Mal kuckeeeen, vielleicht wird das Wetter ja doch noch besser.. xD Ja ich überlegs mir, kann dir auch irgendwann die unfertige Idee schreiben, dann kannst du sagen, ob du sie eh schon kacka findest. Und DANKE, dass du genau jetzt erwähnst, wie scheisse das Schreiben am Handy ist, wo ich in den Urlaub fahre und nur am Handy schreiben werde… Dafür darfst du jetzt ganz viele Flüchtigkeitsfehler fressen. xDD ____________
„Du würdest auch mit tausend Flecken auf dem Hemd noch umwerfend aussehen, Vicky…“, liess sie ihn mit übertrieben süffisanter Mimik wissen, dass ihm vom Curry kein Schaden drohte. Dabei musterte sie seinen Oberkörper, bis sich ihr rechter Mundwinkel zu einem schelmischen Grinsen verzog und ihre funkelnden Augen wieder die seinen fanden. „Oder ganz ohne… also das Hemd, mein ich“, bemerkte sie und ihre Augenbrauen zuckten einmal nach oben, bevor das Grinsen schon wieder Überhand nahm. Später. Später bestimmt. Sie hatte längst durch den Stoff gespürt, dass Victor wieder deutlich breiter geworden war, als vor neun Monaten. Das war absolut keine Überraschung - damals hatte er einen sehr langen Krankenhausaufenthalt inklusive Koma hinter sich gehabt, war psychisch kein bisschen gesund gewesen und hatte eine ganze Weile nicht mehr trainiert. Jetzt strahlte er von Energie, seine Augen wirkten wieder glücklich, zuversichtlich, als wüssten sie genau, wohin die Reise als nächstes ging. Er war unglaublich anziehend und attraktiv - sicher auch in den Augen von Menschen, die ihn nicht mit ihrem ganzen Herzen liebten, wie sie das tat. Es konnte ihr also keiner verübeln, bereits jetzt einen Gedanken an das unter dem Hemd verschwendet zu haben. Er sowieso nicht, wusste er doch am allerbesten, dass körperliche Nähe, Zärtlichkeiten und Berührungen ihre liebste Sprache der Liebe waren. Aber jetzt wurden hier erstmal seine Kochkünste mit ihrem Appetit honoriert, der auch nicht zu klein war - ihrer Verausgabung beim Sport sei Dank. Ihre Augenbrauen wanderten gleich darauf allerdings erneut aufwärts, wenn diesmal auch aus Erstaunen und nicht, um seine Attraktivität zu kommentieren. „Tatsächlich? Das ist jetzt nicht die Antwort, die ich erwartet hätte. Ist aber natürlich toll und macht gleich noch das Kochen einfacher“, freute sie sich über die unerwarteten Neuigkeiten, machte ein Daumen hoch und widmete sich wieder dem Essen auf ihrem Teller. Eine Geburtstagsfeier klang super, wie sie fand. Gerade eben weil er dreissig geworden war und das durchaus eine Feier wert war. Ihr Blick war also eher angetan als zerknirscht wie seiner. Sie konnte im Anschluss auch beruhigend die Gabel ablegen und die Hand heben, um ihm zwei, drei Mal tröstend die Schulter zu klopfen. „Mach dir keinen Kopf, Schatzi… Das Alter ist nur eine Zahl. Ausserdem werd ich dich lieben, bis wir 120 sind - da bleiben also noch so 90 Jahre entspanntes Altern“, beruhigte sie ihn sarkastisch. Dass ihre Liebe nicht früher enden würde, als sie beide tot waren, meinte sie zwar ernst, aber ob das wirklich bis 120 dauern würde, war schwer vorhersehbar. Mussten sie sich wohl oder übel überraschen lassen, aber zurzeit sah sie die ganze Alterssache noch recht entspannt. „Ich habe mit Mitch eh schon ein willkommen zurück, wir sind endlich komplett und glücklich-Abendessen zu viert angeplant. Je nach dem, wie viele Feste du dir wünschst, lässt sich das vielleicht auch verbinden?“, schlug Faye vor. Von ihr aus, lagen selbstverständlich auch zwei bis zwanzig Feste drin. Aber ein vergangener Geburstag wollte vielleicht nicht mehr zehn weitere Wochen auf seine gebührende Party warten.
Ich hoff' für dich mit. Hier scheint tatsächlich grade die Sonne, aber das wird wieder nur von kurzer Dauer sein... :'D Ganz wie du magst. NOCH ist es ja nicht so eilig... x'D Naja sonst mach ich das auf der Arbeit immer, du darfst halt auch mal... XD ___________________
Ich war eigentlich ganz froh darüber gewesen, diesen Spitznamen in der Heimat zurückgelassen zu haben, weil Hazel mir damit nicht mehr in den Ohren saß. Weit gefehlt, denn scheinbar hatte auch Faye leider immer noch eine Vorliebe dafür, mich damit zu aufzuziehen. Selbstverständlich konnte ich ihr das in diesem Moment aber kein bisschen übel nehmen und der pseudo-tadelnde Blick in ihre Richtung wandelte sich schnell, als sie noch offensichtlicher zu flirten begann. So schnell gings vom Curry zu anderen Gelüsten. Das hier fühlte sich mehr und mehr wie der zweite Frühling an und ließ auch mich unweigerlich ein Grinsen formen. "Sicher nur einer von vielen Wünschen, die sich leicht erfüllen lassen.", erwiderte ich angetan und musterte sie auffällig unauffällig im Augenwinkel, bevor die Mahlzeit wieder in den Vordergrund rückte. Zumindest so sehr, wie das jetzt noch möglich war, wenn man offensichtlich angemacht wurde und gleichzeitig nur so vor sexueller Energie strotzte. Mit der körperlichen und mentalen Gesundheit war auch das wieder zurückgekommen. Es wurde auch nicht grade weniger, wenn man während des Jobs ständig irgendwo in Anzug oder mindestens anderweitig Eindruck schindend gekleidet herumstand. Nur weil ich Faye liebte und sie die einzige Frau in meinem Leben sein sollte, hieß das nicht, dass ich gegen Blicke und das Flirten anderer völlig immun war. Gerade in Vegas war die Stimmung sehr auf Ausgelassenheit getrimmt und mit meiner Körpergröße nicht aufzufallen war quasi unmöglich. Auch Sex war in unserer Beziehung schon lange vor meiner Abreise ein schwieriges Thema geworden und es war längst Zeit, das wieder grade zu rücken. Wenn Faye diesbezüglich ebenfalls auf heißen Kohlen saß, dürfte das aber unsere geringste Sorge bleiben, auch wenn ich vorher noch ein oder zwei Fragen hatte. Meine Ernährungsumstellung kam offenbar überraschend, aber das war nachvollziehbar. Im Gegensatz zu Faye hatte ich mich nicht vorher schon öfter mal damit befasst, sondern war völlig neu auf dem Trichter, nur wenig Fleisch zu essen. Demnach war für mich recht selbsterklärend, warum sie damit nicht gerechnet hatte und ich ging nicht weiter darauf ein. Für die kurz darauf genannte 120 bekam die zierliche Brünette aber einen Blick mit hochgezogener Augenbraue zugeworfen. Gar nicht mal deswegen, weil ein so hohes Alter eher unrealistisch war, sondern weil ich mir ein Leben unter 120jährigen-Umständen nicht mal vorstellen wollte. "So gern ich auch wirklich noch sehr viel Zeit mit dir verbringen möchte... ich glaube 120 will ich echt nicht werden.", erwiderte ich mit einem langsamen Kopfschütteln, wenn auch mit einer Prise Ironie. Wahrscheinlich war meine Chance darauf, so alt zu werden, niedriger als bei vielen anderen Menschen. Außerdem hatte ich mit meinem einst schweren Schädel-Hirn-Trauma leider eine erhöhte Chance auf Demenz und dass meine Grandma daran auch schon gelitten hatte, minderte das Risiko nicht unbedingt. Aber das lag hoffentlich in noch sehr weit entfernter Zukunft. Vorher konnten wir noch mehr als genug gesunde schöne Jahre zusammen haben. "Ach, wieso eigentlich nicht gleich zwei..." Ich zuckte unbekümmert mit den Schultern und aß erst noch einen Löffel voll Curry auf, bevor ich meine Antwort weiter ausführte. "Ich bin erstmal zwei Monate hier, ich denke da lassen sich zwei Tage zum Feiern sicherlich irgendwo unterkriegen.", streute ich in diesem Sinne gleich eine weitere Information ein, die für die brünette Schönheit alles andere als irrelevant war. "Das klingt vielleicht nicht nach wirklich viel Zeit, nachdem ich so lange weg war und weil wir einige Dinge besprechen müssen... aber ich kann mich deinem Dienstplan voll anpassen und fast 24/7 für dich da sein.", ergänzte ich noch ein paar Worte und sah einen Moment lang zu ihr rüber, bevor ich nach dem Weinglas griff und einen Schluck nahm. Ich war an Schichtarbeit jetzt sowieso gewöhnt und würde einfach dann Schlafen gehen, wenn Faye das tat. Natürlich hatte ich gewissermaßen einen eigenen Tagesrhythmus entwickelt und würde den auch weiter in unseren gemeinsamen Alltag integrieren, aber das sollte nun wirklich die geringste aller Sorgen werden.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Ja ich weiiiisss, ich beneide dich aber echt nicht, find das wirklich äzend, so zu schreiben. Das sind die einzigen Momente, in denen ich mir doch ein grösseres Handy wünsche. Meine fetten Daumen sind fürs iPhone 13 mini leider etwas zu gross, um wirklich effizient zu schreiben. x‘D _________
Gut, dass er diesbezüglich die gleichen Ansichten vertrat wie sie. Wäre zwar irgendwie überraschend und ein bisschen suspekt gewesen, wenn Victor nicht genauso ausgehungert und bedürftig war, was körperliche Nähe und eben auch nackte Haut, beziehungsweise Sex anging, wie sie, aber die Bestätigung nochmal wörtlich zu erhalten, war Musik in ihren Ohren. Diese Thematik war in der Vergangenheit bekanntlich auch sehr viel häufiger an ihr gescheitert und ihre Baustelle gewesen, aber trotzdem. Es freute ihn bestimmt, zu hören, dass sie den Frieden mit sich und ihrem Körper endlich wieder geschlossen hatte. Hatte ja auch jedes Mal lange genug gedauert und war einfach nur hässlich gewesen. Für sie beide. Ihre Lippen waren noch immer zu dem Grinsen verzogen, das sich dort auch wacker hielt, als sie seine Antwort vernahm. „Musik in meinen Ohren“, summte sie zufrieden, womit dieser Teil des Programms auf jeden Fall schonmal für später festgehalten wurde. Bevor sie es ihm mit dem Shirt ausziehen gleichtun könnte, würde sie ihn aber wahrscheinlich noch bezüglich der Entwicklung der Narbe auf ihrer Brust vorwarnen müssen. Nicht, dass er am Ende allzu geschockt auf den Anblick reagierte. Aber auch dazu später mehr, sie durfte noch nicht zu viele Gedanken da rein stecken, sonst vergas sie den Rest und da gab es doch auch noch ein, zwei Dinge zu bereden. Mit 120 schien Victor sich hingegen nicht recht anfreunden zu können. Schade. „Wenn wir uns bis dahin frisch und junggeblieben erhalten bleiben, dann vielleicht ja doch?“, liess sie sich nicht von ihrer romantischen Vorstellung des gemeinsamen Sehr-Altwerdens abbringen. War natürlich nicht ganz ernst gemeint. Vielleicht war 120 etwas hoch gegriffen, aber auch das hatte noch sehr, sehr viel Zeit. Offenbar weit weniger als ihre nächste gemeinsame Zeit mit Victor. Die Bemerkung diesbezüglich liess nun ihre Augenbraue fragend nach oben wandern. „Und… was ist nach zwei Monaten?“, hakte sie wenig überraschend direkt nach, um hier gleich Klarheit zu schaffen, damit sie sich nicht für den Rest des Abendessens den Kopf zerbrechen musste. Es lag fast sicher an seiner Arbeit, dass die Dauer seines Aufenthalts beschränkt war, aber trotzdem möchte sie das und die Rahmenbedingungen seiner nächsten geplanten Abwesenheit gerne noch kurz erläutert haben. Sie würden sich sowieso noch über alle genaueren Konditionen dieses neuen Lebens unterhalten, es ging ihr also erstmal nur um die Fakten, die offenbar teilweise schon standen. Dass er sich bis zu seiner erneuten Abreise so ziemlich alle Zeit der Welt für sie nehmen konnte, fand sie natürlich schön und liess das kurzzeitig dem fragenden Blick gewichenen Lächeln wieder erstrahlen. Genau darüber mussten sie sich zwar ebenfalls noch irgendwann unterhalten, weil sie nicht wollte, dass das für dich da sein allzu bald wieder in so viel Stress und Belastung resultierte wie damals - in erster Linie fand sie den Gedanken an massenhaft Zeit mit Victor aber schwer verlockend. Wenn er dann zwischendurch noch sowas leckeres auf den Teller zauberte wie das Curry, das sie hier laufend löffelte, war sie sehr schnell im Himmel. „Irgendwo muss dann aber auch noch der Urlaub reinpassen, den ich dir versprochen habe… erinnerst du dich?“, wollte Faye wissen, inwiefern er das noch auf dem Radar hatte, sie damals überhaupt voll ernstgenommen hatte.
Ich hab immerhin wenigstens ein großes Handy, das in keine Hosentasche dieser Welt passt.. XD _______
Definitiv nicht nur in ihren Ohren. Denn natürlich fand ich Faye attraktiver, so wie sie jetzt aussah. Weder die psychisch bedingten Gewichtsabnahmen, noch die Narben hatten je ihren Wert in meinen Augen geschmälert. Das hatte ich damals auch oft genug betont. Trotzdem spürte ich natürlich lieber keine Knochen unter den Fingern, wenn meine Hände über ihre Haut wanderten und auch die Brünette dürfte sich so wieder deutlich wohler mit Intimität fühlen. Die Narben hatten früher natürlich schon auch meine eigenen, damit verbundenen Erfahrungen getriggert und ich konnte nicht mit abschließender Sicherheit sagen, wie ich später darauf reagieren würde. Ich hatte meinen Frieden mit der Vergangenheit so gut es ging geschlossen. Fayes eigene Reaktion, wenn ich besagte Körper-Areale nackt sehen würde, spielte aber zweifelsohne eine Rolle dabei. "Wie geht's der Narbe..?", hakte ich in ruhigem Tonfall einige Sekunden später nach und schob dem Flirten damit erstmal einen Riegel vor. Ich brauchte nicht explizit Gils Handwerk zu erwähnen, denn all die anderen Narben waren deutlich oberflächlicher und weniger traumatisch gewesen. Früher hätte ich sie das wohl nicht so direkt gefragt, aber genau das war ja eines unserer Probleme gewesen. Das war kein Fehler, den ich nochmal machen würde. Hätte es in der Zwischenzeit Proleme mit der Heilung gegeben, hätte Faye mir das wahrscheinlich schon bei einem Telefonat gesagt, aber es ging mir auch mehr um das drum herum, ihre Gefühlslage und Verarbeitung. "Ja, vielleicht.", ließ ich mich etwas sarkastisch nicht wirklich auf die Vorstellung des übermäßig steinalt Werdens ein. Ich war zwar nach wie vor ein ziemlich hoffnungsloser Romantiker - siehe Tischdeko - aber das hatte bei 120 Lebensjahren definitiv seine Grenze. Fayes Nachhaken hinsichtlich der begrenzten gemeinsamen Zeit kam erwartet und war mehr oder weniger leicht zu beantworten. "Das hängt ein bisschen davon ab, wie wir zukünftig weitermachen wollen. Ich hab den Arbeitsvertrag nicht gekündigt, weil das bei so einem gut bezahlten Job dumm gewesen wäre. Die zwei Monate sind fast komplett unbezahlter Urlaub, die mir mein ziemlich verständnisvoller Arbeitgeber eingeräumt hat, weil er die Situation versteht und ihm das lieber war als eine Kündigung - gibt nicht so viele Securitys in meinem Format. Ich will danach aber eigentlich nicht zurück nach Vegas, weil ich dann ständig hin und her fliegen müsste, nur um dich ab und zu mal sehen zu können. Wenn genug Arbeit da ist, könnte ich zum Standort in Seattle wechseln… aber das wäre dann auch nur vorübergehend, weil ich nach wie vor nicht hierbleiben möchte.", führte ich weiter aus. Die Antwort war eben leider etwas kompliziert und nicht mit dann muss ich wieder arbeiten getan. "Ganz langfristig gesehen möchte ich mir was eigenes aufbauen, damit ich selbst entscheiden kann, wann ich Zuhause bin und wann nicht. Der jetzige Job schickt mich ständig hin und her, je nachdem was gebraucht wird. Es ist also schlecht kalkulierbar. Sich selbstständig zu machen, ohne in dem Business unterzugehen, wird aber leider noch eine ganze Menge Planung und Zeit brauchen." Ich zuckte mit den Schultern. Es gab leider wenig daran zu rütteln, dass ich nach der zweimonatigen Auszeit etwas unregelmäßig bei Faye sein würde. Phasenweise würden wir uns vielleicht sehr wenig sehen, wenn sich unsere Schichten komplett aneinander vorbei schoben. Das würde aber nicht für immer sein und ich war mir sicher, dass wir das sehr gut durchstehen konnten. Es war vielleicht auch insofern gut, dass wir die Zeit, die wir dann noch zusammen hatten, mehr zu schätzen wussten und besser nutzen würden als früher. "Was das angeht, müssen wir uns also am besten zeitnah entscheiden, wo wir zukünftig leben wollen… es gibt einiges zu besprechen.", schloss ich diesen Part vorübergehend ab, bevor ich auf den noch in der Luft hängenden Urlaub einging. Der Gedanke daran weckte wieder ein leichtes Lächeln. "Natürlich… das war schließlich einer der Gedanken, die mich in den ersten Monaten über Wasser gehalten haben." Ich hatte diese Aussicht auf eine wahnsinnig schöne Zeit mit Faye, fernab aller Probleme, zum Überleben gebraucht. Einen Lichtblick in ferner Zukunft, an dem ich mich festklammern konnte, während die schlimme Depression immer wieder meinen Kopf geflutet hatte. Ich nahm kurz darauf den letzten Löffel des Currys und tupfte mir anschließend mit einer der bereit gelegten Servietten die Mundwinkel ab. Sie bleib zusammen mit dem Becteck auf dem Teller liegen und ich griff nach dem Weinglas, bevor ich mich im Stuhl zurücklehnte und die freie Hand nach Faye ausstreckte. "Wo willst du hin?", fragte ich lächelnd nach, als ich die Finger auf ihrem Oberschenkel abgelegt hatte. Vielleicht hatte sie sich ja schon spezifischere Gedanken zum Urlaubsziel gemacht als ich. Mit dem Daumen streichelte über den Stoff der Jeans, musterte lächelnd ihr Profil und jede einzelne der Haarsträhnen, die ihr Gesicht einrahmten. Selbst die braunen Wellen glänzten eindeutig mehr als bei unserem Abschied.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Zum Schreiben definitiv ein Vorteil, im Rest des Lebens bin ich aber sehr dankbar für mein Mini-Handy. xD ____________
Scheinbar doch nicht nur ein Thema für später, wenn Victor schon jetzt so direkt nachfragte. War aber auch nicht schlimm - nach kurzem Überlegen zuckten ihre Mundwinkel nämlich bereits wieder aufwärts und deuteten ein noch etwas geheimnisvolles Lächeln an. „Sagen wir mal so… ich hab‘ jetzt ein Tattoo“, erklärte sie sehr knapp die Äusserlichkeit der erfragten Hautstelle. „Die Narbenbehandlung war erfolgreich, aber ganz weg kriegt man sowas leider nie. Sind ein paar feine Linien geblieben und weil ich nicht möchte, dass ich oder du das je wieder lesen müssen und ich ausserdem eine Idee hatte, habe ich beschlossen, etwas Tinte drüber zu stechen. Darum… es geht ihr bestens, wenn auch in einer sehr anderen Form als wohl ursprünglich angedacht. War wahrscheinlich nicht seine Intention, dass ich die Stelle je wieder gerne anschaue - aber da sind wir nun“, plapperte sie vor sich hin, zuckte am Ende mit den Schultern und hob beide Hände zu einer unbekümmerten, zufriedenen Geste. Sie fand es natürlich sehr gut, dass sie beim Anblick ihres Körpers nicht mehr automatisch an eines der Monster ihrer Vergangenheit dachte. Ihre Therapeutin hatte sie ebenfalls darin unterstützt, die Narbe in etwas zu verwandeln, das ihr Kraft gab und sie nicht an Traumaerfahrungen erinnerte. Und das hatte sie geschafft. Mittlerweile schaute sie die Stelle auf ihrer Brust gerne an. Sie hatte den Horror überlebt und Gils Taten in einem Zeichen purer Liebe erstickt. Was genau das war, würde Victor schon bald sehen, aber sie war sich sicher, dass es ihm auch gefallen würde. Spätestens dann, wenn sie es ihm erklärte. Als nächstes war Victor an der Reihe mit einer Ausführung zu einem sehr relevanten Thema, das ihre Zukunft wesentlich beeinflussen würde. Faye lauschte ihm nachdenklich und nickte zwischendurch, weil sie sehr bald erkannte, warum er nicht gekündigt hatte und sein weiterer Arbeitsalltag noch ein ziemliches Fragezeichen war. „Interessant… Kann ich natürlich verstehen - auch wenn du mir das wohl noch einmal etwas genauer erklären musst mit diesen Jobs und den ganzen Optionen. Ich blick‘ noch nicht ganz durch“, sie lächelte ihn schief an, ging aber davon aus, dass er das verstand. Sie hatte keine Ahnung von seinem Arbeitsfeld, das für Aussenstehende wohl auch nicht so leicht zu begreifen war. Von ihr aus war der langfristige Umzug grundsätzlich in Ordnung - aber auch darüber musste sie noch nachdenken. Erstens wegen Aryana und Mitch, zweitens wegen der ganzen Sache mit Ryatt, die sie hier irgendwann noch erläutern musste und drittens, weil sie erst gehen möchte, wenn sie ebenfalls einen vergleichbar guten Job in Aussicht hatte wie hier. Sie hatte die Weiterbildung vor zwei Monaten abgeschlossen und arbeitete nun sowohl im Rettungsdienst, als auch auf dem Spitalnotfall und diese Kombination gefiel ihr super. Das gab es anderswo sicher auch, aber sie wollte einfach nichts überstürzen. Da Victor grundsätzlich auch eher ein planungsfreudiger Mensch war, der Entscheidungen gut durchdachte, machte sie sich darüber aber auch noch keine Sorgen. Sie würden schon eine Lösung finden. Inmerhin den zeitnahen Urlaub hatten sie beide auf dem Schirm. Victor noch etwas weniger konkret als sie, wie auch seine Frage nach der Destination unterstrich. Sie legte etwas den Kopf schief, löffelte zuerst in aller Ruhe ihren Teller aus, bevor sie alles zur Seite legte und ihn einen Moment lang lächelnd musterte. „Auf eine von mir persönlich penibel selektierte Insel im Meer natürlich… Willst dus genau wissen oder bleibts eine Überraschung?“, überliess sie ihm die Entscheidung, streckte schon dabei die Finger nach seiner Hand aus und umschloss diese mit ihrer. Sie musste immerhin jede Chance auf Berührung nutzen, die sie jetzt endlich wieder kriegen konnte - da gehörte auch Händchenhalten und Finger streicheln dazu.
Bei mir isses so 50/50 - hat viele Vor- und leider etwa genauso viele Nachteile. x'D _______
Oh, so weit war sie schon? Ich konnte nicht verhindern, dass mir im ersten Moment die Augenbrauen etwas nach oben zuckten. Wir hatten schon damals darüber gesprochen, dass die Narbe womöglich irgendwann unter einem Tattoo verschwinden würde. Vielleicht hatte ich zu sehr mit der alten Faye kalkuliert, als ich davon ausgegangen war, dass sie das wahrscheinlich eher noch nicht in Angriff genommen hatte. Doch auch wenn es mich überraschte, ließ ich mich immer mehr von Fayes Lächeln anstecken, je länger sie darüber sprach. Es war nicht nur für ihre Seele Balsam, dass sie offenbar erfolgreich ihren Frieden damit geschlossen hatte. Wenn sie inzwischen selbst Gils erfolgreich überkleisterte Tat gerne ansah, obwohl sie selbst unter der Tinte für immer spürbar bleiben würde, war ich sehr guter Dinge, dass auch all die anderen Narben eher kein Problem mehr waren. Und das war in dieser Hinsicht absolut alles, was man sich wünschen konnte. "Das ist wirklich schön zu hören, Faye. Ich hab mir das für dich gewünscht.", murmelte ich, wobei das Lächeln noch einmal breiter wurde. Sich im eigenen Körper wohlfühlen zu können war zweifelsohne essentiell, um im Leben überhaupt jemals glücklich zu werden. "...auch wenn ich jetzt leider sehr neugierig darauf bin, wie es aussieht.", gestand ich abschließend noch das Offensichtliche. Ich hatte keine Zweifel daran, dass ich es auch gerne ansehen würde. Allein schon deswegen, weil es Faye gefiel und sie sich damit gut fühlte. Trotzdem wollte ich es lieber früher als später zu Gesicht bekommen. Es führte heute also einfach kein Weg mehr am Ausziehen vorbei, obwohl mein Hemd auf den ersten Blick noch sauber war. Welch schreckliche Umstände. In Hinblick auf meine neueste Berufung gab es natürlich noch etwas mehr Gesprächsbedarf, als ich mit diesem groben Ankratzen gerade eben hatte stillen können. Das war für mich schon selbstverständlich gewesen, weshalb ich bei Fayes Worten gleich etwas vor mich hin nickte. "Ja, das werde ich.", unterstrich ich nachdrücklich meine vorherige Geste. Es war auch mir wichtig, dass Faye wusste, was ich den lieben langen Tag so trieb, wenn ich nicht Zuhause war. Transparenz war wichtig und sie sollte sich schließlich nicht jedes Mal den Kopf darüber zerbrechen müssen. "Nur vielleicht lieber erst morgen oder übermorgen. Ich mag meinen Job, aber nach so viel Arbeit will ich nicht unbedingt gleich meinen ersten Viertel-Tag mit dir damit verbringen, darüber zu reden.", verschob ich den Fokus diesbezüglich auf einen der nächsten Tage. Es war wichtig und wir sollten es nicht zu lange aufschieben, aber auch das war eben nicht mit einem Satz getan und ich wollte nicht den ganzen Sonnenuntergang damit verbringen, über die Arbeit zu plaudern. Faye hatte sich scheinbar schon auf ein Reiseziel festgelegt, was mich grinsen ließ. "Natürlich will ich...", setzte ich an, hielt dann jedoch einen Moment inne und schüttelte anschließend bestimmt den Kopf. "Nein, sag's mir nicht. Überrasch' mich am Flughafen und wenn ich mich bis dahin noch fünf Mal umentscheide, musst du hart bleiben.", grinste ich und entschied mich damit für eine kleine Lehrstunde in Sachen Geduld. Einen Moment lang sah ich auf unsere endlich wieder miteinander verschlossenen Hände hinunter. Ich vertraute Faye, was den Urlaub anging. Auch wenn wir uns über den Urlaub selbst vor meiner Abreise nicht oft unterhalten hatten, kannte sie mich dennoch besser als jeder andere Mensch. Sie würde schon wissen, was mir in den Kram passte und was nicht. "Aber komm ja nicht auf die Idee, bei den Buchungen an irgendeinem Ende unnötig zu sparen.", gab ich ihr mit hochgezogener Augenbraue nur eine einzige Bedingung mit auf den Weg, die für mich nicht verhandelbar war. Ich wollte, dass das die bisher beste Zeit unseres gemeinsamen Lebens wurde. Natürlich mussten wir dabei nicht sinnlos Geld aus dem Fenster werfen, aber ich wollte nicht, dass es uns in dieser Zeit an auch nur irgendeiner winzigen Kleinigkeit mangelte. Wir hatten uns das verdient nach allem, was hinter uns lag. Langfristig sollte ich natürlich viel von dem Geld sparen, das ich aktuell verdiente - für schlechte Zeiten und weil Selbstständigkeit immer mit einem Risiko einherging. Trotzdem nahm ich für diese Reise liebend gerne etwas mehr Scheine in die Hand, wenn es das Erlebnis verbesserte.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Schien eine Überraschung zu sein, dass sie tatsächlich jemanden mit einer Tattoonadel in ihre Nähe gelassen hatte. Und der Ausdruck auf seinem Gesicht liess ihr Grinsen noch etwas breiter werden. Die Tätowiererin war aber sehr nett und sympathisch gewesen und der Moment hatte sich richtig angefühlt. Das Motiv war ihr dabei natürlich schon etwas länger durch den Kopf gegeistert, es war also kein Spontanentscheid gewesen, falls er das befürchtete… was er bestimmt nicht tat, weil er sie gut genug kannte, um zu wissen, dass sie nicht der Typ für leichtfertige Tätowierungen war. Dazu war ihr Körper noch viel zu nackt. „Danke… ich mir auch. War anstrengend genug bis dahin“, erwähnte sie das Offensichtliche, was er selbst bestens mitbekommen hatte. Er war dabeigewesen ganz am Anfang, als die Narbe frisch und die damit verbundenen psychischen Qualen am schlimmsten gewesen waren. Konnte sich also sicher bestens vorstellen, was dann noch so alles gekommen war und wie lange sie damit gekämpft hatte. Die Narbenentfernung an sich war auch schmerzhaft gewesen und mental hatte sie bei jeder Sitzung aufs Neue das ganze Trauma durchgespielt. Aber sie hatte es geschafft. Mit Therapie und Selbstdisziplin und sehr viel mentalem Training. Sie hatte sich wahrscheinlich noch nie im Leben so viel mit sich selbst auseinandergesetzt, wie in den letzten Monaten, obwohl sie auch davor schon viele Therapien durchgekaut hatte. Das war natürlich auch gewissermassen ihre Aufgabe gewesen, bis Victor zurückkam, aber es war trotzdem eine Menge neben der Arbeit und allem anderen, das sie so getrieben hatte. „Werde ich dir gerne schon sehr bald zeigen… und bis dahin kannst du noch ein bisschen deine Geduld trainieren“, erwiderte sie grinsend auf seine Neugier, die sich in den meisten Fällen zu seinem Glück besser zügeln liess als ihre eigene. Sie drückte in Verbindung mit einem Luftkuss seine Finger und nahm im Anschluss einen weiteren Schluck ihres Weins. Faye konnte sich auch bestens damit anfreunden, seinen Arbeitsalltag und ihre Zukunft nicht direkt hier bei ihrem ersten gemeinsamen Essen nach über neun Monaten zu besprechen. Offenbar blieben auch die Gespräche zu ihrem Strandurlaub auf der Strecke, weil Victor sich hier für ein weiteres Geheimnis entschied. Und auch das liess sie vorfreudig grinsen, bevor sie brav nickte auf die Anweisung, bei der Planung auch ja nicht jeden Cent zu drehen. „Ich denke, das wird sich ziemlich leicht einrichten lassen, Chef“, erklärte sie fröhlich, darauf zu achten - oder eben nicht zu achten. Da sie nun aber scheinbar mit der Urlaubsplanung alleine blieb, musste ein anderes Thema für die Unterhaltung her, und das war schnell gefunden: „Was ist mit den Fotos von vorhin? Wollen wir die jetzt anschauen oder sind sie zu arbeitslastig?“, fragte sie nach. Sie rechnete schon damit, dass er sie ihr jetzt zeigen würde, spnst hätte er sie nicht vorhin schon erwähnt. Aber das überliess sie jetzt mal ihm und seiner Stimmung.
Anstrengend war eine eher milde Bezeichnung für den wirklich harten Weg, der hinsichtlich der Narben und des Traumas hinter ihr lag. "Ich bin die Geduld in Person.", in ungefähr jedem anderen Belangen als diesem, vollendete ich den Satz in meinem Kopf. Das schiefe Grinsen auf meinen Lippen verriet meine Gedanken dabei sehr effizient. Ich war über neun Monate weg gewesen, ein paar Stunden hin oder her würden mich gewiss nicht umbringen. Auf gute Dinge lohnte es sich bekanntlich auch zu warten und Faye war nicht nur gut, sondern das Beste. Trotzdem konnte es für mich nur ein Vorteil sein, dass ich auch im Job immer wieder Geduld beweisen musste und was das anging inzwischen sehr souverän unterwegs war. Mit dem erhöhten Urlaubsbudget kam die zierliche Brünette selbstverständlich bestens klar und mein neuer Titel ließ mich gleich noch etwas mehr grinsen. "Ab jetzt bitte immer so ansprechen... natürlich nur, damit ich mich schon mal dran gewöhnen kann.", meinte ich künstlich bodenständig klingend, so als ginge es dabei tatsächlich um meine zukünftige Selbstständigkeit und nahm zur extra-schlechten Tarnung noch einen Schluck des Weins. Der Verkäufer hatte mich diesbezüglich glücklicherweise nicht enttäuscht. Daraufhin stellte ich das Glas dennoch mit einem Nicken zur Seite, als Faye die Fotos erwähnte. Leider musste ich mit einem entschuldigenden Lächeln ihre Hand loslassen, um mich weit genug drehen und die Fotos vom Fensterbrett nehmen zu können. Ich ließ mir die Gelegenheit nicht nehmen und rutschte mit dem Stuhl ein Stück weiter vom Tisch weg, um anschließend mit der freien Hand auf meinen Oberschenkel zu klopfen und Faye mit zurückgekehrtem Grinsen im Gesicht zu mir zu locken. Ich wartete nur noch, bis sie richtig saß, ehe ich den kleinen Stapel farbig bedruckten Papiers aus dem Umschlag zog und letzteren auf dem Tisch bei Seite legte. "Aus dem ersten Monat gibts keine Fotos... die waren eigentlich auch die Idee meines Therapeuten, aber meine Schwester musste mich am Anfang ein bisschen dazu nötigen. Deswegen wirst du Hazels Gesicht mehr als einmal sehen.", warnte ich Faye vor, weil gleich das erste Foto uns beide zeigte. Nicht nur in Hinblick auf meine oft dämliche Fratzen ziehende Schwester, die krampfhaft versucht hatte auch bei mir wenigstens ein Lächeln auszulösen, sondern auch wegen meines oft freudlosen bis traurigen eigenen Gesichts. Meine Augen hatten in der Zeit Zuhause noch nichts von dem Funkeln gehabt, das sie jetzt ausstrahlten. Danach kamen ein paar Fotos ohne mein Gesicht. Dabei handelte sich um Orte, an denen Faye und ich damals zusammen gewesen waren. Nur an dem Steg am Hafen, an dem wir zusammen gesessen hatten und an dem Aussichtspunkt an der Klippe, hatte ich mich zu einem Selfie durchgerungen - jeweils mit eindeutig erzwungenem Lächeln. "An dem Tag bin ich unseren Ausflug von damals nachgegangen... es war ein komisches Gefühl. Die Orte haben dich irgendwie greifbar gemacht, aber du warst gleichzeitig so weit weg..", murmelte ich vor mich hin, versuchte mich möglichst detailliert an diesen Tag zu erinnern. Kein schönes Gefühl und doch hatte ich mich bei diesem Ausflug besser gefühlt als an den meisten anderen Tagen in der Heimat. Das nächste Foto zeigte leider eins der berühmt berüchtigten Familienfotos, auf denen die Riveras so taten, als wäre alles gut. Wenn ich schon für längere Zeit Zuhause war, hatte meine Mutter natürlich unbedingt mal wieder ein neues Foto haben wollen, auf dem wir alle drauf waren - Mom, Dad, zwei unzertrennliche Geschwister. Aber auch da war mir dank des offensichtlich gestellten Lächelns vor dem Kamin anzusehen, dass ich sehr wahrscheinlich im direkten Anschluss aus der Situation geflüchtet war. "Ich will dir nicht vorenthalten, dass meine Mom... nicht wirklich begeistert davon ist, dass ich immer noch an dir festhalte. Sie will das nicht verstehen... aber ich denke sie wird es, wenn sie uns irgendwann glücklich zusammen sieht.", nuschelte ich, war dabei aber nicht wirklich weit von Fayes Ohr entfernt und somit trotzdem bestens verständlich. Ich war 30 und brauchte keine überfürsorgliche Mutter mehr, was sie noch immer nicht zu verstehen schien. Das würde sich wohl niemals ändern, was wiederum aber für mich nichts änderte - wenn sie Faye nicht akzeptierte, dann hatten wir ein Problem, bei dem sie nicht von mir erwarten konnte, auf sie zuzugehen. Sie würde sich dafür entschuldigen müssen - auch bei Faye. Aber zurück zu erfreulicheren Fotos, ich schob das Familienfoto hinter die anderen. "Da bin ich gefühlt gestorben. Das war das erste Mal Joggen seit der Reha.", scherzte ich. Hazel war mitgelaufen und hatte am Ende mit ihrem Handy fotografiert, wie ich mit den Händen auf die Knie gestützt in der Auffahrt stand, als würde ich gleich mit hochrotem Kopf und akuter Atemnot krepieren. Auf den nächsten paar Bildern war oft sehr Alltägliches zu sehen und es war ein einziges Bild dabei, das mich in der Security-Jacke zeigte, die ich zu dem damaligen Job meistens getragen hatte. "Im Vergleich zu den Anzügen seh' ich in dieser Jacke wirklich lächerlich aus... und der Job wars auch.", stellte ich fest, was erwiesene Tatsache war. Nur die eine Nacht mit der verhinderten Messerattacke war meine Aufmerksamkeit wirklich wert gewesen. Danach kamen noch zwei Fotos, die auf der abschließenden Familienfeier gemacht worden waren und auf denen ich das erste Mal aufrichtig lächelte. Auf keinem von beiden war Deborah zu sehen. "Meine Cousinen, meine Grandma und mein Onkel haben nach dir gefragt. Letzterer hätte dich gerne kennen gelernt, weil seine Frau von dir geschwärmt hat und er letztes Mal nicht dabei sein konnte und die anderen haben dich offenbar an meiner Seite vermisst." Mir war wichtig, dass Faye wusste, dass nicht jeder in meiner Familie sie jetzt plötzlich verteufelte. Außer Hazel wusste sowieso Niemand genauer, was vor meiner Rückkehr passiert war, weil es schlichtweg Niemanden etwas anging. Meine Eltern verschonte ich damit. "Jetzt kommt auf jeden Fall der spaßige Teil.", kündigte ich grinsend an, bevor ich das letzte Familienfoto wegnahm und das erste Foto in Vegas präsentierte. Das zeigte mich unter dem legendären Welcome to fabulous Las Vegas-Schild. Rowan, Leary und ich hatten auf dem Weg zu einem Job extra angehalten, nur damit ich mein Touristenfoto bekam. "Während der Arbeit selbst durfte ich natürlich nie Fotos machen, Kundenschutz und so weiter... fast alle Bilder sind also entweder kurz davor, danach oder in den Pausen entstanden.", gab ich eine grundsätzliche Erklärung vorab. Manche Fotos zeigten mich vor dem Eingang großer Casinos, andere hinterm Steuer als Privatchauffeur, wieder andere zeigten mich bei einem Mittagssnack in irgendeinem Diner, bei dem ich mir mit der Burgersauce das Hemd ruinierte und ein paar zeigten mich mit meinen beiden liebsten Arbeitskollegen. Das erste hatten wir zu dritt gemacht, als ich die Probephase hinter mir gehabt hatte und wir nach der Arbeit ein Bier trinken gegangen waren. "Der Linke ist Rowan und der andere Leary. Mehr Freunde als Arbeitskollegen, ich glaube ohne die beiden wäre ich in Vegas auf die Schnauze gefallen.", sprach ich nicht weniger als in den höchsten Tönen von den beiden. Leary war schon beinahe 40 und gute zehn Zentimeter kleiner als ich, während Rowan etwa in meinem Alter und fast auf Augenhöhe war. Deswegen stand Leary bei solchen Fotos grundsätzlich in der Mitte. Ich erzählte zu beinahe jedem Foto eine kurze Geschichte, weil ich in Las Vegas einfach wirklich viel erlebt hatte. Nicht nur Schönes, aber doch überwiegend. Ich hatte mich endlich wieder lebendig gefühlt und ab einem gewissen Punkt jeder neuen Ecke, die ich in dieser bunten Stadt zu sehen bekam, positiv aufgeregt und freudig entgegen geschaut. Irgendwo zwischen Geld verspielenden Leuten in Casinos, völlig sorglosen betrunkenen Touristen, bunten Kostümen, unmenschlich teuren Villen mitten im Sand und Penthäusern hatte ich die Freude am Leben wiedergefunden. Von der Reise mit Rowan gab es unzählige Bilder - auf dem Hinflug nach Miami und danach an jedem freien Tag, den wir uns als Touristen in den fremden Städten zusammen totgeschlagen hatten, auch wenn wir da genauso mit Anzug oder Hemd zu sehen waren, wie sonst auch. Wirklich abgelegt hatte ich diese Klamotten immer nur zur Reinigung. Miami, New York, Chicago, Saint Louis, Houston, Phoenix, Los Angeles, San Francisco, Seattle. Das letzteres unsere abschließende Haltestelle auf dieser langen Reise gewesen war, hatte natürlich seinen eigenen Einfluss auf mich. "Seattle war die letzte Station... und hätte mich die Arbeit nicht zum Rückflug nach Miami gezwungen, wäre ich vielleicht einfach da geblieben. Je mehr ich in den letzten Monaten das Gefühl gekriegt habe, wirklich gesund zu werden, desto mehr wollte ich wieder zurück zu dir." Ich neigte meinen Kopf zu Faye und setzte einen sanften Kuss an ihre Halsbeuge. Dort verweilten meine Lippen ein paar Sekunden, bevor ich den Kopf nach einem weiteren Kuss wieder aufrichtete. Danach kamen noch ein paar alltäglichere Fotos rund um Vegas und abschließend eines mit der kleinen Gruppe aus Arbeitskollegen, die sich zu meinem Geburtstag und indirekter Abschiedsfeier zusammengefunden hatte. "Rowan und Leary waren schon etwas enttäuscht, das ich sehr wahrscheinlich nicht mehr nach Vegas zurückkomme, aber... mindestens Rowan wirst du irgendwann kennenlernen, da bin ich mir sicher.", meinte ich abschließend mit einem Lächeln. Wir hatten uns schon gegenseitig versichert, dass wir die neue Freundschaft auf keinen Fall wegen der Distanz begraben wollten. Es wäre zu schade darum.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Dasssssss…. War mir dann eindeutig eeetwas zu viel für mal eben zwischendurch am Handy… x‘D ___________
Das wusste sie schon. Wäre er nicht so geduldig, wäre er nie im Leben noch immer an ihrer Seite. Es hatte so viele Situationen gegeben, in denen sie seine Geduld gefordert oder strapaziert hatte - wäre ihm diese Eigenschaft so fern, hätten sie das alles kaum überstanden. Allerdings war offensichtlich, dass er diesmal eher ironisch von sich als geduldigen Menschen gesprochen hatte und Faye erwiderte das Grinsen in gleicher Manier. „Das ist wirklich ein Glück für dich", spielte sie trotzdem noch weiter mit, bevor das Thema vorübergehend beiseite gelegt wurde. Stattdessen wurde es Zeit, dass sie ihren Platz verliess, um einen anderen einzunehmen, der ihr sowieso um Welten lieber war. Die Brünette liess sich nicht zweimal bitten, erhob sich von ihrem Stuhl, um sich gleich darauf quer auf Victors Schoss zu setzen und sich sofort mit einem breiten Lächeln an ihn zu kuscheln. Natürlich so, dass sie noch gut auf seine Hände und die Fotos darin blicken konnte, aber sie machte es sich schonmal ordentlich bequem für die Geschichten, die gleich folgen dürften. Victor begann schliesslich damit, ihr zuerst offenzulegen, wie er überhaupt auf die Idee mit den Fotos gekommen war - dann verlor er aber nicht mehr Zeit als nötig und begann mit der kleinen Reise in die Vergangenheit. Gemäss seinen Worten und den Fotos, hatte Hazel sich wirklich darum bemüht, Victor zurück ins Leben zu holen und dafür war Faye der Blondinen wirklich dankbar. Eigentlich war sie Hazel sowieso noch was schuldig für die ganze Sache damals im Krankenhaus - bisher hatte Victors Schwester immerhin noch nicht mehr als eine Textnachricht als Entschuldigung für Fayes Verhalten bekommen. Aber warum die persönliche Entschuldigung noch ausstehend war, wussten wohl alle Beteiligten ziemlich genau. Faye ging also nicht davon aus, dass Hazel diesbezüglich noch nachtragend war. Und wenn doch, war das ein Problem eines anderen Tages, gerade war sie nämlich beschäftigt damit, die Fotos zu betrachten, die nun folgten. Das Selfie am Hafen liess ihr Lächeln noch breiter werden, auch wenn Victor vor acht Monaten noch sehr ungesund ausgesehen hatte im Vergleich zu heute. Es war trotzdem ein Ort, den sie mit schönen Erinnerungen verband und Fayes Finger griffen kurz in ihren Ausschnitt, um die Halskette hervorzuholen, die er ihr damals gekauft hatte und die noch immer ihr täglicher Begleiter war. "Hab' ich immer noch...", bemerkte sie versonnen. Der Anhänger hatte an einigen Stellen etwas gelitten, aber trotzdem hatte sie sich bis heute geweigert, ihn mit einem neuen seiner Art zu ersetzen. Weil es ein Stück Victor, ein Stück Heimat war. Eine wundervoll funkelnde Erinnerung, genau wie der Aussichtspunkt an der Klippe im Wald. Ihre rechte Hand hatte sich um ihn und den Stuhl gelegt und streichelte seine rechte Schulter, als er davon redete, was der Ausflug in ihm ausgelöst hatte. Sie hatte schon gewusst, dass sie nicht die Einzige gewesen war, die mit den unglaublich starken Gefühlen des Vermissens gekämpft hatte. Trotzdem löste es noch heute die unterschiedlichsten Emotionen in ihr aus, zu hören, wie es ihm damals gegangen war. Auch bescheiden, wie erwartet... Das folgende Familienfoto verband Victor mit einer anderen Nachricht, die sie wohl ebenfalls hätte erwarten können. Aber ehrlicherweise hatte sie sich in den letzten neun Monaten kein einziges Mal Gedanken darüber gemacht, was Victors Familie nach allem, was passiert war, von ihr halten könnte. Davor schon, während sie noch in der Psychiatrie oder auch noch im Krankenhaus gesessen hatte. Da hatte sie oft darüber nachgedacht, nur um sich im Anschluss noch mehr zu hassen. Genau das war auch der Grund, weshalb sie damit hatte aufhören müssen. Weil sie gelernt hatte, dass sie es nie allen Recht machen könnte, dass sie es nie schaffen würde, dass alle Menschen dieser Welt sie lieb hatten und toll fanden. Es fühlte sich nicht schön an, zu hören, dass Deborah scheinbar auch nicht mehr zu diesen Menschen gehörte - obwohl sie früher noch wirklich gut zusammen ausgekommen waren und Faye wusste, dass Victors Mutter sie gemocht hatte. Wie das umgekehrt auch der Fall war. Faye verzog nachdenklich das Gesicht und klemmte für einen Moment die Unterlippe zwischen die Zähne, bevor sie leise seufzte und die Schultern anhob. "Naja... objektiv betrachtet, kann man ihr das wohl nicht übel nehmen... Sie macht sich halt Sorgen und will nur das beste für dich. Es gab definitiv Zeiten, in denen ich dem nicht annähernd gerecht wurde…", murmelte sie dann zuerst leise zur Verteidigung seiner Mutter. "Aber ja, vielleicht können wir sie wieder umstimmen. Eigentlich weiss sie doch, dass ich die Letzte bin, die dir irgendwas Böses will...", eigentlich. Nur die Zukunft würde zeigen, ob Deborah sich denn tatsächlich wieder daran erinnern würde. Und damit kam dieses Problem auf den Stapel für irgendwann anders - da, wo bereits die persönliche Entschuldigung für Hazel vor sich hin dümpelte. Sein Gesicht nach dem Joggen konnte sie als nächstes nämlich sehr gut nachvollziehen, weil sie ungefähr das gleiche Szenario durchlaufen hatte nach ihrer ganzen Krankheitsgeschichte. Hatte eine Weile gebraucht, bis sie wirklich wieder Fortschritte gemacht hatte. "Fühl ich", grinste sie darum vor sich hin und tätschelte seine Schulter. Offensichtlich hatte er dann aber mit dem Training ganz schön Gas gegeben, wenn er nun wieder so in Form war. Das Durchhalten hatte sich also gelohnt. Die nächsten Fotos liess sie relativ umkommentiert vorbeiziehen, weil er ihr einmal am Telefon von diesem Securityjob erzählt hatte und sie daher schon wusste, dass er ihn nicht genossen hatte. Und dass es danach auch endlich irgendwann steil bergauf gegangen war. Auch zur Familienfeier hatte sie nichts zu sagen, wobei ihr Lächeln trotzdem verriet, dass sie sich ehrlich darüber freute, dass ein paar seiner Verwandten sie offenbar vermisst hatten. Irgendwann würden sie sie sicher wieder sehen. Vorausgesetzt, die Sache mit Deborah war bis dahin in irgendeiner Form geklärt. Die Fotos aus Las Vegas wirkten tatsächlich wie der spassige Teil, den Victor kurz davor ankündigte und so gab es durchaus einige, die der Brünetten ein leises Lachen entlockten, weil man selbst durch die Bilder sehr klar erkennen konnte, wie viel Spass er mit seinen Arbeitskollegen/Freunden gehabt hatte. Aber nicht nur in Las Vegas, sondern offensichtlich in halb Amerika. Und sogar in Seattle. Das hatte sie nicht gewusst, er hatte am Telefon nie ein Wort darüber verloren. Das war sicher auch besser so gewesen, sie hatte ihn immerhin auch ohne das Wissen darüber, dass er ihr plötzlich theoretisch so nahe gewesen wäre, unendlich vermisst. Trotzdem war auch das eine Info, die bei ihr etwas gemischte Gefühle auslöste. Sie durfte nur nicht vergessen, dass er jetzt zurückgekommen war. Dass das noch nicht lange her war und es ihnen beiden überhaupt gar nichts gebracht hätte, wenn er bereits zu diesem Zeitpunkt einmal kurz vorbeigeschaut hätte, falls er denn Zeit dazu gehabt hätte. Sie drehte den Kopf etwas in seine Richtung, als er sich einen Moment in ihrer Halsbeuge verkroch, hauchte einen Kuss in sein Haar und atmete seinen Duft ein, ohne bereits etwas dazu zu sagen. Sein Rückblick war nach wenigen weiteren Fotos dann aber zu Ende und ihr Blick blieb mit einem Lächeln am letzten Bild hängen. Sie streckte den Zeigefinger aus, um zart über sein Abbild zu streicheln, blickte dieses noch etwas länger an, bevor sie sich aufrichtete, um in Victors Gesicht zu schauen. Zuerst folgte aber ein langsam überfälliger, zärtlicher Kuss auf seine weichen Lippen. "Du hast echt viel gesehen... und viel erlebt... Und es ist wirklich schön, zu sehen, wie du langsam wieder glücklich wurdest...", hauchte sie zusammenfassend an seine Lippen, von denen sie sich einen weiteren Kuss stahl, bevor sie sich an seine Brust kuschelte, den Blick wieder auf die Fotos gerichtet. "Auf deine Reise bin ich tatsächlich ein bisschen neidisch. Aber sonst... sonst bin ich hauptsächlich stolz und glücklich... Weil du das alles ganz allein geschafft hast, weil du weiterhin an uns glaubst und weil du noch immer zu mir gehörst und ich sagen kann, dass niemand geringeres als dieser viel zu gutaussehende Kerl mit dunkler Sonnenbrille und Anzug mein Freund ist", lächelte sie vor sich hin, streichelte dabei mit ihrer linken Hand über die Muskeln, die sich unter dem Stoff seines Hemds so wunderbar abzeichneten.
Als meine Augen zuerst auf Fayes Finger und dann auf den kleinen Anhänger fielen, formten meine Augenwinkel und Lippen das nächste glückliche Lächeln. Es war schön zu sehen, dass die Brünette damals wie heute selbst an den kleinsten Dingen gerne festhielt. Auch deshalb, weil das vielleicht stellenweise nötig sein würde, um jetzt wieder auf einen gemeinsamen Nenner für die Zukunft zu kommen. Dass sich nicht alles in unserer turbulenten Zeit geändert hatte, in einem eigentlich simplen Objekt manifestiert zu sehen, konnte dabei jedenfalls nicht schaden. Was meine Mom anging, mochte Faye mit ihrer Antwort teilweise recht haben. Für Menschen, die ihr am Herzen lagen, wollte Deborah schon immer nur das Beste und ihre Kinder zu behüten war wohl eine lebenslange Aufgabe für sie. "Ja, mag sein.", stimmte ich erstmal mit einem kaum sichtbaren Nicken zu. Es ließ sich schwer bestreiten, dass unsere Beziehung leider mehr von katastrophalen Tiefpunkten, als von purer Glückseligkeit geprägt war. Dass aufgrund dessen und meines mehrfachen Beinahe-Sterbens gewisse Zweifel aufkamen, war nur logisch. Aber das war es auch nicht, was mich so daran störte. "Und wahrscheinlich spielt es uns auch nicht unbedingt in die Karten, dass ich im Leben schon mehr als nur eine dumme, leichtsinnige Entscheidung getroffen habe..." Stichwort Army und danach ernsthaft nochmal Army, obwohl ich schon beim ersten Mal beinahe gestorben wäre. Super dämlich - zumindest wenn ich außer Acht ließ, Faye dort getroffen zu haben. "...aber die Beziehung mit dir ist trotzdem meine eigene Entscheidung und ich verzeihe ihr nicht ohne Entschuldigung, wie sie in deiner Abwesenheit über dich gesprochen hat.", stellte ich etwas spezifischer klar. Da ging es schlichtweg um Respekt - sowohl mir, aber vor allem auch Faye gegenüber. Es war einfach eine ganze Spur zu dreist gewesen, mir derartig unverblümt ins Gesicht zu sagen, was sie von unserer Beziehung hielt. Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Gegenwind meine depressive Phase auch absolut nicht leichter erträglich gemacht hatte. Ganz im Gegenteil. Ich widmete mich auf jeden Fall lieber den unterhaltsamen Vegas-Geschichten und gleiches galt offensichtlich auch für die zierliche Brünette auf meinem Schoß. Es tat unheimlich gut sie endlich wieder lachen zu hören, sei es auch nur leise. Mein Blick folgte ihrem Finger, als er über das letzte Foto wanderte und als ich Fayes Blick anschließend auf mir spürte, suchten meine Augen von ganz allein nach ihren. Lange konnte ich nicht in diesen grünblauen, schier endlosen Ozean sehen, bevor mir die Lider zuklappten, weil ich die weichen Lippen allzu gerne mit meinen empfing. Ich nahm die Hand, deren Arm schon die ganze Zeit um Fayes Rücken lag, von den Fotos und hielt das Papier nur noch mit der anderen Hand fest, um die frei gewordenen Finger unter ihr Shirt zu schieben. Etwas oberhalb Hüfthöhe strich ich über ihre Haut, während ich den sanften Kuss erwiderte. Ihre nächsten leisen Worte ließen meine Mundwinkel erneut leicht nach oben zucken, bevor ein weiterer Kuss folgte und sie sich anschließend an meinem Oberkörper verkrümelte. Dabei legte ich den Arm enger um sie, ohne dabei die Hand wieder unter dem Stoff hervorzuziehen. "Hat auch echt lang genug gedauert...", murmelte ich mit geschlossenen Augen in ihr Haar, während ich das Gefühl ihrer weichen Haut unter meinen Fingerspitzen förmlich aufsog. Faye war von uns beiden schließlich nicht die einzige, die sich sehr nach körperlicher Nähe verzehrte. Ich hatte das nicht weniger vermisst als sie und war heilfroh, dass es nicht noch länger gedauert hatte, wieder auf einen brauchbaren Kurs mit mir selbst zu kommen. Endlich hier mit ihr sitzen zu können, während sie mich allein durch ein paar Worte erst zum Strahlen und im Abgang zum Grinsen brachte. Ganz allein war ich vielleicht nicht wieder auf Kurs gekommen - da waren vor allem Hazel und mein Dad in der ersten Zeit, meine stetige therapeutische Begleitung und auch Rowan und Leary hatten mir ab und an mal sagen müssen, dass es mit der Zeit leichter werden würde, was den Job anging. Aber ja - grundlegend war es dennoch mein Verdienst, dass ich durchgehalten hatte und den Absprung jetzt tatschlich endgültig geschafft zu haben schien. Mit einem Ziel vor den Augen ließen sich unschöne Vergangenheiten sehr viel leichter ertragen. "Irgendwann können wir sicher eine ähnliche Reise zusammen machen. Ich hatte dabei sowieso nie genug Zeit, mich wirklich gründlich umzusehen." Bisher hatten wir schließlich nicht vor komplett auszuwandern und das machte eine gemeinsame Reise quer durch die Staaten leicht möglich, wenn erstmal die Zeit dafür gegeben war. Ich hatte ohnehin bei weitem nicht alle schönen Ecken des Landes gesehen, das war blankes City-Hopping gewesen. Ich schob die Fotos mit wissendem Lächeln auf den Tisch, um die Hand stattdessen an Fayes Kinn zu legen und sie so dazu zu bringen, mich wieder anzusehen. "Irgendwie muss ich ja mit diesem bezaubernden Gesicht mithalten, das mich schon in der ersten Sekunde auf seiner Seite hatte." Einen Moment lang grinste ich noch an ihre Lippen, ehe ich mir den nächsten Kuss abholte. Dieses Mal einen innigeren, auch wenn er sich nicht ewig in die Länge zog. Wahrscheinlich hatte ich es schon in dem Moment gewusst, als Faye zur Beruhigung in dem Armeefahrzeug ihre Hand nach mir ausgestreckt und mich angesehen hatte. Oder spätestens dann, als wir uns das erste Mal ohne Zeitdruck tief in die Augen gesehen hatten. Ich war ihr schnell verfallen und hatte auch nicht besonders lange oder effektiv dagegen angekämpft. "Ließt du ihn mir vor? Den Brief... egal was es ist, ich hör's bestimmt lieber von deinen Lippen.", stellte ich eine kleine Bitte an die hübsche Brünette und streichelte lächelnd über ihre Wange, bevor ich zu der noch im Umschlag steckenden Nachricht sah und die Hand sinken ließ.
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Wie sie in ihrer Abwesenheit über sie gesprochen hatte? Das klang schlimmer, als sie im ersten Moment hatte vermuten wollen… Als ob Deborah ihre Meinung zu ihr an Victors Seite komplett über den Haufen geworfen hatte, ohne jemals mit Faye geredet zu haben. Das war nicht wirklich fair, wenn sie nicht einmal eine Chance vergönnt bekam, sich zu erklären oder zu entschuldigen oder zu beteuern, dass sie Victor wirklich nie was Böses gewollt hatte. Sie hatte sich – soweit Faye sich erinnern konnte, was dank der ganzen Medikamente und ihres miserablen Allgemeinzustandes zu dieser Zeit auch falsch sein könnte – seit Victors Krankenhausaufenthalt auch nie persönlich bei ihr gemeldet, um eine Erklärung abzuholen oder sich nach ihr zu erkundigen. Faye hatte während des letzten Jahres einzig mit Hazel in Kontakt gestanden. Natürlich hätte sie sich auch von sich aus bei Deborah melden können, aber sie war es ja nicht, die sich mit Vorwürfen beladen hatte. Und angesichts der zwischenzeitlich entstandenen Missbilligung war es vielleicht auch besser, dass sie nie versucht hatte, mit dem Rest von Victors Familie in Kontakt zu treten… Sie hätte böse Worte oder offene Ablehnung im letzten Jahr wirklich schlecht verdaut, gerade während sie Victor nicht fragen konnte, was er von all dem hielt. Aber gut. Es wäre sicher besser, sich heute nicht länger über Victors Mutter zu unterhalten. So wie seine weiteren Ausführungen klangen, war da nämlich Einiges vorgefallen und das verletzte sie auch so schon mehr, als sie sich gerade eingestehen wollte. «Hmm… wird wohl ein persönliches Gespräch nötig sein… Falls sie sich dazu motivieren lässt», murmelte sie ihr Fazit vor sich hin, das deutlich machte, dass sie das Thema für heute nicht weiter vertiefen mussten. Irgendwann wollte sie sicher noch wissen, was genau Deborah denn von sich gegeben hatte, was Victor darauf gesagt hatte und ob er überhaupt Chancen für eine solche Aussprache sah oder lieber darauf warten wollte, dass seine Mutter von sich aus wieder den Kontakt suchte. Ausserdem spielte es auch eine gewisse Rolle, wann das denn gewesen und was seitdem alles passiert war. Aber nicht jetzt. Jetzt genoss sie lieber seine Finger unter ihrem Shirt, den Klang seiner Worte, die Nähe seines Herzens und wie verdammt gut das alles sich anfühlte. Wie alles, was sie brauchte. Wie genau der Platz, an den sie hingehörte. «Klingt gut… können wir definitiv für irgendwann in der Zukunft ins Auge fassen. Also nach dem anderen Urlaub», zeigte sie sich angetan von der Idee, gemeinsam durch die Staaten zu reisen. Nachdem sie sich über alles andere unterhalten und einen ungefähren Plan gestaltet hatten, in welche Richtung sie die nächsten Monate und Jahre steuern wollten. Sie hob den Kopf auf Geheiss seiner Finger wieder an, um sich von seinen Worten zum nächsten leisen Lachen animieren zu lassen, bevor der Kuss sie wieder in seinen Bann zog. In der ersten Sekunde, sagte er. Das war schon eine ganze Weile her. Aber wie er längst wusste, war das absolut gegenseitig gewesen und sie war ihm genauso bald verfallen. «Klingt fair. Auf jeden Fall machst du dabei alles richtig, weil du längst nicht mehr nur mithältst und das bezaubernde Gesicht sehr glücklich mit dir ist», falls er das überhaupt noch hören musste und ihr strahlendes, nach jedem Kuss sofort wiederkehrende, Grinsen es nicht längst kundgetan hatte. Auch ihr Blick fiel auf den Brief auf dem Tisch, als Victor ebendiesen erwähnte. Das Vorlesen liess sich definitiv einrichten, weshalb sie sofort nickte und sich kurz etwas aufrichtete, um nach dem Umschlag zu greifen und das Papier rauszuholen. Den Umschlag legte sie zurück auf den Tisch, bevor sie sich wieder bequem hinsetzte und kurz zu Victor grinste und dann auf die Seiten in ihren Händen blickte. «Okay. Aber vielleicht wird das gleich etwas chaotisch und ich brauche wohl ein paar Atem- und Trinkpausen dazwischen, weil es ist viel…», sie zuckte schonmal entschuldigend mit den Schultern, widmete sich aber ohne weitere Verzögerungen der Handschrift auf dem ersten Blatt. «Herzlich willkommen zuhause, Vicky», begann sie lächelnd mit dem fetten Titel, der die Seite zierte. «Ich habe in den letzten Monaten ziemlich viel geschrieben. Tagebücher, Ideen, Pläne, Ängste, Träume… Wenn ich wütend war, glücklich war, traurig war… Auch das Buch mit den Zeichnungen, das ich dir damals geschenkt habe, hat ein paar neue Seiten bekommen. Alles kein Wunder, es ist viel passiert und ich hatte viel Zeit zum Denken. Ich habe mir auch überlegt, wie ich dich hier zurück begrüssen möchte. Ziemlich oft sogar und dieser Brief ist ein Ergebnis dieser Gedanken. Ich habe mir in jedem Monat ein paar Notizen gemacht, die nun folgen. Eine kleine Zusammenfassung, sozusagen. Ist etwas lang geworden – aber das waren die neuneinhalb Monate leider auch.
November Du bist vor fünf Tagen abgereist. Möglich, dass ich diese fünf Tage mit etwas mehr als fünf Tränen bekleckert habe. Ich habe solche Angst, weisst du? Vor so vielen Dingen. Dass dir was zustösst. Dass du den Weg zurück nicht mehr findest. Dass ich tatsächlich nicht klar komme alleine. Dass wir uns in total verschiedene Richtungen bewegen. Dass wir nicht mehr zusammenpassen, wenn du zurückkommst. Dass du zu lange wegbleibst. Dass ich dich irgendwann später zu sehr an das erinnere, was einmal war. Dass ich stehen bleibe und du vorwärts gehst. Ich habe dir das alles schon gesagt, aber das macht es irgendwie nicht leichter. Auch nicht, wenn ich weiss, dass wir beide für das Gleiche kämpfen, dass wir beide aneinander festhalten und beide zueinander zurückwollen. Auch nicht, wenn ich weiss, dass das nötig ist und wir diese Zeit brauchen. Ich vermisse dich so sehr und ich hasse alles davon.
Dezember Schon ein ganzer Monat rum und es fühlt sich an, als wären es wieder nur fünf Tage gewesen. Ob es dir auch so geht? Oder bist du schon viel weiter gekommen? Hast du Fortschritte gemacht und geht es dir schon besser oder ist die Welt bei dir auch noch immer so schwarz? Unser Telefongespräch war natürlich zu kurz, um dazu eine Antwort zu bilden, aber ich hoffe sehr, dass dein Weg sich langsam ebnet. Mir geht es etwas besser als vor einem Monat, noch nicht wirklich gut, aber Mrs White hat mir viel geholfen. Sie findet es gut, dass wir uns eine Weile auf uns selbst konzentrieren. Sie und Aryana sind wohl die einzigen Menschen, mit denen ich offen darüber sprechen kann, weil beide mir das Gefühl geben, dass wir das schaffen können und sie dich nicht dafür verurteilen. Die Blicke und Fragen sind anstrengend, weisst du? Wenn ich anderen Leuten sage, dass mein Freund auf unbestimmte Dauer nicht bei mir sein kann. Ich war schon zweimal kurz davor, zu sagen, du wärst noch bei der Army. Dann würde das keiner hinterfragen. Aber Lügen ist nicht gut – wissen wir, hm?
Januar Zwei Monate. Die letzten Wochen waren wieder sehr anstrengend. Weihnachten und Neujahr – war etwas zu erwarten gewesen… Ich hatte nicht einmal Lust, die Wohnung zu dekorieren, weil ich absolut nicht in Festtagsstimmung kam – kannst du dir das vorstellen? Mir hat der grosse Mann zum Aufhängen der Kugeln und Lichterketten etwas zu sehr gefehlt, wies scheint. Hab’ dafür viel gearbeitet und bin da endlich mal etwas vom Fleck gekommen. Die Weiterbildung läuft ziemlich gut und ist interessant. Wer weiss, vielleicht wechsle ich irgendwann ganz auf die Notaufnahme? Vielleicht würde ich das schnelle Fahren dann aber auch vermissen. Mal sehen. Ausserdem war Silvester scheisse und ich dachte, du seist gestorben. Fuck ich vermisse dich so sehr, jeden Tag…
Februar Mitch und Aryana haben sich fast umgebracht. Kannst dir sicher vorstellen, was das für eine Krise zur Folge hatte. Die Verletzungen sind eigentlich nicht so gefährlich, aber allein der Gedanke, dass da Kugeln waren… Will aber auch was Schönes erzählen, weil das wichtig ist, damit mir nicht der Atem ausgeht, habe ich gelernt. Ich habe dir ja vom Tanzen erzählt, oder? Jedenfalls habe ich dort eine tolle Gruppe und fühle mich wirklich wohl. Letzte Woche habe ich mich zum ersten Mal auch ausserhalb des Trainings mit Livia getroffen. Wir waren Kaffee trinken und ein bisschen durch die Stadt bummeln – an sich ziemlich langweilig, aber es war wirklich schön. Sie ist sehr nett und verständnisvoll. Ich habe ihr ein paar Sachen erzählt und sie hat so lieb reagiert, obwohl ich mir sicher bin, dass sie sich trotzdem ihren Teil dazu gedacht hatte. Es war einfach schön, eine neue Person kennenzulernen, mit der ich mich so gut verstehe und lachen kann. Früher war das so leicht für mich und Livia hat mir ein bisschen Hoffnung gebracht, dass es irgendwann wieder so werden könnte…
März In fünf Tagen ist mein Geburtstag. Finden wir normalerweise nicht mehr so toll in diesem Alter. Aber ich bin ziemlich motiviert dafür, weil ich spüre, dass es langsam bergauf geht. Ich glaube, das nächste Jahr wird super. Sicher weiterhin anstrengend, weil ich noch so viel an mir arbeiten muss, aber es wird auch gut. Schon nur, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass du irgendwann in dessen Verlauf zurückkommen wirst und wir endlich gemeinsam weiter können. Du fehlst mir noch immer jeden Tag und ich fühle mich ständig einsam, aber irgendwann wird die zweite Hälfte des Bettes nicht mehr leer sein und meine Schuhe werden nicht mehr die einzigen sein die wild im Flur stehen, weil da kein Schuhregal hinpasst, und auf diesen Moment freue ich mich am meisten.
April Vor ein paar Tagen bin ich wieder über den Spruch gestolpert, der sagt, dass du nie weisst, was du hast, bis es weg ist. Hat mich ziemlich getroffen, obwohl ich nicht glaube, dass wir uns und unsere Beziehung je für selbstverständlich genommen haben. Wir haben immer gewusst, dass das etwas Besonderes ist, und wir haben uns immer wertgeschätzt, oder? Trotzdem bist du weg und manchmal tut es noch immer so weh… Ich habe mich wirklich gefreut, zu hören, dass es dir mittlerweile etwas besser geht. Das gibt mir Hoffnung, dass sich dieser Lebensabschnitt nicht mehr ewig zieht… Ich habe inzwischen meine Ausbildung abgeschlossen, das ist auch cool und ich bin froh, alle Prüfungen erfolgreich hinter mir zu lassen. Ein paar waren echt schwer und mein Social Life hat ein paar Wochen lang ziemlich gelitten. Ich freue mich umso mehr, wieder tanzen zu gehen und Freundinnen zu treffen. Der Frühling hilft auch viel dabei, meine Laune zu heben und ausserdem steht in zwei Wochen etwas wirklich Aufregendes an…
Mai Aryana und Mitch haben in den letzten Monaten glaube ich ziemlich viel durchgemacht. Sie haben unter anderem auch Jetman besucht und Mitch hat sich mit seinem alten Freund versöhnt, was mich total freut für ihn. Aber das kann er dir irgendwann selbst erzählen, ich erwähne das nämlich hauptsächlich aus dem Grund, dass Aryana sich wahrscheinlich durch diese allgemeine Frühlingsstimmung zu einem ganz besonderen Geburtstagsgeschenk für mich hat inspirieren lassen… Wir sind zusammen nach Denver geflogen! Ich werde dir das sicher schon am Telefon erzählt haben, wenn du diese Zeilen liest, aber diese Reise war unglaublich wertvoll. Wir haben sehr viel geredet und so viele Orte besucht, die uns durch unsere Kindheit begleitet haben. Waren bei der Familie meines Onkels und haben alte Freunde getroffen. Vieles war auch schwer und unendlich traurig, aber ich glaube, dass es wichtig war, diese Reise endlich zu machen. Ich kann hier nicht zu viel davon erzählen, weil das den Rahmen eines Briefes absolut sprengen würde, aber du wirst sicher noch viel davon hören. Tatsächlich habe ich auch in Denver eine Tätowiererin besucht. Aber auch das braucht etwas mehr Raum für Erklärungen als dieses Blatt hier bietet…
Juni Dieser Monat hat sich ein bisschen wie ein Schritt zurück angefühlt, weil etwas passiert ist, das mich mit Ängsten konfrontiert hat, die ich eigentlich begraben hatte. Ich habe schlecht geschlafen und hatte zwei Panikattacken, obwohl ich davor seit fast einem halben Jahr keine mehr hatte. Ich werde dir auch davon irgendwann erzählen… Es hat auf jeden Fall auch die schlaflosen Nächte wieder zu einem Problem gemacht und ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich dich in meinen Träumen verloren habe. Ich wünschte, das würde endlich vorbei sein… Dass du einfach zurückkommen würdest und wir von hier verschwinden und neu anfangen könnten. Aber ja, ich weiss, so einfach war es noch nie…
Juli Habe ich schon einmal gesagt, dass Mrs White meine zweite grosse Liebe ist? Ein bisschen jedenfalls. Ist nicht so, als würde ich lieber Zeit mit ihr als mit dir verbringen, natürlich, aber ich weiss ehrlich nicht, wo ich wäre, wenn sie mich die letzten Monate und Jahre nicht begleitet hätte. Diese Frau ist ebenfalls ein Engel, das muss hier mal festgehalten werden. Es geht mir wieder besser, ich hatte zum Glück keine weiteren Panikattacken und hoffe, dass dies auch so bleibt. Ich geniesse den Sommer und das schöne Wetter, auch wenn es in Arbeitskleider manchmal ein bisschen warm wird. Du hast bald Geburtstag und ich denke sehr fest an dich und hoffe, dass du tolle Leute um dich hast, die dir ein ordentliches Fest bieten und dir die Wertschätzung zeigen, die du verdienst. Ich liebe dich übrigens immer noch unendlich und hoffe auch für dich, dass das nächste Jahr das allerbeste deines Lebens wird. Und du bald nachhause kommst.
August Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu und das macht mich ein bisschen sentimental. Ich mag die langen Tage und Nächte und die Sonnenstrahlen und warmen Temperaturen… Ausserdem bist du jetzt schon fast neun Monate weg und neun Monate sind echt eine lange Zeit. Ich ertappe mich jedes Mal dabei, wie ich versuche, aus deinen Worten und deiner Stimme herauszuhören, dass du bald nachhause kommst. Ich glaube, es wäre langsam Zeit. Nicht nur für dich, sondern auch für mich. Möglicherweise habe ich unseren Urlaub längst durchgeplant. Vielleicht hat das auch nicht gerade meinen Willen, noch lange auf dich zu warten, gestärkt. Man weiss es nicht.
September Du hast vor fünfzehn Minuten geschrieben und die Schnappatmung lässt langsam nach und eigentlich bin ich damit beschäftigt, eine Liste aufzusetzen mit allem, woran ich noch denken muss, bevor du an der Tür klingelst… Dein Lieblingsessen einkaufen, dein Kissen waschen, das Bett frisch beziehen, meine Sachen im Schrank wieder in eine Hälfte quetschen, die Fenster putzen, die Böden wischen, auf der Arbeit anmelden, dass ich wahrscheinlich für ein paar Tage nicht mehr funktionsfähig bin… Sorry für die Schrift, meine Finger zittern möglicherweise minimal. Aber ich kann es noch immer nicht glauben und ich freue mich so sehr und ich habe dich so vermisst und ich hoffe, dass jetzt alles so wird, wie es immer hätte sein sollen. Bis gleich.
hat mich jetz auch wieder etwas ewig gebraucht, aber das war wieder so viel Monolooog und es war - obviously - schwer für mich eine Balance zwischen zu sehr und zu wenig drauf eingehen zu finden... ich bin echt nicht dafür gemacht und trust me, ich hab tatsächlich schon Sachen wieder rausgestrichen... x'DDD _____________
"Gut, dein Maßstab hätte in der Zwischenzeit sonst nämlich göttliche Ausmaße angenommen.", grinste ich und tätschelte ihre Haut, ganz das neu gewonnene Selbstbewusstsein zur Schau stellend. Ich war so zufrieden mit mir selbst wie schon sehr lange nicht mehr. Zwar neigte ich von Natur aus nicht zu Angeberei, aber meine sarkastische Betonung dürfte deutlich genug gemacht haben, dass ich das nicht ernst meinte. Ich war sicher nicht perfekt, hatte aber gelernt das Beste aus mir rausholen zu wollen und dazu gehörte auch ein gesundes Selbstbewusstsein. Schon als Faye den Brief aus dem Umschlag holte, konnte ich sehen, dass das ein paar mehr Worte waren, als ich gedacht hatte. Es waren mehrere Blätter und dementsprechend nachvollziehbar war auch die kleine Vorwarnung der Brünetten. Die angekündigten Pausen nahm ich gerne hin, uns hetzte Niemand. Ich nickte also nur, um mein Verständnis zu signalisieren und musste kurz darauf schon bei der Begrüßung schmunzeln. Meine Hoffnung darauf, diesen Spitznamen jemals wieder loszuwerden, schwand gen Null und ich legte meinen Kopf auf Fayes Schulter ab, während sie weiter vorlas. Die Zeilen des ersten Monats piekten in der Brust, weil sie leider exakt das widerspiegelten, was ich damals selbst durchgemacht hatte. Mit dem zweiten Monat war es ähnlich und die Zeilen lösten vorübergehend ein mulmiges Gefühl in mir aus. Ich wusste, dass ich mir keine Vorwürfe dafür machen durfte, vor neuneinhalb Monaten gegangen zu sein. Meine Gründe für die vorübergehende Trennung waren triftig und spätestens jetzt wusste auch Faye, dass es nötig gewesen war. Dennoch kamen die Gefühle von damals hoch und ich schluckte einmal tonlos, weil es nicht schön zu hören war, wie sehr die Brünette unter diesem kalten Entzug gelitten hatte. Auch wenn ich das längst gewusst hatte, fühlte es sich selbst jetzt noch beschissen an. Silvester und Weihnachten waren auch für mich sehr anstrengend gewesen. In Sachen Geräuschpegel hatte mich der Security-Lehrgang zwar wieder einigermaßen abgehärtet, aber der Fluchtinstinkt war dennoch massiv gewesen. Hazel hatte mir ununterbrochen in den Ohren gelegen, um mich abzulenken, aber das hatte nur sehr bedingt geholfen. Allein deswegen schon, weil ich nicht gewusst hatte, wie es Faye ging. Und an Weihnachten hatte ich mich nutzlos gefühlt, weil meine Mutter und Schwester längst den Dreh dabei raus hatten, alles alleine zu dekorieren. "Ich weiß, dass ich beim Dekorieren manchmal ein bisschen ungeduldig war, aber... ich hab mich bei meiner Familie richtig nutzlos gefühlt, weil mich Niemand gebraucht hat. Du musst dich dieses Jahr also nicht zurückzuhalten, ich bin motivierter zum Weihnachtsdeko aufhängen denn je.", murmelte ich lächelnd, als die Brünette eine kurze Pause einlegte. Lieber hängte ich ein und dieselbe Lichterkette drei Mal neu auf, weil Faye sich umentschied und nochmal umdekorierte, damit auch ja alles perfekt wurde, als noch ein weiteres Weihnachtsfest ohne sie zu verbringen. Das Fest der Liebe ohne den Menschen zu feiern, der einem am wichtigsten war, fühlte sich grundsätzlich nicht gut an - egal ob mit oder ohne Deko. Dass Mitch und Aryana sich eine Bruchlandung gegönnt hatten, war auch nicht gut gewesen. Faye hatte das damals am Telefon nur sehr grob angeschnitten, aber die Sorge war selbst dabei für meine diesbezüglich sehr sensiblen Ohren herauszuhören gewesen. Natürlich hatte ich bei jeder schlechten Nachricht immer sofort darüber nachgedacht, ob sie das ein weiteres Mal komplett aus der Bahn werfen würde. Ob sie mich brauchte, ob ich zurückfliegen sollte. So wie damals versuchte ich mich aber auch jetzt mit den positiven Dingen von diesen selbstlosen Gedanken und Vorwürfen loszureißen und fokussierte mich auf das, was gut gelaufen war: Faye hatte langsam wieder Anschluss gefunden und Fortschritte gemacht. Sich wieder ein bisschen was getraut, mitunter auch an ihrem Geburtstag. Es war schon damals nicht angenehm zu hören gewesen, dass sie diesen Tag mit Ryatt verbracht hatte, auch wenn es gleichzeitig immer etwas positives gewesen war, dass sie nicht nur Zuhause herumsaß und stumpf darauf wartete, dass ich irgendwann zu ihr zurück kam. Das war schließlich ein wichtiger Teil der Reise, die wir jeder für sich hatten machen müssen. Trotzdem war es eines der Themen, über die wir dringend sprechen mussten. Aber nicht jetzt sofort mitten im Brief, weshalb ich mich gerne erstmal weiter die Geschehnisse und Gefühle der letzten Monate anhörte. Offenbar hatte sie das Tattoo sogar bei ihrer Reise in die alte Heimat stechen lassen, was die Bedeutung dessen zusätzlich unterstrich. Außerdem war es auch für die beiden Schwestern wichtig gewesen, wieder einen richtigen Draht zueinander zu finden, oder jedenfalls war mir das schon lange vor meiner Abreise immer so vorgekommen. Sie waren sich zu jeder Zeit unheimlich wichtig gewesen, aber die Army hatte einen Keil zwischen sie getrieben. Die Tage in Denver hatten da sicher geholfen. "Es freut mich ehrlich, dass du die Reise in die Heimat gewagt hast... ich denke, das war ein wichtiger Schritt. Auch für euch als Schwestern.", lächelte ich und setzte einen Kuss an ihren Hals. Zu der Tattoosache sagte ich nichts - diese Story würde ich mir dann anhören, wenn ich die Tinte zu Gesicht bekam. Der Juni klang dann aber wieder gar nicht gut und ich brauchte einen kurzen Moment, um die Telefonate in diesem Zeitraum Revue passieren zu lassen, weshalb mein Blick zunehmend abwesender wurde, obwohl ich gleichzeitig weiterhin Faye zuzuhören versuchte. Es müsste ungefähr um den Dreh herum gewesen sein, wo Ryatt schon wieder der Meinung gewesen war, irgendwas Bescheuertes verzapfen zu müssen. Bei Easterlin arbeiten gehen zum Beispiel. Ich konnte mir die Zusammenhänge dahinter seit jeher nur sehr schlecht allein zusammenreimen, konnte mir jetzt gerade aber irgendwie auch nicht vorstellen, dass das allein Faye einen Schritt zurück geworfen hatte. Mit seinem Bein würde er kaum den aktiven Dienst antreten, also hätte sie eigentlich keinen Grund dafür, sich nur wegen dieses Jobs irgendwelche Sorgen um diese lästige Klette zu machen... ich wusste, dass ich ihm nicht von vornherein allzu negativ gegenübertreten sollte, bevor ich mich wenigstens mal mit ihm unterhalten hatte. Angesichts der Umstände fiel mir das inzwischen aber alles andere als leicht. Ich musste mich regelrecht dazu zwingen, von diesen Gedanken abzulassen und mich wieder auf Fayes weiche Stimme zu fokussieren, die zum Ende des Briefes hin dann deutlich mehr Gutes verhieß. Erst der letzte Teil ließ mich wieder ein kleines bisschen grinsen, weil ich mir bildlich ausmalte, wie Faye nach der so lange erwarteten Nachricht umher gewirbelt war. Eben völlig zerstreut, so wie sie das erzählte und auch die Schrift, auf die ich einen kurzen Blick warf, ergänzte das Bild allzu passend. Nachdem sie sich den Mund fusselig geredet hatte, war es auch höchste Zeit für den nächsten Kuss. "Ich liebe dich auch.", hauchte ich noch an Fayes Lippen, kaum hatte ich ihre Aufmerksamkeit wieder voll bei mir. Ich küsste sie liebevoll und streichelte dabei über ihre Haut, wie ich es schon die ganze Zeit über tat. Einen Moment lang sah ich sie noch mit einem Lächeln an, dann streckte ich die freie Hand nach der Weinflasche aus - das Vorlesen hatte eine ganze Weile gedauert und die Gläser waren leer, also schenkte ich uns nach und sprach dabei weiter. "Neben dem Tattoo will ich jetzt natürlich auch noch die Zeichnungen sehen.", erklärte ich offiziell mit einem Seitenblick zu Faye. "Wir haben uns lange mit sehr ähnlichen Fragen und Ängsten herumgeschlagen..." Was nüchtern betrachtet absolut zu erwarten gewesen war. "Auch wenn wir uns sicher nie als selbstverständlich gesehen haben, haben wir uns doch einfach zu sehr daran gewöhnt... nur da und nicht wirklich präsent zu sein.", murmelte ich nachdenklich vor mich hin, während ich Fayes Glas mit neuem Wein füllte. Wir mussten uns ins Zukunft wirklich darum bemühen, unsere Partnerschaft mehr in den Mittelpunkt zu stellen - angefangen mit einem gemeinsamen Abendessen inklusive Wein und langem Gespräch, frisch gewaschenem Kissen und geputzten Fenstern. Unsere Liebe selbst und auch unsere Zukunftswünsche hatten viel zu lange nicht die verdiente Priorität bekommen. "Es hat immer weh getan aufzulegen, obwohl es beiderseits eigentlich so viel zu erzählen gegeben hätte... bis zum Schluss noch... und so sehr ich auch hoffe, dass das Leben jetzt endlich gewillt ist, uns nur noch Sonnenschein zu servieren", was leider unwahrscheinlich war, "kann ich jetzt immer, wenn mir auch nur die leisesten Zweifel kommen, den Brief hier lesen. Weil er mir genau das erzählt, was ich in den letzten Monaten erleben musste." Ich stellte die Flasche ab, um mich zurückzulehnen und endlich wieder in Fayes Augen zu sehen. "Du kommst ohne mich zurecht, auch wenn diese neun Monate schwer waren und dir hin und wieder neue Steine in den Weg gelegt worden sind. Du bist drüber geklettert, statt außenherum zu gehen. Ich hab dir oft sehr viel weniger zugetraut, als ich es hätte tun sollen... und das ist weniger deine Schuld als meine eigene. Ich hab ja schon in der ersten Minute gesehen, wie stark du sein kannst. Für dich selbst, wenn du dir ein Ziel setzt, aber auch für deine Mitmenschen... und für uns beide." Ich lehnte meine Stirn an Fayes und machte die Augen für einen Moment zu, weil sich der gefühlslastige Brief zusammen mit meinen eigenen Gedanken langsam in meiner Brust breit machte. "Ich... ich konnte das nicht mehr klar sehen nach allem, was passiert war. Schon nach Syrien nicht mehr", siehe Küchenpanne mit meiner Heimlichtuerei, "und nach der Katastrophe rund um Ryatt hat es sich langsam so angefühlt, als hätte das mit uns einfach nicht sein sollen... mit deinem letzten Brief im Krankenhaus hatte ich dann endgültig das Gefühl, als würde mein Leben nur noch daraus bestehen, dass du mir regelmäßig durch die Finger rutscht und... dass ich das Leben, das ich schon immer mit dir zusammen haben wollte, deswegen einfach nicht haben kann. Weil ich nur noch damit beschäftigt war, darauf zu achten, dass du keine fünf Zentimeter zu weit von mir wegläufst, weil wieder irgendwas passieren könnte." Je länger ich sprach, desto leiser wurde ich. Es war nicht meine Intention, Faye hier irgendwas reinzudrücken. Trotzdem musste sie es hören, weil ich vieles davon niemals wortwörtlich ausgesprochen hatte und das auch wichtig für mich war. Sie wusste längst, dass ich ständig Angst davor gehabt hatte, sie zu verlieren. Mein ganzes Verhalten hatte ja quasi 24/7 danach geschrien und es war leider auch allzu nachvollziehbar, wenn man sich meine und unsere Vergangenheit genauer ansah - allem voran hatte ich meinen ganzen gottverdammten Zug bei den Bombenanschlägen in Syrien verloren. Danach hatte meine einstige Verlobte mich verlassen, weil ich für sie nicht mehr tragbar gewesen war. Jahre später war ich völlig kaputt zurück in den Krieg, nur um mich dort an Faye festzuhalten, weil sie das einzige war, das Leben für mich ausgestrahlt hatte. Daraufhin hatte die Sache mit Warren uns vorübergehend getrennt und den ersten sehr üblen Beigeschmack hinterlassen. Anschließend hatten die gottverdammten Syrer uns in Grund und Boden gestampft und wir waren nur mit sehr viel Mühe wieder auf die Beine gekommen. Ich hatte vielleicht in der Therapie schneller Fortschritte gemacht als Faye, mich aber sobald ich auf einem akzeptablen, nicht mehr suizidalen Level angekommen war, wieder zu viel um sie und zu wenig um mich selbst gekümmert. Weil Faye, ganz gleich in welchem Zustand sie war, noch immer die Sonne und meine eigene Psyche die Dunkelheit war. Das zog sich so weiter, bis Ryatt sich eingemischt und uns dank der Hernandez ein weiteres mal beinahe auseinander gerissen - und mich übrigens auch fast getötet - hätte. Dann hatte Faye mir mit dem Brief gesagt, dass ich doch bitte alleine ohne sie glücklich werden sollte, weil sie mir nicht gut tat und da war dann einfach Schluss gewesen. Ich hatte mich seit meinem erneuten Army-Einzug an ihr festgehalten und sie hatte mich von sich weg geradewegs in den Abgrund geschubst, in dem alle meine unverarbeiteten Traumata begraben lagen und nur darauf warteten, dass sie mich endlich zu fassen bekamen. Egal wie schmerzhaft letzteres gewesen war, hatte ich das gebraucht, um aufzuwachen. "Und so ungern ich mir das auch eingestehe..." Ich atmete tief ein uns hob den Kopf wieder an, um Faye ins Gesicht zu sehen. "...hat es mich jedes mal, wenn du von Ryatt erzählt hast, halb wahnsinnig gemacht." Jetzt sah ich doch einen Moment lang zur Seite weg, weil mir das einfach unfassbar unangenehm war. Ich wollte nicht eifersüchtig auf diesen Idioten sein und erst recht nicht so klingen, nur weil er hier gewesen war und ich nicht. Das war dumm und doch kam ich kaum dagegen an. Anfangs hatte ich es noch für absolut utopisch gehalten, dass die beiden sich lange trafen, aber er war nicht wieder verschwunden. Je länger er geblieben war, desto bescheuerter waren auch meine Gedankengänge und Fantasien dazu geworden. Eifersucht war bis zu einem gewissen Gras normal, wenn man Jemanden aufrichtig liebte und nicht verlieren wollte... trotzdem hasste ich dieses Gefühl, weil ich es bei Faye nicht haben müssen wollte. Seit immer hatten wir für immer zueinander gesagt, wieso sollte er das ändern? Ich drehte mich ohne Klartext im Kreis. "Und es war legitim und auch gut so, dass du mir am Telefon was das angeht sicher ein paar Dinge erspart hast, weil ich dir ja auch nicht immer alles gesagt habe." Es war eben leider an manchen Stellen etwas offensichtlich gewesen, weil Faye mir gegenüber genauso wenig gewissenlos Dinge verschweigen konnte, wie das andersherum auch der Fall war. "Aber jetzt, wo ich wieder hier bin, muss ich wissen, was... naja... Sache ist..?" Gefühlt hätte jeder 16jährige diese Frage vernünftiger gestellt als ich. So gesehen hätte ich vorab echt nicht erwähnen müssen, dass mir das schon die ganze Zeit quer im Magen lag - allein durch die zögerliche, bewusst sehr allgemein gestellte Frage hätte Faye sich das jetzt auch selbst zusammenreimen können. Das implizierte nämlich irgendwie, dass ich was ihre Bekanntschaft anging einiges für theoretisch möglich hielt und ihr gleichzeitig aber keine Vorwürfe machen wollte.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Abeeeer immerhin sind die 9-Monate-Zusammenfassungen jetzt durch, oder? x'D _________________
Nein, ihrem Massstab ging es gut und er war in Bezug auf ihren Freund nicht gestiegen. An sich selbst hatte sie andere Ansprüche als vor fast einem Jahr, aber das war irgendwie auch klar. Vor einem Jahr war sie krank gewesen - es hätte sehr sicher nicht gut geendet, wenn sie sich damals mehr vorgenommen hätte, als einfach nur gesund zu werden. Das allein war eine heftige Mission gewesen, die mehr Ressourcen gebraucht hatte, als sie sie alleine je hätte aufbringen können. Faye rollte lediglich grinsend mit den Augen, um ihm relativ deutlich zu machen, was sie vom Ausmass seines neugewonnenen Selbstbewusstseins hielt. Immerhin die Erinnerung an die Weihnachtsdeko letztes Jahr schien ihn etwas zu bremsen, weil er da gemäss seinen Erzählungen nicht gebraucht wurde. "Say no more... Wir haben immerhin schon September...", bemerkte sie mit einem vielsagenden Blick und einem Zucken ihrer Augenbrauen, das definitiv eine Weihnachtsphase von mindestens zweimonatiger Dauer ankündigte. Sie hatten beide Einiges aufzuholen, weil das letzte Weihnachten so bescheiden gelaufen war. Also würde sie für ihren Teil sicher früh genug mit der Planung starten, damit dieses Jahr alles perfekt wurde - oder wenigstens nicht mangels Planung scheiterte. Die Reise nach Denver war in vielerlei Hinsicht wichtig gewesen, mit dieser Feststellung war sie absolut einverstanden. Nicht nur wichtig, sondern auch lange überfällig. Es hatte gute Gründe dafür gegeben, dass sie und Aryana so lange damit gewartet hatten, aber letztendlich war es eben wirklich so, dass es Teile ihrer Seelen gab, die nicht hatten heilen können, solange sie sich diesem Ort, den damit verbundenen Erinnerungen und ihrer Vergangenheit nicht stellten. "Glaube ich ebenfalls... Und irgendwann möchte ich dich auch mit in die Heimat bringen, um dir ein paar Sachen zu zeigen, die mir besonders viel bedeuten", äusserte sie den nächsten Reisewunsch, der sich aber mit etwas Geschick auch mit dem vorhin angedeuteten US-Roadtrip verbinden liess. Nachdem sie so lange geredet hatte, waren der Kuss und die erneute Bestätigung seiner Liebe die beste Art von Pause. Dicht gefolgt vom nächsten Schluck des tollen Weines, den er soeben wieder in die Gläser gefüllt hatte. Grundsätzlich war sie noch immer nicht für zu viel Alkohol gemacht, aber ein bisschen was während des Essens ging sicher klar, ohne dass Victor sie dann gleich in die Tonne kippen konnte. "Die Zeichnungen zeige ich dir auch noch... Aber nicht jetzt, hab das Buch offensichtlich grad nicht zur Hand und Aufstehen ist leider nicht wirklich drin. Ausserdem willst du dir doch auch noch was für Morgen aufsparen, oder nicht?", vertröstete die Brünette ihn diesbezüglich mit einem Lächeln und einem fragenden Blick. Er war immerhin der Geduldige von ihnen beiden, da würde die kleine Wartefrist doch sicher drinliegen. Gerade passten die Bilder sowieso nicht gut rein, da sie sich noch über ganz andere Dinge unterhalten sollten und wollten. Angefangen mit den Worten, die Victor noch zum Inhalt des Briefes, den sie nun sorgfältig wieder faltete und zurück in den Umschlag steckte, zu sagen hatte. Und das war doch etwas mehr als nur zwei Sätze und sie lauschte allem davon recht nachdenklich. Verzog das Gesicht, als er auf den Brief im Krankenhaus zu sprechen kam. Sie war bis heute alles andere als stolz darauf, die Zeilen verfasst zu haben. Aber sie wollte sich auch nicht an diese einsamen Stunden der Verzweiflung im kalten, weissen Bett erinnern. Daran, wie sie überhaupt erst auf die Idee gekommen war, Victor sowas zu schreiben. All das war ein einziges, grosses Desaster gewesen und es grenzte an ein Wunder, dass sie beide lebend da rausgekommen waren. Ein Wunder, das sehr sehr viel Durchhaltewillen, Stärke, Tränen, zwei Kämpferherzen und unendlich viel Liebe gefordert hatte, bis sie heute wieder so zusammen beim Abendessen sitzen konnten. "Wahrscheinlich hat es nicht geholfen, dass wir uns nie... ohne einander gekannt haben... Klar waren da ein paar Wochen Kennenlernphase, aber wir waren nie wirklich befreundet, da war immer mehr. Und die letzten Jahre haben wir immer entweder in einem Armycamp oder zusammen gewohnt. Also ja, vielleicht war es wichtig, dass wir uns noch einmal beide für sich Gedanken zum Leben machen, gesund werden und uns damit auch gegenseitig zeigen, dass wir das alleine schaffen. Dass wir nicht ganz abhängig voneinander sind. Dass wir nicht nur auf den jeweils anderen, sondern viel mehr auch auf uns aufpassen müssen. Auch wenn ich nicht lügen und behaupten will, dass ich dabei nicht jeden Tag an dich gedacht hätte. Dass ich mich dabei nicht nach einer Zukunft mit dir orientiert habe", meinte Faye, erwartete jedoch nicht, dass Victor das irgendwie schlimm fand. Wäre das bei ihm so anders gewesen, wäre er nie wieder hierher zurückgekehrt, sondern hätte sein tolles Leben in Vegas genossen und weitergespielt. Sie hatte nicht unbedingt damit gerechnet, dass Victor schon hier, kurz nach dem Essen auf Ryatt zu sprechen kam. Entweder hatte er sich vom Gesprächsverlauf dazu inspiriert gefühlt, oder es lag ihm tatsächlich komplett quer im Magen. So wie er die letzte Frage formulierte, ging es aber vielleicht auch einfach darum, dass er ausfindig machen wollte, was aus seinem Freipass vor Aufbruch geworden war. Er durfte gerne die ganze Wahrheit haben, nach der er hier fragte... und während sie ihm offen in die Augen schaute, sobald er den Blick wieder in ihre Richtung schwenkte, war sie nur einmal mehr froh drum, diese eine Grenze in den letzten Monaten nie mit irgendwem überschritten zu haben. Nicht wirklich, jedenfalls. "Ich habe mir schon gedacht, dass du das nicht gut finden würdest... Habe mir auch kurz überlegt, ob ich dir überhaupt davon erzählen sollte. Aber es hätte sich sehr falsch angefühlt, das nicht zu tun und wäre ausserdem wieder in die falsche Richtung gegangen. Hätte wieder mit diesem ich will dich vor etwas schützen, das du meiner Meinung nach nicht verkraftest zu tun gehabt, das wir so geliebt haben. Ich habe mich ziemlich oft mit ihm getroffen... Zuerst hauptsächlich darum, weil er sonst keine Freunde hatte und ich seine Gesellschaft sehr geschätzt habe, weil er mich so oft zum Lachen gebracht hat und natürlich weil er mehr wusste und verstand, als ich vielen anderen erzählen konnte oder wollte. Mit der Zeit haben wir aber auch tiefere Gespräche geführt und mittlerweile sind wir tatsächlich ziemlich gute Freunde geworden. Aber einfach nur Freunde. Es gab zwei Situationen, die in eine andere Richtung hatten kippen wollen... Bei der ersten ist nichts passiert. Wir waren beide ziemlich betrunken - das war um Weihnachten, als wir zusammen feiern waren. Nicht so schockierend, also... Und dabei habe ich ihm auch erzählt, was du mir vor deiner Abreise gesagt hast. Das zweite Mal war am Samstag nach meinem Geburtstag, als ich mit ein paar Freundinnen in der Bar war, in der er gearbeitet hat. Ich bin länger geblieben als alle anderen und habe mich noch etwas mit Ryatt unterhalten... Darüber, wie ich mich damals wirklich scheisse einsam gefühlt habe... Er hat das ja nicht zum ersten Mal mitbekommen... hat mich getröstet... und dann geküsst. Und für ungefähr zwei Sekunden hielt ich das für eine gute Idee… Dann war’s vorbei und ich habe mal wieder festgestellt, dass ich das wirklich nicht will und du der einzige Mann in meinem Leben bist und bleibst, mit dem sich Nähe je wieder richtig anfühlen wird. Also habe ich gewartet… bis heute. Und Ryatt hat das - nach einer gewissen Funkstille, die aber nicht oder nicht nur mit diesem Kuss in Verbindung stand - akzeptiert und nie wieder versucht und wir sind einfach nur Freunde...", das dürfte der Grossteil an Details sein, die Victor vorrangig interessierten. Und sonst war sie natürlich offen für weitere Fragen, die sie ihm sofort aus den Augen lesen würde, in welche sie noch immer schaute, um seine Reaktion einordnen zu können.
Schien so als könnte ich mich darauf einstellen, dass die zierliche Brünette irgendwann demnächst mal mit einer großen Einkaufstasche voll neuem funkelndem Weihnachtszeug nach Hause kam. Obwohl schon mehr als genug davon in unserem Abstellraum im Keller darauf wartete, wieder benutzt zu werden, würde ich einen solchen Einkauf maximal mit einem Grinsen und einem Augenrollen kommentieren und ihr getrost die Tür aufhalten. "Kann's kaum erwarten.", unterstützte ich Faye mit einem dezenten Grinsen allzu motiviert in ihrem Vorhaben. Genauso gerne würde ich auch mit ihr nach Denver kommen, wenn die Zeit dafür günstig war. Ich war gespannt darauf zu sehen, wo sie aufgewachsen war und sie auch auf dieser Ebene noch etwas besser kennen zu lernen. "Das wird schön... ich freu mich schon auf die Geschichten dazu.", willigte ich mit einem schwachen Nicken indirekt ein und lächelte kurzzeitig ein bisschen verträumt vor mich hin. Was das Reisen anging hatten wir jetzt irgendwie schon mehr besprochen, als was wirklich wichtige Dinge anging. Natürlich war es gut und auch nicht unbedingt nebensächlich, dass ich Fayes Vergangenheit besser kennenlernte und manche Dinge dann vielleicht sogar noch besser verstand als vorher. Aber es war nicht das, was uns bald im Weg stehen würde, wenn wir uns nicht einig darüber wurden. Ebenso wenig würden ihre Zeichnungen maßgeblich den Verlauf der nächsten Tage beeinflussen, aber ich war neugierig darauf. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie überwiegend Melancholie und damit die dunklen Zeiten widerspiegelten, oder ob positive Gemütsschwingungen zu sehen waren. Ich wollte einfach sehen, was Faye so durch den Kopf gegangen war. "Ich hätt' dich jetzt sowieso nicht aufstehen lassen.", bekräftigte ich sie bezüglich des Nicht Aufstehen Könnens und legte dabei auch den zweiten Arm um ihren Körper, um anschließend meine Finger miteinander zu verschränken. Das neue Tattoo stand in der Prioritätenliste definitiv über den handgefertigten Skizzen und außerdem war es nicht verkehrt, auch für Morgen schon was auf der To-Do-Liste zu haben, die sich bisher auf die Zeichnungen und mehr Details meiner Arbeit beschränkten. Wir hätten uns damals besser noch ein paar mehr Gedanken darüber machen und uns in Ruhe kennen lernen sollen, statt gleich Hals über Kopf in die Arme des jeweils anderen zu flüchten. Aber das war irgendwie sehr schwer in einem Umfeld wie dem Kriegsgebiet, oder? Selbst wenn wir uns ganz entspannt nur einmal die Woche hätten treffen wollen, hätte der Arbeitsalltag uns das völlig unmöglich gemacht. Da hatte auch die vorübergehende Auszeit nach dem ersten mal etwas zu tief in die Augen schauen nicht geholfen. "Ja, da ist was dran... ging alles ziemlich schnell damals.", murmelte ich und ließ dabei ein paar der alten Erinnerungen Revue passieren. Syrien an sich war ein gottverdammtes Höllenloch gewesen, aber wir hatten auch schöne Momente zusammen erlebt. "Das machen wir auch morgen... unsere Wünsche abgleichen.", setzte ich einen weiteren Punkt auf die morgige Tagesliste. Wahrscheinlich würden wir erstmal ewig lange in den Laken festhängen, weil früh aufstehen grundsätzlich extrem unsympathisch klang, wenn Faye endlich wieder neben mir lag. Ausschlafen war ausnahmsweise drin nach so langer Abstinenz, keine Frage. Trotzdem war Stillstand nicht gut und wir sollten eher früher als später damit anfangen, uns konkretere Gedanken zu unserer gemeinsamen Zukunft zu machen. Nicht nur in Sachen Wohnort und Arbeit, sondern auch in vielen weiteren Aspekten. "Dass wir trotz der Distanz aneinander festhalten, war ja auch schon vorher beschlossene Sache.", ergänzte ich. Schließlich war Faye nicht die einzige hier, die tagtäglich mit den Gedanken bei ihrer zweiten Hälfte gehangen hatte. Vielleicht an manchen Tagen etwas mehr und an anderen etwas weniger, aber die zierliche Brünette war auch für mich immer präsent gewesen. Mir zu überlegen, wie ich ein gesundes Verhältnis zu unserer Beziehung finden konnte, war eines der Kernelemente in den letzten neun Monaten gewesen. Ich war gegangen, damit ich irgendwann besser wiederkommen konnte und Faye abzuschreiben hatte für mich nie zur Debatte gestanden. Ryatt sollte was das anging keine Rolle spielen müssen. Eigentlich. Ich lauschte Fayes Erklärung zu ihrer Beziehung zu ihm gleichermaßen hoffnungsvoll wie auch auf böse Vorahnungen eingestellt. Mir war klar, dass ich der Brünetten absolut keine Vorwürfe machen konnte für das, was zwischen ihnen passiert war. Ich hatte sie nicht nur hier zurückgelassen, sondern ihr auch noch einen Freifahrtschein ausgestellt, auf dem ich nicht explizit aber lass Ryatt da bitte raus vermerkt hatte. Allerdings war ich bei meiner Abreise nicht davon ausgegangen, dass die beiden sich überhaupt wiedersehen würden... also saß ich jetzt hier und wusste nach ihrer Schilderung nicht, was ich dazu sagen sollte. Ein Kuss war nicht wirklich schlimm und ich versuchte das möglichst nüchtern zu betrachten - ich hatte schon über anderes hinwegsehen können, da sollte es mir mit einer zweisekündigen Berührung ihrer Lippen eigentlich leicht fallen, wenn sie sich offenbar auch nur unter Alkoholeinfluss dazu hingezogen fühlte. Sie saß hier bei mir, hatte mich überglücklich begrüßt und innerhalb weniger Sekunden ungefähr tausend Mal beteuert, wie froh sie darüber war, dass ich wieder da war. Hatte gerade eben auch nochmal gesagt, dass sie jeden Tag an mich gedacht und mich vermisst hatte... und trotz allem reizte mich die Tatsache, dass es ausgerechnet Ryatt war. Das war sehr offensichtlich dadurch, dass ich ein paar Sekunden lang, nachdem sie geschlossen hatte, schweigend auf Fayes Lippen sah. Anschließend tief durchatmete, ohne den Blick wieder anzuheben. "Ich hätte auch nicht gewollt, dass du mir das komplett verheimlichst.", bekräftigte ich noch einmal, auch wenn meine Stimme leicht gedrückt klang. "Und wenn du sagst, dass das zwischen euch geklärt ist, dann glaube ich dir das." Meine Augen suchten wieder nach Fayes. Das war ein wichtiger Punkt: Wenn sie nach dem Kuss klar gemacht hatte, dass das nicht wieder passieren würde und Ryatt das akzeptiert hatte, sollte die Front an dieser Seite ja geklärt sein. "Es fällt mir nur ehrlich gesagt trotzdem etwas schwer, ihn völlig neutral zu sehen." Nur, um das Offensichtliche nochmal zu betonen, während ich unbewusst an meinen Finger herumnestelte. Vor Konflikten nicht mehr wegzulaufen, nur weil sie unangenehm waren, war ein weiterer wichtiger Punkt in den letzten neun Monaten gewesen. "Aber wenn er dir als Freund wichtig ist, dann... werd' ich versuchen, ihn erstmal kennen zu lernen. Ich hab ja eigentlich nach wie vor keine Ahnung davon, wer er überhaupt ist." Ich zuckte etwas ratlos mit den Schultern und sah auf Fayes Oberschenkel runter. Alles, was ich über ihn wusste, beschränkte sich fast ausschließlich auf die katastrophale Zeit direkt nachdem er meine Freundin wegen des Notrufs im Krankenwagen kennen gelernt hatte. Das war faktisch gar nichts, plus den kürzlich neu gewonnenen Informationen. Bei diesen beschränkten Infos zu seiner Person konnte ich ihn gar nicht als ziemlich guten Freund ansehen, sondern nur als fortwährende Bedrohung für meinen Seelenfrieden. Er hatte nie eine Chance dazu gehabt, mich vom Gegenteil zu überzeugen und auch mir gegenüber einen Neustart hinzulegen. Allerdings war Faye zu küssen schonmal kein besonders guter Anfang.
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"Wird dann wohl das, worauf wir uns am drittmeisten freuen können - nach der Tatsache, dass wir endlich wiedervereint sind und dem anstehenden Urlaub", übertrieb die Brünette grinsend den Stellenwert der kommenden, sehr langen Weihnachtszeit. Es gab sicher noch sehr viele andere Dinge, die in Wahrheit weiter oben auf dem Treppchen ihrer kommenden Highlights stehen dürften, aber zumindest in diesem Gespräch mischte das Aufhängen von Dekoration ganz vorne mit. Ihre Zeit in Denver wurde auch schon fleissig mit Blumen geschmückt, bevor sie überhaupt auch nur angefacht werden konnte. Aber auch das war vollkommen in Ordnung, denn Faye war sich sicher, dass sie sich auch darauf kaum genug freuen konnten. Eigentlich etwas, das sie auch in der Vergangenheit längst hätten tun können, um ihren Alltag etwas zu bereichern. Jetzt war sie aber eigentlich ganz glücklich damit, es nicht bereits damals getan zu haben. Faye hatte sich zwar nie bewusst dafür entschieden, zuerst mit Aryana und dann erst mit Victor in die Heimat zurückzukehren, aber wenn sie so darüber nachdachte, war es trotzdem die absolut richtige Reihenfolge. Erstens, weil es ihr zu eigentlich jedem Zeitpunkt in den letzten Jahren wahrscheinlich deutlich mehr zugesetzt hätte, als es das jetzt getan hatte, zweitens, weil es gut war, wenn sie für diese Reise beide gesund waren, drittens, weil die Zeit mit Aryana so einen bedeutend grösseren Mehrwert gehabt haben dürfte für sie beide und viertens, weil es einfach besser passte, wenn sie all die Emotionen schon einmal mit ihrer Schwester durchlaufen hatte, anstatt dass sie den Zusammenbruch am Grab ihrer Familie mit Victor hinlegte. So würde er nämlich auch deutlich mehr von den angesprochenen Geschichten haben, auf die er sich freuen konnte. Wenn sie so darüber nachdachte, überholte Denver die Weihnachtsdeko in Sachen Vorfreude bald. Gut, dass sie heute aber nicht mehr nur in Vorfreude baden musste, sondern die Glückseligkeit direkt hier bei sich hatte. In Victors Armen, die sich nun beidseitig um sie legten und sie versonnen lächeln liessen. Das hatte auch mit der Erinnerung an damals zu tun - wo sie lächerliche vier Wochen gebraucht hatten, um einander komplett zu verfallen. Eigentlich ja schon früher, wie er vorhin gesagt hatte praktisch seit Tag eins. Aber sie hatten - ganz die gesetzeskonformen US-Bürger - fürs Gewissen natürlich zumindest so tun müssen, als würden sie versuchen, sich an die offiziellen Spielregeln zu halten. Das Lächeln war ihr mit den ganzen Ausführungen zu ihrer Freundschaft mit Ryatt ein bisschen aus dem Gesicht gefallen. Trotzdem blieb ihr Blick ruhig und es war offensichtlich, dass sie die Sache für sich geklärt hatte und nicht der Meinung war, mit dem fortwährenden Kontakt zu dem Veteranen etwas falsch zu machen. Letzten Frühling wäre das möglicherweise noch anders gewesen, da hätte sie sich noch mehr Gedanken und vielleicht sogar ein Gewissen gemacht. Aber die letzten zweieinhalb Monaten hatte sie ihren Frieden mit Ryatt geschlossen. Sie hatten viel geredet - eben auch über die Ausgestaltung ihrer Freundschaft. Und Faye wusste, dass Ryatt absolut klar war, dass Victor weit über ihm stand in ihrer Prioritätenliste und dass sie niemals den Fortbestand ihrer Beziehung damit riskieren würde, etwas Dummes mit ihm zu machen oder Victor mit dieser Freundschaft zu reizen. Faye liess sich einen Moment Zeit, legte dann zwei Finger an Victors Kinn, um dieses anzuheben und ihn nun ihrerseits dazu zu bringen, ihr wieder in die Augen zu schauen. "Ich kann verstehen, dass du das nicht in erster Linie toll findest... Aber Ryatt weiss, dass er für mich niemals an dich rankommen wird und ich glaube, das will er auch gar nicht. Er wird mich niemals so lieben wie du, weil dieser eine, ganz besondere Platz in seinem Herzen nie mir gehören wird. Ich habe mehrfach mit ihm über deine Rückkehr gesprochen, weil er anfangs die feste Meinung vertrat, dass er sich dann sang- und klanglos aus meinem Leben verabschieden und sich nie wieder blicken lassen würde. Ich war das, die damit nicht einverstanden war... Weil ich zumindest versuchen möchte, diese Freundschaft nicht einfach so aufzugeben. Wenn sich herausstellt, dass das nicht möglich ist, dann wird das so sein und ich lass' ihn gehen.", erklärte Faye leise und doch gewissermassen zuversichtlich. In ihrem Kopf funktionierte diese Konstellation nämlich tatsächlich. Die Zeit würde zeigen, wie das alles mit Victor und Ryatt korrelierte und was sie davon noch halten würden. Ausserdem war das mit dem Gehen lassen aus noch nicht ausgesprochenen Gründen, die Victor ebenfalls bald noch zu Ohren bekommen würde, eben gar nicht so einfach. Doch alles zu seiner Zeit. Faye zog ihn wieder etwas näher zu sich, um sich zugleich nach seinen Lippen auszustrecken und diese vorübergehend mit einem liebevollen Kuss zu verschliessen. Ein paar Worte hatte sie aber doch noch zu der ganzen Thematik rund um Ryatt zu verlieren, weshalb der Kuss nochmal unterbrochen wurde. "Aber wenn du merkst, dass dir damit nicht wohl ist, dann möchte ich, dass du mir das sagst, okay?", hauchte sie an seine Lippen, hatte die Augen dabei wieder aufgeschlagen, um ihn bittend anzublicken. Eigentlich verstand sich das von selbst, wenn sie wirklich versuchen wollten, offen zu kommunizieren. Trotzdem war es ihr wichtig, das nochmal separat erwähnt zu haben. Sie wollte nicht, dass es für Victor jemals so rüberkam, als würde sie das alles einfach für sich passend zurechtbiegen und ihn in der Gleichung ganz ausschliessen oder vergessen.
Auf Fayes Feststellung hin, dass Weihnachten auf der Liste schon an dritte Stelle gerückt war, hob ich die Augenbrauen ein klein wenig an, sah gleichzeitig nach oben und wiegte den Kopf langsam hin und her. Ich freute mich sehr auf das Weihnachtsfest mit Faye, aber es gab doch ziemlich sicher ein paar Sachen, die weiter vorne als festliche Stimmung, gutes Essen und Geschenke lagen. Trotzdem schaffte es wohl nicht ganz Rang 3 in meinen Augen. Aber am Ende war es auch nicht wichtig, was genau an welcher Stelle stand. Nach und nach würden wir sowieso Dinge von der Liste streichen und dann rückte wieder neues nach oben. Es war ein wohliges Gefühl, dass Faye mir so bald nicht wieder von der Seite weichen würde und wir Vieles nachholen konnten. Nicht nur in den zwei Monaten, die ich frei hatte, sondern auch weit darüber hinaus. "Na mal sehen, wie sich die Liste in den nächsten paar Tagen noch verändert.", untermauerte ich meine zweifelnde Geste zuvor. Was Ryatt anging, half es schon ein wenig, dass die zierliche Brünette so ruhig blieb. Denn ihre Haltung allein machte so auch ohne viele Worte klar, dass sie lange darüber nachgedacht hatte. Auch wenn ich trotzdem lügen müsste, um zu sagen, es wäre mir nicht lieber gewesen, Ryatt hätte sich aus unserem Leben verdünnisiert. So sollte ich aber nicht denken - es war jetzt anders und ich würde einen Weg finden müssen, mich entweder damit zu arrangieren oder es zu beenden, wenn es mich zu sehr störte. Ich musterte Fayes Pupillen, seit sie mich dazu aufgefordert hatte, sie anzusehen. Vielleicht weil ich versuchte zu erkennen, ob da irgendwo auch nur ein Hauch von Unsicherheit zu sehen war. Sie schienen sich allerdings wirklich ziemlich ausführlich über die ganze Thematik unterhalten zu haben, so wie sie mir die Dinge schilderte. Womöglich waren all meine Bedenken also vollkommen unnötig, weil sich alle außer mir längst mit der Ausgangslage angefreundet hatten. An und für sich war es ja auch gut, eine vorübergehend komplizierte Freundschaft nicht sofort über Bord zu werfen. In einer Gesellschaft, in der man sich kaum noch sicher damit sein konnte, wem man vertrauen konnte und wem nicht, waren gute Freunde schwer zu finden und bares Gold für die Seele. Sie schien Ryatt als Freund wirklich gut gebrauchen zu können. Wie viel Faye ihm am Ende bedeutete, konnte ich nur mutmaßen, aber egal war sie ihm definitiv nicht. Sonst hätte er sich kaum vom Gehen abhalten lassen, obwohl das offensichtlich die einfachste Option war, um sämtliche Konflikte zu vermeiden - schien er ja normalerweise zu bevorzugen. Vermeidung war oft einfach, aber in den seltensten Fällen zielführend. Ich würde die Zukunft abwarten müssen, um für mich selbst festzustellen, was im Fall Ryatt zutraf. "Ja, das... versteh ich schon.", äußerte ich mich nur begrenzt, aber relativ neutral klingend dazu. Mehr war schlichtweg nicht drin, bevor ich besagten Veteran nicht zu Gesicht bekommen hatte. Ich schaffte es gerade noch etwas tiefer durchzuatmen im Versuch, dadurch alles etwas sacken zu lassen und den Kopf wieder etwas klarer zu kriegen, bevor Faye mich küsste. Ihre weichen Lippen waren am effektivsten darin, den kleinen Wirbelsturm in meinem Kopf wieder aufzulösen. Ich musste die Lider aber doch noch einmal aufschlagen, als sie erneut zum Wort griff. Erst bei dieser Frage bogen sich meine Mundwinkel wieder ganz schwach nach oben, obwohl sie zu formulieren nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Dass Faye es trotzdem tat, fühlte sich aber gut an. "Das werde ich, versprochen.", willigte ich leise ein und blickte ihr noch einen Moment lang sehr offen in die Augen. Damit eindeutig klar war, dass ich definitiv nicht vor hatte, im Fall der Fälle zu schweigen. Dann aber legten sich meine Lippen ein weiteres Mal auf ihre und meine Finger lösten sich voneinander, damit ich einen Arm wieder enger um ihre Taille und die andere Hand an ihren Oberschenkel legen konnte. Ich zog den zärtlich innigen Kuss gewissenhaft in die Länge, um das Gefühl unserer Einigkeit in dieser Sache zu festigen. Entweder die etwas schräge Dreiecksbeziehung mit Ryatt funktioniert für mich oder eben nicht - da würde ich gewissenhaft Rückmeldung geben. Ich wollte nicht glatt schon wieder verlernen, für mich selbst einzustehen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie blieb erstmal grinsend beim dritten Platz für Weihnachten, auch wenn er sie kritisch anschaute und dabei mit einer Kopfbewegung verneinte. War ja nicht so, als würde sie das ganz ernst meinen - sie ging stark davon aus, dass, wie er schon sagte, in den nächsten Tagen noch sehr vieles zum Gespräch kommen würde, auf das sie sich noch minimal mehr freute, als auf die Weihnachtsdeko. "Bin ich durchaus gespannt drauf... Ich bin sehr bereit für weitere Highlights", gab sie grinsend das Offensichtliche bekannt. Wer war das schon nicht? Es war immer schön, sich auf ein paar Sachen freuen zu können, die in naher oder ferner Zukunft geplant waren. Und bei allem, was sich in den letzten Monaten verändert hatte, war es naheliegend, dass diesbezüglich noch einige Punkte den Weg auf die noch nicht endgültige Liste finden würden. Zu der Freundschaft mit Ryatt und Victors Umgang damit, hatte sie tatsächlich nichts mehr zu sagen. Es war ihr wichtig gewesen, dass ihm absolut klar war, dass sie bereit war, den Kontakt zu Ryatt einzustellen, wenn Victor damit nicht umgehen konnte oder sich auch nach einem ersten oder zweiten Versuch nicht wohl fühlte in dieser Situation. Das hatte sie ihm jetzt ans Herz gelegt und Victor versprach ihr, solche Bedenken nicht für sich zu behalten. Das war alles, was sie dazu hatte klären wollen und dem folgenden Kuss zu entnehmen, schien er mit diesem Ergebnis vorerst ebenfalls bedient zu sein. Ganz anders sah es ihrerseits jedoch mit den Küssen und dem Abstauben von Zärtlichkeiten aus - da war sie heute augenscheinlich die Raupe Nimmersatt und noch sehr, sehr lange nicht bedient. Voraussichtlich bis zum Einschlafen nicht. Faye liess sich also sehr gerne in diesen innigeren Kuss verstricken, legte den Brief nun definitiv zurück auf den Tisch, ohne dabei aber hinzuschauen. Ihre linke Hand legte sich an Victors Hals und bahnte sich von da einen Weg zu seinem Hinterkopf, wo sie sich zwischen die Haarsträhnen pflügte. Die rechte wartete nun auch nicht länger, legte sich direkt oberhalb seines Gürtels auf sein Hemd, wo sie aber nicht besonders lange verharrte, weil sie doch viel lieber direkt seine Haut unter ihren Fingern spüren wollte. Tat ihr ja leid - nicht wirklich - hier sein Outfit zu stören, aber das Hemd musste leider im Verlauf der Küsse ein bisschen aus der Hose gezogen werden, damit ihre Hand sich unter den Stoff schieben konnte, um dort auf seine Haut zu treffen, die sie sanft streichelte. Seine Lippen machten es einfach auch verdammt schwer, noch an irgendwas anderes zu denken, als ihre Möglichkeiten, ihm noch näher zu kommen und noch mehr davon zu kriegen. Sie war sich nicht sicher, wie viele dieser Gefühle schon immer so intensiv gewesen waren und welche Teile daher rührten, dass sie ihn einfach so lange vermisst hatte. Was sie hingegen sagen konnte, war, dass es mit jedem Kuss ein bisschen schwieriger wurde, sich nochmal aus diesem Traum zu schälen.
Das waren wir beide. Neue gemeinsame Highlights waren schließlich lange der einzige Lichtblick in Hinsicht auf unsere Zweisamkeit gewesen, solange wie wir uns nicht nahe sein konnten. Es war natürlich nicht der einzige Fokus gewesen, aber sicherlich doch der größte und auch der entscheidenste. Hätte ich nicht immer noch die entfernte Hoffnung gehabt, dass Faye und ich irgendwann abschließend zusammen heilen konnten, hätte ich diese Reise so wahrscheinlich gar nicht angetreten. Uns beiden fehlten noch sehr viele Höhepunkte, die andere - gesunde - Paare nach weit über drei Jahren sicher schon hinter sich hatten. Das war auch in Ordnung so, wenn wir uns von jetzt an verbissen darum bemühten, nie wieder derartig zu zerschellen und stattdessen endlich zusammen zu wachsen. Dafür musste sich auch nicht ausnahmslos alles zwischen uns ändern - physische Nähe würde für immer ein großer Baustein bleiben, der ganz unten im Fundament saß. Die Bedenken rund um die Freundschaft zu Ryatt verflüchtigten sich sehr bald aus meinen Gedanken, während Faye meinen Kopf mit einer Hand bei sich hielt und die andere sich damit beschäftigte, den dünnen Stoff aus meiner Hose zu befreien. Ich grinste einen Moment lang in den Kuss hinein, was nicht nur der Situation selbst, sondern auch dem stellenweisen Kribbeln auf meiner Haut entsprang. Fayes Fingerspitzen befanden sich zwar noch auf vermeintlich keuschem Terrain, aber wahrscheinlich reagierte ungefähr jeder Quadratzentimeter meiner Haut heute übersensibel auf Berührung. Vielleicht auch nicht nur heute, sondern ein paar Tage lang. So lange, wie mein Kopf und mein Körper brauchten, um zu realisieren, dass ich mich nicht mehr völlig ausgehungert auf jeden noch so kurzen Hautkontakt stürzen musste, weil ich kein zweites Mal so lange auf Entzug meiner personifizierten Droge bleiben würde. Aktuell reichten offenbar schon ein paar leidenschaftliche Küsse und ein sanftes Streicheln meines unteren Bauches, um eine prickelnde Nervosität in meinem Inneren auszulösen. Als hätten wir nicht schon oft miteinander geschlafen, als wüsste ich nicht was mich noch erwarten würde. Es fühlte sich dennoch wie stellenweises Neuland an, weil ich ja doch nicht zu 100% wusste, was auf mich zukam - ich wollte einfach gerne wissen, ob wirklich alle Hemmungen wegfielen, was nun eigentlich das Tattoomotiv war und auch wie Faye ohne die Jeans und das Shirt aussah. Natürlich ließ sich das durch die Klamotten hindurch grob erahnen, aber das war nicht ansatzweise dasselbe. Meine Hand schob sich nach und nach seitlich weiter an Fayes Körper nach oben, strich dabei über ein oder zwei Enden der Narben an ihrem Rücken und stoppte unterhalb ihres BHs an ihren Rippen. Letztlich löste ich meinen Lippen nach einer ganzen Weile wieder von ihren. Streng genommen klappte das aber erst beim dritten Versuch, nach zwei nur vorübergehenden kurzen Kusspausen. Meine Lippen verloren sich im Anschluss an ihr Ohr. "So ungerne ich das hier auch unterbreche...", was ich noch einmal damit unterstrich, dass ich zuerst ihre Ohrmuschel und danach auch ihren Hals küsste, "...sollten wir... möglicherweise... zuerst den Tisch abräumen." Besonders aktiv stützte ich meine Worte nicht mit Taten, weil Fayes süßlicher Duft an ihrem Hals besonders präsent war und mich noch weitere Sekunden mit den Lippen an ihrer Haut festhängen ließ. Eigentlich würde nichts weiter passieren, wenn wir die leeren Teller und den Wein hier im Worst Case bis morgen Mittag stehen ließen. Besonders appetitlich wäre es aber nicht und ich wollte nicht unbedingt unzählige Insekten in der minimal verbliebenen Soße kleben haben. Außerdem sollten wir die Kerzen ausmachen - safety first, auch wenn wahrscheinlich nichts weiter passieren würde, als dass der Docht ganz runter brannte und die warmen Lichter eins nach dem anderen erloschen. Dennoch würde ich mich heute ziemlich sicher nicht mehr nach draußen bewegen, wenn ich erstmal alle Klamotten los war, also mussten wir das allem voran erledigen. Ich löste meine Lippen widerwillig vom Hals der zierlichen Schönheit auf meinem Schoß.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Es liess sich absolut nicht leugnen, wie sehr sie wollte, dass er sie mehr berührte, er ihr näher kam, er sie leidenschaftlicher - wenn das denn noch möglich war - küsste. Sie versuchte auch gar nicht erst, ein Geheimnis draus zu machen. Victor durfte ruhig merken, wie sehr sie ihn vermisst hatte und begehrte. Von der Art, wie ihr Körper sich an seine Hände schmiegte, wie sie die Küsse erwiderte und genauso forderte, davon, wie ihre Finger ihrerseits stetig weitere Zentimeter seiner Haut erkundeten und immer mehr wollten. Ihrer Meinung nach hatten sie nun also vorerst genug geredet. Eigentlich hatte sie sich selbst etwas mehr Zeit einberechnet... So rein hypothetisch, war jetzt nicht so, als gäbe es tatsächlich irgendeine Art von Agenda, an die sie sich orientieren konnte, geschweige denn wollte. Aber der Moment hatte ein bisschen zu sehr nach weiteren Küssen geschrien, sie hatte schon auf seinem Schoss gesessen und ihr Körper hatte wirklich nicht viele Signale gebraucht, um die nicht vorhandene Geduld über Bord zu werfen. Diese Geduld durfte sie jedoch nochmal aus dem Ozean fischen, weil Victor in einer vermeintlichen Atempause kurz von ihren Lippen abliess und sich an ihrem Ohr verkroch, wo er ein paar Worte an die Haut pflanzte. Ach ja... Abräumen. Keine dumme Idee - jedenfalls nicht in der Theorie. In der Praxis war die Brünette nicht hochgradig begeistert von dieser Prioritätenverschiebung, aber sie würde das wohl gerade so akzeptieren können. Wenn sie dafür später gleich noch sehr viel mehr dieser Küsse abstauben konnte, die sie so vermisst hatte. Sowohl an ihren Lippen, als auch an ihrem Hals, wo sie ihn im Anschluss noch für ein paar Sekunden spürte. Diese Zärtlichkeiten hatten schon immer eine ganz besondere Wirkung auf sie gehabt und eigentlich... eigentlich hatte sie dadurch noch viel weniger Lust, sich jetzt von seinem Schoss zu erheben. Aber die paar Minuten würden sie jetzt auch nicht mehr umbringen, sie wusste es ja... "Du immer mit deinen guten Ideen...", murmelte sie unzufrieden und mit einem viel zu theatralischen Augenrollen, das Victor sicher klar machte, dass das nicht wirklich ein Vorwurf war. "So nützlich es auch sein mag... mit einer manchmal ein bisschen rational denkenden Person... in einer Beziehung zu sein… manchmal ist es doch auch ein klein wenig... anstrengend…", erklärte sie seufzend, unterbrochen von einigen weiteren zärtlichen Küssen auf seiner Haut. Und trotz der Wahrheit seiner Worte und ihrer mehr oder weniger vorhandenen Einsicht, liess Faye es sich nicht nehmen, sein Gesicht nochmal zwischen beide Hände zu beten und ihm einen letzten langen, intensiven Kuss auf die betörenden Lippen zu pflanzen. Sie blickte ihn noch einen Moment lang grinsend an, nachdem sie sich wieder ein paar Zentimeter von ihm entfernt hatte, rutschte dann wie gewünscht von seinem Schoss, um die Teller zusammenzustellen und ihre Arme mit möglichst viel Geschirr zu beladen, um die Unterbrechung so knapp wie möglich zu gestalten. Um ein zweites Mal Gehen kam die Brünette jedoch nicht herum, weil da draussen ja auch noch die wundervoll duftenden und aussehenden Rosen standen, die es mit Sicherheit bevorzugten, die Nacht drinnen zu verbringen, anstatt draussen bei tendenziell weniger angenehmen Temperaturen. Sie griff die Vase behutsam mit beiden Händen und brachte die Blumen ins Wohnzimmer, platzierte sie nach kurzem Überlegen in der Mitte des Esstischs, wo sie beim Betreten des Raumes auf jeden Fall sofort ins Auge fielen und sie sich so lange wie möglich daran erfreuen konnten. Korrekt anschneiden würde sie die Rosen jedoch erst Morgen, das war gerade wirklich nicht so wichtig. Victor, den sie nun in der Küche wieder aufsuchte, hingegen definitiv schon.
Meine guten Ideen waren leider nicht unbedingt selten sehr relativ. Es war an und für sich auch eine gute Idee gewesen, Faye vorübergehend zu verlassen und unsere Beziehung so langfristig in eine deutlich bessere Spur zu verschieben. Hatte uns das gefallen? Nein. Gefiel uns eine erneute, wenn auch kurzzeitige physische Trennung? Auch nicht. Sie verfolgte aber ein höheres Ziel, weil wir immer noch Menschen und keine mit durchschnittlichem Gehirn gesegneten Tiere waren... in den meisten Belangen zumindest - Sex gehörte nicht dazu. Der nachfolgende, intensive Kuss, den ich ebenso leidenschaftlich erwiderte, machte das Unterfangen nicht einfacher. Genauso wenig wie das aufgeregte Funkeln in Fayes Augen, das mir anschließend entgegen strahlte. Sie war danach aber so gnädig endlich aufzustehen. Ich stieß ein bedauerndes Seufzen aus, als ich noch vor dem Aufstehen nach meinem Weinglas griff und die letzten drei Schlucke in meinen Rachen leerte. "War sicher nicht meine beste.", stimmte ich Faye in ihrer wenig ernst gemeinten Kritik mit einem Schulterzucken und schiefem Grinsen zu, bevor ich ebenfalls anfing die Spuren des Abendessens zu beseitigen. Ich kam nicht umher der zierlichen Brünetten nachzusehen, als sie das erste Mal mit dem Geschirr durch den Türrahmen verschwand und ein weiteres Mal zu grinsen, bevor ich die Kerzen ausblies. Dieses unbeschwerte, prickelnde Gefühl purer Anziehung hatte ich unheimlich vermisst. Deswegen schnappte ich mir gleich die Weinflasche, die Fotos und auch den Brief, um aus dem Kerzenrauch nach drinnen zu flüchten und nicht unnötig Zeit zu vergeuden. Die beiden Umschläge legte ich beiläufig auf der Küchenzeile ab, bevor ich den Wein nochmal richtig zumachte und ihn in den Kühlschrank stellte. Der wollte zwar trotzdem innerhalb der nächsten Tage noch getrunken werden, aber das sollte sich leicht einrichten lassen. Darauffolgend zog ich mein Handy aus der Hosentasche, weil das schon die ganze Zeit über unangenehm gedrückt hatte. Das war nur nicht so prioritär wie Fayes Nähe gewesen. Ich warf lediglich einen flüchtigen Blick auf das durch die Berührung aufleuchtende Display und realisierte erst dabei, dass ich mich nicht wie versprochen bei meinen Eltern gemeldet hatte, als ich sicher angekommen war - wohl auch eine Bitte, die sie mir für den Rest ihres Lebens immer wieder stellen würden. Auf die Nachricht mit der erneuten Nachfrage meines Vaters tippte ich nur ein knappes 'Ja' und schickte es ungeschönt ab, weil ich Faye im Augenwinkel im Türrahmen sah. Das Handy legte ich rücksichtslos neben den Umschlägen auf der Theke ab, weil ich es heute nicht mehr brauchen würde. Ich schloss zu Faye auf und unsere Körper kollidierten aus beidseitigem Übermut miteinander, als ich meine Finger nach ihrem Hals ausstreckte und mir mit der anderen Hand an ihrer Hüfte den nächsten Kuss abholte. Mit den Fingern am Bund ihrer Jeans hielt ich sie eng bei mir, zumindest für die nächsten paar anhaltenden Küsse. Weil die Küche aber eher nicht der richtige Ort für die Fortführung war - zumindest heute nicht -, ging ich leicht in die Hocke und pflückte Faye mit den Händen an ihren Oberschenkeln vom Boden, um sie ins Schlafzimmer zu bringen. Auf dem Weg dorthin versuchte ich darauf zu gucken mit ihren Knien nirgends hängen zu bleiben und auch sonst überhaupt die richtige Richtung zu finden, aber das gestaltete sich gar nicht so einfach, weil die Ablenkung in Form ihrer Lippen fortwährend präsent war. Im Schlafzimmer umrundete ich gewissenhaft mein Gepäck auf dem Boden und ließ mich anschließend mit Faye auf dem Schoß auf die Bettkante sinken - knapp neben den in Schutzmänteln verpackten Anzügen, die da noch rumlagen. Allerdings nicht mehr lang, denn ich beschloss sie einfach vom Bett zu schieben. Das war das erste Mal, dass die maßgeschneiderten Kleider raschelnd auf dem Boden landeten und es hätte mich in dem Moment kaum weniger interessieren können. Ich hatte nicht mal hingesehen, weil ich längst im nächsten Kuss an Fayes feuchten Lippen hing. Meine Hände schoben sich mit sanftem Druck an ihrem Körper nach oben, um erneut unter dem Stoff ihres Shirts zu verschwinden. Über ihre Haut zu streichen, sie an mich zu drücken. Zwei, drei Minuten später löste ich mich für eine vorübergehende Pause von ihren Lippen. Gerade weit genug, um ihr in die Augen sehen zu können. "Zeig's mir... ich will's sehen.", raunte ich und stahl mir anschließend noch einen weiteren Kuss, bevor ich mich von Faye distanzierte und mich nach hinten auf die Ellenbogen stützte. Erstens war der Ausblick so besser und zweitens musste ich es sehen - wie sie sich auszog, dass sie tatsächlich keine Hemmung mehr hatte. Dabei ganz die Finger von ihr lassen konnte ich aber doch nicht: Ich kam mit den Händen an ihre Knie heran und strich dort über den Jeansstoff. Meine Augen lagen in ihren und funkelten ihr mit Neugier und Begierde entgegen.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈