Dieser Meinung war sie auch - also würde es wohl für sie beide erstmal keine Kinder und Hunde geben. Sie würde ja sagen schade, aber irgendwie war es das ja nicht, da sie beide unabhängig voneinander genügend andere Dinge hatten, über die sie sich freuen und aufregen konnten - auch ohne Kinder. Auch bei der Sache mit der Psyche konnte sie nur nickend zustimmen. "Sicherlich ja. Ich hab auch nicht die Erwartung, jemals wieder vollkommen... normal... oder... gesund im Kopf zu werden", bestätigte sie, sich mit ihrem Knacks bereits mehr oder weniger angefreundet zu haben. "Nur etwas besser sollte es schon noch werden, bevor ich auch nur in Erwägung ziehe, tatsächlich mit nem Baby auf dem Arm durch die Stadt zu flanieren", konkretisierte sie ihre Aussage und lächelte dabei schwach vor sich hin, weil die Vorstellung allein irgendwie auch etwas absurd war, die verschiedensten Emotionen zugleich hervorrief. Weil sie früher relativ sicher gewesen war, mal Kinder zu wollen und jetzt so gar nicht mehr, weil es in ihrem Kopf wie ein schönes Bild aussah, trotzdem aber so unendlich weit entfernt... Aber es lohnte sich nicht wirklich, jetzt darüber nachzudenken. Sie arbeitete an sich selbst und das war alles, was sie gerade tun konnte. Zumindest bis Victor wieder da war, der sicher auch seine fünfzig Prozent zur Thematik beitragen wollte. "Ich werde mich gerne in ein paar Jahren bei dir melden, falls das mit dem Hut aktuell werden sollte. Das Angebot lass' ich mir sicher nicht entgehen", erwiderte sie mit einem schiefen Grinsen, blickte dabei nach oben, als würde sie das Cap mit dem Propeller bereits vor sich sehen. Das konnte sie dann überall hin tragen... Zur Arbeit, zum Tanzen, ins Yoga - und natürlich jedes Mal, wenn sie Ryatt traf. Was gemäss seiner Prognose in ein paar Jahren kein einziges Mal mehr sein dürfte, aber das war in dieser Hinsicht genauso irrelevant wie die Tatsache, dass sie das Cap nie bekommen oder anziehen würde. Dafür erwartete sie scheinbar irgendeine andere Überraschung, zu der sie heute sicher keine Details mehr erfahren würde, so wies aussah. Ryatt teilte ihr lediglich noch mit, dass sie sich leider im Tonfall vergriffen hatte, bevor er plötzlich auf die Füsse sprang - mehr oder weniger - und seinen Abgang kundtat. Faye blieb noch einen Moment etwas sprachlos und gespielt entrüstet sitzen, bevor sie sich mit einem geschlagenen Seufzen ebenfalls auf die Beine zurück kämpfte. "Manchmal bist du sooo... anstrengend", beschwerte sie sich dabei mit einem übertriebenen Augenrollen und selbstverständlich weiterhin alles andere als ernst. Ihr war natürlich vollkommen bewusst, dass sie eigentlich nur dankbar sein sollte, dass er überhaupt über ein Geburtstagsgeschenk nachdachte. Aber Ryatt dürfte sowieso bewusst sein, dass ihre Reklamationen eher nicht ernst zunehmen waren, so wie sich dieses und alle anderen Gespräche fast von Anfang an gezogen hatten. Jedenfalls nahm sie sich die Überreste ihrer kleinen Mahlzeit vom Couchtisch, brachte alles in die Küche, bevor sie sich nach Ryatt auf zur Wohnungstür machte. Sie wartete, bis er sich die Schuhe über die Füsse gezogen hatte, schaute ihm aber mit weiterhin fest in ihren Gesichtszügen verankerten Grinsen zu, bis er sich wieder erhob. Da fiel ihr aber nochmal was ein und sie hob den linken Zeigefinger, während sie sich schon umdrehte, um nochmals zu verschwinden. "Warte kurz, hab was vergessen", war die Erklärung, mit der sie ins Wohnzimmer rannte, um gleich darauf mit einer Tasche zurückzukehren. "Deine Klamotten... Sind schon länger gewaschen, aber ich dachte, dass du sie vielleicht irgendwann wiederhaben möchtest", meinte sie, streckte ihm dabei die Tüte entgegen, deren Inhalt eine ganze Weile auf ihn gewartet und an ihn erinnert hatte. Nur um dann im entscheidenden Moment fast vergessen zu gehen.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Ich nickte noch einmal bestätigend. Das zukünftige Vielleicht-Kind brauchte ein stabiles Elternpaar, das aktuell schlichtweg nicht gegeben war, also konnte Faye diese Entscheidung getrost noch etwas weiter nach hinten verschieben. Ihre biologische Uhr tickte schließlich noch nicht akut ihrem Ende entgegen, da sollten ein paar Jahre Spielraum sein. Wenn sie schließlich zu dem Entschluss kommen sollte, dass sie den Hut brauchte, konnte sie mir gerne Bescheid sagen. Realistischer wäre es wohl sich darauf zu einigen, dass ich besagtes Propellercap jetzt schon kaufte und ihr übergab, wenn sich unsere Wege dann recht endgültig trennten, aber um Ernsthaftigkeit bemühten wir uns hier schon eine ganze Weile nicht mehr. "Kanns kaum erwarten.", schloss ich das Thema ab, während ich einen kurzen Blick auf ihren Kopf warf. Nur um zu dem Entschluss zu kommen, dass sie absolut bescheuert mit so einem Hut aussehen würde - so wie jeder andere Mensch. Faye beschwerte sich noch einmal künstlich über die noch nicht einmal in Stein gemeißelte Überraschung, die sie heute nicht mehr erfahren durfte. Ich lachte leise in mich hinein. "Tja, auch was das angeht habe ich dich glaube ich schon vor einer ganzen Weile vorgewarnt. Ins eigene Bein geschossen, Herzchen.", meinte ich völlig unbekümmert mit einem Schulterzucken. Ziemlich sicher hatte ich der Brünette genau das nämlich irgendwann mal über meine eigene Person erzählt - dass andere mich oft anstrengend fanden. Sie musste sich also leider damit arrangieren, nachdem sie sich dazu entschieden hatte, mir heute nicht Lebewohl zu sagen. Während Faye sich auf den Weg in die Küche machte, um die Überreste meines Mitbringsels zu beseitigen, ging ich schonmal zur Garderobe. Die Schuhe wieder anzuziehen dauerte nicht besonders lange und so war ich bald bereit für den Abschied, als die Brünette nochmal aus dem Flur wuselte und mich mit kurzzeitig irritiertem Blick zurückließ. Als sie kurz darauf meine Klamotten zur Sprache brachte, klingelte es auch bei mir. "Achja, die hatte ich schon vergessen. Danke.", stellte ich fest und bedankte mich anschließend mit einem Nicken, während ich nach der Tüte griff. Ich hatte zwar in den letzten Wochen immer mal wieder an die Klamotten gedacht - eben immer dann, wenn ich nach einem Vorwand gesucht hatte, Faye besuchen zu gehen - aber am heutigen Tag waren mir die einst mehligen Klamotten noch nicht in den Sinn gekommen. "Dann sehen wir uns das nächste Mal wohl in der Bar wieder, falls dir noch vor deinem Geburtstag danach ist.", meinte ich beiläufig, während ich zu einer kurzen Umarmung ansetzte. "Bis bald.", verabschiedete ich mich danach dann endgültig mit einem unbeschwerten Grinsen auf den Lippen von Faye, bevor ich mich durch die Tür auf den Nachhauseweg machte.
**hier nochmal knappe 2 Wochen einfügen** x'D
Die Schussverletzung und auch die Prellungen vom Sturz nervten mich noch eine ganze Weile nach der verheerenden Nacht in der Mongolei, aber sie waren nicht wirklich das, was mich belastete. Es war mühsam all das aufzuarbeiten, was Aryana und ich in den letzten Monaten kontinuierlich verbockt hatten. Dass ich ganz genau wusste, dass einiges davon auf meine Kappe ging, machte es noch zermürbender. Trotzdem hielten wir uns bestmöglich an die Vereinbarung, die wir nach dem netten Gespräch in Easterlins Büro getroffen hatten - wir unterhielten uns täglich ganz gezielt wachturmmäßig am Abend und versuchten kleine Schritte in die richtige Richtung zu machen. Es fiel mir noch immer etwas schwer nicht abzublocken und auf stur umzuschalten, wenn mir etwas nicht in den Kram passte. Allerdings hatten wir vor etwa zwei Wochen gemerkt, dass es sehr effektiv war, wenn Aryana in solchen Momenten dann einfach gar nichts sagte. Wenn ich lauter oder unverschämt wurde - und das meistens ohne es überhaupt selbst sofort zu merken - sah sie mich seitdem einfach nur an und erwiderte nichts, bis der Fehler von mir selbst korrigiert war. Ein oder zwei mal war ich seitdem trotzdem noch genervt mit einem völlig überzogenen Augenrollen in einen anderen Raum verschwunden und hatte das Gespräch erst eine halbe bis ganze Stunde später mit ihr fortgeführt, aber es zeigte Wirkung. Es passierte stetig ein bisschen seltener, dass ich mich im Ton vergriff und das allein war schon ein Fortschritt, verglichen mit den letzten Monaten. Wir wussten noch immer nicht, wohin es für uns beide langfristig gehen sollte - dann, wenn das reiche Arschloch beseitigt und wir endlich frei waren. Vielleicht mussten wir dafür aber auch erst einmal herausfinden, wer wir beide zusammen als Paar waren und wie wir am besten miteinander funktionierten. Bis wir das aufgedeckt hatten, war noch nicht an die Zukunft danach zu denken. Auch den Tattootermin hatten wir inzwischen gesetzt und in etwa eineinhalb Wochen sollte es soweit sein, dass ich nach mehreren Jahren wieder unter die Nadel kam. Es klang schräg, aber ich freute mich auf den Schmerz und die neue Tinte. Ich hatte lange überlegt, wo man die Schlange denn am besten noch platzieren konnte und mich letztendlich für den noch freien Fleck ziemlich weit oben seitlich auf dem Oberschenkel entschieden. Knapp unterhalb der Hüfte - auf der nicht angeschossenen Seite. Bei Aryana stellte sich die Frage nach einem freien Fleck auf der Haut zum Glück nicht in dieser Form, der Tätowierer brauchte also nichts zu beachten. Bei mir war das anders, weswegen ich ihm mittels Mail ein Foto von der auserkorenen Stelle zukommen ließ. Womöglich musste er das Design bei mir ein bisschen abwandeln und wir hätten am Ende nicht das exakt selbe Tattoo, aber das war halb so wild. Schließlich ging es um die Geste an sich. Jetman zu finden war leichter, als ich angenommen hatte. Ich hatte seine Nummer nicht mehr - die Militärpolizei hatte damals schließlich alles eingesackt, was auch nur ansatzweise Hinweise auf meinen Kontakt zu den Syrern hätte enthalten können und ich hatte mein damaliges Handy nie wieder gesehen. Dank Google Maps fand ich aber nach etwa zweistündiger Suche heraus, wie der kleine Vorort hieß, in dem er früher gewohnt hatte. Da war er jetzt nicht mehr. Ich hatte mich ganz dreist so lange in der kleinen Nachbarschaft durchgeklingelt, bis ich schließlich in dem Haus rauskam, in dem nun seine Nachmieter wohnten. Die nette junge Frau am Telefon hatte mir seine neue Nummer zugesteckt und ich rief Jetman daraufhin dann auch gleich an, ohne mir wirklich vorher ein paar Worte zurechtgelegt zu haben. War aber auch gar nicht nötig, weil er nach einer halben Minute, in der er nichts gesagt hatte, außer den noch Unbekannten am anderen Ende der Leitung vorab zu begrüßen, einfach auflegte. Ich müsste lügen, um zu sagen, dass mich das nicht fertig gemacht hatte. Ich griff mir für den Rest dieses Abends meine Gitarre und stimmte allerlei Lieder an, die mich nur noch tiefer in die ungewünschten Emotionen zogen. Aber das war gut so, weil davor wegzulaufen sonst ja niemals gut für mich funktioniert hatte. Ich wollte nicht mit Aryana darüber reden und konnte es so aber zumindest ein kleines Stück weit akzeptieren, ohne es von mir wegzuschieben. Jetman rief zwei Tage später zurück und fragte mich, warum ich ihn nach all der Zeit jetzt wieder anrief. Fragte mich woher ich die Nerven nahm die ganze Scheiße wieder aufzuwühlen, obwohl er damit abgeschlossen hatte. Auch das saß wieder tief und das ganze Gespräch verlief holprig, aber er wirkte am Ende doch etwas besänftigt und gewährte mir den Besuch, inklusive meiner besseren Hälfte. Nachdem wir nicht wussten, wie genau das Ganze nun aber enden würde, weil mein einstiger bester Freund eben schon dezent angepisst war, nahmen wir hinwärts einen Flug und für die ersten beiden Nächte ein gemütliches Mini-Häuschen direkt an der Küste - so viel Luxus musste sein, um uns Ruhe zu zweit zu gönnen und die harten letzten Monate ansatzweise zu kompensieren. Jetman wohnte inzwischen an der Westküste, nahe der Stadt Eureka und der Rückweg mit Optionen auf einige Umwege war bisher mit einem kleinen Camper geplant, den wir am dritten Tag abholen würden und bequem am Flughafen in Seattle abgeben konnten. Es würde uns Niemand daran hindern noch zwei Tage länger auf einem Campingplatz hier zu bleiben und erst später weiterzufahren, wenn alles gut lief und uns der Sinn danach stand, weil wir für den Rückgabetermin viel Zeitpuffer eingeplant hatten - aber für den Fall, dass doch alles in die Brüche ging, wollten wir das Wohnmobil lieber zu früh als zu spät gebucht haben, um weiterzuziehen. Wir hatten unser Gepäck gerade vom Band geholt und waren auf dem Weg zum Ausgang, um dort unser Zeug in den Kofferraum eines Taxis zu werfen. Nachdem ich dem Fahrer mit Blick auf den Spickzettel in Form meines Handys die Adresse genannt hatte, machte der ältere Herr sich sogleich mit einem Nicken auf den Weg. Es ging zuerst zu Jetman, weil es erst kurz vor 12 war und uns Check-In frühestens um 15 Uhr möglich war, aber das bisschen Gepäck vorübergehend bei ihm im Flur zu parken dürfte wohl kein Problem sein. "Eine sehr schöne Wohngegend... aber was rede ich, eigentlich ist der ganze Küstenabschnitt schön.", kommentierte der Fast-Rentner seine Abfahrt vom Standstreifen, aber ich erwiderte nichts und blickte stattdessen von der Rückbank aus auf das Navigationssystem. Es waren etwa 25 Minuten Fahrtzeit bis zum Ziel, was für meinen Geschmack zu viel Zeit zum Nachdenken war. "Ich bete darum, dass dieser Ausflug nicht umsonst ist.", murmelte ich ironisch unterlegt vor mich hin und sah aus dem Fenster. Das war genauso Ausdruck meiner Nervosität wie der blinde Griff nach Aryanas Hand auf der anderen Seite der Rückbank.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Die letzten vier Wochen waren zusammengefasst eigentlich ziemlich positiv verstrichen. Es war anstrengend gewesen, hatte Nerven gebraucht und Aryana hatte oft daran gezweifelt, dass es jemals besser werden würde. Aber alles davon gehörte irgendwie ein bisschen dazu bei ihnen, hatte ihre Beziehung von Anfang an begleitet und würde auch nicht von heute auf Morgen verschwinden. Aber - und das war ein grosses Aber - es wurde besser. Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte sie das mit einem vorsichtigen Lächeln behaupten: Sie machten Fortschritte. Für andere Paare waren das vielleicht Grundvoraussetzungen, welche von Beginn weg klar waren - für Aryana und Mitch waren es anstrengende Stützpfeiler, die sie hier Schritt für Schritt erarbeiten mussten. Vertrauen war eine Sache, Offenheit eine andere. Und die Königsdisziplin schlechthin, an der sie beide noch immer oft genug stolperten und stürzten, war es wohl, Hilfe anzunehmen und zu lernen, dass sie nicht ständig alles alleine schaffen und mit allem alleine klarkommen mussten. Dass es nicht nur helfen konnte, über Dinge zu reden, die sie belasteten, sondern auch ihre Beziehung stärkte. Schon nur weil sich schlechte Laune damit viel besser einordnen liess oder man vielleicht sogar gemeinsam daran arbeiten konnte. Nicht immer natürlich, es gab weiterhin Dinge, über die sie lieber nicht oder nicht oft redeten und das war okay. Kleine Brötchen backen, lautete die übliche Devise... Es wurde besser, Mitch wurde umgänglicher, sie konnte ihn besser einschätzen und er arbeitete an seinem Aggressionsmanagement. Ausserdem hatten sie tatsächlich einen Termin vereinbart für ihr gemeinsames Schlangentattoo. Das hatte zwar nicht direkt etwas mit ihrer Beziehungsarbeit zu tun, aber Aryana war sich sicher, dass es sie trotzdem nochmal gemeinsam stärken und ihnen Mut geben würde. Immerhin war die Schlange der Inbegriff dafür, wie gut sie als Team funktionieren konnten, wenn sie in die gleiche Richtung zogen. Sie hatten es schon damals gewusst, den Kern gepflanzt. Die Pflanze wuchs auf steinigem Boden und mit zeitweise kaum Regen - aber sie wuchs und wuchs und liess sich nicht kaputtkriegen. So wie sie. Nach einigen Tagen begann Mitch damit, sich aktiv auf die Suche nach Jetman zu machen, was Aryana nur unterstützen konnte. Es war offensichtlich, dass ihr Freund in Gedanken nicht selten an genau diesem Punkt festhing, seit sie ihm den Floh ins Ohr gesetzt hatte. Manchmal war sie sich nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war oder ob sie den Gedanken im Halbschlaf eigentlich besser nicht ausgesprochen hätte. Das fragte sie sich insbesondere als Mitch zum ersten Mal die mühsam gefundene Nummer seines einstigen besten Freundes ins Telefon tippte, nur um wortlos abgewiesen zu werden. Es war nicht so, dass man es Jetman rational betrachtet allzu übel nehmen könnte. Aber Aryana hätte ihn trotzdem sehr gerne zur Brust genommen, um ihm zu erklären, wie wichtig dieses Treffen war und dass er doch bitte bitte einfach... naja, das Übel von damals vergessen sollte? Ganz so einfach war das leider nicht - für alle ausser für sie - aber es wäre halt schön wenn doch. Nach diesem Dämpfer schien Mitch nicht das Bedürfnis zu verspüren, sich mit ihr darüber zu unterhalten, was sie auch ehrlich verstehen konnte und ihn damit in Frieden liess, zumindest für ein paar Tage. Es kam dann auch gar nicht dazu, dass sie weiter nachhaken musste, weil Jetman sich wider Erwarten nochmal meldete, zwei Tage später. Diesmal mit etwas weniger Abweisung. Sogar so viel weniger, dass er Mitch und seiner Freundin gewährte, ihn kurzum zu besuchen. Ein relativ kurzes Telefongespräch war wohl nicht der optimale Moment gewesen, um den eh schon eher aufgewühlten Jetman darüber ins Bild zu setzen, dass Aryana diese Freundin war, weshalb das bis zum Treffen an sich warten musste. Ein weiterer Punkt, der die Spannung nicht gerade verringerte, aber vielleicht half es ja letztendlich auch irgendwie... Wenn Jetman sah, dass sie Mitch ebenfalls verziehen hatte, ihn trotzdem sehr offensichtlich sogar lieben konnte, half ihm das vielleicht, seine Meinung positiv zu revidieren. Vielleicht hatte es auch keine oder nur eine sehr geringe Auswirkung, aber schaden würde es wohl kaum, sie hatte sich ja nie mit dem Familienvater gestritten und ihr Verhältnis war weitestgehend neutral gewesen. Und wenn er das jetzt unendlich doof fand, würde sie eben draussen warten. Der Flug war problemlos gelaufen und als sie sich schliesslich im Taxi wiederfanden, umschlossen ihre Finger sehr bald die ihres Begleiters. Auch ohne seine leisen Worte hätte sie längst gemerkt, dass sein Unbehagen und die Nervosität einen dezenten Sprung nach oben genommen hatten, seit sie das Flugzeug hinter sich gelassen hatten. Und schon da war er weit entfernt von ruhig gewesen. Verständlicherweise. Aryana war ja selbst nervös, obwohl sie persönlich kaum was zu befürchten hatte. Nur insofern wie sie eben vom Ausgang dieses Trips betroffen wäre und das war nicht unbedingt gering. Jetman konnte viel retten - aber auch viel zerstören, je nach dem wie er reagieren würde. Sie würde alle Reaktionen verstehen können, was aber nicht hiess, dass sie alles wortlos akzeptieren und gutheissen würde. Aber mal schauen... Erstmal mussten sie dahin kommen und dann das erste Aufeinandertreffen überstehen. Es wäre eigentlich besser gewesen, wenn das nur zwischen den beiden Männern passiert wäre, der persönlichen Aussprache wegen. Solange sie keine Ahnung hatten, was sie erwartete, war Aryana aber ganz gerne dabei - für den Notfall, sozusagen. Sie konnte sich noch immer zurückziehen oder eine Runde die Gegend kennenlernen gehen, wenn sie sich überflüssig fühlte oder jemand sie um Privatsphäre bat. "Wird er nicht sein...", murmelte die Brünette zurück, strich mit ihrem Daumen beiläufig über seinen Handrücken und lehnte sich für einen Moment and seine Schulter, um ihm ein paar noch leisere Worte ins Ohr zu flüstern, die sie schon tausendmal besprochen hatten, den Taxifahrer aber trotzdem nichts angingen. "Egal was kommt, immerhin weisst du dann, was Sache ist... Und immerhin kannst du dann sagen, dass dus versucht hast", davon konnte man sich theoretisch nichts kaufen, aber die Gewissheit war trotzdem Gold wert. Sie hoffte natürlich auch auf einen positiven Ausgang der Geschichte. Aber wenn es nicht sein sollte, wäre es trotzdem nicht vollkommen verschwendete Zeit und Ressourcen, oder?
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Ich warf im Augenwinkel einen kurzen Blick auf Aryana, als ich ihren Kopf an meiner Schulter spürte, sah aber zeitnah erneut aus dem Fenster. Es stimmte schon, dass er Ausflug völlig unabhängig vom Ausgang der Dinge nicht völlig umsonst sein würde. Es ging im Leben nicht immer darum zu gewinnen oder das zu erreichen, was man sich wünschte. Es gab immer Dinge, die man ganz einfach nicht haben konnte - das hatte mir das Leben inzwischen oft genug unter die längst gereizte Nase gerieben. Trotzdem wollte ich Jetman nur ungerne so vollkommen endgültig verlieren und hoffte still darum, dass er sich einen Ruck gab. Er durfte ruhig weiterhin noch zerknirscht sein und mich spüren lassen, dass ich Mist gebaut hatte, solange er nur die Tür nicht ins Schloss knallte und sich für immer verabschiedete. Ich hatte keine Lust mir einen anderen besten Freund zu suchen, weil sowas wahnsinnig viel Zeit brauchte und ich was meine Freundschaften anging wählerisch war wie sonst was. Mal ganz davon abgesehen, dass ich momentan keine Energie für Freundschaftsaufbau übrig hatte. Da fing ich lieber damit an eine alte zu reparieren, von der ich wusste, dass sie funktionierte. Natürlich war auch das unter Umständen mühselig, aber ich wusste wenigstens mit Sicherheit, was am Ende dabei raussprang und dass es das wert war. "Ja, ich weiß... und so oder so sind wir dann auch mal rausgekommen aus dem Loch, aber..." Ich vollendete den leisen Satz nicht, sondern seufzte stattdessen. Wir hatten das schon einmal durchgekaut und ich brauchte nicht mehr zu sagen, dass ich mir wünschte, dass der Veteran sich den Ruck für einen Neuanfang gab. Das wussten wir beide. Selbst wenn dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging, konnten Aryana und ich uns anschließend aber immerhin ein paar Tage in unvorbelastetem Terrain herumschlagen und die Abwechslung würde uns guttun, da war ich mir sicher. Das löste zwar nicht die Probleme, die wir Zuhause noch miteinander hatten, aber eine Verschnaufpause konnte nicht verkehrt sein. Ich sagte den Rest der Fahrt über nichts mehr, ließ die Finger meiner Freundin aber auch nicht los. Fing an mit dem Bein zu wippen und hörte wieder auf, als ich es merkte. Mehrmals. Als wir nur noch zwei Minuten vom Ziel entfernt waren, fing ich an ein bisschen zu stutzen. Ich konnte mir Jetman irgendwie nur schwer in einer so verhältnismäßig guten Gegend vorstellen. Die Häuser sahen allesamt noch recht neu und gepflegt aus - nicht unbedingt das, was ich erwartet hatte, weil er früher immer davon gesprochen hatte, irgendwann aufs Land ziehen und vielleicht eine eigene Ranch haben zu wollen. Letztendlich hielt das Taxi an und Aryana bezahlte den Fahrer, weil ich mir noch schwer damit tat den Blick vom Haus abzuwenden. Von dem perfekten Rasen, den zugeschnittenen Büschen, der einladenden, überdachten Veranda, den strahlend weißen Fensterrahmen, den braunen Dachlatten... allgemein war ich gedanklich schlichtweg ziemlich abwesend, als ich aus dem Wagen stieg und zum Kofferraum ging, um unsere Sachen rauszuholen. Ich reichte der Brünetten ihre Tasche, schulterte meine eigene und schloss die Heckklappe. Dem Wagen einen Augenblick lang nachzusehen zögerte den Gang zur Haustür noch wenige Sekunden heraus, bis schließlich das nächste fast tonlose Seufzen meinerseits folgte und ich mich in Bewegung setzte. Ich war nicht wirklich bereit für diesen Besuch und meine nicht grade hastigen Schritte sagten das deutlich aus. Die Haustür ging allerdings schon auf, als wir noch den gepflasterten Weg neben der Auffahrt Richtung Haustür entlanggingen und Jetman sah mit hochgezogenen Augenbrauen in unsere Richtung. "Ich hab mit Vielem gerechnet... aber nicht damit.", kommentierte er seine eigene Überraschung, während seine Augen zwischen Aryana und mir hin und her wanderten. Ich atmete etwas tiefer durch, als ich ein paar Schritte und zwei Stufen später mit Sicherheitsabstand vor ihm auf der Veranda stehenblieb. "Gleichfalls..?", war meine etwas unbeholfene Antwort, begleitet von einem flüchtigen Blick über die makellos in blassem Sandton gestrichenen Holzlatten der Fassade. Er wirkte selbst aufgewühlt und blieb mit kritisch angespanntem Blick noch kurz in der Tür stehen - so als müsste er sich erst überlegen, ob er das jetzt wirklich wollte. Schließlich löste er seine Hand von der Tür, schob sie im gleichen Zug etwas weiter auf und trat rückwärts, um uns Einlass zu gewähren. Ich trat ein und er sprach weiter, noch bevor Aryana die Tür hinter uns zugemacht hatte. "Camila ist mit Elly auf einem Kindergeburtstag... ich kann also so viel fluchen, wie ich möchte.", ließ Jetman uns wissen. Ich hatte mich schon auf ein ungemütliches Gespräch eingestellt, weshalb ich das einfach überging. Es erklärte auf jeden Fall, warum sich das zeitnahe Treffen heute angeboten hatte. "Können wir vielleicht trotzdem erst mit einer kurzen Führung durch deinen amerikanischen Traum anfangen..?", stellte ich ihm eine neutrale Frage, während ich die Reisetasche auf den Boden nahe der Garderobe sinken ließ. Er nickte nur mit den Worten "Schuhe ausziehen.", bevor er sich langsam umdrehte und die Holztreppe in der Mitte des großen Flurs nach oben ansteuerte. Mein Fazit nach dem Hausrundgang war, dass es ihm an nichts fehlte. Ein geräumiges Schlafzimmer, ein nett ausgestattetes Kinderzimmer für Eleanor, sogar ein kleines Gästezimmer, oben und unten ein schickes Badezimmer, ein offen gestaltetes Wohn- und Esszimmer, sowie eine eher groß ausfallende Küche mit Anschluss zum Balkon im Garten. "Wollt ihr was trinken? Wasser, Softdrinks, Bier..?", beendete er mit den Gründen eines guten Gastgebers seine Führung in der Küche. Möglicherweise nur die Ruhe vor dem Sturm, aber ich bat ihn um ein Glas Wasser, bevor mein Blick das erste Mal seit ein paar Minuten zu Aryana schwankte. Ich für meinen Teil fühlte mich grade noch ein bisschen wie im falschen Film.
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Ganz genau, das war noch ein entscheidender zusätzlicher Vorteil dieses Ausflugs: Dass sie endlich mal von dem Ort, der sich zumindest auf dem Papier ihr Zuhause schimpfte, wegkamen. Auch wenn der Grund dieser Reise weit weniger entspannt war, musste man es sich halt irgendwie schönreden. Auch wenn Reden hier gerade nicht wirklich angesagt war, da sie beide zu sehr in ihren Gedanken hingen - besonders Mitch natürlich, aber Aryana war bekanntlich ziemlich schlecht darin, in solchen Momenten noch die richtigen Worte zu finden. Es fiel ihr leichter, dann einfach zu schweigen und in der ungemütlichen Stimmung zu versinken, weshalb sie von Glück reden konnte, dass die Fahrt immerhin nach 25 Minuten abgeschlossen war und hinter ihnen lag. Die Brünette liess dem Taxifahrer sein verdientes Geld zukommen, ehe sie ebenfalls vom Rücksitz rutschte und zu Mitch auf die Rückseite des Wagens schritt. Schon dabei wanderten ihre Blicke über die Häuser des so typisch amerikanischen Familienquartiers für die obere Mittelklasse. Es sah hübsch aus - wenn auch absolut nicht wie eine Gegend, in der sie sich an irgendeinem Punkt in ihrer Zukunft wiedererkennen konnte oder wollte. Einfach nicht ihr Vibe. Zu viele Häuser, zu perfekte Vorgärten, es stank beinahe schon nach Nachbarschaftstratsch und Grillpartys unter Freunden. Und darauf verzichtete sie sehr gerne – auch wenn sie natürlich wusste, dass sehr viele Leute und gerade Familien ein solches Haus als ihren Lebenstraum betiteln würden. Viel weiter kam sie dann nicht mehr mit nachdenken, denn noch während sie sich auf den eher langsamen Weg in Richtung Haustür machten, öffnete sich diese von selbst. Sie waren scheinbar bereits entdeckt worden – ob Jetman am Fenster gewartet hatte? Sie hatten schon gesagt, wann ihr Flieger landete, aber das liess doch noch Einiges an Spielraum für die Ankunft zu. Vielleicht hatte Mitch ihm zwischenzeitlich aber auch noch geschrieben. Nichtsdestotrotz hatte Jetman kein Klingeln abgewartet, sondern blickte ihnen mit ungehemmter Überraschung entgegen. Sie hatte nicht unbedingt was anderes erwartet, aber eine Vorwarnung war einfach schwierig gewesen. Sie hätte es nicht so cool gefunden, wenn Mitch ihre Beziehung über eine Textnachricht kundgetan hätte, weil da doch irgendwie Erklärungsbedarf vorhanden war – glaubte sie – und eine andere Möglichkeit hatte es der sehr knapp gehaltenen Telefonate wegen nicht gegeben. Darum jetzt eben die kleine Überraschung... Aryana hob mit einem sehr zurückhaltenden Lächeln ihre Hand ein Stück weit an, um ein Winken anzudeuten, bevor sie hinter Mitch die Treppe hoch und schliesslich ins Innere des Hauses trat. Bis auf eine kurze Begrüssung hielt sie jedoch vorerst den Mund, schloss die Tür und lauschte Jetmans einladenden Worten bezüglich der Abwesenheit seiner Familie. Wunderbar, schön hatten sie das bereits geklärt… Dann blieb wohl zu hoffen, dass das Fluchen nicht nötig sein würde. Nicht in allzu ausartendem Ausmass jedenfalls... Die Hausbesichtigung forderte glücklicherweise noch keine Kraftausdrücke, zumindest nicht von Jetman. Aryana hätte schon mal irgendwas in Richtung heilige Scheisse übrig gehabt, behielt es aber für sich oder brachte es höchstens durch einen Laut der anerkennenden Bewunderung zum Ausdruck. Am Ende des Rundgangs wusste sie auf jeden Fall, dass Jetman zumindest was seine Wohnsituation anging gut lebte und es seiner kleinen Familie in dieser Hinsicht an nichts fehlte. Sein Mädchen schien bestens aufgehoben zu sein und wurde von seinen Eltern wohl wie die kleine Königin des Hauses behandelt, was Aryana äusserst süss fand. Entsprechend hatte die Besichtigung des Kinderzimmers auch definitiv das unbeschwerteste Lächeln auf ihr Gesicht gezaubert, welches mittlerweile aber leider längst verflogen war. Für ein Lächeln war die Anspannung gegenüber dem, was noch folgen würde, eindeutig zu gross. Sie schloss sich Mitch an, als dieser nicht mehr als ein Glas Wasser von seinem einst besten Freund forderte, der daraufhin nach einem knappen Nicken genau das bereitmachte. Er füllte eine Karaffe mit Wasser holte dazu zwei Gläser hervor und nahm eine Cola aus dem Kühlschrank. Scheinbar war er selbst nicht gerade in Bier-Stimmung, brauchte aber doch was besseres als nur Wasser für das Gespräch im Anschluss. Er lud die Sachen auf ein Tablet und winkte sie beide hinter sich her, bevor er sich ins Wohnzimmer aufmachte. Eigentlich hätte das Wetter eher zu einer Unterhaltung im Garten eingeladen, aber vielleicht gaben die Wohnzimmerwände dem Gastgeber gerade mehr Sicherheit. Besonders für den Fall, dass einer laut wurde. Wo man dann wieder bei dem Nachbarschaftsgetratsche war, das Aryana dieser Gegend gedanklich schon nachgesagt hatte. Sie waren ja gewiss nicht hier, um Jetmans guten Ruf zu beflecken.
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Schon das vorübergehende Schweigen auf dem Weg von der Küche rüber ins Wohnzimmer reichte aus, um mich wieder unter mehr Strom zu setzen. Mir war mehr nach durch die Gegend tigern, als mich dem Sessel des Hausherrn schräg gegenüber mit Aryana auf dem Sofa niederzulassen. Jetman schenkte uns noch schweigend Wasser ein, bevor er sich mit der geöffneten Coladose in der Hand zurücklehnte und mich abwartend ansah. So als wüsste ich, wo ich anfangen sollte oder was ich zu sagen hatte. Das war so viel, dass ich absolut keinen Plan davon hatte, wie ich es am besten der Reihe nach aufzählen sollte. "Ich hätte dir gerne schon vorher gesagt, dass es Aryana ist... aber das war etwas schwierig.", griff ich murmelnd erstmal seine Worte von vorhin wieder auf. Er zuckte mit den Schultern. "Ist nicht so, als würde es einen großen Unterschied machen. Dass damals in Syrien was zwischen euch gelaufen ist, war nach eurer Solo-Rettungsmission nicht schwer für mich zu erkennen. Du warst anders seitdem... davor eigentlich auch schon.", meinte er und hob die Cola an, um ein paar übermäßig bedächtige Schlucke zu trinken. Mir war nicht bewusst gewesen, dass es tatsächlich so offensichtlich für ihn gewesen war. Schließlich hatten wir es bestmöglich geheim halten wollen, allein schon wegen Aryanas damaligem Posten in der Army. "Was mich eher wundert ist, dass du ihm das verziehen hast. Gerade du, wo du doch gefühlt um jeden Preis immer alle so heil wie möglich nach Hause holen wolltest." Seine Augen waren inzwischen zu Aryana gewandert. "Ich meine, er hätte dich töten können. Er hätte deine Schwester töten können. Im Grunde hätte er jeden einzelnen von uns fast dem Erdboden gleich gemacht. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Temiz ins Camp einspaziert ist, um eure Köpfe zu fordern. Hätte er einen schlechten Tag gehabt, hätte er uns wahrscheinlich nicht gehen lassen, sondern uns wie Enten der Reihe nach abgeschossen... um ein Exempel zu statuieren oder was auch immer in seinem kranken Hirn vorgegangen ist." Seine Worte lösten unfreiwilliges Kopfkino bei mir aus. Ich würde meine Taten niemals wirklich verarbeiten, oder? Es schien egal zu sein wie oft ich mir selbst sagte, dass ich mich geändert hatte und dass das damals nicht wirklich ich gewesen war. Getan hatte ich es trotzdem und es stach jedes einzelne Mal in meiner Brust, wenn ich daran dachte. "Jetman, ich..." Er hob seine Cola, streckte den Zeigefinger von der Dose weg und zeigte in meine Richtung. "Lass mich ausreden, verdammt." Er klang gereizter, also nickte ich nur mit einem stummen Schlucken und begann mit dem Kiefer zu mahlen. "Hast du es gewusst? Wusstest du, wo und wann sie zuschlagen? Wann ich potenziell sterben könnte, wenn ich mit rausfahre?" Er sah mich aus funkelnden Augen heraus an und die Dose gab dem Druck seiner Finger mit leisem Knacken nach. "Nein.", war meine erste Antwort. Jetman gehörte mit Aryana leider aber zu den wenigen Menschen, die durch meine Maske hindurchsehen konnten. "Lüg mich nicht an.", knurrte er und sein Gesichtsausdruck wurde noch dunkler, woraufhin ich dann den Blick auf meinen Schoß senkte und einen Moment lang die Augen schloss. "Ich hatte meine Vermutungen, wenn sie spezifischer nachgehakt haben, ja...", lenkte ich also mit einem tieferen Atemzug ein und sah danach zögernd wieder zu ihm auf. Gerade rechtzeitig, um noch sein fassungsloses Kopfschütteln zu sehen. Er blickte für einige Sekunden schweigend auf ein Foto an der Wand. Ich konnte auf diese Distanz nicht sehen ob er mit drauf war, aber es wirkte wie das typische Gruppenfoto einer Familie. "Ich bin nicht hier, um dich darum zu bitten, mir zu verzeihen, was damals passiert ist..." Wieder unterbrach er mich. "Gut, denn das kann ich nicht." Ich hatte Jetman bisher nur selten dermaßen kalt sprechen hören. Es fiel mir nicht schwer diese Reaktion nachzuvollziehen, weil ich wusste, wie wichtig ihm seine Familie war und ich insbesondere seiner Tochter und seiner Frau einen herben Verlust beschert hätte, wenn es ihn damals erwischt hätte. Dafür hatte ich mit Sicherheit genügend andere Familienväter auf dem Gewissen und es tat einfach weh - grade deswegen, weil ich mir das selbst nicht verzeihen konnte. "Ich möchte dich nur um etwas Zeit bitten... ich weiß was ich getan habe und dass das schwer zu verkraften ist, aber ich... ich will dir etwas zurückgeben. Dafür, dass du so oft zu mir gehalten hast, obwohl dich fast alle schief dafür angesehen haben, weil ich unausstehlich war... ich hab dir damals oft nur mit halbem Ohr zugehört, weil ich so mit mir selbst beschäftigt war... aber du warst mir damals wichtig und du bist es auch jetzt noch, lass mich dir das bitte beweisen." Je länger ich redete, desto unruhiger klang ich. Ich saß schon die ganze Zeit leicht nach vorne gebeugt da, weil ich zu hibbelig war, um mich einfach nach hinten anzulehnen. Jetman sah langsam kopfschüttelnd für eine Weile auf die Dose in seiner noch immer angespannten Hand hinunter, was auch mich den Blick wieder senken ließ. Erst etwa eine halbe Minute später hob ich den Kopf wieder an, weil er erneut zum Reden ansetzte. Dabei sah er aber gar nicht mich an, sondern blickte zu Aryana. "Wie machst du das? Wie kannst du damit leben? Ich versteh's wirklich nicht. Ich komm' mir vor als hätte ich ihn nie wirklich gekannt.", ging er mit trockener Stimme überhaupt nicht auf meine Worte ein, sondern suchte lieber nach eigenen Antworten, ohne dabei den grimmigen Gesichtsausdruck zu verlieren.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie wünschte sich mit gefühlt jedem Wort, das hier gesprochen wurde, mehr, einfach gar nicht anwesend zu sein. Es wäre sicherlich einfacher für sie, wenn sie den Verlauf dieser Unterhaltung einfach im Nachhinein von Mitch rezitiert bekommen würde. Aber dann wäre er Jetmans Wut ganz alleine ausgesetzt. Dann hätte sie nichtmal den Hauch einer Chance, wenigstens zu versuchen, ihm beizustehen und Jetman davon zu überzeugen, dass Mitch mehr war als der Verräter von damals. Der Einstieg ins Gespräch verlief holprig, wobei Mitch zuerst auf ihre Beziehung zu sprechen kam, die Jetman auf den zweiten Blick offenbar doch nicht so sehr überraschte, wie sie angenommen hatten. Jedenfalls nicht aus den erwarteten Gründen, weil er bereits in Syrien seine Sache dazu gedacht zu haben schien. Aryana hatte schon bei diesen Worten etwas den Blick gesenkt, begann auf ihrer Unterlippe zu kauen und an ihren Fingern zu nesteln, um der inneren Unruhe ein bisschen Raum zu gewähren. Sie sagte nichts dazu. Auch nicht, als er weitersprach und sie sich zwang, den Kopf wieder etwas anzuheben, um ihn wenigstens solange anzuschauen, wie er zu ihr sprach. Er hatte natürlich Recht, Mitchs Taten hätte sie alle das Leben kosten können. An jedem Tag, über eine viel zu lange Zeit. Und doch wollte sie nicht, dass er es aussprach, wollte sie nicht, dass er Mitch damit wieder zehn bis hundert Schritte rückwärts katapultierte. Sie wusste sehr genau, wie unendlich schwer die Schuld auf den Schultern ihres Freundes lag, ihn erdrückte, wenn er nicht lernte, damit umzugehen. Sie hatten schon so oft darüber gesprochen und Aryana wusste, dass genau diese Schuld und seine Unfähigkeit, sich irgendwie, irgendwann dafür zu vergeben, das Hauptproblem darstellten, welches ihm und seinem Glück immer und immer wieder im Weg stand. Mitch hasste sich schon lange genug für diese Taten - auch ohne Jetman, der ihm nochmal unter die Nase rieb, wie absolut moralisch verwerflich jedes Wort, das Mitch an den Feind übermittelt hatte, gewesen war. Aber natürlich sagte sie das nicht. Denn Jetman hatte sein Recht darauf, wütend zu sein - ganz abgesehen davon, dass er sich bestimmt schlecht damit beruhigen liess, wenn sie ihm bloss erklärte, dass Mitch schon genug gelitten hatte. Ihr Körper zuckte fast unmerklich unter ihrer Anspannung zusammen, als sie das Knacken der Dose in Jetmans Hand vernahm, sie starrte mittlerweile längst wieder auf ihr eigenes Wasserglas, das sich nutzlos auf dem Couchtisch breitmachte und darauf wartete, dass sie sowas wie Durst verspürte. Sie konnte die Frage nachvollziehen. Die Enttäuschung, die Wut. Alles davon. Es war nur trotzdem kaum aushaltbar und mittlerweile rieben auch ihre Zehen unruhig gegen die Wände ihrer Schuhe und alles an und in ihr schrie danach, einfach aufzustehen und wegzulaufen. Aber das tat man nicht. Nicht, wenn man Scheisse gebaut hatte und nicht, wenn einem eine Frage gestellt wurde. Aryana merkte erst, dass Jetman die Worte an sie richtete, als er von Mitch in dritter Person sprach. Ihre Augen fanden seine und sie versuchte daraus seine Gefühle zu lesen, die er wie jeder Mensch unter diesen Umständen nur schwer verschleiern konnte. Sie taten unendlich weh, auch wenn die Brünette sonnenklar wusste, dass sie nicht sie betrafen. Dass sie nicht der Auslöser dafür war. Sie waren ein Grund mehr, weshalb sie sich umso mehr anstrengen musste bei den Worten, die sie wählte. Und das war nicht einfach, denn Aryana war selten besonders geschickt mit Worten. Sie war nicht der Typ Mensch dafür und das wusste sie, das wusste Mitch, vermutlich wusste es auch Jetman. Sie war kein empathieloses Stück Holz und war das auch im Krieg nicht gewesen, aber wenn etwas Schlimmes passierte und die Emotionen hochkochten, dann verstummte sie an erster Stelle einfach. Fand nichts, was es dazu zu sagen gab, auch wenn ihre Augen trotzdem alles verrieten, was sie dachte. Vorausgesetzt, sie schob dem nicht ebenfalls einen grimmigen Riegel vor, aber das tat sie jetzt nicht. Es war in Ordnung, wenn Jetman sah, wie verloren sie sich in dieser Thematik fühlte. Überfordert und doch flehte sie stumm um sein Verständnis oder um die zweite Chance, die Mitch so dringend auch von ihm brauchte um die ganze verdammte Scheisse endlich hinter sich zu lassen - irgendwann. "Ich... ich habs natürlich nicht gewusst… damals, als wir in Syrien waren... hab' erst davon erfahren, als die Geschichte längst vorbei war und die Gegner wütend wurden. Und das... das kam einen Tag bevor das passiert ist, was ich ohne seine Hilfe niemals hätte retten können...", sie machte eine kurze Pause, um nach weiteren Sätzen zu suchen, die vermutlich gleichbleibend stockend und leise über ihre Lippen kriechen würden. Sie blickte weiterhin in Jetmans Richtung, hatte den Blick in der Zwischenzeit nur einmal kurz abgewendet, weil die Erinnerung an diesen Tag etwas zu farbig in ihrem Kopf auflebte. "Zuerst wollte ich damit sofort zu Ragan rennen und dafür sorgen, dass Gerechtigkeit - oder das, was dem in meinen Augen am nächsten kam - geschaffen würde. Aber nachdem er der Einzige war, der absolut selbstlos mit mir zu den Hügeln aufgebrochen ist, um Victor und Faye zu retten, obwohl er ganz genau wusste, das das einem grausamen Todesurteil gleichkam... ich konnte nicht mehr... das hat nicht mehr gepasst. Wie könnte dieser schreckliche Mensch, der uns alle verraten hat und dem unsere Leben scheinbar scheissegal waren, im nächsten Atemzug sein Leben riskieren, um zwei Menschen, zu denen er keinen Bezug hatte, den Fängen der Hölle zu entreissen?? Das ging nicht, die Diskrepanz war quasi... alles. Und ich hatte... habe ihm mein Leben zu verdanken, auch wenn er es davor hundert Mal aufs Spiel gesetzt hat. Mein Leben - und das Leben meiner Schwester. Das ist es, was er für mich ist. Ich kann die Vergangenheit nicht lügen, aber... ich weiss genau, wie tief er es bereut und sich wünschen würde, es nie getan zu haben - sag jetzt nicht, dass er es aber doch getan hat, denn das wissen wir alle. Aber ich kann damit leben, weil er mir so oft schon bewiesen hat, dass er das nicht mehr ist. Vielleicht hasse ich diese alte Version von Mitch, sicherlich hasst du sie auch - aber ich schwöre dir, keiner hasst sie so sehr wie er selbst", und damit hatte sie vorerst geschlossen, hatte sich bereits ausreichend um Kopf und Kragen geredet im Versuch, Jetman irgendwie auf die gleiche Gedankenspur zu locken, der sie bezüglich dieser ganzen Misere folgte. Keine leichte Aufgabe. Aber Aryana hoffte so sehr, dass es sie nicht ganz unmöglich war.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Zwei, drei Sekunden lang sah ich zu Aryana, während sie ihre Sicht der Dinge zu schildern begann. Allerdings fiel es mir nicht leicht all das zu hören, obwohl ich wusste, dass es eine positive Wendung nehmen würde. Musste es ja, weil sie sonst nicht hier neben mir sitzen würde. Damit war sie der Inbegriff von Vergebung schlechthin, was sie Jetman mit ihrer Erzählung nach und nach erklärte. Als die Brünette auf unsere damalige Rettungsaktion zu sprechen kam, hob ich den Blick für einen Moment an, um die Gesichtszüge meines ehemaligen besten Freundes zu mustern. Er schien sich noch bestens daran erinnern zu können, was wohl daran lag, dass er wochenlang Scheißjobs hatte erledigen müssen, weil er uns das Tor für diese ungenehmigte Mission aufgemacht hatte. Auch da hatte er zu mir gestanden, obwohl ich Aryana zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon mehr Aufmerksamkeit neben dem Alltag geschenkt hatte als ihm. Das realisierte ich erst jetzt. War es diese Veränderung, auf die er vorhin angespielt hatte? Vielleicht war das eher Stoff für das nächste Gespräch - falls es eines gab. Denn es schien viel dafür zu brauchen, seine kalte Miene aufzulockern, während er seiner einstigen Vorgesetzten Gehör schenkte. Als sie von dem Monster redete, das ich früher verkörpert hatte, senkte ich den Kopf und rieb mir mit beiden Händen übers Gesicht. Lieber hätte ich mir stattdessen die Ohren zugehalten. Ich hing oft genug in den Gedanken an die Zeit damals fest und wollte am liebsten nie wieder Irgendetwas davon hören. Aber Jetman musste es hören und als Aryana offenbar damit fertig war, ihre Sicht und Gefühle zu schildern, nahm ich die Hände wieder vom Gesicht. Kurz blickte ich seitlich zu ihr auf, bevor ich mich aus der nach vorne gebeugten Haltung löste, mich etwas aufrichtete und nach ihrer Hand griff. Inzwischen tat ich das fast schon instinktiv immer dann, wenn ich mich so fühlte, als bräuchte ich ihren Rückhalt... was seit unserem Abflug in Seattle fast ununterbrochen der Fall war. Ich hing gerade völlig in der Luft und ich war ihr unendlich dankbar dafür, dass sie trotz allem noch immer als mein Anker fungierte. Freiwillig, sie hätte längst das Weite suchen können. Deshalb hob ich ihre Hand auch kurz an, um einen flüchtigen Kuss auf ihren Handrücken zu hauchen. Auch danach sah ich noch weiter auf unsere verschränkten Finger, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Nichts würde Jetman zufriedenstellen, weil es nichts gab, dass meine Missetaten wieder gutmachte. Dafür reichte eine wörtliche Entschuldigung schlicht und ergreifend nicht. Es brauchte Zeit und Taten, wie sollte ich ihm sonst vermitteln, dass ich mich selbst gefühlt 24/7 für meine Vergehen strafte? Nach kurzer Bedenkzeit seufzte Jetman schließlich schwer, senkte selbst den Kopf und ließ sich tiefer in den Sessel rutschen, um sich bequemer mit der freien Hand die Schläfen massieren zu können. Ich beobachtete ihn dabei und mein Blick traf wenig später auf seinen, als er nach wie vor recht verbittert zwischen Aryana und mir hin und her zu sehen begann. "Es ist echt schräg euch so zu sehen, wenn ich daran denke, wie oft du dich früher über Faye und Victor lustig gemacht hast, weil sie so kitschig waren.", setzte er nun wo völlig anders an. Tja, auch da war wohl was dran. "Naja, ich... bin ihr wirklich dankbar dafür, dass sie mich mit sämtlichen Ecken und Kanten nimmt... auch wenn wir wegen mir schon oft auf die Schnauze geflogen sind. Ist nicht selbstverständlich für mich und sie hat mich überhaupt erst aus dem Loch rausgeholt, also..." Ich murmelte die Worte etwas undeutlich vor mich hin und zuckte mit den Schultern, warf zwischendurch einen kurzen Seitenblick zu meiner besseren Hälfte. Eigentlich waren es inzwischen viel mehr diverse Löcher, aber ich redete von meinem früheren Ich. Von dem Mitch, der im Grunde keine Ahnung davon hatte, was Liebe überhaupt war und sich deswegen nicht darüber hätte lustig machen sollen. Von dem Mitch, der sich nicht für andere freuen konnte, weil er selbst nichts hatte, worüber er sich freuen konnte. Von dem, der förmlich die ganze Welt verteufelte und hasste. "Sind sie noch zusammen? Faye und Victor, meine ich. Geht's ihnen gut? Ich konnte mich nicht verabschieden... bei keinem von euch.", hakte Jetman weiter nach, hatte sich gedanklich offensichtlich an Aryanas aufgeführtem Punkt der damaligen Rettungsmission aufgehängt. Er klang etwas ruhiger, wenn auch nach wie vor unterschwellig bissig. Leider war seine Frage gar nicht so leicht zu beantworten und im Grunde gingen uns alle hier die Details zu der vorübergehenden Pause nicht wirklich was an, weshalb es eine eher oberflächliche Antwort sicherlich auch tat. Sie lebten beide noch und meine Selbstmordmission war demnach nicht umsonst gewesen, aber ich wollte nichts Falsches sagen. Victors Zustand war von uns beiden aktuell nicht wirklich zu beurteilen und Aryana hatte von uns beiden mehr Kontakt zu Faye - ich sah also rüber zu ihr, weil sie diese Frage gerne an meiner Stelle beantworten durfte. Ich wollte da lieber nichts Falsches sagen.
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Sie blickte Jetman an, nachdem sie vorübergehend geschlossen hatte, versuchte aus seinem Gesicht abzulesen, wie er ihre Worte aufnahm. Eigentlich rechnete sie ziemlich pessimistisch fest damit, dass er einfach den Kopf schütteln und ihnen kundtun würde, dass Mitch vielleicht Faye gerettet und damit Aryanas Gunst wiedererlangt hatte, das aber noch lange nicht reichen würde, um all die Freunde und Kollegen seinerseits wieder gut zu machen. Und sie hätte es verstanden, auch wenn es unglaublich schwer auf ihren Schultern gelastet hätte. Sie hätte nochmal versucht, ihn umzustimmen, auch wenn sie die Chancen sehr gering einstufte. Aber das war nicht Jetmans Reaktion darauf, dafür hatte er sie beide scheinbar nicht herfliegen lassen. Noch lockerte sich seine Miene nicht und auch Mitch blieb genauso angespannt wie die ganze Zeit schon, als er nach ihren Fingern griff, mit denen sie sofort seine Hand umschloss und festhielt. Auch nach dem Kuss, der ihre Aufmerksam für einen Moment in seine Richtung lenkte. Ein Lächeln kriegte sie nicht hin, aber sie versuchte zumindest einen etwas aufmunternden Blick hinzukriegen. Irgendwas, das ein bisschen Hoffnung versprach, das ihm deutlich machte, dass sie die kurze Stille als positives Zeichen werten wollte. Diese Stille war kurzum vorbei und Jetman erhob wieder seine Stimme. Aryana blickte ihn an, ehe sie für einen kurzen Moment etwas die Schultern anhob und eine etwas verlegene Geste andeutete, bevor ihr Blick wieder auf ihre Hände fiel. Wenn Jetman bloss wüsste, wie sehr sich ihre Beziehung von der zwischen Faye und Victor unterschied... Leider alles andere als nur im positiven Sinne. Auch wenn bei ihrer Schwester offensichtlich auch nicht alles Gold war, was einst glänzte, so glaubte sie trotzdem, dass die beiden weitaus mehr in Richtung Vorzeigebeziehung gingen als sie. Aber davon brauchte sie Jetman nichts zu erzählen - er mit seiner Frau und seinem Kind in dem perfekten Haus in einer schönen Nachbarschaft. Er, der den Krieg wahrscheinlich so viel gefasster hinter sich gelassen hatte, als sie alle zusammen. Zumindest auf den ersten Blick. Sie war froh, dass er das Gespräch mit diesen Worten etwas vom eigentlichen Übel weglenkte. Scheinbar musste er selbst erstmal darüber nachdenken und das war wirklich gut. Dass er ihr überhaupt zugehört hatte und nicht gleich alles abtat, was sie gesagt hatte, war als positives Zeichen zu werten, da war sie sich ziemlich sicher. Aryana schaute Mitch von der Seite an, als er Jetman erklärte, was es mit dem angedeuteten Kitsch auf sich hatte. Aber sie sagte nichts dazu, liess das einfach so stehen... Auch wenn die netten Worte guttaten, ihre Seele ein bisschen beruhigten. Jetman stellte eine weitere Frage und die Brünette wusste schon, dass sie diese beantworten durfte, bevor Mitch ihr einen entsprechenden Seitenblick zukommen liess. Aber auch diese Frage war besser als weiter auf Mitch und seinen Fehlern herumzuhaken... Auch wenn sie einen Moment brauchte, um eine mehr oder weniger zufriedenstellende Antwort zu formulieren, die nicht bei Adam und Eva ausholte. "Sie sind noch zusammen, ja... Es geht ihnen gerade nicht... super, aber... das liegt auch an Dingen, die erst kürzlich passiert sind. Dinge, die gemischt mit dem, was in Syrien passiert ist, einfach zu viel waren, glaub ich", Dinge, die sie selbst nicht wirklich benennen konnte, weil sie weiterhin nicht wusste, was genau passiert war - aber es wäre definitiv auch ohne Syrien und Folter und Erinnerungen mehr gewesen, als ein Mensch auf die Schnelle verarbeiten konnte. Sonst wäre Faye nicht so lange in der Psychiatrie festgesessen und Victor hätte bestimmt auch nicht wochenlang auf der Intensivstation gelegen. Aber das überschritt den Rahmen dieser Unterhaltung. Dass Jetman sich nicht hatte verabschieden können, war scheisse und sie wusste nicht genau, was sie darauf erwidern sollte. Von Victor und Faye hatte sich ganz einfach gar niemand verabschieden können, weil sie nicht ansprechbar ausgeflogen und - zum Glück - nie wieder zurückgekommen waren. Gleiches galt mehr oder weniger auch für sie und Mitch, wenn sie so darüber nachdachte. Jedenfalls hatten sie sich auch von keinem ausser Ragan jemals verabschiedet. Offensichtlich zum Leidwesen bestimmter Individuen... wie Jetman. "Das mit dem Verabschieden tut mir leid. Ich hätte auch mal irgendwas machen oder anrufen können... Aber das Heimkehren war gelinde gesagt etwas... erschwert gewesen. Nicht, dass das eine Erklärung oder Ausrede wäre", sie würde ja vorschlagen, dass sie sich auch mal mit Victor und Faye treffen könnten. Aber noch hatte sie keine Ahnung, wie dieser Tag und dieser ganze Trip ausgingen, ob Jetman sie auslachen würde, wenn sie sowas jetzt anbot. Zudem war Victor bekanntlich noch im Exil und sie wusste auch nicht, wann er gedachte, wieder heimzukehren. Das waren im Ganzen einfach etwas zu viele Fragezeichen für einen solchen Vorschlag. "Wie lange warst du noch da..?", stellte die Brünette stattdessen eine noch sehr vorsichtig formulierte Frage, deren Antwort sie doch sehr interessierte, auch wenn sie sich nicht sicher war, inwiefern Jetman bereits Lust auf ein gegenseitiges Gespräch oder Fragen zu seinem Privatleben hatte.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Aryana umschrieb die Umstände des befreundeten Paares recht gut, ohne dabei zu viel zu sagen. Die Sache mit dem Verabschieden war leider einfach blöd gelaufen. Während Temiz die anderen Soldaten friedlich hatte ziehen lassen, hatten wir uns den Weg nach draußen erkämpfen müssen und das war alles andere als glimpflich ausgegangen. Wiedergekommen waren wir danach nicht und es dürfte im Camp die Runde gemacht haben, weshalb das so war. Wahrscheinlich durch eine öffentliche Rede - als Beispiel dafür, wie man es am besten nicht machte und aus dem einfachen Zweck, dass sich die Soldaten keine eigenen Gerüchte ausdachten. "Dann hoffe ich, dass es bald wieder aufwärts geht für die beiden... richtet gerne Grüße aus, wenn es sich einrichten lässt." Was Victor anging war das fragwürdig, aber ich nickte dennoch mit einem kurzen "Machen wir.", weil Faye die Memo in jedem Fall übermittelt bekam. Vielleicht gaben wir das einfach an sie weiter, ein winziges bisschen Kontakt hatte sie zu ihrem Freund meines Wissen nach trotz der räumlichen Trennung. Was Jetmans Verbleib in der Army anging, war ich ziemlich neugierig. Ich wusste aber nicht, ob ich selbst gefragt hätte. Es dauerte nur noch einige Wochen, dann lag mein Dienst für den amerikanischen Staat schon zwei Jahre zurück und in der Zwischenzeit konnte viel passiert sein. Bevor mein ehemaliger Kamerad die Frage beantwortete, hob er noch einmal die Coladose und machte ein paar Schlucke. Er schob sich an die Kante des Sessels vor und stellte sie auf dem Couchtisch ab, bevor er nachdenklich die äußeren drei Finger seiner linken Hand abtastete. "Müssten ungefähr noch fünf Monate gewesen sein, nachdem ihr weg wart..." Jetman sprach langsam und schien noch einen Moment zu brauchen, um zu entscheiden, was genau er dazu sagen wollte. Allerdings entschied er kurz darauf mit einem Schulterzucken, dass er vor uns nichts zu verschweigen brauchte. "Mein Vertrag wäre noch ein Jahr weitergelaufen, aber ohne Finger schießt sich's schlecht." Mit diesen Worten zog er vorsichtig die Silikonkappe seines kleinen Fingers ab und legte den verblüffend echt aussehenden, halben Finger neben der Dose ab. Meine Augen wurden nicht unbedingt kleiner, als er dasselbe mit dem Ringfinger und dem Mittelfinger machte. Einige Sekunden lang sah ich perplex blinzelnd auf die drei halben Finger an seiner Hand, was insofern nicht schlimm war, dass Jetman selbst ebenfalls damit beschäftigt war, sich die offenbar gut verheilten Kuppen anzusehen. "Ist dann doch nochmal was anderes, ob man nur bei Anderen Körperteile fehlen sieht, oder bei sich selbst." Dass er ausgerechnet an diesem Punkt mit seinem trockenen Humor ansetzte, kam dezent unerwartet. Ich atmete etwas tiefer durch und löste meine Augen dann von seiner Hand, um ihn wieder direkt anzusehen. "Das tut mir echt leid, man..." Er zuckte erneut mit den Schultern. "Lieber verlier ich drei Finger, als die Kugeln stattdessen in die Brust zu kriegen... ich seh's mittlerweile positiv. Ich kann monatlich Schmerzensgeld kassieren, muss mich dadurch nicht überarbeiten und Cami kann Zuhause bleiben. Es hätte schlimmer enden können." Jetman war schon immer der tendenziell etwas optimistischere von uns beiden gewesen - allerdings war er noch gar nicht fertig. "Aber ich hätte dich trotzdem schon unzählige Male seit deinem Verschwinden brauchen können, also wo warst du? Im Knast sitzt du ja offensichtlich nicht mehr. Solltest du nicht 20, 25 Jahre büßen..?" Er klang wieder etwas bitterer. Vielleicht weil er mich gerne etwas länger hätte schmoren sehen oder weil er vermutete ich hätte mich schon früher melden können. Vielleicht beides. "Aryana hat mich über Umwege rausgeholt, nach ungefähr einem Jahr... weshalb wir jetzt unangenehm hoch verschuldet sind. Es freut mich also umso mehr, dass ihr euch um Geld keine Sorgen machen müsst. Auch wenn der Preis dafür sicher sehr schmerzhaft war...", meinte ich mit einem Seitenblick auf meine bessere Hälfte und versuchte mich während meiner letzten Worte an einem eher schiefen, aber ehrlichen Lächeln in Jetmans Richtung. Geld bedeutete mir nichts, aber nicht bei einem Milliardär verschuldet zu sein wäre schon eine Erleichterung. "Mir gings beschissen hinter Gittern... auch noch lange danach... du hättest mir direkt nach meiner Entlassung wahrscheinlich lieber den Gnadenschuss gegeben, als dich freiwillig mit mir zu unterhalten... ich wäre dir keine Hilfe, sondern eine zusätzliche Belastung gewesen." Ich wollte nicht irgendeine Mitleidsschiene fahren, aber das war leider Fakt. Ich merkte gerade noch einmal ganz bewusst, wie lange Aryana jetzt schon unter meinen Vergehen und Marotten litt. Das mulmige Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich also unweigerlich. "Aber ich bin jetzt hier. Ich weiß nicht, ob überhaupt Gras über sowas wachsen kann... aber es gab wirklich noch keinen besseren Moment als jetzt, um bei dir anzuklopfen.", versicherte ich ihm, dass es besser so war. Natürlich konnte er mit dieser Information jetzt anfangen was er wollte, er musste mir das nicht glauben. Aber ich konnte ihm ansehen, dass er grübelte. Das flüchtige Zucken seiner rechten Augenbraue verriet, dass die Fassade des verratenen, zurückgelassenen Freundes bröckelte. Trotzdem schwieg er und musterte mich dabei noch eine ganze Weile lang. Nach mindestens zwei hochgradig unangenehmen Schweigeminuten griff er wieder nach seiner Cola und machte sie absichtlich in aller Seelenruhe leer, bevor er die Dose zusammendrückte und nach mir warf. Ich konnte nicht rechtzeitig ausweichen, aber sie traf mich ohnehin nur an der Schulter und fiel danach dumpf auf den Teppichboden vor dem Sofa. "Wenn du dich nicht ins Zeug legst und auch nur einen einzigen meiner Geburtstage jemals ohne triftigen Grund verpasst, erwürg' ich dich... mehr oder weniger eigenhändig. Keine Geheimnisse und auch keine Lügen mehr, klar? Ich hab immer noch scheiß viele Fragen, die du mir alle beantworten wirst." Ich konnte förmlich hören, wie ein Teil der Last von meinen tonnenschweren Schultern abrutschte. Meine Mundwinkel bogen sich langsam nach oben und auch der Druck auf meiner Brust schwand innerhalb weniger Sekunden. Scheinbar spiegelte sich so viel Erleichterung in meinem Gesicht wieder, dass Jetman sich gezwungen fühlte mich auszubremsen. "Ich bin trotzdem noch sauer und werde dich das mindestens 2 Jahre spüren lassen.", ermahnte er mich grimmig, was allerdings erst recht zu einem schmalen Grinsen meinerseits führte, während ich mich das erste Mal wohl genug fühlte, um nach einem der beiden Wassergläser zu greifen. Es war aber auch schwierig, die Freude zu unterdrücken. In der Zwischenzeit löste ich meine Finger von Aryanas, um den Arm stattdessen locker um ihre Taille zu legen. "Ich weiß." Zwei Jahre klangen fair. "Kann ich Aryana ab und zu mitbringen?", spielte ich auf die Geburtstage an. Jetman sah zu der Brünetten neben mir. "Bist du 'ne Spaßbremse? Nichts für Ungut, aber ich kenn' dich nur als meinen Sergeant."
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Das hofften sie wohl alle sehr fest und Faye würde sich bestimmt über die Grüsse freuen. Aryana konnte sich zwar nicht daran erinnern, dass einer von den beiden nennenswert viel Kontakt zu Jetman gehabt hatte, aber allein zu hören, dass er noch lebte und nach ihnen gefragt hatte, würde sie sicher glücklich machen. Es war doch immer schön, wenns einer von ihnen aus der Hölle zurück nach Hause schaffte. Noch schöner, wenn er sich dann ein solches Leben aufbaute und sich aller Anschein nach ganz gut hier akklimatisiert hatte. Im Gegensatz zu irgendwie allen von ihnen vier - Mitch, Victor und den beiden Coopers. Es zeigte auf, was möglich war und dabei war es auch ganz egal, ob das hier nun ihren Vorstellungen und Zielen entsprach oder nicht. Wenn Jetman sein hübsches Haus mit seiner kleinen Familie hinbekam, würden sie es sicher auch irgendwann schaffen, wenigstens glücklich zu werden - egal unter welchen Wohnumständen. Ihr Kopf hatte nicht viel Zeit, sich an diesem Gedankengang aufzuhängen, da Jetman sich daran machte, ihre Frage zu beantworten. Der erste Teil der Erklärung klang dabei verhältnismässig harmlos. Fünf weitere Monate waren ein recht überschaubarer Zeitraum und es bedeutete auch, dass er schon eine ganze Weile wieder hier war und Zeit gehabt hatte, sich einzurichten. Sie machte sich auch erst Gedanken zu seiner Vertragslaufzeit, als er genau damit fortfuhr. Wobei er die noch nicht aufgekommene Frage direkt selbst beantwortete und auch Aryana blinzelte ein paar Sekunden dezent perplex, während ihre Augen auf seiner Hand lagen, auf den halben Fingern, die eine ganz eigene Geschichte erzählten. Natürlich geisterte sofort ein was ist passiert? durch ihren Kopf, aber sie besass gerade so genügend Taktgefühl, um die Worte für sich zu behalten. Egal was passiert war, es musste eine traumatische Erfahrung gewesen sein, weil sowas einfach unmöglich spurlos an einem Menschen vorbeiging. Also psychisch spurlos - dass sein Körper Spuren davongetragen hatte, war sehr offensichtlich. Jedenfalls nickte Aryana leicht, als Mitch sein Mitgefühl aussprach. Sie hielt sich diesbezüglich zurück, weil sie keine anderen Worte gefunden hätte als die, die bereits gesagt wurden. Es tat ihr Leid und es war scheisse, aber Jetman hatte schon Recht - es hätte sehr viel dümmer gehen können, egal, was ihn die Finger letztendlich gekostet hatte. Es waren drei Finger, die mit den Prothesen optisch gut ersetzt wurden, sie wollte keinesfalls sagen, dass das nicht schlimm genug war, aber er konnte scheinbar mit wenigen Einschränkungen weiterleben und das war sehr schön zu sehen. Jetman hätte sie auch mit wesentlich schlimmeren Überraschungen in Form von fehlenden Gliedmassen empfangen können - oder gar nicht, wenn Syrien ihm das Leben final ausgehaucht hätte. Aryana folgte dem weiteren Verlauf des Gesprächs aufmerksam aber weiterhin schweigend. Zuerst dem Teil, in dem Mitch die Rechtfertigung für sein langes Wegbleiben schilderte, was ihre Anspannung wieder steigerte, weil damit zu viele negative Erinnerungen verbunden waren. Allein die Zeit, die er im Knast verbracht hatte, die sie am liebsten komplett aus ihrem Gedächtnis streichen würde. Alles daran war ätzend gewesen. Nicht nur seine Abwesenheit und seine Launen, nicht nur alles, was mit Mitch in Verbindung gestanden hatte, sondern schlicht ihr ganzes Leben. Auch wenn heute noch immer vieles falsch lief, unbefriedigend und frustrierend war, so glaubte sie doch, dass es besser war als damals. Jetman schien diese Infos bedächtig zu verarbeiten und man konnte die Räder förmlich in seinem Kopf drehen hören, während er Mitch musterte. Bis er die Coladose warf und damit das Ende des Bangen und der Anspannung einläutete. Auch auf Aryanas Gesicht bildete sich ein je länger je breiter werdendes Lächeln voller Erleichterung und Freude. Sie hatte definitiv nicht - oder jedenfalls noch nicht - damit gerechnet, dass Jetman sich nach seiner Ansprache vorhin so bald schon gnädig zeigte. Aber es schien fast so, als hätte er sie wirklich nicht nur herbestellt, um Mitch einen finalen Arschtritt zu verpassen und ihm nochmal ordentlich eine reinzuwürgen. Mit der Bemerkung zu seinen Geburtstagen unterstrich er viel mehr überdeutlich, dass er den Kontakt zu seinem einstigen besten Freund nicht nur für heute wiederherstellen wollte, sondern auf Dauer. Und wie viel besser hätte das hier denn eigentlich laufen können?? Wenn die beiden das hinkriegten und Mitch damit wieder einen wirklich guten Freund im Leben hätte, den er so lange vermisst hatte, wäre das so viel mehr als nur gut und ein Geschenk und sie wagte nun endlich zu hoffen, dass es wirklich so sein würde. Aryana rutschte ein bisschen näher zu Mitch, als er seinen Arm um sie legte und sie lehnte erleichtert ihren Kopf an seine Schulter, strich mit ihrer Hand zweimal über seinen Oberschenkel, wo ihre Finger dann auch liegen blieben. Ihr Gesicht erzählte Bände dazu, wie erleichtert sie sich gerade fühlte und sie lachte bei Jetmans Frage tatsächlich leise in sich hinein. "Ja, klar bin ich das. Irgendwer muss ja dafür sorgen, dass dieser Mensch mal auf sich aufpasst", erklärte sie dezent ironisch, hob den Kopf wieder an, um Mitch kurz anzulächeln, während sie sein Bein tätschelte. "Darum liebt er mich ja auch. Weil er in seinem Leben keinen Spass mehr will", führte sie die Ironie noch weiter aus, bevor ihr Blick wieder zu Jetman fand. "Ich habe aber eine gute Nachricht für dich: Da ich euch hier bekanntlich nichts mehr zu sagen habe, kann ich dich zu keinen zweihundert Liegestützen mehr verdonnern, wenn mir der Kopf danach steht", fügte sie das Offensichtliche an, das Jetmans Sympathien in ihre Richtung sicher sehr positiv beeinflussen würde.
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Es war damals noch ein bisschen anders gewesen, als ich 90% des Tages nach Aryanas Pfeife hatte tanzen müssen. Auch wenn wir in unseren letzten Monaten bei der Army bereits zusammen gewesen waren, hatte das schließlich nichts an ihrem Status dort geändert. Manchmal hatte ich das Gefühl gehabt, dass sie mich das extra spüren ließ - meistens dann, wenn ich am Vorabend auf dem Turm eine Spur zu frech gewesen war. Das waren unsere bisher glücklichsten Monate gewesen, oder? Wenn man von der Zeit in Australien absah jedenfalls, aber Urlaub war nie wie das richtige Leben. Sehr ironisch das Ganze, wo wir der Army selbst nichts Gutes abgewinnen konnten. Meine Verurteilung wog eindeutig schwerer als die brennende Hitze im Kugelhagel auf syrischem Sand. Das Tätscheln auf meinem Bein ließ die Gedanken an die Vergangenheit verfliegen und mein Blick traf auf Aryanas. Ich hätte ihre Worte gerne verneint, aber wenn ich mir das Spektakel unseres letzten Einsatzes ins Gedächtnis rief, war da leider sehr viel dran. "Da ist was dran.", stimmte auch Jetman ihren Worten mit hochgezogener Augenbraue zu. Damals wie heute war ich schlichtweg dezent verloren und der richtige Weg war noch nicht so ganz gefunden. Solange ich die endgültige Richtung noch nicht kannte war es leider weiterhin an der starken Brünetten, mich davon abzuhalten, links oder rechts abseits des schmalen Pfades in den Abgrund zu stolpern. In der stillen Hoffnung, dass ich ihr Leben im Gegenzug irgendwann auch mal mit meiner Existenz bereichern konnte. Ich trank gerade aus dem Wasserglas, als sie fortfuhr und setzte daraufhin das Glas abrupt ab, um ihr einen wenig einverstandenen Seitenblick zuzuwerfen. "Oh ja, er sieht begeistert aus. Hack ruhig ein bisschen auf ihm rum, ich glaube er braucht das.", kommentierte Jetman auch das und klang dabei entsprechend schadenfroh. "Sehr witzig.", kommentierte ich diese Bemerkungen mit einem flüchtigen Augenrollen. "Ja, find ich schon." Ich würde mir sowas in naher Zukunft wohl sehr oft anhören dürfen, aber das ging in Ordnung. Wir stichelten uns ohnehin schon seit ich denken konnte ständig gegeneinander auf - wenn das Ganze jetzt zugunsten der Versöhnung etwas einseitiger oder derber ausfiel, konnte ich eine Weile damit leben. Alles in allem würde ich besser erstmal kleine Brötchen backen. "Mit den Liegestützen hättest du bei mir jetzt sowieso schlechte Karten.", prustete Jetman ironisch und wackelte erneut mit den halben Fingern in der Luft. Es war schön, dass er Witze darüber machen konnte, auch wenn das einen sehr bitteren Beigeschmack hatte. "Hast du noch Schmerzen..?", hakte ich nach. Dass er jetzt keine Liegestützen mehr konnte, hing sicher auch mit der fehlenden Standhaftigkeit der vermissten Fingerhälften zusammen. Es interessierte mich aber trotzdem, wie es ihm damit ging. "Manchmal. Ist auch meistens nur noch Phantomschmerz in den Fingerkuppen, die ich gar nicht mehr habe. Keine Seltenheit bei Amputationen und die Stummel sind gut verheilt." Er legte es dar wie glasklare Fakten, aber das musste psychisch anstrengend sein. Zu wissen, dass der eigene Körper einem mit Schmerzempfinden verarschte, wo gar keines mehr sein konnte. Da war Jetman mir leider ähnlich - lieber nicht zu viel Schmerz nach außen hin zeigen, da konnten wir uns die Hand geben. "Wie wars im Knast? Hast du die Narbe an der Augenbraue da her?", stellte er mir Gegenfragen, von denen er wusste, dass sie mir mindestens genauso unangenehm sein würden. Ich senkte den Blick auf Aryanas Hand, während ich langsam nickte. Der einstige Cut in der Augenbraue fiel eigentlich fast nicht mehr auf, weil sich längst wieder Haare darüber gelegt hatten. Trotzdem sah man die Enden der Narbe aus meiner Anfangszeit im Gefängnis noch immer heller schimmern. "Ziemlich genau so beschissen, wie man sichs vorstellt, würde ich sagen... Korruption, Drogen, Vergewaltigung... man kommt definitiv als neuer Mensch wieder raus... Lektion gelernt.", antwortete ich leiser und ziemlich trocken, ohne den Blick wieder anzuheben. Es war dank meiner Auflistung überflüssig zu sagen, dass man da drin gar keine positive Wendung nehmen konnte. Egal wie sehr man das wollte. Ich konnte von Glück reden, dass ich als ehemaliger Soldat mit meiner Statur und Optik nicht ins Profil eines Vergewaltigungsopfers gepasst hatte. Es hatte aber auch ohne diese Form von Misshandlung genügend Wege gegeben, mich in sehr hässliche Einzelteile zu zerbrechen. Dass ich meine Lektion gelernt hatte, hieß nicht unbedingt, dass ich keine gesetzeswidrigen Dinge mehr tun würde - war bei der Beseitigung Easterlins nämlich wahrscheinlich unvermeidbar - aber ich würde mich eher selbst erhängen, als eine Ehrenrunde im Bau zu drehen. Jetman würde also nicht noch einmal Lebwohl zu mir sagen müssen und er war angesichts meiner unbehaglichen Miene gnädig genug, um erneut zu einem völlig anderen Thema zu springen. "Ich kann mir euch beide nur schwer unter einem Dach vorstellen. Du wirkst mir nicht wie die typische Hausfrau und du", sein Blick schwenkte von Aryana zurück zu mir, "spülst sicher nicht freiwillig Geschirr, also wie läuft das? Werft ihr die Teller einfach bis keine mehr übrig sind?", erkundigte er sich gewohnt humorvoll nach unserem Alltag. Tja, der war... etwas kompliziert.
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈
Sie hatte eigentlich nicht unbedingt darauf abgezielt, auf Mitch herumzuhacken, wie Jetman das nannte. Aber sie war sich trotzdem relativ sicher, dass ihr Freund die Sticheleien ohne grössere Verluste verkraften würde, weshalb sie dem Hausherrn auf dessen Aufforderung hin ein schiefes Grinsen zuwarf. Ein bisschen hatte er ja schon Recht damit und es gab Momente, da glaubte sie auch, dass Mitch sowas tatsächlich brauchte. Eigentlich nicht unbedingt heute, aber wie gesagt - er würde es überleben. Die Bemerkung mit den Liegestützen hatte sie schon fast kommen sehen, weshalb sie diesmal nicht ganz so sprachlos reagierte, sondern ein Konterargument bereithielt, welches sie an ihrer Stelle auch auszusprechen wagte. "Ach, ich bin mir sicher, du würdest die auch einhändig hinkriegen", winkte Aryana sarkastisch ab, ohne dabei das Grinsen ganz abzulegen. Sie hätte niemals - auch nicht in der Army - einen Mann mit drei halben Fingern zu Liegestützen aufgefordert und ging einfach mal davon aus, das Jetman das auch als Witz einzuordnen wusste. Es gab ja auch andere Bestrafungsmöglichkeiten, auf die man im Zweifelsfall zurückgreifen konnte, da war sie eigentlich offen und bei Bedarf kreativ. Nur hatte sie hier wie schon festgestellt eh keine Autorität mehr und keiner würde auch nur einen Finger krümmen, bloss weil sie ihn dazu aufforderte, wenn ihm nicht gerade auf wundersame Weise der Kopf danach stand. Aber zurück zu Jetmans Finger, nach denen sich Mitch nochmal erkundete. Beziehungsweise nach den Schmerzen, die damit verbunden waren und leider noch kein Ende gefunden hatten. Blieb nur zu hoffen, dass das irgendwann noch kommen würde. Meistens wurden solche Sachen besser, je länger die Amputationen her waren, glaubte sie. Aber sie stellte hier mal lieber keine Hypothesen auf, Jetman war der Einzige, der das wirklich beurteilen konnte oder können würde und er hatte sich sicher schon ausreichend mit der Thematik auseinandergesetzt. So wie sie und Mitch mit dessen Knastaufenthalt, über den sie sich eigentlich auch nicht unterhalten wollte. Sie verstand die Neugier natürlich, auch wenn die Frage nicht besonders sensibel gestellt wurde. Das hiess nur noch lange nicht, dass sie sich gerne an die Zeit erinnern wollte, weshalb sie automatisch ebenfalls den Blick etwas abschweifen liess, ihre Finger unterbewusst wieder über Mitchs Oberschenkel strichen. Vor ein paar Wochen hatte Easterlin ihnen angedroht, Mitch wieder in die Hölle zu verbannen, wenn sie sich nicht an der Nase nahmen. Sie versuchte nicht zu oft über die Drohung nachzudenken, aber es wäre gelogen, zu behaupten, dass es sie kalt liesse und ihr keine Angst machte. Eine erneute Festnahme wäre ihr Todesurteil. Also genau das, worauf Easterlin abzielte. Und zu wissen, dass ihr Schicksal an einem so dünnen Faden in den Händen dieses unberechenbaren Arschlochs hing, war alles andere als beruhigend. Aber sie durften sich davon nicht beirren lassen. Sie durften gar nicht zu fest darüber nachdenken. Entsprechend war sie Jetman sehr dankbar, als er das Thema direkt wieder wechselte und an einem ganz anderen Punkt ansetzte. Einer, der das Lächeln schon eher wieder förderte - zumindest wenn man ihn nicht allzu ernst betrachtete, denn eigentlich war ihre Haushaltsführung zeitweisen auch problematisch. Nur nicht so problematisch wie die Sachen, die ihnen nachts eben wirklich den Schlaf raubten. "Ja, so in etwa läuft das ab... Wir bestellen all unser Essen online, brauchen nur Einweggeschirr und einmal die Woche kommt eine Putzhilfe", fasste sie die Situation sehr ironisch zusammen. Weil sich das ja auch so gut mir ihren angetönten Geldproblemen vereinbaren liess. "Oder so ähnlich - wir schicken uns irgendwie rein, denke ich...", viel mehr Details wusste sie dazu gar nicht auszupacken, hatte sie doch wirklich nicht vor, Jetman bereits über ihre berufliche Situation aufzuklären, die dann auch offenlegte, dass sie die meiste Zeit fremdversorgt wurden und das mit dem Kochen sich somit glücklicherweise häufig erledigte. Ein klitzekleiner madiger Vorteil ihres Jobs. "Wie alt ist deine Tochter jetzt?", war es diesmal Aryana, die ziemlich unverblümt das Thema wechselte, weil sie sich lieber über das jüngste Mitglied der kleinen Familie als um ihre schmutzigen Teller unterhielt. Bisher wusste sie lediglich, dass Jetman eine Tochter hatte und diese kein Baby mehr sein konnte, da sie bereits gelebt hatte, als er noch in der Army gedient hatte. Ach und ihren Namen wusste sie. Viel mehr aber auch nicht und obwohl sie mit Kindern meistens nicht allzu viel anfangen konnte, fand sie sie trotzdem süss. Aus sicherer Distanz oder zumindest nur auf befristete Zeit betrachtet zumindest. Sich und ihren Freund sah sie eher weniger mit Nachwuchs - weder in den nächsten zwei, noch in den nächsten zwanzig Jahren. Ausser Mitch würde auf einmal einen immensen Kinderwunsch äussern und nicht mehr locker lassen, bis sie sich ebenfalls damit angefreundet hatte. Aber die Chancen standen sehr gering.
This is your life, it's do or die, the sun may never rise again, so be the light the vision. This is your life, it's slipping by, you try to run but fall again, you get back up that's living.
Einarmiger Liegestütz - von Manchen gefürchtet, von Vielen gehasst. Man bekam die schon hin, aber mit zweihundert am Stück konnten wohl die wenigsten Männer dienen. "Früher schon... aber jetzt?" Jetman sah abwägend auf seinen Bauch runter. Er war nicht dick geworden, aber an seine Form bei der Army kam er jetzt nicht mehr heran. Die Schultern und Arme waren ein bisschen schmaler geworden und der früher sehr flache Bauch wölbte sich ein klein wenig nach außen. Von einem Bierbauch konnte man da noch nicht reden, er war nur einfach nicht mehr so durchtrainiert unterwegs wie noch vor zwei Jahren. Abgesehen von den fehlenden Fingern sah er trotzdem gesünder aus - keine dunklen Schatten mehr unter den Augen und keine chronische Anspannung mehr in den Stirnfalten. Er schien ganz in der Vaterrolle aufzugehen und das freute mich für ihn, auch wenn es mich selbst wohl nie auf denselben Pfad verschlagen würde. "Du siehst aber besser aus als damals.", tat ich meine Feststellung kund. Jetman zuckte mit den Schultern und nickte gleichzeitig ein wenig. "Ich schätze es tut jedem Menschen gut, in einem richtigen Bett zu schlafen und nicht mehr ständig um sein Leben zu fürchten.", merkte er das eigentlich Offensichtliche an. Würde es mir genauso gut gehen wie ihm, wenn ich nicht den gnadenlosen Umweg über die Gitterstäbe gemacht hätte? Ziemlich sicher nicht, weil das allein die Schuld nicht ausradiert hätte. Ohne das Gefängnistrauma wäre ich aber vermutlich nicht ganz so tief gefallen. Würden wir uns nicht zum Frühstück und in der Mittagspause von Easterlins Kantinen-Personal durchfüttern lassen, dann wäre Aryanas sarkastische Schilderung der Dinge womöglich gar nicht so abwegig. Wobei ich mich bestimmt besser mit Hausarbeit anfreunden konnte, wenn mein Kopf irgendwann so richtig auf Kurs war. Sie würde mir dann noch immer keinen Spaß machen, aber ich könnte mich viel eher dazu aufraffen als jetzt. Jetman schnaubte belustigt und hatte offensichtlich nicht vor, da weiter nachzuhaken. "Wird sich schon noch einpendeln, irgendwann.", meinte er zuversichtlich. Wahrscheinlich hatte er auch damit recht - was langfristige Beziehungen anging, war er der deutlich Erfahrenere von uns beiden. "Sie ist fünf geworden, vor drei Monaten.", beantwortete er Aryanas Frage und brachte mich damit zum Schmunzeln. Die Zeit verging wirklich schnell. Ich konnte mich noch daran erinnern, als er mir das erste Mal von ihr erzählt hatte. Wie sehr er es bedauert hatte, bei ihren ersten Schritten nicht da sein zu können. Irgendwann später hatte er auch mal gesagt, wie sehr es ihm jedes Mal das Herz zerriss, wenn er für wenige Wochen Nachhause kam und er jedes Mal das Gefühl hatte, sie neu kennenlernen zu müssen. "Elly ist ein bisschen eigensinnig, das hat sie wohl von mir.", scherzte er und klang langsam zunehmend unbeschwerter. Das ließ mich allerdings nicht daran zweifeln, dass er mir noch übergründlich auf den Zahn fühlen würde, wenn wir mal unter uns waren. "Aber meistens ist sie ein Engel, in der Vorschule lieben sie Alle. Mit den blauen Augen ihrer Mutter hat sie's aber auch nicht grade schwer." Tja, wer sagte schon gerne Nein zu großen, blauen Kinderaugen? Ich musste flüchtig an Joshs verweinte, gerötete Augen damals im Krankenhaus denken. "Vielleicht wirds noch ein zweites. Cami war eigentlich dagegen, weil sie das erste Kind alleine großziehen musste, aber nachdem inzwischen alles gut läuft und ich sie unterstützen kann… Elly hätte jedenfalls gerne einen Bruder.", redete er weiter und ließ danach seine Augen zwischen Aryana und mir hin und her wandern. "Wollt ihr Kinder?", stellte er nach ein paar Sekunden die Frage, die ihm auf der Zunge brannte. Mein Kopfschütteln folgte quasi im Bruchteil einer Sekunde. "Nicht in diesem Leben… Aryana hat genug damit zu tun, auf mich aufzupassen.", verneinte ich entschieden, wenn auch mit anhaltender Prise Humor. Wir konnten ja zu ihrer Babyparty kommen und uns so an dem Nachwuchs-Wahnsinn beteiligen, auch wenn das in meinen Ohren nicht gerade nach Spaß klang. Mit all den normalen Familien und den Kindern… aber lieber das, als selbst jeden Tag ein Gör sitten zu müssen.
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Das mit den einhändigen Liegestützen konnte Jetman sicherlich besser abschätzen als sie. Aber es hätte sie zugegeben auch wirklich erstaunt, wenn er hier und jetzt damit begonnen und mehr als zwei Stück hingekriegt hätte. War nicht so, als würde sie ihm gar nichts zutrauen, aber einhändige Liegestützen waren nunmal alles andere als gar nichts und sie war sich nichtmal sicher, wie viele davon sie selbst hinkriegen würde. Gerade wohl keine Einzige - ihr Arm war zwar relativ gut verheilt in den letzten knapp fünf Wochen, die Trainingspause dauerte aber noch an, bis sie wieder zuhause waren und da würde sie sicherlich nicht direkt mit einhändigen Liegestützen wieder einsteigen. Also hier und jetzt lieber keine Wetten mit Jetman, wer mehr davon hinkriegte. "Wie erwähnt - dein Glück, dass ich dir eh nichts mehr zu sagen habe...", meinte sie diesbezüglich nur noch mit einem lockeren Schulterzucken, wobei sie ihrem Freund im Anschluss nur zustimmen konnte. Und Jetman auch. Schon nur ausreichend und vor allem erholsamer Schlaf wirkte oft Wunder. Sicher auch bei ihm, wobei es ebenfalls helfen dürfte, dass er seine Familie hier wieder um sich hatte und seine allgemeine Lebensqualität kaum mit dem vergleichbar sein dürfte, was sie in der Army gehabt hatten. Man wurde das Trauma wohl nie ganz los, aber es gab viele Aspekte die wesentlich dabei halfen, schneller zu heilen. Anhaltender Kugelhagel und ein absolut bescheuerter Boss, der einem mehr oder weniger tot sehen wollte, gehörten hier nicht dazu. Aber bei der Wahl zwischen Pest und Cholera - Gefängnis oder Easterlin - war die Entscheidung eben doch ziemlich einfach... Auch auf dem Gesicht der Brünetten bildete sich ein kleines Lächeln, als Jetman von seiner Tochter erzählte, die offensichtlich genau das war, was Aryana sich schon ausgemalt hatte: Ein kleiner süsser Engel. Mit blauen Augen. Und vielleicht auch bald mit einem Geschwisterchen..? "Süss wärs bestimmt... Und jetzt, wo Elly schon fünf ist und du nicht mehr ständig weg musst...", sie zuckte leicht mit den Schultern, weil in ihren Augen so spontan nicht viel gegen ein zweites Kind in dieser Familie sprach. Aber war natürlich nicht unbedingt ihre Entscheidung - zum Glück - und Jetman wusste das schon mit seiner Camila zu besprechen. Was hingegen mitunter ihre Entscheidung war, war die Sache mit den eigenen Kindern, die Mitch hier sehr schnell verneinte. Ihr vehementes Kopfschütteln hatte aber nicht viel später gefolgt, was wohl eindeutig zeigte, dass sie sich wenigstens beim Thema Kinderwunsch doch sehr einig waren. "Ich glaube eher nicht, dass es Kinder gibt, die freiwillig uns als Eltern wählen würden, wenn sie die Wahl zwischen uns und... Menschen wie euch hätten", wagte sie mal ganz hypothetisch und leicht sarkastisch zu behaupten. Obwohl sie Cami und Elly nicht kannte, war es doch offensichtlich, wie sehr Jetman und seine Partnerin in ihrer Elternrolle aufgingen und hier die perfekten Bedingungen für ein Kinderleben stellten. Das würden sie und Mitch nicht hinkriegen. Und wahrscheinlich wollten sie es auch nicht hinkriegen. Lieber wollte sie irgendwann, wenn all die Scheisse endlich ihr Ende fand, einfach mal das Leben mit ihm alleine geniessen können. Das Letzte, was sie dann dabei brauchten, war ein kleiner Schreihals, der ihre Zweisamkeit störte - und zwar 24/7. Nein danke. Apropos stören: auch wenn sie sich hier grundsätzlich nicht schlecht unterhielten, fragte sie sich langsam, ob Jetman sich vielleicht gerne heute schon mit Mitch unter vier Augen unterhalten würde - und ob Mitch es schätzen würde, wenn sie ihn bereits jetzt alleine liess. Sie waren beide nicht unbedingt davon ausgegangen, dass sich das Gespräch so schnell so gut entwickeln würde, weshalb sie sich darüber nicht vorgängig unterhalten hatten. Aber spätestens morgen wäre es sowieso soweit, falls Jetman es sich nicht anders überlegte oder doch keine Zeit mehr hatte. Sie könnte auch jetzt schon ihre Unterkunft aufsuchen. Oder, um das doppelte Taxigeld zu sparen, einfach eine ausgedehnte Runde spazieren gehen... Aber erstmal griff sie nun endlich auch nach ihrem Glas, um sich ein paar Schlucken des Wassers zu gönnen. "Kommen sie denn heute erst spät nachhause?", erkundigte sie sich anschliessend bei Jetman über den Verbleib seiner Familie. Ein Kindergeburtstag dauerte normalerweise nicht ewig, aber vielleicht hatte er sie darum gebeten, lang genug wegzubleiben. Wenn er meinte, dass sie in der nächsten Stunde vermutlich bereits zurückkamen, brauchte sie sich den Spaziergang nicht zu geben, dann war das tiefgründigere Gespräch für heute eh hinfällig.
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Wie selbstständig ein Kind von fünf Jahren wohl schon war? Wesentlich mehr als ein Säugling und wenn Elly den halben Tag ohnehin in der Vorschule und in absehbarer Zeit dann in der Schule verbrachte, müsste Camila sich vormittags schon mal nur mit einem Kind plagen. Was mich unweigerlich zu der Frage brachte, welcher Arbeit Jetman nun eigentlich nachging. Allerdings hatte ich die berechtigte Befürchtung, dass die Frage danach eine entsprechende Gegenfrage auslösen würde, weshalb ich das Thema dann doch lieber vorerst umschipperte. Es würde ihm nicht gefallen, dass ein größenwahnsinniger Milliardär mich wieder mit einem Gewehr in der Hand durch die Welt schickte. Dürfte so ziemlich das Letzte sein, was er jetzt gerne aus meinem Mund hören wollte - oder überhaupt irgendwann, also schob ich das gerne noch so weit wie möglich hinaus. Jetman lachte jedenfalls leise im Anschluss an Aryanas Worte. "Babys sind nur süß, wenn sie schlafen... Cami's Worte, nicht meine.", zitierte er seine Frau, die damit in meinen Augen ziemlich richtig lag. Allein der Gedanke daran mich mit meiner Freundin um einen Säugling kümmern zu müssen, der uns alle paar Stunden die Ohren vollheulte, ließ mir beinahe einen Schauer den Rücken hinunter laufen. Es war also nicht schlimm, dass die Brünette neben mir genauso wenig an Nachwuchs dachte wie ich. Jetman zuckte leicht mit den Schultern. "Gebt euch mal noch ein paar Jahre, dann sieht das vielleicht anders aus.", meinte er. Ich war mir recht sicher damit, dass unser nicht existenter Kinderwunsch sich niemals wandeln würde. Unabhängig davon wäre es aber wirklich schön, wenn wir beide es irgendwann so weit bringen würden, dass wir auch nach außen wie ein gut eingespieltes und vor allem glückliches Team wirkten - eben weil wir auch wirklich glücklich miteinander waren. Wenn Easterlin uns nicht vorher auf einer Mission umbrachte, würden wir das bestimmt irgendwann schaffen. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als mir das einzureden - diese Aussicht war aktuell alles, wofür ich noch lebte. "Schon möglich.", war aber alles, was ich dazu sagte. Einfach weil ich inzwischen mit Sicherheit behaupten konnte, dass fast alles möglich war und sich über Jahre hinweg sehr Vieles sehr stark verändern konnte. Ich hoffte schlicht nur auf das Beste für Aryana und mich. Das Beste war nämlich das einzige, wofür sich so viele Jahre voll Blut und Folter zu ertragen lohnten. Bei ihrer Frage hob Jetman seine unverletzte Hand, um auf die sehr schlichte Armbanduhr knapp über dem Handgelenk zu sehen. "In zwei bis drei Stunden, denke ich. Sie stauben dann erst noch Kuchen ab, bevor die Party vorbei ist und es dauert immer ewig, bis die werten Hausfrauen sich von ihren Gesprächen lösen können.", beantwortete er Aryanas Frage, inklusive überflüssiger Information und dicht gefolgt von einer Gegenfrage. "Wieso? Kinderphobie?" Ich hatte meinen Arm um Aryana gelockert, als sie nach dem Glas griff und hob in der Zwischenzeit mein eigenes an, um weitere Schlucke zu machen. Ich selbst war nicht unbedingt scharf darauf, heute noch auf den Rest der Familie zu treffen. Es war vor unserer Abreise wahrscheinlich unumgänglich, aber ich musste nicht früher als nötig in die Gesichter sehen, die mit Pech dank mir ihren geschätzten Familienvater verloren hätten.
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Aryanas Lächeln wurde für einen Moment zu einem schwachen Grinsen, als Jetman seine Frau zitierte, die bezüglich Babys scheinbar ziemlich klare Worte fand. "Damit mag sie tatsächlich Recht haben - könnt ihr wohl etwas besser beurteilen als wir", meinte sie leicht ironisch, da Jetman und Camila hier schon in einer wesentlich kinderreicheren Gegend wohnten und durch Ellys Existenz auch sehr viel mehr Berührpunkte mit Babys und Kleinkindern haben dürften als sie. Sie hatten ja sonst eigentlich keine Freunde mit Nachwuchs und abgesehen von Josh hatte Aryana sich im letzten Jahr auch gefühlt nie mit einem Kind unterhalten oder beschäftigt. War also nicht gerade schwer, ihre Erfahrungswerte zu übertrumpfen. Jetman erntete einen etwas kritischen Blick ihrerseits, als er meinte, dass sie vielleicht doch plötzlich noch einen Kinderwunsch entwickelten. Daran glaubte sie eher nicht, aber gut... Ihre Zukunft stand bekanntlich allgemein in den Sternen, wer wusste schon, was sich da noch alles ergab. Die nächsten zwei bis drei Stunden konnten sie allerdings bereits ziemlich gut planen. Es war etwas ungünstig, dass sie sich nicht schon im Vorfeld mit Mitch über diese Eventualität unterhalten hatte, weil sie jetzt nur schwer abschätzen konnte, was er von ihrem Vorschlag hielt. Sie wollte ihm ja nicht in den Rücken fallen und ihn hier mit Jetman alleine lassen, wenn er sich damit noch nicht wohlfühlte oder sich nicht darauf hatte einstellen können. Vielleicht möchte er auch lieber eine Nacht drüber schlafen und das alles morgen klären. Vielleicht wäre es aber auch gar nicht schlecht, wenn sie sich für eineinhalb oder zwei Stunden verabschiedete, weil das ein nicht ganz so langer Zeitrahmen war, nach dem er dann erstmal alles sacken lassen konnte und morgen schon viel besser wusste, worauf er sich einzustellen hatte... Und der andere Vorteil einer solchen Unterhaltung wäre auch einfach, dass die Gespräche sicher lockerer wurden, wenn der Elefant aus dem Raum geräumt war. Die unterschwellige Anspannung, die noch anhielt, obwohl Jetman offenbar vorhatte, Mitch nochmal eine Chance zu gewähren und ihm erneut einen Platz in seinem Leben zu schenken, würde wahrscheinlich nicht verschwinden, wenn sie hier zu dritt übers Kinderkriegen und ihre Hobbys tratschten. Schwierig. Sie würde wohl nicht drum kommen, einfach kurz beide zu fragen, was sie davon hielten. "Schon, ja...", beantwortete sie zuerst mit einem schiefen Lächeln Jetmans Frage nach ihrer Kinderphobie. Vielleicht war Phobie übertrieben und tatsächlich würde sie seine Tochter eigentlich ganz gerne irgendwann kennenlernen. Aber war nicht so, als müsste sie dann gleich zwei Tage mit ihr verbringen - sofern die Kleine nicht wirklich ein absoluter Engel war und niemals nervte, aber das war fast unmöglich. "Aber das ist nicht der Grund, warum ich gefragt habe", fuhr sie dann fort, liess ihren Blick zu Mitch schweifen. "Ich dachte, dass ich auch einen kleinen Spaziergang machen könnte, so für ein bis zwei Stunden... Falls ihr gerne unter vier Augen reden möchtet. Muss natürlich nicht sein und von mir aus können wir uns auch noch etwas länger unterhalten und das andere auf Morgen oder so verschieben. War nur ein Gedanke", sie zuckte leicht mit den Schultern, war sich noch immer nicht ganz sicher, ob sie das wirklich hätte aussprechen sollen. Aber Mitch würde hoffentlich sagen, wenn er sich dabei jetzt nicht wohlfühlte. Er war ja schon länger kein kleiner Junge ohne Selbstbestimmung mehr... Genau wie Jetman auch nicht.
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Meine Gedanken schweiften ein weiteres Mal flüchtig zu Josh, als Aryana die Kinderphobie bejahte. Wir waren am Tag seiner Rettung wohl beide nicht gerade wie professionelle Eltern mit ihm umgegangen, aber er wäre trotzdem lieber bei uns geblieben, als zurück ins Heim zu gehen. Ich fühlte mich unmittelbar ein weiteres Mal schuldig, weil ich mein Versprechen ihm gegenüber gebrochen hatte. So, wie ich auch das eine oder andere Versprechen Jetman gegenüber in den Sand gesetzt und sein Vertrauen missbraucht hatte. Es wäre also gut für alle Beteiligten, wenn möglichst zeitnah eine finale Aussprache erfolgte und mein einst bester Freund mir ungeschönt an den Kopf schmeißen konnte, was er in diesem Augenblick alles zurückhielt. Ich wusste, dass er mich wahrscheinlich auch länger hätte schmoren lassen, wenn ich alleine auf seiner Türschwelle gestanden hätte. Er schonte hier gerade meine Begleitung und auch mein Ego, weil er wusste, wie groß und gleichzeitig empfindlich das früher gewesen war - mich zum explodieren zu kriegen war immer leicht gewesen und er wollte hier vielleicht einfach keine Vollkatastrophe vom Zaun brechen, solange die Brünette anwesend war. Aryana war im Grunde gerade wie der Zünder an einer Granate. Solange sie noch an Ort und Stelle saß, war es sicher für mich. Ich zögerte also einen Moment lang, als sie ihr Vorhaben - oder viel mehr ihren Vorschlag - ausgesprochen hatte. Denn mein erster Instinkt war es natürlich der potenziell ungemütlichen Situation auszuweichen. Das war das, was ich seit jeher immer dann tat, wenn es eine taugliche Möglichkeit dazu gab und sie stellte mich vor die Wahl. Es war vermutlich einzig dem Verhaltenstraining der letzten Wochen geschuldet, dass ich nicht sofort die Vermeidungstechnik anwendete, sondern zuerst darüber nachdachte. Denn es würde auch morgen nicht leichter sein als heute. Ich konnte mich nicht wirklich auf so ein Gespräch vorbereiten. Nicht mehr, als ich es schon getan hatte. Ich hatte keine Ahnung davon, was Jetman unter vier Augen noch alles auspacken und sagen würde. Weder heute, noch morgen. Ich hatte zwei, drei Sekunden lang nichts gesagt, hatte aber auch den Blick nicht von Aryanas Gesicht genommen und es war wahrscheinlich gut sichtbar, dass mein Hirn kurzzeitig Purzelbäume geschlagen hatte. Jetmans Blick lag ebenfalls spürbar auf mir, als ich nickte. "Geh ruhig...", antwortete ich eher knapp und nahm daraufhin langsam den Arm von ihr. "Ja, ist 'ne gute Idee.", bestärkte mich der Hausherr, was ich nicht anders erwartet hatte. "Wenn du nach rechts die Straße runtergehst, ist am Ende ein Rundweg ausgeschildert, der hinter den Häusern verläuft. Falls dir mehr nach Natur als nach Beton ist, würd ich das empfehlen. Man kommt quasi vorne am anderen Ende der Straße wieder raus. Das kurze Stück durch den Wald könnte aber matschig sein, es hat gestern geregnet... die Grannys der Nachbarschaft freuen sich aber bestimmt auch, wenn mal ein neues Gesicht am Vorgarten vorbeiläuft.", gab er ganz den ortskundigen Fremdenführer. Er sah jetzt schon so aus, als könnte er es kaum erwarten, dass die Brünette zur Tür raus war, wie ich mit einem kurzen Blick in seine Richtung feststellte. Es war dezent, aber ich kannte dieses unterschwellige, aufgekratzte Funkeln in seinen Augen noch allzu gut von früher. Deshalb beugte ich mich noch einmal zu Aryana rüber und strich mit der Hand ihr Haar beiseite, um ihr ohne an der Nase kitzelnde Strähnen ins Ohr flüstern zu können. "Aber lass mich nicht zu lang allein, ich glaub' sonst lässt er nichts mehr von mir übrig." Ich besiegelte die Worte noch mit einem flüchtigen Kuss an ihrer Wange. War natürlich wieder nicht ganz ernst gemeint, aber ehrlicherweise graute es mir in diesem Augenblick einfach ziemlich davor, zwei ganze Stunden mit Jetman allein zu sein. Letztes Mal hatte mein chronisches vor Gesprächen weglaufen allerdings beinahe Aryanas und auch mein Leben gekostet, also würde ich das jetzt einfach runterschlucken. Aus Fehlern zu lernen war selten angenehm und was waren zwei Stunden Folter gegen eine langanhaltende, gute Freundschaft..?
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Wie sie erwartet hatte, war es nicht gerade Begeisterung, die ihr von Seiten ihres Freundes entgegensprühte, kaum hatte sie den Vorschlag geäussert. Aber er schien auch zu erkennen, dass es nicht wirklich einen positiven Unterschied machte, mit dem Einzelgespräch bis morgen zu warten. Damit willigte er nach kurzer Bedenkzeit auch ein, genau wie Jetman. Aber von Letzterem hatte sie kaum was anderes erwartet, tat sie es nicht zuletzt ihm zuliebe. Damit er ungeschönt loswerden konnte, was ihm sonst noch so auf die Seele drückte. Aryana lauschte Jetmans Beschreibung seiner Nachbarschaft und nickte daraufhin mit einem schwachen Lächeln, das Einzig der Erwähnung der Grannys zu Verschulden war. Würde sie sich wohl mal mit alten Frauen anfreunden gehen, wenn das hier zum Hausfrieden beitrug. Sie fand den Gedanken an einen entspannten Spaziergang in der Natur einer ihr unbekannten Gegend gerade ebenfalls ganz reizend, weil sie die Ruhe gut brauchen konnte. Ein bisschen Zeit zum Nachdenken und Alleinsein... Beine vertreten nach der Reise war auch nicht verkehrt. Seine Worte liessen sie nochmal lächeln und sie schüttelte etwas den Kopf, als möchte sie ihm damit bedeuten, dass es hoffentlich kaum so schlimm werden würde. Jetman war zwar vielleicht noch immer unterschwellig schlecht gelaunt, aber er würde sich davor hüten, ihrem Freund gleich wirklich den Kopf abzureissen. Sonst hätte er sich bis gerade eben nicht relativ locker mit ihnen unterhalten. Ausserdem hätte er dann nämlich ein dezentes Problem mit ihr und das unterschätzte man erfahrungsgemäss lieber nicht. "Mach ich nicht", versicherte sie Mitch trotzdem, streichelte mit ihrer Hand nochmal zärtlich über seinen Oberschenkel, bevor sie sich erhob und nochmal Jetman zuwandte. "Ich brauch ihn aber hinterher noch, okay? Und bitte nicht mit total zerstörter Laune. Bin dann nämlich ich, die sich heute Abend das Bett mit ihm teilt", bat sie den ehemaligen Soldaten, wobei eine dezente Prise Wahrheit in ihren Worten mitschwang. Es wäre schon irgendwie schön, wenn sie auf dem Trip auch abgesehen von der erfolgreichen Wiedervereinigung mit Jetman ein paar positive Erinnerungen schaffen könnten. Und wenns nur ein gemütliches Abendessen in einem kleinen Restaurant oder ein Picknick mit Meerblick wäre, sie wüsste alles davon tausendfach zu schätzen. Nach einem letzten kritischen Blick zu den beiden Herren, wandte sie sich schliesslich ganz ab, um den Weg zur Wohnungstür zu suchen und sich damit vorübergehend aus dem Staub zu machen. Genau wie von Jetman angewiesen, fand sie draussen auch den Weg durchs Quartier zum versprochenen Rundweg, der an diesem eigentlich sehr durchschnittlichen Nachmittag ganz ruhig dalag. Das war gut, denn hätten hier jetzt zwanzig Schulkinder oder vier Familien ihr Freizeitprogramm gefunden, hätte sie wohl eine andere Idee suchen müssen und umgekehrt. Aber der Weg lag friedlich da und sie hatte keine Eile, einmal rumzukommen. Dadurch dauerte das auch an die 1.5 Stunden, bis sie wieder am Ausgangspunkt angelangte. Und bis zum Haus der kleinen Familie zurück noch ein paar Minuten länger. Sie lauschte einen Moment, als sie an der Haustür angekommen war, aber es waren keine schreienden Stimmen zu hören. Oder ein Gerangel oder weiss Gott was sie zu hören erwartet hatte. Also drückte sie nach einem letzten Mal durchatmen die Klingel, um ihre Rückkehr anzukünden - gespannt auf das, was sie drinnen erwarten würde und worauf sich die einstigen besten Freunde in der Zwischenzeit geeinigt hatten. Falls sie auf ein Ergebnis gekommen waren. Und vorausgesetzt, Mitch war noch da und hatte nicht notfallmässig oder gezwungenermassen das Weite gesucht.
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Ich wusste nicht inwiefern Jetman sich Aryanas Worte zum Abschluss tatsächlich zu Herzen nehmen wollte, aber er nickte sie den kurzen Blickwechsel begleitend ab. Ich warf der Brünetten noch ein etwas beunruhigtes Lächeln zu, als sie sich zum Gehen wandte und wenig später fiel die Haustür hörbar ins Schloss. Im gleichen Moment machte ich mein Wasserglas leer und stellte es bei Seite. In der nächsten Stunde hielt Jetman einige Fragen parat. Vorher begann er aber damit, dass er mir nochmal lang und breit - inklusive Fluchen und verhältnismäßig milden Beleidigungen meiner Person - erzählte, wie wütend er war, was ich in seinen Augen alles falsch gemacht hatte, dass ich ihn unzählige Male belogen und stellenweise auch ausgenutzt hatte. Ich konnte nichts davon leugnen oder widerlegen. Als er damit dann fertig war und ich mich am liebsten schon in Luft aufgelöst hätte, sollte ich ihm detailliert schildern, was ich damals getan hatte. Von diesem Wissen konnte er sich zwar nichts kaufen, aber die Unwissenheit darüber schien er nicht ertragen zu können. Es fühlte sich fast an wie damals vor dem Militärgericht - er sah genauso kühl in meine Richtung wie der Richter, während ich sprach. Dann wollte er wissen, wieso ich aufgehört hatte. Ich ließ Fayes Namen dabei nicht fallen, sondern sagte ihm nur, dass meine Informationsbeschaffung aufgeflogen war, wann das etwa gewesen war und dass von da an nie wieder ein Wort nach draußen gegangen war. Weiter fragte er, ob es sonst noch irgendwas gab, für das ich verknackt werden könnte, und ich nickte - sagte aber auch, dass es unmöglich war, das jetzt noch zu beweisen und dass es nicht mit dem Tod Unschuldiger einhergegangen war. Warren war schließlich alles andere als grundlos gestorben. Dass Easterlin mich jederzeit wieder einbuchten könnte, sagte ich nicht. Jetmans Miene war auch so schon durchweg düster, bevor wir anfingen flüchtig meinen Aufenthalt im Knast durchzugehen. Danach meine Entlassung und mit den Infos, die ich ihm dazu gab, war er nicht wirklich zufrieden. Ich begrub sein Nachhaken nämlich damit, dass ich zum Schutz meines Kautionzahlers nicht darüber reden durfte - das war nicht gelogen, schließlich stand das so in einer der unzähligen Vertragsklauseln in Verbindung mit meiner Entlassung und der Arbeit bei Easterlin. Das war nicht anders als bei der Army und vielleicht war es gerade das, was Jetman absolut skeptisch werden ließ. Ich wusste, dass er nichts, was ich ihm hier unter vier Augen sagte, seinen Mund je gegenüber Außenstehenden wieder verlassen würde, aber darum ging es in diesem Punkt auch nicht. Er wechselte sichtbar unzufrieden mit meiner Abspeisung in die Gegenwart, während ich ihm in die Küche folgte. "Gehst du wenigstens zur Therapie?", fragte er plump, was ich mit einem schwachen Kopfschütteln beantwortete. "Wieso nicht?" Tja... ich hatte kein wirklich gutes Argument dafür, außer schlechte Erfahrungswerte. Er holte zwei Bier aus dem Kühlschrank. "Das ist meine Bedingung.", meinte er, als er die Bierdosen auf der Insel in der Mitte der Küche abstellte. Ich sah ihn fragend an. "Dass du zur Therapie gehst. Ich weiß, dass du eigentlich kein schlechter Mensch bist, Mitch, sonst hätte ich dich nicht herkommen lassen... aber der Knacks in deinem Schädel verschwindet nicht einfach so. Wenn du Kontakt zu mir hast, dann hast du auch Kontakt zu meiner Familie und die ist mir heilig. Du wirst also aktiv was dafür tun müssen, dass dir der Sturschädel nicht mehr von den Schultern rutscht. Ich will dir nicht nochmal dabei zusehen, wie du dein Leben an die Wand fährst. Andernfalls wird das hier ein Abschiedsbier." Er unterstrich seine Worte mit einem Nicken in Richtung der Bierdosen vor sich und mein Blick blieb von der anderen Seite der Kücheninsel aus auf dem Alkohol hängen. Mit einem leisen Seufzen rieb ich mir kurz darauf nach vorne auf die Theke gestützt übers Gesicht. "Wenn du nicht zur Einzeltherapie willst, dann für den Anfang wenigstens zu einer Selbsthilfegruppe für Veterane... das ist übrigens auch eine sehr gute Adresse, um Gleichgesinnte in deiner Umgebung zu finden. Zwischen ein paar Patrioten findest du da auch immer welche, die am liebsten das Pentagon anzünden würden.", schlug er mir eine weitere Option vor. Ich ließ die Hand nur allmählich von meinem Gesicht rutschen und rieb vorher noch einmal energisch auf und ab. Ich hatte nichts dabei zu verlieren es mit einer Therapie zu versuchen, aber in mir sträubte sich nach wie vor Alles dagegen. "Na schön, ich werd's versuchen...", ließ ich mich zermürbt breitschlagen. Aber nicht nur, weil ich meinen besten Freund andernfalls heute zum letzten Mal gesehen hätte. Aryana hatte mir das schon nahegelegt. Faye ebenfalls. Ungefähr alle Menschen, denen etwas an meinem Leben lag. "Gut. Das war alles, was ich heute noch hören wollte.", lächelte er zufrieden und schob mir die Dose mit einem Schubs über die Theke zu. Wir knackten die Deckel fast gleichzeitig. "Dann darauf, dass du nur besser werden kannst", ich rollte bei diesen Worten flüchtig mit den Augen, "auf unsere Freundschaft... und darauf, dass du dir unsere Vorgesetzte geangelt hast. Ich meine..." Er beendete seinen Toast mit einem anerkennenden Nicken und entlockte mir beim Anheben der Dose damit zumindest den Ansatz eines Grinsens, auch wenn es noch ziemlich gedrückt wirkte. Wir unterhielten uns danach noch eine Weile im Wohnzimmer über unsere Frauen und über Gott und die Welt, was stimmungsmäßig schon eher einem unserer früheren Gespräche nahe kam. Die etwas unheilvolle Wolke, welche die ganze Zeit über meinem Kopf gehangen hatte, schien sich allmählich zu verziehen. Dementsprechend etwas lockerer war die Stimmung auch wieder, als das Klingeln Aryanas Rückkehr ankündigte. Mit einem "Ich mach auf." erhob ich mich vom Sofa und steuerte den Weg zur Haustür an. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf die Uhr nahe der Garderobe, bevor ich der Brünetten die Tür öffnete. Theoretisch müsste unser Zimmer zum Check In bereit sein und ich war nicht scharf darauf, heute noch dem Kind über den Weg zu laufen. Das Gespräch mit Jetman war anstrengend genug gewesen. Ich trat dennoch beiseite, um Aryana erstmal reinzulassen. "Taxi rufen und los..?", fragte ich sie, als ich die Haustür hinter ihr zuschob. Ich klang relativ entspannt. "Das Kind vermeiden, du weißt schon."
◈ It's so hard to forget pain, but it's even harder to remember sweetness. We have no scar to show for happiness. ◈