Isso, da gibts entweder Handy oder gar nicht schreiben und die Entscheidung hängt dann hauptsächlich von den Leuten ab, mit denen ich unterwegs bin. XD _________________
Hach, das Fotobuch… Daran hatte sie seit Silvester wohl nicht mehr gedacht, gut, dass er nochmal danach fragte. "Tatsächlich noch nicht, sollte ich wohl mal machen, bevor ich vergesse, was ich zu den Fotos schreiben wollte", antwortete sie mit einem Schulterzucken, das nicht ganz erahnen liess, wie ernst oder nicht ernst sie das gerade meinte. Grundsätzlich hatte sie noch lange nicht genügend Fotos mit oder von Ryatt, um ein ganzes Album damit zu füllen. Und wahrscheinlich würde sie es auch abgesehen davon nicht tun, weil sie ja auch sonst kein Album für jede(n) ihrer Freundinnen und Freunde hatte. Wäre zwar irgendwie schön, aber irgendwie auch sehr zeitaufwendig. Ausserdem hatte er in einer Sache, die er mal in einem weniger schönen Gespräch erwähnt hatte, schon Recht. Sie wusste nicht, was sie von den Fotos halten würde, wenn Victor irgendwann wieder da wäre. Ob sie sich dann noch wohl damit fühlen würde, durch ein solches Album zu blättern und in schönen Erinnerungen zu schwelgen, die aber rein objektiv betrachtet vielleicht schon ein bisschen an der Grenze ihrer monogamen Beziehungsform kratzten. Auch wenn sie sich darum bemühte, nicht wieder so zu enden wie im Club, hatte sie ja doch ein paar Tage später - an Silvester - wieder quer auf seinem Schoss gesessen, weil sie mit ihrem Leben spontan nicht mehr klargekommen war. Und wenn man ganz streng sein wollte, war vielleicht schon die Mehlschlacht, die unter der Dusche geendet hatte, hart an der Grenze von unproblematisch gewesen. Momentan machte sie sich nicht zu viele Gedanken um solche Sachen, solange sie beide Spass dabei hatten und sie nicht ihre anderen Grenzen auch noch in den Boden stampfte, sodass Ryatt am Ende gar nichts mehr von dem, was sie gesagt hatte, ernst nehmen konnte. Aber gut möglich, dass das irgendwann anders wäre... Komplizierte Thematik, eine weitere, über die sie sich heute nicht den Kopf zerbrechen wollte. Tat sie im übrigen zu anderen Zeitpunkten oft genug. Mit dem Notizbuch erwartete ihn wohl gleich die nächste Enttäuschung, denn leider konnte er da wirklich nicht reinschauen. "Ist leider sehr sehr privat, ich fürchte, das wird nicht möglich sein", zeigte sie sich sehr bedauernd, zuckte dabei hilflos mit den Schultern, als könnte nichtmal sie etwas daran ändern. "Von welcher Klasse möchtest du denn Bester werden?", fragte sie zurück, weil sie sich nicht daran erinnern konnte, ihre Freunde jemals in Klassen aufgeteilt zu haben. Entsprechend hatte sie auch keine Ahnung, mit wem Ryatt sich konkurrenzierte. Eigentlich mit niemandem, wenn man sie fragte, aber vielleicht hatte er darauf ja eine andere Antwort. "Wie viele Einser bis du was genau erreicht hast?", stellte sie direkt die zweite verwirrte Frage, weil er sich offenbar wesentlich besser mit ihrem Notensystem auskannte als sie selbst. Von ihr aus brauchte er theoretisch gar keine Einser, aber wenn er natürlich Klassenbester werden wollte, war das vielleicht anders, sie wusste es nicht genau. Vielleicht hätte sie sich das überlegen sollen, bevor sie mit der Benotung angefangen hätte. Was sie hingegen bestens verstand, war seine Anweisung zum Nachtisch für den Rückweg. "Oh neeeein, wie unglückliiiich, Churros an meinem Geburtstag!", war die Dramaqueen sofort wieder aktiviert, fasste sich dramatisch ans Herz. "Aber ja, wird nötig sein, Tod durch Verhungern ist irgendwie auch keine Option... dann lieber Churros mit extra viel Zucker", erklärte sie sich einverstanden, ihn dabei zu unterstützen. Redete ganz gepflegt mit halbvollem Mund vom Verhungern, als wäre es eine akute Gefahr. Noch mehr als die Churros interessierten sie zu diesem Zeitpunkt aber seine Fotos von heute, die er sich seinem Gesichtsausdruck zufolge gerade anschaute. "Ist denn was dabei, das ich mir auch anschauen möchte?", fragte sie sarkastisch nach der Qualität der Fotos, die auch ganz gut durch ein paar etwas zu dämliche Grimassen ihrerseits ruiniert sein könnte. Sie hatte natürlich auch ein paar Bilder gemacht, aber ihr Handy musste noch einen Augenblick warten, bis sie mit dem Burger fertig war.
Man kennnnnnt's... Wenn ich hotelmäßig verreise trau ich mich aber auch einfach nicht meinen Laptop mitzunehmen, der war nämlich scheiß teuer und ich bin bekanntermaßen sehr paranoid. x'D ______
Das galt es dringend zu vermeiden. Hoffentlich hatte sie die besten Spitznamen und Sprüche nicht jetzt schon vergessen, das war ja schon Monate her. Was mir wiederum erneut vor Augen hielt, wie schnell die Zeit einem durch die Finger rann. "Na dann wird's höchste Zeit, schließlich wollen wir das nicht riskieren.", bekräftigte ich sie nickend und so ernsthaft bestürzt, das klar war, dass das für mich weiterhin nur ein Spaß war. Mir persönlich erschloss sich nämlich einfach nicht, welchen Nutzen sie von so einem Fotobuch haben sollte, außer es irgendwann zu verbrennen, falls wir im Schlechten auseinandergingen. Natürlich wünschte ich mir letzteres ganz und gar nicht, würde dahingehend gleichzeitig aber auch nichts ausschließen, weil ich schlichtweg eine durch und durch merkwürdige Rolle in Fayes Leben spielte. Das war wohl eines der Dinge, bei denen wir beide uns ziemlich einig waren. Ich musste wegen dem extra betonten sehr sehr privat kurz grinsen, unterband das aber für meine nicht einverstandene Antwort. Natürlich kreisten meine Gedanken sofort um alle möglichen sehr privaten Notizen, die sie in dem Buch verwahrt hatte - Gedanken ihrerseits, die ich nicht lesen sollte. Eher ähnlich einem Tagebuch als einer Notenliste. "Du gönnst mir aber auch wirklich gar keinen Spaß.", stellte ich beleidigt fest und schob mir missmutig die nächste Pommes in den Mund, als die zierliche Brünette mir eröffnete, dass die Einsicht in ihr streng geheimes Notizbuch nicht möglich war. "Keine Ahnung... von jeder? Ich dachte dein Freundeskreis ist nicht so riesig, dass du gleich mehrere brauchst, aber ich bin sehr ehrgeizig." Ich warf ihr einen unwissenden Blick mit an gehobenen Augenbrauen zu und zuckte zum Ende meiner Worte hin mit den Schultern. Sie machte doch die Notenliste und nicht ich. Ich hatte jetzt eigentlich nur an eine einzige, allübergreifende Klasse gedacht, aber wenn es noch mehr gab, würde ich bitte gerne eingeweiht werden. "Also wie viele gibt's überhaupt und in welchen Kursen nehm' ich offiziell teil? Kann ich Zusatzkurse belegen?", fragte ich schnaubend nach dem ziemlich sicher nicht existenten System, dass sie sich gleich aus dem Hut ziehen müssen oder erneut sehr privat halten müsste. Schließlich durfte ich mir ihren anderen Freunden gegenüber keinen Vorteil durch die Ansicht verschaffen, oder was auch immer. Unsere Fantasie kannte scheinbar kaum Grenzen und ich hätte gerne eine sehr spezifische Antwort auf Fayes Frage danach gegeben, was ich eigentlich mit den vielen Einsern wollte. Denn insgeheim wusste ich ja sehr wohl, warum ich in diese Freundschaft verhältnismäßig viel investierte. Nur konnte ich das nicht sagen, weil das kleine, sehr leicht aufzuscheuchende Bambi gestolperte Haken schlagend die Flucht antreten würde. Jedwede unangenehme Situation hatte an ihrem Geburtstag nichts zu suchen, da schnitt ich mir nur ins eigene Fleisch. "Also hast du ein Notensystem, das im Grunde gar keinen Sinn hat, weil es nichts zu gewinnen gibt? Keine Sonderfreundschaftsdienste, die den Einser-Schülern vorbehalten sind?", gab ich mich mit Schmollschnute gespielt enttäuscht von dem offenbar nutzlosen System, das einem gar nichts brachte. Als hätte ich jemals nach einem solchen System gespielt - natürlich versuchte ich der zierlichen Brünetten alle Vorzüge einer Freundschaft zu bieten, aber gewiss nicht um am Ende des imaginären Schuljahres einen Orden verliehen zu bekommen. Mir fiel erst fünf Sekunden später auf, dass mein letzter Satz zumindest in meinem Kopf beim zweiten Mal drüber nachdenken sehr nach Freunden mit gewissen Vorzügen klang, also hängte ich besser noch ein paar lammfromme Beispiele an. "Gratis Kuchen? Mehr Mehlschlachten? Extra-geduldige Ohren, die mir drei Stunden lang dabei zuhören, wie ich mein ganzes Leben in Grund und Boden reden?", ich klang wieder dezent ironisch. Dabei würde ich auf letzteres wohl spätestens dann gerne zurückkommen, wenn ich mal wieder mehr oder weniger alleine einen im Tee hatte. Es kam dank der vielen Arbeit nur noch selten vor, dass ich mich zum seelischen Ausgleich in irgendeiner Bar meiner spontanen Wahl alleine betrank, um dann dem Barkeeper das Ohr abzukauen... aber alles von dem, worüber ich mich dann immer beschwerte, wäre sicher besser bei einem Menschen aufgehoben, der mich kannte. "Ich schulde dir wohl sowieso noch ein paar Antworten.", stellte ich plötzlich sehr neutral fest, als mich diese Erkenntnis traf. Die Silvesternacht war zwar turbulent gewesen, aber ich litt nicht an Gedächtnisschwund - verdrängte nur gerne, dass ich Faye damals gesagt hatte, ihr irgendwann mehr über mein Trauma und das ganze Drumherum zu erzählen. Dass ich die leere Pommestüte zusammenknüllte und der mangelnde Blickkontakt sprachen aber beide nicht dafür, dass diese Antworten heute präsentiert werden würden. Das war nämlich eine ganze Spur zu düster für diesen Augenblick. Ich wollte es gerne nur beim scherzhaften Churro-Drama und den bescheuerten Fotos belassen. "Och, joa... ein paar davon sind definitiv dem Album würdig.", bestätigte ich Faye mit wissendem Grinsen und scrollte zurück zum letzten Bild, das ich gemacht hatte, um ihr daraufhin mein Telefon rüberzuschieben und neben ihrem Teller liegen zu lassen. Mit einer Handgeste, die absolut keine Eile signalisierte. Es musste nicht jeder sein Essen so gierig runterschlingen wie ich, sie brauchte sich also nicht zu hetzen und ich lehnte mich in der Zwischenzeit mit einem zufriedenen Seufzen auf dem Stuhl zurück. Sie konnte auch swipen so viel sie wollte, nach den heutigen Fotos kamen meines Wissens nach nur Bilder der beiden Wohnungen, die ich mir angesehen hatte und danach... möglicherweise ein paar oberkörperfreie Bilder, weil ich ab und zu nach dem Training mal welche vorm Spiegel machte, um meine Form zu dokumentieren. Mann musste schließlich wissen, welcher Trainingsplan sich wie genau auswirkten, um möglichst effektiv zu trainieren und dadurch Zeit zu sparen. Allerdings kannte sie einen Teil der Wohnungsfotos schon, weil ich ihr ein paar geschickt hatte, also sollte sie bis zu diesem Punkt sowieso nicht kommen. Selbst wenn, war mein nackter Oberkörper aber sowieso nichts, was sie nicht schonmal gesehen hatte. Ich malte mir herzlich wenige Vorteile davon aus, weil Faye nicht auf oberflächlich körperlicher Ebene kommunizierte - ein Grund dafür, warum ich sie mochte.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Das wär mir tatsächlich auch noch nie eingefallen... Bei mir liegts allerdings nicht an der Paranoia, sondern einfach daran, dass ich die paar Tage mit Handy dann doch noch gerade so überlebe... Bin ja schon minimal süchtig, aber das liegt noch im Rahmen des Ertragbaren. x'DD Und ich hab sonst schon immer genug Gepäck, weil ich das Packen so ultra fest hasse, dass ichs immer mega spät mache und einfach alles in den Koffer schmeisse, was mir grad so einfällt. xD ___________
Eigentlich war die Gefahr, dass sie die Anekdoten und Hintergründe ihrer gemeinsamen Bilder vergas, eher nicht so gross, wie sie das hier gerade darstellten. Faye führte Tagebuch - nicht jeden Tag, aber meistens mehrmals die Woche. Und bis jetzt hatte sich noch jeder Ausflug und jedes Treffen mit Ryatt irgendwo auf diesen Zeilen wiedergefunden - mal mehr, mal weniger ausführlich. Auf jeden Fall ziemlich zeitnah zum Ereignis, eben so, dass die wichtigen Bemerkungen und Geschichten nicht so leicht vergessen gingen. Aber gut, das nicht vorhandene Fotobuch schien hier weit weniger Aufsehen und Verwirrung zu erregen, als ihr ebenfalls nicht vorhandenes Notenheft mit Notizen. "Aaaach übertreib mal bitte nicht, ich gönne dir sehr viel Spass! Bloss keine Akteneinsicht, die dir leider gesetzlich nicht zusteht", wimmelte sie seine Forderung übertrieben förmlich ab, als würde es wirklich eine offizielle Regelung für Freundschaftsnoten geben. In ihrer Welt hier, wo man Freunde bewertete und klassifizierte, scheinbar schon. In Klassen, die sie genau jetzt auch noch erfinden musste. Das würde ein anstrengender Tagebucheintrag werden, wenn sie den Inhalt dieses Gespräches nochmal wiedergeben wollte, soviel sei gesagt. "Natürlich habe ich mehrere Klassen... Kann dich doch nicht gegen alle meine Freunde und Freundinnen spielen lassen, sonst hat am Ende niemand mehr eine Chance gegen dich und die wollen doch auch mal was gewinnen", erklärte sie erstmal den wichtigsten Punkt. Wäre ja nicht fair, wenn sie die Leute von der Arbeit, die sie teilweise doch auch zu ihrem Freundeskreis zählte, direkt mit ihren zwei besten Freundinnen oder eben - noch schlimmer - mit Ryatt vergleichen würde. Das war nicht die gleiche Liga, also brauchte es mehrere Klassen. Die Fragen wurden noch ein bisschen komplexer, als er sich nach Kursen erkundete, die sie etwas überfordert die Stirn in Falten legen und angestrengt seufzen liessen. "Das hätte ich dir besser nicht erzählt, oder? Jetzt bist du ganz gestresst und kannst dich überhaupt nicht mehr richtig entspannen in meiner Gegenwart... Das wollte ich nicht", entschuldigte sie sich zuerst sehr bedauernd, umging damit geschickt eine direkte Antwort, um noch ein paar Sekunden Bedenkzeit zu haben. "Mach dir keine Sorgen Ryatt, du bist meistens überall viele Einser am sammeln und ich mache mir wirklich keine Sorgen um deinen Jahresabschluss", fuhr sie fort, womit wohl klar wurde, dass ihr in der Zwischenzeit keine tollen Ideen für Kurse und Zusatzkurse eingefallen waren und sie deshalb auch nicht weiter darauf eingehen würde. Bei den Sonderfreundschaftsdiensten wurde sie jedoch wieder hellhörig und zog automatisch eine Augenbraue hoch. Aber nicht aus dem Grund, den er vielleicht erwartet hatte, weil sie tatsächlich nicht direkt an irgendwelche Goodies für Musterschüler in Form von Küssen oder mehr dachte. "Naja ich weiss nicht mein Lieber, aber wie viel grössere Freundschaftsdienste wünschst du dir denn noch, nachdem ich dir bereits zweimal das Leben gerettet habe?", gab sie sarkastisch zurück, ohne den kritischen Blick wieder von ihm abzuwenden. Okay, das erste Mal Leben retten war beruflich gewesen und hatte noch nichts mit Freundschaft zu tun gehabt. Aber es hatte eben trotzdem stattgefunden, weshalb sie es einfach mal hier anmerkte. War auch nicht so, als hätte dieser Freundschaftsdienst überhaupt etwas mit dem Grad ihrer Freundschaft und den vergebenen Noten zu tun... Wie man gesehen hatte, tat sie das scheinbar auch für Menschen, die sie vor kaum zwei Wochen kennengelernt hatte. Aber das tat hier nichts zur Sache. "Vielleicht back' ich dir einen Kuchen, wenn du lieb bist und gewinnst", gab die Brünette dann doch ganz grosszügig nach, musste dem aber noch ein paar Worte anfügen: "Die extra-geduldigen Ohren wären immer da, du nutzt sie nur nicht ganz so häufig", es war mehr eine Feststellung und sicher kein Vorwurf, sie wollte es ihm nur nochmal gesagt haben, wenn er schon davon redete. Vielleicht war ihm das aber sogar schon bekannt. Die Bemerkung, die ganz nebenbei von ihm folgte, liess jedenfalls darauf vermuten. Faye schaute ihn etwas überrascht und leicht forschend an, auch wenn er ihren Blick nicht erwiderte. Sie hatte eigentlich gedacht, er hätte das Gespräch verdrängt. Nicht vergessen, aber für sich entschieden, dass er nicht weiter mit ihr darüber reden wollte, weil das alles offensichtlich ein sehr schmerzhaftes Thema für ihn war. Dem war aber scheinbar nicht so und die Tatsache, dass er nun von sich aus davon redete - sie jedenfalls dachte, dass es das Silvestergespräch sein musste, wovon er sprach - liess vermuten, dass er ihr die Antworten tatsächlich irgendwann noch zu geben plante. "Wann immer du möchtest...", murmelte sie diesbezüglich eine neutrale Antwort vor sich hin, deutete sein Verhalten jedoch eher so, als wäre dieses wann immer definitiv wann anders. Das zeigte auch der sofortige Themenwechsel, den sie so annahm, wie Ryatt ihn ihr anbot. Sie nahm das Handy, wobei sofort wieder das Lächeln auf ihr Gesicht zurückkehrte, als sie die Bilder durchschaute, während sie sich nebenbei noch die Pommes zwischen die Zähne schob. "Oh wow, in der Tat... da sind ein paar sehr vorteilhafte Exemplare dabei", bestätigte sie seine Aussage, während sie gerade in ein besonders dämliches Bild zoomte, auf dem ihr angestrengter Gesichtsausdruck zusammen mit der leicht verkrampften Körperhaltung eindeutig nicht für sie sprachen. Aber lustig wars trotzdem und auf dem nächsten Bild lachte sie längst wieder fröhlich zwischen Seilen und Bäumen vor sich hin. Sah dabei zwar immer noch eher ungeschickt aus, aber sie hatte glücklicherweise keinen Anspruch an Eleganz in Baumwipfeln. Nachdem sie seine Bilder durchgeschaut hatte, holte sie auch noch ihr eigenes Handy hervor, um hier das Gleiche zu tun und Ryatt sogleich alle Bilder zu schicken. So viele waren es nicht, sie hatte die Fotografie etwas vernachlässigt. Aber ein paar hatten sie und damit liess sich auch schon sicherstellen, dass dieser Tag nicht so schnell vergessen ging. Falls das nicht eh schon gegeben wäre, weil sie dafür viel zu viel Spass gehabt hatten.
Ich komme an sich auch sehr gut ohne klar. Aber mittlerweile ist es eigentlich fast immer so, dass mein Freund seinen Laptop wegen Arbeit mitnimmt falls in der Zwischenzeit irgendwas wichtiges is (und JA, das nervt, aber lässt sich während Geschäftsaufbau kaum vermeiden x'D). Wenn ich also eh vorher weiß, dass er da ziemlich sicher zwischendurch dranhängen wird, hätt ich halt in genau den Momenten auch immer gern bequem meinen Laptop, statt nur das blöde Handy zum Tippen, wo mir früher oder später immer die Finger verkrampfen. v.v Was das Packen angeht, schließ ich mich leider an. Kommt selten vor, dass das schön geordnet und sinnvoll passiert. Deswegen hab ich fast immer zu viel dabei und trotzdem irgendwas vergessen - man muss es lieben. x'D ______
Akteneinsicht klang weniger nach amüsante Kommentare neben meinen Noten lesen, war die Sache so ernst? "Das klingt als würdest du mich im worst Case vor den Staatsanwalt zerren... mit welcher kreativen Begründung auch immer.", prustete ich belustigt und schüttelte leicht den Kopf. Dabei kursierte natürlich ein entsprechendes Bild in meinem Oberstübchen, in dem ein Richter hinter seinem Pult Faye völlig perplex aussah, weil Faye mich aufgrund schlechter Freundschaft verklagen wollte. Perfekte Umstände, um wieder bei den Seelenklempnern eingeliefert zu werden. Aber das würde uns wohl auch so der eine oder andere empfehlen, sollte uns jemals Jemand bei solchen teils merkwürdigen Gesprächen zuhören. Am Ende dachte noch Jemand, wir machten hier ernst. Denn natürlich wurde ich nicht einfach mit allen anderen in eine Klasse gesteckt - wo blieb da die Fairness? "Ach, stimmt ja. Ganz vergessen. Ich bin fast immer eine Klasse für mich.", tat ich mit einem Schnalzen so, als wäre ich der unfehlbarste Freund, den man sich nur wünschen konnte, was nicht der Fall war. Deshalb wartete ich auch ziemlich gespannt darauf, welche Umstände unsere Beziehung zueinander zukünftig ins Wanken bringen würden. Was jedoch nicht heißen sollte, dass ich mir diesen Augenblick schon herbeiwünschte. Bis dahin quälte ich mich nur mit der rein theoretischen Frage, in welcher Klasse ich denn nun eigentlich spielte - sie würde kaum noch mehr Freunde wie mich haben, oder? "Ich bin mir echt nicht sicher, ob ich mit diesem ganzen neuen Stress umgehen kann... aber ich muss wohl einfach auf dein Urteilsvermögen bauen.", seufzte ich, so als hätte sie mir gerade ungefähr zehn Tonnen Schutt auf die sowieso schon vollen Schultern geladen. Laut Faye war mein Abschluss zum Glück nicht gefährdet, also wenn ich einfach so ähnlich weitermachte wie bisher, sollte nichts schiefgehen. Als die zierliche Brünette ihre Lebensretter-Qualitäten ansprach, wanderte meinerseits kurz eine Augenbraue nach oben und ich verschränkte meine Hände vor dem Bauch. Wenn ich mich recht entsann, dann hatte Faye nämlich irgendwann mal gesagt, dass das alles ja auch ganz anders hätte laufen können und ich es nicht so sehr ihr zuschreiben sollte, dass ich noch lebte. So oder so ähnlich. Also nicht ganz fair, diese Karte jetzt einfach mal doch zu ziehen - aber ich ging des Sarkasmus' wegen nicht darauf ein. "Dann freut's dich bestimmt zu hören, dass du in meinem Telefon als einer von drei Notfall-Kontakten fungierst.", ließ ich sie mit einem fast schon engelsgleichen Lächeln wissen. Auch wenn ich hoffte, dass es niemals dazu kam, dass ich davon Gebrauch machen musste, konnte ich das nicht ausschließen. Es sollten nur um Himmels Willen bitte nie wieder todbringende Verletzungen die Ursache für so einen Anruf sein - hatten wir ja vorhin schon geklärt, dass wir uns damit einig waren. Der Gewinnerkuchen war da ein schönerer Gedanke. Zu Faye war ich eigentlich auch immer lieb, wenn wir nicht gerade extrem unterschiedliche Standpunkte vertraten, also hatte ich den Kuchen quasi schon so gut wie in der Tasche. "Kuchen nehm' ich immer gern." Erstmal aber vor allem den zum Geburtstag, an dem ich wohl gleichzeitig feiern würde, die Heimarbeit endlich los zu sein. "Ich weiß, ich weiß... ist in Planung.", meinte ich wieder eher beiläufig und nickte ohne Blickkontakt vor mich hin, als sie die offenen Ohren ansprach. Das war wohl eins der Dinge, bei denen ich in Sachen Freundschaft maximal eine schlechte Drei bekam - ich war nur bedingt ein guter Zuhörer. Grundsätzlich hatte ich den Drang dazu, meine Ratschläge oder anderweitig meinen Senf dazuzugeben, was nicht Jeder mochte. Wenn man dann auch noch nicht so besonders viel von sich selbst erzählte, waren das keine guten Voraussetzungen. Ich würde mich Faye öffnen müssen, wenn ich das auch auf der anderen Seite gerne wollte - es stand also auf meiner To-Do-Liste mit unliebsamen Angelegenheiten. Als die Brünette mir das Handy zurückgab, tat ich es ihr mit dem Schicken gleich und besah mir anschließend die Schnappschüsse, auf denen meine Visage zu sehen war. Bei einem Bild kniff ich die Augen zusammen und zoomte ran. "Da seh' ich aus als wär ich schon fast 40... ich sollte zusätzlich zum Training wohl damit aufhören, die Stirn beim Nachdenken in Falten zu legen.", stellte ich leise in mich hineinlachend fest. Auch wenn ich ungerne schon an der hässlichen 32 kratzte, war das Foto lustig anzusehen und auch nicht das einziges Bild, über das man sich köstlich amüsieren konnte. Wurde vielleicht langsam Zeit mal einen eigenen Ordner auf meinem Handy zu schaffen, in dem nur unsere unverwechselbaren Schnappschüsse landeten. Als Faye ebenfalls mit dem Essen fertig zu sein schien, hielt ich noch vor dem Aufstehen wieder Ausschau nach einem Mülleimer. Selbst die waren hier in eine nette Holzverkleidung eingerahmt, damit sie den natürlichen Flair möglichst wenig störten. "Churros und Abflug, oder willst du noch 'nen Augenblick sitzenbleiben?" Damit fanden meine Augen erneut zu der jungen Frau.
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Achso ja, das ist natürlich eine andere Ausgangslage und sehr verständlich... xD Von den Leuten, mit denen ich in den Urlaub fahre, hat halt nie jemand den Laptop dabei. xD Joa, zu viel dabei und etwas vergessen trifft es leider ganz gut.. x'D Hast du hier eigentlich noch Pläne für den Geburtstag oder wollen wir dann zum Samstag springen? Also ich kann das auch machen, je nachdem ob du noch was zu schreiben weisst... x'D ____________
"Ja, würde ich natürlich machen. Passt ja auch bestens zum Rest meines Charakters", erklärte sie trocken, dass er sich sehr wohl vor einem erneuten Abstecher vor Gericht fürchten müsste, wenn er ihre Freundschaft nicht genau so erwiderte, wie sie sich das vorstellte. Das war eine sehr gefährliche Grenze, bei der sie ausserordentlich hart durchgriff. Eben ganz typisch sie, die niemandem jemals eine zweite oder gar dritte Chance geben würde. Sie, die gerne möglichst viel Ärger sammelte im Leben, weil sie das einfach brauchte, um glücklich zu sein. Das könnte man leider tatsächlich meinen - war aber eigentlich nicht der Fall. Ihr Gesicht wurde erneut von einem Grinsen geziert, als er wieder den unmöglichen Stress erwähnte, der für ihn mit dieser ganzen Notensache verbunden war. Blieb ihm leider kaum was anderes übrig, als einfach darauf zu vertrauen, dass sie genau wusste, was sie tat und ihn nicht plötzlich komplett falsch einstufte und mit absolut unverdient schlechten Noten strafte. Aber das sollte sie hinbekommen, weshalb sie für ihren Teil das alles auch etwas lockerer sah. Die Sache mit den Notfallkontakten auf seinem Telefon war da schon etwas ernster, weshalb auch ihr Blick ein bisschen interessierter wurde. "Einer von drei? Bin ich denn wenigstens der Erste von drei? Ich stell mich auch nicht gerne hinten an und bin lieber etwas besonderes, weisst du", wollte Faye wissen, welche Position sie denn auf dieser Rangliste besetzte. Auf dem Podest war sie bei einer Konkurrenz von zwei, bzw. drei Personen sowieso, aber ob ihr, als bekanntlich unendlich ehrgeizigen Mensch, das Podest reichte, war etwas fraglich. Insbesondere dann, wenn sie wusste, dass sie mal die Nummer Eins gewesen war. Sonst hätte er nämlich irgendwen sonst angerufen, als er wegen der Stichwunde zum zweiten Mal fast gestorben wäre. Möglicherweise war das auch auf ihre Kompetenzen als Rettungssanitäterin zurückzuführen, aber nahm sie jetzt einfach mal nicht an. Vielleicht liess sich ein weiterer Kuchen ja mit dem Gespräch verbinden, das scheinbar in Planung war? Sie musste eh noch ein paarmal backen bis zu seinem Geburtstag, weil sie ja sonst bis dahin nicht wusste, welches sein Lieblingskuchen war. Aber die Idee behielt sie vorerst für sich, heute backte sie nichts mehr und inwiefern sie fürs Reden ein spezifisches Treffen ausmachen würden, wusste sie auch nicht. Meistens ergab sich sowas doch von selbst und war schlicht sehr stimmungsabhängig. Sie hatte an einigen Tagen jedenfalls ein weit grösseres Bedürfnis, sich mit jemandem über die Dinge zu unterhalten, die sie bedrückten oder beschäftigten, als an anderen. Heute zum Beispiel hatte sie keins, weshalb sie ohne Widerrede einverstanden war, das alles an einem anderen Tag anzugehen. Denn meistens war das ja dann nicht so einseitig, wie sie es gerade angesprochen hatten - wenn er ihr von einem Trauma aus seiner Vergangenheit erzählte, war die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie auch irgendwas auspacken würde, das sie nicht einfach aussprechen und gleich wieder vergessen konnte. Und diese Stimmungsdämpfer brauchten sie hier gerade in keiner Form, da beschäftigte sie sich weit lieber mit der unschönen Tatsache, dass auch Ryatt nicht auf jedem Foto aussah wie ein zwanzigjähriges Topmodell. "Ach, ein bisschen Photoshop regelt... So schlimm ist das Bild nicht", winkte sie grinsend seine Sorgen ab, die natürlich alle nicht so ernst waren. Solange sie beide darüber lachen konnten, dass sie auch heute wieder Bilder eingefangen hatten, die eindeutig nicht für sie und ihre Schönheit sprachen, würden sie damit wohl auch in Zukunft bei diversen Gelegenheiten weitermachen. "Nein, passt für mich", stimmte sie seinem Vorschlag zu, erhob sich dabei ebenfalls von ihrem Stuhl und brachte den Müll weg. Mit einem kurzen Blick zurück stellte sie sicher, dass nichts liegengeblieben war, bevor sie sich mit Ryatt auf den Weg zu den Churros machte. Allein der Anblick liess sie schon wieder vorfreudig grinsen - unbeachtet der Tatsache, dass sie eigentlich definitiv nicht mehr hungrig war. Aber ein kleines Dessert musste an ihrem Geburtstag schon sein, erst Recht, wenn sich eine solch perfekte Gelegenheit dazu bot. Entsprechend freudig tanzte sie schliesslich auch an Ryatts Seite in Richtung Ausgang, nachdem die Churros über die Theke in seine Hand gewandert waren und sie bereits die Finger ausstreckte, um ihm eines davon zu klauen.
Ist auch besser sooo x'D Wieder so eine Sache, die wir wohl lieber nicht gemeinsam hätten. :'D ______________
Die Busfahrt nach dem Geburtstagsausflug war noch lustig geworden. Wahrscheinlich hatte man uns eher für zwei Schulkinder als für zwei Erwachsene gehalten, so wie wir uns spielerisch um die letzte Gebäckstange gestritten hatten. Danach war es aber ziemlich vorbei mit der aufgedrehten Laune und es kehrte langsam ein bisschen Ruhe ein, weil einem beim Sitzen erst so richtig bewusst wurde, wie anstrengend das Klettern am Ende tatsächlich war. Der Ausflug konnte in jedem Fall als vollumfänglicher Erfolg verbucht werden und ich schlief ziemlich gut, als ich mich später am Abend ins Bett fallen ließ. Zumindest bis zu dem Alptraum, der mir eine völlig entsetzte Faye präsentierte, während ich ihr von meiner Leidensgeschichte erzählte. Der Donnerstag verlief ruhig, am Freitag brachten mich die Heimkinder an meine nervlichen Grenzen und am heutigen Samstagabend sollte nicht an schlechte Laune zu denken sein. Auch wenn ich auf den ersten Blick nicht viel davon hatte, dass Faye heute mit ihrer Girlgang in der Bar aufkreuzen würde, erhellte es mein Gemüt. Ein lockerer Spruch und flüchtige Gespräche waren ja trotzdem drin und ich sah die zierliche Brünette einfach gerne. Am liebsten immer dann, wenn sie gute Laune hatte, was heute definitiv der Fall sein würde. Ich hatte ihr auf dem Heimweg am Mittwoch noch geraten, zumindest inoffiziell über mich einen der Tische zu reservieren, weil es an einem Samstagabend meistens recht voll wurde. Wenn man dann Pech hatte und zu spät kam, sah es mit einem Tisch für sechs bis sieben Personen schwierig aus. Gesagt, getan - das Schildchen stand schon seit Öffnung auf dem Tisch, den ich von der Bar aus recht gut im Blick hatte, obwohl er sich eher im hinteren Bereich des Raumes befand. Als Faye schließlich mit ihrer Truppe auf der Matte stand, kam ich zumindest kurz um die Bar herum, um die zierliche Brünette anständig zu begrüßen und natürlich auch die anderen oberflächlich willkommen zu heißen. Mein Blick kreuzte sich da schon einmal kurz mit der älteren Schwester, bevor ich auf den reservierten Tisch deutete und sagte, dass ich gleich wegen der Getränkeaufnahme kommen würde. Sie hatte sich also trotz Fayes Zweifeln der Runde angeschlossen. Die Stunden zogen wie immer zügig vorbei, während ich hinterm Tresen stand und wann immer nötig um ihn herumwuselte oder kurzzeitig in der Tür seitlich hinter der Bar verschwand, um Nachschub zu holen. Der Barinhaber höchstpersönlich kam sogar auch für zweieinhalb Stunden vorbei, um mir bis etwa 1 Uhr Unterstützung zu leisten. Um diese Zeit herum wurde es meistens zwar noch nicht viel leerer, aber die Bestellungen waren im Regelfall schneller erledigt. Je länger die Leute in einer Bar saßen, desto spendierfreudiger wurden sie - hieß also ich goss ab diesem Zeitpunkt schon mehr Shotgläser ein, als Cocktails zu mischen oder Bier und Wein zu servieren. Ein sehr guter Zeitpunkt, um Faye und ihren Freundinnen die im Seilgarten versprochene Runde zu spendieren. Ich stieß selbst mit an und hielt mich ausnahmsweise für fast fünf Minuten am Tisch auf, weil gegen ein oder zwei Shots pro Nacht nichts sprach - so Dylans Wortlaut. Solange man nicht anfing beim Wechselgeld zu schielen, war alles im grünen Bereich. Trotzdem musste ich auch nach dem Schlückchen Alkohol wieder zurück an die Arbeit und erst nach zwei Uhr wurde es dann merklich ruhiger. Der eine oder andere Tisch leerte sich, also konnte ich anfangen ein paar der Nebenaufgabe hinter der Bar schonmal anzufangen oder abzuhaken, um später nicht mehr ewig über den letzten Gast hinausarbeiten zu müssen. Auch die Stühle an der Bar selbst wurden leerer, was mich nun häufiger mit Blick in Richtung der Mädelsrunde grinsen ließ, wenn irgendwer gefühlt quer durch die ganze Bar lachte. Aber auch Fayes Geburtstagsrunde hatte sich über die Zeit hinweg stückweise dezimiert und ich verschwand schließlich nochmal mit einem leeren Getränkekasten durch die Tür, nur um kurze Zeit später mit einem vollen zurück zu kommen. Unerwartet begrüßte mich ein bekanntes Gesicht über den Tresen hinweg, als die Tür wieder hinter mir zufiel. Ich schenkte Aryana aber erst Beachtung, als der Kasten ordnungsgemäß in seinem Fach unter der Theke verstaut war. "So durstig, dass du nicht warten konntest..?", stellte ich ihr eine recht neutrale Frage und warf mir gleichzeitig ein längs gefaltetes, weißes Handtuch über die rechte Schulter, weil ich das gleich wieder brauchen würde, wenn die Spülmaschine mit dem Geschirr fertig war. Ich wäre weniger argwöhnisch geworden, wenn sie mit Faye zusammen an die Bar gekommen wäre. Die saß aber, wie ich mit einem kurzen Blick an Aryana vorbei feststellte, noch mit der letzten verbliebenen Freundin am Tisch. Vielleicht wollte sie wirklich nur eine letzte Runde Drinks an der Bar abholen, um mir den Weg zu sparen, aber eigentlich konnte ich mir das nicht vorstellen und außerdem erinnerte ich mich noch etwas zu gut daran, dass die ältere Cooper nur semi-begeistert auf mein Auftauchen vor Fayes Wohnhaus reagiert hatte.
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Ihr kleiner Roadtrip hatte sich als vollen Erfolg entpuppt, und zwar auf jeder Ebene. Sie fühlte sich so erfrischt wie ewig nicht mehr, als sie wieder zuhause ankamen. Besser als in der ganzen Zeit seit ihrer Rückkehr nach Amerika und natürlich auch besser als jemals in Syrien. Sie hatte längst vergessen, dass diese Tiefe von Entspannung überhaupt möglich war, aber es war wundervoll. Sie hatten die Tage zu zweit unendlich genossen, hatten tolle Orte gefunden und entdeckt, viel gelacht und viel gekuschelt, aber auch viel geredet. Jetman hatte sie mit einem durchwegs positiven Gefühl gehen lassen – natürlich an diese eine Forderung mit der Therapie gekuppelt, aber ansonsten hätte es nicht besser laufen können. Und auch das war ja nicht grundsätzlich schlecht. Vielleicht konnte eine Therapie Teil der Lösung werden, über die sie natürlich ebenfalls rege diskutiert hatten. Eine Lösung für akute Probleme, aber eben auch für die tiefen Wunden der Vergangenheit, die endlich so geheilt und verschlossen werden mussten, dass sie nicht mehr ständig aufreissen konnten. Nicht nur bei Mitch… Aryana sah sich zwar noch nicht in einem Sessel gegenüber einer Psychotherapeutin und sträubte sich weiterhin vor dem Gedanken, selbst auch professionelle Hilfe zu suchen, weil sie sich weiterhin unendlich schwertat, über die Vergangenheit und bestimmte Traumaerfahrungen zu sprechen. Sie hatte ja auch niemanden, der sie quasi dazu nötigte. Aber sie bemühte sich darum, sich zumindest gegenüber Mitch weiter zu öffnen. Und sie hatte sich eine besondere Geburtstagsüberraschung für Faye überlegt und ihrer Schwester eine Reise nach Denver geschenkt. Irgendwann in den nächsten drei Monaten, wenn Mitch und sie sowieso nicht gemeinsam unterwegs sein und – so wie sie ihren tollen Chef einstufte – auch sicher nicht zur gleichen Zeit zuhause sein würden, um ihre Beziehung eben ganz besonders zu stärken, damit sie dann wieder ganz gut funktionieren würden. Sie hatte sich bis heute kein Stück bereit gefühlt, je wieder in die Heimat zurückzukehren. War sie doch nie mehr dort gewesen, seit sie ihren Bruder neben ihren Eltern beerdigen musste. Aber mittlerweile hatte sie begriffen, dass in Colorado der Grundstein ihrer Persönlichkeit gelegt wurde und sie sich ein Leben lang räumlich von den Bergen und Wäldern trennen konnte – es würde trotzdem ein Teil von ihr bleiben, den sie nie vergessen würde. Faye war im Übrigen ziemlich sprachlos gewesen. Wenig überraschend. Aber nach dreifachem Nachfragen und Versichern, dass das kein sehr, sehr schlechter Scherz war, hatte sie innerhalb einer halben Sekunde eingewilligt und bestätigt, dass sie das Geschenk annehmen und unbedingt mitkommen wollte. Mal schauen, wo die Planung diesbezüglich hinführen würde und wie oft sie das beide noch bereuen würden. Für den Moment fühlte es sich trotz der sehr gemischten, teils unendlich schmerzhaften Emotionen, die sie mit Denver verband, an wie die richtige Entscheidung. Als wäre es Zeit für diesen Schritt. Nicht früher, nicht später, sondern genau jetzt. Bezüglich Geburtstag konnte Aryana sogar mit noch mehr Aufmerksamkeit glänzen, indem sie Faye ganz freiwillig den Wunsch erfüllte, an ihrer kleinen Geburtstagsrunde am Samstagabend teilzunehmen. Sie hatte eindeutig genug Nerven für sowas und ausserdem wusste sie, dass es ihr nur guttun konnte, sich zwischendurch mit normalen Menschen zu unterhalten. Immerhin wusste sie mittlerweile, dass sie irgendwann, möglichst bald, aus ihrem momentanen Lifestyle ausbrechen wollte und auch sowas wie ein normales Leben aufbauen wollte. Inwiefern das dann normal wäre, würde sich zeigen, aber es konnte nur sinnvoll sein, bis dahin überhaupt einmal zu erforschen, was es denn alles für Variationen und Möglichkeiten von normal gab. Zum Beispiel gab es Leute, die auf der Notfallaufnahme eines Krankenhauses arbeiteten, andere, die im Rettungswagen sassen, wieder andere, die sich auf Baustellen vergnügten und in der Freizeit das Tanzbein schwangen und es gab auch Leute, die sich ihr täglich Brot mit dem professionellen Ausschank von Alkohol verdienten. Zumindest teilweise, denn so wie sie das mitbekommen hatte, arbeitete Ryatt ja nur Teilzeit in der Bar, während er zugleich noch ein paar Sozialstunden zu leisten hatte. Sie war echt nicht hier, um ihn und seine Beziehung zu ihrer Schwester auszuspionieren, aber die war trotzdem interessant zu beobachten. Sie schienen sich gut zu verstehen und fast jedes Mal, wenn Ryatt den Weg zu ihrem Tisch fand, fielen irgendwelche Insiderwitze, über die nur er und Faye zu lachen wussten… weil sonst keiner sie wirklich verstand. Von daher: Grundsätzlich fand sie das alles schön und gut, sie mochte es, wenn andere Leute ihre Schwester zum lachen brachten, wenn sie sich amüsierte, wenn sie reden konnte und Spass hatte und nicht die ganze Zeit ihrem Freund nachtrauerte, den sie eigenen Aussagen zufolge ja doch schwer vermisste. Trotzdem konnte Aryana eine gewisse Diskrepanz in ihren Gefühlen gegenüber Ryatt nicht leugnen. Er war für ihren Geschmack etwas zu stark mit dem jüngsten Drama um ihre Schwester verstrickt… und ausserdem war er ein Mann und sie für ihren Teil hing noch immer sehr an Victor und der Hoffnung, dass er irgendwann zurückkam und zwischen ihm und Faye alles gut wurde und die Beziehung gerettet werden konnte. Was nicht so ganz ging, wenn Faye in der Zwischenzeit einen anderen tollen Mann kennenlernte. Aryana wäre die Letzte, die Faye wirklich in ihr Liebesleben reden würde, die wusste schon irgendwie allein, was sie machte. Aber darum musste sie es ja nicht automatisch gutheissen… Wie dem auch sei, der Samstagabend verlief sehr entspannt und sie unterhielt sich für ihre Verhältnisse wirklich überdurchschnittlich gut mit Fayes Freundinnen, fand die ein oder andere davon tatsächlich alles andere als verkehrt. Auch Faye wirkte glücklich und lachte viel und das war hier sowieso die Hauptsache. Als sich der Abend seinem Ende zuneigte, blieb irgendwann nur noch Alice als beste Freundin übrig, die sich mit einer leicht angetrunkenen Faye am Tisch über Gott weiss was unterhielt. Auf jeden Fall kicherten sie ständig vor sich hin und schienen ungleich dem Rest der Runde und auch den meisten anderen Besuchenden der Bar noch nicht direkt ans Nachhause-Gehen zu denken. Aryana hatte sich kurz aufs Klo verabschiedet und war eigentlich schon fast auf dem Rückweg zum Tisch, als sie sich nochmal umentschied. Ryatt war sowieso allein hinter der Bar und auch am Tresen standen nicht mehr viele Leute. Eine dezent einladende Situation für sie, sich auch mal mit diesem Teil von Fayes Freundeskreis zu unterhalten. Genau dazu setzte sie auch an, als sie sich einen der Barhocker schnappte und die Ellbogen auf der Bar aufstützte. Es dauerte einen Augenblick, bis er von seinem Getränkeausflug zurückkam und sich dann auch ihr zuwandte. Mit einer Frage, bei der ihr rechter Mundwinkel schwach nach oben zuckte, obwohl ihr Gesicht mehr oder weniger den ganzen Abend schon mindestens ein leichtes Lächeln zeigte. Sie war sich nicht ganz sicher, wie sie diese Frage einordnen sollte. Ob er sich gerade eher wünschte, sie wäre bei ihrer Schwester sitzengeblieben, oder ob er tatsächlich einen kleinen Spass machen wollte. Aryana hoffte mal auf Letzteres, denn wenn er sich vor einer direkten Unterhaltung – und wäre es auch nur eine Getränkebestellung – mit ihr so zierte, war das definitiv kein gutes Zeichen. Sie hatte ihm bisher nichts getan und er hatte entsprechend nichts zu befürchten, oder? «Nein. Ich mache nur einen Zwischenhalt von der Toilette zum Tisch», erklärte sie relativ simpel mit einem Lächeln und einem Schulterzucken ihre absolut unschuldigen Intentionen. «Ich dachte einfach, ich schau mal noch bei dir vorbei. Weil ich dich nicht wirklich kenne, du meine Schwester in letzter Zeit aber ziemlich oft bei Laune hältst, wenn ich dem glaube, was sie so erzählt... Aber wenn du gerade nicht in Stimmung bist, können wir das auch bleiben lassen. Ist nicht wichtig, bloss reines Interesse», führte sie ihren Besuch an der Bar mit einem erneuten Schulterzucken etwas weiter aus und beschloss, einfach mit offenen Karten zu spielen. Sie bevorzugte direkte Kommunikation selber auch und wenn Ryatt keine Lust zum Reden hatte, woltle sie ihn auch nicht belästigen. Immerhin war er am Arbeiten und in diesem Job hatte er es wahrscheinlich tendenziell oft genug mit anstrengenden - betrunkenen - Menschen zu tun.
Ein Zwischenstopp also, um sich mit mir zu unterhalten. Ich sollte das sicher nicht überbewerten, weil das auch andere Gründe als ein stumpfes Kreuzverhör haben könnte - trotzdem klang es für mich automatisch danach. Wegen der merkwürdigen, wenngleich auch nur flüchtigen Begegnung, die wir schon gehabt hatten. Vielleicht fühlte Aryana sich stattdessen nur ein bisschen wie das dritte Rad am Wagen, weil Faye und ihre verbliebene Freundin irgendein Thema anschlugen, in das sie sich schwer einklinken konnte. Oder sie wollte mich tatsächlich einfach nur kennenlernen, so ganz ohne Vorbehalte. Letzteres war für mich nur leider etwas schwer zu glauben, weil sie sicher wusste, wie genau ich in Fayes letzten Aufenthalt in der Psychiatrie verwickelt war. Der Auslöser von so einem schwerwiegenden Vorfall zu sein, fühlte sich allerdings auch für mich nicht gut an. Es war schließlich nicht so, als hätte ich gewollt, dass Faye all das passierte. Dass sie mir nie erzählt hatte, was genau passiert war, als die Hernandez' sie aufgelesen hatten, machte es nicht besser - so wusste ich nicht einmal, für was genau ich mir alles die Schuld geben musste. Dennoch machte ich ihr deshalb keinerlei Vorwürfe. Schon oberflächlich an den Geschehnissen zu kratzen war ihr über die Maßen unangenehm gewesen. Ich erwiderte Aryanas Lächeln womöglich noch etwas zurückhaltend, versuchte es aber trotzdem möglichst entspannt wirken zu lassen. "Nein, bleib ruhig sitzen. Ist nicht so, als hätte ich gerade viel zu tun.", verneinte ich mit einem Kopfschütteln, was das Vertagen dieses Gesprächs anbelangte. Es war eigentlich sowieso überfällig, oder? Faye schien öfter mal über mich zu reden und dass dabei dann das eine oder andere Fragezeichen über dem Kopf ihrer Schwester auftauchte, war normal. Vor allem dann, wenn aus Erfahrungen und wegen gewisser Umstände ein bisschen der geschwisterliche Beschützerinstinkt kickte. Aber wie stieg ich nun am besten in dieses Gespräch ein? Der Geschirrspüler kam mir erstmal mit einem Piepen in die Quere und ich wendete mich demnach nochmal kurz von der Brünetten ab, um die Maschine zu öffnen. Der Dampf wollte raus, dann trockneten mir die Gläser oberflächlich schon ein bisschen. "Wir haben die Ablenkung oft beide nötig, denke ich... das ergänzt sich traurigerweise gut.", meinte ich, als ich mich Aryana wieder zuwendete und klang dabei aber nicht allzu ernst, sondern bediente mich eines lockeren Tonfalls. Es war eben, wie es war - mein Leben verlief aktuell ziemlich im Tiefflug und Fayes auch, da brauchte ich nichts schön zu reden. Als ältere Schwester würde sie wohl noch besser wissen, wie es um die kleine Ballerina stand, als ich es tat. Sie kam schon klar, aber glücklich war sie eben nicht. Umso wichtiger, dass sie zumindest mit mir meistens Etwas zu lachen hatte. "Mein Freundeskreis hier ist noch nicht besonders groß", mild formuliert, aber ich arbeitete ja wirklich daran, "und Faye kenne ich am besten. Wenn ich also die Entscheidung treffen muss, wen ich irgendwo zwischen meine Schichten quetschen will, fällt meine Wahl meistens am ehesten auf sie.", versuchte ich möglichst plausibel darzulegen, weshalb wir uns recht häufig sahen und lehnte mich daraufhin locker mit der Hüfte an die Theke. Für meinen ganz netten Mitbewohner musste ich nicht aus der Tür des Wohnheims treten und genau das wollte ich so oft wie möglich, wenn ich nicht zu kaputt von der Arbeit war. Ich fühlte mich dort nicht wirklich wohl und es war nicht angenehm, nie wirklich zur Ruhe zu kommen. "Übrigens schön zu sehen, dass es dir wieder gut geht... deine Schwester hat vor einer Weile mal eine Art Arbeitsunfall erwähnt.", meinte ich mit einem ehrlichen Nicken und sah Aryana aus meiner leicht schrägen Position an. Ich wurde das blöde Gefühl nicht los, dass die Brünette mehr über mich wusste, als ich über sie und ich konnte das nicht leiden.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
So hundert Prozent glücklich schien er nicht über ihre Anwesenheit an der Bar, aber das konnte sie ganz gut ignorieren, wenn er ihr trotzdem sagte, dass sie hier sitzen bleiben konnte. War ja auch irgendwo verständlich. Er stand nicht nur in guter Verbindung zu ihrer liebsten Schwester, die mögliche Befürchtung, sie wolle ihm hier ordentlich auf den Zahn fühlen, war also berechtigt und auch nicht ganz falsch. Scheinbar liess er sich aber trotzdem auf das Gespräch ein und Aryanas Lächeln hellte sich noch ein Stück mehr auf, während ihre Augen ihm auf dem Weg zum Geschirrspüler folgten. Ryatt war offensichtlich besser in der Gesprächsführung als sie - keine Leistung - und begann ein Stück weit auszuführen, womit sein Verhältnis zu ihrer Schwester zu begründen war. Dafür war sie ihm schonmal dankbar, denn sie wäre hier wohl bereits wieder angestanden, weil sie gar nicht wusste, was sie ihn den eigentlich fragen und worüber sie reden wollte. War auch mehr eine spontane Idee gewesen, sich hier an die Bar zu setzen, vielleicht hätte sie sich davor mal besser ein paar Gedanken gemacht. Aber gut, ihr wurde geholfen und sie konnte sich ungefähr vorstellen, wovon sowohl Faye als auch Ryatt zu ihren Teilen Ablenkung suchten. Faye hatte ihr natürlich nicht übermässig viel über ihren Bekannten verraten, aber Aryana wusste von den Sozialstunden und seiner wohl nicht ganz einfachen Wohnsituation. Schwierige Lebensumstände dies das… Es war eben nicht immer einfach und schön, davon konnten hier alle ein Liedchen singen. Soweit sie wusste übrigens auch Alice, die noch mit Faye am Tisch sass. Die beiden hatten sich in der Psychiatrie kennengelernt. Also schon beim vorletzten Abstecher dahin, aber auch die Rothaarige hatte einen ordentlichen Rucksack zu tragen. Aber zurück zu Ryatt, der gerade definitiv mehr Aufmerksamkeit ihrerseits bekommen sollte als Alice. Sie lächelte leicht, als er seinen schmalen Freundeskreis erwähnte und damit den Kontakt zu Faye mit einem weiteren plausiblen Grund belegte. Konnte sie als absolute Niete im Freunde-Suchen natürlich verstehen, auch wenn sie vermutete, dass es bei ihm nicht unbedingt an fehlenden Sozialkompetenzen und mangelnder Kontaktfreudigkeit lag. «Kann ich verstehen und ihr scheint ja auch meistens ziemlich viel Spass zu haben… Was ihr sicher nicht schadet», meinte sie mit einem leichten Nicken und ohne das Lächeln abzulegen. Ryatt wusste sehr sicher Bescheid über die Situation mit Victor und dass es Faye damit nicht besonders gut ging, entsprechend war es wirklich schön, dass er sie auf andere Gedanken und zum Lachen brachte. Es war nur leider auch ein guter Grund mehr, seine Absichten ein bisschen kritisch zu hinterfragen, selbst wenn sie das nicht unbedingt wollte und nicht gerade nach Feindseligkeit suchte. Als er ihren Arbeitsunfall erwähnte, legte sich für einen Augenblick ihre Stirn in Falten, bis sie begriff, wovon er redete und woher er das wusste. «Ja… danke. Ist zum Glück alles gut verheilt, bin in paar Tagen wieder einsatzfähig», verlor sie ein paar Worte dazu. Das Leider vor dem Ablauf ihrer Schonfrist sparte sie sich erstmal ein, auch wenn sie es gedanklich selbstverständlich dazu dichtete. Sie hatte genau gar keine Lust, wieder arbeiten zu gehen und dem Arschloch erneut Geld in die eh schon prallvolle Schatzkammer zu schaufeln. Musste Ryatt jedoch nicht unbedingt wissen. «Faye hat mal erwähnt, dass du noch in einem Kinderheim arbeitest», stellte sie als Nächstes fest. Natürlich wusste sie, dass die Arbeit da nicht unbedingt freiwillig ausfiel, aber das brauchte sie ihm ja nicht noch zusätzlich unter die Nase zu reiben. «Ist das in der Nähe von hier oder in der Nachbarstadt*?», sie blickte ihn interessiert an. Der Gedanke an Josh war ihr ziemlich spontan gekommen, aber es wäre schon ein bisschen lustig, wenn diese Verbindung bestehen würde.
Ich nickte leicht vor mich hin. Nein, hin und wieder einen Nachmittag lang mit mir zu lachen, konnte Faye wirklich nicht schaden und mir eben auch nicht. Lachen war schließlich gesund, wie man so schön sagte und im Alltag taten wir das sicher beide eher zu wenig, als zu viel. "Faye macht's mir allerdings auch nicht gerade schwer, sie zu unterhalten... sie ist angenehm unkompliziert.", meinte ich wahrheitsgemäß mit einem Lächeln. Wir mochten uns nicht immer zu einhundert Prozent einig sein, aber in der Freizeitgestaltung kamen wir grundsätzlich schnell auf einen Nenner und sie dämpfte meinen Tatendrang nur selten aus. Mal wurden die Schlittschuhe ausgepackt, ein anderen Mal ein paar Kartoffeln durch die Gegend gepfeffert und an Geburtstagen hingen wir eben an Seilen in Bäumen. Fand ich super. Scheinbar war es für Aryans nicht sofort einleuchtend, worauf ich mit dem Arbeitsunfall anspielte. Nur eine kurze Unregelmäßigkeit in ihrem Gesicht, das sonst überwiegend von einem Lächeln geschmückt war. Vielleicht lag die nur darin begründet, dass es schon eine ganze Weile zurücklag und die Verletzung dementsprechend schon längere Zeit nicht mehr wehtat. Vielleicht aber auch daran, dass Arbeitsunfall eine komische Formulierung für das war, was der Brünetten zugestoßen war. Ich konnte nur mutmaßen, wenn ich nicht mal wusste, womit sie ihre Brötchen verdiente. "Was machst du eigentlich beruflich? Faye hat noch nicht besonders viel über dich erzählt.", fragte ich ganz direkt nach und legte dabei ein bisschen den Kopf schief. Allerdings könnte es einen triftigen Grund haben, dass die jüngere Cooper mir nichts darüber gesagt hatte. Deshalb zuckte ich leicht mit den Schultern und stieß mich anschließend wenig schwungvoll mit der Hüfte vom Tresen ab, um auf dem Weg zur Spülmaschine noch ein paar Worte anzuhängen.. "...was an sich auch völlig in Ordnung ist, weil mich natürlich nicht alles was angeht.", gab ich Aryana einen Wink mit dem Zaunpfahl dafür, dass sie mir gewisse Teile ihres Lebens nicht in Worten ausbreiten musste, wenn das ihre persönliche Grenze überschritt. Neugierig war ich aber natürlich trotzdem, ich nahm also liebend gerne alle Informationshäppchen, die ich kriegen konnte. Der Versuch allein konnte nicht schaden. In der Zwischenzeit zog ich das Handtuch von meiner Schulter und griff mir das erste Glas aus der Maschine, um die Restfeuchtigkeit abzuwischen. Ich blieb währenddessen neben der Spülmaschine stehen und die Distanz zu Aryana wurde dadurch nicht zu groß für ein Gespräch. Der Geräuschpegel in der Bar war allgemein gesunken und ich sprach einfach ein klein wenig lauter. "Und ich bin froh, wenn ichs nicht mehr tun muss. Ein paar Wochen noch, dann wars das. Ich komm zwar mit den Kids zurecht, aber ein Traumjob ist es nicht.", waren meine ersten, etwas ironischen Worte zu meiner Arbeit mit den Heimkindern. Natürlich sollte man sich bei Sozialstunden in der Gesellschaft nützlich machen und nicht mit supertollen Jobs gesegnet werden, aber darum gings gerade auch gar nicht. "Eine Stadt weiter, ja.", beantwortete ich auch ihre Frage hinsichtlich geographischer Lage. Ich wusste zwar nicht, warum das für Aryana eine Rolle spielte, aber diese Information schien mir unverfänglich. Ich fragte mich schon, warum sie so spezifisch nachhakte, aber eigentlich war es mir wiederum ziemlich egal. Was sollte sie machen, mich besuchen? Sehr unwahrscheinlich. Sollte sie mich erneut für ein Gespräch abfangen wollen, hätte sie hier in der Bar bessere Karten.
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Das konnte sie sich schon vorstellen. Faye war wahrscheinlich einfach froh, dass jemand sich mit ihr beschäftigte und sie nicht alleine war. Das war nämlich eine kleine Krankheit der Brünetten, die sich mit ein paar psychisch bedingten Unterbrüchen durch ihr ganzes Leben zog. Sie war nicht gerne allein, blühte in Gesellschaft anderer auf und nicht in den Stunden, die sie mit sich selbst zuhause sass. Zumindest nicht mehrheitlich. Vielleicht hätte ihr darum eine WG als vorübergehende Wohnsituation besser entsprochen als die kleine Wohnung für sie allein… Was nicht heissen sollte, dass es nicht doch nachvollziehbar war, warum sie lieber ihre eigenen vier Wände unsicher machte. Aber darüber wurde hier eigentlich gerade nicht gesprochen. «Ich glaube, sie ist grundsätzlich einfach froh um angenehme Gesellschaft… Bei der Unterhaltung ist sie dann meiner Erfahrung nach weniger anspruchsvoll», glich sie Ryatts Aussage mit ihrem eigenen Wissen ab. Das war dann aber erstmal genug zu Faye, weil der nette Herr ihr eine Frage stellte, die sie schon so ein bisschen hatte kommen sehen. Erstens, weil sie sich gerade über seine Beschäftigung unterhalten hatten und zweitens, weil der – ihres Wissens bisher undefinierte – Arbeitsunfall zur Sprache gekommen war, der eben auch wesentlich mit ihrem Job verknüpft war. Sie hatte auch eine standardmässige Antwort auf diese Frage von Easterlin mit auf den Weg bekommen. Der wollte ja kaum riskieren, dass sie irgendwann auf dumme Art und Weise sein dubioses Business verplapperten, bloss weil sie in Verlegenheit gerieten, weil er dieser Eventualität nicht vorgebeugt hatte und sie nicht klug genug waren, sich selbst was auszudenken. Sie war sich nur nicht ganz sicher, ob sie Ryatt genau diese Antwort auftischen wollte, weshalb sie seinen kurzum betonten Notausgang doch einen Moment lang in Erwägung zog. Sie entschloss sich aber dagegen und setzte zu einer Antwort an, bevor die Bedenksekunden auffällig wurden. «Ich arbeite in einem privaten Sicherheitsunternehmen… Also wir führen Dienstleistungen im Sicherheitssektor aus», umschrieb sie etwas zu neutral ihre berufliche Tätigkeit. Klang immer ein bisschen nach Security-Jobs und definitiv nicht nach hochriskantem Rumballern unter erschwerten Bedingungen. Aber sie konnte ihm hier auch schlecht über die Theke hinweg zuschreien, dass sie in der Mongolei Dokumente stehlen war, weil jemand ihrem Boss sehr viel Kohle dafür versprochen hatte, sie dann dabei aber leider angeschossen worden war und darum eben ein Weilchen krankgeschrieben wurde. Abgesehen davon, dass sie ihm das auch gar nicht sagen wollte, würde es auch einfach kein gutes Licht auf sie werfen. Ach und ihr Chef, der sie ja eh schon liebte, würde sie dafür wohl definitiv köpfen lassen. Besser nicht riskieren. Es war wahrscheinlich schon ungewöhnlich genug, dass sie als Frau überhaupt in diesem Bereich arbeitete, der sonst definitiv vom männlichen Geschlecht dominiert wurde. Was Ryatts berufliche Situation anbelangte, schien er sich einen Wechsel offensichtlich herbeizuwünschen, was ihr erneut ein Lächeln aufs Gesicht zeichnete. «Das kann ich sogar ziemlich gut verstehen», meinte sie mit einer Spur Sarkasmus in der Stimme. Kinder waren nicht ihr Metier, wie sie mit Mitch ebenfalls längst ausdiskutiert hatte. Sozialstunden im Kinderheim klangen dahingehend einfach echt super anstrengend. Trotzdem hellte sich ihr Gesicht überrascht nochmal ein Stückchen auf, als Ryatt ihren Verdacht bezüglich des Kinderheims bestätigte. «Echt? Wie lustig – da wohnt ungefähr das einzige Kind, das ich kenne», erklärte sie den Grund ihrer vorangehenden Frage. «Ein kleiner Junge namens Josh?», erkundete Aryana sich direkt nach dem Glückspilz, der grauenvoll im Meer ertrunken wäre, wenn sie ihn damals nicht gehört und gesehen hätten. Vielleicht durfte Ryatt darüber auch gar keine Auskunft geben. Aber da sie ja bereits wusste, dass Josh im Heim lebte, sah sie das nicht so problematisch. Zur Not gab es immer noch die Option, einfach keine Antwort zu geben.
Handypost, wir ignorieren Fehler etc. bitte. x'D _______
"Ja, das kommt hin.", stimmte ich Aryana auch in diesem Belangen wieder zu, während ich das erste trockene Glas oben auf der Theke bei Seite stellte, um das nächste zu nehmen. Theoretisch hätte Faye auch nichts dagegen, einfach nur herumzusitzen, Kaffee und Kuchen auf den Tisch zu stellen und zu reden. Sie war da im Gegensatz zu mir nicht unflexibel - was nicht heißen sollte, dass ich nicht auch mal nur rumsitzen wollte. Ich hatte selbstverständlich auch solche Tage, aber wenn ich die Option hatte, etwas Interessanteres zu unternehmen, stieg ich fast grundsätzlich lieber darauf um. Ich musste schon ziemlich müde sein, um lieber zu faulenzen. Weit interessanter war es allerdings, dass Aryana in einer eher unübliche Branche arbeitete. Deswegen wanderten meine Augenbrauen auch etwas überrascht nach oben und ich hielt kurz beim Abtrocknen inne. Was hatten die beiden Schwestern nur für einen unbändigen Drang, sich in Gefahr zu begeben? Zumindest wirkte es so, auch wenn das vielleicht gar nicht unbedingt der Wahrheit entsprach. Ob das irgendwas mit den häufigen Todesfällen der Familie zu tun hatte? Sollten sie nicht eher Risiken scheuen? Umgekehrte Psychologie vielleicht. "Ungewöhnliche Jobs scheinen euch Schwestern in den Genen zu liegen.", stellte ich sarkastisch fest. Hinsichtlich Faye spielte ich dabei gewiss nicht auf ihre Karriere als Sanitäterin an, aber das würde sich ihre ältere Schwester selbst zusammenreimen können. Dass Aryana sich eine schwere Verletzung zugezogen hatte, ließ nicht gerade darauf schließen, dass sie in besagtem Sicherheitsunternehmen nur am Schreibtisch saß, sondern eher selber ausrückte. "Noch eine Cooper, die mit 'ner Waffe umgehen kann? Bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.", führte ich meine wenig ernste Reaktion weiter aus und untermalte meine Worte mit einem pseudomäßig ehrfüchtigen Blick. Das diente hauptsächlich dazu zu eruieren, wie viel Spaß Aryana vertrug. Wo ihre Grenze von Humor war, was ich mir erlauben konnte. Außerdem wirkte Faye grundsätzlich nicht so, als würde sie gerne wieder ein Schießeisen in den Fingern halten. Konnte man von mir nicht behaupten, aber ich durfte das ganz offiziell nicht mehr. Aus Verbrecher- und Krüppelgründen. Aryana schien das Kinderheim, in dem ich vorübergehend arbeitete, tatsächlich zu kennen - oder viel mehr einen der unfreiwilligen Insassen. Eins musste ich ihr lassen: Sie verblüffte mich schon zum zweiten Mal mit etwas, das ich nicht hatte kommen sehen. "Er ist nicht in meiner Gruppe, aber ich kenne ihn, ja.", beantwortete ich ihre Frage wahrheitsgemäß. Ich wusste nicht, wieso ich daraus ein Geheimnis hätte machen sollen. "Viel weiß ich nicht über ihn, aber er ist definitiv eins der… angenehm ruhigen Kinder." Ich zuckte mit den Schultern. Ein einziges Mal hatte ich wegen krankheitsbedingtem Ausfall in seiner Gruppe ausgeholfen, aber acht Stunden reichten nicht aus, um ein fremdes Kind richtig kennenzulernen. Die hatten schon fast genauso viele Facetten wie Erwachsene, sie waren nur noch nicht genauso gut getarnt. Dafür brauchten die kleinen Schlingel noch ein paar Jahre Übung mehr. "Woher kennst du ihn denn, wenn du eigentlich kein Kindermensch bist?", hakte ich nach und stellte das nächste trockene Glas beiseite. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, woher sie den Jungen kennen sollte.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ich bin mir sehr sicher, dass meine Handyposts wesentlich mehr Fehler beinhalten, also allet jut... xD __________
Es folgte in etwa die Reaktion, die sie erwartet hatte und das passte ihr ganz gut in den Kram. Ihr Lächeln war entsprechend amüsiert wie entspannt, als sie unschuldig mit den Schultern zuckte. Mit einer Vorliebe für ungewöhnliche Jobs konnte man leider weder Fayes', noch ihre eigene Berufswahl begründen - dafür war alles ein bisschen zu kompliziert. Aber seine Worte liessen erahnen, dass er noch nicht wusste, dass sie ebenfalls mal der ungeliebten Army gedient hatte und Aryana sah bisher keinen Grund, ihn darüber aufzuklären. Dieses Wissen würde wahrscheinlich nur noch mehr Fragezeichen in seinem Kopf malen und sie wollte nicht, dass er Faye irgendwann mal aus Neugier dazu ausfragte, wo denn der Zusammenhang zwischen all den mehr oder weniger erfolgreichen Militärkarrieren in der Familie lag. Wenn ihre Schwester ihm das erläutern wollte, konnte sie das in einem für sie passenden Moment von sich aus tun... Auch wenn Aryana für ihren Teil definitiv bevorzugte, wenn davon nur die wichtigsten Menschen etwas wussten. Sprich sie beide, ihre Verwandtschaft, Mitch und Victor. Aber das lag nicht allein in ihren Händen und das akzeptierte sie auch grundsätzlich. "Irgendjemand muss sie ja machen...", erklärte sie mit einem gespielt aufopfernden Seufzen, als würde sie ihren Job absolut selbstlos zum Wohle der Gesellschaft ausführen und nicht, weil sie grundsätzlich gar keine wirkliche Wahl hatte. "Aber du musst doch nichts sagen, da war doch auch was mit der Army oder täusch' ich mich?", fragte die Brünette mit einer hochgezogenen Augenbraue. Faye hatte diese Gemeinsamkeit mit Sicherheit schon mehrfach erwähnt. Seine Bemerkung mit der Waffe hatte umgehend wieder ein schwaches Grinsen zur Folge und Aryana strich sich beiläufig ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Keine Angst... Faye schiesst meines Wissens nach nicht mehr. Und ich... ich hab' keine Freizeitknarre", redete sie beruhigend auf ihn ein - obwohl das ein bisschen gelogen war. Sie hatte schon eine Waffe zuhause, eben ganz wie halb Amerika. Wäre auch komisch wenn nicht, wo sie doch - ungleich der meisten anderen Waffenbesitzenden - auch tatsächlich damit umgehen konnte. Aber die war zuhause im Schrank und sie schleppte sie auch nie mit nach draussen, wenn sie einen Ausflug machte oder einkaufen ging oder ähnliches. Dahingehend eben nicht wirklich eine Freizeitpistole, sondern einfach eine in ihrem Zuhause gelagerte Waffe, vor der Ryatt sich aktuell keinesfalls zu fürchten brauchte. Dieses Gespräch nahm überraschenderweise weiterhin einen Lauf, der ganz nach ihrem Geschmack kam. Ihr Gegenüber kannte Josh tatsächlich, beschrieb ihn auch so, wie Aryana ihn in der Vergangenheit kennengelernt hatte. Aber er hatte keine Ahnung, wie es zu diesem Kennenlernen kam, weshalb sie mit der nächsten Anekdote herausrücken konnte. Einen Moment schwieg sie aber noch, musterte Ryatt nur mit einem leichten Nicken. „Habe ihn reanimiert, nachdem mein Freund ihn aus dem Meer gefischt hat“, gab sie schliesslich trocken bekannt, als wäre auch das vollkommen üblich und alltäglich. Nachdem sie Ryatt ein paar Sekunden unberührt beäugt hatte, um ihre Worte zu unterstreichen, verzog sich ihr rechter Mundwinkel amüsiert wieder aufwärts zu einem schrägen Grinsen und ihr Blick fiel hinab auf ihre Finger, die mit einem Glasuntersetzer auf der Theke spielten. „Es war ein sehr glücklicher Zufall. Wir waren am Meer und er ist irgendwo in der Nähe abgehauen, ans Wasser gerannt und reingefallen… Nachdem wir ihn gerettet haben, ist Mitch mit ihm im Krankenhaus geflogen und seit da besuchen wir ihn ab und zu", führte sie die Erklärung etwas verständlicher aus. Die Besuche im Kinderheim fielen leider in den letzten Monaten etwas selten aus, aber vielleicht würde Mitch sich ja auch wieder mehr um das Kind kümmern können und wollen, wenn ihm der Kopf endlich etwas freier stand. Mal sehen. "Josh hat sich damals ein bisschen in Mitch verliebt. Verständlicherweise. Und darum versucht vor allem Mitch jetzt, ihm das Leben im Heim etwas schöner zu gestalten", plauderte die Brünette ungewöhnlich gesprächig für ihre Verhältnisse weiter. Sie hatte zwar nicht viel Alkohol konsumiert heute Abend - schon nur, weil sie Mitch später nicht ihre betrunkene Visage zumuten wollten, nachdem sie ihm ständig Abstinenz predigte - aber vielleicht reichte das ja schon, um ihre Zunge etwas zu lockern. Oder es lag einfach an der Gesellschaft.
Ach und als tendenziell schwächere Frau fühlte sie sich dazu aufgefordert? Ich hatte wirklich nichts gegen Powerfrauen, die gerne die Männerwelt aufmischten, aber ein bisschen ironisch war es eben schon. "Und dazu fühlst ausgerechnet du dich berufen?", hakte ich belustigt weiter nach und musterte sie anschließend flüchtig, bevor meine Augen zurück auf das Glas in meinen Händen fanden. Aryana war weder übermäßig groß, noch besonders stämmig. Trotzdem schien sie den Männern in der Branche erfolgreich Konkurrenz zu machen. Wenn wir hier von einem privaten Sicherheitsunternehmen sprachen, waren die Aufträge, die sie ausführte, wahrscheinlich eher keine völlig durchschnittlichen Jobs. Bei mir war es naheliegender, dass ich beim Militär gelandet war. Mehr oder weniger jedenfalls. "Was mit der Army ist gut…", schnaubte ich ironisch, weil das einfach eine nicht ganz passende Umschreibung meiner Laufbahn war. Aber es wunderte mich nicht, dass sie darüber nicht Bescheid wusste. Ich würde es auch nicht schätzen, wenn Faye alles, was ich ihr erzählte, detailliert an ihre Schwester weitergab. Oder an sonst Irgendwen. "Ich war fast mein halbes Leben da. Hab schon vorher mit einer Schule angefangen, die überwiegend Kandidaten für die Führungsebene ausbildet… die spaßigen Sachen in der Highschool und am College hab ich quasi geskippt.", setzte ich die ältere Schwester über die ungefähren Umstände in Kenntnis und hängte auch da einen Witz dran. Man könnte darüber streiten, ob das jetzt gut oder schlecht war. Ich wusste nicht, was genau ich damals verpasst hatte, also kümmerte es mich herzlich wenig. "Gut zu wissen.", schloss ich die Sache mit den Schusswaffen weiterhin ironisch ab. Ich hielt die Wahrscheinlichkeit, dass mich eine der beiden Coopers erschießen wollen würde, sowieso für schwindend gering. Einen kurzen Blick warf ich Aryana noch zu, bevor ich das Handtuch beiseite legte und die ersten Gläser weg räumte. Was den kleinen Josh betraf, schloss sich dank der folgenden kleinen Erzählung ein sehr merkwürdiger Kreis. Ich wusste davon, dass es diesen unschönen Vorfall gegeben hatte. Auch wenn mir die wenigsten meiner Kollegen im Heim wirklich sympathisch waren, unterhielt ich mich selbstverständlich mit ihnen, weil das für die Arbeit unabdingbar war. Beim Aushelfen in Joshs Gruppe hatte ich die eine oder andere Info über die Kids von der Gruppenleitung bekommen, darunter eben auch diese - wegen Trauma und so. Als ich die Gläser weggestellt hatte, drehte ich mich mit einem Kopfschütteln wieder in Aryanas Richtung. "Das ist sowas von schräg. Also es ist natürlich schön, dass ihr ihn gerettet habt, aber wie wahrscheinlich ist diese ganze Konstellation..?" Nicht sehr wahrscheinlich, was ich mit einer wirren Handgeste verdeutlichte. Faye, die zufällig selbst Army-Erfahrung und deshalb zu großes Mitleid mit mir hatte, bewahrte mich letztendlich vor dem Tod, dabei auch vor dem Gefängnis und dann leistete ich Sozialstunden in genau dem Kinderheim, in dem ein von ihrer Schwester gerettetes Kind wohnte. Skurril. Auch ihr besagter Freund bekam jetzt endlich einen Namen. "Hat Mitch ihn in letzter Zeit mal besucht oder hat er's in naher Zukunft vor? Falls ich ihm über den Weg gelaufen bin… oder es noch tun werde.", erklärte ich den Ursprung meiner Frage und machte an die Theke gelehnt mit dem Abtrocknen weiter. Vielleicht hatte ich ihn schon gesehen - nicht mit Josh dann aber auf jeden Fall, sonst könnte ich spezifischer nach Mitch fragen. Es kam allgemein nur selten vor, dass eines der Kinder Besuch bekam. Hätte ich das also gesehen, wäre es hängen geblieben. Vielleicht hatte ich das Duo aber auch einfach nur nicht gesehen, was genauso gut möglich war. Ich campte schließlich nicht den ganzen Arbeitstag lang am Eingangsbereich, sondern kam da nur gelegentlich vorbei oder sah mal jemand Unbekanntes am Türrahmen des Gemeinschaftsraums vorbeigehen. "Und was verbindet die zwei so unsterblich?", stellte ich Aryana eine weitere Frage, die mir auf der Zunge brannte. Ich glaubte nicht, dass der Kleine sich völlig grundlos in Mitch verliebt hatte.
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Ausgerechnet du klang ein bisschen negativ konnotiert in ihren Ohren. Es triggerte den Teil ihres Köpfchens, der ungewollt ein paar Emotionen zu viel aus ihrer Zeit in Syrien abgespeichert hatte. Der Teil, der sich ständig hatte behaupten müssen und sich mit den andauerndend Anfeindungen konfrontiert gesehen hatte - weil eben ausgerechnet sie die Führungsposition besetzt hatte. Eine Frau, dazu noch viel zu jung und sowieso planlos. Aber Ryatt wusste davon nichts. Er hatte keine Ahnung, was damals gewesen war und wie es sich teilweise angefühlt hatte. Darum liess sie sich auch nichts anmerken und setzte sicher auch nicht zu einer Rechtfertigung ihrer Person an. „Bin wohl nicht für die normale Jobauswahl geboren… darum… ja“, bestätigte sie seine Frage, wobei ihre Worte trotz des gewählten Tonfalls gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt lagen. Sie hatte nie einen normalen Traumjob gehabt. Sonst wäre es Julian vielleicht auch nicht so leicht gefallen, sie damals für die Army zu überreden, obwohl sie das Anfangs als dumme Idee bezeichnet hatte. Dazu berufen fühlen war vielleicht etwas übertrieben - sowohl bei der Army als auch bei dem, was sie jetzt machte - aber ganz abwegig war die Kombination ihrer Laufbahn mit ihrem Charakter eben nicht. Ob das bei Ryatt gleich war, konnte sie noch nicht wirklich einschätzen, aber scheinbar hatten er oder seine Eltern das damals zumindest geglaubt, wenn er bereits eine entsprechende Sonderschule für diese Karriere besucht hatte. Klang interessant, was auch ihr Blick verriet, während er ihr dieses Detail eröffnete. "Dann hat's mit der Führungsebene wohl geklappt, wenn du anschliessend so lange da warst, nehm ich an..?", stellte sie eine weitere Frage zur Thematik, wobei sie ihm offen liess, ob er diese nun bloss mit Ja oder Nein beantwortete oder ob er ihr auch sagte, was das denn allenfalls für eine Position gewesen war. Sie war selber eindeutig tief genug drin gewesen, um zu wissen, dass die meisten Leute nach ihrem Ausstieg nicht mehr gerne über die Army und ihre damit verbundene Geschichte sprachen. Schon wenn man noch im Dienst war, hatten die meisten wohl keine Lust, in der Heimat darüber zu reden, was sie im Krieg erlebten - später wurde das kaum besser. Sie kannte jedenfalls bisher niemanden, der mit einem versonnenen Lächeln und positiven Emotionen daran zurückdenken und träumen konnte. Aryana nickte zustimmend auf die Feststellung, dass es wirklich ein sehr grosser Zufall war, wie er und Faye und Mitch und sie mitunter durch den kleinen Josh verbunden waren. Das war schon ein bisschen lustig - wenn auch fast zu viel, um es als unschuldigen Zufall abzuschieben. Aber scheinbar war es so und es spielte gar keine Rolle, ob sie das nun Schicksal oder Zufall nannten, es war offensichtlich wirklich so. "Er wird ihn wahrscheinlich in nächster Zeit besuchen kommen. Das letzte Mal ist leider eine Weile her, aber ich glaube, er hat schon vor, wiederzukommen", stellte sie die Wahrscheinlichkeit dar, dass Ryatt im Kinderheim noch auf Mitch treffen würde. Nicht unmöglich auf jeden Fall, aber es hing wesentlich von den Einsätzen ab, auf die ihr Freund verbannt wurde. Was Mitch mit Josh verband, war hingegen keine so einfache Frage. Die Antwort wäre simpel, aber sie würde hier kaum einem Fast-Fremden irgendwelche Details aus Mitchs Vergangenheit auftischen. "Sie haben mehr oder weniger sofort eine Bindung aufgebaut... Zumindest einseitig", meinte sie mit den Gedanken beim entsprechenden Tag vor ein paar Monaten. "Sie haben gewisse Gemeinsamkeiten, die letztendlich auch bei Mitch dazu geführt haben, dass er den Jungen nicht einfach wieder abliefern und vergessen wollte...“, welche Gemeinsamkeiten das waren, liess sie offen und zwar ohne Wunsch auf weitere Nachfragen.
Das wiederum konnte ich sehr gut nachvollziehen. Ich sah mich etwa genauso wenig auf dem Bau arbeiten oder in einem kaufmännischen Beruf hinterm Schreibtisch sitzen, wie das scheinbar auch bei Aryana der Fall war. Wenn alle Menschen dasselbe wollen würden, würde die Gesellschaft früher oder später den Bach runtergehen. Vielfalt war wichtig, auch wenn ich mich in meinem Fall weniger um die Gesellschaft sorgte und viel mehr um meinen schnell gelangweilten Kopf. Wobei letzteres natürlich allen Menschen in meiner unmittelbaren Nähe zum Verhängnis werden könnte. "Was das angeht können wir uns wohl die Hand geben.", teilte ich ihr mit einem schwachen Schulterzucken meine Gedanken mit. Zumindest den relevanten Teil davon. Ich schwieg einen Moment lang, als die Brünette wegen meiner Karriere bei der Armee nachhakte. Abwägend, wie viel ich dazu sagen wollte, trocknete ich zuerst das Glas fertig ab und klebte auch meinen Blick für diese Zeitspanne auf das durchsichtige Gefäß. "Ziemlich gut sogar." Das sagte noch nicht besonders viel aus, aber ich griff mir daraufhin erstmal zwei der Shotgläser aus der Maschine und trocknete sie zumindest außen ab, bevor ich einen der im Regal aufgereihten Hochprozentigen nahm und die Gläser mit dem Handtuch über der Schulter halbvoll machte. Mir war nach einem weiteren Tropfen Alkohol, aber ein ganz volles Glas schien mir unverantwortlich. Außerdem wollte ich nicht, dass es so aussah, als hätte ich vor Aryanas Zunge weiter zu lockern. Alleine zu trinken fühlte sich nur immer nicht so gut an - zumindest nicht, wenn ich eigentlich gute Laune hatte und die würde ich mir nicht von meinem längst zurückliegenden Absturz versauen lassen. "Ich bin zuletzt zum Sergeant Major befördert worden, was ungewöhnlich für mein Alter ist. Mir war zuerst eigentlich auch gar nicht klar, was ich dem Weg nach oben überhaupt abgewinnen soll, weil mir Krieg natürlich genauso wenig Spaß macht wie jedem anderen Menschen mit einem Funken Empathie.", streute ich ein paar Details, als ich die Flasche wieder zuschraubte. Ich stellte sie zurück an ihren Platz, bevor ich mich der jungen Frau erneut zuwendete. "Ich hätte gern viel verändert. Das ganze System ist so wahnsinnig überholt... und sexistisch." Ich warf ihr einen kurzen Blick zu, weil das eine Anspielung auf das vorherige Thema war, bevor ich nach einem der beiden Shotgläser griff. "Jungen Menschen kann von dem ganzen konventionellen Mist ja nur schlecht werden. Ist also echt kein Wunder, dass die Army immer weiter schrumpft." Ich machte eine kurze Pause, um meinem nächsten Atemzug im Abgang ein Seufzen anzuhängen. "Jedenfalls hab ich dann aber beschlossen, mir ins eigene Bein zu schießen und damit sämtliche Visionen eigenständig in den Sand gesetzt. Deswegen stehe ich jetzt hier und muss dich dazu animieren, zumindest den Halben noch mitzutrinken. Es sieht immer ziemlich blöd aus, wenn man als Barkeeper alleine Shots runterkippt.", schloss ich das Thema etwas sarkastisch für mich ab und hielt der Brünetten am Ende das kleine halbvolle Glas entgegen, sah sie mit schiefgelegtem Kopf und einem leicht geknickten Lächeln an. Dieser Gesichtsausdruck und die Tatsache, dass ich die Geschichte nicht weiter ausführte, sollten eigentlich dazu ausreichen ihr klarzumachen, dass mehr aus dieser Thematik nicht für sie rauszuholen war. Das war der einzige Teil, über den zu reden mir nicht besonders schwer fiel, auch wenn es jedes Mal Wehmut auslöste. Der Alkohol würde da aber gleich pseudomäßige Abhilfe schaffen. Mit Mitch und Josh schien es ähnlich zu sein. Ein bisschen an der Oberfläche kratzen durfte ich schon mit meinen Fragen, aber viel mehr offenbar nicht. Es war mitunter Faye zu verdanken, dass ich mich was das anging inzwischen etwas besser unter Kontrolle hatte. Sie war jedes Mal traurig oder sehr still geworden, wenn ich irgendwo zu tief nachgebohrt hatte und auch, wenn Aryana hier ein wenig anders zu ticken schien, würde ich bei ihr keine negative Reaktion provozieren. Sie hatte auch ohne, dass ich einen schlechten Eindruck heraufbeschwor, schon mindestens zwei sehr gute Gründe, warum sie mich nur mit unangenehmem Beigeschmack in Fayes Nähe sehen konnte. Ich musste ihr nicht noch mehr Anlass dazu geben, mich kritisch zu sehen. "Da hat Josh wohl gleich doppelt Glück gehabt. Kaum eins der Kinder kriegt überhaupt Besuch... da macht sicher jeder einzelne einen guten Unterschied.", meinte ich mit einem Nicken. Auch wenn Aryanas Freund es in letzter Zeit nicht hatte einrichten können, war ich mir ziemlich sicher, dass Josh sich trotzdem freuen würde, wenn er plötzlich wieder auf der Matte stand. Vielleicht schob das Kind vorher noch eine kurzweilige, bockige Phase ein, aber die Freude würde sich ganz bestimmt durchringen können.
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Ja, so wie sie das bisher mitbekommen hatte, hatte auch Ryatt nicht unbedingt einen konventionellen Werdegang gewählt. Der Barjob war dahingehend nicht mehr so aussergewöhnlich, aber irgendwie doch noch nicht ganz mehrheitsfähig. Es gab berechtigterweise nicht unendlich viele Leute, die es bevorzugten, jedes Wochenende so viel zu arbeiten, wie es eine Bar im Normalfall forderte. Das schränkte das Privatleben wahrscheinlich nicht unwesentlich ein, war also definitiv nur was für Menschen, die diese Arbeit auch wirklich mochten. Ihren Beobachtungen zufolge gehörte Ryatt zu dieser Gruppe dazu und das war gut so. Er war hier ihrer Meinung nach sowieso besser aufgehoben als bei der Army. Gut möglich, dass er ihr in diesem Belangen nicht zustimmen würde, aber sie sah grundsätzlich jeden Menschen an den meisten Orten dieser Welt besser aufgehoben als bei der Army. Ryatt schien erst etwas darüber nachdenken zu müssen, ob er ihr noch irgendwelche Details zu seinem Militärdienst verraten wollte oder nicht und sie hätte es selbstverständlich wortlos akzeptiert, wenn nichts mehr gekommen wäre. Dem war aber nicht so, auch wenn er zuerst zwei Gläser befüllen und sich die Worte zurechtlegen musste. Ihre Augenbrauen wanderten automatisch in Richtung Haaransatz, als er seinen letzten Rang bei der Army erwähnte. Tatsächlich ungewöhnlich für sein Alter - auch wenn sie dieses nicht kannte, es konnte kaum hoch genug sein für einen solchen Status. Sie war ja schon deutlich zu jung und unerfahren für ihren Posten gewesen, aber Sergeant Major war nochmal ein paar Stufen weiter aufwärts. Selbst mit der Spezialschule und den zusätzlichen Erfahrungsjahren musste er sich wirklich hervorragend gezeigt und sehr oft bewiesen haben, um so hoch zu klettern. Sie hörte ihm aufmerksam zu, als er weiterredete und musste doch zugeben, dass seine Ansichten zumindest in diesem Bereich alles andere als falsch klangen in ihren Ohren. Sie konnte ihm zustimmen, als er das beschissene System erwähnte und es war wirklich schade, dass er wohl nie dazu gekommen war, wirklich nachhaltige Veränderungen durchzusetzen. Zugegeben war das aber wahrscheinlich auch einfach unmöglich. Da sassen viel zu viele weisse alte Männer mit zu viel Geld in den Führungspositionen und hielten an alten Strukturen fest, weil sie ja immer funktioniert hatten. Und weil sie sehr sicher irgendwem sehr viel Geld einbrachten. Eine einzige Person, und war sie noch so ambitioniert, würde daran nicht nachhaltig rütteln können. Höchstens als Whistleblower, indem ein paar viele der grausigen Details dieses schäbigen Vereins mit der Welt geteilt wurden... Aber dann war das eigene Leben vorbei, weil sowas niemals ungestraft blieb. "Das ist tatsächlich ungewöhnlich. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wie alt du wirklich bist... siehst du zu jung aus", stimmte sie ihm in diesem Punkt zu, wobei sie das definitiv nicht als Kritik meinte, sondern viel mehr eine gewisse Bewunderung in ihrer Stimme mitschwang. Sie nahm ihm das für sie gefüllte Shotglas ab, um es kurzum mit ihm anzuheben und nach den Worten "Auf bessere Lösungen für den Weltfrieden als die US-Army", zu kippen. Eigentlich hatte sie nicht unbedingt noch was trinken wollen, aber der Schluck würde sie kaum direkt ins Aus befördern und beim Gedanken an die Army fühlte er sich auch mehr als berechtigt an. Gerade weil die Army als Lösung für den Weltfrieden grundsätzlich einen sehr beschissenen Job machte und sie dringend Alternativen brauchten. Aryana stellte das Gläschen zurück auf die Theke, drehte es aber noch einen Moment gedankenverloren zwischen den Fingern. "Und ja, da gäbe es sehr viel Veränderungsbedarf. Schade, dass es bei den Visionen geblieben ist... Aber auf der anderen Seite hat dir das sicher auch eine Menge Frust erspart, weil die Alteingesessenen sich leider nur sehr ungern reinreden lassen. Sicherlich ein schwacher Trost, aber hey...", sie zuckte mit den Schultern ohne den Satz zu beenden und ohne den Blick vom Glas in sein Gesicht anzuheben. Sein Weggang von der Army schien unfreiwilliger Natur gewesen zu sein - sie verband jetzt mal ganz hypothetisch sein Hinken mit diesem Ende - und das war selten irgendwie schön. Und eigentlich brannte ihr die Frage nach der Natur seiner Visionen auch noch auf der Zunge. Aber sie wollte ihn nicht den Rest der Nacht mit Fragen zur Army nerven und ausserdem hatte sie auch nicht das Bedürfnis, sich weiter in den Gedanken an diesen - grösstenteils - Drecksverein zu verlieren. Seine Worte zu Josh und Mitch nickte sie mit einem Lächeln ab. Sie war auch der Meinung, dass die Begegnung mit Mitch ein grosses Glück für den einsamen Jungen gewesen war. Es war traurig, zu hören, dass die Kinder scheinbar sonst ziemlich wenig besucht wurden, aber eben auch nicht überraschend. Es entsprach dem Eindruck, den sie bisher vom Kinderheim gehabt hatte, ganz gut. Zu viele einsame Seelen für die keiner wirklich Zeit hatte.
Glücklicherweise sah ich abseits der Kletterfotos meines Alters entsprechend aus - keine übermäßigen Falten, noch keine grauen Haare oder kahle Stellen, nur schon ein kleines bisschen gezeichnet von den ersten harten Jahren eines jungen Erwachsenen. Selbst wenn ich momentan chronisch übermüdet war, sah ich noch nicht aus wie 40, was deutlich besser zu meinem damaligen Posten gepasst hatte. "So gut wie 32.", gab ich Aryana noch Auskunft über mein Alter, als sie mir das kleine Glas abnahm. Was ich getan hätte, wenn sie den Shot nicht getrunken hätte? Womöglich hätte ich ihn erst noch Faye und Alice angeboten und wenn das nicht gefruchtet hätte, wäre es wohl oder übel doch noch in meinen eigenen Rachen geflossen. Das blieb mir jedoch erspart, weil die Brünette am Tresen sich mit einem Trinkspruch opferte und mich damit mein eigenes Glas anheben ließ. Ich lachte leise in mich hinein, bevor ich den Schluck runterkippte. Das leichte Brennen im Hals hielt noch kurz an, als ich das Glas wieder auf der Bar abstellte. Den Weltfrieden und eine der größten Streitmächte der Welt im selben Satz zu erwähnen, war leider etwas surreal, wie uns beiden bewusst war. Vielleicht genauso utopisch, wie meine Vorstellung davon, ein so altes System wie die US Army ordentlich umzukrempeln. Als die ältere Cooper das ansprach, sog ich scharf die Luft ein und wiegte den Kopf abwägend hin und her. "Man könnte wohl lange darüber diskutieren, was am Ende unwahrscheinlicher ist. Ob es der Weltfrieden durch die US Army oder doch eher mein Glaube daran ist, das ganze Ding neu anpinseln zu können...", gab ich ihr allem voran Recht damit, dass es durchaus möglich war, dass ich damit für den Rest meines Lebens gegen eine viel zu dicke Mauer gerannt wäre. Aber es hatte damals nichts gegeben, was mich je an mir hatte zweifeln lassen. Nichts, was mich mal ernsthaft für längere Zeit ausgebremst hatte. Natürlich hatte ich ab und zu einen großen Steinbrocken auf meinem Weg gefunden, aber irgendwie war ich immer drum herum gekommen - stets nach dem Motto 'Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg'. Sehr ironisch, weil ich jetzt hier herumstand und nicht wusste, wo mein Wille mich von nun an hinführen sollte. Lag wahrscheinlich daran, dass er gebrochen war und ich nach den großen Scherben jetzt noch die etlichen kleinen Splitter zusammensuchte. "Frust hin oder her: Wenn's nie Jemand versucht, dann wird sich ja auch nie was ändern. Und ich hatte wenigstens schon meine ersten Sympathisanten, es gab also noch keinen Grund mir die Idee grundsätzlich wieder aus dem Kopf zu schlagen.", meinte ich mit wegwerfender Handbewegung. Am Ende war sowieso alles davon egal, weil ich nichts davon mehr verwirklichen konnte. Definitiv zum Leidwesen der noch folgenden Generationen von Soldaten. Allerdings begann ich mich jetzt im Nachhinein zu fragen, woher Aryana das wusste - dass sich die alten Säcke auf den ganz hohen Posten nicht gerne reinreden ließen. War das nur eine allgemeine Aussage oder bezog sie das tatsächlich direkt auf die Army? Dass sie den Veränderungsbedarf erwähnte, ließ es spezifisch klingen. Klar, von letzterem konnte sie auch durch ihre jüngere Schwester oder ihren verstorbenen Bruder erfahren haben. Vielleicht brauchte sie deren Erfahrungswerte aber tatsächlich gar nicht, weil sie selber todesmutig aufs Schlachtfeld spaziert war - einen Papierkram-Job beim Militär konnte ich bei ihr ja schon ziemlich sicher ausschließen. Aber wieso sollten sie alle drei dort gewesen sein? Faye hatte meiner Erinnerung nach mal gesagt, dass der Tod ihres Bruders zwar irgendwie mit ihrem Einzug verstrickt war, aber nicht direkt der Auslöser dafür war. Außerdem wusste Aryana, dass mein Rang nicht meinem jungen Alter entsprach. Niemand, der sich nicht selbst damit beschäftigt hatte, konnte die Rangfolgen bei der Army auswendig. Dieses Wissen brauchte man im 0815-Alltag schlicht und ergreifend nicht - auch nicht mit Geschwistern, die fürs Militär arbeiteten. Mein Gesichtsausdruck begann zunehmend widerzuspiegeln, dass meine Hirnwindungen gerade in Lichtgeschwindigkeit jede irgendwie mögliche variable Verbindung zwischen den drei Geschwistern und der Army suchten. Da konnte ich aber auch nie pokern. Sobald ich richtig intensiv nachzudenken begann, verlor ich die Kontrolle über meine Gesichtszüge. "Du warst selber bei der Army..?" Das war eine dieser zu direkten indirekten Fragen, die nicht mehr aufzuhalten waren und die mit einem ebenso direkten, forschenden Blick auf den Befragten verbunden waren. Eine Frage, die ich im Nachhinein lieber anders formuliert oder gar nicht ausgesprochen hätte, weil sie die zwanglose Unterhaltung eindeutig zum Kippen bringen könnte. Sollte Aryana wirklich in das Army-Ding ihrer Geschwister verstrickt sein, war das nämlich ziemlich sicher ein wunder Punkt. Ihr Bruder war tot und Faye stark traumatisiert - aber hey, stocher' doch einfach ein bisschen drin rum, Ryatt. Sie hat ja keine Freizeitknarre, was soll schon passieren?
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Nein, mit 32 besetzten die meisten Personen in der Army definitiv keine Führungspositionen diesen Ranges. Das wäre eher so das Alter für ihren Posten gewesen, und noch dafür wäre es ziemlich jung. Zumal Ryatt ja erst jetzt 32 wurde, damals also noch mindestens ein Jahr jünger gewesen war. Sie hatte keine Ahnung, wie weit die Army in seiner Vergangenheit zurücklag. Allzu weit dürfte es aber nicht sein, sonst wurde es dann wirklich schwierig, ihm alles zu glauben, was er diesbezüglich von sich gab. 32 war eher so das Alter, um hier eine kleine Bar zu unterhalten und sich damit durchs Leben zu schlagen. Klang ihrer Meinung nach gesünder als das Koordinieren von Kugeln aufm Schlachtfeld. "Hm. Ich glaube, da müsste ich dann doch auf deine Ambitionen setzen...", wog sie mit ironischem Unterton den Weltfrieden gegen seine Neugestaltung der Army ab. Für sie war die Army einfach ein Stück Scheisse, das nur Leid verursachte, Unruhe stiftete und unnötig Menschen als Kanonenfutter verheizte, weil die Kriegsführung den Menschen in Washington überlassen wurde, die wohl hauptsächlich die Interessen der Rüstungsindustrie vertraten. Da war kein Platz für die Schaffung des Weltfriedens. Und die Menschen, die der Army gedient hatten und durch irgendwelche Unfälle den Dienst abbrechen mussten, um dann psychisch und / oder physisch verkrüppelt in die Heimat zurückzukehren, wurden mit einem Notgroschen vertröstet und vergessen. Wenn sie so viel Glück hatten wie Faye und Victor, wurde ihnen noch eine Reha und ein paar Monate Therapie gespendet, aber das war dann definitiv das höchste der Gefühle, bevor man für diesen Rotzverein - ganz egal, was man davor für ihn geleistet hatte - gestorben war. Sie würde sehr viel darauf verwetten, dass es Ryatt genauso ergangen war. Gab genügend Veteranen, die nach dem Trauma des Krieges in der Heimat verkrüppelt auf der Strasse landeten. Soweit sie das mitbekommen hatte, war Ryatts Wohnsituation ja vor ein paar Monaten auch quasi nicht-existent gewesen, was ihn diesbezüglich zu einem Paradebeispiel machte. Ganz egal war um er aus der Army geflogen war, beziehungsweise was dieser Schuss ins eigene Bein, den er erwähnt hatte, gewesen war. "Das stimmt natürlich schon. In dem Fall ist es schade, dass dus nicht durchziehen konntest", erwiderte sie, obwohl sie innerlich sehr fest an der Überzeugung festhielt, dass man die Army nicht geändert kriegte - auch nicht mit ein paar Leuten mehr im Rücken. Das waren einfach kaputte Strukturen und alles wirklich unflexibel. Aber darüber wollte sie wie gesagt auch gar nicht weiter mit ihm streiten oder diskutieren, war kein Thema, das ihr guten Schlaf und eine gesunde Herzfrequenz versprach. Wie die ganze Army halt. Merkte man daran, dass sie zu schnell redete und darum gerade einen dummen Fehler gemacht hatte. Das sagte ihr Ryatts Gesichtsausdruck schon bevor er mit der Frage, die mehr einer Feststellung gleichkam, rausrückte. Achse... Sie war nicht davon ausgegangen, dass er diese Information nicht zwischen den Zeilen las. Aber sie hatte schlicht nicht darüber nachgedacht, dass sie ihm das nicht sagen wollte. Es war an sich keine mega geheime Info und sie konnte auch gut dazu stehen, mal bei der Army gewesen zu sein, es erklärte wesentliche Teile ihrer beruflichen Laufbahn. Das Problem war eher Faye, die Ryatt bestimmt längst von ihrer eigenen Kriegserfahrung berichtet hatte. Vielleicht sogar von Julian. Aber offensichtlich nicht von Aryana. Und wenn man dieses nicht ganz irrelevante Puzzleteil hinzufügte, warf das wiederum eine ganze Menge Fragen auf, die sie Faye eigentlich nicht zumuten wollte. Ausgesprochen dumm, dieses Reden vor Denken. „Scheinbar nicht mehr meine Tageszeit für eine intelligente Unterhaltung…“, stellte sie sarkastisch fest, wobei ihr Blick wieder auf das Shotglas fiel. Sie seufzte innerlich und richtete sich wieder etwas auf, um Ryatt anzuschauen, als sie mit der wenig überraschenden Antwort herausrückte. "Hast du richtig interpretiert, ja... Habs bis zum Sergeant First Class geschafft, bevor ich rausgefallen bin. Nachhaltig verändert hab' ich selbstredend absolut gar nichts", eigentlich hätte sie ihm diese kleinen Details zusätzlich zum Ja nicht stecken müssen. Aber es erklärte ihre vorangehenden Aussagen ein Stück weit und letztendlich konnte er sich davon auch nichts kaufen. Ihre Stimme klang zynisch und genauso desillusioniert, wie sie sich im Bezug auf diesen Teil ihrer Geschichte und das Rattenloch in Syrien fühlte.
Im direkten Vergleich mit ihrer jüngeren Schwester nahm Aryana die Frage erstaunlich leicht hin. Sie wirkte zwar nicht unbedingt begeistert, aber das war besser als Fayes sofortiges zurück ins Schneckenhaus kriechen. Lag wahrscheinlich daran, dass sie nicht diejenige war, die mir dieses Detail bisher bewusst vorenthalten hatte. Denn natürlich versuchte ich in direktem Anschluss an ihre Bejahung, mir die einzelnen Stücke des Rätsels im Kopf selbst zusammenzusetzen. Ich konnte aber wieder nur mutmaßen und das machte mich jetzt schon kirre. Konnte ich Faye überhaupt danach fragen, ohne dass sie es mir - und/oder ihrer Schwester - übel nahm? Ich hätte mir gerne die Haut aus purer Neugier und Ungeduld vom Gesicht gezogen, sah stattdessen aber einen langen Moment auf Aryanas Shotglas. Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als einer der anderen Gäste direkt an der Bar nach mir rief und mit der Hand fuchtelte. Ich warf einen Blick auf die Uhr und daraufhin folgte meinerseits ein allgemeiner Ausruf in die Bar: "Letzte Runde, Leute!" Es war fast 2:45 Uhr, um 3 Uhr machte ich hier die Schotten dicht. Ich bedeutete Aryana mit einer kurzen Handgeste, mir nicht wegzulaufen und wendete mich anschließend dem Stammkunden zu, der nochmal zwei Shots für sich und seinen besten Freund - der eigentlich gar nicht sein bester Freund war, weil er ihn erst seit heute Abend kannte - orderte. Abgesehen davon schien trotz suchendem Blick meinerseits sonst keiner mehr akuten Durst zu verspüren, weswegen ich mich anschließend erneut vor Aryana an die Theke stellen konnte. "Du konntest ja nicht wissen, dass Faye dich bei ihrer Armygeschichte ausgelassen hat.", folgte meine späte Antwort mit einem leichten Kopfschütteln. Dabei nahm ich das noch vor ihr stehende Glas an mich und stellte es mit meinem oberhalb der Spülmaschine ab. "Ich wusste nur von Victor und eurem Bruder… aber sie wird schon ihre Gründe dafür gehabt haben, dich auszulassen." Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Ehrlicherweise konnte ich mir den Grund dafür wenig bis gar nicht selbst zusammenreimen. Außer vielleicht, dass sie mir nicht vertraute. Victor war weit weg, er hatte nichts zu befürchten. Ihre Schwester hingegen war hier. Ich könnte es verstehen, den Hernandez wegen, aber trotzdem missfiel es mir. Es piekste ein bisschen in der Brust. Wir trafen uns oft, redeten viel miteinander, lachten ständig… und trotzdem fehlte richtiges Vertrauen. Weil ich irgendwann wieder gehen würde? Das war doch scheiße. Ich hätte Aryana in diesem Moment auch gerne gefragt, ob sie irgendwelche Ziele bei der Army gehabt hatte. Einfach aufgrund der Tatsache, dass sie ihren Rang erwähnte. Ich wusste nicht wie alt sie genau war, aber sie sah auch nicht unbedingt alt genug für diesen Posten aus. Es wirkte aber alles in allem nicht so, als würde sie sich wahnsinnig gerne darüber unterhalten. Sie wehrte mich nicht so vehement ab wie Faye, aber sie schien nichts Gutes damit zu verbinden und kommunizierte das stumm. Wir hatten uns bisher eigentlich ganz gut verstanden, ich wollte mich nicht plötzlich mit zu viel Nachbohren unbeliebt machen. "Ich wollte dich mit dem Thema auch nicht nerven… ich versuche nur, das Ganze irgendwie zu verstehen.", seufzte ich schließlich. Ich wendete mich vorübergehend von ihr ab, um die paar wenigen restlichen Gläser trocken zu machen und daraufhin die dreckigen einzuräumen, die schon über der Spülmaschine standen.
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