“Ja, gut möglich… Locals wissen sicher eher ein paar gute Adressen, vielleicht kennt er da wen…”, stimmte ich Faye zu. Ragsdill selbst hielt sich zwar überwiegend nur in Vegas auf, weil er von dort aus arbeitete, reiste aber durchaus auch mal zu anderen Standorten. In jedem Fall war er gut mit den führenden Köpfen der anderen Unternehmenssitze vernetzt und konnte gegebenenfalls positiv zu unserer Wohnungssuche beitragen. Das würde ich morgen herausfinden, die Frage kostete mich schließlich nichts. Auch wenn es noch einen etwas unangenehmen Nebeneffekt auf mich hatte, als Faye zögerlich auf meinen Schoß sank, war ich froh darüber. Meine Hand schob sich von ihrem Rücken weiter zu ihrer Taille, als sie schließlich auch ihren Oberkörper an meinen lehnte. Ich musterte ihr Gesicht so lange, bis die zierliche Brünette sich auf die Wohnungssuche einzulassen begann und erste nennenswerte Kriterien einbrachte. Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben, als ich die freie rechte Hand wieder nach der kabellosen Maus neben dem Laptop ausstreckte. “Mindestens.”, untermauerte ich ihre Aussage ebenfalls mit einem Hauch Ironie. Die Zimmeranzahl war manchmal gar nicht so ausschlaggebend, das kam immer ziemlich auf die Bauart an. Fest stand aber, dass ich zumindest ein kleines Zimmer zum Arbeiten brauchte. Vielleicht nicht von Anfang an, aber langfristig stand nach wie vor die Selbstständigkeit auf dem Plan. Da brauchte ich Ruhe zum Arbeiten und dafür sollte ich die Brünette nicht aus irgendeinem Raum vertreiben müssen. Ich gab Fayes Wünsche, die gut mit meinen eigenen harmonierten, in die Suchmaschine ein - bis auf die nette Nachbarschaft, weil das so leider nicht möglich war, aber wir hatten uns was gute Wohngegenden anging ohnehin schonmal zusammen gesetzt. Da reichte es also, einfach gezielt nach dem Standort der Wohnung zu gehen. “Ich glaub nicht, nein.”, beantwortete ich Fayes Frage, während ich die ziemlich lange Liste an Filtern nach unten durchscrollte. Wir brauchten uns hier keine Häkchen bei Sauna oder Aufzug zu setzen. Ich grenzte also nur noch den Preis ein, damit uns keine Penthouse-Wohnungen für 25000 Dollar pro Monat angezeigt wurden. Ich sah mich ohnehin eher auf dem Boden oder im ersten Stock sitzen, als zwischen Hochhäusern eingekesselt. Außerdem mussten wir preistechnisch auch damit kalkulieren, dass Faye vielleicht nicht sofort Arbeit fand. Wir guckten uns einige der ausgespuckten Wohnungen in der mehrseitigen Liste genauer an und irgendwann fiel dabei das beklemmende Gefühl von mir ab. Ich legte den Arm enger um Faye und strich unterbewusst immer mal wieder über den Stoff ihres Shirts. Noch ein paar Minuten später legte ich den Kopf für eine kleine Weile auf ihrer schmalen Schulter ab und ließ mich von ihrem Geruch einnehmen, auch wenn sie gerade ein bisschen anders roch als sonst. Mir war im Laufe der letzten Jahre irgendwann mal bewusst aufgefallen, dass sie anders roch, wenn sie - aus Stress oder Traurigkeit - geweint hatte. Daran änderte auch die Dusche nichts. Groteskerweise schien mich das ebenso aufzuwühlen, wie auf einer ganz anderen Ebene zu beruhigen. Es war noch immer ein tief verankerter Instinkt von mir, für sie da sein zu müssen, wenn es ihr schlecht ging und ihr eben nicht noch zusätzlich Kummer aufzuladen. Morgen müsste ich das aber trotzdem nochmal tun, Ryatt wegen. Die Gedanken daran verschob ich aber ebenfalls auf Morgen. Es waren ein paar gute Wohnungen dabei und erst nach etwas mehr als einer halben Stunde der Suche schraubte ich das Budget - nur spaßeshalber - ein bisschen nach oben. Nur um mal zu gucken, was mit fünfhundert Dollarn mehr so alles möglich war. “Hätt’ ich vielleicht nicht machen sollen.”, stellte ich schon nach kurzer Zeit ironisch fest, weil natürlich gleich noch ein paar tendenziell bessere Immobilien ausgespuckt wurden. Unter anderem ein kleiner Bungalow mit sattem blau-weißen Anstrich an der hölzernen Außenwand, aber irgendwie relativierte sich die Farbe durch die Bepflanzung an Vorder- und Rückseite von selbst. Die Lage war eher ruhig und trotzdem nur etwa eine halbe Stunde vom Headquarter meines Arbeitgebers entfernt - Glenwood lag etwas außerhalb am Fuß eines Berges zwischen L. A. und Pasadena, also trotzdem noch relativ zentral. Es war kein Neubau, aber erst vor einem Jahr großzügig renoviert, es hatte viele und im Wohnbereich auch bodentiefe Fenster inklusive Doppeltür zum Garten, eine farblich dezente Einbauküche - mit Geschirrspüler natürlich - und mein kleines aber trotzdem recht helles Arbeitszimmer, das normalerweise wohl als Kinderzimmer angedacht war, wäre auch drin. Für den Übergang quasi perfekt, nur halt eigentlich deutlich zu teuer. “Meinst du, die gehen vierhundert Dollar runter, wenn ich den Garten selbst mache?”, fragte ich sarkastisch, als ich nach dem Durchklicken der Bilder weiter zu Beschreibung scrollte. Da war eine grobe Auflistung bereits inkludierter Kosten, mitunter die Pflege des Gartens. Nicht als wäre ich supermotiviert mich darum selber zu kümmern, aber die Fläche war nicht unbedingt riesig. Für ein Paar und vielleicht noch ein Kind war da schon genug Platz, aber mehr dann eben auch nicht. Wenn ich durch ab und zu Rasenmähen und Heckenschneiden den Preis nach unten bekam, wärs mir das wohl trotzdem wert.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Wäre schön, wenn Ragsdill tatsächlich helfen könnte. Jedes Problem, mit dem sie sich nicht weiter auseinandersetzen mussten, war ein deutlicher Pluspunkt - auch wenn ein vorübergehendes Bett für Victor wohl nicht ihre grösste Herausforderung war. Schlimmstenfalls würde es ein Hotelzimmer auch für ein paar Tage oder sogar Wochen tun, bis was besseres verfügbar war. Sie hoffte nur, dass diese ganzen Provisorien möglichst bald wieder aufgelöst werden konnten und sie sich in Los Angeles schnell akklimatisieren und zuhause fühlen würden. Eigentlich freute sie sich ja auf den Umzug. Beziehungsweise hatte sie sich gefreut, bevor das alles so überstürzte Ausmasse angenommen hatte, die leider einfach nur noch stressig und belastend waren. Jetzt musste sie sich realistischerweise wohl damit abfinden, dass sie sich erst wieder entspannen und wirklich freuen könnte, wenn die Umzugsfirma den letzten Karton aus dieser Wohnung getragen und sie die Schlüsselübergabe hinter sich gebracht hatte. Wenn sie dann selbst final auf dem Weg Richtung Süden war... Ja, dann würde die Vorfreude wahrscheinlich endlich richtig zum Vorschein kommen und nicht mehr von dem ganzen anderen Müll unterdrückt und überdeckt werden. Jetzt machten sie sich erstmal daran, ein bisschen genauer zu definieren, wo es sie in LA schliesslich hin verschlagen sollte. Und das war tatsächlich eine sehr gute Ablenkung, musste sie Victor Recht geben. Allein das Durchschauen der Inserate, auch wenn viele davon nicht so ansprechend waren, zwang sie auf eine positive Weise, ihre Gedanken von den Gründen ihrer spontanen Flucht loszulösen. Das und Victors Nähe, die diesmal nicht nach fünf Minuten ihr abruptes Ende fand. Stattdessen blickten sie eine ganze Weile gemeinsam auf den Bildschirm und kommentierten mal mehr, mal weniger ernst die einzelnen Suchergebnisse. Es war keine perfekte Traumwohnung dabei, aber doch vieles, was für die erste Zeit - und damit meinte sie die ersten paar Jahre - in LA doch sehr gut passen könnte. Ein paar Inserate wurden also bereits mit Sternchen markiert als Victor schliesslich beschloss, das Spiel noch ein bisschen spannender zu gestalten. Inwiefern das geschickt war, war natürlich die Frage... Aber es waren fünfhundert Dollar. Wenn sie schnell wieder einen Job fand, war das kein unrealistisches Budget. Natürlich könnten sie mehr sparen für ein zukünftiges Eigenheim, wenn die Miete nicht so hoch wäre. Aber das Leben hatte ihnen in der Vergangenheit schon einmal zu oft beigebracht, dass sie besser im Moment lebten. "Hmm...", machte Faye langgezogen, blickte auf den Bildschirm, der den hübschen kleinen Bungalow zeigte. Vierhundert Dollar war wohl eine ziemlich optimistische Erwartung für die Pflege dieses Gartens... Aber hey, man konnte es ja mal versuchen. Die Brünette beugte sich etwas vor, um Victor für einen Moment das Scrollen abzunehmen und übers Trackpad nochmal nach oben zu den Bildern zu gehen, die sie nochmal sehr langsam und genau durchging. Ganz vielleicht bogen sich ihre Mundwinkel bei dem Anblick allein wieder sachte nach oben. Es liess sich etwas zu gut ausmalen, wie es wäre, wenn sie dort Zuhause wären. Wie sie die Räume mit Leben füllen würden und endlich ankommen könnten. "Ich meine, wir können ja einfach mal anfragen. Vermutlich haben die sowieso tausend Interessierte und das Einzige, was wir letztendlich riskieren, ist eine kleine Enttäuschung... Du müsstest einfach alleine vorbeigehen, falls sie uns einen Besichtigungstermin zusprechen... Aber ich glaube, ich könnte einigermassen auf deine Urteilsfähigkeit vertrauen", zeigte sie sich vielleicht etwas zu schnell zu überzeugt von der Idee. Würde er das Haus tatsächlich besichtigen und würde es ihnen dann auch wirklich zusprechen, wäre die Enttäuschung, wenn sie es doch nicht bekamen, dann zwar vielleicht mehr als klein, aber das war das Risiko der Wohnungssuche.
Mit einem leichten Schmunzeln beobachtete ich Faye dabei, wie sie sich das Objekt noch einmal genauer ansah und nahm dabei die Hand von der Maus, um sie nicht versehentlich dabei zu stören. Ganz gleich wie überoptimistisch wir uns angesichts der Gefahr im Nacken hier gerade verhielten, war es schön zu sehen, wie die zierliche Brünette beim erneuten Durchklicken der Bilder etwas genauer darüber nachdachte. Vielleicht wo die Möbel standen und vielleicht auch, wo sie welches Dekoobjekt platzierte. Ich konnte diese Bestätigung in diesem Moment wirklich brauchen - es tat mir gut, zu sehen, wie sie über unsere nächste gemeinsame Wohnung sinnierte. Oder eben ein Bungalow, wie in diesem Fall. “Und? Wo hängen dann zukünftig die Weihnachtsgirlanden und -Lichterketten?”, hakte ich nach, wobei das Schmunzeln eher zu einem breiten Lächeln wurde. Das Weihnachtsfest, auf das wir beide uns bis hierhin schon sehr gefreut hatten, fand dann wohl auch nicht mehr in dieser Wohnung statt. Allerspätestens zwanzig Tage vorher musste Faye hier die letzte Kiste über die Türschwelle geschoben und sich schleunigst auf den Weg nach Los Angeles gemacht haben. Vorausgesetzt, dass bis dahin sonst nichts passierte, dass sie daran hinderte. Ob wir dann an Weihnachten tatsächlich schon eine feste neue Bleibe hatten, war leider genauso fragwürdig, wie ob uns nach Feiern zumute sein würde. “Fragen kostet nichts, wie man so schön sagt.”, erwiderte ich und zuckte leicht mit den Schultern. Wie Faye schon erwähnte, war die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Bungalow nicht innerhalb weniger Tage wie von selbst vermietete, ohnehin eher gering. War halt ein schönes kleines Haus ohne Nachbarn, die direkt hinter der nächsten Wand saßen. Der Geizkragen in mir würde sich darüber wiederum freuen, aber wie wir schon an den relativ teuren Urlaubstagen in der maledivischen Sonne gemerkt hatten, sollte der alte Spießer vielleicht besser nicht immer am längeren Hebel sitzen. “Es freut mich, dass du mir nach drei bis vier Jahren Beziehung langsam zutraust, deine räumlichen Bedürfnisse richtig einschätzen zu können.", meinte ich mit einer Prise Ironie und zog dabei die Augenbrauen ein bisschen hoch. Ich war in Sachen Handwerk sicherlich kein Ass, weil ich mich dafür in meinem Leben noch viel zu wenig damit befasst hatte, aber eine Wohnung als gut oder schlecht einzuteilen bekam ich ganz gut hin. Der Bungalow sah vermutlich sowieso exakt so sauber und neu aus, wie er es auch auf den Bildern tat. "Aber ja, das krieg ich sicher alleine hin, im Fall der Fälle. Ich könnte dir ja trotzdem ein paar mehr Bilder machen und schicken.” Oder sie auf cringe mittels Videochat mit in die Besichtigung holen. Für viele Leute war sowas heutzutage scheinbar schon normal, bei dermaßen weit fortgeschrittener Digitalisierung. Mit 30 war ich wohl einfach schon zu alt, um damit noch vollständig im Einklang zu sein, während die junge Generation gefühlt nur noch vorm Bildschirm hing. Ich hätte Faye deutlich lieber direkt neben mir stehen, um ihre vorfreudig schimmernden Augen beim Begehen einer potenziellen neuen Bleibe zu sehen, als sie in der Hand mit mir rumzuschleppen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Die Weihnachtsdeko... Puh, das war gar keine so leichte Frage. Dafür müsste sie sich erstmal an alles erinnern, was sie in den Kisten gelagert hatten. Da die Sachen letztes Jahr vorwiegend nicht zum Einsatz gekommen waren, war sie sich tatsächlich unsicher. "Hmm... Ich wäre ja prinzipiell wieder für über den Fenstern - aber das geht wahrscheinlich nicht, weil die hier ziemlich hoch kommen...", analysierte sie nachdenklich eines der Bilder, die das potenzielle Wohnzimmer zeigten. "Also vielleicht nur die Lichterketten über den Fenstern und die Girlanden dann einfach quer durch den Raum", erklärte sie leicht ironisch angehaucht ihren vorübergehenden Plan. Sie würde sich in den nächsten Wochen sicher noch intensiver mit dem Thema befassen können, wenn sie zwischendurch Ablenkung brauchte. Also nur, wenn tatsächlich so schnell ein neues Mietobjekt gefunden wäre, sonst machte das wenig Sinn. "Aber gut, dass du mich dran erinnerst, die Kisten beim Umzug nicht zu weit nach hinten zu verbannen... Auch wenn es etwas stressig werden könnte, in so kurzer Zeit zuerst die Wohnung einzurichten und dann gleich auch noch die Weihnachtsdeko zu verteilen... Glücklicherweise ist das meine Lieblingsart von Stress", erklärte Faye lächelnd, worauf er sich freuen konnte, wenn sie erstmal nachgezogen wäre. Ein ziemliches Chaos wahrscheinlich, da ein Umzug allein schon immer ein paar Wochen in Anspruch nahm, bis die neue Wohnung dann tatsächlich nach einem Zuhause aussah. Einem weihnachtlichen Zuhause in diesem Fall. Auch Victor schien gegenüber der Anfrage nicht abgeneigt zu sein, was sie jetzt nicht unbedingt überraschte. Es war schwer zu übersehen, dass er den Bungalow ebenfalls ganz reizend fand. "Dann werden wir morgen wohl einfach mal anrufen und schauen, was die so zu Besichtigungen meinen", beschloss sie zufrieden. Sie wussten beide, dass sie sich keine zu grossen Chancen ausrechnen konnten. Aber vielleicht klappte es ja trotzdem und das war wenigstens ein Anruf, auf den sie sich ein bisschen freuen konnten. Im Gegensatz zu gefühlt jedem anderen, der anstand. "Du meinst wohl nach drei Jahren, sieben Monaten und...", sie stockte, weil das Kopfrechnen nicht ganz so leicht war, wie sie sich das vorgestellt hatte. "Dreizehn Tagen", beendete sie den angefangenen Satz zur exakten Dauer ihrer Beziehung. Dass sie selbst das jetzt nicht flüssig hinbekommen hatte, machte den potenziellen Vorwurf dazu, dass er nicht genau wusste, wie lange sie nun bereits zusammen waren, dann auch hinfällig. Glücklicherweise war es ihr aber auch nicht wirklich darum gegangen, auch wenn drei bis vier Jahre eine etwas ungenaue Angabe seinerseits gewesen war. "Aber ja... ich glaube, das würdest du schaffen", gab sie ihm, kulant wie sie eben war, Recht. Natürlich wäre es schöner, sie würden die Wohnung gemeinsam besichtigen können, aber dem brauchten sie gerade wirklich nicht aktiv nachzutrauern, weil sich eben nichts daran ändern liess. Es wäre definitiv ein Vorteil, wenn Victor bereits eine schöne Wohnung - oder einen schönen Bungalow - für sie fand, bevor Faye in Kalifornien eintraf. Schon nur weil sie dann nicht ihr gesamtes Hab und Gut irgendwo zwischenlagern lassen müssten, was nicht nur mühsam, sondern auch eine Geldverschwendung wäre. Möglicherweise zwar eine nötige Geldverschwendung, aber trotzdem. Faye lehnte sich wieder etwas zurück und gegen Victors Oberkörper, blieb einen Moment so sitzen und blickte etwas abwesend auf den Bildschirm. Sie durfte jetzt nicht wieder an das Schlimme denken, das sie hier so spontan durch Mietobjekte in Los Angeles scrollen liess. Aber sie war auch müde und musste morgen zur Frühschicht. Auch wenn sie bezweifelte, jetzt direkt einschlafen zu können, wenn sie sich nur ins Bett verkrochen, hätte sie nicht mehr viel dagegen. "Willst du noch weiter schauen oder wollen wir langsam ins Bett..?", fragte sie darum nach seiner Meinung. Es war zwar noch nicht spät, aber wenn sie einrechneten, wie lange das Einschlafen heute wohl dauern würde, passte das ihrer Meinung nach trotzdem.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass du wie immer für beides den perfekten Platz finden wirst.", zeigte ich mich hinsichtlich zukünftiger Deko-Aktionen um die Weihnachtszeit herum zuversichtlich. Faye würde schließlich nicht zum ersten Mal dekorieren und stresste sich was das anging ihrer Aussage nach auch ziemlich freiwillig. Sie blickte am Ende genauso gerne wie ich auf das Ergebnis ihrer meist über Tage hinweg stattfindenden Arbeit. Ich wusste noch nicht, inwiefern ich während der Vorweihnachtszeit arbeiten musste. Das würde sich erst Anfang Dezember geklärt haben, wie so einiges Andere auch. "Aber wir können wahrscheinlich schon froh sein, wenn der Umzug bis dahin überhaupt einigermaßen durch ist.", relativierte ich meine vorherige Aussage etwas. Es war auf jeden Fall ein ziemlich sportlicher Zeitraum und wenn dann der Rahmen fürs Dekorieren zu knapp wurde, war das eben so. Wir hatten leider ganz andere Probleme als in Kisten verstaubende Girlanden. Bezüglich des Anrufs nickte ich schwach lächelnd. "Machen wir." Es sprach nichts dagegen, es zumindest zu versuchen. Dass mit dem Preis in irgendeiner Form nach unten gegangen wurde, war aufgrund der vermutlich hohen Nachfrage leider sehr unwahrscheinlich, aber das würde mir vielleicht gar keine Rolle mehr spielen. Wenn die Wohnung selbst so perfekt war, wie sie hier präsentiert wurde, und ich dann die Besichtigung abschließend über die kleine Terrasse aufs Gras schlenderte, würde ich glatt überschwänglich die Hand des Maklers schütteln. Wäre alles ein bisschen zu perfekt, um am Ende nur wegen des Preises Nein zu sagen. War eben [i]leider[/] keine unbezahlbar hohe Miete, schon gar nicht bei meinem prognostiziert hohen Einkommen. Selbst wenn das je nach Auftragslage etwas schwankte, machte das den Kohl nicht wirklich fett. Die zierliche Brünette hatte jetzt selbst ein kurzzeitiges Problem damit, die genaue Anzahl an Tagen rauszubringen, was mich minimal schadenfroh schmunzeln ließ. "Genau deswegen hab ich mir das erspart.", meinte ich und tätschelte dabei leicht ihre Seite. Vielleicht hätte ich es etwas weiter eingrenzen sollen - so dreieinhalb bis vier Jahre wären ansatzweise spezifischer gewesen. Andererseits war aber auch fragwürdig gewesen, inwiefern wir all die Monate, die wir nicht zusammen verbracht hatten, überhaupt mit einrechnen wollten. Wir hatten uns nicht getrennt, aber so richtig zusammen waren wir da eben auch nicht gewesen. Für Faye war offenbar klar, dass auch die neuneinhalb Monate dazu gehörten und damit war das Thema für mich erledigt. So wie die ganze Wohnungssuche an sich, denn so langsam sollte mindestens Faye ins Laken rollen. Alleine hier sitzen zu bleiben kam auch nicht mehr wirklich in Frage. "Gehen wir schlafen.", meinte ich, wobei ich allerdings noch keine Anstalten machte, tatsächlich aufzubrechen. Viel mehr lehnte ich das Kinn an Fayes Schulter, hielt sie nochmal etwas fester und hauchte ein paar Sekunden später einen zarten Kuss an ihre Halsbeuge. Daraufhin setzte ich mit ausgestrecktem Arm noch die Markierung für die letzte Wohnung und der Mauszeiger wanderte zur Schaltfläche fürs Herunterfahren. Ich löste meinen Arm von Faye, damit sie ungehindert aufstehen konnte und klappte den Bildschirm zu. Als sie wieder auf den Beinen stand, erhob ich mich ebenfalls vom Stuhl und griff mit der linken Hand nach der inzwischen leeren Tasse. "Ich geh nur noch kurz ins Bad.", deutete ich der brünetten Schönheit indirekt, dass sie schonmal ins Schlafzimmer vorgehen sollte. Im Vorbeigehen streichelte ich über ihren Unterarm und warf ihr ein kurzes Lächeln zu. Danach verräumte ich die Tasse in der Spülmaschine und machte mich auf ins Badezimmer, um die abendliche Routine abzuhaken. Vielleicht betrachtete ich mich beim Zähneputzen etwas kritischer als an den Abenden zuvor - aus den unterschiedlichsten Gründen. Nach einem Kopfschütteln spülte ich den Mund aus und wenige Minuten später schloss ich zu Faye ins Schlafzimmer auf. Die überflüssigen Klamotten hatte ich schon in der Wäschebox im Bad gelassen, also brauchte ich mir nur noch die Hausschuhe von den Füßen fallen zu lassen, ehe ich unter die Bettdecke kriechen konnte. Einen Wecker zu stellen war überflüssig, weil ich ohnehin von Fayes aufwachen würde. Falls ich da nicht sowieso schon wach lag, versteht sich. Zumindest versuchen wollte ich es mit dem Schlaf aber trotzdem, also rutschte ich nach dem Anstecken ans Ladekabel näher zur Mitte des Betts und streckte den Arm nach meiner Freundin aus.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ja, damit könnte er schon Recht haben... sie tat sich meistens eher nicht schwer, die Deko letztendlich so zu platzieren, dass es irgendwie doch genau so aussah, wie sie sich das vorgestellt hatte und wie es ihnen beiden bestens gefiel. Aber Victor hatte eben auch mit der anderen Aussage Recht, dass sie erstmal den Umzug schaffen mussten. Heil und ohne Kollateralschaden beide sicher in Kalifornien ankommen mussten. Eine Wohnung finden, bestenfalls einen Job für sie... Wobei das vielleicht dann auch bis ins neue Jahr warten konnte. Einen Monat Lohnausfall ihrerseits würden sie verkraften und dann könnte sie sich erstmal voll und ganz um den Umzug kümmern - und um die Jobsuche natürlich. Würde sie vorzugsweise schon von hier aus beginnen, aber meistens liess sich die Situation vor Ort dann doch besser lösen, auch wenn Vorstellungsgespräche per Videocall glücklicherweise nicht unmöglich waren. Wenn sie den Bungalow oder eine vergleichsweise tolle Wohnung auf sicher hätten, wäre das auf jeden Fall noch ein guter Ansporn mehr, schnellstmöglich eine geeignete Stelle zu finden. Aber sie hatte doch auch den Anspruch, dass diese Stelle ihr dann auch wirklich gefallen sollte... Immerhin würde es ihrem Lebenslauf - und ihr selbst - auch mal gut tun, nicht überall nach maximal einem Jahr wieder die Biege zu machen. Ein bisschen Stabilität und Sicherheit. Zwei der Gründe, warum der Umzug nötig war und herbeigesehnt wurde. Victor liess sich ziemlich leicht vom Schlafengehen überzeugen und Faye griff nochmal nach seiner Hand an ihrer Taille, als er sein Kinn vor dem Aufstehen nochmal an sie lehnte und sie seine weichen Lippen an ihrer Halsbeuge spürte. Sie drückte seine Finger, hielt diese noch einen Moment fest. Und bemühte sich am Rande darum, nicht von dieser Geste allein schon wieder in Nostalgie und Sorge zu versinken. Stattdessen erhob sie sich kurzum auf die Beine und wartete noch kurz auf Victor, bis dieser den Laptop heruntergefahren und die Teetasse ordnungsgemäss zur Seite gestellt hatte. Während er sich dann wie angekündigt noch kurz ins Bad verzog, ging Faye schonmal ins Schlafzimmer - beziehungsweise davor nochmal zur Wohnungstür, because good old Paranoia. Sie blieb noch einen Moment vor dem Fenster neben dem Bett stehen, blickte in die Dunkelheit hinaus, als würde sie ihr irgendwas sagen können. Aber da war nichts. Es war still bis auf die üblichen Geräusche einer Kleinstadt und die Welt drehte ganz normal weiter. Auch nachdem die ihre heute wieder so heftig ins Wanken geraten war... Faye wechselte definitiv von der Jogginghose in den Schlafanzug und schlüpfte unter die Decke, kurz bevor Victors Schritte zu hören waren und ihr Freund zu ihr ins Bett stieg. Nicht mehr oft... Und umso bereitwilliger verkroch sie sich umgehend in seinen Armen, in seiner Nähe. Da, wo sie sich sicher fühlte und daheim. Da, wo ihr Herz wohnte und seines, da, wo sie und nur sie beide gemeinsam existieren konnten. "Ich liebe dich, Victor... Seit dem Tag, an dem ich dich kennengelernt habe. Für immer bis zu dem Tag, an dem ich sterbe... und länger", sie konnte ihm das jeden Tag und jeden Abend aufs Neue sagen, aber es würde sich nie wie zu viel anhören, nie wie zu oft. Das gab es nicht für sie und ihn. Vielleicht hatte sie am ersten Tag noch nicht gewusst, was das für Gefühle waren und wohin sie führen könnten. Aber hätte sie ihn gesucht, wäre ihr selbst damals sofort klar gewesen, dass Victor der Mann war, mit dem sie zurück nachhause kehren wollte. Der Mann, dem ihr Herz gehörte. "Und wir schaffen das... ein letztes Mal und dann wird alles so, wie wir es uns vorgestellt haben", flüsterte sie an seine Haut, die sie mit zarten Küssen bedeckte. Dann blickte sie nochmal in sein Gesicht auf, um ihm zumindet den Anflug eines zuversichtlichen Lächelns zu schenken, bevor sie auch seine Lippen nochmal mit ihren verschloss. Sicher würde ihr Leben wie jedes andere auch weiterhin Höhen und Tiefen beinhalten. Aber das Ausmass würde nicht mehr annähernd lebensgefährlich sein und auch nicht mehr so hochtraumatisch. Alles würde gut werden und dafür arbeiteten sie jetzt noch ein paar Wochen ganz hart.
Als hätte die zierliche Brünette Unterstützung dabei gebraucht, sich auf die Kuscheleinheit einzulassen, drückte ich sie in den ersten Sekunden etwas an mich. Ich würde sie auch dieses Mal schrecklich vermissen, das wusste ich jetzt schon. Jeden Tag, den ganzen Tag - am meisten aber dann, wenn ich genügend Ruhe finden sollte, um auf der Matratze möglichst erholsamen Schlaf zu finden. Wie sollte das gehen, mit dem Wissen, dass die Hernandez schon wieder indirekte Drohungen in unsere Richtung ausspuckten? In ihre Richtung? Mein Kopf war schon wieder dabei, sich zu verselbstständigen, also schloss ich die Augen und machte einen langen, flachen Atemzug. Direkt im Anschluss hob ich die Lider jedoch wieder und blickte in Fayes schönes Gesicht. Beobachtete sie dabei, wie sie meine Brust mehrmals mit ihren weichen Lippen berührte und dabei ein leichtes Kribbeln hinterließ. Ich würde jede dieser Kleinigkeiten vermissen und lächelte etwas mühsam zurück, als sie sich mir für einen Kuss näherte. Während Fayes Lächeln Zuversicht suggerieren wollte, wirkte meins reichlich instabil. Ein bisschen kam ich ihr entgegen und meine Mundwinkel sanken durch die Berührung unserer Lippen ab. Ihre Worte trugen für mich Wehmut in sich, was unweigerlich in den meinerseits sehr sehnsüchtigen Kuss einfloss. Sehnsucht nach Frieden mit Faye an meiner Seite, was schon wieder in weitere Entfernung rückte, als bis vor ein paar Stunden noch angenommen. Wie oft hatten wir sowas jetzt schon gesagt? Dass wir das schaffen würden? Dass wir ein letztes Mal alles dafür geben mussten, um uns frei zu fühlen? Dass es nicht mehr lange dauern würde, bis endlich alles gut wurde, für immer? Ich war es so unendlich leid… ja, dieses Mal würde es das letzte Mal sein. Schon nur deshalb, weil ich das nicht mehr konnte. “Ich liebe dich auch, Faye… mehr als alles andere.”, flüsterte ich leise an ihre Lippen, bevor ich mir noch einen etwas leichteren Kuss stahl. Dabei streichelte ich an ihrer Taille unterhalb des Oberteils über ihre Haut. Musste sie noch so oft wie möglich unter meinen Fingerspitzen spüren, bis wir in wenigen Tagen erneut getrennte Wege gingen. Ich sah meine Mutter, irgendwo ganz weit hinten in meinem Kopf, vor meinem inneren Auge. Wie sie neben purer Sorge auch ’Ich hab's dir ja gesagt’ mit ihrem Blick kommunizierte. Ich musste alles dafür geben, dass es dazu nicht kam, auch wenn mir in diesem Moment schleierhaft war, wie ich das machen sollte. Wie ich überhaupt aktiv helfen sollte - ich wäre ja gar nicht hier, wenn Faye tatsächlich etwas zustoßen sollte… Ich konnte ohne sie leben, das hatte ich schon herausgefunden. Wie groß das Loch sein würde, das sie hinterließ, wenn sie mich über den Tag ihres Todes hinaus liebte, stand aber auf einem ganz anderen Blatt und ich wollte das um Nichts in der Welt herausfinden. “Du musst auf dich aufpassen, Faye. Heil zu mir zurückkommen… egal was es kostet.”, hauchte ich beinahe tonlos und dicht gefolgt von einem Schlucken, ohne die Augen aufzumachen. Ich konnte sie nicht nochmal hoch und zurück ins Licht ziehen. Ein weiteres Mal mit katastrophalen Ausmaß würde mich mental beerdigen. Ich wusste, dass Faye ihren Beruf wahnsinnig gerne machte und dass es sie hart treffen würde, fände sie in L. A. aufgrund der Ereignisse hier um Seattle keinen guten Job mehr. Aber war eine gute Reputation im Berufsleben wirklich unsere Beziehung oder schlimmstenfalls ihr Leben wert? Ich konnte wohl nur darum beten, dass sowohl Faye, als auch Ryatt die Bedrohung richtig einschätzen würden. Wegen der Brünetten selbst, aber auch um meinetwillen
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Kuscheleinheiten mit Victor hatten immer etwas Tröstendes an sich. Wirkten immer irgendwie beruhigend auf ihren Herzschlag und ihr Gemüt und halfen ihr dabei, die Perspektive nicht zu verlieren und nicht unterzugehen in dem Chaos, das ihr Kopf immer mal wieder produzierte. Mal mehr und mal weniger berechtigt - das heutige Drama gehörte leider in die Kategorie mehr. Das hatte ihr Heulanfall unter der Dusche bereits bewiesen, da sie das unkontrollierte Weinen mittlerweile eigentlich relativ gut im Griff hatte. Sie war natürlich nahe am Wasser gebaut und daran würde sich wahrscheinlich zeitlebens nichts mehr ändern, aber sie hatte ihre Nerven besser unter Kontrolle als früher und konnte sich meist vor Heulkrämpfen retten, wenn diese nicht angesagt waren. Vorhin nicht, weil die Angst diesmal gemäss Ryatts Aussage sehr berechtigt war. Aber sie durfte sich nicht darin verlieren. Besser in den Augen und an den Lippen ihres Geliebten, der ihre Zeit so viel mehr verdiente und der ihre Präsenz brauchte, solange das noch möglich war. Faye erwiderte den Kuss gefühlvoll, noch immer bemüht darum, ihm Zuversicht und Hoffnung statt Verzweiflung und Angst entgegenzubringen, während sie auch heute wieder alles in sich aufnahm, was sie von ihm bekommen konnte. Seine Finger, die so zart und leicht über ihre Haut streichelten, der Geschmack seiner Lippen, sein Geruch und seine Wärme. Sie waren alles, was sie brauchten und alles, was sie wollten. Und dafür würde es sich immer zu kämpfen lohnen, dafür würde sie immer alles riskieren. Sie hatte ihn ein einziges Mal aufgegeben, weil ihre Schuldgefühle ihr gebrochenes Herz zerfressen hatten, und er hatte ihr bewiesen, dass sie das niemals tun sollte. Und sie würde es nie wieder tun. Sie hörte seine Worte, bei deren Klang allein die Anspannung einmal quer durch ihren ganzen Körper kroch. Faye presste die Augen und Lippen zu, als sich ihr Magen verkrampfte, drehte für zwei Sekunden den Kopf minimal zur Seite, um möglichst viel der Verspannung wieder auszuatmen. Dann fanden ihre Lippen wieder seine, für einen einzigen, hauchzarten Kuss. Sie lehnte die Stirn an seine und ihre rechte Hand schmiegte sich an seine Schläfe, hielt sein Gesicht direkt vor ihrem. "Das werde ich... Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, was ich kann, um dir so schnell wie möglich zu folgen... und dafür zu sorgen, dass mir davor nichts passiert...", hauchte sie ebenso leise zurück, meinte dabei jedes Wort genauso, wie sie es aussprach. Sie würde sich einen Plan erarbeiten, der jede Sicherheitsmassnahme beinhaltete, die ihr einfiel. Und sie würde schauen, dass sie irgendwie schon früher als erst Ende November hier wegkam. So schnell wie ein kompletter Umzug in diesem Stil das eben zuliess. Ihr Arbeitgeber tat ihr leid, aber sie musste sich da irgendwie rausreden - schneller als ein Monat Kündigungsfrist das eigentlich erlaubte. Aber sie schaffte das. Irgendwie. Aus dem sehr simplen Grund, dass sie in diesem Fall einfach gar keine andere Wahl hatte.
Ich bemühte mich mit jeder Faser meines Körpers darum, ihren Worten Glauben zu schenken. Den Gedanken zu verfestigen, dass alles, was ich mir je mit der zierlichen Brünette wünschte, wahr werden würde. Dass sie das vollständige Zelte abbrechen so schnell wie möglich über die Bühne brachte, egal wie schwer Faye Abschiede immer fielen. Natürlich würde auch ich Aryana und Mitch lieber mitnehmen, als sie hier zurück zu lassen und im schlimmsten Fall sogar vorher noch in diese riesige Scheiße mit reinzuziehen. Trotzdem war ich mir bei dem Paar so sicher wie bei Niemandem sonst, dass sie gut auf sich aufpassen und selbst die Hernandez zusammen klopfen würden, wenn es nötig war. Nicht, dass ich den beiden gerne ein weiteres Trauma zumuten wollte… aber eben doch lieber das, als das Verderben der jüngeren Cooper. Nach dem Kuss und Fayes Worten nahm ich den nächsten tiefen Atemzug. Dabei hob ich auch die zweite Hand noch an, um sie nach der brünetten Schönheit auszustrecken, sie fortan mit beiden Händen nahe bei mir festzuhalten und mit den Finger zu streicheln. Im Versuch mich ganz auf ihre Berührung und den Klang ihrer weichen Stimme zu fokussieren, hielt ich die Augen noch bis dahin geschlossen. Ich hätte sie auch nicht ansehen müssen, um zu merken, welch ungute Gefühle ich mit meinen Worten durch ihren Körper geschickt hatte. Dafür war sie mir etwas zu nah. Trotzdem war nicht mehr viel davon zu sehen, als ich die Augen blinzelnd öffnete und den Blick daraufhin in ihren richtete. "Okay.", flüsterte ich ihr zu, bevor ich mir noch einen flüchtigen Kuss stahl. Ich hatte sonst nichts mehr dazu zu sagen. Die Vergangenheit hatte mich etwas zu gut gelehrt, dass alles Vorbereiten manchmal absolut gar nichts brachte. Ich schätzte es durchaus, dass Faye ihr Bestes geben würde, alles Schlimme zu vermeiden, doch würde ich trotzdem nicht allein darauf bauen und mich mental bestmöglich damit auseinandersetzen, dass was schiefgehen konnte. Mild ausgedrückt. Für einige Sekunden lang musterte ich noch ihr Gesicht, bevor ich immerhin ein schmales Lächeln hinbekam. "Falls du nicht schlafen kannst, weck' mich ruhig auf.", ließ ich sie wissen, dass ich meinen sehr sicher schlechten Schlaf absolut nicht wertschätzte und sie mich gerne dabei unterbrechen durfte. Ich ließ es bleiben, Faye schöne Träume oder eine gute Nacht zu wünschen, sondern holte mir nur noch einen weiteren Kuss, bevor ich den Kopf vollständig zurück ins Kissen sinken ließ und damit das Schlafen ankündigte. Ich gab das Liegenbleiben nach grob zweieinhalb Stunden mit unterbrochenen zwanzig Minuten Schlaf und zwei sehr unangenehmen Träumen allerdings ziemlich kampflos auf der Bettkante sitzend auf.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
----------------- *three days laterrrr* -----------------
Eigentlich hatte alles so geklungen, als würde einem Neustart und guter Laune bei Victor und Faye nichts mehr im Wege stehen. Der verlorene Lover war zurückgekehrt und hatte damit eine Menge Freude und Frühlingsgefühle mitgebracht und alles hatte gut ausgesehen. Sie hatten ein Willkommensfest - also nur zu viert, aber es war trotzdem ein kleines Fest gewesen - gefeiert und ein paar Wochen später sogar noch seinen Geburtstag, der ja eigentlich schon etwas zurück lag. Beides war sehr schön gewesen und hatte sich wirklich so angefühlt, als wären sie endlich zu vier funktionierenden, gesunden, erwachsenen Menschen herangewachsen, die sich auf das Leben freuten und denen erstmal nichts mehr das Glück verderben könnte. Wenn man halt von Fayes Verbindung zu Ryatt absah, der wiederum von einem Pack wilder Krimineller verfolgt wurde, natürlich - aber selbst das hatte bis Anhin nicht so akut bedrohlich gewirkt. Jedenfalls hatte Faye es ihr nicht so geschildert, Aryana konnte nur Vermutungen anstellen, inwiefern ihre Schwester ihr hier die ganze Wahrheit erzählt hatte. Da sie jedoch keinen Grund zu lügen gehabt hätte, ging sie eigentlich davon aus, dass das, was sie wusste, dem tatsächlichen Stand der Dinge entsprach. Und wahrscheinlich war das auch so gewesen... bis vor ein paar Tagen. Denn jetzt war es nicht mehr so. Das hatte schon der Anruf ihrer Schwester deutlich gemacht, die ihr schonmal vorsorglich mitgeteilt hatte, dass sie die Tage dringend eine Krisensitzung brauchten. Zu viert. Faye war aber nicht die Einzige geblieben, die sich bei Aryana gemeldet hatte und das war auch der Grund, weshalb die ältere Cooper jetzt schon vor deren Wohnungstür stand und klingelte, obwohl Faye zurzeit auf der Arbeit war. Victor hatte gefragt, ob sie mal unter vier Augen über alles reden könnten und Aryana, die so langsam das Gefühl hatte, ein umfangreiches Update dringend nötig zu haben, hatte zum nächstmöglichen Termin eingewilligt. Also heute. Sie war ein bisschen aufgeregt wegen der dunklen Vorahnungen, nicht ganz so entspannt und freudig wie die letzten Male, als sie hier gestanden hatte. Als Victor diese schliesslich entriegelte, schob Aryana die Tür auf und ging die Treppe hoch, wo der grosse Mann bereits den Türrahmen ausfüllte. "Hey", grüsste Aryana mit einem eher zurückhaltenden Lächeln und umarmte ihn kurz, bevor sie eintrat. Sie hatten sich nicht darüber abgesprochen, ob er hier oder woanders reden wollte, weshalb sie erst noch davon absah, die Schuhe von den Füssen zu streifen. Was auch immer ihm auf dem Herzen lag, brauchte vielleicht eine andere Umgebung als sein Zuhause - aber wenn dem so wäre, würde er das bestimmt gleich sagen. Auf jeden Fall sah er schonmal nicht besonders erholt und entspannt aus, wie ihre kurze Musterung zur Begrüssung ergeben hatte. Eher gestresst und so, als würde er mal wieder chronisch zu wenig schlafen. Das waren wohl schon wieder zwei Monate zu viel ohne Schwierigkeiten gewesen, oder?
Es besserte sich nur wenig bis gar nicht, in den nächsten Tagen. Schlaf wurde für mich mal wieder zur hoch gehandelten Mangelware und ich versuchte Vieles, um mein Stimmungslage davor so entspannt wie möglich werden zu lassen. Das interessierte das Trauma, das auf ewig ganz hinten in meinem Kopf schlummern und bei Triggern gelegentlich wieder aufwachen würde, allerdings herzlich wenig. Mal war es ein etwas zu detailliertes Recap von einer der beiden Folternächte, das mich aus dem Schlaf hochschrecken ließ. Ein anderes Mal war es einfach nur Ryatt, der schon bei Faye auf dem Sofa saß, wenn ich von der imaginären Arbeit nach Hause kam und dann so tat, als wäre das irgendwie selbstverständlich. Und ein wieder anderes Mal hörte ich Schritte im Flur, von denen ich mir im ersten Moment nach dem Aufwachen manchmal nicht sicher war, ob sie tatsächlich aufhörten. Im absoluten Ernstfall brächte sie mir womöglich einen entscheidenden Vorteil, aber zu meinem Seelenfrieden trug die im Nachttisch schlummernde Waffe nicht mehr viel bei. Ich hatte in den letzten drei Nächten gefühlt gar nicht geschlafen, so niedrig wie mein Energielevel jetzt war. Ursprünglich hatte ich mich einmal allein mit Ryatt unterhalten wollen, bevor ich nach Los Angeles aufbrach. Das hatte ich inzwischen verworfen. Zum einen, weil mir nicht mehr viel Zeit mit Faye blieb und zum anderen, weil ich ihm zum jetzigen Zeitpunkt nicht sachlich genug entgegen treten konnte, um keinen Streit vom Zaun zu brechen. Faye und ich hatten darüber geredet, am Vormittag nach seinem katastrophalen Besuch. Obgleich meine Eifersucht genauso sinnfrei sein mochte, wie die ihre damals in der Psychiatrie in Hinblick auf die Pflegerin, war es in meinen Augen eben trotzdem nicht ganz das gleiche. Ich glaubte schon, dass Faye mich verstand und nachvollziehen konnte, warum ich dieses eklige Eifersuchtsgefühl hatte. Trotzdem waren wir mit dem Gespräch nicht wirklich auf einen absolut grünen Zweig gekommen. Das Gefühl war nun mal da und es würde nicht von jetzt auf gleich verschwinden, nur weil die brünette Schönheit noch einhundert Mal beteuerte, dass ich der einzige Mann für sie war. Ich glaubte ihr das. Sie hätte nicht so lange auf mich gewartet, wäre es anders. Das änderte aber wiederum nichts daran, dass ich schon in drei Tagen weg sein würde und Ryatt dann trotzdem noch hier war. Hier bei ihr, während ich fast zweitausend Kilometer weit weg die Arbeit wieder aufnahm und versuchte, unser Leben in der kalifornischen Stadt unter anhaltender psychischer Belastung schon ansatzweise für einen erfolgreichen Neustart zu wappnen. Das Leben machte Spaß. All das waren nur ein paar von vielen Gründen dafür, dass ich einer früheren Idee nachging und den Kontakt zu Aryana suchte, ohne Faye zu involvieren. Sie wusste jedoch, dass ich mich mit ihrer älteren Schwester traf, um dem Ganzen keinen unangenehmen Beigeschmack aufgrund früherer Ereignisse zu geben. Ich schlurfte kurz vor 17 Uhr zur Wohnungstür, als ich die Klingel hörte und ließ Aryana rein. Nach ein paar Sekunden kam sie oben an, ich erwiderte die Umarmung mit einem “Hi. Danke fürs Kommen.” und bemühte mich zumindest kurz um ein Lächeln, als ich zur Seite trat, um ihr Platz zu machen. Erst als ich die Tür wieder hinter ihr zumachte und sie mich daraufhin halbfragend ansah, setzte ich zu weiteren Worten an: “Wir bleiben hier… mich alle paar Meter nach hinten umzusehen, ist mir grade zu viel.” Ich schaffte es nicht, Sarkasmus in diese Worte einfließen zu lassen, also klang es exakt so ernst, wie es die Umstände leider auch waren. “Willst du was trinken?”, mimte ich allem voran den guten Gastgeber, als ich schon auf halbem Weg in die Küche war, um mir selbst ebenfalls etwas zu holen. Ich schwankte noch zwischen einem Bier und einer Cola - beides langfristig nicht gut für ohnehin schon nervöse Nervenbahnen, aber darauf kam es kaum noch an. Mein Zustand war sowieso schon zu ungesund übergegangen und das würde vor meiner Abreise nicht mehr besser werden. “Was hat Faye dir schon erzählt? … Hast du mit Ryatt gesprochen?”, schob ich Aryana gleich zwei Fragen zu, die für den Gesprächsverlauf meinerseits relevant waren, während ich noch am Kühlschrank stand. Die beiden Schwestern hatten schon telefoniert. Es war auch möglich, dass Ryatt bereits auf sie zugekommen war, obwohl er gesagt hatte, es eher nur als eine letzte Absicherungsmöglichkeit zu sehen, die beiden Vollzeit-Soldaten einzuweihen und im entsprechenden Zeitrahmen nicht auf eine Mission zu senden. Für mich wirkte er inzwischen per se doppeldeutig und zwielichtig, also gab ich auf seine Worte nicht allzu viel.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Auf den Dank erwiderte sie erstmal nichts. Es war nett, dass er sich bedankte, aber irgendwie auch selbstverständlich, dass sie eben herkam, wenn hier mal wieder das Schiff am Sinken war. Lag einfach grundsätzlich in ihrem eigenen Interesse, ihr Möglichstes dafür zu tun, dass es ihm und Faye besser ging. Bekanntlich wohnte hier gefühlt ihr halbes Herz und das schwamm und sank mit Victor und Fayes Wohlbefinden. Und das sah momentan alles andere als vielversprechend aus, wenn sie die Aura des jungen Mannes annähernd korrekt deutete. Auch seine Worte waren sehr ernüchternd, wie die Paranoia doch absolut klar und unmissverständlich durchschien. Was ihre allgemeine Besorgnis jetzt nicht unbedingt linderte. So schob sie sich mit einem Nicken die Schuhe von den Füssen, weiterhin ohne einen Kommentar von sich zu geben. Die Worte sparte sie sich noch auf, liess vorerst alles still auf sich wirken und nahm die Atmosphäre, die allein schon Bände sprach, in sich auf. Nachdem sie die Schuhe losgeworden war, trottete sie hinter ihm her in Richtung Küche, wo sie mit "nur Wasser, gerne", das erste Sätzchen von sich gab. Sie trank selten was anderes und das hier klang nicht nach einer Feier, die tolle Drinks verlangte. Eher nach einer Aufklärungsstunde, auf deren Inhalt die Brünette absolut keine Lust hatte. Sie wartete, bis Victor den Kühlschrank wieder geschlossen hatte, sie beide ihre Getränke in den Händen hielten und sich damit setzen konnten, bevor sie ihm die Antworten lieferte, nach denen er gefragt hatte. "Faye hat mir gesagt, dass du in drei Tagen nach Los Angeles fliegst und nicht zurückkehren wirst... Dass sie das Gleiche tun wird, aber erst Ende November. Sie hat mir auch gesagt, dass Ryatt hier war mit schlechten Neuigkeiten und dass die Hernandez scheinbar doch nicht abgeschlossen haben mit euch... Allerdings meinte sie, dass sie das lieber persönlich besprechen würde als am Telefon. Ich hab nicht weiter nachgefragt, nachdem sie mir versichert hat, dass wir sehr bald reden würden", begann sie mit der Auflistung der Fakten, die sie von ihrer Schwester bisher zu Ohren bekommen hatte. "Ryatt hat uns vorgestern herbeizitiert und uns unseren angepassten Zeitplan für die nächsten zwei Monate zu kommunizieren. Wir fliegen noch einen Einsatz, der übermorgen beginnt und wohl nur eine Woche dauert, dann sind wir bis zum siebten Dezember voraussichtlich hier. Er hat gesagt, dass das mit euch zusammenhängt, meinte aber auch, dass wir Faye nach der ganzen Erklärung fragen sollten, damit sie sagen kann, was sie will... Oder eben du", lieferte sie die zweite Antwort, die noch nicht so vollständig ausfiel, wie sie sich das wünschte. Aber das war einer der Gründe, warum sie hier war - um diese Wissenslücke zu schliessen. Das sagte auch ihr Blick aus, der nun von ihrem Glas zu Victor wanderte und ihn fragend musterte. "Was ist passiert, Victor?", fragte sie direkt und ohne Umschweife, wie sie das eben am liebsten tat, nach dem Rest der Wahrheit. Jetzt, wo sie ihm Rede und Antwort gestanden hatte, war es an der Zeit, dass er Gleiches tat. Wahrscheinlich hatte er ohnehin nur darum nach ihrem Wissensstand gefragt, damit er wusste, was er ihr alles zu erzählen brauchte... Einiges, ihrer Meinung nach.
Mit dem Wasserglas für Aryana und der geöffneten Flasche Bier, die mir höchstens zu minimaler Emotionslinderung verhelfen würde, gesellte ich mich zu der älteren Cooper an den Küchentisch. Es spielte mir keine Rolle, ob wir einfach gleich hier blieben oder ob wir uns schief auf das Sitzpolster des Sofas schmissen. Letzteres würde kaum zu besserer Atmosphäre beitragen. Angesichts der Faktenlage war das quasi unmöglich. Ihren Worten hörte ich aufmerksam zu und nickte ein paar Mal kaum merklich vor mich hin. Mehr für mich selbst, während ich geistige Notizen machte. Die junge Frau auf der anderen Seite des Tisches fragte am Anschluss nach ihrem Statusbericht auch direkt nach der Ursache für dieses heillose Chaos, was mich allem voran leise Seufzen und einen Schluck vom Bier nehmen ließ. Egal wie oft ich mich in den vergangenen Tagen mit der Wahrheit konfrontiert hatte, wurde sie einfach nicht besser, je öfter man darüber nachdachte. Ganz im Gegenteil. “Faye hat mir bisher nur gesagt, dass du mehr über die ganze Sache weißt, als es laut den Hernandez der Fall sein sollte… ich versuchs also einfach mal mit der Kurzfassung: Ryatt sollte ja in deren Auftrag das Geld für Seans Kaution besorgen und der Lohn von Easterlin war dafür von vornherein nicht ausreichend. Er hat bis heute keine Möglichkeit gefunden, sich das noch fehlende Geld von dem reichen Sack oder irgendwo anders zu holen und ihm läuft jetzt akut die Zeit davon. Er hat noch genau bis zum 4. Dezember Zeit, um die Summe auf den Tisch zu legen… und vor drei Tagen war er im letzten Meeting mit diesem Abschaum, danach ist er direkt zu uns gekommen. Sie haben nicht wortwörtlich, aber trotzdem überdeutlich damit gedroht, Faye und mich in diese Sache wieder mit reinzuziehen, wenn die Scheine nicht rechtzeitig da sind… die Bedrohung ist also erneut sehr real und deswegen sehe ich so aus, wie ich aussehe.”, erklärte ich im Abgang mit einem verbitterten Lächeln und machte mit der Flasche in der Hand eine ausschweifende Handgeste über den Tisch. Ich machte mir da selber nichts vor. Man sah überdeutlich, dass ich zu wenig schlief. Der innere Konflikt, Faye mit dieser Gefahr allein zu lassen und gleichzeitig sofort hier weg zu wollen, stand mir quer übers Gesicht geschrieben. Auch die Angst davor nachts einfach wieder eingesammelt zu werden, natürlich, denn die brauchte ich am allerwenigsten zu leugnen. “Ich hätte in ein paar Tagen ohnehin wieder zur Arbeit gemusst… zur Auswahl stand, noch in Seattle zu bleiben für über ein Jahr, oder gleich nach Los Angeles zu gehen. Faye und ich wollten sowieso umziehen, langfristig gesehen. Nur halt eigentlich nicht so. Nach Ryatts Hiobsbotschaft war dann aber klar, wo es schon jetzt für mich hingeht.", erklärte ich meinen plötzlichen Aufbruch etwas genauer. Ich schüttelte mit einem schweren Atemzug den Kopf und sah auf die Flasche runter. Man konnte diese gottverdammte Scheiße eben einfach nicht schön reden. Ich hatte inzwischen lange genug nach irgendwelchen positiven Aspekten gesucht. Der einzige war, dass ich endlich das neue Leben bekam, dass ich haben wollte. Ob Faye es in dieses Bild tatsächlich ebenfalls unversehrt schaffte, wenn sie bis Ende November hier bleib, stand dabei in den Sternen. "Faye will noch länger hierbleiben… wegen ihrer Kündigungsfrist. Wenn sie wieder überstürzt den Job schmeißt, macht sich das schlecht beim Neustart in L.A.", erklärte ich im nächsten Atemzug, warum ich Aryanas jüngere Schwester nicht gleich mit in meinen Koffer packte. "Und deshalb wiederum hat Ryatt angeboten, dass er dich und Mitch so einteilt, dass ihr hier Zuhause seid, wenn… der 4. Dezember näher rückt.", erklärte ich indirekt die Intention hinter Ryatts Planung für die nächste, recht lange, mehr oder weniger arbeitsfreie Zeit des Paares. Ich hob die freie Hand an, um mir einmal über das gefühlt schon vor dem Bier verkaterte Gesicht zu reiben. "Ich hab Faye von Anfang an gesagt, dass ich hier sofort weg bin, wenn sowas passiert. Trotzdem ist allein der Gedanke daran, nach L.A. zu fliegen und sie hier zu lassen, der blanke Horror für mich… aber ich kann das nicht… nicht nochmal." Am liebsten hätte ich nach diesen Worten einfach den Kopf auf den Tisch gelegt und mich all den negativen Gefühlen hingegeben. Mein Therapeut, der sich gestern für eine Notfall-Sitzung bereit erklärt hatte, hatte ungefähr eine Million mal betont, dass es in Ordnung war, dass ich - wie wir es sowieso schon oft vor meiner Rückkehr zu Faye besprochen hatten - aus Selbstschutz ging und dass ich es tunlichst vermeiden sollte, noch einmal in dieser Tragödie zu versinken. Es hatte lange genug gedauert, bis ich mich davon erholt hatte und es war schlimm genug, dass diese Errungenschaft sich in diesem Augenblick so nichtig anfühlte.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Er hatte relativ viel zu erzählen... was jetzt nicht unbedingt gegen ihre Erwartungen sprach. Auch dass der Inhalt seiner Worte absolut beschissen war, hatte sie kommen sehen. Das konnte die steile Falte, die sich auf der Mitte ihrer Stirn bildete, während er sprach, jedoch keineswegs vorbeugen. Dafür war das alles einfach wirklich viel zu scheisse. Viel zu gefährlich. Der 4. Dezember war sehr nah beim 30. November - zu nah. Und sie konnte sehr gut nachvollziehen, dass Victor sich in dieser Lage absolut nicht wohl damit fühlte, ein neues Leben in LA zu starten, während Faye zu lange noch hier blieb. Aryana versuchte, ihre Gedanken soweit zu ordnen, dass sie nach und nach auf das Gesagte eingehen konnte, mit ihrer Anwesenheit wenigstens irgendeinen Mehrwert stiften konnte und die Situation zu lindern. Eine gefühlt unmögliche Aufgabe angesichts der Umstände... "Faye hat mir erzählt, was damals passiert ist... Relativ detailreich. Ausführlich genug, dass sie mich dann auch sehr vehement darum bitten musste, nicht persönlich den Kontakt zu diesem Abschaum der Menschheit zu suchen", murmelte Aryana als Erstes, um Victor ihrerseits über ein paar Umstände aufzuklären. Sie hätte damals am liebsten direkt nach den Hernandez gesucht, um drei bis vier Seelen mehr auf ihr Mordkonto zu rechnen. Ausnahmsweise wären das für sie auch ethisch bestens vertretbare Morde gewesen. Nur halt keine gute Idee, innerhalb der Vereinigten Staaten Menschen zu töten, wenn sie nicht vorhatte, ihr Leben auf der Flucht zu verbringen... Faye hatte es ihr also erfolgreich ausgeredet. "Wenn ich so darüber nachdenke, ist es vielleicht schade, dass ich auf sie gehört habe...", fügte sie dem Gedankengang folgend hinzu, wobei der Sarkasmus in ihren Worten eindeutig zu trocken war, um hier von einem Scherz zu sprechen. Es wäre wesentlich einfacher, wenn diese Pestbeulen nicht mehr existieren würden. "Aber auch abgesehen davon würde ich verstehen, wenn du so schnell wie möglich hier weg willst. Und ich glaube, das ist auch eine sehr gute Idee, die Faye sicher zu hundert Prozent unterstützt", bekräftigte sie das Nervenbündel auf der anderen Seite des Tisches erstmal darin, hier bitte schnellstens zu verschwinden. Es war schlicht niemandem gedient, wenn zwei Personen in Gefahr waren, statt nur eine. Aryana hatte bisher das Glas betrachtet, welches sie nachdenklich zwischen ihren Fingern gedreht hatte, hob nun aber den Blick an, um Victor direkt anzuschauen. "So wie Faye mir erzählt hat, war die Tatsache, dass du ebenfalls durch diese Hölle geschleift wurdest, das absolut Schlimmste an der ganzen Sache gewesen für sie. Du hast ja selbst mitbekommen, wie sehr sie sich danach gehasst hat - hauptsächlich genau aus diesem Grund. Also ja - es ist definitiv die beste Entscheidung, wenn du in drei Tagen fliegst. Aber das weisst du wahrscheinlich selbst...", war für ihn ihrer Auffassung zufolge auch nicht der schlimmste Punkt. Diesen Platz nahm der Fakt ein, dass Faye länger als er der Drohung ausgesetzt hier blieb. Aryana dachte erneut einen Moment nach und liess eine Pause folgen. Versuchte irgendwas zu finden, womit sie hier dienen könnte. Eine einfache Lösung gab es logischerweise nicht, die hätten die beiden längst selbst gefunden. "Faye bleibt sicher nicht alleine hier wohnen, wenn du weg bist. Wir finden eine Übergangslösung für die Zeit, in der wir auf dem Einsatz sind, und sobald wir dann zurückkommen, kann sie für die restlichen Wochen bei uns ins Gästezimmer einziehen. Dann ist sie nicht alleine und wir bekommen sofort mit, wenn irgendwas nicht gut ist. Wir können auch helfen, hier alles aufzuräumen und zusammenzupacken für den Umzug", bot die Brünette an, was ihr einfallen wollte, zögerte dann jedoch kurz. "Ich weiss, das reicht nicht wirklich, um dich beruhigt schlafen zu lassen... Und wenn es noch was gibt, was wir tun können, kannst du das gerne sagen. Ich kann auch... das persönliche Gespräch suchen. Mit Gil, zum Beispiel", schob sie mit einem schwachen Schulterzucken hinterher. Es wäre nicht das, was Faye ursprünglich gewollt hatte. Aber vielleicht hatte sich die Meinung ihrer Schwester diesbezüglich auch geändert mittlerweile. Jetzt, wo die Gefahr wieder akut wurde. Sie könnte Mitch bestimmt problemlos dazu überreden, mit ihr loszuziehen, um hier ein paar Sachen zu regeln. Es war nur leider unklar, wie das dann ausgehen würde. Wie schwer sie sich strafbar machten, wenn sie diesen Arschlöchern erstmal gegenüberstanden.
Aryana freut sich bestimmt, dass sie ihren Geburtstag auf Einsatz verbringen darf und danach auch keinen Grund zum Feiern hat. Finds super. XD und just btw - bei mir ist Rileys Banner im Anmelde-Thread lost. ^^ ___________
Es war gut zu wissen, dass Aryana inzwischen darüber informiert war, was damals passiert war. Es vereinfachte so einiges, wenn sie wusste, womit wir es hier potenziell nochmal zu tun bekamen. Obwohl ich mir eigentlich auch vorher schon sicher damit gewesen war, dass sie die damalige Nacht keinesfalls als mild einstufte. Dafür war Fayes und auch mein eigener Zustand viel zu katastrophal gewesen. Mit einem etwas längeren Blick auf die lange Brandnarbe an meinem Unterarm war ich mir nicht sicher, ob ich Aryana zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls daran hätte hindern wollen, dieser Teufelsbrut die Leviten zu lesen. “Dass du Bescheid weißt, macht einiges leichter.”, tätigte ich dazu nur eine sehr allgemeine Aussage. "Und ja, das… hat uns leider noch ziemlich lange verfolgt.", bestätigte ich mit einem erschöpften Seufzen, dass Faye und damit auch unsere Beziehung noch sehr lange ein Problem mit dieser Schuldgeschichte gehabt hatte. Bei meiner Abreise damals hatte das noch überdeutlich spürbar zwischen uns gestanden. Zusammen mit der gut sichtbaren Narbe auf ihrer Brust. Ganz gleich wie gut ich wusste, dass es das Beste für alle Beteiligten war, wenn ich mich in sicheres Terrain unter dem Deckmantel der Arbeit brachte, lag diese Sache dennoch schwer auf meinen Schultern. Immerhin hatte Ryatt mit der freien Zeit für Aryana und Mitch nicht gespart. Sie würden so genug Zeit dafür haben, der zierlichen Brünetten mit dem ganzen Mist hier zu helfen, den wir normalerweise zu zweit als Paar hätten erledigen sollen. Es erleichterte mich, dass Fayes Problem mit der alleinigen Wohnsituation sich durch das befreundete Paar bereits ziemlich vollständig in Luft auflöste und hätte die ältere Schwester es nicht von sich aus angeboten, hätte ich ziemlich sicher danach gefragt. Ich fühlte mich damit zumindest einen Funken besser. Bis hierhin hatte ich noch nichts darauf erwidert, als die Brünette noch das mögliche persönliche Gespräch zur Sprache brachte. Erst da sah ich ein weiteres Mal vom Tisch auf. Mit so neutraler Miene, wie es mir in diesem Moment möglich war, musterte ich ihr Gesicht für wenige Sekunden lang. Dachte dabei daran zurück, wie sie damals von ihrer Fahrt mit Warren zurückgekommen waren, mit einem bereits im Sterben liegenden Vorgesetzten. Wir hatten darüber nie geredet und das mussten wir auch nicht. Es war damals in Ordnung für mich gewesen und das war es heute noch. Aber damals war es Syrien gewesen und nicht die Staaten. Wüste gegen Zivilisation zu tauschen war minimaler Wahnsinn. Hier wussten sie zwar von den gestörten Geschwistern, nicht aber von dem System um sie herum. Dabei konnte so viel schiefgehen. Dass ich überhaupt kurz darüber nachdachte, präsentierte meine Verzweiflung auf dem Silbertablett. “Ich bin froh über jede Hilfe, die wir kriegen können, Aryana.”, setzte ich ihr Angebot erstmal in das richtige Verhältnis zu meiner Dankbarkeit. Nein, das allein ließ mich sehr wahrscheinlich nicht ab sofort wieder schlafen wie ein Stein, aber es half dennoch ungemein. Auch wenn das keine Lösung für das Problem selbst war. Die hätte ohnehin Ryatt längst finden sollen und nicht Aryana. “Und auch, wenn ich es sehr zu schätzen weiß, dass du dich zur Not auch persönlich mit diesen Sadisten auseinandersetzen würdest… ist das zu gefährlich. Selbst wenn Ryatt da noch Infos für euch hätte…”, ich sah zurück auf die Tischplatte und schüttelte langsam den Kopf. Mitch würde Aryana das nicht alleine machen lassen - Stichwort syrisches Selbstmordkommando. Die beiden bildeten eine wirklich gute Einheit, wenn es darauf ankam, aber wenn sie Gil alleine irgendwo aufsammelten, dann kam er danach mit der Pest wahrscheinlich auch noch auf die beiden zurück und nicht nur auf Faye. Und sich dann noch mit allen auf einmal unterhalten..? “Ich kann an dieser Stelle nicht mehr sagen, dass du dir das ein für alle mal aus dem Kopf schlagen sollst, weil die ganze Situation dafür in meinen Augen schon viel zu weit fortgeschritten ist… und ich jeden dieser Psychopathen allzu gerne erbärmlich abkratzen sehen, würde…” Das nur mal so am Rande erwähnt, als wäre das irgendwie normal. Pazifismus in allen Ehren - sie verdienten es nicht anders. Ich wünschte ihnen inzwischen jede einzelne Misshandlung, sei es nun körperlich oder psychisch, in tausendfachem Ausmaß zurück. Vielleicht würden sie sich danach freiwillig selbst unter die Erde bringen. “...aber tut das nicht, solange nichts passiert ist. Sie schon vorab zu provozieren könnte noch viel übler ausgehen. Nicht nur für Faye, sondern auch noch für euch beide. Schwer zu sagen, was die Folgen eines solchen Gesprächs wären… schon nur deswegen, weil sie ja ihre Kontakte bei den Bullen haben. Aber möglicherweise kann Ryatt das alles besser einschätzen, als Faye oder ich...” Ich zuckte abschließend ebenfalls mit den Schultern und nahm zwei Schlucke von dem kalten Bier. "Es ist eben leider auch nicht so, als wäre mir in der Zwischenzeit schon irgendeine Lösung für diese gottverdammte Scheiße eingefallen." Was kein Wunder war, so schief wie mir der Kopf auf den Schultern hing.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Die hat die Vorstellung eines schönen Geburtstags glaub ich schon länger aufgegeben... x'D Joaaa die Seite, auf der ich die Banner immer hochgeladen habe, hat wohl mal wieder ne Depression... Die alten von Faye & Aryana sind nämlich auch weg. Mal schauen, vielleicht kommen sie die Tage wieder, das kommt manchmal vor - sonst lad ichs vielleicht irgendwann wieder hoch... x'D _______
Für ihn machte es das vielleicht einfacher. Für sie nicht unbedingt. Natürlich hatte sie wissen wollen, was passiert war damals, aber als Faye ihr dann ein paar Wochen vor ihrer Reise nach Denver erzählt hatte, was ihnen wirklich angetan worden war, hatte Aryana sich erstmal tagelang sehr beschissen gefühlt. Es hatte nie in ihrer Macht gestanden, ihre Schwester vor diesem Elend zu bewahren. Trotzdem hatte es ihr das Herz zerrissen, zu hören, wie grausam die beiden Nächte in der Dunkelheit gewesen sein mussten. Und jetzt, wo sie das wusste und zeitgleich hörte, dass sich genau dieser Horror zu wiederholen drohte, war dieses Wissen auch kein Vorteil. Sie hätte die Situation auch ernstgenommen, ohne zu wissen, dass ein wahnsinniger Psychopath ihrer Schwester seine Besitzansprüche unter die Haut geritzt hatte. Aber da waren sie nun. Alle in voller Alarmbereitschaft und zwei mit schwerwiegender Paranoia, gepaart mit eigentlich verarbeiteten PTSDs. Und sie mal wieder etwas zu bereit, eine Situation, in der es darum ging ihre Schwester zu rächen und zu beschützten, mit einem oder mehreren Morden zu lösen. War vielleicht auch nicht das Gedankengut eines normalen, gesunden Durchschnittsbürger. Sie seufzte schwer, als Victor ihre Hilfe in diese Richtung mit der Begründung ablehnte, dass das zu gefährlich wäre. Wenn es so gefährlich war, war es dann nicht umso wichtiger? Dann war das immerhin genau die Gefahr, die Faye drohte. Konnten sie denn mit diesem Risiko leben? Immerhin schien Victor realistisch genug zu sein, die Option einer Lösung nicht zu hundert Prozent auszuschliessen. Aber für den Moment schob er ihr trotzdem ebenfalls einen Riegel vor. Natürlich. Sie sollte vielleicht aufhören, sich wie eine selbsternannte weibliche Version von Dexter Morgan zu verhalten und ständig selbst Gott spielen zu wollen, bloss weil sie vor langer Zeit vom Glauben an diesen überirdischen Richter abgefallen war. Das Problem war nur, dass ja sonst keiner diesen Psychopathen den Weg zeigte wollte, wenn sie es nicht tat. "Okay... aber wenn trotz allem irgendwas passiert, garantiere ich für nichts mehr. Ich weiss nicht, inwiefern ich mich dann noch daran erinnern werde, wie gut oder schlecht ihr meine Lösungsansätze findet...", murmelte sie, bevor sie das Wasserglas an ihre Lippen hob, um sich minimal von den langsam sehr dunklen Gedanken abzulenken. "Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass du oder irgendwer hier eine Lösung finden wird. Die Lösung ist, dass ihr beide hier verschwindet, so schnell wie möglich. Und das steht ja sowieso schon auf dem Plan. Der Rest wird irgendwann einfach Ryatts Problem sein müssen, bei dem ihm leider einfach keiner mehr helfen kann", sie hob erneut schwer die Schultern an und deutete damit eine Geste der Hilflosigkeit an. Es tat ihr ja ein bisschen leid für Fayes Bekannten. Sie war sich sicher, dass er das trotz diverser Fehltritte eigentlich nicht verdient hatte. Aber wenn die Justiz nicht gegen solche Probleme ankam, dann würde es Ryatt irgendwann den Kragen kosten, dass er gegen Sean ausgesagt hatte. Und dagegen konnten sie alle nichts verrichten. "Kann ich denn sonst irgendwas für dich tun? Abgesehen von auf Faye aufpassen, so gut ich das kann?", erkundigte sie sich nach weiteren Baustellen, die sie besser bearbeiten könnte, als die ungewisse Bedrohung durch ein Pack Wahnsinnige.
Ich fühlte kaum irgendwas in diesem Gespräch so sehr, wie Aryanas schweres Seufzen. Es schien ja ohnehin so zu sein, dass uns die Gefahr grundsätzlich immer so lange jagte, bis sie uns in ihren grauenvollen Klauen hatte. Insofern gesehen war es vielleicht idiotisch, dieses niemals enden wollende Schicksal weiter hinauszuzögern. Ich hatte mir auch schon mehr als einmal gewünscht, einfach ein bisschen Gott spielen und beliebige Menschenleben auslöschen zu können - so funktionierte die Welt nur leider nicht. Also in der Theorie ging das schon, nur die Folgen davon in der Praxis auszubaden, wäre verheerend. Mitch wollte nicht wieder in den Knast und Aryana hatte diese Erfahrung mit Sicherheit auch nicht nötig. “Ich finde deine Ansätze längst nicht so schlecht, wie ich sie vielleicht finden sollte… und ich bin schon lange über den Punkt weg, an dem ich in so einem Fall dann immer noch sagen würde tu’s nicht. Ich will schließlich nicht, dass Faye das nochmal von vorne bis hinten durchmachen muss… aber ich möchte auch nicht, dass du und Mitch straight jeweils in einen anderen Bau wandert, wenn es vermeidbar gewesen wäre.”, seufzte ich und stellte die Flasche ein Stück bei Seite. Hob die Hände mit auf der Tischplatte angewinkelten Ellenbogen an, um mir erneut das Gesicht zu reiben. Diesmal aber etwas länger, während ich darüber nachdachte, was ich auf den Rest ihrer Worte noch erwidern sollte - beziehungsweise was davon ich mir verkniff und was nicht. War halt nach wie vor nicht so, als würde Ryatt mir Irgendwas bedeuten oder als hätte ich irgendeinen anderen guten Grund dafür, ihn auch nur mögen zu wollen. Er brachte nichts als Chaos in mein Leben. “Es geht mir ziemlich am Arsch vorbei, ob das an Ryatt hängen bleibt.”, stellte ich ganz meinen Gedanken folgend nüchtern fest, kaum hatte ich die Hände zurück auf den Tisch fallen lassen. “Er hat uns das alles doch überhaupt erst eingebrockt… es wäre also nur fair, wenn er es am Ende auch ausbadet. In welcher Form auch immer.”, brachte ich noch eine recht überflüssige Begründung vor, die Aryana sich wahrscheinlich auch selbst bestens denken konnte. Das war natürlich nicht der alleinige Grunde, aber der einzige, den ich an dieser Stelle vorbringen wollte. Meine Einstellung dazu würde sich wohl nicht allzu bald ändern. Auf ihre Frage hin blickte ich erneut auf den Tisch und musterte nachdenklich die Platte. "Ich weiß nicht…" Eigentlich gab es wahrscheinlich nichts, womit sie mir helfen konnte. Dass sie auf Faye aufpasste, war das mit Abstand wichtigste. All die Probleme, die in naher Zukunft auf mich zukommen würden, warteten in L.A. auf mich. “Von euch beiden ist wahrscheinlich eher Mitch der Eifersüchtige, oder?”, stellte ich der Brünetten eine Frage, statt ihr eine richtige Antwort auf ihr Hilfsangebot zu geben. Ich sah noch ein bisschen länger auf den Tisch, bevor ich den Blick stückweise zurück in Aryanas Gesicht richtete.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Tja das war dann wohl die Gefahr, die mit dieser Art von Selbstjustiz einherging. Und klar wollte sie das auch nicht. Natürlich wünschte sie sich ein Leben in Freiheit mit Mitch - irgendwann, wenn sie denn überhaupt erstmal wirklich frei wären. Aber dieser Staat gab sich halt einfach echt sehr wenig Mühe, ihr diese Arbeit abzunehmen und selbst für Gerechtigkeit zu sorgen. Sie wussten alle sehr gut, was das letzte Mal, als sie die Sorge um Justiz der Polizei überlassen hatten, passiert war. Nichts Gutes, um die Sache mild zu formulieren. "Ich weiss, ich weiss... Ich habe auch nicht vor, rauszustürmen und jemanden auf offener Strasse zu erschiessen... Auch wenn das einige Probleme lösen würde", seufzte sie in einem Versuch, ihn diesbezüglich zu beruhigen - und sich selbst von einem etwas zu verlockenden Gedanken abzubringen. Sie funktionierte nicht ganz so selbstzerstörerisch. Jedenfalls nicht immer. Nicht, wenn es sich vermeiden liess. Und in diesem Fall war es wahrscheinlich eine Frage der Zeit, wie lange es noch vermeidbar blieb... Bezüglich Ryatt konnte sie Victor beruhigen - sie hing nicht wesentlich mehr an dem Veteranen als er. Auch wenn er sich entschuldigt hatte, hatte sie nicht direkt vergessen, wie er damals vor ihrer Tür und in ihrer Wohnung gestanden hatte. Hatte nicht vergessen, dass er sie bedroht hatte, um etwas zu kriegen, um das er sie auch einfach erstmal nett hätte bitten können. Allgemein hatte Ryatt - wie Victor schon sagte - nicht gerade einen positiven Einfluss auf ihr Leben gehabt und er hatte sich vieles von seinem Elend mit falschen Entscheidungen selbst eingebrockt. "Keine Sorge... ich bin nicht diejenige, die du davon überzeugen musst, das alles einfach sein Problem sein zu lassen...", meinte sie mit einem Hauch Ironie, weil sie sich schon sehr gut vorstellen konnte, was ihre liebe Schwester im Gegensatz zu ihr von Ryatts Karma hielt. Es war ihr zwar selbst ein Rätsel, warum Faye derart an einem Menschen hing, der so viel Trauma in ihr Leben befördert hatte, aber es war auch bekannt, dass Faye ein kleines bisschen anders tickte als Aryana. In vielen Bereichen, aber definitiv auch in diesem. Sie würde sich nichtmal unbedingt als besonders egoistische Persönlichkeit bezeichnen. Bei ihr war die Priorisierung nur sehr viel steiler. Da kamen Mitch und Faye, dann Victor und sie selbst... und dann sehr lange niemand mehr. Und das bedeutete eben, dass sie nie im Leben das Wohl von einem von ihnen riskieren würde, um Ryatt vor den Folgen seiner falschen Entscheidungen zu bewahren. Wahrscheinlich sah Victor das relativ ähnlich. Und Mitch sowieso. Auf ebendiesen kam Victor gleich darauf im Nebensatz zu sprechen, wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang, mit dem Aryana gerade nicht unbedingt gerechnet hätte. Eifersucht? Irgendwie hatte sie das bis jetzt nicht in Betracht gezogen. Auch wenn es gar nicht so absurd war, wenn man bedachte, wie viel Zeit Faye mit Ryatt verbracht hatte, während Victor in der psychischen Rehabilitation gewesen war. Ihr Blick lag also für ein paar Sekunden etwas erstaunt auf Victor, bevor sie überhaupt über die Antwort auf seine Frage nachdachte. Die war allerdings nicht so schwer zu finden, Victor hatte sie bereits vorgeschlagen. "Schon, ja... Mich hats bisher nicht wirklich erwischt", gab sie ihm Recht in seiner Vermutung. Mitch zeigte sich glücklicherweise ebenfalls nicht gerade hochgradig eifersüchtig, was auf Dauer Gift für jede Beziehung wäre. Aber es hatte in der Vergangenheit schon Situationen gegeben, wo Eifersucht ein Thema gewesen war. Meistens dann, wenn auch sonst alles schief lief. "Ich nehme an, du fragst wegen Ryatt..?", folgte nun ihrerseits eine Suggestivfrage mit der naheliegendsten Begründung. Die Frage war zwar geschlossen formuliert, ihr Blick verriet jedoch trotzdem, dass er gerne ausführen durfte, was ihm auf dem Herzen lag, falls ihm der Sinn danach stand. Bloss weil sie seine Empfindungen nicht aus eigener Erfahrung kannte, bedeutete ja nicht gleich, dass sie nicht trotzdem nachvollziehen konnte, warum er in seinem Fall so fühlte. Sie war nie in einer vergleichbaren Situation gewesen. Falls es das überhaupt gab.
Dann war die Sache mit dem nicht ganz so netten Gespräch mit Gil jetzt vorerst abgehakt. Obgleich Aryana deutlich mehr zu Impulsreaktionen tendierte als Faye oder ich, war sie glücklicherweise nach wie vor nicht ganz so kopflos, wie Mitch das früher gewesen war. Oder stellenweise immer noch war - das konnte ich nicht allzu gut beurteilen, solange wie ich weg gewesen und so selten wie ich den jungen Mann in letzter Zeit gesehen hatte. Kam vielleicht auch bei ihm auf den Kontext an, aber bei den Treffen in unserer Viererrunde hatte er dennoch so gewirkt, als wäre er jetzt definitiv eine ganz andere Person als kurz nach seinem Knastbesuch. Was Ryatt und Faye anging, war die Eifersucht eher nicht mein einziges Problem. “Wem sagst du das…”, erwiderte ich mit einem tiefen Atemzug. Für mich fühlte es sich vollkommen irrational an, Ryatt in der Zukunft noch in irgendwelche Schadensbegrenzungspläne einzubeziehen - ihn mit auf die sichere Seite ziehen zu wollen. Ich war wirklich Niemand, der bereitwillig andere Menschen einem solchen Übel wie den Hernandez auslieferte. Bei Ryatt war das jedoch anders, weil er nun mal selbst daran Schuld war, sich auf diese Unmenschen eingelassen zu haben. Aus der Not heraus hin oder her - das rechtfertigte nicht, dass er jetzt ständig uns in Not brachte, um es überaus mild zu formulieren. “Ich kann Faye wohl erst glauben, dass sie ihn tatsächlich auf der Strecke lassen wird, wenn’s dazu kommt.”, stellte ich mit einem schwachen Schulterzucken fest. Auch wenn die zierliche Brünette beteuerte, dass Ryatts Rettung nicht mehr ihre Priorität war - ich würde mir erst sicher damit sein, wenn es tatsächlich passierte. Denn Leuten zu helfen und sie zu retten lag Faye im Blut wie kaum etwas anderes. Als Aryana bestätigte, dass eher Mitch von ihnen beiden zur Eifersucht neigte, holte ich mir leicht nickend wieder die Bierflasche ran. Nur um mit perfektem Timing den nächsten Schluck zu nehmen, als die ältere Cooper eine alles andere als weit hergeholte Frage stellte. Mir war das Ganze nach wie vor unfassbar unangenehm. Rein objektiv betrachtet hatte ich für diese Eifersucht schlichtweg keinen Grund - ich sah, meiner Meinung nach, besser aus als er, ich war lange vor ihm in Fayes Leben gewesen und ich brachte inzwischen sehr viel weniger Probleme mit als der hinkende Veteran. Trotzdem war das Gefühl da. “Das ist mir jetzt echt peinlich, aber… ja.” Meine Augen klebten da schon längst wieder an der Tischplatte. “Ich weiß einfach nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich hab vorher nie zu Eifersucht geneigt.”, stellte ich allem voran eine Tatsache in den Raum. Wenn ich eine Partnerin hatte, dann vertraute ich ihr. Anders wollte ich keine Beziehung führen, weil das für mich keinen Sinn ergab. Wenn man Jemandem vertraute, dann sollte es eigentlich keinen Grund zur Eifersucht geben. “Es ist auch nicht so, als würde ich Faye nicht mehr vertrauen oder ihr nicht glauben, dass dieses… was auch immer mit ihm vorbei ist. Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich nicht verstehe, warum sie ihn so unbedingt als Freund zu brauchen glaubt… oder daran, dass ich für meinen Teil schon immer schlecht darin war, solche Dinge wieder hinter einer rein platonischen Grenze zu vergraben. Oder möglicherweise auch daran, dass es für meinen Geschmack zu viele Parallelen zwischen uns beiden gibt.” Ich kam mir nicht weniger dumm damit vor, je länger ich darüber redete. Denn das machte doch sehr offensichtlich, dass ich mich nicht erst seit einer Stunde mit diesem Gefühl herumschlug. Dass ich schon eine ganze Weile darüber nachdachte und dass das Gefühl so auch eher nicht weniger wurde. Wenn ich es nicht verstand - jedenfalls nicht restlos - dann konnte ich dieses Gefühl allerdings auch nicht wieder begraben. Mein Therapeut war diesbezüglich auch nur semi-hilfreich gewesen. Er hatte mir bestätigt, dass mich ungefähr alle diese Gründe triggern könnten, es aber auch schlichtweg nach wie vor mit der tief verankerten Verlustangst im Hinblick auf Faye verknüpft sein könnte. Beides in Kombination - plus Bedrohung durch die Pestgeschwister - war ungünstig, sollte sich jedoch in Luft auflösen, wenn wir erstmal wie geplant beide in Los Angeles und der Störenfried sehr weit außerhalb unseres Radius war. Ich hatte allerdings denkbar wenig Lust dazu, mich noch bis Ende November mit diesem Gefühl herumzuschlagen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie hatte im Verlauf des letzten Jahres beobachtet, wie Fayes Freundschaft zu Ryatt gewachsen und doch sehr vertraut und eng geworden war. Und auch wenn sie es für niemanden gehofft hatte, war es doch ein bisschen zu erwarten gewesen, dass Victor diese Entwicklung nicht ganz kommentarlos aufnehmen würde und er sich an der ein oder anderen Sache stören würde. Allem voran wohl einfach an der Tatsache, dass es ausgerechnet dieser Mann sein musste, mit dem Faye in Victors Abwesenheit so viel Zeit verbracht hatte. Hätte auch ein Arbeitskollege sein können. Irgendein Bekannter. Oder schlicht und einfach eine Freundin statt ein Freund... Ihre Schwester hatte es ja ursprünglich gar nicht darauf angelegt, wieder in Kontakt zu treten mit dem Veteran. Soweit sie das mitbekommen hatte, war das ja ein eher zufälliges Aufeinandertreffen gewesen, welches dazu geführt hatte, dass Ryatt sich erst Recht in Fayes Leben eingenistet hatte. Wie die Sache jetzt wohl aussehen würde, wenn das nie passiert wäre? Hätten die Hernandez trotzdem nochmal nach Victor und Faye gesucht? Einfach, weil sie kein besseres Druckmittel hatten, da Ryatt ja leider nicht gerade mit einem ausgeprägten sozialen Umfeld glänzen konnte... Brachte nicht viel, darüber nachzudenken. Genau wie auch sie Victor nicht voraussagen konnte, wie Faye sich in Zukunft verhalten würde, wenn es um diese Freundschaft ging. Auch wenn es sehr naheliegend war, dass die Sache gegessen wäre, wenn die beiden erstmal sicher in Los Angeles angekommen waren. Ryatt würde kaum die Frechheit besitzen, ihnen dahin zu folgen oder ähnliches. So nickte Aryana etwas abwesend, hob das Glas nochmal an ihre Lippen, um ein paar Schlucke Wasser mehr zu trinken. Ihr Blick klarte wieder auf, als Victor tatsächlich bestätigte, sich hier mit einem kleinen Eifersuchtsproblem konfrontiert zu sehen und sie schaute ihn aufmerksam an. Seine Eifersucht war wahrscheinlich nicht ganz unbegründet, wenn sie so darüber nachdachte. Weniger wegen Faye, als viel mehr wegen Ryatt. Es war naheliegend, dass der gute Herr nicht nur rein freundschaftliches Interesse an ihrer Schwester hegte, oder? Er war, soweit sie informiert war, single und schien sich bestens mit Faye zu verstehen. Aryana nickte erneut ganz genauso langsam vor sich hin, ohne sofort eine Antwort bereit zu halten. Es gab auch nicht viel dazu zu sagen, sie konnte Victor kaum helfen. Das klang wiederum nach einem dieser Probleme, die sich erst mit dem Umzug definitiv lösen würden und das wussten sie sicher beide auch ohne ihre wörtliche Bestätigung. "Das Ding ist halt, dass es für sie ebenfalls schwer sein dürfte, ihn jetzt noch vor dem Umzug aus ihrem Leben zu streichen... Immerhin braucht sie den Kontakt schon nur, um informiert zu bleiben, was die Gefahrenlage an der Erpressungsfront angeht... Ich denke nicht, dass es besonders sinnvoll wäre, wenn ich versuchen würde, das alles künftig über mich abzuwickeln. Finden sie beide bestimmt auch nicht sehr verlockend, weil das doch schwer nach Bemutterung klingt", meinte sie wenig hilfreich, schloss damit bereits die erste, wirklich nicht sehr gute Lösungsoption aus. "Ich glaube wirklich nicht, dass Faye dich in ihrem Leben nochmal betrügen würde, Victor. Dass sie dich jemals hinter einen anderen Mann stellen würde. Und Ryatt wird sich hoffentlich auch hüten, irgendeine Aktion in diese Richtung zu starten, weil das schon sehr, sehr dreist wäre", so angesichts der Tatsache, was er schon alles verkackt und zu verschulden hatte. Faye dürfte ihm ausserdem schon gesagt haben, wo sein Platz in der Rangliste war. Normalerweise fiel es ihr ja nicht schwer, offen und ehrlich zu ihren Gefühlen gegenüber Victor zu stehen. "Du hättest sie sehen sollen, als du weg warst... solltest sie hören, jedes Mal, wenn sie von dir spricht... du solltest ihre Augen sehen, wenn sie an dich denkt, wenn sie von dir erzählt... Ich weiss, Eifersucht ist selten besonders rational zu bekämpfen, aber ich verspreche dir... wenn du sie nicht eigenhändig und sehr vehement aus deinem Leben verbannst, wird Faye dir für immer folgen, sich für immer nach deiner Hand ausstrecken und für immer nach dir suchen. Nicht nach irgendeinem anderen Mann, sondern nur nach dir."