"Ich habe nicht gesagt, dass ich es dir erzählt hätte. Aber du konntest ja nicht wissen, dass ich nicht über meinen Arbeitsort rede, normale Menschen tun das schliesslich meistens schon. Und normale Menschen hätten zumindest mal gefragt, bevor sie die Sache so angehen", drückte sie nochmal mit anderen Worten genau das aus, was sie ihm zuvor schon hatte sagen wollen. Dass er sich komplett seltsam verhielt und es ihr ein sehr grosses Rätsel war, wieso ihm das nicht selbst auffiel. Beziehungsweise wieso er hier aufkreuzte ohne sich davor Gedanken gemacht zu haben, wie das auf sie wirken musste. Nämlich nicht so als wäre er der Richtige, um ihr ein bisschen den Rücken freizuhalten. Allein die Formulierung führte dazu, dass ihre Augen kurz ziemlich wütend aufblitzten. Sie brauchte nicht noch mehr Vorgesetzte, hatte er das vorhin nicht rausgehört?! Ausserdem fand sie es allgemein unangebracht, dass er sich hier sofort über sie stellte, während er es doch war, der ihre Hilfe brauchte, um überhaupt einen Fuss in die Festung zu setzen. Und drittens hatte er sich mit seinem Auftauchen hier keinen Funken Vertrauen ihrerseits erarbeitet und konnte sie langsam kreuzweise. Wer wollte ihr versichern, dass er ihr dann tatsächlich den Rücken freihalten würde und nicht noch ein bisschen Shittalk bei Easterlin einreichte, um etwas beim Arschloch zu schleimen und sich damit eine noch bessere Position zu erschwindeln? Richtig, wieder niemand. "Du gibst dir hier aber wenig Mühe, um auf mich wie die beste Wahl für diesen Posten zu wirken", gab sie ihm trocken zu bedenken. Nur für den Fall, dass er noch nicht gemerkt hatte, dass sie ihm hier keinen Meter mehr über den Weg traute. Was heute scheinbar auch nicht mehr besser werden würde, wie er mit der nächsten Antwort klarstellte. Sehr wohl spielte die Meinung ihrer Schwester hier eine Rolle! Auch wenn sie sich in diesem Moment schwer fragen musste, was Faye irgendwann in diesem Mann gesehen hatte, dass sie sich so lange mit ihm herumgeschlagen hatte. Sie schien ihn wirklich gerne gemocht zu haben - stellte sich nur die Frage nach einem fetten Warum?? Er schien jedenfalls nicht viel von Faye zu halten, wenn er sie so hatte sitzen lassen und jetzt auch noch so über sie redete. Allein dafür fand sie ihn unsympathisch und hatte sie Lust, ihm hier mal ordentlich die Meinung zu geigen. War offensichtlich auch bitter nötig, denn Ryatt hatte mittlerweile jeden Ansatz von Höflichkeit und Anstand über Bord geworfen und beendete das Gespräch mit einer unterschwelligen, angedeuteten Drohung. Und das führte doch tatsächlich dazu, dass Aryana ihn einen Moment ziemlich sprachlos anschaute. Nur ein-zwei Sekunden, dann schüttelte sie erneut den Kopf und lachte ungläubig und freudlos auf. Eigentlich hatte sie hier sitzen bleiben und darauf warten wollen, dass er sich selbst verpisste. Jetzt aber hatte sie keine Lust mehr auf sitzen bleiben, während er stand und so erhob sie sich ebenfalls zurück auf die Beine, verschränkte erneut die Arme und funkelte ihn wütend an. "Keinen anderen Weg?! Was zur Hölle ist falsch mit dir?? Und warum kreuzt du hier auf und bittest mich um einen dämlichen Gefallen, nur um mir dann sofort zu drohen, kaum bist du dir nicht mehr sicher, dass du das bekommst, was du so gerne hättest?!", zischte Aryana ihm zu, bevor er den definitiven Abgang hinlegen konnte. "Du gibst mir sehr sehr wenige Gründe, dir helfen zu wollen - geschweige denn dich dann auch noch ständig zu sehen, weil du ja gerne Arbeitsort teilen möchtest", er hatte doch gerade zweitausend Sozialstunden hinter sich - warum waren seine Sozialkompetenzen dann bitte noch immer komplett ausgestorben?? "Du hast Recht - vielleicht muss ich Faye doch nicht fragen. Vielleicht kann ich auch einfach gleich nein danke und verpiss dich, Ryatt sagen."
Ich wusste wirklich nicht, was mir in diesem Moment lieber wäre. Mir das Gesicht von der Haut ziehen, oder Aryana den Mund zu tackern? Am liebsten beides gleichzeitig. Dachte sie mir fiel das wirklich nicht selbst auf? Dass das der Grund war, warum ich nicht auf genau diesen Punkt eingegangen war? Sich weiter darüber zu unterhalten war sinnfrei. Ich könnte ihr natürlich noch sagen, dass mir dieser unnötige Weg schlicht zu blöd gewesen war und ich von vornherein gewusst hatte, ihn mir sparen zu können. Das änderte aber auch nichts daran, dass ich es nicht versucht hatte. Demnach ließ ich das Ganze einfach mit innerem Wände hochklettern so stehen. Es gab schließlich nichts, womit ich Aryana irgendwie davon hätte überzeugen können, dass mein merkwürdiges Verhalten absolut gut begründet war. Die Chance darauf, sie auf die liebe Art auf meine Seite zu bekommen, war nüchtern betrachtet von vornherein recht unwahrscheinlich gewesen, ich war also nicht maßlos enttäuscht. Es machte mir aber natürlich trotzdem keinen Spaß, sie stattdessen unter Druck zu setzen - so wie ihrem Arbeitgeber bewies sie nämlich auch mir einwandfrei, dass sie darauf hochgradig allergisch reagierte. Ich ließ mir all die überaus netten Worte von ihr einfach an den Kopf knallen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Nicht die richtige Stelle für das Temperament, Aryana. Ich war wieder stehen geblieben und hatte inne gehalten. Erst jetzt, wo die Brünette offenbar damit fertig war mich ihren Ärger spüren zu lassen, drehte ich mich ihr wieder zu. "Eine ganze Menge.", erwiderte ich mit reichlich Selbstironie und einem knappen Schnauben. Ich hielt mich zwar nicht für einen grundsätzlich falschen Menschen, aber ich hatte schon so einige falsche Abzweigungen in meinem Leben genommen und der Knacks in meinem Schädel war nicht zu leugnen. Von den Hernandez bedroht zu werden half leider nicht unbedingt dabei, zu einer besseren Version von mir selbst zu werden, obwohl ich bis dahin vielleicht auf gar keinem so schlechten Weg gewesen war. Also ja, bei mir lief gerade eine ganze Menge falsch, beziehungsweise aus dem Ruder. Ich ging langsam auf Aryana zu, meine Körperhaltung war jedoch weiterhin verhältnismäßig entspannt. "Aber um mich geht es bei dieser Entscheidung nur sekundär. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du schleust mich selbst ein oder ich bin dazu gezwungen, nach dem Zufallsprinzip mindestens einen Namen fallen zu lassen." Ich kam mit ungefähr eineinhalb Metern Abstand vor ihr zum Stehen. "Die erste Option bringt euch Pluspunkte und schützt gleichzeitig die Menschen, die dir wichtig sind... während die zweite ganzheitlich das Gegenteil bewirkt. Untätigkeit spielt dir also nicht gerade in die, wie du selber erwähnt hast, ohnehin schon schlechten Karten." Ich musterte sie noch einen weiteren langen Moment und setzte mich noch nicht wieder in Bewegung. Ich war hin und her gerissen, noch etwas zu Faye zu sagen oder doch lieber nicht, weil ich nicht einschätzen konnte, was das mit Aryana machen würde. Faye war eine Hälfte ihres Kryptonits, aber die ältere Schwester handelte offenbar gerne aus Trotz - ihren letzten Worten nach zu urteilen jedenfalls. Ging dieses Verhaltensmuster bei ihr aber so weit, dass sie das Nesthäkchen mutwillig verletzen würde? "Faye würde sich nur Sorgen machen und sich den Kopf zerbrechen, ohne jemals zu einem Ergebnis zu kommen. Das solltest du ihr ersparen.", entschied ich mich also letztendlich dazu, es trotz des Risikos noch zu sagen und ging erst danach wieder zwei, drei Schritte rückwärts, ohne den Blickkontakt zu verlieren. Ich hatte eigentlich nicht akut Angst davor, dass Aryana mir hier hinterrücks ein Messer reinrammen würde, aber sie war offensichtlich wütend und ich war nicht gewillt meine körperliche Unversehrtheit hier und heute zu riskieren. Dafür wusste ich zu wenig über sie und ich glaubte nicht, dass die Connection zu Faye allein mich vor ihrem Zorn bewahren konnte. Das griff maximal bis zu einem gewissen Punkt und auch wenn wir den noch nicht erreicht hatten, minimierte ich liebend gerne das Risiko, hier gleich irgendwas über den Hinterkopf gezogen zu kriegen. Die ganze Hernandez-Sache machte mich wieder zunehmend paranoider. In dieser Familie war eindeutig Faye das kleine Schäfchen und Aryana der Zähne fletschende Hütehund, der bei jedem noch so kleinen Warnsignal auf die Pfoten sprang. Wenn Mitch genauso war, dann würden das ein paar sehr lange und sehr anstrengende Monate für mich werden. Äußerst ironisch, dass es mich trotzdem nach wie vor sehr reizte, mit ihm Bekanntschaft zu machen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ja, in dieser Sache waren sie sich ausnahmsweise einig: Ryatt hatte einen heftigen Sprung in der Schüssel. Vielleicht nicht immer gehabt, aber spätestens in den letzten Wochen schien er sich in eine sehr ungesunde Richtung entwickelt zu haben. Sie hatte keine Ahnung, woran das lag und was – abgesehen von dem nicht so schönen Ende von Fayes Geburtstagsfeier – passiert war. Für sie war es entsprechend naheliegender, dass er schon immer so gewesen war und sich ganz einfach ziemlich lange für ihre Schwester verstellt hatte. Vielleicht hatte er vor zweieinhalb Monaten final begriffen, dass es bei Faye nichts zu holen gab und hatte darum im Anschluss entschieden, dass er sich auch keine Mühe mehr geben musste. Oder er wollte ihr tatsächlich eins auswischen, weil er wütend auf sie war. Das war komplett lächerlich, aber hier machte halt echt langsam gar nichts mehr wirklich Sinn. Was auch bedeutete, dass irgendwie alles möglich und einigermassen plausibel war. Es wäre verdammt dreckig, wenn er ernsthaft hier stehen und sie bedrohen würde, um letztendlich Faye wehzutun. Aber so langsam sank Aryanas Achtung gegenüber Ryatt auf ungefähr dieses Niveau ab. Er gab diesem Fremdbild gleich nochmal einen schwungvollen Schubser in Richtung Abgrund, als er weiterredete. Sie hätte es eigentlich erwarten können. Man kam nicht mit solchen Forderungen angetanzt, um dann in Ungewissheit wieder abzuzischen oder kläglich vertröstet zu werden. Trotzdem überschritt er hier fröhlich die nächste Grenze, die er besser gar nicht erst von Nahem gesehen hätte. Ihre Augen hatten aufgehört, Funken zu sprühen, was jedoch nicht unbedingt ein gutes Zeichen war. Sie blickte ihn ruhig und berechnend an – obwohl es absolut nichts mehr zu berechnen gab. Die Ergebnisse standen und sie hatte überhaupt keine Wahl. Konnte nicht riskieren, dass Ryatt ihrem Boss erzählte, dass er die Infos von ihr oder von Mitch hatte. Sie könnte sich ewig den Mund wund reden und beteuern, dass sie nichts mit dieser Scheisse zu tun hatte. Würde ihr keiner glauben. Und somit würde sie Easterlin natürlich Ryatts Grüsse ausrichten. Natürlich würde dieser Ryatt anstellen. Natürlich für einen Posten ein paar Stufen über ihr. Aber er konnte Gift drauf nehmen, dass er mit dieser Aktion bei ihr komplett unten durch war und sie keine Möglichkeit ignorieren würde, ihn das bis aufs Blut spüren zu lassen. Es waren Momente wie diese, in denen sie ihre nicht vorhandene Freizeitknarre wirklich vermisste. Andererseits müsste sie dann auch noch die Leiche wegräumen und das wäre auch nicht so gemütlich… Eigentlich hatte sie doch nur ihren freien Tag geniessen wollen, verdammte Scheisse. «Ich hab’ schon verstanden, Ryatt. Ich würde dir jetzt empfehlen, gepflegt die Fresse zu halten und die Biege zu machen.», erwiderte sie kalt, als er ihr noch die Vor- und Nachteile der beiden Optionen aufzeigen wollte, weil sie wohl zu dumm wirkte, um diese selbst auszurechnen. Scheinbar war er aber damit noch nicht fertig, sondern erklärte ihr auch noch weiter, wie Faye seiner Meinung nach mit den Neuigkeiten umgehen würde und wie Aryana ihre Schwester zu behandeln hatte. Das entlockte ihr doch ein langsam etwas fassungsloses Lachen, begleitet von einem weiteren Kopfschütteln. Kurz überlegte sie, ihn darauf hinzuweisen, dass er Faye am besten einfach weiterhin seine ganze Existenz ersparte, anstatt nur die Entscheidung in Hinblick auf das besprochene Elend. Aber sie hatte gar keine Lust mehr auf weitere Diskussionen und beendete lieber erneut das Gespräch – diesmal hoffentlich endgültig. «Ein Wunder hast du keine Freunde. Verpiss dich.», waren ihre letzten eisigen Worte. Sie liess den Blick nicht von ihm ab und wartete darauf, dass er sich in Bewegung setzte und einfach abhaute. Sie ihn erst dann zwangsläufig wieder sehen müsste, wenn Easterlin ihn angestellt hatte. Leider. Dank ihr. Ausser ihr fiel noch ein besonders guter Plan B ein...
Mission erfolgreich erfüllt, wie's schien. Zwar nicht zu meinen Gunsten oder denen von Irgendwem außer Sean, aber danach hatte ja auch nie Jemand gefragt. Bis ich Zuhause war schaffte ich es sicher noch, die Mauer fröhlich oben zu halten und eine reichlich ausdruckslose Mine aufzusetzen. Vielleicht auch noch ein paar Stunden länger, bis ich irgendwann dann im Bett lag - die Bar war heute zu, also wartete auch keine Arbeit zum Ablenken mehr auf mich. Spätestens im Kissen würde es mich also ziemlich sicher einholen, wie falsch sich alles von dem hier anfühlte. Dabei interessierten mich Aryanas beleidigender Tonfall und ihr abwertender Blick eigentlich recht wenig, weil ich wusste, dass ich sowas hier unter normalen Gegebenheiten niemals getan hätte und sie mich in diesem Moment für eine Person hielt, die ich nicht war. Trotzdem zwickte die letzte, abschließende Bemerkung ein bisschen unangenehm. Am Ende lag das wahrscheinlich daran, dass ich mich inzwischen einfach nicht mehr damit wohlzufühlen schien, allein zu sein und schon gerne zumindest ein oder zwei Seelen an meiner Seite hätte, denen ich vertrauen konnte. Faye hatte ich weggestoßen und es war an dieser Stelle vermutlich überflüssig zu erwähnen, dass auch der Kontakt zu meinem ehemaligen Mitbewohner im Wohnheim wieder ziemlich abgebrochen war, einfach nur weil ich aufgehört hatte mich darum zu bemühen. Da war noch Dylan, aber unser Verhältnis zueinander war auch anders seit dem Fast-Flashback. Am Ende war das wahrscheinlich gut - letztendlich machten Freunde einen nur angreifbar. Die waren einem selbst dann nicht mehr egal, wenn man sie schon vor Monaten verlassen hatte. Solche Verbindungen brauchten ewig, um wieder gänzlich zu erlischen... umso lächerlicher mein Gedanke, Faye mit diesem unsauberen Abschluss etwas Gutes zu wollen. Ob sie trotzdem noch manchmal an mich dachte? "Die machen sowieso nur Probleme.", stellte ich für mich selbst fest und zuckte vermeintlich unbeeindruckt mit den Schultern, bevor ich mich endgültig zum Flur umdrehte. Meine Schuhe warteten da sehnlichst auf mich und ich hatte absolut nicht mehr das Bedürfnis, noch weitere unangenehme Tatsachen unmissverständlich formulieren zu müssen. Wie schnell das zu sehr harten Fronten führte, war schließlich offensichtlich. Ich zog also nur noch den Umschlag wieder von der Kommode, bevor ich nach der Klinke der Haustür griff und mich auf die Flucht machte. Weniger die Flucht vor Aryana und mehr vor mir selbst und meiner eigenen Vergangenheit. Inzwischen fühlte sich Vieles nur noch nach einer stumpfen Wiederholung ursprünglich bereits überwundener Krater an und ich war es leid. Auch wenn Easterlins Geld nur eine Ausrede für die gewollte Einschleusung war, wollte ich inzwischen wirklich gerne hier weg. Könnte ich Faye einfach eintüten und mitnehmen, ohne dass es eine Menschenseele merkte, wäre das wohl meine bevorzugte Variante davon, den Hernandez endgültig durch die Finger zu rutschen und ihnen nur einen imaginären fetten Haufen dazulassen.
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Sie hatte es geahnt, als sie sich von Ryatt verabschiedet hatte. Seine Art, wie er am Ende der Nacht mit ihr geredet hatte, war ein unangenehmes Indiz dafür gewesen, wie es weitergehen könnte. Als sie in den Bus gestiegen war, hatte sie noch still gehofft, dass es nicht so sein würde – aber wie angedroht, hatte sie dann erstmal eine Woche nichts mehr von ihm gehört. Nur, dass es nicht bei der einen Woche geblieben war. Es waren zwei geworden und dann drei. Eigentlich hatte sie auf eine Nachricht seinerseits warten und ihm die Zeit geben wollen, die er brauchte. Aber die unschöne Vermutung, dass es zu einer entsprechenden Nachricht nie kommen würde, hatte sich drei Wochen lang hartnäckig gehalten. Wenn Ryatt aber wirklich keinen Kontakt mehr mit ihr wollte und mit dem Geständnis zu seiner Vergangenheit ihre Freundschaft begraben hatte, dann war sie damit nicht einverstanden. Sie hatte sich nicht von ihm verabschiedet und sie hatte ihm nicht alles gesagt, was sie ihm sagen wollte. Sie fand eigentlich auch, dass ihr dieser Abschied durchaus zustand – als das Mindeste, was nach all den Monaten noch kommen sollte. Scheinbar war sie aber allein mit dieser Meinung, denn Ryatt beantwortete keinen ihrer Anrufe und keine ihrer Nachrichten. Nach einem Monat akzeptierte sie das zwangsläufig und beschloss, ihm nicht weiter hinterher zu rennen. Es tat mehr weh, als sie das eigentlich zulassen wollte. Weil sie ungeklärte Auseinandersetzungen hasste, weil sie Angst hatte, dass er wieder in irgendeinem noch tieferen Loch endete und ganz einfach auch, weil sie ihn nicht verlieren wollte. Sie hatte sich überlegt, ob sie nochmal in der Bar vorbeischauen sollte oder sogar im Wohnheim. Aber Ryatt hatte ihr mehrfach deutlich gemacht, dass diese Freundschaft keine Zukunft hatte und vielleicht hatte er Recht… Vielleicht wäre es einfacher, den Schlussstrich jetzt schon zu ziehen. Auch wenn er ihn ziemlich dreckig gezogen hatte. Auch wenn sie wirklich wütend darauf war, dass er glaubte, sie so abservieren zu müssen. Auch wenn ihre Enttäuschung über diesen Umgang und dieses Ende sich schwer ignorieren liess. Sie hatte sich ein paar Wochen lang ganz gut abgelenkt, mit der Planung und Durchführung ihrer Reise nach Denver. Hatte versucht, nicht an Ryatt zu denken und keine Gedanken daran zu verschwenden, ob es ihm gut ging. Auch wenn sie sich mehr als einmal dabei ertappt hatte, wie sie Wohnungs- und Jobinserate betrachtete, in der Hoffnung, etwas Passendes für ihn zu finden. Er war nicht ihr Problem und war das eigentlich auch nie gewesen, sie sollte das nur endlich zu akzeptieren lernen. Mit der Zeit fiel es ihr leichter und als nach über zweieinhalb Monaten ihr Mobiltelefon klingelte und aus heiterem Himmel sein Name aufleuchtete, stiess sie unglücklich Luft aus und schüttelte den Kopf. Eine Stimme in ihr riet laut und deutlich, den Anruf wegzuklicken und die Nummer umgehend zu blockieren. Sie hatte keine Nerven, um sich nochmal mit ihm und der ganzen Scheisse, die er mit sich brachte, auseinanderzusetzen. Nicht jetzt, nachdem sie für sich endlich irgendwie den Frieden damit gefunden hatte. Wo sie langsam akzeptiert hatte, dass er nicht mehr zurückkam. Wo sie nicht mehr jeden Tag an ihn dachte und sich Sorgen machte. Warum rief er sie an?? War ihm langweilig? Hatte er sein Leben geregelt und wollte ihr Bescheid geben? Hatte er sich vertippt? Was, wenn er Hilfe brauchte? Sie dachte lange genug nach, um den Anruf verstreichen zu lassen. Eigentlich war ihr nicht wohl dabei, das Handy dann einfach wieder wegzulegen und zu versuchen, ihn tatsächlich zu ignorieren. Sie war sich aber auch einen halben Tag später nicht sicher, ob sie zurückrufen wollte, als sie in der Pause auf der Arbeit wieder auf den Bildschirm schaute und den zweiten verpassten Anruf sah. Der Dritte kam am Tag darauf und weil sie Faye war und Faye sich grundsätzlich gerne Sorgen machte, knickte sie bei diesem endgültig ein. Sie wusste nicht, womit sie gerechnet hatte, nachdem sie die grüne Taste gedrückt und ihren Namen gesagt hatte. Wahrscheinlich mit einem Notfall… Aber das war es nicht. Jedenfalls kein akuter, denn Ryatt wollte sie treffen und fiel nicht schon am Telefon mit der Tür ins Haus. Nur schade, dass ihre Bereitschaft für ein solches Treffen sich dezent in Grenzen hielt. Das liess sie ihn auch spüren, indem sie den Wunsch direkt ablehnte, kaum war sie sich einigermassen sicher, dass es eben kein Notfall war. Ein bisschen zu wenig und ein bisschen zu spät. Gegen das zu wenig kämpfte er mit einem weiteren Anruf, zwei Tage später und schliesslich willigte sie ein – zumindest für dieses eine Gespräch, welches am Donnerstagnachmittag stattfinden sollte. Faye hatte kein gutes Gefühl, als sie am Stadtrand den Zündschlüssel drehte und der Motor das leise Brummen einstellte. Sie liess den Blick über den Parkplatz und die vereinzelten Autos gleiten, die ihn besetzten und ihre Augen blieben letztendlich an der Bushaltestelle hängen. Sie war nur mit einem Bus pro Stunde frequentiert, aber das war genug, damit dieses Naherholungsgebiet auch für Menschen ohne Auto erreichbar war. Sie ging einfach mal davon aus, dass Ryatt in den letzten zweieinhalb Monaten kein Fahrzeug gekauft hatte – wissen tat sie das aber natürlich nicht. Blieb eines der unzähligen Fragezeichen, die ihn ständig begleiteten wie eine dunkle Gewitterwolke… Aber keinesfalls eines der für sie relevantesten. Die Brünette seufzte müde, strich sich einmal durch die offenen Haare und schob erst nach einigen Minuten die Fahrertür auf, um aus dem Auto zu steigen. Hoffentlich half die Ruhe der Natur, diese Unterhaltung irgendwie ein kleines bisschen weniger unangenehm zu gestalten, als sie es ohne jeden Zweifel sein würde… Unabhängig davon, warum Ryatt sie herbestellt hatte, begleiteten sie eine Menge wenig positiver Gefühle hierher.
Ich fühlte mich auch einen Tag später noch hundsmiserabel. Ebenso den Tag darauf und heute noch viel mehr. Aryana hatte natürlich getan, was ich ihr aufgetragen hatte und ich brauchte vorerst keinen grollenden Hernandez-Donner zu fürchten. Es lenkte mich zumindest auch eine Weile von all den unliebsamen Gefühlen ab, dass ich mich auf das Zusammentreffen mit Easterlin etwas vorbereiten musste. Er stellte sich als exakt so lückenlos neugierig heraus, wie ich vorher angenommen hatte. Da gab es eine ganze Menge Fragen und ich beantwortete sie so ehrlich und gewissenhaft, wie mir möglich war. Die Army und meine Arbeit dort war kein so besonders langes Thema, weil William sich diesbezüglich wohl einfach gerne selbst Informationen beschaffte - mein Ausscheiden allein lieferte trotzdem genügend Gesprächsstoff. Auch die Zeit danach bis jetzt war für ihn nicht uninteressant, allein schon wegen der Straftaten. Trotzdem konnte er mir aber nicht schlechtreden, dass ich den Arsch wieder einigermaßen hochgekriegt hatte. Körperlich war ich zurück in guter Form, ich hatte wieder ein Dach über dem Kopf und ich bekam das Leben geregelt, auch wenn es finanziell noch hakte. Dass ich deswegen nicht wieder kriminell geworden war, sondern stattdessen hier bei ihm anklopfte, sprach ja dafür, dass ich meinen Fehler begriffen hatte. Die Verbindung zu Aryana sprach er ebenfalls an, aber da konnte ich ihn ironischerweise beruhigen. Weder verstanden wir uns gut, noch hatte ich vor an ihr offenbar rebellisches Verhalten anzuknüpfen. Nach der Einarbeitungsphase konnte Easterlin problemlos auf mich bauen, ich würde standhalten. Ich war auch nicht abgeneigt für die erste Zeit direkt auf dem Stützpunkt einquartiert zu werden, weil ich schlichtweg die ganze Truppe kennenlernen sollte, um sie dann später vernünftig einsetzen zu können. Easterlin würde aber meinen Vertrag und die Kontaktdaten meines Vermieters brauchen, um den Mietvertrag frühzeitig zu lösen und das würde alles noch ein paar Tage in Anspruch nehmen. Der Arbeitsvertrag kam jedenfalls zustande, es wurden nochmal Hände geschüttelt und weil es keine Zeit zu verlieren gab, war mein erster Arbeitstag schon am Folgetag. Der bestand überwiegend aus ganz viel Führung und Erklärung, was für mich nicht weiter schlimm war. Ich nutzte die Zeit ausgiebig mit eigenen Fragen an meinen vorübergehenden Mentor, mit dem ich auch nach der Einarbeitung noch eng zusammenarbeiten würde. Easterlins ganzes Konstrukt war sehr ausgefeilt und ich fand kaum Etwas, dass mir daran nicht gefiel. Viel mehr weckte all das alte Erinnerungen und ließ einen ziemlich lange erloschenen Funken wieder glimmen. Ein schönes Gefühl, das trotzdem den dunklen Schatten, der mich stetig verfolgte, nicht vertreiben konnte. Bevor ich Aryana dieses hässliche Ultimatum gestellt hatte, war ich noch irgendwie ansatzweise damit klar gekommen, dass Faye mich als ein unschön geendetes Kapitel ihres Lebens zu den Akten legen würde, die irgendwann einstaubten und vergessen wurden. Aber ihre Schwester würde ihr erzählen, was ich getan hatte und das würde sie absolut alles, was ich jemals zu ihr gesagt hatte, in Frage stellen lassen. Ich hatte mich nicht immer wie der perfekte Freund verhalten, aber meine Zuneigung und Freundschaft ihr gegenüber waren aufrichtig gewesen und ich wollte einfach nicht, dass das kaputt ging. Das Bild, das sie von mir hatte, würde zerreißen und es würde sich nie wieder zusammenkleben lassen. Der Gedanke machte mich schon sehr bald so verrückt, dass ich in jeder freien Minute nur noch völlig unter Strom stehend durch die Wohnung tigerte, den Kopf in den Händen vergrub oder die Bilder von uns auf meinem Handy durchscrollte, wonach mir grundsätzlich immer schlecht wurde. Aus dem stummen Abschließen wurde so nichts mehr - ich konnte mich nur noch entscheiden, wie unser Wiedersehen aussehen sollte. Schon vorbelastet durch Aryanas Geschichte bei unserem nächsten Wiedersehen oder nicht. Ich bezweifelte nämlich stark, dass Faye mir nicht den Marsch blasen würde, wenn sie davon erfuhr. Selbst ihre Gutmütigkeit hatte ihre Grenzen. Ich griff also doch lieber selbst zum Telefon, obwohl sich nach wie vor Einiges in mir dagegen sträubte. Fortuna meinte es zumindest insofern gut mit mir, dass ich die zierliche Brünette nach mehrmaligem Versuch dazu überredet bekam, sich tatsächlich mit mir zu treffen. Das erste Kreuz konnte ich auf den letzten Metern im Bus also bereits setzen. Das zweite konnte ich dann machen, wenn sie zumindest meine Entschuldigung hinsichtlich des Verlassens akzeptierte - was nicht mit dem Verzeihen selbst gleichzusetzen war - und das dritte, wenn sie mich nicht endgültig im Regen stehen ließ, nachdem ich ihr von meinem Auftritt bei Aryana erzählt hatte. Ich konnte die zierliche Brünette bereits durchs Fenster sehen, kurz bevor der Bus anhielt und ich ausstieg. Schon als ich auf Faye zuging, spürte ich die Nervosität meine Adern kitzeln und ich gab mir ausnahmsweise auch erstaunlich wenig Mühe damit, das unter einer meiner hundert Masken zu verstecken. Dieser Zug war scheinbar abgefahren, als ich mich in der Bar wie ein Arschloch aufgeführt hatte. "Hey, Faye...", begrüßte ich ich sie, als ich beinahe bei ihr angekommen war. Die Hände behielt ich in den Jackentaschen, als ich unweit vor ihr stehenblieb. "Danke, dass du hergekommen bist. Ich weiß, dass ich mir dieses Gespräch absolut nicht verdient habe, aber... es hat mir leider keine ruhige Minute mehr gelassen." Offensichtlich, ich hatte sie ja förmlich terrorisiert mit den Anrufen, bis sie sich hatte breitschlagen lassen. Es tat weh, sie anzusehen. Genau diesem anklagenden Blick hatte ich durch die Abschiedsvermeidung eigentlich aus dem Weg gehen wollen. "Die Frage danach, wie es dir geht, kann ich mir wahrscheinlich sparen, also... wollen wir..?" Ich warf einen kurzen Seitenblick auf den schmalen Weg, der vom Parkplatz wegführte, ehe ich zurück in ihre Augen sah.
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Er war noch nicht da, wie ihre umschweifenden Blicke in jede Richtung bewiesen. Kein Wunder, sie war auch typischerweise zu früh – wie immer, wenn sie nervös war. Sie wünschte, sie könnte hier vollkommen ruhig und entspannt stehen, sich auf einen kleinen Spaziergang mit guten Gesprächen unter Freunden freuen. Aber faktisch waren sie keine Freunde mehr, oder? Ryatt hatte ihr gesagt, dass ihre Freundschaft keinen Bestand haben würde. Eine Pause von zweieinhalb Monaten klang in einem solchen Fall eigentlich stark nach dem Ende. Umso grösser das Fragezeichen zu seinem Anruf nach all diesen Wochen vermeintlich purer Ignoranz. Nun, schien so, als würde sich dieses Fragezeichen bald lüften, denn der Bus rollte heran und tatsächlich stieg Ryatt aus – er besass also noch kein Auto. Kaum relevant an dieser Stelle, aber immerhin eine leicht verdauliche Info. Sie betrachtete ihn, sobald er in ihr Blickfeld trat. Suchte nach Anzeichen von Verletzungen oder starker psychischer Belastung. Aber da war nichts und er sah unverletzt aus. Auch nicht so, als wäre er wieder auf der Strasse gelandet. Eigentlich ganz normal – nur halt unruhig und offensichtlich ähnlich nervös wie sie. Aber wenn irgendwas von dem, was sie mal zusammen gehabt hatten, echt gewesen war, sollte er das auch sein. Dann konnte ihn das hier nicht kalt lassen – auch wenn sie sich mental schon auf diese Möglichkeit eingestellt hatte. Sie erwiderte seinen Gruss mit einem leisen «Hey», wusste dann aber nicht, was sie zum Rest seiner Worte sagen sollte. Also blieb es bei einem hilflosen Schulterzucken und einem undefinierbaren Blick, der neben Enttäuschung und Ablehnung primär mit Unsicherheit getränkt war. Weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Weil sie Angst hatte, dass heute das Gleiche passieren würde, wie vor fast zwölf Wochen. Weil sie keine Ahnung hatte, was er von ihr wollte. Weil sie ihm am liebsten direkt irgendwas ins Gesicht geschleudert hätte, sie das aber nicht konnte, weil sie Faye war und das mindestens gegen die Hälfte ihres Charakters gehen würde. Zumindest wenn sie es jetzt tat, bevor er auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, sich zu rechtfertigen und zu erklären. Sie nickte und setzte sich in Bewegung, nachdem sie sich ein zweites Mal versichert hatte, dass ihr Auto abgeschlossen war. Den Schlüssel schob sie in die freie Tasche ihrer Jeans, da, wo nicht bereits ihr Handy oder ein Taschentuch steckte. Besonders viel Zeit liess sie bis zu ihrer ersten Frage nicht verstreichen, aber das war auch absolut nicht nötig, da die Stille jetzt nicht unbedingt angenehmer als ihre voraussichtlich zu besprechenden Themen war. «Warum… hast du mich angerufen...? Jetzt...?», kam sie also sehr direkt auf den Punkt, hob dabei auch den Blick wieder an, um ihn wenigstens für ein paar Sekunden anzuschauen und ihre Ratlosigkeit in dieser Frage zu unterstreichen. Sie würde ja theoretisch auch lieber mit wie gehts starten, aber irgendwie sah es eher so aus, als wäre das frühestens in einer Viertelstunde eine angebrachte Frage.
Ich schluckte tonlos, als ich mich Fayes Vorbild folgend wieder in Bewegung setzte, um den geplanten Spaziergang anzufangen. Auch wenn ich von vornherein anzweifelte, dass der Gang durch die Natur wirklich viel an den unangenehmen Umständen rütteln und die Sache leichter gestalten konnte, war es einen Versuch wert. Ich nahm jede Hilfe, die ich an dieser Stelle noch kriegen konnte, dankend an. Mit den Fingern der rechten Hand knüllte ich gerade einen in der Jackentasche verbliebenen Zettel zusammen, als Faye gleich mit der Tür ins Haus fiel. Lieber hätte ich erstmal damit angefangen, das aufzuarbeiten, was sie mindestens zu Teilen selbst schon wusste, aber ihre Frage war leider sehr berechtigt. Mehr als zweieinhalb Monate lang hatte ich die Funkstille gehalten, es musste also einen recht triftigen Grund hierfür geben. "Es ist was passiert..." Darauf war sie wohl selber schon gekommen. Ich brauchte nur selber noch einen kurzen Moment dafür mich abschließend dazu zu überreden, meine erzwungene Missetat offenzulegen. Schlecht getarnt durch einen kurzen Rundum-Blick, aber offenbar schienen die Hernandez gerade keinen akuten Grund dafür zu sehen, mich zu verfolgen. Zumindest hoffte ich das. "...und als Reaktion darauf hab ich was getan, das ich sehr bereue." Einen Moment lang beobachtete ich unsere Füße, bevor ich zu Faye sah. "Du würdest es falsch verstehen, wenn Aryana es dir erzählen würde, weil ich ihr den Grund für das Alles nicht sagen konnte." Wenn ich so wirr Informationen aneinanderreihte, die alle nur randläufig der Grund für mein Aufkreuzen waren, würde das heute nichts mehr werden. Ich schüttelte leicht den Kopf und atmete tief durch. Den Kassenbon mühsam mit einer Hand wieder zu entfalten, half dabei. "Riley hat sich bei mir gemeldet... die hatten mich leider die ganze Zeit über noch im Blick. Und weil sie ist, wer sie nun mal ist, hatte sie natürlich eine unwirkliche Forderung im Gepäck... sie wollen Unsummen Geld von mir und das am besten sofort. So viel, dass ich dafür mit einem normalen Job wahrscheinlich für mehr als nur den Rest meines Lebens arbeiten müsste... ich hab ja auch kaum irgendwelche nützlichen Vorkenntnisse vorzuweisen, also hab ich... nach einer der wenigen Möglichkeiten gesucht, die mir noch bleiben. Aryana hat in der Bar erwähnt, wo sie arbeitet... nur indirekt natürlich, aber ich hab trotzdem versucht, etwas darüber herauszufinden. Ohne sie zu fragen, weil ich das nicht wollte, wegen... uns. Nachdem ich die ersten unstimmigen Infos zu Easterlins Firma hatte, bin ich alleine aber nicht mehr weitergekommen, also hab ich mir Hilfe dazu geholt... ich konnte nicht mehr aufhören. Ich kann mit Nichts so viel Geld verdienen, wie als Söldner." Meine Stimme wurde mehrfach zu einem leichten Murmeln, ich wendete den Blick wieder von Faye ab und sah stattdessen auf den Weg vor uns. Theoretisch führten natürlich viele Wege nach Rom, aber nicht mit meinen eingeschränkten Vorkenntnissen und vor allem nicht, wenn es nach Riley & Co ging. Das Alles war aber nicht der Grund dafür, warum mich ein wahnsinnig schlechtes Gewissen plagte. Die angebliche Recherche war vielleicht schon etwas grenzüberschreitend, aber nicht ansatzweise so katastrophal einzustufen wie die Drohung gegen ihre Schwester. Natürlich war das alles zumindest zur Hälfte ein Lügengerüst, das mir irgendwann später auf die Füße fallen könnte - in dem Fall, dass Faye mich heute nicht von sich aus für immer wegschickte. Ich wollte und konnte es ihr aber nicht antun, erneut in der schlimmsten Paranoia ihres Lebens zu versinken. Ihr überhaupt vom erneuten Aufkreuzen der Hernandez zu erzählen, war an und für sich sowieso schon riskant genug. Nicht nur für mich, sondern auch für sie. "Die sitzen mir im Nacken... und ich wusste einfach nicht, was ich sonst machen soll, also hab ich... ich hab... Aryana dazu gezwungen, mich da reinzubringen." Ich machte zwar schon die ganze Zeit über kleinere Pausen beim Reden, aber zum Ende hin war es ein richtiges Stottern und mir schnürte sich der Hals zu. Das dünne Papier in meiner Hand war längst wieder zur gepressten Kugel geworden und ich sah Faye nicht an. Blickte nach vorne auf den Weg durchs Grüne, der für mich alles andere als Ruhe an diesem eigentlich sonnigen Tag brachte. Während die Natur sich vom Winter erholte, fühlte ich mich hier gerade schlimmer als vor einem eskalierenden Kugelhagel. Da wusste ich wenigstens, was ich tun sollte, was ich vom jetzigen Moment nicht behaupten konnte. Ich wusste nur, dass ich dieses schwere Schuldgefühl in der Brust alleine nicht mehr aushielt.
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Damit hatte sie gerechnet. Aber die Tonlage, mit der er ihr offenlegte, das was passiert sei, war nicht gut und verstärkte ihre Nervosität in eine ungesunde Richtung. Fayes Blick lag noch immer auf ihm, wobei die Unsicherheit sich noch weiter ausbreitete und schliesslich Verwirrung beizog, als er plötzlich ihre Schwester erwähnte. Aryana hatte Ryatt mit keinem Wort erwähnt, bevor sie abgereist war. Was also hätte sie ihr erzählen sollen? Sie war kurz davor, ihm genau diese Frage zu stellen, damit er schneller redete - aber glücklicherweise war die Atempause nicht zu lang und er sprach weiter. Und Faye wünschte sich augenblicklich, er hätte es nicht getan. Sie blieb unmittelbar stehen, als er den Namen des Grauens erwähnte, begann langsam, den Kopf hin und her zu wiegen, als würde ihr Unterbewusstsein ihn davon überzeugen wollen, dass das, was er sagte, nicht wahr war. Ihr Herz hatte nach einem kurzen stolpernden Aussetzer seinen Takt in doppelter Geschwindigkeit wieder aufgenommen, während sie zu begreifen versuchte, was er hier gerade von sich gab. Riley hatte sich bei ihm gemeldet. Riley hatte seine neue Telefonnummer gefunden. Oder Riley wusste, wo er wohnte. Oder beides? Wenn sie das wusste, wusste sie dann auch, wo Faye wohnte? Sie und ihre dreckigen Brüder? Sie hatte bisher nichts von ihnen mitgekriegt, was darauf schliessen liess, dass die Geschwister sich an ihr Versprechen hielten und sie in Ruhe liessen, solange Faye nirgends aussagte. Aber allein die Vermutung, dass sie in der gleichen Stadt unterwegs sein könnten, in der sie selbst wohnte und arbeitete, löste akute Übelkeit aus. Auch wenn sie sie nicht beachteten und nur mit Ryatt beschäftigt waren und sehr viel Geld von ihm wollten. Verdammt die wussten doch, dass Ryatt kein Geld hatte! Warum stellten sie solche Forderungen?? Wofür waren Victor und sie durch die Hölle gegangen, wenn die Rechnung scheinbar noch immer nicht beglichen war? Wie viel mehr brauchte dieses Teufelspack denn noch? Dieses Gedankenkarussell wurde jäh unterbrochen, als Ryatt erneut den Namen ihrer Schwester in den Mund nahm - was sie zwischenzeitlich natürlich schon wieder verdrängt hatte. Spätestens mit der Befürchtung, dass Aryana irgendwie in die Sache mit den Hernandez' hineingezogen worden war, entglitten ihr final jegliche Gesichtszüge und ihr Mund blieb leicht offen stehen. Aber darum ging es gar nicht. Es waren ironischerweise nicht Riley und Brüder, die Aryana bedroht hatten. Nein, es war niemand geringeres als ihr allerliebster Gesprächspartner hier neben ihr. Der, den sie nun durch und durch fassungslos anschaute, ein paar lange Sekunden ohne ein einziges Wort über die Lippen zu bringen. "Du hast... was?", sie schluckte, weil ihre Stimme einem heiseren Krächzen gleichkam. Weil das alles ein verdammter Schlag ins Gesicht nach dem anderen und einfach viel zu viele Infos für sie gewesen waren. "Was zur Hölle Ryatt, das... das führt sie zu ihr! Warum... warum bist du nicht vorher zu mir gekommen?! Und hast gefragt, wir... wir hätten mit Aryana reden können... Oder... Warum hast du nicht einfach...", ihre hilflosen Gesten drückten ungefähr aus, wie viele bessere Optionen ihr in diesem Moment tatsächlich einfielen. Aber grundsätzlich wäre gefühlt alles besser als das! "...irgendwas anderes gemacht, verdammt! Easterlin ist schon an sich eine beschissene Idee, aber... wie konntest du... darin eine Lösung sehen??", das hier war von den Gefühlen her eine ähnlich überfordernde Situation wie damals, als Victor ihr erzählt hatte, dass er eine Weile weggehen müsste. Auch da hatte sie das dringende Bedürfnis nach Abstand gehabt. Ruhe, um das Gesagte auch nur ansatzweise zu verarbeiten. Aber im Gegensatz zu damals, war sie sich hier nicht sicher, ob sie dann nochmal für ein klärendes Gespräch zurückkommen wollte. Ryatt war in einer beschissenen Situation, das hatte sie am Rande begriffen. An sich wollte sie ihn mit diesem Berg eines Problems nicht alleine lassen. Aber allein die Erinnerung der Hernandez' in ihrem Kopf schürte Panik in ihrem Herzen, die sie kalt umklammerte. Sie wollte und konnte sich nicht nochmal selbst in diese Angelegenheiten einmischen. Das verkraftete sie einfach nicht zweimal und Victor würde sowieso komplett am Rad drehen, wenn er hiervon erfahren würde. Ausserdem hatte Ryatt Aryana nach eigener Aussage dazu gezwungen ihm zu helfen. Sie wollte gar nicht wissen, wie er das getan hatte. Und wenn er hässlich zu ihrer Schwester gewesen war, wusste sie auch nicht, ob sie ihm das verzeihen wollte. Warum war er hier?? Er hatte sich doch eh von ihr verabschiedet, warum jetzt doch nicht?? Jetzt, wo sie einen wirklich triftigen Grund - oder zwei - sah, den Kontakt für immer abzubrechen...
Ein einziger kurzer Blick in ihr Gesicht reichte aus, um mir sicher damit zu sein, da fortan lieber nicht mehr hinzusehen. Ich hätte mich um Himmels Willen einfach selbst in die Scheiße reiten sollen, um Faye und Aryana da rauszulassen. Aber das hätte den ohnehin kaum machbaren Zeitplan noch weiter nach hinten gerückt - ich konnte nicht ein halbes Jahr allein damit verschwenden, Easterlin deutlich klarzumachen, dass ich nichts gegen ihn im Schilde führte, während genau das eigentlich der Fall war. Ich hätte Faye gerne beruhigt und ihr gesagt, dass die Hernandez sich - sogar wahrheitsgemäß - an sich nicht für ihre Schwester interessierten, aber das würde sie vermutlich stutzig machen. "Ich wollte das nicht, Faye... ich..." Ja, was hatte ich denn gewollt? Faye raushalten, obwohl sie längst drinsteckte? Obwohl ich ja jetzt doch wieder vor ihr stand? Wirklich irre witzig. Ich hatte durchaus versucht mir vorher ein paar gute Antworten auf potenzielle Fragen der zu Recht aufgebrachten Brünetten zurechtzulegen, aber davon war gerade gefühlt gar nichts abrufbar. Nicht jetzt, wo mich ihre großen Augen mit purer Fassungslosigkeit anstarrten und ich mindestens vorübergehend alle positiven Gefühle für mich in ihr ausgelöscht hatte. "Ich weiß, dass das falsch war und es tut mir wahnsinnig leid... aber ich hab in dem Moment wirklich keine andere Möglichkeit gesehen... ich wollte Niemandem weh tun, ich...", hatte aber trotzdem Menschen verletzt. Faye war mir dabei zweifellos die wichtigste, aber nicht die einzige. Ich brach das ebenfalls wirre Gefasel ab und schüttelte kaum sichtbar den Kopf, um einen Moment lang die Augen zu schließen. Die ganze Situation war so vertrackt, dass es selbst mir die Sprache verschlug, obwohl ich fast immer irgendwas zu sagen wusste. "Ich hatte einfach Angst davor, mit dir zu reden." Zwar tat das im tatsächlich Ablauf der Dinge nicht wirklich etwas zu der Sache mit Aryana, aber es war abgesehen davon trotzdem die Wahrheit. "Dass ich dich nach meinem Auftritt in der Bar ignoriert habe, hat sich von Anfang an nicht wirklich richtig angefühlt... offensichtlich hab ichs nur trotzdem nicht geschafft, schon früher über diesen Schatten zu springen. Ich hätte dich nicht küssen und schon gar nicht so stehen lassen sollen... auch wenn das gewissermaßen vorhersehbar war, weil ich nicht selten irgendwas verflucht Dämliches tue, wenn in meinem Kopf alles den Bach runtergeht. Ich hab immer noch Probleme mit dem Schlaf, obwohl die Schichtarbeit jetzt ja wegfällt und ich hab schon seit einer Weile wieder häufiger Flashbacks...", was ich ihr eigentlich gar nicht hatte sagen wollen. Dachte ich zumindest. Der Zug mit dem Faye keine Sorgen bereiten wollen war dann wohl auch schon aus dem Bahnhof gerauscht. "...was aber nicht heißen soll, dass ich mich irgendwie für meine Taten rechtfertigen will. Ich hab dir und auch Aryana Unrecht getan und das lässt sich nicht schönreden. Ich hatte Angst, sie würden dich da wieder mit reinziehen, war verzweifelt und hab riesige Scheiße gebaut, die ich nicht rückgängig machen kann.", schloss ich und atmete leicht bebend ein. Anschließend zwang ich mich beim Ausatmen selber dazu, das dumme kleine Knäuel in meiner Jackentasche nicht weiter zu malträtieren und nahm die Hände raus. Das ganze Gespräch fühlte sich jetzt schon so an, als hielte es nur die nächste sehr scharfe Klinge für mein dummes Herz bereit. Das Herz, das offenbar ein bisschen zu sehr an Faye hing, obwohl es dazu noch längst nicht fähig sein sollte, wenn es nach meinem Verstand ging. Kein Wunder, dass sich im Grunde durchweg alles, was ich in Hinblick auf Faye tat, falsch anfühlte, wenn eine Partei die Schilde krampfhaft oben halten und die andere aber gerne alle fallen lassen würde. Ob das endlich mal aufhören würde, falls Faye mir noch eine zehnte Chance gab? Es blieb für alle Beteiligten zu hoffen übrig. Mir trieb die Unwissenheit schon jetzt den Schweiß zwischen die angespannten Schulterblätter. "Auch wenn es... weh tut und ich nicht weiß, wie das hier jetzt endet, wollte ich dir das selbst sagen. Das bin ich dir mehr als schuldig." Ich wagte wieder nur einen Hauch von kurzem Blick in ihr Gesicht.
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Natürlich wollte er das nicht. Absolut niemand auf dieser Welt wollte es sich mit dieser Familie von Wahnsinnigen verscherzen und dann wieder und wieder mit ihnen kollidieren. Sie am allerwenigsten, Ryatt aber sehr sicher auch nicht. Sie verstand, dass das Treffen mit Riley ihn so verstört hatte, dass er nicht mehr richtig hatte denken können. Sie verstand, dass die Angst blind machte und zu dummen Entscheidungen leitete. Die noch immer nicht komplett verschwundene Narbe auf ihrer Brust war ein hässliches Andenken an eine Reihe solcher dummen Entscheidungen. Und trotzdem: Wie konnte er in einem solchen Moment ausgerechnet an Aryana gedacht haben?? "Fuck, Ryatt, das… das ist so scheisse...", bekundete sie nochmal offen ihr pures Widerstreben gegenüber allem, was sie gerade erfahren hatte. Das machte es zwar weder für sie noch für ihn erträglicher, aber ihre Hirnleistung war gelinde gesagt momentan auch ein Stück weit eingeschränkt wegen zu überwältigenden Emotionen. Faye hob einmal beide ihrer schwach zitternden Hände an, um sich kräftig übers Gesicht zu reiben und am Ende ihre Stirn gegen die Handflächen zu pressen, um den Druck und das schmerzhafte Pochen irgendwie zu lindern. Funktionierte selbstverständlich ganz genau zero. Ihr Gespräch wurde nicht angenehmer und sie wusste noch immer nicht, was sie sagen oder denken sollte. Auch nicht, als Ryatt schliesslich wieder das Wort ergriff, um die unschöne Geschichte aufzugreifen, die sie ursprünglich ans Grund für dieses Treffen vermutet hatte. Wäre schön, wenn es nur das wäre... Vielleicht hätten sie das noch klären können, ohne dabei beide halb wahnsinnig und gezwungenermassen mal wieder schwer paranoid zu werden. Faye hätte fast etwas dazu sagen wollen, zu der letzten Nacht, in der sie sich gesehen hatten. Aber Ryatt hielt nicht so schnell inne, sondern liess ein paar weitere Sätze fallen, mit denen sie absolut nicht gerechnet hatte. Die nur nochmal sehr deutlich aufzeigten, zu was auch das Problem in seinem Kopf zwischenzeitlich herangewachsen war. Sie hatte nichts von den Flashbacks gewusst und die Schlafprobleme nie wirklich ernstgenommen, wenn er sie mal am Rande erwähnt hatte. Es hatte immer geklungen, als wäre das ein vorübergehendes Problem, nur klein und kaum der Rede wert. Jetzt... nicht mehr wirklich. Aber waren Schlafprobleme und Flashbacks wirklich eine Überraschung, wenn er von dieser Rattenbande verfolgt wurde? Faye presste die Lippen aufeinander, mahlte mit den Zähnen und schüttelte nochmal langsam den Kopf. Die Hände verkrampft und ungefähr alles an ihrer verspannten Körperhaltung deutete auf den inneren Schreikrampf hin, der sich für einmal sehr gerne etwas Gehör verschaffen würde. "Ich... Das ist... ein bisschen viel auf einmal...", nicht doch. Wegen diesen paar schlechten Neuigkeiten. Der Schwindel unter ihrer Schädeldecke war vollkommen übertrieben. Faye liess die Hände wieder sinken, woraufhin sie hilflos an ihrer Seite hängen blieben und sie noch ratloser aussehen liessen als vorher schon. "Was hat... Aryana gesagt? Was hast du ihr angedroht?", die Fragen waren ziemlich random, weil sie einfach wahllos diejenigen stellte, die gerade zuvorderst auf ihrer Zunge lagen. Die, die sie zu greifen bekam. Sie konnte sich in etwa vorstellen, in welche Richtung die Reaktion ihrer Schwester gegangen war. Trotzdem war das irgendwo relevant für sie... Vielleicht. Vielleicht auch nicht, es war nicht unbedingt leicht, das einzuschätzen. "Und was erwartest oder wünschst du dir jetzt von mir? Warum... hast du mir das erzählt?", einen Teil dieser Antwort hatte er bereits geliefert. Weil er sich davor fürchtete, dass sie es falsch verstanden hätte, wenn sie die Geschichte nur von Aryana zu hören bekommen hätte. Aber warum spielte das eine Rolle? Er wollte doch keinen Kontakt mehr zu ihr. Oder war dieser Wunsch mit dem Auftauchen der Schlangen wieder verschwunden?
Ja, das war's. Ungefähr alles an dieser Situation hier war rundum beschissen. Ich konnte nur anhand ihrer relativ offensichtlichen Körpersprache erahnen, wie es in Faye gerade aussehen musste, bis sie auch wörtlich sagte, dass ihr das gerade zu viel des Guten war. Es wäre jedem anderen Menschen an ihrer Stelle sicher genauso ergangen und es sorgte für ein noch drückenderes Gefühl in meinem Bauch, dass ich nichts dagegen tun konnte. Allein deshalb schon, weil ich der Auslöser dafür war. Mal wieder. Als könnte ich gar nicht anders, obwohl ich mir absolut nicht gewünscht oder darauf hin gearbeitet hatte, den Hernandez nochmal über den Weg zu laufen. Nüchtern betrachtet hatte ich aber auch nichts dagegen getan - ich hätte gehen sollen, als ich es noch gekonnt hatte. Alaska vielleicht, da war es diesen Ausgeburten der Hölle mit Sicherheit zu kalt. Die folgenden beiden Fragen hatten ein weiteres Schlucken zufolge und ich druckste noch einen Moment lang mit in sämtliche Richtungen ausweichendem Blick herum. Es war zu viel verlangt Faye darum zu bitten, sich wieder in Bewegung zu setzen, oder? Zweifellos fiel es mir schwerer die unliebsamen Worte auszuspucken, wenn sie mir so gegenüber stand. "Ich hab gesagt, dass ich so oder so der Armee beitreten werde und dass sie sich nur aussuchen kann, ob sie mich selber da reinbringt, oder ob ich..." Jetzt im Nachhinein klang das alles in meinen Ohren noch viel fataler, als im Moment des Geschehens. Dementsprechend schwer bekam ich den Mist auch formuliert. "Ich hab gesagt, dass ich sonst einen ihrer beiden Namen fallen lassen würde, wenn ich stattdessen auf eigene Faust reingehe und gefragt werde, woher ich von Alledem weiß. Sie wollte dich zuerst zu der Sache befragen und das... wollte ich um jeden Preis vermeiden." Erst beim Sprechen wurde mir so richtig klar, dass ich mit Aryana im Grunde exakt das gleiche getan hatte, wie Riley mit mir - man konnte sich zu 99% sicher sein, dass der Bedrohte spurte, sobald Personen involviert waren, die ihm oder ihr wichtig waren. Mitmenschen waren für fast alle am Ende das, was das Leben überhaupt lebenswert machte. So betrachtet passte ich also doch ganz gut zu dem kriminellen Abschaum, der sich weiß Gott jede noch so kleine Schwäche zunutze machte. "Aryana war natürlich sehr wütend und hat mir einiges an den Kopf geworfen... was ich ihr niemals vorwerfen würde, sie hatte allen Grund dazu." Genauso wie Faye jetzt. Vielleicht war sie nur noch zu überwältigt, um mir eine Hasstirade entgegenzuschleudern. Vielleicht kam das noch und vielleicht war das auch notwendig. "Ich wusste da noch nichts davon, dass deine Schwester und Mitch sowieso schon so extrem schlecht bei Easterlin dastehen." Es hätte vielleicht schon etwas an meinen Taten geändert, wenn ich es gewusst hätte. Ich wäre die Sache dann wahrscheinlich aus einer anderen Richtung angegangen, die für alle Beteiligten deutlich glimpflicher hätte ausgehen können. "...aber ich hab ihr trotzdem gesagt, dass ich eine Hand über sie halten werde, wenn sie mich da rein bringt. Natürlich kann ich auch in meiner zukünftigen Position nicht ausradieren, was die beiden schon angerichtet haben und muss vorsichtig damit sein, aber... das hab ich ernst gemeint.", murmelte ich meiner Schuld bestens bewusst vor mich hin. Die Umsetzung war natürlich riskant, aber ich war nicht blöd. Wenn ich eins bei der Army gelernt hatte, dann dass man seine Fäden grundsätzlich unauffällig und am besten alleine ziehen musste, um jedwede Sicherheitslücke dabei zu vermeiden. Einer von vielen Gründen dafür, warum es gut war, zu Beginn bei einigen der Soldaten zu wohnen und herauszufinden, wer zu wem gehörte und wer wie genau tickte. Fayes abschließende Frage hingegen war alles andere als leicht zu beantworten. Es hatte gefühlt hundert Gründe, warum ich hier stand, und doch musste irgendeiner davon am schwersten wiegen. Was wünschte oder erhoffte ich mir hiervon? Dass sie mich als hundsmiserablen Freund wieder zurücknahm? "Ich erwarte eigentlich gar nichts... du hast spätestens jetzt allen Grund dazu, einfach Kehrt zu machen und nie wieder zurückzuschauen. Ich bin vielleicht einfach nicht fähig dazu, der Freund zu sein, den du brauchst... oder gebraucht hättest. Aber ich..." Noch einmal tief durchatmend versuchte ich die Blockade in meinem Hirn bei Seite zu schieben und zwang mich auch dazu, den Blick zumindest kurz in ihr Gesicht anzuheben. "...ich kann dich nicht gehen lassen. Nicht so... nicht in dem Wissen, dass ich alles kaputt gemacht habe, was wir je hatten. Das... es frisst mich auf." Ich hob die rechte Hand an, um mir die Haare zu raufen und drehte mich zur Seite weg. Meine Kopfhaut fühlte sich an, als hätte ich grade akutes Fieber, mein Brustkorb gab mir gefühlt sekündlich weniger Luft zum Atmen und mein ganzer Körper fing leicht zu vibrieren an. "K... Können wir weitergehen? Ich..." Es in Worte zu fassen fiel mir so akut schwer wie das Atmen selbst, also machte ich eine nur semi-gut verdeutlichende Handbewegung, während ich einen kleinen Kreis um mich selbst ging und dabei tief zu atmen versuchte. Erstmal das Mojo abrufen, dass ich Faye an Silvester einzutrichtern versucht hatte...
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Wieder eine Frage, die sie besser nicht gestellt hätte, weil sie absolut nicht bereit für eine Antwort war. Sie hätte sich ja schon selbst denken können, was gleich folgen würde. Er hatte schon erwähnt, dass er Aryana gezwungen hatte, was also hatte sie erwartet? Dass er mit einer Wasserpistole vor ihrem Gesicht gefuchtelt und angedroht hatte, sie nass zu spritzen, wenn sie kein gutes Wort für ihn einlegte? Lächerlich. Trotzdem flutete eine Welle der puren Verstörung ihre Gedanken und dadurch auch ihre Mimik, als sie hörte, zu welchen Mitteln Ryatt gegriffen hatte. Sie hätte ihm nie zugetraut, sowas zu tun. Obwohl sie gewusst hatte, dass er kurz vor ihrem ersten Aufeinandertreffen einen Taucher in die Kriminalität genommen hatte, hatte sie das gepflegt ausgeblendet, weil sie ihn nie so erlebt hatte. Weil sie naiv und optimistisch davon ausgegangen war, dass er nie mehr dahin zurückgehen würde, dass er das nur in der Verzweiflung des Momentes getan hatte und dass er im Herzen ein guter Mensch war. Konnte sie das jetzt noch immer glauben? Nach dem, was er ihr jetzt gerade erzählt hatte? Nachdem er ihre Schwester bedroht hatte? Und das auch noch so hässlich… Faye blickte ihn fassungslos an, ein weiteres Mal wortlos, weil es ihr erneut die Sprache verschlagen hatte. Sie wusste nicht genau, was er damit meinte, dass ihre Schwester und Mitch bei Easterlin sowieso schon extrem schlecht dastanden. Sie hatte mit Aryana über sehr vieles geredet, aber eher nicht über die Arbeit. Ihr war klar, dass Aryana und Mitch den Job nicht gerne machten und unzufrieden waren, aber sie hatte bis Anhin nie gehört, dass ihr Chef ihnen diesbezüglich auch Vorwürfe machte. Aber das tat hier irgendwie nichts zur Sache, darüber würde sie wenn dann mit den beiden Betroffenen reden. «Wie kommst du auf… sowas? Ich dachte du… ich dachte du wärst nicht so…», ihre Stimme brach erneut ab und sie blickte zur Seite, um zu versuchen, das verdächtige Brennen in ihren Augen wegzublinzeln. Schwierig. Aber sie wollte nicht weinen. Es reichte, dass sie absolut nicht wusste, wie sie dieses Gespräch weiterführen sollte. «Ich… ich hätte dir geholfen, verdammt, Aryana hätte dir geholfen, Mitch hätte dir geholfen…», er hätte genau das bekommen, was er jetzt hatte – warum war ihm dieser Weg sympathischer gewesen als ein einfaches Gespräch vor der Katastrophe?! Jetzt stand er hier und war offensichtlich dezent am Ende mit den Nerven, wusste nicht, was er sagen sollte und hoffte, dass sie nicht ging. Ein absolutes Paradoxon zu der Tatsache, dass das der gleiche Mann war, der sie vor zwölf Wochen nachhause geschickt hatte, um sich dann nie wieder zu melden. «Es ist einfacher, eine Vase aus Glas nicht fallen zu lassen, als sie danach wieder zusammenzukleben, Ryatt… du… solltest das doch wissen…», nicht nur wegen Avery, sondern wegen jedem einzelnen Menschen, den er in der Vergangenheit verloren hatte. Wegen all den schmerzhaften Erfahrungen. Sie begriff das nicht. Und eigentlich hatte sie auch keinen einzigen Nerv übrig, um dieses Gespräch fortzuführen und wirklich mit ihm spazieren zu gehen – mehr als die lächerlichen fünfzig Meter, die sie bisher geschafft hatten. Aber Faye wäre nicht Faye, wenn sie ihn jetzt guten Gewissens hier stehen lassen könnte. Wenn sie ignorieren könnte, dass er definitiv fertig mit den Nerven war und wirklich versuchte, etwas zu retten. Wenn es ihr egal wäre, dass er allein zurückblieb. Er hatte sie verletzt – heute noch schlimmer als vor fast drei Monaten schon. Sie hatte keine Ahnung, was sie denken oder tun sollte. Sah eigentlich sehr wenig Hoffnung auf eine Zukunft, in der sie Freunde bleiben konnten. Aber er war kein Fremder, Ryatt war ein Freund gewesen… Sie pflanzte einen Fuss vor den anderen, um seiner Bitte nachzukommen und sich wieder in Bewegung zu setzen. Langsam und ein bisschen wackelig, weil der Schwindel sich hartnäckig hielt. «Vor drei Monaten hab ich dir gesagt, dass ich Angst habe, du würdest dich nicht mehr melden, wenn wir nachhause gehen… Das hast du ziemlich gut ignoriert. Du hättest meine Schwester nicht bedrohen müssen, um zu begreifen, dass das doch nicht funktioniert. Ich…», sie schüttelte wieder den schmerzenden Kopf, weil sie kein Ende für den angebrochenen Satz fand. Sie musste sehr dringend mit Aryana reden. Blöd nur, dass die erstmal wieder ein paar Wochen weg war und ganz sicher keinen Kopf für das hier hatte. Sie auch nicht. Eine ausführliche Entschuldigung hätte ihr gereicht, sie hätte ihm verziehen. Bevor die Namen von Riley und Easterlin und Aryana mitgemischt wurden...
Ich hatte mich oft gefragt, warum Faye vor manchen Tatsachen ganz gerne die Augen zudrückte oder zumindest nur mit einem Auge hinsah. Denn im Grunde hatte sie schon vorher gewusst, dass ich zu Taten fähig war, die ein normaler Mensch wohl unter keinen Umständen tun würde. Ich hatte bei der Army schon stellenweise fragwürdige Dinge getan oder tun müssen. Ich hatte meine Eltern verlassen, nur um mir das Leben selber schwer zu machen. Ich hatte Sean bei bewaffneten Raubüberfällen geholfen, die den einen oder anderen unglücklich involvierten Menschen vielleicht für den Rest des Lebens traumatisiert hatten, obwohl ich selber sehr gut wusste, wie qualvoll solche niemals heilenden Wunden waren. Nicht selten war ich extreme Wege gegangen, nur um den Weg des geringsten Widerstand nicht gehen zu müssen, weil der unangenehm war. Dafür gab es die unterschiedlichsten Gründe - Fakt war aber, dass ich kein Unschuldslamm war und wohl auch nie eines werden würde. Das Gehen half leider nur bedingt dabei, meinen Kopf etwas klarer zu kriegen, aber wenigstens bekam ich langsam wieder etwas besser Luft. Es gab wohl auch schlichtweg nicht die eine Erklärung oder Antwort, mit der plötzlich alles leichter zu verdauen war. Ich wusste auch nicht, was ich dazu sagen sollte, ohne zu lügen oder damit anzufangen, mich zu wiederholen. Selbst wenn Faye nicht beschloss mich für immer loszuwerden, hatte ich einen Schaden angerichtet, der nicht von heute auf morgen verschwinden würde. Die Vase war da leider ein sehr treffendes Beispiel. Normalerweise entschied ich mich sehr bewusst dafür, sie entweder gar nicht erst anzufassen, oder sie absichtlich runterzuschmeißen. Ich hatte letzteres selten so sehr bereut wie in diesem Moment. "Normalerweise würde ich das mit dem Kleben auch gar nicht versuchen...", war alles, was ich mit vorübergehend dünner Stimme bezüglich der Vase vor mich hin murmelte. Die Augen hatte ich dabei geradeaus auf den Verlauf des Pfades gerichtet. Mein Kopf schrie förmlich danach, einfach los zu sprinten und dem ganzen Übel hier Lebwohl zu sagen, nur saß der offenbar nicht mehr am längeren Hebel. Ich schob die Hände doch wieder in die Hosentaschen, während wir in maximal halbem Gehtempo den Weg entlang stolperten. Mit der einen quälte ich den Stoff der Tasche selbst und in der anderen musste wiederholt das Papierkügelchen dran glauben, als Faye weitersprach. Es wurde halt wirklich nicht besser oder gar einfacher, je mehr das Gespräch fortschritt. "Meine eigene Angst wiegt leider fast immer schwerer, als die anderer..." Eine leise Feststellung, keine Rechtfertigung. Wenn es um Gefühle und mein eigenes kaputtes Selbst ging, war ich wohl so feige wie kein anderer Mensch, der mir je untergekommen war. Meine schwitzigen Hände, das anhaltende schubweise Zittern und die Magenschmerzen sprachen da gerade Bände. "Es tut mir leid Faye... ich will daran arbeiten... ehrlich, ich... weiß, dass ich so nicht weitermachen kann... und ich erwarte auch nicht, dass du... mir das verzeihst. Nichts von Alldem, weil es vielleicht einfach... zu viel ist, um jemals genug Gras drüber wachsen lassen zu können.", entschuldigte ich mich ein weiteres Mal, weil es mir schlichtweg wirklich sehr leid tat. Ganz gleich was ich hier heute noch sagte, hoffte ich eben auch trotzdem, das wir das irgendwie noch retten konnten. Wenn ich dafür jeden noch so kleinen abgesplitterten Glaskrümel in einem riesigen Haufen Sand suchen und dann wieder ran kleben musste, dann war das eben so. Vielleicht würde die Vase auf ewig angeknackst und unvollständig bleiben, weil ich etwas kaputt gemacht hatte, dass sich nicht reparieren ließ. Ich wollte es aber zumindest versuchen. Deswegen war ich hier. "Falls du also endgültig keinen Kontakt mehr zu mir willst, verstehe ich das. Ich möchte nur... ich wollte es zumindest versuchen."
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Und warum war jetzt nicht normalerweise? Warum war ihm diese Freundschaft, die er selbst in den Sand hatte setzen wollen, plötzlich so wichtig? Wenn er sich jetzt aus dem Staub machen würde, wäre das für sie wohl leichter zu verdauen. Vielleicht auch schwerer, je nachdem wie gut sie damit klar kommen würde, sich in einem Menschen so dermassen getäuscht zu haben. Wie gerade bestens erkennbar, konnte sie das selbst auf diese Weise, wo er es ihr selbst beichtete und sich umgehend entschuldigte, nicht einfach wegstecken. Aber es war halt auch schwere Kost für sie beide. Sie hatte sich nur noch etwas schlechter hierauf vorbereiten können als er. Und doch war immerhin nicht sie die mit den bösen Neuigkeiten... Sie atmete erneut angestrengt durch, als würde das aktiv helfen, ihre Nerven zu beruhigen. Pures Wunschdenken, denn offensichtlich konnte akut gerade gar nichts ihre Nerven beruhigen. Das würde höchstens dann passieren, wenn ausreichend Zeit verstrich und sie sich überhaupt erst an all die neuen Gedanken gewöhnen könnte. Die Sache mit der Angst konnte sie verstehen. Das war wohl bei jedem Menschen so, inklusive ihr selbst. Sonst würde sie schon lange nicht mehr mit Ryatt reden, weil sie beispielsweise genau wusste, dass Victor das nicht gut fand und sich Sorgen um sie machte, weil er Ryatt mit einem ihrer grausamsten Traumen verband. Absolut berechtigt, wies schien, denn Riley und ihre Brüder waren nicht ansatzweise so weit weg, wie sie das bislang angenommen und gehofft hatte. Faye schwieg eine ganze Weile, als sie seine Entschuldigung hörte. Sie glaubte ihm jedes Wort, war sich sicher, dass es ihm wirklich leid tat. Und sie wünschte sich einfach, dass sie diese Entscheidung nicht alleine treffen müsste. Dass diese Freundschaft nicht allein durch ihr Wort stand oder endgültig fiel. Sie wusste ganz genau, was wahrscheinlich jeder Mensch in ihrem näheren Umfeld ihr raten würde. Was klug wäre und ihr Kopf wollte. Was ihr Leben gewissermassen erleichtern würde. Aber es war wie immer nicht nur der Kopf, der eine Entscheidung treffen wollte. Es war wie so oft absolut irrational, was ihr Herz sich wünschte, was ihre Gefühle und Emotionen ihr anrieten. Sie konnte sich selbst schon lange nicht mehr erklären, warum sie sich so sehr an Ryatt klammerte, warum er ihr so wichtig war und sie ihn nicht einfach ruhig ziehen lassen konnte. Sie stand eigentlich nicht auf Bad Boys mit schwieriger Vergangenheit und kompliziertem Lebensstil. Sie stand auf überhaupt niemanden ausser Victor. Aber das war wahrscheinlich zu einfach, um zu funktionieren. "Ich... ich weiss es nicht, Ryatt... Ich wünschte, das wäre eine leichte Entscheidung aber... aber nichts davon ist einfach...", nur für den Fall, dass er blind war und das nicht gemerkt hatte. "Ich muss erstmal mit Aryana reden... und... keine Ahnung", das würde sie sicher tun. Aber am Ende lag das Schlusswort auch nicht bei Aryana. "Wie stellst du dir das denn vor? Dass wir jetzt ein paar Monate wieder Freunde sind und dann kommt Victor irgendwann zurück und du verschwindest komplett, wie du das schon mehrfach erwähnt hast? Ich will dir das nicht vorwerfen, aber du siehst bestimmt selbst, dass sowas einfach einen schmerzhaften Absturz nach dem anderen für uns bereithält", sie wusste nicht, ob es ihr die Entscheidung wirklich aktiv erleichterte, wenn sie mit ihm über die Zukunft redete. Aber diese Frage dürfte er sich selbst wohl auch schon gestellt haben. Er bat hier doch bestimmt nicht um eine weitere Chance, um am Ende auch diese einfach wegzuwerfen, oder?
Bin von den Weihnachts-Toten wieder auferstanden... x'D War wie erwartet wieder etwas viel, mir hat dementsprechend die Schreibmotivation gefehlt und mein Hirn ist auch jetzt noch etwas gerädert, aber länger aufschieben wollt ichs auch nicht mehr. :'D Ich hoffe trotzdem du konntest Weihnachten genießen? :) ________
Schon der bloße Gedanke daran, wie Aryana im Gespräch mit Faye wahrscheinlich bodenlos über mich herziehen würde, bereitete mir die nächsten Stiche im Magen. "Das verstehe ich...", zeigte ich mich trotzdem verständnisvoll gegenüber dieser Sache. Mir blieb einzig zu hoffen, dass die zierliche Brünette sich nicht allzu sehr von ihrer älteren Schwester beeinflussen lassen würde, denn in diesem Fall stünden meine Chancen unterirdisch schlecht. Wie ich mir das alles zukünftig vorstellte, war keine leichte Frage und ich seufzte leise, als Faye danach fragte. Ich antwortete auch nicht sofort, sondern versuchte trotz des heillosen Chaos' in meinem Kopf eine möglichst alles umfassende Antwort darauf zu finden. Wenn ich die Freundschaft wirklich nachhaltig kitten wollte, wäre es schließlich außerordentlich dämlich, das Ganze später ein zweites Mal wegzuwerfen. Nur, um dann am Ende zwei Monate später nochmal auf Knien zurück zu kriechen. So tief würde wohl nicht mal ich sinken, mit dem letzten kleinen Häufchen Stolz, das ich noch hatte. "Nein, natürlich nicht... sonst könnte ich mir diesen Gang der Schande ja auch gleich sparen." Trockener, gemurmelter Sarkasmus, der das Gespräch aber auch nicht angenehmer machte. Hier war schlichtweg Niemandem nach Lachen zu Mute. "Ich möchte dich als Freundin nicht verlieren... nicht nochmal. Wahrscheinlich werd' ich eine kleine Weile brauchen, bis ich mich dann daran gewöhnt habe, in deiner Prioritätenliste ein gutes Stück nach unten zu rutschen... aber solange du mich nicht plötzlich völlig vergisst, weil Victor wieder da ist... kann ich mich damit arrangieren." Optimistische Worte für Jemanden, der sich bisher eigentlich noch nie damit arrangiert hatte. Ich spielte in keiner Lebenslage jemals gerne die zweite Geige, aber ich würde es in diesem Fall tun müssen. Wenn ich Faye nicht noch einmal so rücksichtslos verletzen wollte, dann musste ich ganz dringend gefühlt die Hälfte meiner bisherigen Lebenseinstellungen überdenken. An sich zu arbeiten war nie einfach, aber meine Psyche verlangte das jetzt ohnehin von mir. Unter Easterlins Flagge konnte ich mir kein PTSD-Drama leisten. "Und ich hab natürlich trotzdem nicht vor, für immer hier zu bleiben... das wollte ich ja nie und jetzt noch weniger, nachdem mir die Pest wieder im Nacken sitzt. Wenn ich einen Weg gefunden habe, da endgültig rauszukommen, werde ich das Weite suchen. Den Fehler, hierzubleiben, mache ich kein zweites Mal... aber wir wären nicht die ersten und auch nicht die letzten, die eine Freundschaft auf Distanz hinkriegen würden... solange wir uns Mühe damit geben, uns nicht aus den Augen zu verlieren, kann das funktionieren. Ist langfristig vielleicht sogar ganz gut, weil Victor mich dann eben nicht mehr direkt vor der Nase hat...", und ich ihn genauso wenig. Selbst dann, wenn er kein eifersüchtiger Typ war, würde ich ihm spätestens jetzt nach dem Kuss ein Dorn im Auge bleiben. Es wäre schräg, wenn es nicht so wäre, nach allem was Faye und ich in seiner Abwesenheit zusammen gemacht hatten. Wenn sie mich in ihrem Leben behielt, obwohl er wieder da war, dann hatte er einen sehr triftigen Grund dafür, mir nicht über den Weg zu trauen und mich grundsätzlich nicht in seiner Nähe haben zu wollen. Oder in Fayes. "Ich will es richtig machen diesmal, Faye. Irgendwann hab ich aufgehört zu zählen, wie viele potenziell gut werdende Freundschaften ich im Lauf meines Lebens gezielt in den Sand gesetzt habe... nur um dann am Ende wieder mehr oder weniger allein dazustehen, weil ich mich damit vermeintlich besser fühle. Nur ist das ja offensichtlich gar nicht wirklich so, sonst hätte ich mich in den letzten Wochen nicht so... unfassbar elend damit gefühlt, dir so weh getan zu haben." Ich atmete bebend ein und wieder aus. Ein paar Sekunden später sah ich zögerlich ein weiteres Mal kurz zu Faye rüber. Dieses ganze sich öffnen ließ mir noch immer das Herz rasen. "Du... warst immer für mich da. Egal um was es ging, egal zu welcher Uhrzeit... und ich hab dir das damit gedankt, dich im Stich zu lassen. Ohne Antworten, die du dir längst verdient hast und ohne jegliche Reaktion... ich will das wieder gut machen. Für dich da sein und dein Leben endlich auch mal leichter statt schwerer machen..." Hörte man irgendwann damit auf, bei solchen Gesprächen zu schwitzen? Für mich schwer vorstellbar.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Aww welcome back! xD Kann ich verstehen, ich hoffe, es war trotzdem einigermassen schön / erträglich. :3 Bei mir wars gemütlich, wie vorausgesagt. :) Hab mich ganz nett vom Familienfest am 26. abgemeldet und heute bin ich auch erst nach dem Essen dazugestossen, als mein Grossvater / Grosstante noch zu Besuch waren, war also voll okay.^^ ___________
Natürlich nicht, sagte er... Sie wusste nicht, wie natürlich das war, immerhin war er bis vor kurzem noch vom Gegenteil überzeugt gewesen. Nämlich davon, dass diese Freundschaft beendet wäre, wenn Victor zurückkam. Aber scheinbar war sie nicht die Einzige geblieben, die sich in den letzten Wochen ihre Gedanken zum Leben, dieser Freundschaft und dem Rest gemacht hatte. Offensichtlich hatte Ryatt diese Pause nötig gehabt, um zu merken, dass er sie gar nicht wirklich loswerden wollte. Dass er sie eigentlich brauchte. Wie sie ihn auch, sonst wäre sie nämlich nicht hier. Was Victor dann davon halten würde, stand noch ein bisschen in den Sternen. Ryatt hatte es schon einmal angesprochen, aber je nach dem wie die Antwort ihres Freundes ausfallen würde, war seine Rückkehr - egal wie dieses Gespräch hier ausging - trotzdem der Todesstoss dieser Freundschaft. Sie würde nicht, niemals, riskieren, dass ihre Beziehung in die Brüche ging oder allzu sehr litt, bloss weil sie Ryatt ums Verrecken nicht aus ihrem Leben stossen konnte. Das war ihr spätestens in den letzten Monaten wieder deutlich klar geworden - sie brauchte es aber wahrscheinlich nicht ein weiteres Mal zu betonen. Auch, weil sie noch immer nicht davon ausging, dass das tatsächlich ein so grosses Problem sein würde. Sie konnte Victor sehr gut erklären, wie die Beziehung zwischen ihr und Ryatt aussah. Sie konnte ihm auch sagen, was passiert war, auf das sie nicht stolz war. Weil sie dann nämlich auch sehr klar erklären könnte, wie sie sofort gewusst hatte, dass es falsch war und wie sie sich danach gefühlt hatte. Zumindest was den Kuss und die Situation im Club anging. Dass sie in der Silvesternacht quasi auf seinem Schoss gesessen hatte, war etwas anderes, aber dafür erwartete sie ehrlich gesagt auch Verständnis von Victor. Er wusste, wie schlimm Feuerwerke waren, er wusste, wie sie war, wenn sie richtig Angst oder gar Panik hatte. Sie glaubte kaum, dass er das ihr oder Ryatt ankreiden würde. Aber genug zu hypothetischen Reaktionen in der Zukunft und zurück zu dieser Unterhaltung, die nämlich noch keineswegs gelöst und ausdiskutiert war. "Ich... ich werde dich sicher nicht einfach vergessen...", versicherte sie ihm als letzten Kommentar dazu, bevor sie dem lauschte, was er sonst noch zu sagen hatte. Dass er noch immer umziehen wollte, jetzt erst recht. Wegen den Hernandez - unter anderem. "Victor will auch umziehen... Ich weiss nicht wie bald nach seiner Rückkehr, aber das mit der Freundschaft auf Distanz wird wohl sowieso nicht wirklich vermeidbar sein. Aber ja... ist nicht unmöglich", wenn auch definitiv nicht bevorzugt, aber an diesen Tatsachen gab es wenig zu rütteln. Faye glaubte ihm jedes Wort von dem, was er etwas stockend über die Lippen brachte. Vielleicht sollte sie das nicht tun. Eine leise Stimme in ihr wollte sie warnen, nicht direkt wieder so leichtsinnig und naiv nachzugeben, wollte sie nicht vergessen lassen, dass Ryatt nicht halb so ungefährlich war, wie sie das gerne glauben wollte. Wollte ihr sagen, dass Aryana nicht noch mehr Probleme im Leben hätte, wenn sie einfach schon viel früher aufgehört hätte, mit diesem Mann zu reden. Aber die Stimme war ein bisschen zu leise. Viel leiser als die Reue in seinen Worten, die nächste aufrichtige Entschuldigung, die er ihr entgegenbrachte. Faye biss wieder auf ihrer Lippe rum, blickte nur kurz in seine Richtung, bevor ihre Augen wieder den Kiesboden suchten. "Ich... ich glaube dir das alles, Ryatt. Und ich... will dir auch wirklich nochmal eine Chance geben... Aber ich muss trotzdem noch über all das nachdenken... Einfach weil es... eben ziemlich viel ist", gab sie ihm zumindest einen Funken Hoffnung mit auf den Weg, während sie ihn im Grunde gerade auf ein ander Mal vertröstete. Sie durfte nicht wieder gutgläubig sein. Und das wäre sie, wenn sie jetzt einfach sagte, dass das schon okay war. Wenn sie jetzt eine Entscheidung traf, die sie nicht wirklich durchdenken konnte, weil Ryatts Gegenwart sie zweifellos beeinflusste. "Aber was ist mit Riley? Was hat sie gesagt und haben sie dir etwas angetan?", die Frage hatte auf den ersten Blick nichts mit dem, was sie gerade besprochen hatten, zu tun. Aber es interessierte Faye aus zwei Gründen: Einer davon war eben doch, dass sie abschätzen können wollte, ob die Hernandez ihr auch nochmal gefährlich wurden, wenn sie sich weiter mit Ryatt traf. Sie hatten ihr zwar versprochen, sie in Ruhe zu lassen, aber wer gab schon was auf Versprechen von Verbrecher? Ausserdem wollte sie wissen, wie tief Ryatt schon wieder drinsteckte und wie akut die Gefahr für ihn selbst war. Sie wusste nicht, wie sie ihm in dieser Sache helfen sollte, aber je nachdem müsste sie mehr oder weniger dringend über eine Lösung nachdenken.
Mehr, als dass Faye mich nicht vergessen würde, konnte ich mir in dieser Situation nüchtern betrachtet sowieso nicht wünschen. Ich hatte ihr ja sogar gute Gründe gegeben, mich gerne aus ihrem Leben zu wollen… nur war das bekanntlich nicht gleichzusetzen. Darüber hatten wir schon in der Bar geredet und beim Streichen meiner ungeliebten - hoffentlich bald ehemaligen - Wohnung hatte ich genau deswegen einmal sehr frustriert den Pinsel in den Eimer geknallt. Egal wie weit weg Faye sich zu dem Zeitpunkt schon angefühlt hatte, hatte ich sie noch längst nicht vergessen. Wir hätten das Anpinseln der Wände zusammen machen sollen. Hätten wir ziemlich sicher auch getan, wenn ich nicht wieder so extrem erwachsen den Entschluss gefasst hätte, sämtliche Schotten dicht zu machen. Trotz allem schien es nicht spurlos an Faye vorbeizugehen, dass ich mir hier gerade dezent verzweifelt den Mund fusselig redete. Von Kopf bis Fuß mit gefühlt 1000 Volt geladen, nickte ich trotz der tendenziell guten Nachricht nur schwach vor mich hin. "Keine Eile… nimm dir bitte alle Zeit, die du brauchst.", murmelte ich. Natürlich würde ich trotzdem weiter auf heißen Kohlen sitzen, bis ich eine endgültige Antwort von ihr bekam. Das war ein blödes Gefühl, aber ich hatte mich mit meiner rückwirkend geänderten Meinung und der dazugehörigen Entschuldigung auch nicht gerade beeilt. Es wäre mir auf jeden Fall eine Lehre, je länger je mehr. Ich konnte dankbar sein für jede Minute, die sie überhaupt noch mit mir verbrachte. Womöglich zog sie mit Victor sowieso schon ans andere Ende der Staaten, bevor ich hier selbst wegkam... wobei ich das streng genommen verhindern musste, oder? Es wäre natürlich schön, die Brünette in sicherer Entfernung zu den Hernandez zu wissen, aber wie würde sich das auf deren Drohung auswirken? Würden sie dann versuchen, über mich wieder an Fayes neuen Wohnort ranzukommen? Dann würde ja alles wieder von vorne losgehen... Die Frage zu Riley unterbrach diesen Gedankengang. Leider konnte ich darauf nicht ganz wahrheitsgemäß antworten. Das war zu riskant für die ganze Mission. Wenn Faye wüsste, dass sie die treibende Kraft hinter der Drohung war, erlebten wir hier außerdem gleich den nächsten Nervenzusammenbruch und es war weiß Gott so schon schlimm genug. Auch wenn sie immer wieder betonte, keine schützende Hand über sich haben zu wollen, ging es dabei leider auch um mich selbst. Ich glaubte nicht, dass sie uns in diesem Moment beobachteten. Möglich war es trotzdem - offensichtlich hatten wir es ja monatelang schon nicht gemerkt. "Nein, sie haben mir nichts getan... und gesagt, dass sie das auch nicht tun werden, solange ich brav das Geld besorge.", seufzte ich. Das Geld, das ganz bestimmt nicht dem hohen Gehalt entspringen würde. Das war zwar wirklich saftig, wenn ich erstmal aus der Probephase raus war, aber es würde trotzdem niemals für die Kaution reichen. "Den Tod drohen sie mir zwar nicht an, aber die nicht klar definierte Alternative dazu möchte ich ziemlich sicher genauso wenig erleben..." Schlimm genug, dass Faye schon jetzt für immer mit den Konsequenzen leben musste, die nur meine hätten bleiben sollen. Allein der Gedanke daran, dass Gil die eigentlich unbeteiligte Brünette noch ein weiteres Mal durch die Hölle schleifen wollte, jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Es machte mich aber auch unfassbar wütend. Wütend auf die Hernandez, vor allem aber auch wütend auf mich selbst. Ich hätte das alles vermeiden können, wenn ich einfach schon vorher damit angefangen hätte, mich der Vergangenheit zu stellen, statt davor wegzulaufen. Vielleicht hätte ich mir die noch folgenden Worte verkneifen sollen, aber am Ende machte es kaum einen Unterschied. Faye war nicht dumm und sie hatte vor dem Eklat in der Bar viel Zeit mit mir verbracht. Sie würde sowieso spätestens dann selbst darauf kommen, wenn sie nachher in Ruhe über all das nachdachte. "Wenn sie mich wirklich die ganze Zeit über noch im Visier hatten und nicht jetzt erst wieder auf diese Idee gekommen sind, weil sie Geld brauchen, dann wissen sie wahrscheinlich auch von uns... ich denke eigentlich nicht, dass sie vorhaben, dir wieder etwas antun..." Allein deswegen nicht, weil ich diesmal einspuren würde. "Aber ich bin trotzdem auch deswegen hier, weil ich dich warnen wollte. Ich will nicht, dass dir nochmal sowas... Schlimmes zustößt. Bitte pass auf dich auf, Faye." Nach dieser leisen Bitte sah ich das erste Mal auch wieder etwas länger zu ihr rüber. Musterte die kaum noch sichtbare Narbe an ihrem schmalen Hals, die mir schon damals aufgefallen war, als wir uns beim Wiedersehen in ihr Auto verkrochen hatten. Meine Finger verkrampften sich ein weiteres Mal. Ich wusste, dass ich es mir niemals verzeihen könnte, wenn sie ein weiteres Mal meine Fehler ausbügeln müsste. Dieses Mal würde ich das vermeiden. Um jeden Preis.
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Das würde sie selbstverständlich tun. Aber realistisch gesehen, wäre der Entscheid wohl nach ein paar Tagen gefällt. Vielleicht sogar schon heute, weil ihr Herz sich nicht mehr umstimmen liess, obwohl ihr Kopf bestens wusste, dass das dumm und gefährlich war. Wie gefährlich konnte sie hier nur ahnen, denn genau genommen wusste sie ja mal wieder sehr wenig. Auch wenn sie versuchte, etwas Licht ins Dunkle zu bringen, mit den Fragen, die sie Ryatt gestellt hatte. Er ging auch darauf ein, klärte einen Teil ihrer Unsicherheiten auf und sie lauschte sehr genau, was er zu den Hernandez zu sagen hatten. Beziehungsweise was sie scheinbar zu ihm gesagt hatten. Ein ähnliches Ultimatum wie bei ihr und Victor - dass er einfach tun musste, was sie verlangten, und dann geschah ihm nichts. Bei ihm hatte es glücklicherweise nicht zuerst eine oder zwei Nächte der Folter gebraucht. Das hatte sie schon ausfindig zu machen versucht, als er aus dem Bus gestiegen war und sie war froh, dass er nun auch nochmal selbst bestätigte, dass er bisher von Folter verschont geblieben war. Sie ging einfach mal davon aus, dass das der Wahrheit entsprach und er sie nicht belog, bloss weil er ebenfalls ein Messer an den Hals gehalten bekommen und das geschworen hatte. "Und das Geld bekommst du so..? Bis wann musst du es haben?", stellte sie direkt zwei Folgefragen, weil sie so sicher wie möglich gehen wollte, dass der Horror irgendwann sein bitter verdientes Ende fand und nicht noch in eine Extrarunde ging, in der Ryatt zum absolut unfreiwilligen Protagonisten gemacht wurde mit welcher Strafe auch immer. Sie wünschte fast, er hätte nicht weiter gesprochen. Hätte das, was gleich folgte, für sich behalten. Sie war ihrer Meinung nach wirklich bereits ausreichend paranoid, brauchte keinen zusätzlichen Grund dafür. Ryatt sagte es auch sicher nicht, damit sie sich noch beschissener fühlte, sondern wirklich einfach, weil er sich Sorgen machte. Aber das milderte den absolut bitteren Geschmack der Nachricht leider keineswegs. Ihre Augen sprachen für sich, als sie auf seine trafen. Trugen die blanke Angst und den Horror der Erinnerung in sich, die sie niemals wieder ausgraben, geschweige denn wiedererleben wollte. Ihre Finger wanderten zu der feinen Narbe, als sein Blick genau dort hängen blieb. Dabei war das noch der harmlosere Teil der Spuren, die sie von den Klingen dieser unmenschlichen Gestalten davongetragen hatte. Das waren nur Sean und Riley gewesen. Bevor letztere beschlossen hatte, ihrem Bruder das Messer zu überreichen. "Ich versuch's, wirklich… aber das letzte Mal hab ichs auch versucht. Und dann ist das passiert…", antwortete sie leise und wenig zuversichtlich. Sie wünschte, sie könnte weiterhin einfach mit aller Kraft dran glauben und daran festhalten, dass dieses Dreckspack ihr fernblieb, solange sie nicht über die Vergangenheit sprach. Mit niemanden bis auf Victor und zu Teilen davon mit ihrer Psychologin, aber die hatte Schweigepflicht und durfte nichts davon weiterleiten. Mrs White hatte es ihr ganz schön oft versprechen müssen, bis Faye irgendwann, nach etlichen Wochen gemerkt hatte, dass sie nicht weiterkam, wenn sie nie redete. Sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, einen schriftlichen Vertrag in die Therapie zu bringen, damit sie sich noch ein bisschen sicherer sein konnte, dass nichts erzählt wurde. Aber das hatte sie dann bleiben lassen, weil sie das Risiko, die Hernandez' würden den Vertrag finden und merken, dass sie geredet hatte, als grösser einschätzte, als dass Mrs White ihr Versprechen brach. Sie wusste ohnehin nicht alles. Jetzt war diese Sicherheit trotzdem nicht mehr halb so gross. Wenn sie Ryatt nochmal heimgesucht hatten, würden sie irgendwann sicher auch wieder bei ihr klingeln, wenn Ryatt versagte. Durfte er also auf keinen Fall... "Kann ich denn irgendwas tun? Soll ich jetzt schon wegziehen? Victor anrufen?", nein, besser nicht. Er würde sich Sorgen des Todes machen und dann würde er zurückkommen und wäre genauso in Gefahr wie sie. Besser er blieb, wo er war, bis dieser Schrecken irgendwann ein Ende fand... Das letzte Mal war er auch nur dafür ausgenutzt worden, den Horror für sie noch ums Hundertfache grausamer zu gestalten...
wow gar nicht gemerkt, dass ich da oben zu antworten vergessen habe... *facepalm* x'D Es war schon auch schön, ja. Nur hab ich mir jetzt entweder von meinem Neffen oder von meinem Dad schon wieder Halsschmerzen eingefangen. Es ist als dürfte es einfach kein Ende haben mit dem krank werden, ich kooootttzzzeeee. x'D ______
Wenn es doch nur so einfach wäre. Ein bisschen wie im Schlaf Arbeiten und ein halbes Jahr das Geld für Riley und Co beiseite legen, nur um danach dann ohne jegliche Schwierigkeiten endlich final frei zu sein. So war es aber natürlich nicht, weshalb ich ein weiteres Mal angestrengt durchatmete. "Es ist kein schlechter Anfang, aber... reichen wird das nicht. Sie hat mir nur ein halbes Jahr gegeben und so gut ist das Gehalt dann auch wieder nicht...", spuckte ich einen weiteren Teil der Wahrheit aus. Im Grunde konnte ich Easterlins Lohn also gleich behalten, weil das den Kohl am Ende nicht ansatzweise fett machen würde. Entweder ich bekam das mit der Erpressung hin, ließ mir einen Plan B zur Geldbeschaffung einfallen oder... nein, kein oder. Ich wusste noch nicht, wie ich die verlangte Kaution innerhalb so kurzer Zeit sicher stemmen konnte, aber es gab halt keine andere Option. Außer die Ausrottung der Pest selbst, aber das kam aus diversen Gründen leider nicht wirklich infrage. Der ganzen Stadt und Umgebung wäre dennoch ein riesiger Gefallen damit getan. "Aber ich werde einen Weg finden, das Geld aufzutreiben... ohne wieder irgendwelche Geschäfte auszurauben, versteht sich.", murmelte ich. Erpressung war nicht wirklich weniger strafbar als bewaffneter Raub, aber wenigstens war Easterlin dabei der einzige, der ein Trauma und Paranoia davontragen würde. Ehrlicherweise fühlte ich mich auch nicht unbedingt schlecht dabei, ihn seines Geldes berauben zu müssen. Er hatte Geldscheine wie Sand am Meer. Ein paar Dollar zu verlieren würde ihn nicht halb so sehr zerstören, wie es ein erneutes Hernandez-Attentat bei Faye tun würde. Ich hätte mir gerne die Haut vom Gesicht gezogen, als die Brünette meinen Blick erwiderte. Mir dabei indirekt ein weiteres Mal erzählte, was sie vor einigen Monaten wegen meiner nichtsnutzigen Existenz hatte durchmachen müssen. Ich wünschte mir ja selbst permanent, die ganze Situation wäre etwas besser kalkulierbar. Es gab für mich aber keine Möglichkeit, sicher damit zu sein, dass Gil nicht irgendwann auf halber Strecke einfach beschloss, dass er schon lang genug gewartet hatte. Dass eine dieser Pestbeulen das gegebene Wort brach. Ich hatte für nichts auch nur den Hauch einer Garantie und das bescherte mir wahrscheinlich mindestens noch das folgende halbe Jahr lang beschissenen Schlaf. Mit einem hörbaren Schlucken sah ich wieder nach unten auf den Weg. Am liebsten hätte ich Faye an dieser Stelle versprochen, dafür zu sorgen, dass ihr nie wieder auch nur ein Haar gekrümmt wurde. So ein Versprechen wäre aber utopisch. "Ich werde wirklich versuchen, ihre Aufmerksamkeit so gut es geht bei mir zu halten... sie zufriedenstellen und jeden Konflikt vermeiden, so weit wie nur irgendwie möglich ist... aber das ist leider alles, was in meiner Macht steht." Ich wünschte, ich hätte mehr tun können, aber alles andere entzog sich schlichtweg vollkommen meiner Kontrolle. Auf ihre eigenen Vorschläge hin schüttelte ich ohne langes Zögern den Kopf. "Falls sie dich im Auge haben, wäre das auffällig... zumindest das Wegziehen... ist ja noch nicht lange her, dass sie mich zu sich zitiert haben. Und Victor würde postwendend herkommen und dich wegschaffen wollen, nehme ich an... also...", folgte ich meinen Gedanken mit Worten und zuckte hilflos mit den gefühlt tonnenschweren Schultern. Ob Victor zurückkam, dürfte denen an sich relativ egal sein. Er änderte ja nicht grundlegend irgendwas und hatte die Hernandez das letzte Mal auch nicht daran gehindert, dass sie Faye in die Finger bekamen. Aber wenn die zierliche Brünette selbst plötzlich weg war, dann hätten sie Grund zur Skepsis und das galt es dringend zu vermeiden. "Du kannst mir damit nicht helfen und das ist auch gut so. Du musst dich da raushalten, Faye. Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist, aber... mach am besten einfach so weiter wie vorher. Leb' dein Leben, triff deine Freundinnen, geh zur Arbeit... gib denen keinen Grund, mich fragen zu müssen, ob du Bescheid weißt.", bat ich sie darum, im Idealfall einfach die Füße stillzuhalten. Das war mit dem neu erlangten Wissen über potenzielle Bedrohung ihres schlimmsten Alptraums wahrscheinlich nicht leicht oder bedenkenlos umzusetzen, aber es war das beste für uns beide. Wenn man nichts in der Hand hatte, um eine Offensive mit großer Wahrscheinlichkeit für sich zu gewinnen, dann war Defensive immer der bessere Pan. Tarnen und ruhig verhalten.
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