„War mir zwar nicht bekannt, dass ich auf sowas stehe… aber scheint doch so zu sein“, stellte Faye in Bezug auf die fehlende geistige Reife noch fest, wobei sie dabei gar nicht so tat, als fände sie das irgendwie schlimm. War wohl nur eine weitere Seite an ihm, die sie lieben konnte. Oder viel mehr eine Eigenschaft, die sie nur an ihm liebte - so ganz allgemein bezweifelte sie nämlich eigentlich, unreife Personen tatsächlich attraktiv zu finden. War jetzt nicht unbedingt ein Charakterzug, der stark ausgeprägt noch viele Vorteile in sich trug. Wobei das auch bei vielen anderen Persönlichkeitsmerkmalen der Fall war, aber an dieser Stelle nicht weiter relevant. Vielleicht mochte sie es an ihm auch einfach besonders, weil sie gerne mit ihm lachte. In ihrer Vergangenheit hatten sie eindeutig zu oft zusammen geweint, es gab also noch schier unendlich viel aufzuholen und Faye war absolut zu haben für jeden Spass - ob der nun in sich eher dämlicher Natur war, war dabei vollkommen egal. „Wir müssen noch so zwischen zwei- und viertausend Stunden Weinen und Verzweifeln wettmachen, womöglich solltest du dich also besser nicht zu oft zügeln, um Reife vorzuspielen“, riet sie ihrem Liebsten ein bisschen sarkastisch - wenn auch nicht ohne eine Prise Wahrheit, die ihm bestimmt nicht entging. Er war ja zu grossen Teilen dabei gewesen, beim Weinen und Verzweifeln. Beim Weinen meistens passiv, aber die Verzweiflung hatte er trotzdem geteilt. Dass sie hinter ihm stehend trotzdem Möglichkeiten hätte, ihn ein bisschen in Fahrt zu bringen, liess sie jetzt einfach mal so stehen. Damit hatte er natürlich schon Recht, aber irgendwie stellte sie sich das trotzdem eher semi-befriedigend vor. Sie wollte schon gerne auch was sehen, wenn sie Hand anlegte - was anderes als nur seinen Rücken. Eine Massage, eine Umarmung und ein bisschen anlehnen war auch mal schön während sie hinter ihm stand, alles andere dann aber nicht mehr so ihr Ding. Er hatte ein zu schönes Gesicht und allgemein eine zu ansehnliche Vorderseite, als dass sie sich vor dem Anblick verstecken wollte. Gut, dass er bisher also auch nie solche Wünsche angebracht hatte und sie diesbezüglich getrost weiter in den bekannten Wassern ihrer Komfortzone schwimmen konnten. Also eher so er hinter ihr, wie es einige Minuten später der Fall war. Vorerst noch ganz harmlos, auch wenn das seiner Meinung nach nicht unbedingt so bleiben musste. Mal sehen - sie hatten alle Zeit der Welt und der nächste Termin, der anstand, war wohl, dass sie mit ihrem Arbeitgeber über Urlaubstage sprechen musste, um dann den entsprechenden Trip zu buchen. Und das musste weder heute noch morgen sein, weil sie an beiden Tagen nicht vorhatte, einen Fuss ins Krankenhaus zu setzen. Sie hatte - wie der Zufall es so wollte - gestern Nacht gearbeitet und nun zwei Tage frei, traf sich also bestens mit seiner Rückkehr. Vielleicht auch nicht wirklich ein Zufall, wenn sie so darüber nachdachte. Faye liess die Auslegung seiner Worte mal noch offen, weil sie zuversichtlich war, dass sie das ganz intuitiv lösen würden. Halt eben je nach dem, wie das hier weiterging und wonach ihnen die Sinne standen. Vorerst nach vielen Küssen und genausoviel Körperkontakt. Die Umarmung war schon sehr perfekt, egal ob seine Hände nun an ihrer Hüfte, um ihren Körper oder auf ihren Brüsten lagen. Gegen diese Art von Massage hatte sie ganz sicher auch nichts einzuwenden und die damit gereizte, sensible Haut fand das auch durch und durch ansprechend. Womit sie gleicher Meinung war wie Victor, der dem hier seiner Aussage nach ebenfalls Einiges abgewinnen konnte. "Bestens - ich auch", quittierte sie grinsend seine Vorzüge. Das einzige Problem an dieser Position war, dass ihr Nacken das auf kurz oder lang nicht mitmachen würde. Musste er aber auch nicht, da die Küsse ein vorläufiges Ende nahmen, als Victor sich spontan entschied, seinen Mund anderweitig einzusetzen und sich an ihren Hals zu schmiegen. Faye lachte leise und kämpfte - mit zugegeben nicht sehr viel Einsatz - gegen seine Hände an und zog die Schultern hoch, während sich die Härchen in ihrem Nacken aufstellten. Oder aufstellen würden, wenn das Wasser sie nicht wieder zähmen würde. "Vickyyyyy das kitzelt!", nannte sie mahnend den offensichtlichen Grund seiner kurzen Attacke, als wäre das ein guter Grund für ihn, damit aufzuhören. Eher nicht, aber glücklicherweise war Victor nicht unbedingt dazu veranlagt, seine kräftemässige Überlegenheit zu lange auszukosten. Was ihm - neben allen anderen Faktoren - auch die Legitimation gab, diese Überlegenheit ihr gegenüber überhaupt demonstrieren zu dürfen, ohne dass sie sich innerhalb einer halben Sekunde unwohl fühlte. "Kriegst du trotzdem zurück", kündigte die Brünette bereits Konsequenzen an, denen er nun nicht mehr entkam, ganz egal wie schnell er wieder aufgehört hatte. Nur schade, dass er nicht halb so kitzlig war wie sie, hatten sie ja bereits an ihrem ersten Abend zu zweit in Syrien herausgefunden und hatte sich seit da auch nicht geändert.
"Dann hab ich ja nochmal Glück gehabt.", stellte ich ganz der semi-ernsten Erleichterung verfallend fest. Ich war mir sicher, dass mein innerer Spaßvogel niemals wirklich unangenehme Maße annehmen würde. Mir wohnte eine gesunde Portion Humor inne, die offenbar mal mehr und mal weniger dämlich ausarten konnte, aber das wars dann auch. Faye wusste schon mindestens halb so gut wie ich, dass ich das Leben in den meisten Belangen durchaus ernst nahm. Mir war Planung wichtig und ich wollte nicht mehr einfach nur ins Blaue hineinleben. Genau deswegen war ein wichtiger Punkt auf der To-Do-Liste der kommenden Tage, sich gemeinsam über die eine oder andere Sache Gedanken zu machen und sich bestenfalls dabei einig zu werden. Wir waren beide ein gutes Stück kompromissbereit, ich hoffte also positiv eingestellt darauf, dass wir das schaffen würden. "Ich glaube, das krieg ich hin.", willigte ich nickend ein, in nächster Zeit gewissenhaft für den einen oder anderen Spaß zu sorgen, um all den schlechten Zeiten Einhalt zu gebieten. Ich konnte den durchweg erwachsenen Victor dann für die Arbeit und den restlichen Ernst des Lebens wieder auspacken, in Fayes Nähe würde ich vorerst nicht mehr als nötig die Spaßbremse markieren. Wir konnten die lockere Heiterkeit beide gut brauchen. Genauso wie die körperliche Nähe, denn auch da gab es gefühlt unendlich viel nachzuholen. Faye konnte dabei wohl eigentlich gut auf Kitzelanschläge verzichten, aber das sah ich anders. Nicht um meine längst offensichtliche, körperliche Überlegenheit zu demonstrieren, sondern um vielleicht die eine oder andere Grenze neu auszuloten. Außerdem gehörte es einfach zu einer gesunden Beziehung, sich ab und zu ein bisschen in humanem Ausmaß zu necken. “Wenn du mich so nennst, steigert das nicht unbedingt deine Chancen darauf, zukünftig von sowas verschont zu bleiben.”, gab ich ihr leicht grinsend zu bedenken und tippte gleichzeitig mit beiden Zeigefingern auf ihre Haut, als der kurzzeitige Sturm vorüber war. Konnte allerdings auch sein, dass sie das gar nicht wollte und viel mehr genau darauf abzielte. “Da bin ich schon gespannt.", summte ich förmlich beschwingt, als könnte ich ihre Rache gar nicht erwarten, bevor ich einen sanften Kuss auf ihre Schulter setzte. Wie auch immer diese Revanche ausfallen würde, denn da fiel mir auf Anhieb tatsächlich nichts ein. Doch Faye war kreativ, sie würde sich zu helfen wissen. Ich strich ihr noch eine Weile lang fast schon gedankenverloren über die Seiten, ihre Hüfte, den vorderen Ansatz ihrer Oberschenkel und über ihren Bauch, ließ dabei das Kinn an ihre Schulter gelehnt. Ich dachte auch an gar nichts anderes als die zierliche Brünette direkt vor mir, weil es in diesem Moment nichts gab, das wichtiger war als sie. Meine Mundwinkel waren dauerhaft zu einem unbewussten, schmalen Lächeln angehoben und meine Augen geschlossen, während mir das Wasser auf den Kopf und die Schultern prasselte. Auch ohne Regendusche war ich in diesem Moment so entspannt wie schon lange nicht mehr, weshalb ich mich nur ungerne davon distanzierte. Trotzdem war das nötig, um noch den eigentlichen Zweck des Duschengehens zu erfüllen, also hob ich nach einer kleinen halben Ewigkeit schließlich den Kopf. Gleichzeitig schob ich meine rechte Hand über Fayes Dekolleté und Hals bis zu ihrem Kiefer nach oben, um ihre Lippen sanft zurück zu meinen zu dirigieren. Ich hauchte ihr lächelnd noch ein leises "Ich liebe dich." zu, bevor ich mir einen vorerst letzten und dafür etwas längeren, liebevollen Kuss abholte. Danach löste ich mich widerwillig von ihr, um selbst noch einmal mein Duschgel in die Hände zu nehmen. Als Mann mit pflegeleichtem Haar kam ich meistens gut mit einem der berüchtigten 100in1-Gels aus, also war die eine Tube völlig ausreichend, um mich nochmal von Kopf bis Fuß einzuseifen. Zumindest überall dort, wo Faye noch nicht gründlich am Werk gewesen war.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ja, in dieser Sache konnte sie seinen Optimismus absolut teilen. War jetzt keine unmögliche Aufgabe und sie würde sich bestimmt darum bemühen, ihn bei der Erfüllung voll und ganz zu unterstützen. Momentan hoben sich ihre Mundwinkel ja schon automatisch an, wenn sie nur sein Gesicht sah oder seine Nähe spürte und das würde auch noch eine ganze Weile so bleiben, dessen war sie sich sicher. Also brauchte es gar nicht mehr so viel, um sie vom Lächeln zum Lachen zu bringen und diesen Rest kriegte er meistens sehr gut hin, wenn sie ihm die Chance dazu bot. Notfalls scheinbar auch durch Kitzeln, auch wenn das eine etwas unfaire Methode blieb. "Naja, du würdest umgekehrt die Chance, von mir so genannt zu werden, erheblich senken, wenn du mich nicht kitzeln würden...", erwiderte Faye auf die endlose Debatte seiner ihr gegenüber nie ausgesprochenen Erlaubnis, ihn so zu nennen. "Bleibt also die Frage, wer sich letztendlich an was mehr stört. Scheinbar beide nicht genug, um wirklich aufzuhören, hm?", war ihre logische Schlussfolgerung, die sie lächelnd aussprach, dabei mit dem Ellbogen sanft seine Seite anstupste. Sie war sich nicht ganz sicher, wie schlimm der Spitzname wirklich für ihn war, aber seinen Reaktionen zufolge bewegte sich das Ärgernis in einem ähnlichen Rahmen wie ihres, wenns ums Kitzeln ging. War also beidseitig eher minim, solange die Attacken nicht zum Standard wurden oder sie auf dem falschen Fuss erwischten. Die Gefahr für letzteres war bei ihnen nicht so gross, dazu waren sie beide mit eindeutig zu viel Taktgefühl ausgestattet. Die folgenden Minuten war wieder pures Geniessen angesagt und Faye fand sehr viel Gefallen daran, einfach unter der Dusche zu stehen, das warme Wasser plätschern zu lassen, seine Finger über ihre Haut streicheln zu spüren und sich dabei dicht an ihn zu lehnen. Wahrscheinlich hätte auch die edelste Regendusche der Welt diesen Moment nicht schöner machen können und das sollte schon was heissen. Sie sog auch hier jedes Detail in sich auf, und ihr Herz, das ihn so lange vermisst hatte, wurde wärmer und wärmer, glühte förmlich vor sich hin. Der Kuss besiegelte die Schönheit des Momentes und das Liebesgeständnis war das Sahnehäubchen - die Worte, die ausdrückten, was ihre Herzen längst kommuniziert hatten. "Ich liebe dich auch", hauchte sie zurück, legte noch für einen Augenblick ihre Hand auf seine Wange, um über seine nasse Schläfe zu streicheln. Dann löste sie sich ebenfalls ein Stück von ihm, um ihm das mit dem fertig Einseifen gleich zu tun. Natürlich brauchte sie etwas länger, um ihren Haaren die geforderte Pflege zukommen zu lassen, weil sie zuerst Shampoo und dann Conditioner einmassieren und wieder auswaschen musste und sie sich auch nicht übermässig beeilte. Als dann aber alle Produktreste aus ihren Haaren und von ihrem Körper gespült waren, wurde es langsam Zeit, ihre eingeweichten Körper unter der Dusche hervorzuholen. Faye hatte sich mittlerweile wieder Victor zugewandt, legte davor noch einmal ihre Hände in seinen Nacken, um ihn für einen Kuss zu sich runter zu ziehen. "Ich hab' ja kurz darüber nachgedacht, dir zur Rache eine kalte Dusche dazulassen... Aber zu deinem Glück habe ich mich dagegen entschieden und den Gegenschlag vertagt. Nur damit dus weisst", flüsterte sie ihm anschliessend noch grinsend ins Ohr, zu welchem sie sich vorgebeugt hatte. Ein flüchtiger Kuss auf seine Schläfe, ein unschuldiges Lächeln und sie schob die Duschkabine auf, angelte nach ihrem Tuch, um sich sofort darin einzuwickeln. Nicht, dass ihr noch kalt wurde, jetzt wo der warme Wasserdampf hinter ihnen lag.
So betrachtet eine semi-ungemütliche Patt-Situation. Offenbar waren wir in dieser Hinsicht nun beide ein bisschen stur und das war völlig in Ordnung, weil sich scheinbar Niemand wirklich um die Auswirkungen scherte, wie Faye erkannte. "Ich glaube, dafür müssen wir erstmal in die aktuell noch weit entfernte Phase kommen, in der uns überhaupt irgendwas aneinander richtig stört.", stellte ich abschließend mit einem schiefen Lächeln fest. Wir hatten noch nie viel aneinander zu meckern gehabt. Natürlich hatten wir jeder für sich kleine Eigenheiten, die im Alltag möglicherweise den jeweils anderen minimal nervten. Das war aber schon immer so nebensächlich für uns beide als sehr kompromissbereite Menschen gewesen, dass es kaum der Erwähnung wert war. Wir liebten uns zu sehr, als dass solche Kleinigkeiten unseren Umgang miteinander wirklich beeinflussen könnten. Trotzdem standen wir heute und in den nächsten Tagen noch deutlich höher über solchen Dingen, als gewöhnlich - unsere wohlverdiente zweite Phase des frisch verliebt seins hatte gerade erst angefangen. Auf jeden Fall nervte es mich deutlich mehr, wenn Hazel den ungeliebten Spitznamen in den Mund nahm. Sie hatte ja überhaupt erst damit angefangen und war der Ursprung dieses Übels. Die Dusche fand ihr Ende, nicht aber ohne ein weiteres schmales Grinsen meinerseits. Ganz automatisch streckte auch ich meine Hand noch einmal nach Faye aus, als sie mir näher kam, um sich noch einen zärtlichen Kuss abzuholen und mir eine Kleinigkeit ins Ohr zu flüstern. Meine Hand lag locker an ihrer Hüfte, als meine Mundwinkel nach oben zuckten. Ich war mehr als froh, nicht mit kaltem Wasser abschließen zu müssen - es passte nur mal wieder bestens in Fayes Muster. "In Momenten wie diesem bin ich mehr als froh über deine endlos barmherzige Ader.", summte ich zufrieden, als ich ebenfalls den Schritt aus der Dusche wagte und mir dann eines der frischen Handtücher aus dem Regal angelte. Dabei stets bemüht nicht mehr Wasser als nötig außerhalb des Vorlegers zu verlieren, der sowieso maximal für 1,5 Personen gedacht war. Still und heimlich darauf hoffend, dass Faye die noch ausstehende Rache einfach ganz vergessen würde, trocknete ich mich ab und ging danach mit dem Handtuch um die Hüfte wieder zum Waschbecken. Zumindest mein Gesicht brauchte etwas Creme aus dem Kulturbeutel und auch das Zähneputzen wollte noch erledigt werden. Ich erledigte die Abendroutine in aller Ruhe und genoss dabei die simple Tatsache, mal nicht alles nur stumpf abzuhaken und mich danach allein ins Bett zu werfen. Noch nie hatte ich mich besonders wohl damit gefühlt lange alleine zu sein - nüchtern betrachtet war das sicher auch einer der Gründe, warum ich nicht wirklich gegen meine Gefühle für Faye gekämpft hatte - und es war einfach schön, die Brünette in der Zwischenzeit immer mal wieder anzusehen und ihre Präsenz wahrzunehmen. Faye brauchte ein klein wenig länger im Badezimmer als ich, weshalb ich nach einem flüchtigen Kuss auf eine ihrer Schultern das Handtuch zum Trocknen aufhängte und schon mal zurück ins Schlafzimmer ging. Dort kramte ich erneut in meinen Sachen, diesmal nur um Boxershorts herauszuziehen. Danach fiel mein Blick auf die in Mitleidenschaft gezogenen Anzüge, die ich daraufhin vom Boden aufhob. Als ich den Teil des Schrankes mit Kleiderstange aufzog, stellte ich mit einem Lächeln fest, dass Faye tatsächlich zumindest versucht hatte, ihre Klamotten wie weniger als eigentlich vorhanden wirken zu lassen. Vorerst hängte ich aber nur die Anzüge hinein und schloss die Tür wieder, nur um mich danach auf meine alteingesessene Betthälfte zu rollen. Ich zog mir die Decke schonmal bis zur Hüfte, wobei ein Bein seitlich raushing. Noch gut aufgewärmt vom Duschen und in freudiger Erwartung einer menschlichen Heizung nutzte ich die kurze Zeit, um halb aufrecht am Kopfende sitzend bis liegend die Augen zuzumachen und einmal tief durchzuatmen. Ausnahmsweise nicht aus Anstrengung nach einer 12-Stunden-Schicht, sondern aus purem Wohlbefinden. Als ich dann die leisen Schritte im Flur durch die offene Schlafzimmertür hörte, war das Lächeln sofort zurück.
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Ja, das war definitiv so und dauerte definitiv noch eine ganze Weile. Nach neun Monaten des schmerzlichen Vermissen war schwer zu erwarten, dass sie doch noch ein paar Wochen bis eher Monate in dieser Phase des frisch Verliebtseins dümpeln würden, bevor sie wieder in sowas wie einen Alltagstrott fielen, der dann theoretisch auch mit Dingen verbunden sein könnte, die sie eben aneinander störten. Aber das war eher nichts, was ihr ernsthaft Sorgen bereitete, war das doch auch in der Vergangenheit nie wirklich ein Problem gewesen. Sie konnten beide recht gut über Differenzen reden und einen Mittelweg finden, war ja heute Abend schon kurz erkennbar gewesen, als es um Ryatt und seinen Platz in ihrem Leben gegangen war. Am Ende waren ihre Prioritäten beidseitig so gesetzt, dass sie in erster Linie wollten, dass es beiden wohl war und gut ging. Wie dieser Zustand erreicht werden konnte, konnten sie in der Situation jedes Mal neu aushandeln. Heute gab es diesbezüglich nichts mehr auszumachen, weil es ihnen offensichtlich bestens ging. Die Dusche war sehr schön gewesen und hatte dank ihrer endlos barmherzigen Ader auch für beide ein schönes Ende genommen, was sie mit einem gutmütigen Nicken akzeptierte, bevor sie mit einem breiten Lächeln mit dem Abtrocknen begann. Dem folgte ein Minimum an nach dem Waschen obligatorischer Haarpflege, das Eincremen ihres Gesichtes, Zähneputzen und ganz zuletzt noch ein Klobesuch, weil sie nicht vorhatte, in zwei Stunden wieder aufzustehen, weil zu viel Wein und Wasser ihr auf die Blase drückten. Faye warf einen letzten Blick in den Spiegel, strich sich die noch feuchten Haare aus dem Gesicht, bevor sie das Licht im Bad löschte, um sich ebenfalls beschwingt in Richtung Schlafzimmer zu verziehen. Trotz aller guten Laune und allen Glücksgefühlen des Abends, schob sie vor dem finalen zu Bett gehen aber noch einen Gang zur Wohnungstür ein. Diese Kontrolle gehörte zu ihrer Abendroutine, musste einfach sein. Tatsächlich war der Schlüssel in der ganzen Aufregung des Wiedersehens nämlich wirklich nicht wieder ins Schloss gedreht worden, was sie so für unbeschwerten Schlaf noch kurz nachholen konnte. Sobald das dann erledigt war, stand nichts mehr zwischen ihr und ihrer ersten Nacht wiedervereint mit Victor in ihrem Bett. Sie verlor keine Zeit mehr, schloss noch immer lächelnd - eher direkt wieder grinsend - ins Schlafzimmer auf. Dort schaffte sie es gerade noch, frische Unterwäsche aus dem Schrank zu holen, reinzuschlüpfen, sich das Shirt, welches am Fussende des Bettes wartete, überzustreifen, um damit dann mit viel Schwung neben ihm ins Bett zu springen. "Unnnnd da bin ich wiederrrrr", eröffnete sie die frohen Neuigkeiten, blickte fröhlich zu ihm hoch. Einer plötzlichen Eingebung folgend, richtete die Brünette sich nochmal auf - nur um sich direkt im Anschluss statt neben ihm nun quer über ihn zu legen. Sie stiess mit einem tiefen, zufriedene Seufzen die Luft aus ihren Lungen und schloss die Augen, als wäre das nun tatsächlich in irgendeiner Form bequemer als die Matratze neben ihm. "Ganz ehrlich... das habe ich mit am meisten vermisst...", murmelte sie erleichtert vor sich hin, bezog sich dabei natürlich eher auf seine Gesellschaft beim Schlafen als auf ihn als Unterlage. Zumindest nicht in dieser Position, in der sie gerade noch ausharrte.
Bevor Faye wieder im Türrahmen auftauchte, hörte ich draußen im Flur noch das Schloss der Haustür klicken. Dass die zierliche Brünetten diese Routine in der Zwischenzeit nicht abgelegt hatte, war nicht verwunderlich. Ich konnte dem ohnehin auch nur Positives abgewinnen, schließlich war sie im Gegensatz zu mir hier im akuten Gefahrenradius zurückgeblieben. Eine meiner größten Ängste - speziell zu Beginn meiner Abwesenheit - war gewesen, dass Riley und Co. es sich noch einmal anders überlegten und Faye ein weiteres Mal bedrohten. Weit weg von diesem Übel und ohnehin ständig unterwegs, hatte ich mich selbst was das anging mehr oder weniger in Sicherheit wiegen können. Dass ich meine Dienstwaffe aus praktischen Gründen öfter Mal mit ins temporäre Zuhause genommen hatte, begünstigte die Umstände weiter. Ich hoffte selbstverständlich, sie niemals benutzen zu müssen und hatte sie vor meiner Abreise natürlich wieder abgegeben. Dennoch spielte ich fortwährend mit dem Gedanken, auch privat die Investition in eine Schusswaffe zu tätigen - allein schon nur aus Sicherheitsgründen. Ich wollte nie wieder unbewaffnet im Bett liegend überrumpelt werden, ganz gleich wie gering die Chance darauf sein mochte, sobald wir umgezogen waren. Wie vieles andere hatte sich dieser Moment in meinen Kopf eingebrannt. Trotzdem wollte ich auch was das anging zuerst mit Faye sprechen, weil ich nicht der Einzige sein würde, der dann mit einer Waffe im Haus schlafen ging. Vielleicht fühlte sie sich unwohl damit. Auch das war aber kein Thema für den heutigen Abend mehr. Meine Augen folgten der schlanken Schönheit durchs Zimmer, während sie sich noch anzog. Das Lächeln auf meinen Lippen wurde zum Grinsen, als sie sich anschließend ohne Zurückhaltung aufs Bett schmiss und damit auch die Matratze unter mir kurzzeitig in Bewegung brachte. "...und das keine einzige Sekunde zu früh.", meinte ich und war kurz davor ihr meinen Arm zu öffnen, da überlegte Faye es sich anders. Offenbar war Bauchlage ihre neuestens bevorzugte Liegeposition und nach dem flüchtigen Moment der Verwunderung musste ich leise in mich hineinlachen. Während sie weitersprach streckte ich einen Arm schon nach ihr aus, um die Finger unter das lockere Shirt an ihren unteren Rücken zu schieben. "Ist ja auch echt fies... das Bett ist viel zu groß für dich allein.", stimmte ich ihr murmelnd zu. Mit anhaltendem Lächeln streichelte ich über ihre Haut, die Augen stets auf ihr Gesicht gerichtet. Unabhängig davon, dass Doppelbetten nicht für Einzelpersonen konzipiert waren, war Faye - genauso wie ich - einfach nicht mehr dafür gemacht, völlig allein in einem Bett zu liegen. Dabei würde immer etwas fehlen, solange wir beide aneinander festhielten und unser Herz beim jeweils anderen wohnte. Trotzdem würde gestern leider nicht das letzte Mal gewesen sein, dass Faye ohne mich einschlafen musste. Mindestens solange ich noch unter Vertrag war, würde es aus mehrere Gründen weiterhin Tage geben, an denen sie auf meine Anwesenheit im Bett verzichten musste. Aber ein paar Tage würde sie deutlich besser aushalten können als 9 Monate, oder? "Deswegen werde ich mich unaufgefordert deinen Schichten anpassen, solange ich kann.", murmelte ich weiter, machte dabei die Augen zu und genoss das Gefühl ihrer Haut unter meinen Fingerspitzen. Erst dabei kam mir der Gedanke, dass es theoretisch sein konnte, dass sie morgen im Gegensatz zu mir nicht frei hatte. "Du musst aber morgen nicht los, oder?", fragte ich und öffnete in Erwartung meines annährend zweitschlimmsten Alptraums wieder die Augen - morgen viel zu früh durch einen Wecker aus den Federn geschmissen zu werden, oder den brünetten Engel im Laufe des Tages irgendwann ziehen lassen zu müssen.
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Würde es jemals zu früh sein, wenn es um Wiedervereinigungen - in welchem Rahmen auch immer - zwischen ihnen ging? Den gegenseitigen Gefühlen der Sehnsucht und Liebe nach bestimmt nicht. Es wäre zu früh gewesen, wenn Victor vor einem halben Jahr bereits heimgekehrt wäre, ja. Aber im entsprechenden Moment hätte es sich trotzdem nicht wie zu früh angefühlt, weil sie sich dazu einfach viel zu sehr vermisst hatten. Sie hatte eigentlich keine Ahnung, was gewesen wäre, wenn er zurückgekommen wäre, bevor sie beide psychisch wieder auf dem Damm gewesen wären. Es wäre nicht gut gewesen - aber in welcher Form nicht gut und was sie dann damit gemacht hätten, war schwer zu sagen. Vielleicht wären sie daran zerbrochen, vielleicht hätten sie sich das letzte Stück des Weges aber auch einfach geteilt und hätten es trotzdem geschafft. Faye musste jetzt nicht wirklich zurück, um das noch zu überprüfen, aber sie hatte oft genug darüber nachgedacht. Vor allem vor etwas mehr als drei Monaten, als sie einen unschönen Sprung rückwärts genommen hatte. Es war schon gut so, dass er ganze neun Monate mit seiner Rückkehr gewartet hatte. Dass sie jetzt hier so unbeschwert quer auf ihm liegen konnte und trotz der nicht ganz so bequemen Position jede Berührung seiner Finger genoss. Seine Worte trugen eben auch viel Wahrheit in sich - das Bett hatte sich in jeder Nacht zu gross angefühlt. "Quer drin liegen hat sich alleine irgendwie auch etwas schräg angefühlt, muss ich sagen", bestätigte Faye mit einem ironischen Murmeln seine Worte, wobei sie ihm ebenfalls in die Augen schaute und leicht grinste. Jetzt gerade schien sie sich nämlich mit quer im Bett liegen pudelwohl zu fühlen. Solange er unter ihr lag, war das eben was ganz anderes. Bezüglich seiner Flexibilität was ihren Schlafrhythmus betraf, war sie ihm natürlich sehr dankbar - sonst würden sie unter Umständen nämlich an manchen Tagen nicht sehr viel voneinander haben. "Wunderbar, auch dafür bin ich dir wie immer mit unendlichem Dank verbunden“, erklärte sie gewohnt dramatisch. In ihrem nächsten Leben sollte sie vielleicht lieber mal Schauspielerin werden - offensichtlich fühlte ihr Herz das längst bis in seine Tiefen. Um ihren Worten noch etwas zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, kroch sie ein bisschen zurück, bis sie mit ihren Lippen bei seiner Brust angelangte und dort ein paar zärtliche Küsse auf die nackte Haut verteilen konnte. Gleich darauf vernahm sie seine unheilvolle Frage bezüglich ihres Arbeitsplans. Sie konnte ihn in dieser Sache jedoch relativ schnell wieder beruhigen. Wenigsten dieser eine Tag blieb ihnen schon noch vergönnt und so schüttelte sie den Kopf. „Du hast dir schon den richtigen Zeitpunkt zur Heimkehr ausgesucht. Hatte letzte Nacht Schicht, also war heute nur Ruhetag und ich hab die nächsten zwei Tage noch frei. Dachte schon fast, das du das extra so geplant hast“, grinste sie zu ihm hoch, während sie sich nun wieder mehr oder weniger ganz von ihm runter und stattdessen in die Matratze direkt an seiner Seite bettete. Ihr Kopf blieb natürlich noch an seiner Brust liegen, aber der Rest ihres Körpers - und Victor - lagen so wohl wesentlich bequemer.
Es hätte wohl auch ein bisschen schräg ausgesehen, hätte Faye sich in meiner Abwesenheit so hingelegt, wie sie es jetzt in diesem Augenblick tat. Mal ganz davon abgesehen, dass es auch deutlich weniger Sinn gemacht hätte. Darum ging es hier nur grade nicht wirklich. "Kann ich mir vorstellen, ja.", erwiderte ich ebenso ironisch, dank auf der Hand liegender Gründe. "Wobei ich mir aber auch nur schwer vorstellen kann, dass das hier", ich klopfte sanft mit den Fingern auf ihren unteren Rücken, "besonders bequem ist. Sieht zumindest nicht so aus.", stellte ich mit hochgezogener Augenbraue fest, die Mundwinkel stets weiterhin angehoben. Zumindest auf Dauer dürfte das ziemlich unangenehm werden und irgendwann würde ihr sehr punktuell liegendes Gewicht wahrscheinlich auch mich stören. Das Abendessen lag glücklicherweise schon ein paar Minuten zurück, weshalb mein Magen sich nicht beschwerte. Noch nicht jedenfalls. Die Brünette beschloss jedoch ohnehin bald, sich wieder größtenteils von meinem Oberkörper zu schieben. Zumindest weit genug, um ihre kurze Schauspieleinlage mit ein paar Küssen zu untermauern, die hier und da auf der Haut kitzelten, was mich ein weiteres Mal zu einem schmalen Grinsen brachte. Meine Hand war bei ihrer Bewegung unter dem Shirt hervor gerutscht, also nutzte ich sie nun stattdessen dazu, ein paar leicht feuchte Haarsträhnen nach hinten über ihre Schulter zu legen. "Ich tu was ich kann.", zeigte ich mich übertrieben gütig mit einem hoffnungslos ergebenen Schulterzucken, musterte dabei nahezu verträumt ihr glänzendes Haar. Als würde ich daran zweifeln, dass das eine ausreichende Leistung war, um weiterhin in Fayes Gunst zu stehen. Dabei hatte ich eindeutig auch selbst einen Nutzen davon und schaffte es ohnehin nicht, dabei eine ansatzweise ernste Miene zu zeigen. Die Mundwinkel spielten nicht mit, mir fehlte der Wille zum Unterdrücken meines Lächelns. Erst recht als Faye meine Frage verneinte, sich schließlich ordnungsgemäß an mich schmiegte und ich meinen Arm wieder um sie legen konnte. Es war eher Zufall, dass sie tatsächlich frei hatte, auch wenn das natürlich meine Hoffnung gewesen war. Mitch hatte zwar nachgehakt, an welchen Tagen sie theoretisch Zeit für ein Treffen mit ihm hätte, aber er hatte nicht übermäßig nachgebohrt - also nicht gefragt, ob sie an den von ihr genannten Tagen jeweils ganz frei oder nur ein paar freie Stunden hatte. Was am Ende vielleicht besser so war, aus Tarnungsgründen. "Nein, nicht wirklich… ich konnte schon von Glück reden, dass sich mit dem Auslaufen des Mietvertrags in Vegas und dem Ende meines letzten Jobs zwei entscheidende Bausteine zeitlich glücklich gefügt haben… und dann hatte ich noch ein bisschen mehr Glück damit, dass du gleich Zeit hattest, damit ich nicht mehr Zeit bei meinen Eltern überbrücken musste. Mitch hat den Tag heute nicht ganz random vorgeschlagen.", murmelte ich schief lächelnd. Ich hatte meinem Komplizen den heutigen Tag als stark bevorzugt genannt, auch wenn ich theoretisch leicht noch mehrere Tage bei meinen Eltern hätte ausharren können. Letzteres wäre kein Weltuntergang gewesen, aber die Lage hinsichtlich meiner sturen Mutter würde wohl so lange semi-angespannt bleiben, bis die Unstimmigkeit hinsichtlich Faye ganz vom Tisch war. "Ich wollte nicht noch länger wegbleiben, auch wenn man meinen könnte, dass es auf zwei Tage mehr oder weniger jetzt nicht mehr angekommen wäre… es ist halt doch irgendwie so, wenn ich weiß, dass du nur noch drei mickrige Fahrstunden entfernt auf mich wartest.", seufzte ich, als wäre meine Ungeduld diesbezüglich für irgendjemanden hier schwer tragbar. Gleichzeitig angelte ich mit meiner freien Hand nach ihren schmalen Fingern. Einen Moment lang sah ich stumm auf unsere Hände runter und streichelte über ihre Haut, bevor ich ein paar mehr Worte anhängte: "Und ich will dich natürlich auch nicht früher wieder hergeben, als ich muss." Mit diesen Worten huschten meine glücklich schimmernden Augen zurück zu ihren. Immerhin hatten wir gerade erst zurück in die Arme des jeweils Anderen gefunden. Das wollte ich auskosten, so lange es ging, bevor ich sie das erste Mal wieder zur Arbeit entlassen und damit auch selbst zurück in die etwas weniger rosafarbene Realität kriechen musste. Dabei war es eigentlich sogar gut, wenn sie zur Arbeit ging - schließlich mussten noch freie Tage für den Urlaub ausgemacht werden, auf den wir uns beide freuten. Zumindest für heute und morgen wollte ich aber gerne ein winziges bisschen in alte, klettenartige Muster fallen. Wir würden noch früh genug wieder für länger als 8 Arbeitsstunden voneinander getrennt sein.
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Dass er mit seiner Vermutung betreffend ihrer vorangehenden Liegeposition Recht hatte, machte ihr folgendes Zurechtrücken wahrscheinlich deutlich. War aber auch offensichtlich gewesen, dass das wohl eher temporär bleiben würde und sie nicht vorhatte, tatsächlich direkt auf ihm zu schlafen. Sie hatte ihn ja wirklich sehr vermisst, aber sehr viel Körperkontakt und Zärtlichkeiten konnten auch anders ausgetauscht werden – auf weitaus verlockendere Art und Weise, wie beispielsweise der folgenden Umarmung und normalen Kuscheleinheiten, für die sie beide sich bekanntlich auch nie zu schade waren. Angefangen bei der zärtlichen Berührung seiner Finger an ihrer Stirn und ihren Haaren. Es brauchte auch wirklich nicht viel, um ihr Lächeln heute aufrecht zu erhalten, das hatte sich sowieso fest in ihre Mundwinkel gegraben, seit sie die Nachricht über seine voranstehende Rückkehr gelesen hatte. Scheinbar hatten sich gerade einige Dinge sehr gut gefügt, die dann kumuliert das Datum ergeben hatten, an dem er wieder vor ihrer Wohnungstür gestanden hatte. Beziehungsweise sich unbemerkt in der Wohnung ausgebreitet hatte, die nun endlich wieder ganz ihnen beiden gehörte. Der Gedanke an Mitchs gespielt überraschtes Gesicht, als sie ihm von Victors Heimkehr erzählt hatte, liess sie auch jetzt wieder breiter grinsen. «Mitch hat seine Rolle auf jeden Fall gut gespielt… Wahrscheinlich auch abgesehen davon, dass ich sowieso komplett geblendet war, weil ich an sehr wenig anderes gedacht habe, als daran, dich bald wieder in den Armen zu halten», gab sie ein weiteres Mal eine offizielle Rückmeldung bezüglich Victors Komplizen, der sich ihrer Meinung nach definitiv eine Promotion verdient hatte. Eine, die vielleicht sogar über das aus ihren Wettschulden hervorgehende Abendessen hinausging. Faye schmiegte sich gleich noch etwas enger an seinen Körper, als Victor davon redete, dass er nach seinem Beschluss dann eben bald schon ungeduldig geworden war und so rasch wie möglich hier hatte ankommen wollen. Sie wollte nicht weiter darauf eingehen, dass er die Zeit noch kurz bei seiner Familie überbrückt hatte, weil die Familie – wie schon besprochen – ein Thema für wann anders war. Aber der Gedanke an einen hibbeligen Vicky war trotzdem süss. «Bestens, dann wirst du mich für die nächsten zwei Tage nämlich auch sehr definitiv genau gar nie los», grinste sie durch und durch einverstanden zu ihm hoch, streckte sich dabei nochmal, um auch seinen Lippen einen weiteren zärtlichen Kuss entgegenzuhauchen. «Und hast du schon einen Wunsch, was wir morgen oder übermorgen machen wollen? Also abgesehen von sehr viel von dem, was wir die letzten Stunden über schon gemacht haben», erkundigte sie sich nach möglicherweise bereits vorhandenen Plänen. Sie würden auf jeden Fall noch sehr viel reden und besprechen müssen und wollen, aber das musste ja nicht zwingend zuhause passieren. Wahrscheinlich wäre es sogar besser, wenn sie sich dafür nicht ausschliesslich auf ihrem Sofa den Arsch einsassen. Das Wetter war zurzeit noch freundlich genug, als dass sie sich nach draussen wagen konnten und sicher würde das einem Gespräch auch nicht schaden. Waren immerhin nicht nur leichte Themen, mit denen sie sich beschäftigen sollten. Von ihr aus lagen ein Picknick, eine kleine Wanderung / Spaziergang oder ein Ausflug nach irgendwo also bestens im Rahmen, wenn er dafür genauso zu begeistern war.
Fayes Bemerkung zu unserem tätowierten Freund ließ mich grinsen. Tja, was einen glaubwürdigen Tonfall bei Aussprache von falschen Tatsachen oder mindestens Halbwahrheiten anging, war Mitch sicher sehr viel gesegneter als ich. Was im Grunde nicht schwer war, weil ich einfach kein guter Lügner war und mich im Normalfall gerne an die Wahrheit hielt. Falsche Masken saßen bei mir immer irgendwie schief, während unser Freund das ziemlich perfektioniert hatte. Man hatte ihm schon früher nichts, was in ihm vorging, so richtig angesehen... außer natürlich die Wut, die er so gerne nach außen getragen hatte. Daraus hatte er kein Geheimnis gemacht. "Ich hätte wohl auch Aryana gefragt, wenn er nicht da gewesen wäre... aber er war aus gutem Grund meine erste Wahl.", murmelte ich. Ich brauchte nicht lauter zu sprechen, wenn Faye direkt an meiner Brust ausharrte. Die Schwestern kannten sich schon ihr ganzes Leben, Aryanas Pokerface gegenüber ihrer jüngeren Schwester hätte nur schwer genauso gut werden können wie Mitchs. Ich lächelte in den sanften Kuss hinein, nachdem die zierliche Brünette noch einmal betonte hatte, vorerst nicht mehr Abstand als nötig zu mir zu suchen. "Musik in meinen Ohren.", summte ich, vollauf zufrieden mit diesem Umstand. Was bereits existente Wünsche für den morgigen Tag anging, schüttelte ich langsam den Kopf. "Jaein...", setzte ich an, sah dabei kurzzeitig über sie hinweg an die gegenüberliegende Seite des Zimmers. "Wir sollten uns natürlich über ein paar Sachen unterhalten, die aufzuschieben nicht gut wäre... allem voran wohl darüber, wie es in naher Zukunft weitergehen soll. Wegen meinem Job, der Wohnsituation und so weiter... und natürlich möchte ich gerne wissen, ob du inzwischen vielleicht irgendwelche Wünsche hast, von denen ich noch gar nichts weiß.", hängte ich am Ende noch ein paar Worte an und sah dabei wieder in Fayes Gesicht, damit das Ganze weniger egoistisch orientiert klang, weil es das nicht war. Bei Alledem ging es schließlich nicht nur um mich und es war gut möglich, dass auch sie inzwischen ein paar präzisere Wünsche für die Zukunft hatte, über die wir noch nie vorher gesprochen hatten. Es war für unseren gemeinsamen Weg wichtig, dass die zierliche Brünette sich ebenfalls darüber im Klaren war und auch einbrachte, was sie überhaupt für sich oder uns beide wollte. "Aber wo und wie wir das machen ist mir eigentlich ziemlich egal. Ich hab dir ja heute schon den Empfang weggenommen, du darfst also gerne morgen den Ton angeben oder Wünsche zum Ablauf äußern.", lächelte ich und hob daraufhin unsere Hände an, um einen Kuss auf ihren Handrücken zu setzen. Ich war es wieder gewohnt ständig auf den Beinen zu sein und Bewegung tat gut, bei teils schwierigen Themen sicherlich erst recht. Andererseits hatte ich in den letzten Monaten aber auch wahnsinnig wenig Zeit zum Nichtstun gehabt, also hätte ich genauso wenig etwas dagegen, wenn es Faye lieber wäre, nicht allzu viel Zeit außer Haus zu verbringen. Da war ich aktuell sehr genügsam, weil mir die Arbeit noch nicht fehlte. Apropos veränderter Lebensstil: "Ich geh übrigens jetzt morgens immer Laufen, direkt nach dem Aufstehen. Also außer morgen, weil... nö.", informierte ich sie gleich mal über eine weitere Kleinigkeit, die sich in meinem Tagesablauf geändert hatte. Die morgige Ausnahme bestätigte da halt einfach gleich mal die neue Regel.
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Ja, war bestimmt besser, dass er nicht ihre Schwester gefragt hatte für diese Mission. Es war zwar fraglich, ob Faye gemerkt hätte, dass etwas nicht stimmte oder Aryana ein bisschen schwindelte - so sehr wie sie auf ihrer Wolke geschwebt hatte - aber Mitch hatte den Job bestens getan. "Hast du auf jeden Fall gut gemacht. Und Aryana ist eh nicht zuhause... Die hatten bisschen Stress auf der Arbeit und durften nicht mehr zusammen ausrücken...", streute sie eine - möglicherweise massiv untertriebene - Randinformation ein, die sicher auch noch ein bisschen Ausführung nötig hätte - so morgen oder übermorgen, wie alles eben. Vielleicht hatte Mitch auch schon etwas in die Richtung erwähnt, aber soweit sie wusste, hatten auch ihre Schwester und Mitch nicht sonderlich viel Kontakt zu Victor während dessen Selbstheilungsphase. Ihr kleines Willkommensfest müsste damit wohl auch noch ein paar Tage warten, bis sie alle vier wiedervereint wären, aber das war nicht so schlimm. Hatten sie eben etwas mehr Vorbereitungszeit und ausserdem eilte das auch nicht - ganz so schnell würde ihr Freund nicht wieder verschwinden und soweit sie wusste, war das auch die letzte getrennte Mission von Mitch und Aryana. Früher als ihre kleine Reunion würde jedoch der morgige Tag kommen, dessen Programm bisher scheinbar von beiden noch kaum angedacht war. Faye nickte leicht auf die Erwähnung der ganzen nicht unwichtigen Dingen, die sie besprechen sollten, dachte dann aber noch einen Moment weiter nach. "Dann bin ich für erstmal ausschlafen... dann irgendwann Kaffee und dann holen wir uns ein kleines Picknick, suchen uns ein schönes Plätzchen und... Reden. Und wenns kalt oder ungemütlich wird, kommen wir zurück oder schauen spontan", fasste sie grob ihre Idee eines relativ offenen, gemütlichen Ablaufs zusammen, blickte fragend zu ihm hoch, um seine Meinung dazu einzufangen. Sie brauchte definitiv kein wildes Programm in den nächsten Tagen oder gar Wochen, seine Rückkehr allein war schon sehr aufregend und es galt jetzt erstmal zu geniessen, was sie wieder hatten. Alles weitere würde sich von selbst und durch Gespräche sowieso nach und nach ergeben. So auch beispielsweise ihre unterschiedlichen Tagesroutinen, die sie nun wieder ein bisschen aufeinander abstimmen konnten. Mit seiner morgendlichen Laufrunde konnte sie sich bestimmt anfreunden. Nicht so, dass sie ihn gerne dabei begleiten würde, aber es traf sich nicht schlecht mit ihrer eigenen Idee eines geeigneten Einstiegs in den Tag. "Das passt ganz gut... Ich werde dir kaum im Weg stehen", lächelte sie ihm zu, als wäre das eine ernsthafte Befürchtung gewesen. "Ich bleibe glaub' ich bei meinem Tagebuch und der Meditation, aber wenn du nicht gleich eine ganze Stunde wegbleibst, treffen wir uns im Anschluss vielleicht doch mal auf einen Kaffee in der Küche", meinte sie optimistisch, als liesse sich das nicht sowieso einrichten. Ihren Worten folgte ein leises Gähnen, das unmissverständlich klarmachte, dass die Zeit zu schlafen langsam gekommen war. Faye streckte sich davor natürlich nochmal nach seinen Lippen aus, um dort einen obligatorischen Gute-Nacht-Kuss zu setzen, ehe sie sich endgültig an seine Brust kuschelte und auch die Decke ein bisschen weiter hoch zog, ihre beiden Körper darunter begrub. "Gute Nacht Vicky... Danke, dass du zurückgekommen bist. Ich hab' dich wirklich vermisst", nuschelte sie an seine Haut, gerade laut genug, dass er die Worte noch verstand. Auch wenn sie nur sagten, was er sowieso schon lange wusste.
Ich überspring’ das ganze Umeinander-Herum-Tänzel-Geplänkel zwischendurch jetzt mal größtenteils, sonst kommen wir gar nie vorwärts. XD ____
Mitch hatte bei unserem Telefonat schon erwähnt, dass die ältere Cooper nicht Zuhause war. Hatte gesagt, dass er ihr meine Grüße ebenfalls nur übers Telefon ausrichten konnte, weil sie im Gegensatz zu ihm arbeitete. Ich war wohl zu sehr auf mich und meine Rückkehr fixiert gewesen, um mehr in diese Aussage hinein zu interpretieren, als nur seinen unterschwellig unerfreuten Tonfall. "Oh...", war im Einklang mit dieser Erkenntnis meine knappe Reaktion. Ich hätte nachfragen sollen, oder? Vielleicht auch nicht und es war Mitch so lieber gewesen, er war von sich aus auch nicht weiter darauf eingegangen. War jetzt leider Schnee von gestern und ich sollte - bis ich mehr darüber wusste - einfach froh darüber sein, dass nicht mehr als eine vorübergehende Trennung aus besagten Problemen resultiert war. Aber das war kein gutes Thema zum Schlafengehen und ich folgte lieber Fayes ausgesprochener Überlegung zum morgigen Tagesablauf. Wenn ich mich recht entsann, sollte das Wetter morgen ganz gut werden und da bot sich ein Picknick natürlich an. "Klingt nach einem guten Plan.", stimmte ich lächelnd mit einem schwachen Nicken zu. Was das Laufen und die dafür draufgehende Zeit anging, konnte ich Entwarnung geben. “Ich halt’s für gewöhnlich deutlich kürzer.” Selbst wenn man die anschließende Dusche mit einrechnete, war ich gewöhnlich keine Stunde lang damit beschäftigt. Mir reichten schon etwa zwanzig Minuten aktiven Laufens, plus ein bisschen Aufwärmen und Kaltwerden, bevor ich unter die Dusche huschte. Da brauchte ich für gewöhnlich ebenfalls nur ein paar Minuten, wenn Faye mir nicht zufällig dabei Gesellschaft leisten wollte. Heute wurde jedenfalls nicht mehr gejoggt. Das besiegelte der nun endlich wieder zur Routine werdende, sanfte Kuss vor dem Schlafengehen. “Und ich dich erst…”, murmelte ich leise zurück und drückte die zierliche Brünette für ein paar Sekunden lang enger an meinen Oberkörper. Ich machte die Augen nicht sofort zu, sondern musterte Faye stumm lächelnd noch eine kleine Weile. Es war nach so langem Alleinsein noch immer fast ein bisschen surreal, dass sie jetzt wieder hier bei mir lag. Der noch sehr frische Duft ihres Shampoos und ihre wohlige Wärme machten das Einschlafen kurz darauf spielend leicht. Als ich einige Stunden später schließlich aufwachte, geschah das nur deswegen, weil Faye sich zu regen begann. Es folgte ein ausgedehntes Gähnen und leichtes Strecken meinerseits, wobei ich mich kaum aus der vorherigen Position löste. Allgemein machte ich nach dem anschließend gemurmelten “Guten Morgen, Prinzessin.” keine Anstalten, zügig aus dem Bett zu kommen. Vielmehr holte ich mir gleich die nächste aktive Kuscheleinheit und zwei, drei Küsse ab. So lange, bis wir beide so wach waren, dass wir uns einmal spielerisch übers Bett rollten und ich daraufhin aufstand. Als wir uns nach der Morgenroutine im Badezimmer und dem Anziehen wieder in der Küche über den Weg liefen, gab es erstmal mehr oder weniger schwarzes Gold in Tassen. Währenddessen hakte ich nach, ob es in Ordnung ging, wenn ich mein Zeug noch auspackte, bevor wir losgingen. Es war mir so lieber, weil ich nicht wusste, ob meine Laune angeknackst sein würde, wenn wir später zurückkamen. Auf Wolke7 ließ es sich unbeschwerter ausräumen, als wenn man wieder auf dem Boden ankam. Trotzdem saßen wir erstmal einige Minuten ganz in Ruhe am Tisch, bevor wir irgendwann zum noch überfälligen Aufräumen der Küche übergingen. Daraufhin trennten sich unsere Wege kurz, weil ich mein Zeug aus der Tasche räumte und Faye sich in der Zwischenzeit anders beschäftigte. Als ich dann endlich fertig war und auch die leere Reisetasche verstaut war, nahm ich mein Handy am heutigen Tag erstmalig in die Hand. Allerdings nur, um Mitch immerhin schon mal mittels Nachricht meinen Dank auszurichten. Er hatte seinen Dienst tadellos erledigt und eine kurze Nachricht war an dieser Stelle das Mindeste, bis wir uns persönlich über den Weg liefen. Danach tauschte ich mich mit Faye noch flüchtig darüber aus, wohin unser Picknick eigentlich gehen sollte, aber das war recht schnell geklärt. Wir mussten uns also nur noch anziehen, alles Nötige einpacken und dann konnte es losgehen. Wie schon den ganzen Tag hetzten wir uns aber kein bisschen dabei, ans Ziel zu kommen und wir hielten unterwegs auch nochmal kurz an, um unseren Proviant im Laden zu erweitern. Gefühlt hätten wir auch von Luft und Liebe leben können, aber früher oder später redete mein Magen wieder mit. Etwas zu gut versorgt gings zurück ins Auto und von da aus fuhren wir ein paar Kilometer raus aus der Stadt. Dank der Bergkette, die sich von Kanada aus durch den gesamten Bundesstaat Washington zog, wimmelte es in der Umgebung nur so von Seen. Umringt von Bergen und dichtem Wald, ließ sich der von uns ausgewählte trotzdem ganz gut von einem angelegten Parkplatz zu Fuß erreichen, ohne dafür eine anstrengende Wanderung bewältigen zu müssen. Je nach Wasserstand erwartete uns wahrscheinlich sogar ein Streifen Sandstrand am See. Der Sommer war gerade erst um die Ecke, die Chancen standen also gut. Auf der Fahrt dorthin streckte ich meine Hand immer wieder nach Faye aus, was spätestens auf der Landstraße fast ununterbrochen der Fall war. Der Drang, sie ständig anfassen zu wollen, hatte noch ebenso wenig nachgelassen, wie das fest in meinem Gesicht klebende, unterbewusste Lächeln. Am Parkplatz angekommen stiegen wir aus und ich pflückte den Picknickkorb vom Rücksitz. Den hatten wir schon relativ bald nach der Aussprache in der Küche - nach meiner Heimlichtuerei - gekauft, als wir uns darauf geeinigt hatten, wieder mehr zusammen draußen machen zu wollen, um einen Ausgleich zu schaffen. Besonders oft war das gute Stück aber noch nicht zum Zug gekommen, was sicher mehr als einen Grund hatte. Er kam mit einer eigenen, an der Außenseite festgemachten Decke und einem praktischen Tragegurt für die Schulter daher, was den Transport angenehmer machte. Faye durfte dafür den etwas leichteren Rucksack schultern, der noch ein, zwei andere Dinge beinhaltete. Meinen Pullover schmiss ich mir vorerst über die Schulter, weil es mir bei knapp 20° im Shirt warm genug war, auch wenn wir auf den ersten Metern durch den Wald noch nicht allzu viele Sonnenstrahlen abkriegen würden. Wir bewegten uns ja und es war ziemlich windstill. Als wir alles Nötige aus dem Wagen geholt hatten, riegelte ich ihn ab, verstaute nur noch den Schlüssel in der rechten Hosentasche und schloss dann lächelnd zu Faye auf.
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Die Diskussion - wenn mans denn so nennen wollte - bezüglich ihres morgigen Tagesplans hielt sich sehr kurz, weil Victor sich scheinbar bereits mit ihrem ersten Vorschlag anfreunden konnte. Sie hatte nichts anderes erwartet, kannte ihn doch langsam gut genug, um zu wissen, an welchen Aktivitäten er ebenfalls Gefallen fand und was sie lieber ohne ihn machen sollte. Ein schönes Plätzchen draussen in der Natur sagte ihnen beiden zu, mit Picknick wurde es noch gleich ein bisschen romantischer und reden konnten sie an einem ruhigen Ort draussen genauso gut wie zuhause auf dem Sofa. Vielleicht sogar besser. Faye lächelte nochmal zufrieden, als er ein letztes Mal für heute beteuerte, sie genauso vermisst zu haben. Sie machte die Augen zu und behielt das Lächeln bei, während sie sich ganz auf seine Nähe und seinen Herzschlag konzentrierte, mit purem Seelenfrieden schliesslich einschlief. Sie wachte kein einziges Mal auf in der Nacht, träumte auch nichts, weil das gar nicht nötig war - die Realität war ihrem Kopf scheinbar gerade Traum genug, könnte man meinen. Als der Morgen schliesslich kam, hatten sie es beide wie erwartet auch nicht eilig damit, sich aus den Laken zu schälen. Die Kuscheleinheiten waren definitiv besser als ein gestresster Start in den Tag und ausserdem war der Aufholbedarf an Zärtlichkeiten noch immer riesig. Dem Aufstehen folgte eine frische Tasse Kaffee und ein paar weitere flüchtige Berührungen und Küsse, dann wurde die Küche wieder in Stand gesetzt und Victor ging dazu über, noch sein Gepäck ordentlich in die dafür vorgesehenen Schränke einzuräumen. Sie hatte gegen diesen Plan auch gar nichts einzuwenden, da sie bekanntlich einen kleinen Ordnungsfimmel hatte und sich ausserdem auch einfach darüber freute, wenn die Wohnung mehr und mehr wieder so aussah, als würde sie nicht alleine hier leben. Auch Faye griff zwischen Frühstück und Abfahrt mal wieder zu ihrem Handy - beziehungsweise zu beiden ihrer Handys. Auf dem einen beantwortete sie an die Küchentheke gelehnt zwei, drei kurze Mitteilungen, auf dem anderen verfasste sie eine Nachricht für Ryatt, um ihn darüber zu informieren, dass Victor wieder hier war. Sie hatte ihm bereits gesagt, dass ihr Freund sich für die Tage angekündigt hatte, weil sie im Vorfeld schon damit gerechnet hatte, dass sie am entsprechenden Tag wahrscheinlich vergessen würde, abends den obligatorischen Code Green zu verschicken. Das war nicht allzu schlimm, weil sie gestern schon mit Ryatt geschrieben hatte, einfach halt nur morgens. Allzu grosse Sorgen würde er sich also hoffentlich nicht gemacht haben. Trotzdem beinhaltete die Nachricht mit der Erklärung nun auch eine kurze Entschuldigung, bevor das Handy sich noch für ein paar Minuten am Stecker wiederfand, während Faye den Rucksack zu packen begann. Die Fahrt an ihr Ausflugsziel dauerte nicht sonderlich lange, wobei es der Brünetten wohl auch egal gewesen wäre, wenn doch. Sie fand es schön, hier neben ihm zu sitzen, seine Hand zu spüren und gleichzeitig immer wieder ihre Finger nach ihm auszustrecken. Ihn immer wieder von der Seite anzulächeln, seine Stimme zu hören, kurz: Mit ihm unterwegs zu sein. Auf dem ziemlich leeren Parkplatz - wie man das so erwartete an einem eigentlich sehr gewöhnlichen Wochentag im September - angekommen, stieg sie aus und schulterte den Rucksack, wartete geduldig die paar Sekunden, bis Victor ebenfalls für den kurzen Fussmarsch bereit war. Kaum war er wieder bei ihr und sie konnten den schmalen Pfad durch den Wald betreten, griff sie nach seiner Hand und ging beschwingt lächelnd an seiner Seite in Richtung See. Die frische Luft die sie umgab roch nach Wald und Natur, was sicher auch eine gute Prämisse für ihre Unterhaltung war. Wald wirkte beruhigend und je nach Thematik wäre das vielleicht ja gar nicht so verkehrt. Faye war nicht direkt nervös für das bevorstehende Gespräch, aber sie war realistisch genug, um ungefähr zu erahnen, dass nicht jeder Teil davon absolut einfach zu besprechen wäre. Angefangen bei der einen, nicht so irrelevanten Sache, die sie Victor noch beichten musste... Die Unterhaltung bis zum See war jedoch kaum belastend und sehr lockeren Inhaltes, wurde immer mal wieder durch ein Lachen aufgehellt und so war die Stimmung bislang auch sehr fröhlich und unbeschwert. An dem kleinen Strand, für den sie sich heute entschieden hatten, waren sie zurzeit alleine, was sich ebenfalls wunderbar in den Plan fügte. Sie breiteten gemeinsam die Decke aus, um es sich dann darauf gemütlich zu machen - wobei Faye aber bestimmte, dass der Picknickkorb und sein Inhalt auf den unteren Teil der glücklicherweise sehr grossen Decke gehörte und nicht direkt in ihre Mitte. Das hätte nämlich verhindert, dass sie sich dicht neben Victor setzen konnte und damit war sie nicht einverstanden. Bloss weil sie über ernstere Themen reden mussten, hiess noch lange nicht, dass sie jetzt sofort wieder ganz auf Körperkontakt verzichten wollte. "Also... Hast du bereits einen Plan oder sollten wir besser eine Liste machen mit allem, was wir besprechen sollten..?", fragte sie zu Beginn, blinzelte mit schiefgelegtem Kopf in seine Richtung.
Der Weg zum See fühlte sich mit Faye an der Hand kaum wie zwei Minuten an. Sinnbildlich tanzten wir wie in einer dieser überspitzten Musical-Filmszenen, in denen immer irgendwer aus dem Nichts zu singen anfing. Wäre ich mit einer guten Gesangsstimme gesegnet, wäre mir sicher auch danach zumute gewesen. Vor lauter guter Laune kribbelte es mir förmlich im Herzen, auch wenn der vorsichtige Dämpfer dessen nicht unbestimmter Zeit auf seinen Einsatz wartete. Natürlich sackte die Stimmung aber nicht von Einhundert plötzlich runter auf Null, als wir uns auf der Decke niederließen und damit das Gespräch näher rückte. Es zierte noch immer ein schmales Lächeln meine entspannten Gesichtszüge, als Faye die Frage formulierte. Bevor ich darauf antwortete, beugte ich mich jedoch für einen weiteren, sanften Kuss zu ihr rüber. Von einem richtigen Plan würde ich nicht sprechen wollen, weil meine gedankliche Liste mit den wirklich prioritären Themen, die auf keinen Fall warten durften, nicht allzu lang war. Aber eigentlich reichte mir das heute auch schon an schwerer Kost, wenn Faye auch noch welche einbrachte. "Die wirklich wichtigen Punkte hab ich im Kopf... und ich sollte vermutlich mit dem Thema rund um meine Arbeit anfangen, weil ich dir davon bisher zu wenig erzählt habe und weil das ein paar andere Bereiche zwangsläufig beeinflusst.", meinte ich ruhig und zuckte schwach mit den Schultern, bevor ich mich auf beide Hände gestützt ein klein wenig zurücklehnte. Allem voran begann ich Faye zu erzählen, was ich in den letzten Monaten in Vegas überhaupt so getrieben hatte, weil meine Ausführungen dazu bisher absolut oberflächlich geblieben waren. Zu Beginn waren es auch dort eher simple Jobs gewesen die mit viel Rumstehen und Gucken zu tun gehabt hatten. Casinos, Clubs oder auch teure Immobilien bewachen während der Anfangsphase, danach erst langsames Rantasten an private Feiern der höheren Gesellschaft und exklusive Veranstaltungen. Dazu kamen dann noch kurzweilige Jobs als Chauffeur und/oder Bodyguard, manchmal allein oder aber auch zu zweit mit einem Kollegen - eben je nach Kundenwunsch. Wer viel Geld hatte, konnte sich bekanntlich jeden Service so buchen, wie er das wollte. Ich war in Vegas also in gefühlt jeder Ecke mal gewesen, die es unter betuchteren Leuten zu sehen gab. Auch hatte ich kurze zwei- bis dreitägige Jobs als Fahrer übernommen, die im Regelfall entweder Richtung Küste oder nach Arizona und wieder zurück gefahren wurden. Eben mit kurzem Aufenthalt zwischendurch, durch verschiedenste Anlässe des Kunden. Ich erwähnte an der Stelle auch, dass es ziemlich interessant war, sich mit Leuten zu unterhalten, die in ihrem Geld schwimmen gehen konnten. Nicht jeder meiner Kunden war mir sympathisch gewesen, aber das mussten sie auch nicht - ich war ihnen auch so für ein oder zwei Weisheiten dankbar, die mir später helfen konnten. Außerdem lernte man sein Klientel schlichtweg am besten kennen, wenn man sich mit ihm unterhielt. Auf mehrstündigen Autofahrten bot sich das an, ebenso wie auf den mehrfachen Flügen quer durch die Staaten mit dem Immobilienbesitzer. Ein sehr spezieller, sehr gewöhnungsbedürftiger, aber auch sehr intelligenter Mann mit ungesund viel Geld, den wir zwischen den Flügen zu zahlreichen Meetings begleitet hatten. Er war wegen des Aufkaufens ganzer Stadtviertel absolut unbeliebt, das hatten Rowan und ich während der Reise mit ihm gemerkt. Der unmittelbare, persönliche Schutz war gerechtfertigt und das hatte mir auch gezeigt, dass derartige Jobs nicht nur mit mehr Gehalt, sondern auch mit größerem Risiko einhergingen. Letzteres war schließlich der Grund dafür, dass sie besser bezahlt wurden als alle anderen. Daraus machte ich auch Faye gegenüber kein Geheimnis, während ich mich wieder etwas aufrichtete und nach dem Rucksack griff, weil da die Getränke drin waren. "Ich würde natürlich keine Jobs machen, bei denen von vornherein klar wäre, dass sie sehr gefährlich sind... ich möchte nicht, dass du Zuhause sitzt und dir Sorgen machst. Aber das ist wahrscheinlich nicht immer vorhersehbar und ich bin dabei nicht umsonst bewaffnet...", sprach ich weiter und seufzte leise, bevor ich die Wasserflasche aufdrehte und ein paar Schlucke nahm. Nüchtern betrachtet war es sehr viel unwahrscheinlicher, dass ich als Security oder Bodyguard draufging, als in der Army. Noch nüchternen betrachtet war die Möglichkeit dessen aber dennoch sehr viel höher, als bei jedem Fabrik- oder Bürojob. Das Waffengesetz unterschied sich zwar in jedem Bundesstaat, war aber eigentlich überall ein Witz. Am Ende zog ich Resümee. "Es wäre am einfachsten, einfach in der Firma angestellt zu bleiben. Ich müsste mich nicht selbst darum kümmern, Jobs zu finden und es besteht ein festes Mindestgehalt, selbst wenn ich mal weniger als gewöhnlich arbeiten sollte.", sprach ich weiter, schraubte die Flasche dabei wieder zu. "Aber dann kann ich mir nur bedingt aussuchen, wo und wie viel ich arbeite... nicht vorhandenem Gesetz sei Dank stehen in meinem Arbeitsvertrag ganze 5 Urlaubstage. Vor langen Einsätzen wird zwar obligatorisch nachgehakt, ob das in Ordnung geht, aber ein Nein ist da wie überall sonst auch nicht gern gesehen... wenn dann noch deine Schichtarbeit dazu kommt, sehen wir uns mit Pech wochen- oder monatelang so gut wie gar nicht." Was ein ziemlich großer Haken war. Dass wir uns nicht wohl damit fühlten, sehr lange ohne den jeweils anderen zu sein, hatten wir ja gerade erst festgestellt. "Selbstständig könnte ich außerdem sehr viel mehr Geld verdienen, wenn's erstmal läuft. Fast doppelt so viel, einer der Kunden hat sich da mal unbeabsichtigt verplappert.", streute ich an dieser Stelle einen trocken sarkastischen Tonfall. Die anschließende Phrase 'Das hab ich nicht gesagt, verstanden?' war unmissverständlich gewesen. Es war ein schlechter Scherz, wie viel von dem von mir erarbeiteten Geld am Ende noch bei mir angekommen war. "Und ich könnte bei dir bleiben, wie es uns am besten passt. Ich wäre zwar trotzdem oft für ein paar Tage weg, weil sich eintägige Jobs in den meisten Fällen deutlich weniger lohnen, aber..." Ich ließ den Satz leer auslaufen und zuckte schon wieder mit den Schultern, weil mir einmal mehr klar wurde, dass es eine rundum ideale Lösung nicht gab. Doch wer besser als der durchschnittliche US-Bürger leben wollte, musste dafür nun mal auch selbst etwas investieren. In meinem Fall war das gemeinsame Zeit mit Faye, die ich phasenweise abzwicken musste, und mit Pech auch meine körperliche Unversehrtheit. "Ich würde langfristig lieber auf eigenen Beinen stehen. Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich und auch nicht hier, weil hier leider wenig passende Kundschaft existiert...", als gäbe es nicht schon genug andere Haken an der Sache, "...aber langfristig gesehen wäre es das Beste und ich würde mich damit am wohlsten fühlen. Geld ist natürlich nicht alles, aber damit kann ich mir Zeit kaufen... Zeit mit dir, die wir verbringen könnten wo und wie auch immer wir wollen, weil auch dafür locker noch genug Geld übrig wäre." Es war mit einem etwas schiefen Lächeln auf meinen Lippen und direktem Blick in Fayes Gesicht natürlich in sehr verträumte Worte verpackt, aber ich war einfach Niemand, der gerne über nackte Zahlen sprach. Da unterschied ich mich von meinen wohlhabenden Klienten grundlegend - was nicht hieß, dass ich nicht mit Zahlen rausrücken würde, wenn Faye fragte. Mein Geld wäre am Ende genauso ihres und sie durfte natürlich wissen, wie die finanzielle Entschädigung ausfiel, für die ich ihr regelmäßig weggenommen werden würde. Geldscheine alleine machten vielleicht nicht glücklich, aber sie konnten einem sehr viel kaufen, das am Ende großzügig zu gutem Wohlbefinden beitrug. Außerdem hielt ich es ehrlicherweise für nicht grundlegend verkehrt, wenn wir immer mal wieder für ein paar Tage voneinander getrennt waren. Es minimierte das Risiko, wieder in eine ungesunde Abhängigkeit voneinander zu rutschen, für die wir beide durch unser unstillbares Bedürfnis nach Nähe wie prädestiniert waren und wir würden uns in der Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, viel mehr schätzen. Trotzdem würde ich mir wohl mindestens einen Plan D überlegen müssen, wenn die zierliche Brünette mir gleich auftischen würde, dass sie mit dieser Konstellation nicht leben konnte, weil das mit ihren eigenen Wünschen absolut nicht vereinbar war. Dann hatten wir nämlich ein sehr massives, alles ins Rütteln bringendes Problem. Trotzdem hoffte ich, dass mir gleich noch nach Essen zumute war, so wie ich mir hier jetzt mehrere Minuten lang den Mund fusselig geredet hatte.
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Dass sie sich direkt auf dieses exakte Gespräch vorbereitet hätte, würde Faye zwar nicht behaupten, aber trotzdem kam es an sich nicht überraschend. Sie hatten sich beide über Monate Gedanken dazu gemacht, wie sie ihr Leben und ihre Zukunft gestalten wollten und sollten - damit war auch klar gewesen, dass sie diese Pläne, Wünsche und Ansichten austauschen würden, sobald Victor wieder bei ihr wäre. Das hier war also alles andere als ein Notfall- oder Krisengespräch. Es hatte zwar das Potenzial, schwierig zu werden, aber Faye ging nicht davon aus, dass Victor sie gleich mit Dingen konfrontieren würde, mit denen sie gar nicht klar kam oder die sie komplett aus der Bahn werfen würden. Entsprechend entspannt blieben auch ihre Körperhaltung und ihr Herzschlag, als sie den Kuss zu Beginn noch erwiderte und sich ihm dann etwas mehr zuwandte, um ihn dabei anzuschauen, als er zu reden begann. Er wählte seine Arbeitssituation als Start, womit sie grundsätzlich einverstanden war, was auch ihr Nicken kundtat. Da dürfte sich mitunter am meisten getan haben in den letzten Monaten, war also bestimmt richtig, dass sie einmal ein umfassendes Update zu hören bekam. Sie lauschte aufmerksam seinen Ausführungen, ohne dabei bereits irgendwas zu sagen, was aber auch gar nicht nötig war. Denken reichte an dieser Stelle vollkommen aus und hielt sie längst beschäftigt. Spätestens ab dem Punkt, an dem er ziemlich direkt das Berufsrisiko ansprach, welches ihn begleitete, solange er es sich zum Job machte, fremde Menschen zu beschützen. Es war jetzt nicht unbedingt das erste Mal, dass sie darüber nachdachte - immerhin hatte sie gewusst, dass es ihn in diese Richtung zog, seit sie aus Syrien zurückgekehrt und die Klapse hinter sich gelassen hatten. Das machte den Gedanken daran nicht schöner, aber tatsächlich sah Faye diese Sache mittlerweile etwas pragmatischer. Sie machte sich gerne Sorgen um ihre Liebsten, über Aryana und Mitch, die gerne hauptberuflich zwischen zischenden Kugeln tanzten und auch um Victor, dessen Arbeitsverträge von ihm verlangten, sich für reiche Leute in die Schusslinie zu werfen. Aber es war ein Teil ihrer Therapiesitzungen gewesen, sich mit dieser Angst zu befassen und letztendlich konnten sie alle an jedem einzelnen Tag in jeder einzelnen Minute sterben. Bei ihrem Vater war es ein Autounfall gewesen, bei ihrer Mutter Krebs, bei Julian eine Granate, bei ihrem Grossvater das Alter. Gleichzeitig hatten sie schon unendlich viele Autofahrten überlebt, Victor war davongekommen, während alle seine dreizehn Kollegen beim Bombenangriff getötet wurden, Aryana und Mitch hatten ein Todeskommando überlebt, das allein ihnen beiden gegolten hatte, sie selbst atmete noch immer, obwohl sie zweifach die Hölle in Form von persönlicher Folter auf allen Ebenen durchlebt hatte... Also ja: Natürlich war das Risiko höher, dass der Securityjob ihn das Leben oder seine körperliche Unversehrtheit kostete, als es das wäre, wenn er weiter am Kiosk Zigaretten und Glückslose aushändigen würde. Aber dafür war er nicht geboren und damit wurde er nicht glücklich. Und so wie er ihr die letzten beiden Tage - und schon in den letzten Monaten am Telefon - von seiner neuen Arbeitsbeschäftigung erzählte, schien er damit tatsächlich endlich etwas gefunden zu haben, das ihm wirklich Spass machte. Wer wäre sie also, ihm da reinreden zu wollen, bloss weil sie ihn lieber in Watte verpackt ins Wohnzimmer stellen würde? Dieser Punkt war also gedanklich wesentlich schneller abgehakt als die ganzen Dinge, die noch folgten. Dinge, über die sie teilweise in der Tat noch nie nachgedacht hatte. Eigentlich ein bisschen dumm - es sollte keine Überraschung sein, dass sein Beruf weiterhin viele Abwesenheiten nach sich ziehen würde und er oft woanders als neben ihr schlafen würde. Aber Faye hatte die letzten Monate nicht ausschliesslich damit verbracht, über Victor nachzudenken (schockierend aber wahr) und sowieso war das wohl etwas, das sich nur gemeinsam herausfinden liess. Sie hatte zwischenzeitlich die Beine angewinkelt, um sich mit den Armen darauf abzustützen und auf den See zu blicken, während er noch einen Moment weitersprach. Als er scheinbar ein vorübergehendes Ende gefunden hatte, wandte sie den Kopf wieder ihm zu, blickte ihn für einige stumme Augenblicke einfach an und musterte seine Gesichtszüge. Ihre Mundwinkel waren wenig überraschend etwas abgesunken, deuteten aber noch immer ein sanftes Lächeln an, solange sie ihn anschaute. Die Brünette blieb so sitzen, als sie schliesslich zu einer Antwort ansetzte, nachdem sie sich etwas Zeit genommen hatte, die Worte für sich zurechtzulegen. "Ich weiss, dass dein Job nicht ungefährlich ist... Aber ich würde nie im Leben auf die Idee kommen, dir deswegen bei deiner Berufswahl reinzureden, wenn ich doch das Gefühl habe, dass du endlich etwas gefunden hast, das dir wirklich Spass macht...", stellte sie zuallererst leise den Punkt klar, über den sie sich soweit also auch nicht weiter unterhalten mussten. "Was ich von dem ganzen Rest halten soll, kann ich so schnell wahrscheinlich nicht sagen... Dich auf Dauer immer wieder über Wochen oder Monate kaum zu sehen...", sie zog etwas schwer die Schultern hoch, wandte dabei auch den Blick wieder ab, um erneut übers Wasser hinweg zu schauen, was ihre Meinung zum Thema insgesamt schon in relativ deutlichem Unwohlsein zum Ausdruck brachte. "...ich weiss nicht. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass unsere Beziehung, beziehungsweise unsere Persönlichkeiten, wirklich dafür gemacht sind. Oder ich bin es zumindest nicht. Ich rede nicht von zwischendurch ein paar Tage weg sein, dabei bin ich mir sehr sicher, dass wir damit klarkommen werden. Aber Wochen und Monate? Immer wieder?", sie schaute ihn wieder an und ihr wenig überzeugter Gesichtsausdruck sprach erneut für sich. Das war nichts, was sie sich wünschte oder womit sie sich in diesem Augenblick anfreunden konnte. Auch nicht, wenn er damit reich wurde. Dafür schätzte sie Luxus und viel Geld eindeutig zu wenig und dafür war ihr gemeinsame Zeit eindeutig zu wichtig. Scheinbar war eine solche Anstellung aber sowieso nicht Victors bevorzugte Variante, auch wenn sie in vielen Punkten sicher einfacher wäre. Die Idee mit der Selbstständigkeit war nicht neu, sie glaubte, dass er schon früher ein paar Mal davon geredet hatte. Er hatte auch schon erwähnt, dass die Region rund um Seattle nicht der perfekte Ort für eine Karriere im Security-Bereich war. "Mit einem Umzug kann ich mich theoretisch anfreunden, wenn du mir etwas Zeit dafür gibst und wir einen Ort finden, der uns beiden passt...", theoretisch - und lieber nicht sofort. Erstens mochte sie ihre aktuelle Anstellung, die damit sehr sicher flöten gehen würde, und zweitens wäre sie sehr froh, wenn Ryatt die Hernandez' bis dahin ein für alle Mal abgehängt hätte und sie an ihrem neuen Wohnort keine Gedanken mehr an diese Teufelsbrut verschwenden musste. Drittens waren da auch noch Aryana und Mitch, die sie eigentlich wirklich gerne mitnehmen würde und viertens löste der Gedanke an einen Umzug auch ein bisschen Wehmut bei ihr aus, wenn sie an das soziale Netzwerk dachte, welches sie mittlerweile hier aufgebaut hatte. Natürlich gab es viele Möglichkeiten, Kontakte über weite Distanzen zu pflegen... Aber es war nie das Gleiche und viele würden trotzdem verloren gehen. Sie würde nicht mehr mit den gleichen Leuten Tanz- oder Yogastunden besuchen. Mit neuen Arbeitskolleginnen lachen müssen. Mit anderen Menschen Kaffee trinken oder Spazieren oder einen Film schauen gehen. Und wer sie auch nur ein bisschen kannte, wusste bestens, dass Abschiede absolut nicht ihre Paradedisziplin waren und sie alles hasste, was mit Trennungen zu tun hatte. "Hast du denn schon etwas ins Auge gefasst oder einen Traumwohnort herausgesucht?", fragte sie zuletzt, weil sie eigentlich schwer davon ausging, dass dem so war. Victor war ein ziemlich organisierter und planungsfreudiger Mensch, hatte sich in den letzten Monaten gedanklich ohne Zweifel sehr oft mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Ausserdem hatte sie sowieso schon eine naheliegende Vermutung, welche Region mit vielen reichen Menschen, die seine Dienste in Anspruch nehmen könnten, er gleich nennen würde.
Ich hörte Faye mit gespitzten Ohren zu, als sie mit einem Lächeln, das an sich schon nicht unbedingt den nächsten Weltuntergang ankündigte, zu einer Antwort ansetzte. Als erstes kam sie auf mein Berufsrisiko zu sprechen und ich war froh darüber, dass sie damit scheinbar schon während meiner Abwesenheit ihren Frieden geschlossen hatte. Ihre Wortwahl entlockte mir dabei ein kleines Lächeln. War halt doch sehr offensichtlich gewesen, dass meine Laune generell einen guten Schwung nach oben erlebt hatte, als der Job in Vegas erstmal wirklich gut für mich gelaufen war. Dazu hatten zwar auch die guten Kollegen ihren Teil beigetragen, aber die waren nicht alles. Die besten Kollegen der Welt machten vielleicht selbst den beschissensten Job erträglich, aber trotzdem nicht zum Traumberuf. Es brauchte diesbezüglich eher keine Worte mehr, weshalb ich dieses Kapitel der Angelegenheit rund um meinen Job mit einem langsamen Nicken abschloss. Die Mundwinkel noch schwach angehoben folgte ich ihren weiteren Worten aufmerksam, wobei das Lächeln am Ende doch wieder gänzlich verklang und einem nachdenklichen Gesichtsausdruck wich. Meine Augen wanderten schließlich ebenfalls zum Wasser. Nein, wir waren für viel Distanz auf lange Sicht nicht gemacht. Das erklärte sich mit Blick auf unsere bisherige Beziehung von selbst und bedurfte keiner weiteren Zustimmung meinerseits. Hätte ich gerne oft und viel Zeit für mich selbst, könnte ich schließlich getrost in meinem jetzigen Job stecken bleiben, was ich offensichtlich aber nicht wollte. Nicht auf lange Sicht zumindest - übergangsweise würde ich aber wohl noch eine Weile dort hängen bleiben. Ich hatte nicht wirklich erwartet, dass Faye plötzlich aufsprang, sofort ihre Sachen packen und hier verschwinden wollte. Auch für meinen Geschmack hatten wir während der letzten Jahren schon zu oft den Standort unserer Betten wechseln müssen und eigentlich würde ich gerne mal irgendwo sesshaft werden. Nicht nach ein paar Monaten wieder umziehen, weil irgendeine Scheiße passierte oder einer von uns in die Klapsmühle oder ins Krankenhaus auswandern musste. Es reichte wirklich damit. Im Gegensatz zu mir hatte Faye hier jetzt eine ganze Weile gelebt und das machte das erneute Abbrechen sämtlicher Zelte natürlich auch nicht grade unbeschwert. Das war außerdem sicher nicht der einzige Faktor, der für die Brünette gegen einen sofortigen Umzug sprach. "Ja, natürlich... ich bin sowieso auch noch nicht so weit, dass ich sofort durchstarten könnte. Hat also auch meinerseits noch ein bisschen Zeit.", gab ich erstmal Entwarnung und sah wieder zu ihr rüber. Man sollte eben leider auf jedweder Basis gründlich informiert sein, wenn man plante, sich selbstständig zu machen. Allem voran brauchte ich noch einen fachkundigen Anwalt, der mich in der Rechtslage unterstützte, allein schon der Verträge wegen, die ich dann aufsetzen musste. Aber auch an der Stelle wäre es dann gut zu wissen, wo es für uns beide hinging, damit derjenige bestmöglich dort vor Ort war und ich nicht ausschließlich zum Telefon oder Computer für die Kommunikation greifen musste. Ich klärte Dinge gerne persönlich, wenn möglich. Was Fayes Probleme mit dem Umzug anbelangte, konnte ich mir Vieles längst selbst zusammenreimen, fragte der Vollständigkeit halber aber dennoch nach: "Was ist für dich alles ausschlaggebend, was den Umzug angeht? Nicht, dass ich was ganz übersehe...", erkundigte ich mich mit leicht schief gelegtem Kopf und musterte einen Moment lang ihre Gesichtszüge. Je besser ich was das anging informiert war, desto eher konnte ich einen groben Zeitrahmen abstecken. So zumindest meine stets planungsfreudige Einstellung zu dem Thema. "Ich hab mir ein paar Städte genauer angesehen. Sie liegen allesamt an der Küste, manche im Westen und andere im Osten... wohlhabende Amerikaner scheint es irgendwie grundsätzlich ans Meer zu ziehen, was ich ihnen nicht verübeln kann.", streute ich an dieser Stelle eine Prise Sarkasmus. So war das jedenfalls laut Statistik. "Im Osten wäre da zum einen Miami, wo der Quadratmeter bisher von allen noch am wenigsten kostet. Wenn man keine Angst vor Alligatoren hat und sich die netten Inseln ganz in der Nähe anschaut, wirklich keine schlechte Option." Ich behielt den Sarkasmus noch ein bisschen bei. Wer hatte schon was gegen einen nur einstündigen Flug in Richtung Trauminseln? "Mehr Milliardäre als in New York gibt es tatsächlich nirgends sonst auf der Welt, weswegen ich es natürlich nicht ganz außen vor lassen kann. Allerdings ist da wahrscheinlich auch am meisten bereits etablierte Konkurrenz, die Mieten sind zumindest in der Stadt selbst ziemlich hoch und außerdem sind mir 8,5 Millionen Menschen auf so wenig Raum gebündelt doch ein paar zu viele, glaube ich." An dieser Stelle zuckte ich mit den Schultern und verzog leicht das Gesicht. Man gewöhnte sich möglicherweise relativ schnell an derartigen Trubel und allgemein war jede Großstadt unweigerlich hektischer als das Leben hier, aber man musste es ja nicht übertrieben und direkt in die Stadt umsiedeln, die bekanntlich nie schlafen ging. Ich musste zwar nicht direkt im Zentrum schlafen, wollte aber nach Möglichkeit auch nicht ganz außerhalb wohnen. "Im Westen sind's wenig überraschend Los Angeles, sowie das angrenzende Malibu und San Francisco. Beides reiche Städte, wobei in San Francisco die Immobilien- und Mietpreise leider unmenschlich hoch sind. Außerdem ist da die Kriminalität am höchsten und im Verhältnis ist da auch weniger Kundschaft geboten, als in LA. Letzteres ist noch einigermaßen bezahlbar und die Millionärsdichte auch ganz gut, also... schwanke ich wohl zwischen Miami und LA.", zog ich nach mehr oder weniger ausführlicher Erklärung der ausschlaggebendsten Präferenzen mit einem Lächeln meine Bilanz, abwartend was Faye dazu sagen würde. Ich hatte die zwei von mir favorisierten Städte während des Trips quer durch die Staaten zumindest schon einmal kurz gesehen und ich mochte sie, jede auf ihre Art. Es reizte mich damit vermehrt der Süden, nur jeweils am anderen Ende der Vereinigten Staaten. Beide Standorte brachten natürlich noch andere Vor- und Nachteile mit sich, aber ich hatte primär erstmal wegen der Arbeits- und Immobilienlage Nachforschungen betrieben. Krankenhäuser, in denen Faye nach Wunsch wieder arbeiten könnte, gab es - etwas blöd ausgedrückt - ja im Grunde sowieso überall. Menschen waren labile Wesen, die ohne adäquate Notfallversorgung ziemlich schnell den Löffel abgaben.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das hatte sie schon gedacht. So ein Business baute sich ja auch nicht in ein paar Wochen von selbst auf und soweit sie wusste, war er durch die Anstellung der letzten Monate eh schon ziemlich vielbeschäftigt unterwegs gewesen. War also naheliebend, dass sie diesbezüglich sowieso noch ein bisschen Schonfrist hatten, um sich ausreichend mit dem Gedanken anzufreunden und sich darauf einzustellen. Seine anschliessende Frage war jedoch nicht so leicht zu beantworten. Sie wollte an dieser Stelle eigentlich noch nicht mit dem bisher verschwiegenen Elend antanzen, weil das die andere Thematik verdrängen würde und das stand nicht in ihrem Sinne. Andererseits wäre es wohl auch nicht falsch, Victor zeitnah darüber zu informieren, weil es doch ein Punkt war, der Einiges beeinflussen könnte - zumindest kognitiv. Wie viel es am Ende wirklich veränderte, sei dahingestellt. "Also... Ich habe ein bisschen Angst davor, schon wieder alles aufzugeben und eine eigentlich tolle Arbeitsstelle, bei der ich mich wirklich wohl fühle, hinter mir zu lassen... um dann vielleicht an einem Ort zu landen, an dem das nicht mehr so ist. Aber das ist ein Risiko, das ich grundsätzlich bereit bin, einzugehen. Man kommt im Leben bekanntlich nirgendwohin, wenn man nur in seiner Komfortzone dümpelt... In meinem Job ist es glücklicherweise nicht so schwierig, Arbeit zu finden - mit der Zusatzausbildung sowieso nicht mehr. Aber ich würde mir selbstredend wieder etwas wünschen, das mir wirklich Freude bereitet... Keine Notlösungen, zumindest nicht auf Dauer", begann sie zu reden, hatte schon dabei den Blick langsam wieder in die Ferne gleiten lassen. "Dann sind da einige Freundinnen, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind... Die ich vielleicht nicht verlieren würde, aber Umzüge über solche Distanzen verändern Freundschaften trotzdem nachhaltig. Ich möchte nicht in eine Gegend ziehen, mit der ich mich gar nicht identifizieren kann und ich nur mit Menschen zu tun habe, die eine komplett andere Sozialisierung erlebt haben als ich oder wir...", das war natürlich nicht ganz einfach, wenn sein Job verlangte, dass der Umzug sie an einen Ort mit vielen Superreichen führte. Wahrscheinlich würde ihr Einkommen zwar zumindest am Anfang sowieso nicht ausreichen, um sie direkt in einem Villenviertel zu platzieren, aber ihr wäre etwas mehr als fünf Minuten Abstand dazu eigentlich ganz recht. Auch was das Krankenhaus betraf, in welchem sie arbeiten würde - sie wünschte sich keine Notaufnahme voller Millionären. Natürlich war sie gerne für alle Menschen da, die Hilfe brauchten, aber ihr Herz schlug definitiv viel eher für die Unter- und Mittelschicht und sie hielt wenig von den ganzen unfairen Privilegien, die man sich mit zu viel Geld eben auch im Gesundheitswesen einkaufen konnte. Faye hatte wenig Ahnung von Miami, aber die Gegend rund um Los Angeles war bevölkerungs- und einkommenstechnisch ziemlich vielschichtig, sie würde also relativ sicher fündig werden. Wenn Victor gut verdiente, spielte es vielleicht am Ende auch keine so grosse Rolle, wenn ihr eigenes Einkommen nicht ganz so hoch war wie es sein könnte, weil sie sich für ein "schlechteres" Krankenhaus als Arbeitgeber entschied und nicht für eines, das ausschliesslich die Oberschicht bediente. "Natürlich fände ich es schön, wenn Aryana und Mitch nicht zu weit in die Ferne rücken würden. Aber das ist wohl Wunschdenken, solange sie in dieser Anstellung feststecken", das war ein allgemein bekannter Punkt, über den sie sich nicht weiter unterhalten mussten. Vielleicht würde sich hier ja irgendwann sogar etwas ergeben... Jedenfalls waren das die drei wichtigsten Punkte, die ihr wichtig waren - oder eben wären - wenn es um ihren künftigen Wohnort ging. "Ich denke, Miami oder Los Angeles sind mir auch eindeutig sympathischer als New York... Und ich mag die Küstenregionen auch, von daher erfüllt sich damit sicherlich auch mein anderer Wunsch, nämlich in Meeresnähe zu bleiben", meinte sie zufrieden, blickte nun wieder zu ihm. "So auf Anhieb wär ich von diesen beiden Optionen eher für LA zu begeistern, weil mir Miami bisher überhaupt nichts sagt, aber wir können selbstverständlich erstmal noch in Ruhe die Vor- und Nachteile von beiden Orten heraussuchen", meinte sie, was dann wohl eine Aufgabe war, die sie sich für die nächsten Wochen stellen konnten. Die Arbeit war immerhin nicht der einzige Faktor, der ihren zukünftigen Wohnort beeinflussen sollte. Natürlich massgeblich, aber es gab noch einige andere Punkte in ihrer Zukunftsplanung, die berücksichtigt werden wollten. Sie erinnerte sich daran, mit Victor vor langer langer Zeit, noch in Syrien, über einen idealtypischen Verlauf ihrer Beziehung und ihres gemeinsamen Lebens geredet zu haben. Damals hatte er noch von Heiraten, Haus kaufen und Nachwuchs geredet. Heiraten und Haus kaufen konnten sie so ziemlich überall und das mussten sie hier und jetzt nicht planen. Sie würden sowieso nicht direkt ein Haus kaufen, wenn sie irgendwohin zogen. Jedenfalls würde sie diesem Plan eher nicht zustimmen, weil sie liebend gern zuerst einmal dort wohnen und sehen würde, wie ihnen das Leben dann tatsächlich gefiel und welche Quartiere oder Stadtteile sie am meisten reizten. Aber es wäre gut, wenn sie sich einig waren, was die Sache mit den Kindern betraf. "Willst du noch immer Vater werden? Irgendwann?", fragte sie darum direkt, wobei ihr Blick auf seinem Gesicht lag und doch eine gewisse Neugier in sich trug. Sie hatten ewig nicht mehr darüber geredet und so viel war in der Zwischenzeit passiert. Er könnte seine Meinung zum Thema also genau wie sie zwanzig Mal geändert und angepasst haben.
Ich nickte leicht vor mich hin, während Faye die Dinge aufzählte, die ihr hinsichtlich des Umzugs am meisten quer im Magen lagen. "Verstehe ich.", murmelte ich zwischendurch, als sie den ersten Punkt mit ihrer Arbeit abschloss. Ich hatte inzwischen schon mehrfach im Leben irgendwelche Jobs angenommen, die nur dazu gedient hatten, mich finanziell über Wasser zu halten. Ich wünschte mir auch für Faye, dass sie - wo auch immer es uns nun am Ende verschlagen würde - wieder einen Job fand, der ihr genauso viel Spaß machte, wie es der jetzige tat. Man wusste zwar bei Stellenantritt nie zu einhundert Prozent, worauf man sich am Ende einließ, aber ich blieb was das anging optimistisch. Zumindest so lange, bis das Gegenteil eintreten würde. Auch was die Freundschaften und das Umfeld anging, konnte ich Fayes berechtigte Bedenken nachvollziehen. Ich hatte mich an Rowan und Leary als fast ständige Begleiter etwas zu sehr gewöhnt, obwohl von Anfang an gewesen war, dass ich nicht in Vegas bleiben würde. Man sagte immer, dass Freunde kommen und gingen und man eben damit leben musste, aber schön war das nicht. Hätte ich es mir aussuchen können, hätte ich die beiden gerne einfach mitgenommen und so ging es Faye nun hier mit ihren Freundinnen. Deswegen war es wichtig, dass wir künftig in ein Viertel zogen, das uns auf menschlicher Basis höchstwahrscheinlich sympathisch werden konnte. Mit Leuten, die andere Probleme als einen einzigen zu hoch gewachsenen Grashalm auf ihrem viel zu großen, ansonsten perfekt gepflegten Rasen im Garten hatten. Mich was das anging also auch nach Fayes Wünschen zu richten, lag völlig im grünen Bereich. Nur was die ältere Cooper und unseren alten Hitzkopf anging, konnte ich keinen Einfluss nehmen. Denn Aryana und Mitch waren einen üblen Deal dafür eingegangen, dass der Tätowierte nicht länger im Knast versauern musste. Ich überschlug grob im Kopf, wie lange sie nun schon für Easterlin arbeiteten und das war mittlerweile schon über ein Jahr... von Zwölf. Eins von Zwölf. Es war naiv, aber ich hoffte noch immer ein bisschen darauf, dass die beiden auch da wieder irgendwie rauskamen. Nachdem ich inzwischen gute Einblicke in die Sicherheitsvorkehrungen wichtiger Leute bekommen hatte, war das aber leider recht utopisch. "Wir finden bestimmt eine Gegend, mit der wir uns beide anfreunden können... geographisch und gesellschaftlich. Wir können uns dabei auch mehr nach deiner Arbeit richten, ich muss sowieso recht flexibel sein.", lächelte ich. Faye würde im Gegensatz zu mir wahrscheinlich jeden Tag den gleichen Arbeitsweg zurücklegen müssen, wenn sie dann erstmal eine passende Stelle für sich gefunden hatte, während ich mal hier und mal dort hin musste. Es war also nur logisch, sich irgendwo niederzulassen, wo sie nicht erstmal eine ganze Stunde durch ätzenden Verkehr oder in der Bahn sitzen musste, um zur Arbeit zu kommen. Mit der Küste konnten wir uns scheinbar beide weiterhin bestens anfreunden, was das Lächeln auf meinen Lippen mit Blick in ihre Augen noch verstärkte. Auch wenn Häuser und Wohnungen mit Meerblick wahrscheinlich überall gefühlt unbezahlbar waren, war es zumindest schön, in recht kurzer Zeit mal hinfahren zu können. "Ich sehe die Pro- und Kontra-Liste schon vor uns auf dem Tisch liegen.", meinte ich mit flüchtigem Grinsen, legte dabei die Wasserflasche in Nähe des Picknickkorbs ab und stützte mich anschließend wieder leicht nach hinten auf die Hände. Ob es letztendlich LA oder Miami wurde, war mir egal. Ich war in diesem Moment einfach nur froh darüber, dass Faye sich mit der Auswahl auf den ersten Blick bereits anfreunden konnte. Den Punkt, den sie gleich im Anschluss ansprach, hatte ich auch auf meiner eigenen imaginären Liste mit wichtigen Ansätzen stehen. Obwohl ich Fayes Blick im Augenwinkel wahrnahm, sah ich aber noch einen Moment lang weiter in Richtung Wasser. "Das stand auch auf meiner Liste...", ließ ich sie allem voran wissen und streute damit schon einen maßgeblichen Hinweis auf die eigentliche Antwort. Es war ziemlich viel Zeit vergangen, seit wir das letzte Mal darüber gesprochen hatten und da war das eher ein noch sehr weit entfernter, lediglich oberflächlich angedachter Wunsch meinerseits gewesen. Einer, von dem ich damals gedacht hatte, das er nicht so verkehrt war, weil Faye sich offensichtlich gerne sorgte und kümmerte und ich selbst schon immer ein Familienmensch war. Nicht gerade weit hergeholt, angesichts meiner normalerweise harmonischen und relativ großen Familie. Ausnahmen bestätigten da die Regel, Deborah. "...weil ich schon denke, dass mich das glücklich machen würde." Nach diesen Worten sah ich Faye mit einem vielleicht etwas vorsichtig gewordenen Lächeln an. Ich wusste nicht, ob sie ihre Meinung inzwischen geändert hatte. Damals hatte sie sich nicht ansatzweise bereit dafür gefühlt und das war in der damaligen Situation vollkommen nachvollziehbar. Sie hatte aber auch kein endgültiges Veto eingelegt, sondern die Sache offen stehen lassen. "Kinder kommen natürlich mit ihren eigenen Aufgaben und Probleme daher, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich damit zurecht kommen würde. Und so gern ich auch nur zu dir Nachhause komme..." Ich stützte mich vermehrt auf einen Arm, um die andere Hand nach Fayes Wange auszustrecken und sanft darüber zu streicheln. "...fänd' ichs noch schöner, wenn da noch Jemand wäre, glaube ich.", schloss ich mein Statement dazu vorerst eher oberflächlich ab. Ich brauchte noch nicht weit auszuholen, wenn Faye möglicherweise Widerspruch einlegen konnte. Es schien so, als würde ich in vielerlei Hinsicht einfach der Softie im Großformat bleiben. Über die letzten Jahre war viel in mir kaputt gegangen, aber der Großteil des guten, manchmal etwas zu mitfühlenden und etwas zu großen Herzens war trotzdem noch da. Vielleicht passten Faye und ich aufgrund diverser Vorkommnisse nicht mehr unbedingt ins Bild der perfekten Eltern, weil die skrupellose Welt uns ein paar Mal zu oft auf die Schnauze hatte fliegen lassen und damit Narben einhergingen, die wir nie wieder ganz loswerden würden. Ich für meinen Teil sah es aber nicht ein, mir von der Vergangenheit diktieren zu lassen, was ich mit der Zukunft machen durfte oder sollte. Ich verdiente genauso ein Stück Normalität wie jeder andere Mensch auf diesem gottlosen Planeten.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Victor schien absolut bereit zu sein, hinsichtlich ihres künftigen Wohnorts Kompromisse zu ihren Gunsten einzugehen. Jedenfalls solange sie sich bereiterklärte, in eine der genannten Gegenden zu ziehen. Womit sie dann beim gegenseitigen Entgegenkommen waren, das in einer Beziehung so wichtig war. Das für sie beide aber eigentlich auch noch nie ein Problem gewesen war, sie waren ja immer sehr zuvorkommend gewesen, hatten aufeinander aufgepasst und Rücksicht genommen. Manchmal eben auch zu viel - aber das hatten sie zwischenzeitlich hoffentlich auch gelernt, konnten ihre Rücksichtnahme nun besser dosieren, um nicht als Preis ihren eigenen Seelenfrieden zu opfern, wie das früher zu oft der Fall gewesen war. "Ja... ich denke, dass wir so bestimmt beide auf Dauer glücklich werden können", war vorübergehend ihr abschliessender Kommentar zum Thema Umzug. Jetzt wo geklärt war, dass sie durchaus mit ihm an einen Ort kommen würde, der für seine beruflichen Perspektiven wesentlich mehr hergab als Washington State, würden sie für konkretere Details eben zumindest einen Laptop mit Internetzugang für vernünftige Recherche brauchen. Ausserdem würde das allein schon einen oder viele Tage füllen und der Umzug war nicht der einzige Punkt, den zu besprechen sie hier geplant hatten. Scheinbar hatte sie den nächsten nämlich gerade vorneweg genommen, als sie Victor nach seinem Kinderwunsch gefragt hatte. Seine erste Reaktion führte automatisch dazu, dass sie ihn erst recht interessiert betrachtete, um zu wissen, in welcher Hinsicht er denn darüber hatte reden wollen. Er spannte sie glücklicherweise nicht lange auf die Folter, sondern bestätigte bald schon erneut, dass er durchaus gerne eins oder mehrere eigene Kinder haben würde. Ein einzelner Herzenswunsch, der sich über all die Jahre scheinbar nicht geändert hatte... Eigentlich war das schön. Dass das Schicksal und all ihre Feinde es nicht geschafft hatten, ihn nachhaltig vom Glauben abzubringen, dass diese Welt lebenswert sein konnte - auch für ihr eigenes Kind. Dieser Gedanke tauchte ihr Gesicht ebenfalls in ein sanftes, fast etwas versonnenes Lächeln, auch wenn das Glück auch bei ihr noch sehr vorsichtig glänzte. Ihr Gesicht schmiegte sich etwas an seine Hand, bevor sie den Blick doch abwandte, um sich stattdessen leicht an seine Schulter zu lehnen und nach vorne zu blicken, während sie über seine Worte nachdachte. Das brauchte einen Augenblick und sie würde ihn gleich darüber aufklären, warum das so war. Warum sie nicht sofort aufsprang und sich freute, dass die Familienplanung nach all den Eskapaden überhaupt noch zum Thema stand - für mehr als nur einen Hund oder eine Katze. Sondern für einen Menschen. Ein Baby. Ein Kind, das aus ihrer Liebe entstand. "Ich... ich finde den Gedanken schön... Und ich glaube auch, dass du ein guter Vater... sein wirst...", sie hatte kurz gezögert, bevor sie sich entschieden hatte, in welcher Form sie das Verb anfügen wollte. Es klang ein bisschen nach einem Versprechen, wenn sie das so sagte. Und das wollte sie eigentlich auch. Sie wollte ihm ein Kind schenken, mit ihm eine Familie gründen. Zusammen dafür sorgen, dass diesem kostbaren Geschöpf die Welt offen stand. Es gab nur leider auch in dieser Sache noch zwei Haken, die zwingend weg sein mussten - oder deren Risiko zumindest massiv minimiert sein musste - bevor sie sich irgendwie dazu bereit fühlte. Die zwei Haken hingen eigentlich auch zusammen. "Ich möchte nur... vorher so viel Gewissheit wie irgendwie möglich, dass wir wirklich sicher sind. Dass das Kind sicher ist...", nicht das nächste Opfer von Psychopathen auf Rachefeldzug gegen wen auch immer. "Wobei ein Umzug natürlich schon viel helfen kann...", ihre Stimme war ein bisschen zu einem Murmeln geworden. Nicht unverständlich, aber doch etwas undeutlicher, wurde gleich noch etwas leiser, als sie fortfuhr: "Und ich habe ein bisschen Angst davor, dass mich eine Schwangerschaft und die Mutterrolle an sich komplett überfordern würden... Dass ich mir wegen all der Hormone zu viele Sorgen mache... Viel von dem zurückgewinne, was ich mithilfe der Therapie jetzt eigentlich abgelegt habe. Sehr viele Ängste... Dass meine psychische Gesundheit darunter leidet... und dass ich dann dadurch zur Helikoptermutter werde, die ich nicht sein möchte...", ihre Angststörungen waren zwischenzeitlich fast verschwunden. Aber Schwangerschaften und die Verantwortung und Veränderungen, die mit einem Kind kamen, hatten ihre ganz eigenen Dynamiken... Ausserdem müsste das auch alles erstmal klappen. So selbstverständlich war das nach allem, was ihr Körper schon durchgemacht hatte, nämlich längst nicht.
“Das hoffe ich sehr.” Die Angelegenheit rund um den Umzug war damit scheinbar schon geklärt. Eigentlich wenig verwunderlich, weil wir beide nicht erst seit gestern wussten, dass ich hier langfristig gesehen weg wollte. Wenn man sowas kommen sah, konnte man sich zumindest mental schon darauf vorbereiten und ein paar Optionen zurechtlegen. Ein bisschen anders war das mit Familienplanung. Scheinbar hatte Faye sich darüber ebenso wie ich in meiner Abwesenheit ein paar Gedanken gemacht, aber ausgetauscht hatten wir noch gar nichts. Bis jetzt. Als die Brünette sich an mich lehnte, zögerte ich nicht meinen Arm um ihren Rücken und die Taille zu legen. Sie auf diese Art zumindest symbolisch zu unterstützen, während sie in ihrem Kopf nach der richtigen Antwort suchte. Es dauerte nicht gerade ewig, bis sie zu sprechen anfing und obwohl sie ebenso wie ich kurz gelächelt hatte, machte mich das Warten ein bisschen unruhig. Meine Mundwinkel zuckten dann jedoch kurz nach oben, als Faye sagte, mich der Vaterrolle gewachsen zu sehen. Am Ende war zwar fast jeder mit dem ersten Kind völlig überfordert, weil es viele unvorhergesehene Momente für die frischgebackenen Eltern parat hielt, aber meine Geduld konnte dabei schon mal nicht schaden. Wenn ich psychisch stabil blieb - wovon ich zum jetzigen Zeitpunkt ehrlicherweise ausging - würde ich Faye helfen, wo ich konnte. Allem voran damit, eine sichere Umgebung für das wehrlose Kind zu schaffen. Denn das war ein Punkt, der gar nicht erst zur Diskussion stand. Ein Umzug war ein guter Anfang, aber ich würde nicht alles auf den Wechsel unseres Standorts setzen. Wenn erstmal klar war, wo wir endgültig wohnen bleiben wollten und sich alle Parteien bereit dazu fühlten, dann tatsächlich mit der Familiengründung zu starten, kam mir nichts schlechteres als eine mindestens sehr gute Alarmanlage ins Haus oder in die Wohnung. “Ja, natürlich… nicht nur das Kind, auch du. Ich will unser Zuhause ohne Bedenken verlassen können.”, schloss ich mit leicht gesenkter Stimme Faye und indirekt auch mich selbst mit in diese Problematik ein. Selbstverständlich wollte ich genauso auch für mich selbst endlich eine sichere Zuflucht und ein in dieser Hinsicht so unbeschwertes Leben, wie es mit unserer Vergangenheit halt noch möglich war. Trotzdem konnte ich mich im Ernstfall sehr viel besser wehren als eine hochschwangere Frau oder ein Kind. Ich konnte nicht 24/7 ein Auge auf sie haben und könnte sie niemals guten Gewissens alleine Zuhause lassen, wenn ich nicht das Gefühl hatte, dass sie sicher war. Was Fayes mentale Verfassung anging, konnte ich hingegen nur bedingt etwas ausrichten. Ich kam unweigerlich selbst wieder ins Grübeln, während sie all ihre Bedenken aussprach und sah auf unsere Beine runter. Das war leider ein Risiko, das sich unter keinen Umständen vollständig ausschließen ließ… und eines, das sie selbst für sich abwägen musste. Ich kannte Faye zwar besser als jeder andere Mensch, aber nicht mal ich konnte ihr in den Kopf sehen. Oder vorhersehen, wie sich die Schwanger- und anschließende Mutterschaft auf sie auswirkten. Meine erste Reaktion darauf war ein tiefes Durchatmen, bevor ich den Blick anhob und meinen Kopf vorsichtig an ihren lehnte. Ich schloss die Augen, während mir der Duft ihres Shampoos um die Nase wehte. “Das Risiko ist da, ja…”, murmelte ich. Wahrscheinlich erkrankten auch mehr Mütter mit Vorgeschichte psychischer Krankheiten an schwereren Verläufen des ach so bekannten Babyblues, aber dazu kannte ich keine Statistiken. “...und es ist deine Entscheidung, ob du es eingehen möchtest, oder lieber nicht. Es ist dein Körper, deine Gesundheit… und ich möchte auch nicht, dass du dich dazu gedrängt fühlst.”, nuschelte ich und setzte anschließend einen flüchtigen Kuss auf ihr Haar. Ich wollte Faye nicht mit meinem Kinderwunsch unter Druck setzen, wenn sie per se zu große Angst davor hatte und sich nicht wohl damit fühlte. Eine Schwangerschaft war sehr viel mehr ihre als meine Entscheidung. Sie wäre unweigerlich die stärker von den Auswirkungen betroffene Person von uns beiden und mir war klar, dass ein Kind auszutragen an und für sich schon eine unangenehm große Hürde werden konnte. Es kriselte nicht umsonst bei vielen Paaren während dieser Beziehungsphase. Dennoch war das nicht alles, was ich dazu zu sagen hatte. “Aber ich will, dass du trotzdem weißt, dass ich dich unterstützen würde, wo ich nur kann. Ich weiß jetzt natürlich noch nicht, wie die finanzielle Lage zum gegebenen Zeitpunkt aussieht…”, weil es diesbezüglich noch deutlich mehr offene Fragen gab, als welche, die ich schon beantworten konnte, “...aber ich würde so viel und so lange bei euch bleiben, wie nur irgendwie möglich ist, wenn es dir nicht gut geht oder du das Gefühl hast, dass du das alleine noch nicht schaffst. Ich hab bis dahin sicher etwas mehr angespart und ich würde mich eher sechs Monate lang nur von Dosenravioli und Toast ernähren, als dich damit alleine zu lassen.”, murmelte ich und fing währenddessen an, ihr über die Seite zu streicheln. Eigentlich war ich mir sicher damit, dass Faye längst wusste, dass ich nicht der Typ Mann war, der nach ein paar freien Tagen nach der Geburt sofort wieder zur Arbeit sprintete, um sich vor der Verantwortung zu drücken. Aussprechen wollte ich es dennoch. “Notfalls kann man sich immer auch Hilfe von außen holen… dafür bin ich mir nicht zu stolz. Aber ich... ich kann auch verstehen, wenn du es gar nicht erst dazu kommen lassen willst, weil du es nicht schaffst, die Unsicherheit abzulegen.”, wollte ich auch das nochmal untermauern, sprach mit der Zeit jedoch immer leiser. Es war halt ein schwieriges Thema, auf das man sich nur bestmöglich vorbereiten oder ihm ganz aus dem Weg gehen konnte, das man auch nicht schönreden sollte. Es brauchte nicht mal eine psychische Vordiagnose, damit einer Frau die Mutterschaft über den Kopf wuchs. Das passierte auch vielen, die sich ursprünglich sehr auf das Kind gefreut und sich sehr gut vorbereitet hatten. Man durfte sich da nicht zu sehr reinsteigern, musste füreinander da sein und Hilfe annehmen, wenn man sie wirklich brauchte. Das war halt nur sehr viel leichter gesagt, als getan. "Und hey, ich war auch das erste Versuchskind meiner Eltern... bei mir ist damals einiges schiefgegangen, wenn man den Geschichten glauben kann. Ich finde dafür bin ich eigentlich ganz in Ordnung.", wollte ich das Thema trotzdem nicht so düster hinstellen und deutete erstmals wieder ein schmales Lächeln an, ohne die Augen wieder geöffnet oder den Kopf gehoben zu haben. Ja, es war möglich, dass Faye sich als Mutter erstmal überfordert sah und auch, dass sie dadurch wieder krank wurde - aber ich für meinen Teil hatte damit aufgehört, vor meinen Ängsten davonlaufen zu wollen und versuchte das alles etwas rationaler zu sehen, als das früher mit meiner endlosen Schwarzmalerei immer der Fall gewesen war. Das schrumpfte nicht das Risiko selbst, aber es änderte meinen Umgang mit solchen Dingen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈