals halten. Sean hat seine mehr als einmal gebrochen..." Offenbar funktionierte das mit dem Druck machen einwandfrei, wenn Ryatt danach direkt zu uns fuhr und nachsah. Am besten brachte er die Pest in Person dabei gleich auch noch mit. Hier und jetzt wünschte ich mir zum eintausendsten Mal, er hätte sich von Faye ferngehalten. Am besten von Anfang an, aber mindestens seit unserer Entführung. "Also benutzen sie Faye jetzt gegen dich, weil du dich sonst theoretisch einfach auf ewig bei Easterlin verschanzen könntest, ohne ihnen je wieder über den Weg zu laufen?" Er wohnte dort. Brauchte die sicheren Zäune nicht zu verlassen, um zu überleben. Er könnte seine eigene Haut allzu einfach retten, ohne den Hernandez in naher Zukunft nochmal über den Weg laufen zu müssen… wäre da nicht Faye. "Euch beide.", korrigierte er mich verhältnismäßig ruhig, aber ich schüttelte nur schwach den Kopf und machte die Augen für einen Moment zu, weil ein dumpfer Schmerz in meinem Hinterkopf anklopfte. Ja ja, wegen uns beiden war er ganz bestimmt hier...
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Victor wirkte noch nicht ganz so, als hätte er sich von jetzt auf gleich mit der Tatsache abgefunden, mehr oder weniger sofort nach Los Angeles zu ziehen. War ihm aber auch nicht zu verübeln, sie hatten sich zwar die letzten Tage bereits intensiv Gedanken zu diesem Thema gemacht, waren aber trotzdem bis gerade eben noch überhaupt nicht bei einer finalen Entscheidung angekommen gewesen. Natürlich hatten sie Tendenzen gehabt - Vor- und Nachteile, die für und gegen einen sofortigen Wechsel sprachen. Aber die Infos, die Ryatt ihnen hier auftischte, hatten sie dabei noch überhaupt nicht in diesem Ausmass mit einkalkuliert. Aber sie waren relevant. Leider. Faye liess sich gerne von Victor heranziehen, nachdem er sich aufs Sofa gesetzt hatte, lehnte ihren plötzlich sehr schweren Kopf schwach an seine Schulter, während sie noch immer zu begreifen versuchte, was hier gerade passierte. Ryatt begann damit, ihre Fragen zu beantworten - mit weniger Worten, als sie vielleicht erwartet hatte. Eigentlich sollte wenigstens das minimal beruhigend auf sie wirken, oder? Es war eher gut, dass Riley nur so wenige Worte zu Victors Rückkehr von sich gegeben hatte. Dass sie die Drohung nur sehr indirekt in den Raum gestellt hatte, anstatt sofort die ganz schweren Geschütze aufzufahren. Es half nur trotzdem nichts und die Wirkung hatte ihre kriminelle Bekannte damit keineswegs verfehlt. Ryatt war sofort zu ihnen gefahren, weil er halb panisch befürchtet hatte, Gil und Mateo wären bereits bei ihnen und Victor und sie hatten durch diese Info gerade mit nicht minder überwältigenden Emotionen zu kämpfen. Der weitere Wortwechsel zwischen den beiden Männern nahm ebenfalls einen düsteren Verlauf, weil die Message dahinter klar und deutlich herauszulesen war: Ryatt bekam das Geld nicht zusammen - was sie ihm kaum übelnehmen konnte, weil das einfach eine zum Scheitern verurteilte Aufgabe gewesen war - und sie schwebten je länger je mehr in Gefahr. Spätestens nach Ablauf der Frist, also in wenigen Wochen. "Wann sind die sechs Monate nochmal um? Also genau?", erkundigte die Brünette sich nach dem Datum. Sie glaubte, dieses ungefähr zu kennen - aber da Ryatt ihr erst ein paar Tage später davon berichtet hatte, wäre es sicher nicht schlecht, sich einmal den genauen Tag im Kalender zu markieren. Einfach um sicherzugehen, dass sie spätestens ab da dann nicht mehr in der Stadt waren. Wie auch immer sie das jetzt bewerkstelligen sollten, so schnell. Sie konnte nicht jede Arbeitsstelle so fluchtartig und mit einem unschönen Knall verlassen, irgendwann würde sie keiner mehr anstellen. Ganz egal wie gut oder gewissenhaft sie ihre Arbeit erledigte, diese Geschichten machten sich sehr schlecht im Lebenslauf. "Ich denke, damit ist klar, dass wir sehr bald hier weg sein werden... Mittelfristig haben wir eh einen Umzug vorgesehen, nur halt nicht ganz so fluchtartig...", murmelte sie vor sich hin, hob dabei den Blick wieder in Ryatts Gesicht an, da die Info hauptsächlich an seine Adresse gerichtet war. Victor wusste das ja schon. Für Ryatt war es auch keine absolute Überraschung, dass sie nicht für immer hier bleiben würden, aber sie wusste nicht, mit welchem Zeithorizont er diesbezüglich gerechnet hatte. "Seans Geschwister lieben es, andere Menschen dafür zu nutzen, ihr eigentliches Opfer psychisch zu zerstören... Das... das war nie der Plan mit dieser Freundschaft, aber wenn sie scheinbar so gut darüber Bescheid wissen und sie dir das auch noch unter die Nase reiben, dann...", sie brauchte nicht weiterzureden, schüttelte nur den Kopf und schloss ebenfalls kurz die Augen. Dann sah die Lage düster bis katastrophal aus für sie alle. Für Victor, weil er dann sofort hier wegmusste, weil Faye ihn als allererstes aus dem Gefahrenradius raushaben musste - und es für ihn glücklicherweise auch am einfachsten war, hier wegzukommen, rein von der Lebenssituation her. Für sie selbst, weil sie zurzeit scheinbar noch immer die engste Freundin von Ryatt war und damit unmittelbar Gefahr lief, als Druckmittel missbraucht zu werden, was sie um jeden Preis vermeiden musste, weil sie sich viel zu viele Dinge ausmalen konnte, die das bedeuten könnte. Und für Ryatt ganz einfach darum, weil dieser Abschaum sehr sicher doch auf ihn zurückgreifen würde, wenn Victor und Faye plötzlich ausser Reichweite waren. Weil ihm bei diesem Problem einfach niemand helfen konnte. Weil sich diese Pest wie Zecken an ihm festgebissen hatten und nicht eher wieder abfallen würden, als dass sie sich an seinem Blut vollgesaugt hatten. Wann das war, stand in den Sternen - Stand heute entweder bei Seans Freilassung oder Ryatts Tod. Eigentlich sollten sie nicht mehr hier sitzen, sondern Taschen packen...