Ich war mir sehr sicher, dass die ganze Sache das Lächeln, das Sydney kurz nachdem ich wieder angefahren war auf ihren Lippen trug, einfach nicht wert war. Jetzt lächelte sie noch und klammerte sich vielleicht auch noch gutgläubig an den Gedanken, dass ihr mit Noah jetzt eine schöne Zeit bevorstand. Wahrscheinlich würde ihr das Leben mit dem Kleinen tatsächlich weiterhin gute Laune bescheren, auch wenn es nicht einfach war. Trotzdem war ich mir sicher damit, dass es mindestens genauso oft Momente geben würde, in denen sie es bereuen und deswegen weinen würde. Sich Vorwürfe machen würde, den Jungen in unsere Art von Leben mit hineingezogen zu haben, obwohl sie ihm gar nichts Böses damit gewollt hatte. Genau deswegen konnte ich den Dank auch nicht wirklich annehmen. Ich konnte schon riechen, wie sie mich irgendwann mal fragen würde, warum ich sie damals nicht davon abgehalten hatte Noah mit nach Kuba zu nehmen. Mir das am Ende noch indirekt vorwerfen würde - nicht aus Bosheit, sondern aus Verzweiflung. Ich war Niemand, der immer alles gleich absolut persönlich nahm, aber ich fürchtete schon jetzt, dass das Leben mit Sydneys Sohn unsere Beziehung zueinander öfter als nur einmal auf die Probe stellen würde. Natürlich war auch die Beziehung zu meiner früheren Frau nicht immer nur rosig gewesen und es hatte weit mehr als einmal Streit gegeben, weil ich einer Arbeit nachgegangen war, die mehr als nur gefährlich für die Familie war. Die sie letzten Endes das Leben gekostet hatte und dennoch hatte sie bis zur letzten Minute zu mir gehalten. Ich wollte das alles nicht noch einmal erleben und hätte deshalb beinahe wieder umgedreht. Umklammerte das Lenkrad ziemlich krampfhaft mit der linken Hand, während ich die rechte am Schaltknüppel ließ und immer wieder unruhig mit den Fingern darauf herumtippte. "Dank mir nicht zu früh... und halt' seinen Kopf unten." Das war alles, was ich dazu vollkommen emotionslos sagte. Ich müsste nämlich eigentlich weit schlauer sein und Noah hierlassen. Sydney vor dieser Dummheit bewahren, die zweifellos ein Fehler war. Aber ich war nicht perfekt. Menschen waren nicht perfekt. Also fuhr ich weiter, ohne dass sich die innere Unruhe zu legen vermochte. Es gäbe in diesem Moment eigentlich unheimlich viel zu sagen, aber ich schwieg volle zwei Stunden lang, während ich den Wagen auf einem Highway Richtung Kanada in der Spur hielt. Erst dann lenkte ich das Auto auf eine Raststätte mit Tankstelle an der Autobahn, weil die Tanknadel in der Armatur langsam zur Eile aufrief und wir ohne Sprit nicht mehr weit gekommen wären. "Kopf unten lassen und hierbleiben.", ließ ich nur eine knappe Anweisung verlauten, kurz bevor ich den Wagen an die Zapfsäule fuhr. Tankstellen waren grundsätzlich videoüberwacht, falls sich Jemand dazu entscheiden wollte zu tanken ohne zu bezahlen oder den Spritversorger auszurauben. Deshalb blieben meine Kapuze und meine Sonnenbrille auch in Position, während ich den Tank volllaufen ließ und danach zum Bezahlen reinging. Tankstellenpreise waren der blanke Wahnsinn, aber ich nahm zumindest zwei Flaschen Wasser und was zum Knabbern mit, damit mir der Bengel auf dem Rücksitz bis zum Motel nicht anfing zu jammern, weil er Hunger hatte. Wir würden noch eine ganze Weile auf der Mehrspurigen bleiben und ich würde nicht extra noch einmal anhalten, um ihm was zu Essen zu holen. Mir war ja nicht mal wohl damit diese Nacht über noch in den Staaten zu bleiben, würde ich doch am liebsten bis nach Vancouver durchfahren und dort ohne Umschweife in den Flieger steigen. Leider war das aber nicht möglich, also würden wir uns im Motel einfach irgendwas zu essen liefern lassen. Bis dahin mussten nicht unbedingt gesunde Chips und ein paar Waffeln ausreichen. Nachdem ich alles bezahlt hatte ging ich zügigen Schrittes zurück zum Wagen und reichte eine Flasche, sowie das Knabberzeug nach hinten durch. Die andere Flasche ließ ich vorne bei mir und nahm ein paar wenige Schlucke, bevor ich weiterfuhr. Weiterhin schweigend wohlgemerkt. Es gab schlichtweg nichts zu sagen, was für die Kinderohren auf dem Rücksitz bestimmt war. Zwar nickte der Kleine irgendwann ein, aber das klärende Gespräch zwischen Sydney und mir würde warten müssen, bis irgendwann eine Wand zwischen dem Kind und uns beiden war. Ich machte drei Kreuze, als wir es zumindest schonmal bis zum Motel geschafft hatten. Es dämmerte bereits, was uns beim Aussteigen nur zu Gute kommen konnte. Zwar war es an und für sich unwahrscheinlich, dass wir nun ausgerechnet hier noch von den Cops gefunden und aufgegabelt wurden, aber unmöglich wars nicht. Ich warf Sydney nur einen kurzen Blick über den Rand der Sonnenbrille hinweg durch den Rückspiegel zu, bevor ich ausstieg, um die Schlüssel holen zu gehen. Wahrscheinlich kam mir das nur so vor, aber es fühlte sich so an, als würde der zugekiffte Jugendliche am Tresen alles in Zeitlupe abwickeln. Ich dankte ihm dennoch für den Schlüssel, nachdem ich bezahlt hatte und ging dann wieder nach draußen zum Wagen, um die Reisetasche aus dem Kofferraum zu holen. Ich nahm Noahs Rucksack ebenfalls mit - nur für den Fall, dass da irgendein Kuscheltier oder was auch immer drin war, das er gerne bei sich hatte. Sein Schulzeug brauchen würde er jetzt schließlich nicht. Ich musterte sowohl Sydney, als auch den Kleinen einmal kurz, bevor ich mit den beiden zum Zimmer auf der Rückseite des Gebäudes aufbrach. Es war leicht durch einen offenen, mittigen Durchgang im Erdgeschoss erreichbar und so schob ich schon bald die Tür zu unserer Bleibe auf. Das Motel war in jedem Fall etwas sauberer und ordentlicher als das vorherige, was allerdings mit meine geringste Sorge war, als ich das Gepäck nahe eines kleinen Tisches abstellte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es tat mir einerseits natürlich unglaublich leid, Sabins Gutmütigkeit - die sich eigentlich nur darauf beschränkt hatte, mir eine Reise in die Staaten zu ermöglichen, um einen Strich unter meiner Vergangenheit ziehen zu können - mit der Kindesentführung zu meinen Gunsten auszunutzen, andererseits konnte und wollte ich wohl gerade einfach nicht verstehen, warum es für ihn gerade ein solches Problem darstellte. Er hatte schließlich schon mehrere Menschen auf dem Gewissen, was machte die eine Straftat mehr oder weniger da schon aus? Sollte er wider Erwarten irgendwann einmal gefasst werden, dann wäre die Entführung eines Kindes vermutlich nicht das erste Vergehen, was man ihm zur Last legen würde. Dass es ihm gerade aber auch viel weniger um die Entführung als solche ging und vielmehr um die Konsequenzen, die uns auf Kuba mit einem Kind erwarten würden, wollte ich vermutlich genauso wenig verstehen, wie die emotionslose Ansage seinerseits, die mir nur ein leises Seufzen entlockte. Die darauffolgende Zeit im Auto verbrachten wir bis zur Tankstelle stillschweigend, was ich sowohl mit einem lachenden, als auch einem weinenden Auge hinnahm. Ich war froh, dass wir nicht weiter darüber diskutierten, wie dumm diese Idee eigentlich war und was alles noch so schiefgehen könnte, aber andererseits hätte ich mir so ein kleines bisschen Ablenkung dann doch gewünscht. Denn auch wenn ich der festen Überzeugung war, das Richtige getan, mich für meinen Sohn entschieden zu haben, plagten mich schon jetzt erste Gewissensbisse, die ich gerne in einer zwanglosen Unterhaltung ertränkt hätte. Aber gut, wenn Sabin im Augenblick nicht mit mir reden wollte, dann musste ich das wohl akzeptieren und den inneren Kampf mit mir selbst alleine austragen. Noah immer wieder mal ein bisschen durchs Haar zu streichen und zu lächeln, wenn er sich neben mir regte, half mir dabei und letztlich war auch ich beinahe eingeknickt, als der Italiener für einen Zwischenstopp an einer Tankstelle anhielt. Auf seine Aufforderung, den Kopf unten zu halten und hierzubleiben, nickte ich nur müde. War schließlich nicht so, als hätte ich jetzt spontan den unbändigen Drang dazu entwickelt, mit meinem Sohn durch die Prärie zu streunen, so ganz ohne Essen, Wasser oder auch nur den Hauch einer Ahnung, wohin wir eigentlich liefen. Auch wenn Sabin mich für die Aktion gedanklich vielleicht gerne in die Wüste geschickt hätte, blieb ich - und damit auch mein Sprössling -, wo ich war und wartete geduldig darauf, bis der ehemalige Familienvater zurück ins Auto stieg, um uns mit Wasser und Junkfood zu versorgen. Dann ging es weiter in Richtung des Motels und ich war heilfroh, als wir dort endlich angekommen waren. Irgendwie erschien mir die Rückfahrt um einiges länger gewesen zu sein, aber das bildete ich mir vermutlich nur ein. Jedenfalls war mein Arm inzwischen sicher schon seit einer Stunde eingeschlafen, weil Noah diesen unglücklich um sich geschlungen hatte - ich es aber auch nicht über das Herz brachte, ihn einfach wegzuziehen - und deshalb kam es mir ganz gelegen, dass es endlich an der Zeit war auszusteigen. Auch ein Bett sehnte ich mir nach dieser Achterbahnfahrt der Gefühle herbei, hatte mich die spontane Entführung meines Sohnes irgendwie ziemlich geschlaucht. Ein sehr eindeutiges Zeichen dafür, dass ich für ein actiongeladenes Leben schlichtweg zu alt wurde. Was die Nacht im Motel anging, war sie irgendwie... anders. Es fühlte sich komisch an, dass da plötzlich nicht mehr nur Sabin war, der neben mir im Bett lag, sondern auf der anderen Seite eben auch Noah. Nicht, dass ich es als unangenehm betiteln würde, es war vielmehr... ich war das einfach nicht mehr gewohnt. Hatte viel zu lange ohne meinen Sohn die Nächte verbracht und weil ich natürlich auch ein Stück weit Angst hatte, die Cops würden uns hier am Arsch der Welt doch irgendwie finden, verlief die Nacht genauso wie die letzte für mich nicht unbedingt ruhig. Ich wachte immer wieder auf, nur um mich abzusichern, dass sowohl der Italiener, als auch mein Nachwuchs noch da waren, ehe ich für ein paar weitere Stunden die Augen schloss. Bis irgendwann schließlich Sabins Wecker klingelte, der den Endspurt in Richtung neues Zuhause einläutete. Nach dem fünfminütigen Wachwerden und einer flüchtigen Morgenhygiene war es an der Zeit, nach Kanada aufzubrechen und der kurze Zwischenstopp an einem Bäcker für ein kleines Frühstück machte auch recht deutlich, wie dringend es war, dass wir von hier verschwanden. Über einen kleinen Fernseher wurde nämlich bereits von Noahs Verschwinden berichtet und es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis wir ihn nicht mehr überall hätten verstecken und von Kameras fernhalten können. Außerdem wäre er auf kurz oder lang auf solche Nachrichten aufmerksam geworden und hätte mich sicher darauf angesprochen. Ja, er war noch ein Kind, aber sicherlich nicht ganz so blöd, wie manch anderer es in seinem Alter war. Ich machte also erneut drei Kreuze, als wir es ohne große Zwischenfälle tatsächlich über die Landesgrenze geschafft hatten und wenig später am Landeplatz ankamen, wo das von Vahagn zur Verfügung gestellte Flugzeug bereits auf uns wartete. Ich war gerade dabei, mit Noah auf dem Arm und seinem Rucksack in der Hand in den Flieger einzusteigen, als mich einer der russischen Männer am Einsteigen hinderte. In einem recht schlechten Englisch forderte er mich dazu auf, meinen kleinen Sohn gefälligst hierzulassen und es brauchte eine kurze, aber lautstarke Auseinandersetzung - in der ich ihm versicherte, dass ich für alle durch die Mitreise Noahs entstehenden Probleme geradestehen würde -, ehe ich mit meinem Spross endlich passieren durfte. Über den Wolken schien ich dann zum ersten Mal, seit wir uns auf den Weg in die Staaten gemacht hatten, wieder so richtig zur Ruhe zu kommen und all das, was ich in den letzten Tagen nicht geschlafen hatte, wollte mein Körper nun wohl nachholen. In der Anfangszeit war ich zwar noch verhältnismäßig wach gewesen, weil ich ganz einfach ein Auge auf meinen Sohn haben wollte, der, sobald es laut der Besatzung erlaubt war, von seinem Sitz aufgesprungen und durch den schmalen Gang des Fliegers gerannt war. Sowohl Sabin, als auch der Mannschaft immer mal wieder einen Besuch abstattete, aber nachdem ich mir sicher war, dass ihm nichts passieren würde, raffte mich die Müdigkeit irgendwann dann doch endgültig dahin und ich wachte erst wenige Stunden vor Landeanflug wieder auf.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich versuchte wirklich mir zumindest während des Abendessens, das mangels Optionen nicht mehr als eine schlichte Pizzalieferung war, nichts anmerken zu lassen. Noah zuliebe, aber es fiel mir schwer die Anspannung einfach fallen zu lassen. Er war eben auch nicht blöd und wusste, dass irgendwas nicht stimmte, aber ich konnte mir nicht helfen. Verbrachte auch die Nacht im Bett verglichen mit der gestrigen wirklich beschissen. Wachte ständig auf, weil meine Paranoia mich einfach nicht schlafen lassen wollte. Mir auch den einen oder anderen Alptraum vorbeischickte, damit ich die Augen ja nicht zu lange zumachte. Dementsprechend anstrengend empfand ich auch die letzten Kilometer bis nach Vancouver zum Flugplatz am nächsten Tag. Ich konnte erst ein wenig durchatmen als ich Sydney, Noah und mich selbst sicher über den Wolken wusste. Ich mir sicher damit sein konnte, dass Niemand gleich eine Tür eintreten und das Kind wieder nach Hause bringen würde, nur um die beiden verantwortlichen Erwachsenen in Zellen zu stecken. Wovor ich in diesem Moment am meisten Angst haben musste, war wahrscheinlich eine wütende Vahagn, die uns auf Kuba bereits erwarten würde. Es war nicht davon auszugehen, dass die Flugzeugbesatzung ihr bis zu unserer Ankunft noch nichts davon erzählt haben würde, dass wir einen blinden Passagier mit eingeschleust hatten. Es war schließlich deren Pflicht ihre Chefin auf dem Laufenden zu halten und sie über mögliche Probleme in Kenntnis zu setzen. Mit der Russin fertig zu werden sah ich allerdings mit als kleinstes Problem an der ganzen Geschichte. Zwar bereitete ich mich mental auf eine ungute Auseinandersetzung vor, aber sie zu besänftigen dürfte mit Geld nicht so schwer sein. Es war ja nicht so, als würden wir - oder mehr Sydney - nicht für Noahs Mitreise aufkommen. Zwar würde Hunter die Russin mit Sicherheit mitverantwortlich dafür machen den Jungen mit ins Land geschmuggelt zu haben, aber sein eigentlicher Zorn galt ziemlich sicher weit mehr Sydney und mir. Vahagn hatte Noahs Einreise schließlich nie zugestimmt. Der Amerikaner hingegen war im Gegensatz zu ihr leider absolut unberechenbar und ich würde mich zu keiner Zeit darauf verlassen, dass er bei Kindern vielleicht ausnahmsweise ein gutes Herz - oder zumindest einen Bruchteil davon - hatte und deswegen Halt vor Noah machen würde. An und für sich war es ja ohnehin immer von seiner aktuellen Laune abhängig, wie sehr er austickte und über die Stränge schlug. Im besten Fall würde er also an einem guten Tag davon erfahren und mit Glück ließ er sich dann irgendwie besänftigen. Geld war da eher keine Option - noch mehr Schulden kamen nicht in Frage und außerdem hatte er davon für meine Begriffe langsam auch wirklich genug -, also würde ich mir bis dahin wohl Gedanken darüber machen müssen, wie man ihm diese Angelegenheit etwas weniger gravierend verpacken konnte. Bis dahin galt es Noah am besten etwas unter Verschluss zu halten und auf keinen Fall zu riskieren, dass der Amerikaner ihn sah. Der Kleine entlockte mir trotz aller Umstände den Flug über doch zwei oder drei Mal ein flüchtiges Lächeln, wenn er zu mir kam. Er schien einfach ein gut erzogenes, lebensfrohes Kind zu sein und ich freute mich darüber, dass er mich nach winzigen Startschwierigkeiten zu mögen schien. Immerhin war das ein guter Grundstein dafür künftig die Vaterrolle für ihn einzunehmen. Ich zweifelte nicht daran, dass ich das hinkriegen würde - war aber auch nicht so als hätte ich jetzt noch eine Wahl, die hatte ich schon in den Staaten getroffen. Dafür häuften sich die Zweifel und Sorgen möglicher Konsequenzen ins Unendliche, hatte ich während des Fluges doch viel zu viel Zeit um nachdenken. Genug Schlaf bekam ich nämlich auch währenddessen nicht, schlief nur stundenweise. Ich atmete tief durch, als ich aus einem Nickerchen im Flieger aufwachte und kurz darauf die Ansage kam, dass wir gleich landen würden. Die runtergeklappte Rückenlehne wurde von mir wieder aufgerichtet und ich begann mich recht ausgiebig zu strecken. Als hätte mir das wirklich die Nackenschmerzen und die verspannten Schultern lindern können. Ich fühlte mich so alt wie schon lange nicht mehr, als ich mich aus dem Sitz erhob und mir die Reisetasche schnappte. Meine Füße trugen mich direkt hinter Sydney, die Noah an ihrer Hand mitnahm, schließlich nach draußen und ich bezog sofort zur anderen Seite des Kindes meinen Posten, als wir die Treppe hinter uns gelassen hatten und zurück auf festem Boden waren. Vahagn rückte in mein Sichtfeld und ihr Gesichtsausdruck hatte zweifelsfrei schonmal weniger angepisst ausgesehen. Ich verfluchte schon bevor wir bei ihr angekommen waren, dass ich gefühlt der Einzige nicht hitzköpfige in unserem Bunde war. Meine Gesichtszüge blieben jedoch neutral, als ich ihr den Einstieg ins Gespräch vorweg nahm. "Bevor du irgendwas dazu sagst - nein, das war so nicht geplant und wir wollten dich nicht über den Tisch ziehen oder sonst irgendwas. Du kriegst deine finanzielle Entschädigung. Wenn's sein muss auch ein paar Scheine extra, damit du Hunter nichts erzählst. Das werde ich selbst machen, wenn der richtige Zeitpunkt da ist.", hisste ich gleich die weiße Flagge, weil ich gerade eigentlich auch gar keine Nerven dazu hatte mich mit Vahagn auseinanderzusetzen. Natürlich konnte Geld nur bedingt wiedergutmachen, dass wir mit Noah einen nicht zu geringen Gefahrenfaktor ins Land gebracht hatten. Trotzdem machte Geld Vieles erträglicher und wir konnten die Russin auch schlichtweg auf keine andere Art entschädigen oder beschwichtigen. Außerdem war es wichtig, dass sie dem Choleriker noch nichts von Noahs Anwesenheit steckte. Wenn das sicher war, dann hieß es wohl Tauren aus dem Bett zu klingeln, falls er noch nicht wach war. Es kam nämlich absolut nicht in Frage den Jungen mit in die WG aus gewalttätigen Verbrechern zu nehmen.
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Wenn ich ehrlich sein sollte, dann gab mir inzwischen wirklich jeder hier auf dieser Insel - und darüber hinaus - das Gefühl, ich wäre der neue Depp vom Dienst. Erst tanzten Iljah und seine blöde Freundin mir fast täglich auf der Nase herum und jetzt sprangen auch noch Sabin und Sydney auf diesen Zug auf. Als nächstes fing dann Richard an, meine Autorität zu untergraben und wenn irgendwann auch Samuele noch der Meinung war, mich verarschen zu müssen, könnte ich hier meine Koffer packen. Ich stellte mir inzwischen wirklich oft die Frage, womit ich denn bitteschön den Eindruck erweckt hatte, dass man sich einfach über meine Anweisungen hinwegsetzen konnte, ohne, dass das nachfolgende Konsequenzen haben würde. Zum einen würde ich mit dem jungen Mann, der Sydney mit ihrem Sohn das Flugzeug hatte betreten lassen, ein Gespräch führen, um ihn zu fragen, was an der Anweisung, niemand Geringeres als die beiden zu laden - und mich erst dann darüber in Kenntnis zu setzen, wenn sie schon in der Luft waren -, nicht verständlich gewesen war, zum anderen würde ich aber auch der Amerikanerin selbst und Sabin ordentlich den Marsch blasen. Was hatten sich die beiden bloß dabei gedacht, auf ihrem Kurztrip einfach mal so ein Kind zu entführen und wo genau erschien es ihnen eine gute Idee, das Balg mit nach Kuba zu nehmen? Ich war einerseits maßlos enttäuscht von den beiden - weil sie mir als einer der wenigen in dieser komischen Konstellation aus Kriminellen einen umgänglichen Eindruck gemacht hatten -, andererseits war ich auch stinksauer, weil sie damit nicht nur sich selbst in Gefahr brachten, was so ganz allgemein ja nicht wirklich mein Problem war, sondern den Rest unserer tollen Mannschaft eben auch. Es brauchte nur einen einzigen, winzigen Hinweis darauf, dass das Verschwinden des Kindes mit seiner Mutter in Zusammenhang stand und das Gras, welches bis dato über die Sache in Italien und Norwegen gewachsen war, wurde dem Erdboden gleichgemacht. Die Behörden würden die Suche nach uns nur wieder intensivieren und ab einem gewissen Punkt brachten uns gefälschte Papier dann auch nicht mehr weiter. Also ja, ich war wohl ziemlich wütend - so wütend, dass mich nicht einmal das unangenehme Zwicken der Wundnähte beruhigen konnte -, als ich am Tag der Rückreise auf dem Flughafengelände darauf wartete, die beiden zur Rechenschaft zu ziehen. Bis das Flugzeug letztlich gelandet war und Sydney inklusive Knirps, dicht gefolgt von Sabin, schließlich ausgestiegen waren, hatte mein Gesicht sicherlich schon die Farbe einer überreifen Tomate angenommen, weil ich mich wirklich zurückhalten musste, nicht über das gesamte Gelände zu schreien. Dass ich meinem Ärger noch nicht einmal direkt Luft machen konnte und der Italiener mir vorab den Wind aus den Segeln zu nehmen versuchte, indem er mir für den entstandenen Mehraufwand eine Entschädigung versprach - die meiner Meinung nach ja wohl sowieso das Mindeste war - wirkte sich wenig überraschend nicht gerade positiv auf meine ohnehin schon absolut beschissene Laune aus. Ein Wunder, dass ich dem Taxifahrer auf dem Weg zum Flugplatz nicht an die Gurgel gesprungen war. "Deine Beschwichtigungstaktiken ziehen bei mir nicht, Sabin.", quittierte ich seinen Versuch, möglichst glimpflich aus der ganzen Sache herauszukommen, indem er von Anfang an den Schwanz einzog, als fehlgeschlagen. "Geld und wann Hunter von eurem Souvenir erfährt, spielt für mich gerade nur eine sehr geringe Rolle...", was jetzt natürlich nicht bedeuten sollte, dass ich den blinden Passagier für umsonst mit nach Kuba geflogen hatte, "...es geht hier mehr um den Punkt, dass ihr absolut wahnsinnig seid und grob fahrlässig mit der Sicherheit von uns allen hier pokert. Ist euch das eigentlich klar?" Ich versuchte wirklich, meine Stimme im Zaum zu halten, aber es viel mir in Anbetracht der Tatsache, was alles auf dem Spiel stand, ausgesprochen schwer. Dass vor allem der Italiener sich mal wieder schützend vor Denjenigen stellte, der eigentlich Mist gebaut hatte oder dem das Ganze zumindest zuzuschreiben wäre, war natürlich auch wieder vollkommen klar. Hatte er damals bei Richard schon getan, als Tauren ihm gegenüber bei dem klärenden Gespräch klargestellt hatte, dass er eigentlich nur semi-viel Lust darauf hatte, dem Engländer noch eine zweite Chance zu geben und jetzt tat er genau das Gleiche für seine Freundin, die eigentlich für das Debakel geradestehen und sich rechtfertigen müsste. Stattdessen stand sie mit ausreichend Sicherheitsabstand zu mir mit ihrem Sohn auf dem Arm da und versuchte ihn davon abzulenken, mich permanent mit großen Augen anzuglotzen. Als ich auf unser aller Sicherheit zu sprechen kam, drehte sie sich sogar weg und lief ein paar Schritte mit dem Kleinen, bis sie außer Hörreichweite waren. Vorausgesetzt, ich erhob meine Stimme nicht noch um eine Oktave. "Ich hab's gewusst... ich habe es einfach gewusst, dass es eine absolut beschissene Idee war, euch diesen Gefallen zu tun. Das hab ich wohl davon, wenn ausnahmsweise einmal ich diejenige bin, die an euren gesunden Menschenverstand appelliert. Die ganze Zeit seid ihr die mit Abstand Vernünftigsten von uns allen und dann habt ihr nichts besseres zutun, als in den Staaten, wo ihr zwei ohnehin schon gesucht werdet, ein verdammtes Kind zu entführen. Wer ist das überhaupt?!", fluchte ich weiter vor mich hin, gab mir zum Teil auch selbst die Schuld an dem Umstand und gen Ende klang ich wohl einfach nur noch verzweifelt. Wegen der Hitze hier draußen fiel es mir zunehmend schwerer, mich immer weiter in die Sache reinzusteigern, weil ich durch diese schwüle Luft kaum noch vernünftig atmen konnte und so besann ich mich schließlich zumindest ein bisschen zur Ruhe. Wer auch immer das Balg jetzt war und zu wem es gehörte... es war jetzt schon hier, die Kuh ließ sich also gar nicht mehr vom Eis holen, der Zug war abgefahren. Sich darüber aufzuregen brachte wohl dementsprechend wenig, aber wie mir schien, musste ich den beiden noch einmal vor Augen führen, dass eine Kindesentführung jetzt nicht unbedingt dazu beitrug, vom Radar der amerikanischen Behörden zu verschwinden, denn so richtig klar war das offensichtlich weder Sydney, noch Sabin. Oder es interessierte sie einfach nicht. Dann hätte ich aber durchaus gewusst, was Hunter davon hielt, dass die beiden ihre Deckung hier so fahrlässig aufs Spiel setzten, für... ja, wer war der Kleine denn jetzt eigentlich?
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Ich ermahnte mich dazu innerlich einfach sehr tief durchzuatmen, als Vahagn drei bis zehn Gänge hochfuhr, kaum hatte ich den Mund wieder zugemacht. Es brauchte in der Regel sehr viel, um mich aus meiner Ruhe und der Reserve zu locken und das war heute nicht anders. Es war auch nicht so als würde ich nicht verstehen, dass die Russin absolut nicht von dieser Aktion begeistert war. Ich wusste nicht einmal selbst, ob ich die Entscheidung nun bereuen sollte oder nicht. Ihr Ärger und der Unmut waren absolut nachvollziehbar, nur änderten sie eben nichts an den bereits geschaffenen Umständen. Wir konnten schlecht zurückfliegen und einfach wieder in die Staaten abschieben. "Das ist auch besser so. Wenn du's ihm steckst wirds doppelt unangenehm für dich.", wollte ich mit gleichbleibender Tonlage, aber doch etwas mehr Nachdruck noch einmal klarstellen, dass es mir eben nicht egal war, wann der Amerikaner von der Sache erfuhr. Dass es für sie keine Rolle spielte war nämlich keine wirklich klare Aussage dazu, ob sie den Mund halten würde oder nicht. Wenn nicht war ihr nicht nur der Zorn des Cholerikers sicher, sondern auch meiner. Ich drohte nicht gern - wenn auch nur indirekt in diesem Fall - und wurde auch nicht gerne handgreiflich, aber manchmal war das eben erforderlich, um den eigenen Standpunkt unmissverständlich klarzumachen. Grundsätzlich war ich in den letzten Wochen, ja im ganzen letzten Jahr eigentlich grundsätzlich immer zu gutmütig gewesen. Hatte nicht selten versucht zwischen aufkommenden Fronten zu schlichten. Selbst zwischen Cosma und Hunter, woran ich mich noch immer bestens erinnerte, weil es schlichtweg ein schräger Moment gewesen war und sich das förmlich in mein Hirn gebrannt hatte. Auch ab davon hatte ich nicht selten selbstlos gehandelt. Ich hätte Richard durchaus ersetzen können, jetzt wo ich selbst ja bestens wusste, wie ich mit dem Crystal zu verfahren hatte. Hunter hatte mir das - natürlich aus Eigennutz - auch angeboten. Schließlich könnte ich schon weit mehr der Schulden zurückgezahlt haben, wenn ich einfach früher wieder einen zweiten Mann gehabt hätte. Das wollte ich aber nicht, hatte stattdessen dem Engländer als Freund wieder auf die Beine geholfen. Hatte ihm nebenher auch noch die Miete an Sam gezahlt, obwohl ich eigentlich nicht wirklich Geld dafür übrig gehabt hatte. Ich steckte nicht selten zurück zum Wohl der Gruppe... und jetzt war ganz einfach mal meine Zeit. Meine und Sydneys. Wieso durfte eigentlich jeder ständig egoistisch sein und wenn ich mal irgendwas in der Richtung abzog, dann warfen alle erschrocken die Arme in die Luft? Schon klar, ich war wohl irgendwie der Gute hier. Mir schien als hätte jeder hier vergessen, dass ich früher selbst ungefähr täglich zu unschönen Mitteln gegriffen und mehr als ein bisschen Dreck am Stecken hatte. Ich selbst wusste am besten, dass ich Hunter sehr wohl etwas entgegenzusetzen hatte, wenn es darauf ankam. Ich vermied gewöhnlich einfach nur die Konfrontation, weil ich keine Lust darauf hatte. Ich hatte mich nicht von der italienische Mafia losgesagt, um jetzt hier weiter rumgeschubst zu werden. Wenn ich die Schulden bei dem Hitzkopf erstmal los war, dann war Schluss damit. Oder eben frühestens dann, wenn er von Noah erfuhr und es nötig war, ihm mit mehr als nur erhobenem Kopf entgegenzutreten, um den unschuldigen Jungen zu schützen. Das würde sich dann zeigen. Ich zog angesichts des harschen Tonfalls der Russin doch die Brauen langsam kritisch nach unten, wobei sich meine Stirn in leichte Falten legte. "Mir ist sehr wohl bewusst, dass es ein unnötiges Risiko ist,m auf das wir alle sehr gut hätten verzichten können. Dass es eigentlich aus fast jedem Winkel betrachtet nichts als falsch ist - allem voran für den Kleinen. Aber ich war selbst Vater und ich weiß wie es ist, ein Kind zu verlieren. Ich bin der letzte hier, der Sydney sagen wird, dass sie ihren Sohn einfach zurücklassen soll.", erklärte ich Vahagn die Umstände, ohne den Blick aus ihren Augen abzuwenden. "Du bist doch die Einzige hier, die noch Blutsfamilie hat... Noah ist alles, was sie von ihrer noch haben kann. Wenn das Jemand verstehen müsste, dann du.", versuchte ich mehr an ihr Herz, als an ihren Verstand zu appellieren. Zwar rechnete ich mir damit nur geringe Chancen aus, weil die Russin nun mal allseits als Eiskönigin bekannt war, aber es war nicht so als hätte ich noch andere Karten als Geld und diese hier zum Ausspielen. Vahagn hatte meines Wissens nach zwar keinen verschollenen Sohn, aber sie hatte noch immer einen Bruder. Die beiden trennten viele Kilometer - was sich vielleicht ändern würde, wenn dessen Freundin nun hier war - und trotzdem hielt sie wenn nötig weiter zu ihm. Verbündete sich ein weiteres Mal mit Hunter und flog zu ihm rüber, wenn sie das musste. Familie war bedingungslos, auch wenn einen das nicht selten mal die letzten Nerven kosten konnte. Familie war Freud und Leid in einem... und trotzdem sehnte auch ich mich danach, wieder eine zu haben. Vielleicht hatte ich doch nicht nur Sydney zuliebe gehandelt. Womöglich hatte sich mein Unterbewusstsein in den Staaten einfach dazu entschieden, diese Chance zu ergreifen.
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"Willst du mir etwa drohen?", stellte ich Sabin eine absolut rhetorische Frage. Erwartete überhaupt keine Antwort, weil er das sehr offensichtlich bereits getan hatte, wenn auch nur indirekt. Weil ich vor Sabin jedoch genau so wenig Angst hatte, wie vor Hunter oder einem der anderen Mitglieder des Suicide Squads, entlockte er mir damit jedoch nicht mehr als ein belustigtes Schnauben, das von einem amüsierten Grinsen untermauert wurde. Ich schüttelte außerdem den leicht brummenden Schädel und wandte mich halbseitig von ihm ab. Hob eine Hand an mein Gesicht und streckte Daumen und Zeigefinger nach meinem Nasenbein aus, um mir jenes nachdenklich zu massieren. In der Hoffnung, es würde den Kopfschmerz zumindest lindern, aber auf diesen Effekt wartete ich selbstredend vergebens. Also ließ ich das wenig später auch direkt wieder sein, was sich ganz gut passte, weil Sabin just in diesem Moment erneut das Wort ergriffen hatte und damit nach meiner ungeteilten Aufmerksamkeit verlangte. Er hatte also selbst Kinder gehabt? Das war ja wahnsinnig schön für ihn, nur interessierte mich das vor dem Hintergrund, dass hier eine Menge Existenzen - allen voran meine eigene -, auf dem Spiel standen, nicht besonders. Auch dass er es scheinbar verloren zu haben schien... war tragisch, keine Frage, konnte aber nur bedingt aufwiegen, wie riskant es sowohl im aktuellen Augenblick, als auch für die Zukunft war, dass die beiden Sydneys Sohn aus den Staaten entführt hatten. Es war zwar laut dem Italiener alles andere als geplant, aber es kotzte mich trotzdem auf so vielen verschiedenen Eben einfach nur an. Und da sprach ich ausnahmsweise mal nicht nur für mich, denn die Einsicht der beiden, dass das Alles irgendwie aus der Situation heraus passiert war, schmälerte nun mal leider nicht im Ansatz die möglichen Risiken für jeden von uns, der aus Norwegen hierher geflohen war. Dass Sabin im Anschluss ernsthaft versuchte, über das letzte bisschen Familie, das ich noch hatte, an meine Barmherzigkeit zu appellieren, war für mich dann die absolute Krönung. Mochte sein, dass ich noch ganz froh war, Iljah zu haben und es war ja auch überhaupt nicht so, als könnte ich Sydney in ihrer Sehnsucht nach ihrem eigenen Fleisch und Blut nicht verstehen, nur war Kindesentführung leider nicht zwangsweise etwas, dass die Behörden mal eben auf die leichte Schulter nahmen. Mit ganz viel Pech wurde die Suche nach Noah - wie Sabin den Jungen im Verlauf nannte und somit meine Frage von gerade eben beantwortete - um die angrenzenden Länder rund um Amerika ausgeweitet, weil eine Flucht dorthin nur allzu wahrscheinlich war. Schließlich war es kaum möglich, bei einer spontanen Entführung, die nicht vorher geplant war, mal eben mit dem Flieger in ein weiter entferntes Land abzuhauen. Sämtliche Behörden gerade an den Flughäfen wurden erschreckend schnell über das Verschwinden eines Kindes informiert und dementsprechend wachsam war auch das Personal. Mal ganz abgesehen davon, dass bei einem Kind, dessen ehemalige Agentin-Mutter bereits auf der Flucht war, oftmals noch ganz andere Register gezogen wurden. Ich konnte natürlich absolut nicht einschätzen, wie der Vater zu dem Kind steht - oder stand - und in welcher politischen Position er sich befand, aber da sich etwas so mutiges wie ein Cop kaum mit einem Jammerlappen begnügen würde, war er in seinem Beruf sicherlich ebenfalls überdurchschnittlich angesehen und das machte mir ganz einfach eine Heidenangst. Ich hatte einfach keine Lust, schon wieder alle Zelte hier auf der Insel abzubrechen und wenn wir erst einmal wieder auf dem Radar der amerikanischen und norwegischen Regierung waren, hatten wir sowieso ziemlich schlechte Karten, ungeschoren aus der Sache wieder herauszukommen. Aber klar, warum nicht, wir hingen ja Gott sei Dank nicht alle an unserer Freiheit. "Hör zu, Sabin, ich kann verstehen, dass Syd ihren Sohn bei sich haben will und solange nichts nennenswert Schlimmes passiert, wir von mir niemand von der Entführung erfahren.", lenkte ich schließlich nach einem tiefen Seufzen ein, versprach im gleichen Atemzug auch noch mal wörtlich, dass Hunter von mir nichts erfahren würde. Zumindest eben so lange nicht, wie das Balg keine Probleme machte. Brachte ja nichts, den Blutdruck weiter oben zu halten, aber es war mir wichtig, gerade letzteres noch einmal auf den Punkt zu bringen. Sollte hier auf Kuba über den Vorfall berichtet werden, blieb mir nichts anderes übrig, als sofort zu handeln. "Aber sobald ich merke, dass er Ärger macht - und das schließt auch Berichterstattung über ihn ein -, kann ich meine Klappe nicht halten, klar? Hier steht weit mehr auf dem Spiel, als die kleine Familienzusammenführung.", sprach ich meine vorher gedachten Gedanken auch für den Italiener mir gegenüber gut hörbar aus. Damit hatte er mein Wort, dass von mir Niemand etwas erfahren würde, gleichzeitig knüpfte ich mein Stillschweigen nebst dem zusätzlichen Honorar an eine weitere Bedingung, die in unser aller - also auch seinem und Sydneys - Sinn sein sollte. Anschließend wandte ich mich gänzlich von ihm ab, konnte nicht glauben, dass ich mir glatt ein weiteres Mal ohne Weiteres auf der Nase herumtanzen ließ, aber der Punkt mit Iljah hatte mich gewissermaßen schon irgendwie dazu bewegt, die Entführung nicht ganz so engstirnig zu sehen, weil ich, wie bereits mehrfach erwähnt, tatsächlich ganz froh war, den Russen noch am Leben zu wissen. Manchmal wünschte ich mir zwar auch das Gegenteil, aber nur in den seltensten Fällen und zumeist bereute ich den Gedanken auch wenig später schnell wieder.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ja, genau das war die Intention hinter meinen Worten gewesen. Ich drohte anderen Leuten an und für sich eher ungern, weil sowas schlichtweg nicht gerade für Vertrauen sorgte. Gerade bei Leuten, mit denen man verhältnismäßig viel zu tun hatte und die früher oder später vielleicht ins eigene Geschäft verwickelt sein könnten, sollte man mit sowas vorsichtig und sparsam umgehen. Anders schien die Russin aber leider nicht zu verstehen, wie wichtig mir dieses Anliegen war. Wenn man nicht täglich Irgendjemandem eine Drohung an den Kopf knallte, dann hatte es normalerweise mehr Nachdruck, wenn man es dann doch mal tat. Ich stempelte ihre Antwort darauf gedanklich einfach ab, verzog weder bei ihrer rhetorischen Frage, noch beim nachfolgenden Schnauben eine Miene. Ich kannte Vahagn nicht so gut, wie es in diesem Moment vielleicht von Vorteil gewesen wäre, aber Verhalten wie dieses überspielte nicht selten die eigentliche Unsicherheit. Und selbst, wenn das nicht der Fall war, war mir das auch egal - sie würde ja sehen, was sie davon hatte, wenn sie die Drohung nicht ernst nahm. Jenes schien der Brünetten glücklicherweise aber nicht im Sinn zu stehen, weil sie schließlich einlenkte dem Amerikaner gegenüber ihre nicht selten vorlaute Klappe zu halten. Dass sie das Ganze an eine weitere Bedingung knüpfte, war tatsächlich auch gar nicht so relevant für mich. Nicht, weil ich auf ihre Worte nichts gab, sondern weil Hunter nicht blöd war und in jenem Fall ziemlich sicher eins und eins auch selbst zusammenzählen können würde. Es brauchte dann vermutlich also eher nicht noch eine Vahagn, die ihm beichtete, dass sie Noah mit nach Kuba eingeflogen hatte, damit der Amerikaner die digitalen oder auf Papier gedruckten News verknüpfen konnte. Es sei denn natürlich der Hitzkopf hielt sich nicht mit Nachrichten auf dem Laufenden, aber das konnte ich mir kaum vorstellen. So als Krimineller war es schon wichtig zu wissen, was im Land vor sich ging oder ob gar vor einem selbst gewarnt wurde, was in seinem Fall sicher schon vorgekommen war. Wenn also plötzlich Sydneys Sohn weg war und wir beide rein zufällig vor kurzem in den Staaten gewesen waren, wäre es nicht besonders schwer auf den gleichen Nenner zu kommen. Aber wie auch immer - ich nickte lediglich noch, als die junge Frau sich von mir abwendete. Nahm damit für sie gerade noch sichtbar zur Kenntnis, was sie gesagt hatte und sah nur noch einen kurzen Moment lang ihren gewohnt energischen Schritten nach, ehe ich mein Handy aus der Hosentasche zog und Taurens Nummer wählte. Es dauerte eine kleine Weile, bis der Norweger abnahm und in der Zwischenzeit schloss ich langsam zu Sydney auf. Ging neben ihr her zum Parkplatz des kleinen Flugplatzes, auf dem unser alter Gebrauchtwagen die letzten Tage geschlummert hatte, als der junge Mann schließlich abnahm. Er klang noch durchweg verpennt und fernab von wirklich geistig anwesend, aber der Norweger wurde ziemlich schnell wach, als ich ihn darum bat seine Wohnung für ein paar Tage zu räumen, damit wir uns dort vorübergehend einnisten konnten. Ich konnte im Hintergrund irgendwas runterfallen hören, bevor Schweigen eintrat. Ich fragte ihn nach gut einer halben Minute, ob er überhaupt noch dran war, kurz bevor ein schweres Seufzen seinerseits ertönte. Er sagte mir zuerst, dass ich nicht ganz dicht war ein Kind zu entführen. Dann war zu hören, wie er aufstand und ein paar Schritte ging. Dann sagte er mir, dass er darauf bestand, dass ich den Bengel nicht aus dem Haus ließ, bis wir eine eigene Wohnung hatten, weil er nicht riskieren konnte, dass Hunter auf welchem Weg auch immer mitbekam, dass er Noah bei sich zuhause versteckte. Das war für den Kleinen zwar alles andere als schön, aber dass Tauren sich bei Hunter eher keine Fehltritte mehr leisten konnte, war mir nicht neu. Also willigte ich zwangsweise ein, weil ich mir andernfalls einen Plan B hätte überlegen müssen, den ich bis dato noch nicht hatte. Wenn Noah zu quengeln anfing, weil er nicht rausdurfte, obwohl das Wetter doch so perfekt dafür war, hatte ich wenigstens einen guten Grund dafür mich mit der Wohnungssuche doppelt zu beeilen. Ich versicherte dem jungen Mann am anderen Ende der Telefonleitung also, dass ich dafür Sorge trug, dass Sydneys Sohn die paar Tage über im Haus blieb und daraufhin willigte er dann final ein, wenn auch nur zähneknirschend. Ich sagte ihm, dass wir jetzt am Flughafen losfahren und demnach schon zeitnah bei ihm aufschlagen würden. Eigentlich brauchten wir auch noch ein paar Sachen von Zuhause, aber ich würde nicht riskieren mit Noah an der WG zu halten. Hunter schlug dort nur selten auf, aber er hatte seine Augen und Ohren da ausnahmslos überall. Also würde ich die beiden zuerst in Taurens Wohnung absetzen und danach selbst nochmal losfahren, um ein paar mehr Klamotten zu holen und wohl auch, um irgendwo in der Stadt noch ein paar Kinderklamotten zu besorgen. Ich schob also das Telefon schließlich wieder zurück in meine Hosentasche und wandte mich dann an Sydney, als wir gerade am Wagen ankamen. "Tauren lässt uns ein paar Tage bei sich wohnen, bis wir was anderes haben.", setzte ich die Brünette darüber in Kenntnis, dass wir eine kleine Weile in einem fremden Bett schlafen müssen würden. Für Noah blieb dort erstmal nur das Sofa, aber dauerhaft bei mir im Bett haben wollte ich ihn schlichtweg nicht. Erstens sehnte ich mich gerade nach mehr als nur ein bisschen Ruhe und zweitens war er auch locker schon alt genug, um nur noch bei schlimmen Alpträumen ins Bett seiner Eltern krabbeln zu müssen. Gegen letzteres hatte ich ja auch gar nichts - ich brauchte nur einfach noch ein bisschen Zeit, um mich mental an meine neuen Lebensumstände zu gewöhnen. Die Reisetasche wanderte in den Kofferraum, nachdem ich das Auto aufgeschlossen hatte und ich zögerte nicht, mich danach hinters Steuer zu schmeißen. "Solange wir bei ihm wohnen, wird Noah aber drinbleiben müssen.", teilte ich Sydney noch mit, dass das Ganze an eine etwas ungemütliche Bedingung geknüpft war, es sich aber nicht anders machen ließ und Tauren dafür auch mein vollstes Verständnis hatte. Der Amerikaner würde ihn endgültig dem Erdboden gleichmachen, sollte er davon erfahren.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Dass Vahagn nur wenig Verständnis für die Entführung meines Sohnes aufbringen konnte, überraschte mich ehrlich gesagt nicht wirklich. Die junge Frau gab einem nämlich nicht selten das Gefühl, dass man es ihr überhaupt nicht recht machen konnte, aber das war mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Anders als Hunter hatte die Russin bis dato nämlich nur eine ziemlich große Klappe und besonders viele Taten folgten ihren patzigen Worten zumeist nicht. Dementsprechend wenig gab ich auf den Gefühlsausbruch der jungen Frau Sabin gegenüber und wandte mich stattdessen mit meinem Kleinen an der Hand von ihr ab. Ihr versuchen zu erklären, warum und wieso wir Noah entführt hatten, wäre nichts weiter als verschwendete Luft, weil man bei ihr nicht weniger gegen eine Wand redete, als wenn man sich mit Hunter zu unterhalten versuchte. Und ich war ganz einfach raus aus dem Alter, hatte genug erlebt, um mich meiner Meinung nach nicht für alles rechtfertigen zu müssen. Schon gar nicht vor bellenden Hunden, die sowieso nicht beißen würden. Ich bezweifelte zwar nicht, dass die junge Frau durchaus auch anders konnte, weil der Amerikaner damals sonst kaum Seite an Seite mit ihr gegen die Italiener gekämpft hätte, aber von dem damaligen Tatendrang Vahagns sah man aktuell nur wenig bis eigentlich gar nichts. Ich ließ also Sabin das Gespräch mit ihr führen, weil ich selbst ganz einfach keine Lust hatte, mich dem störrischen Biest entgegenzustellen und so konzentrierte ich mich stattdessen auf meinen Nachwuchs, der von dem Flugplatz absolut begeistert war. Aber er war auch ganz schön kaputt nach dem langen Flug, weil er selbstredend nicht wirklich zur Ruhe hatte kommen können und aktiv durch die Gänge geflitzt war, anstatt ruhig auf seinem Platz sitzenzubleiben. Das machte sich, kaum waren für zehn Minuten auf dem Festland, bemerkbar und so begrenzte sich die Erkundungstour lediglich auf ein Umrunden des Flugzeugs, mit dem wir angereist waren. Als wir wieder an unserem Ausgangspunkts angelangt waren, hatte das Gespräch zwischen Sabin und Vahagn glücklicherweise sein Ende gefunden und letzterer schloss zu uns auf, nachdem er die Russin verabschiedet hatte. Teilte uns daraufhin mit, dass wir in den kommenden Tagen bei Tauren unterkommen würden und ich war dem jungen Mann an meiner Seite wirklich dankbar dafür, dass er in der Hinsicht ohne weiteres mitgedacht hatte. Ebenso wenig wollte, dass Noah zwischen Schwerverbrechern hausen musste, auch wenn Sabins Beweggründe vermutlich andere gewesen waren. Er vermutlich einfach nicht riskieren wollte, dass Hunter früher von der Sache Wind bekam, als in seinen Augen angebracht war. Letztlich war es mir aber auch ziemlich egal- für mich war wichtig, dass Noah in den ersten Tagen nach der Ankunft hier auf Kuba nicht direkt von irgendwelchen gewalttätigen Vollidioten erschossen oder stranguliert wurde. Ich kannte die Horde inzwischen ja schon etwas besser und wusste daher, mit was für Kalibern wir es zutun hatten. Ein oder zwei verhältnismäßig nette Männer waren zwar durchaus dazwischen, mit denen man sich ab und an mal gut unterhalten oder gemeinsam Fernsehen, zu Abend essen konnte, aber ein Großteil war genau so arschig wie der Amerikaner selbst, mit dem ich einst die Schulbank gedrückt hatte. Laut Sabin war es jedoch nicht möglich, mit dem Energiebündel in den nächsten Tagen vor die Tür zu gehen und das ließ mich schwer seufzen, auch wenn es absolut verständlich war. Falls es nämlich tatsächlich so kommen sollte, dass man auch hier nach Noah suchen würde, dann war es mehr als nur ein bisschen unglücklich, wenn er plötzlich einfach durch die kubanischen Straßen lief und sich die Spur zweifelsfrei zu uns verfolgen ließ. Es galt die Gesamtlage also erst einmal zu beobachten und die nahe Zukunft zu planen, bevor man Noah der Öffentlichkeit aussetzen konnte. Das würde dem Jungen nur ganz sicher nicht besonders gefallen, war er doch trotz leichter Sozialphobie ein aktives Kind, das gerne auch mal in den Wald lief oder die Spielplätze unsicher machte. Letzteres natürlich nur unter der Voraussetzung, dass nicht allzu viele andere Kinder gerade dort waren. Nach dem Seufzen nickte ich jedoch und setzte kurze Zeit später auch noch dazu an, Sabin verbal zu versprechen, dass ich darauf Rücksicht nehmen würde. "Kann ich verstehen. Das... kriegen wir hin. Es ist ja nur zu seinem Besten.", versuchte ich den anfänglichen Freiheitsentzug des Kindes positiv zu sehen. Allerdings fingen die Probleme wohl schon damit an, dass ich bis auf die Tage, die wir mit der Reise in die USA verbracht hatten, keinen Urlaub hatte und das hieß, ich müsste bald schon wieder arbeiten gehen. Noah war zwar auch in Amerika nicht selten alleine Zuhause gewesen, aber hier auf Kuba war mir das mit der ungewohnten Umgebung gar nicht mal so recht. Ich würde also mit Samuele sprechen müssen, ob er mich noch ein paar Tage vertreten kriegen würde, damit ich auf meinen Sohn aufpassen konnte. Wie ich das ihm gegenüber rechtfertigte - weil ich logischerweise nicht die Entführung erwähnen würde - müsste ich mir allerdings noch überlegen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
*Mach mal noch ZS vong 2 Tage her oder so, einfach weil halt.*
In den letzten Wochen war einerseits wirklich wenig, andererseits aber auch wahnsinnig viel passiert. Am ersten Tag nach Cosmas Verschwinden hatte ich die Videoaufnahmen noch nicht angefasst. Keine Ahnung weshalb, aber irgendwas in mir sträubte sich dagegen vielleicht auf etwas zu stoßen, das ich nicht sehen wollte. Allerdings passierte das dann stattdessen am Folgetag, weil die Rothaarige eben nicht spontan doch wieder zurückkam, sondern weiterhin fortblieb und keinen Ton von sich gab. Ich hatte in der vorherigen Nacht nicht gearbeitet, sondern war Zuhause geblieben, weil ich ich schlicht und ergreifend keinen Kopf dafür gehabt hatte. Es hatte so seine Vorteile, sich sein eigener Chef zu sein. Trotzdem hatte mich in all den turbulenten, letzten Jahren rein gar nichts darauf vorbereitet, was mir das abgespeicherte Videoband dann zeigte. Cosma hatte bei ihrem Abgang nicht so geklungen, als hätte sie mir irgendwelche Lügen erzählt, aber ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt trotzdem nicht wahrhaben wollen, dass sie wirklich Recht gehabt hatte. Dass mir die abgespeicherte Datei wirklich zeigen würde, dass ich die zierliche junge Frau eigenhändig nach unten gezerrt hatte. Dass ich sie geschlagen hatte und das nicht gerade mit Zurückhaltung. Ich saß sicher an die fünf Stunden vor dem Bildschirm und sah es mir immer wieder an. Konnte es nicht glauben, wollte es auch einfach nicht glauben, weil ich mich nach wie vor nicht daran erinnern konnte. Weil ich mir selbst nicht erklären konnte, wie das möglich war. Mein Gehirn war durch die eine oder andere Erschütterung sicher nicht mehr so effektiv wie zu Schulzeiten, aber ich litt noch lange nicht an Demenz. In meiner Verzweiflung griff ich daraufhin wieder zur Flasche. Der Alkohol half mir nicht dabei das alles zu verstehen, aber er betäubte meinen Kopf. Unterbrach die nicht endende Spirale aus Warums und Wies. Drei Tage lang war ich wegen des durch meine Venen pumpende Nervengift kaum ansprechbar. Ashton kam auch nur deshalb in der Villa vorbei, weil ich am Telefon wohl so undeutlich geredet hatte, dass er nicht verstanden hatte, dass ich ihm die ganze nächste Woche die komplette Verantwortung übertragen hatte. Ich erinnerte mich kaum mehr daran, weil ich vollkommen dicht gewesen war, aber er hatte mich wohl auf der Terrasse geborgen und nach drinnen gebracht, weil mir die Sonne schon beide Schulter und den Nasenrücken verbrannt hatte. Vielleicht hatte er auch einfach nur Schiss, dass ich in den Pool sprang und nicht wieder rauskam - trotz Leiter am Poolrand. Im Grunde war das auch egal. Ich wusste nur noch, dass ich einige Stunden später auf dem Sofa wieder aufgewacht war und er da bereits im Sessel unweit daneben gesessen hatte. Eine Schmerztablette und eine Flasche Wasser standen schon auf dem Couchtisch, meinen Whiskey hatte ich vergebens gesucht. Hätte mein Kreislauf das mitgemacht, wäre ich ihm dafür wahrscheinlich an den Hals gesprungen, war der Kater doch unerträglich. Ich konnte kaum grade sitzen, als der junge Mann mich nach seiner Nachtschicht fragte, was zur Hölle eigentlich los war. Überflüssig zu erwähnen, dass ich das nicht einmal ihm erzählte. Wie sollten meine Männer mir noch trauen, wenn ich offensichtlich nicht einmal mir selbst trauen konnte? Meine rechte Hand behielt mich in den nächsten Tage noch im Auge, kam ungefragt täglich zu mir in die Villa. Schlussfolgerte dadurch dann selbst, dass Cosma offensichtlich nicht mehr hier war und mein Verhalten sehr sicher damit zusammenhängen musste. Ich warf eine der wenigen Deko-Vasen nach ihm, weil er die Sache einfach nicht auf sich beruhen ließ. Richtete schließlich auch die Pistole auf ihn, weil er sich einfach nicht verpissen wollte. Blöderweise war das wenig effektiv, weil er so gut wie ich selbst wusste, dass ich ihm keine Kugel reinjagen würde und das eine absolut leere Drohung war. Wir kannten uns schon seit unserer Jugend in den Gassen von New Orleans. Ein Verrat an ihm wäre wie ein Verrat an mir selbst und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich gestand ihm also schließlich unwillig, dass es wirklich an Cosmas Verschwinden lag und es Streit gegeben hatte. Ich nicht wusste, wie ich die Sache wieder grade biegen sollte. Nicht wusste, ob das überhaupt ging. Ashton war selbst kein Beziehungstyp und an Ratschlägen hatte er demnach wenig Hilfreiches parat. Sagte mir nur, dass der Alkohol keine Lösung war und ich meinen Arsch wieder hochkriegen musste, weil sonst früher oder später in meinen eigenen Reihen die Frage auftauchen würde, ob ich mir final selbst die Kugel gegeben hatte. Ich war in den letzten Tage nicht einmal ans Telefon gegangen. Verhielt mich quasi wie ein sehr betrunkener Geist, womit ich mir früher oder später ins eigene Bein schießen würde. Also ließ ich den Alkohol weitgehend sein und versuchte mich doch noch einmal mit der ganzen Sache auseinanderzusetzen. Kam nach tagelanger, eigenhändiger Recherche und ständig auf und ab rasendem Puls schließlich zu dem Ergebnis, dass ich ganz einfach gestört war. Dass die ganzen letzten Jahre jetzt ihren Tribut gefordert hatten und es womöglich besser für Cosma wäre, wenn sie mir jetzt den Rücken kehrte - eben bevor es noch schlimmer wurde. Ich rang noch zwei oder drei Tage lang mit mir, dann verschrieb ich mir selbst Medikamente. Ich wollte mir schlichtweg nicht von einem Seelenklempner bestätigen lassen, was ich ohnehin längst wusste, wollte im Gegenzug aber auch keine Gefahr mehr für die Rothaarige sein, wenn ich sie schließlich aufsuchte. Bekanntlich brauchten Antipsychotika aber einige Tage, um ihre Wirkung überhaupt erst voll zu entwickeln. Die selbstverständlich illegale Besorgung der Medikamente überließ ich Ashton, weil er der einzige war, dem ich das anvertrauen konnte. Er weder Fragen stellte, noch es irgendwem erzählen würde. Also ließ ich die Trinkerei ziemlich konsequent sein und schmiss mir stattdessen täglich die blöden Pillen ein. Irgendwann stellte ich dann tatsächlich bewusst fest, dass sie mich insgesamt... gefühlsmäßig beruhigten. Fast schon betäubten, würde ich sagen. Nicht so sehr, dass ich nicht trotzdem noch einen gut gesetzten Schlag ins Gesicht austeilte, wenn Jemand Scheiße baute, aber so insgesamt betrachtet war ich einfach nicht mehr so aufgewühlt. Setzte mir in aller Ruhe das Ziel mich noch einmal mit meiner Vielleicht-Noch-Freundin auszusprechen, statt mich weiter in die Sache hineinzusteigern. Also hielt ich den alten Mustang schließlich ein paar Wochen nach der unschönen Auseinandersetzung vor Richards Bungalow an. Ganz vielleicht hatte ich meine rechte Hand auch noch darum gebeten, die junge Frau für mich ausfindig zu machen. Natürlich möglichst unauffällig, aber es war wohl ohnehin nicht schwer gewesen sie über Samuele zu orten. So wusste ich jetzt zusätzlich auch, wo ich den Engländer zufällig aufsuchen musste, falls nötig. Ich saß noch eine gute Minute schweigend im Wagen und sah mit aufs Lenkrad tippendem Finger durch die Frontscheibe aufs Haus, atmete schließlich etwas tiefer durch und stieg aus. Als ich klingelte, wusste ich im Grunde noch immer noch nicht, was ich Cosma eigentlich sagen wollte. Außer natürlich, dass sie wieder zurückkommen sollte. Das allein würde aber kaum ausreichen, um mein Ziel zu erreichen, also würde ich wohl improvisieren. Vorausgesetzt sie würde mir überhaupt zuhören.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Um ehrlich zu sein hätte ich mir Irinas Präsenz deutlich anstrengender vorgestellt. Ganz einfach aus dem Grund, weil es Vahagn gewesen war, die mich gefragt hatte, ob die Schwarzhaarige vorerst bei mir einziehen können würde und das war meines Erachtens nach eigentlich kein gutes Omen gewesen. Die Russin hatte nämlich ganz und gar nicht begeistert ausgesehen, als sie über Irina gesprochen hatte, aber bis jetzt konnte ich absolut nicht nachvollziehen, wo Irina ihren Schuh drücken ließ. Gut, vielleicht war die Serbin auf ihre eigene Art ein bisschen seltsam, aber sie war innerhalb der wenigen Tage sicher auch noch überhaupt nicht richtig aufgetaut und befand sich noch in der Eingewöhnungsphase. Man konnte ihr also nicht vorwerfen, dass sie noch etwas zurückhaltend war, denn schließlich wusste sie auch noch gar nicht so richtig, mit welchem Kaliber sie es hier bei ihren zwei Mitbewohner zutun hatte. Dass sowohl Cosma, als auch ich eigentlich trotz unserer Macken recht umgängliche Menschen waren. Vorausgesetzt natürlich, wir hatten nicht gerade beide unsere fünf Minuten. Davon mal ganz abgesehen waren wir trotzdem die mit Abstand am wenigsten gefährlichen Mitglieder des Suicide Squads, aber das stand uns nun mal leider nicht auf der Stirn geschrieben. Etwas Vorsicht war also nur angebracht, aber alles in allem war das jetzt auch nicht weiter schlimm. Im Grunde funktionierte das Zusammenleben erstaunlich gut und darüber war ich ziemlich froh. Räumte Irina unter der Prämisse natürlich gerne ein, noch ein paar Tage bei uns zu bleiben, bis sie sich hier auf Kuba eingelebt hatte und anfing, sich ihr eigenes Leben aufzubauen. Mein Haus war schließlich groß genug, auch wenn die junge Frau leider mit der Couch im Wohnzimmer vorlieb nehmen musste. Solange sie das nicht störte, konnte sie aber gerne bleiben. Irgendwie machte es nach einer Zeit auch wirklich Spaß, gemeinsam zu kochen, sich unterhalten zu können und außerdem lenkte mich der Trubel Zuhause weitestgehend von Sammy ab, mit dem ich zwischendurch zwar durchaus noch einmal gesprochen hatte, aber auf den ich gewissermaßen immer noch... sauer war? Ich konnte es nicht richtig in Worte fassen, glaubte aber zu wissen, dass sauer eher nicht der richtige Ausdruck dafür war, meine aktuelle Gefühlslage in Hinsicht auf den jüngeren Italiener zu beschreiben. Enttäuscht oder gekränkt traf es da wohl eher, auch wenn es weder Sinn machte, noch wirklich berechtigt war, aber gut. Das musste man wohl nicht verstehen, ich tat es ja selber nicht und war deshalb, wie bereits erwähnt, ganz froh über entsprechend viel Ablenkung. Auf lange Sicht brachte mir das nur leider auch nicht viel, weil ich mich zwangsläufig noch einmal damit auseinandersetzen müssen würde, denn Sam wegen der Sache abzuschreiben kam überhaupt nicht in Frage, aber ich hoffte wohl einfach darauf, dass es mir mit der Zeit einfach leichter fiel, auch seinen Standpunkt zu der ganzen Geschichte zu verstehen. Für heute sollte das allerdings überhaupt kein Thema sein, weil es nicht Samuele war, der nach meiner Aufmerksamkeit verlangte, sondern jemand ganz anderes, mit dem ich hier ehrlich gesagt nicht mehr gerechnet hatte. Laut Cosmas Erzählungen schien Hunter wohl wirklich überrascht gewesen zu sein, dass offensichtlich er der Verantwortliche war, der die junge Frau dermaßen zugerichtet hatte, aber wenn dem doch tatsächlich so gewesen sein sollte, dass sie zu Unrecht - was ich ehrlich gesagt weder glauben konnte, noch glauben wollte - geflohen war, hätte er sich doch nie im Leben dermaßen viel Zeit damit gelassen, die Rothaarige aufzusuchen, oder? Seine Schläger hatte er auf Kuba oder zumindest in Havanna schon mal überall, es wäre also ein leichtes gewesen, über seine ach so loyalen Untergebenen ausfindig zu machen, wo die junge Frau denn eigentlich steckte. Andernfalls hätte ein Besuch bei Sam ihm auch alle notwendigen Informationen verschafft, er konnte mir also nicht weismachen, dass er nicht wusste, wo sich Cosma die ganze Zeit über aufgehalten hatte. An und für sich war ich natürlich ganz froh gewesen, dass der Amerikaner die ersten Tage, nachdem ich meine Freundin bei mir aufgenommen hatte, nicht auf der Matte stand, weil ich die Beziehung der beiden nach wie vor für keine gute Idee hielt und sie nur ungerne unterstützte. Hunters Verhalten spielte mir da selbstredend nur in die Karten, um auf Cosma einzureden und sie davon zu überzeugen, dass sie sich keinesfalls von dem Amerikaner einlullen lassen sollte, falls er auf kurz oder lang doch noch einmal der Meinung war, sein Glück bei ihr zu versuchen und tja, was sollte ich sagen... heute schien es wohl so weit zu sein. Ich hatte gerade auf der Terrasse die Polsterung der Sitzgelegenheiten ins Haus holen wollen, weil von Seiten des Waldes aus eine ungewohnt graue Wolke immer näherkam und ich befürchtete, es könne heute noch zu regnen anfangen. Da wollte ich natürlich nicht, dass die Stoffpolster nass wurden und just in dem Moment, als ich über die Türschwelle trat, hörte ich ein Auto vorfahren. Cosma und Irina befanden sich zu dem Zeitpunkt im Gästezimmer, allerdings wusste ich nicht so recht, was die beiden dort trieben und so stiefelte ich noch mit einem der Polster in der Hand rüber zur Tür, wartete, bis die Klingel ertönte. Ein "Ich mach schon auf." in Richtung des Gästezimmers sollte die beiden Frauen davon abhalten, jetzt aufzuspringen und zur Tür zu sprinten, weil ich bereits die Klinke in der Hand hatte, um die Tür zu öffnen. Meine bis hierhin noch beschwingte Laune verflüchtigte sich augenblicklich, als ich sah, wer dann vor mir stand und ich sah Hunter relativ ausdruckslos an. "Was willst du denn hier?", fragte ich, obwohl ich mir sein Auftauchen eigentlich selbst erklären konnte. Schließlich kam er wohl kaum her, um mit mir einen Kaffee zu trinken. Schließlich lag eine Mischung aus Genervtheit und Unverständnis in meinem Blick, als ich auf Antwort seitens des Amerikaners wartete. Dabei hatte die Tür allerdings nicht weiter geöffnet, als ich das für ein kurzes Gespräch für notwendig hielt. Es lag nämlich nicht unbedingt in meinem Sinn, Hunter Zutritt zu meiner Wohnung zu gewähren, weshalb ich die Tür am liebsten ohne weiteres wieder geschlossen hätte, ohne auf seine Antwort zu warten.
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Es wäre zu leicht gewesen, wenn es gleich Cosma gewesen wäre, die mir die Tür aufmachte. Zumindest war es das, was mir das Schicksal wahrscheinlich damit sagen wollte, dass es Richard an die Tür schickte. Es war allseits kein Geheimnis, dass der Engländer mich nicht leiden konnte - so wie das umgekehrt seit dem Vorfall mit Cosma und den Italienern damals in der Bar eben auch der Fall war. Mein Vertrauen in Abmachungen, in die er zuvor noch eingewilligt hatte, war seitdem nicht mehr existent und es würde sich wahrscheinlich auch nicht mehr erholen. Dazu war mit der Dunkelhaarige einfach von Grund auf viel zu unsympathisch. Von seinem Auftreten und seinem gesamten Charakter her. Besserwisser konnte halt schlichtweg auch keiner leiden - weder in der Schule, noch im kriminellen Metier. Provokante erst recht nicht. Es schien mir eine erste, wichtige Prüfung des Tages zu sein in Richards Gesicht zu sehen, ohne ihn gleich darauf zur Seite zu schubsen und einfach reinzugehen. So wie ich das normalerweise eben machen würde, wenn er mir im Weg stand. Allein deswegen schon, weil er jetzt noch mehr nur ein Strich in der Landschaft war als vor seiner Drogeneskapade. Leute, die nicht so gebaut waren wie ich, flogen so schön bei Seite, wenn man sie mit nur ein bisschen zu viel Kraft schubste. Zwar war ich damals in der Schule noch nicht so ein Schrank gewesen wie jetzt, aber schon damals hatte mir das Spaß gemacht. Hier und Jetzt sollte ich mich allerdings einen Besseren besinnen und dem Drang, ihn einfach aus dem Weg zu räumen, nicht nachgeben. Unter Medikamenteneinfluss fiel mir das tatsächlich auch etwas leichter als sonst... wobei ich normalerweise ja ohnehin nicht versuchte unseren kleinen Schlaumeier zu schonen. Im Grunde piesackte ich ihn immer und überall, wo ich eine gute Möglichkeit dazu sah. Vielleicht hatte er sich jetzt auch einfach ein kleines bisschen Schonfrist verdient, weil seine Arbeit im Labor gut lief und ich deshalb mehr der Kristalle verschiffen konnte als vorher. Mehr Geld war immer gut, auch wenn ich im Grunde längst ausgesorgt hatte. Schaden konnte es eben trotzdem nicht und ich war auch die Schuldensache mit Sabin langsam ziemlich leid. Es war also gut für alle Beteiligten. Da der junge Mann die Tür nicht besonders weit aufgezogen hatte, blieb mir gerade wohl nichts anderes übrig, als mich zumindest flüchtig zu erklären, wenn ich nicht einfach hineinstürmen wollte. Zwar gaben ruhige Worte mir keine Garantie dafür, dass er mich dann reinlassen würde, aber dann konnte ich zumindest sagen, dass ich es auf gutem Weg versucht hatte. "Ich weiß, dass Cosma hier ist und ich muss mit ihr reden. Lässt du mich rein oder holst du sie wenigstens her?" Ich klang etwas genervter, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, aber es ließ sich bei seinem Anblick einfach nicht vermeiden. Wenigstens sah ich ihn nicht ganz so überheblich von oben herab an, wie ich das normalerweise immer tat, sondern bemühte mich um einen etwas neutraleren Gesichtsausdruck. Irgendwie nervte mich selbst sein Gesicht, obwohl es mit der Narbe zumindest ein bisschen erträglicher geworden war. Auch auf ein Bitte wartete Richard natürlich vergebens, aber für meine Verhältnisse war ich wirklich mehr als freundlich zu ihm. Fragte ja sogar, ob er mich rein ließ... wobei das nur eine rhetorische Frage war. Ich wollte ihm nur das Gefühl vermitteln ausnahmsweise fast sowas wie Entscheidungsfreiheit zu haben. Dem war natürlich nicht so und wenn er mich nicht reinlassen wollte, würde es eben wieder hässlich werden. Ich war nicht hergekommen, um mich dann von diesem Trottel einfach so abspeisen zu lassen. Entweder trat ich dann halt die Tür ein oder zerbrach eines der Fenster. Es wäre bei Weitem nicht das erste Haus, bei dem ich mir ungefragt Zutritt verschaffte und es war ja nicht so, als hätte ich in diesem Fall keinen guten Grund dafür. Ich hielt es für möglich, dass die junge Frau noch immer nichts von mir wissen wollte. Noch immer nicht mit mir reden wollte, weil der Zug was das anging laut ihren letzten Worten in der Villa vielleicht schon abgefahren war. Dennoch war ich einfach nicht der Typ Mann, der leicht aufgab. Nicht bei der Arbeit und wohl noch weniger bei der Frau, die ich liebte. Es war wahnsinnig kitschig und für meine Begriffe war ich längst viel zu abhängig von Cosma, aber ich brauchte sie. Hatte mich in den vergangenen Tagen so einsam gefühlt wie noch nie zuvor. Nicht damals als gepeinigtes Kind im dunklen Keller, nicht all die Jahre auf der Straße. Die junge Frau war ein fester Bestandteil meines Lebens geworden und ich konnte nicht mehr ohne sie. Aufzugeben stand also keinesfalls zur Debatte. Auch wenn das Gespräch gleich sicher unangenehm werden würde, war es das wert. Allerdings musste ich dafür erstmal rein oder sie eben raus kommen.
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Hunters Antwort ließ nicht lange auf sich warten und wie ich bereits vermutet hatte, war er auf der Suche nach Cosma. Wollte mit ihr reden und bat deshalb um Einlass. Weil er aber ganz genau wusste, dass es mir eigentlich nicht im Sinn stand, ihn in meine eigenen vier Wände zu lassen - auch wenn er mir gegenüber einen erstaunlich freundlichen Ton anschlug, zumindest für seine Verhältnisse -, schlug er im gleichen Atemzug auch noch eine Alternative vor - ich sollte die Rothaarige zumindest an die Tür holen. Egal, auf welche Art und unter welcher Voraussetzung, er wollte gerne mit ihr reden. An und für sich war das ja auch schön und gut, nur interessieren tat das hier leider gerade absolut niemanden. Ich ließ also erst einmal ein leises Schnauben von mir hören, wusste mich in dem Moment ganz einfach auf der sicheren Seite, weil ich der festen Überzeugung war, dass der junge Mann sich mit meiner Freundin aussprechen wollte. Wenn er klug genug war, dann würde er mir jetzt kein Haar krümmen, weil die Chancen auf eine mögliche Versöhnung dann stark gegen null gehen würden. Falls er jedoch nur gekommen war, um die junge Frau final umzulegen... na ja, dann würde ich als Zeuge so oder so auch nicht mehr besonders lange leben. Davon ging ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht aus, machte er mir doch gerade keinen besonders aggressiven Eindruck. Deshalb ging ich auch noch einen Schritt weiter und schüttelte schließlich mit dem Kopf. "Sorry, aber ich schätze, Cosma will sich nicht mit dir unterhalten.", sprach ich für die Rothaarige, obwohl ich natürlich nicht zu hundert Prozent sagen konnte, ob dem denn wirklich so war. Ja, sie hatte in den letzten Tagen oft geschimpft, wollte von Hunter ganz einfach nichts hören, aber wer wusste schon, was in ihrem Oberstübchen vorging und ob sie sich nicht trotz allem doch noch zu einem Gespräch überreden lassen würde. Auch wenn sich mein Verständnis dafür in Grenzen hielt, schien die Rothaarige die Gefühle für den Amerikaner nämlich noch nicht gänzlich aufgegeben zu haben, was wohl nicht wirklich verwunderlich war. Wenn es zwischen den beiden tatsächlich ernst gewesen war, dann ließen sich Gefühle nicht so einfach löschen. Ich sah es an der Situation zwischen Sammy und mir ja selbst, machte der jungen Frau dahingehend also auch keine Vorwürfe, nur akzeptieren wollte ich das irgendwie nicht. Das gab mir zwar noch lange nicht das Recht dazu, sie mundtot zu machen, indem ich Hunter an der Tür einfach abwies, aber im Nachhinein würde sie mir sicherlich dankbar sein. Es ging in dem Fall immerhin um Leben und Tod. Vielleicht schaffte sie es das nächste Mal nämlich nicht mehr aus dem Keller. Ich bezweifelte nur stark, dass Hunter sich so einfach abspeisen lassen würde und setzte deshalb erneut zum reden an. Versuchte ihm zu erklären warum und wieso es besser wäre, wenn er jetzt einfach die Biege machte. "Mag schon sein, dass Cosma viel Scheiße mit sich machen lässt, aber da bist du einfach zu weit gegangen, Hunter. Sie hat mir alles erzählt und ich kann einfach nicht zulassen, dass so etwas noch mal passiert. Vollkommen unabhängig davon, ob ich dich nun leiden kann oder nicht, würde ich dich bitten, einfach zu gehen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sollte Cosma irgendwann von sich aus noch mal mit dir reden wollen, dann wird sie dich schon selbst aufsuchen.", erläuterte ich also meinen Gedankengang in einem für meine Verhältnisse wirklich neutralem Tonfall. Es stand mir schließlich nicht im Sinn, Hunter jetzt noch zusätzlich zu provozieren, weil er sich dadurch nur animiert dazu fühlte, es eben nicht gut sein zu lassen, aber es erschien mir wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass er große Scheiße gebaut hatte. Und soweit ich die junge Frau im Gästezimmer einschätzen konnte, würde sie sich tatsächlich noch nicht mit ihm austauschen wollen, weil sie sonst sicher schon etwas in der Richtung erwähnt hätte. Hatte sie bis heute jedoch nicht getan und damit beließ ich es dann vorerst bei den wenigen, dafür aussagekräftigen Worten an den Amerikaner und war bereits im Begriff, die Tür zu schließen, als ich noch eine Verabschiedung ergänzte. "Lass' sie einfach in Ruhe. Das Ganze war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und Cosma scheint es endlich einzusehen, dass du ihr nicht guttust.", konnte ich mir nicht verkneifen, auch noch einmal mit dem Anflug eines triumphierendes Untertons auch meine Meinung zu dem Ganzen zum Besten zu geben, bevor ich die Eingangstür zurück ins Schloss fallen ließ, weil ich meiner Meinung nach kaum deutlicher hätte auf den Punkt bringen können, wie unerwünscht Hunter hier gerade eigentlich war. Dass weder ich, noch Cosma gerade wirklich Lust auf seine Anwesenheit hatten. Irina sich in dem Fall sicherlich auch unserer Meinung angeschlossen hätte, aber zu dem Zeitpunkt wusste ja noch keiner von uns, dass sie bereits ebenfalls erste Erfahrungen mit dem Choleriker gemacht hatte. Grundsätzlich war es jedoch so, dass jeder, im Ansatz normale, Mensch die Anwesenheit Hunters grundsätzlich gerne mied. Man fühlte sich in seiner Nähe einfach unwohl und das hatte wohl auch so seine Gründe.
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Ich hatte es wirklich versuchen wollen - die friedliche Tour, meine ich. Einfach für einen guten Start, weil der Engländer leider immer noch sowas wie ein Freund für Cosma zu sein schien. Bedauerlicherweise. Es war für mich wahnsinnig angenehm gewesen, dass sich die freundschaftliche Beziehung der beiden im Sand verlaufen hatte und irgendwann vermeintlich ganz ausgekühlt war. Dem Dunkelhaarigen war es wohl mehr als recht gekommen, dass er vermutlich so ziemlich die einzige Ansprechperson war, die die Rothaarige noch hatte... was so betrachtet wiederum auch sehr einsam klang. Meines Wissens nach war die junge Frau zwar ebenso wie ich eher der Typ einsamer Wolf, aber ein paar Kontakte brauchte man dann ja doch. Ob die Bar mit den Konversationen an der Theke ausreichte? Ich wusste es nicht, konnte das nicht einschätzen. So oder so würde sich in nächster Zeit sicher einiges bei uns beiden verändern... sofern sie überhaupt dazu bereit. Wenn ich Richard Glauben schenken würde, dann war sie das nicht. Hatte in den letzten Wochen hier bei ihm wohl eher keine guten Worte über mich verloren, aber das war nicht das, was mich an seiner Aussage so reizte. Es war viel mehr seine Dreistigkeit zu behaupten, dass er wüsste, was zwischen uns beiden war oder vorging. Ich würde nicht abstreiten, dass ich der jungen Frau - körperlich wie mental - wirklich weh getan hatte und dass ich einiges wiedergutzumachen hatte. Ich wusste das und der Engländer scheinbar auch. Das gab ihm aber bei Weitem nicht das Recht im Namen von Cosma zu sprechen oder zu behaupten, dass unsere Beziehung zueinander nie etwas Gutes hatte verheißen können. So war es ganz einfach nicht. Sicher - wir stritten uns des Öfteren, aber wir hatten uns bis jetzt ausnahmslos immer wieder zusammengerauft und es war schlichtweg nicht so, als würde ich der Rothaarigen nie etwas Gutes tun. Hätten wir nie schöne Momente miteinander gehabt, hätte ich die Beziehung getrost selbst in die Tonne gekloppt. Ich würde versuchen mich jetzt endgültig und langfristig in den Griff zu kriegen, damit ich ihr nie wieder so wehtat und er hatte dabei schlichtweg kein Mitspracherecht. Das ging ihn nichts an und das würde er jetzt auch in vollem Ausmaß zu spüren kriegen. Ich legte die rechte Handfläche reflexartig gegen die Tür, kurz bevor sie ins Schloss gefallen wäre. Hielt erst nur kurz dagegen, bevor ich auch die zweite Hand an die Tür legte und sie einfach nach drinnen aufschob. Quasi mitsamt dem wie so oft viel zu frechen Engländer. Weil er unfreiwillig schon so schön an der Wand stand, blieb ich direkt vor ihm stehen, zog die Augenbrauen tief ins Gesicht und funkelte ihn sichtlich verärgert an. "Wenn du dir noch ein einziges Mal das Recht rausnimmst, unsere Beziehung zueinander auch nur im Ansatz zu beurteilen und mir das so dreist ins Gesicht zu spucken, begrab' ich dich unter deinem eigenen Haus.", war das erste, was ich zischend leise zu ihm runterfauchte. "Ich weiß selbst, dass ich Scheiße gebaut habe, aber du weißt bis auf diese eine Sache genauso wenig über unsere Beziehung, wie jeder andere auch, weil du ganz einfach nicht mit drinsteckst. Also halt' dich da raus und lass' sie das gefälligst selbst entscheiden." Mit diesen leise geknurrten Worten verpasste ich der Tür, die ich mit der linken Hand noch festhielt, einen kleinen Schubs gen Türrahmen. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann ich Richard gegenüber mal so verhältnismäßig zurückhaltend, beziehungsweise leise gewesen war. Wahrscheinlich noch nie, zumindest nicht unter dermaßen dreisten Umständen. Aber ich war nicht hier, um mich mit dem Engländer zu streiten, weil er glaubte irgendwas über uns beide zu wissen, sondern um mit Cosma zu reden. Deshalb entließ ich ihn schließlich auch aus meinem Blick, wendete mich von ihm ab und lockerte danach ganz bewusst meine Gesichtsmuskulatur, um das grimmige Gesicht nicht mit zu der Rothaarigen zu schleppen. Ich atmete innerlich dabei ein weiteres Mal tief durch, als ich einen flüchtigen Blick ins Wohnzimmer warf. Sie dort nicht sah, also auch durch den Türrahmen der Küche einen Blick warf und schließlich an der halb offenen Tür des Gästezimmers ankam. Beim Blick durch den großen Spalt ihr Gesicht erhaschte und deshalb die Tür mit einem kaum hörbaren Räuspern langsam aufschob. Daraufhin entglitten mir dann aber doch kurz die Gesichtszüge, weil ich noch ein zweites Gesicht sah - Irinas. Sie saß da einfach bei der Rothaarigen auf dem Bett, als würde sie hier irgendwie hingehören. Als wäre es in Ordnung oder gar von mir genehmigt, dass sie ihren Lügenarsch auf Kuba parkte, weil... warum eigentlich? "Was zum Teufel machst du...", waren meine ersten ziemlich fassungslosen Worte, die aber weit mehr von Überraschung, als von nur einem Hauch Ärger geprägt waren. Ich sprach den Satz nicht vollständig aus, sah sie nur noch einen Moment lang argwöhnisch an und schüttelte dann schließlich den Kopf. Dafür war ich nicht hergekommen und ich konnte mich später immer noch über das für mich sehr mysteriöse Auftauchen der Serbin aufregen, mich damit beschäftigen. Sie machte auch keinen Mucks, sondern sah mich nur aus großen Augen an, weshalb meine Augen zurück zu der Rothaarigen wanderten. Vollkommen ruhig, für meine Verhältnisse fast schon weich. "Cosma, ich... ich weiß, dass ich... mir echt Zeit gelassen hab, aber... können wir reden? Nur ein paar Minuten... bitte?" Zugegeben fiel es mir doch ziemlich schwer diese Bitte jetzt wirklich in Worte zu fassen. Deswegen verlief das Ganze auch relativ stockend, was für mich mehr als untypisch war. Das war mir unangenehm, aber ich wollte ihr andererseits eben doch auch deutlich zeigen, dass ich weiß Gott nicht hergekommen war, um ihr nochmal so richtig eins reinzuwürgen und sie platt zu walzen, sondern wirklich darauf aus war, mich so weit wie nur irgendwie möglich wieder mit ihr zu versöhnen. Was Irina betraf verließ sie von ganz allein ziemlich fluchtartig an mir vorbei den Raum, um sich ins Wohnzimmer zu verkrümeln. Ich schenkte ihr dabei jedoch keinerlei Aufmerksamkeit. Nahm es nur am Rande war, während meine Augen weiterhin auf Cosma ruhten.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es wäre ja auch zu einfach gewesen, wenn Hunter sich tatsächlich dazu erbarmt hätte, für heute einfach den Rückzug anzutreten und Cosma entscheiden zu lassen, wann sie es für richtig hielt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Hunter wäre nur leider nicht Hunter, wenn ihn das nur mäßig bis gar nicht interessieren würde und somit wäre es gelogen, würde ich behaupten, dass ich nicht schon mit Gegenwind gerechnet hätte. Vielleicht hatte ich mich deshalb schon mit etwas mehr Gewicht gegen die Tür gelehnt, als ich diese hatte schließen wollen. Letzten Endes konnte ich durch den unsicheren Stand wegen der noch immer in der einen Hand befindlichen Sitzpolsterung nicht besonders viel Kraft aufbringen und deshalb wohl von Glück reden, dass sich unmittelbar hinter mir die Wand befand, weil ich sonst einen ziemlich unschönen Abgang gen Boden gemacht hätte. Anfangs, als Hunter nur eine Hand an die Tür gelegt hatte, konnte ich noch einigermaßen gegenhalten, aber ich merkte schnell, dass der junge Mann auf der anderen Seite der Tür noch mehr Kraft aufzubringen vermochte und machte deshalb schon einen halben Schritt in den Raum zurück. Damit ließ ich mir aber offensichtlich ein bisschen zu viel Zeit und fand mich kurze Zeit später förmlich an die Wand getackert wieder. Ahnte schon das Schlimmste, als der Amerikaner das Haus betrat und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck vor mir zum Stehen kam. Bis auf ein paar drohende Worte kam seitens Hunter allerdings nicht viel mehr und das... überraschte mich ehrlich gesagt. Es war wohl die bloße Verwunderung darüber, dass ich meine andere Gesichtshälfte für den Moment scheinbar behalten durfte, dass ich keinen Ton herausbrachte, sondern den Amerikaner lediglich absolut irritiert ansah und auf seine Worte hin langsam nickte. Diese hatte ich logischerweise zur Kenntnis genommen und bedauerlicherweise war das eine wirklich ernstzunehmende Drohung, auf die ich unter Umständen aber noch mal zurückkommen würde, falls mich mal wieder der Wille zum Leben verlassen sollte. Um selbst einen endgültigen Cut zu setzen war ich ja ganz offensichtlich zu feige, es war also gut zu wissen, dass es da Jemanden gab, der sich mit Freude dazu überreden lassen würde, mir das Licht auszuknipsen. Gut, das wusste ich unabhängig des heutigen Tages zwar auch schon etwas länger, aber es war schön zu hören, dass Hunter mich nach wie vor am liebsten schon heute tot sehen würde - ha ha. Sich länger, als unbedingt notwendig, mit mir aufzuhalten stand besagtem jungen Mann allerdings nicht im Sinn und so ließ er nach den drohenden Worten auch schon bald wieder von mir ab. Ich hatte das Sitzpolster inzwischen mit beiden Armen umklammert und stand etwas ratlos dar, als der Tätowierte loszog, um sich auf die Suche nach seiner Freundin zu machen. Natürlich hätte ich ihm direkt sagen können, wo sich die Rothaarige befand, damit er nicht erst vergebens in der Küche und dem Wohnzimmer suchen musste, aber ich war einfach immer noch sprachlos. Konnte einfach nicht fassen, was für eine Selbstbeherrschung der junge Mann entwickelt zu haben schien, wenn es um seine Liebste ging. Irgendwie schon komisch, surreal, wenn man mich fragte, aber Liebe schien Menschen tatsächlich maßgeblich zu verändern, denn noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich mit meinen Sticheleien gerade eben mein sofortiges Todesurteil unterzeichnet. Meine Augen folgten Hunter noch eine Zeit lang, bis er im Gästezimmer verschwunden war, dann sah ich nachdenklich auf meine Füße und die Beine, an denen sie hingen, zitterten etwas. Das nahm ich erst jetzt so richtig wahr und stieß mich mit meinem leisen Seufzen von der Wand ab, um das blöde Polster endlich neben der Terrassentür abzulegen. Ich sandte ein stummes Gebet gen Himmel, dass er Cosma kein Haar krümmte und just in dem Moment, als ich das Objekt, was ich jetzt schon überdurchschnittlich lang mit mir herumschleppte, auf ein bereits nach drinnen gebrachtes Polster der gleichen Sorte fallenlassen wollte, hörte ich, wie hinter mir jemand fluchtartig das Gästezimmer verließ. Erschrocken drehte ich mich um, erwartete bereits, die Rothaarige hinter mir zu sehen, aber es war Irina, die Hunter aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Raum geworfen hatte. Stimmt, die war ja auch noch da... Ich hätte ja gerne behauptet, dass mein Puls sich deshalb recht bald schon wieder beruhigte, aber dafür musste der Choleriker mein Haus wohl erst wieder vollständig verlassen haben. Bis dahin würde ich das Blut in meinen Ohren dauerhaft rauschen hören. Ich schmiss die hochwertige Sitzgarnitur auf den Haufen seinesgleichen, ehe ich mich mit einem leisen Seufzen in Bewegung setzte, um zu Irina aufzuschließen. "Mach dir nichts draus, falls er dich angegangen ist. Der ist immer so - mit dem Kopf durch die Wand, meine ich.", klärte ich die Schwarzhaarige darüber auf, dass Hunter sich nicht selten wie der Elefant im Porzellanladen aufführte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie diese Seite an ihm ihn bereits kennengelernt hatte. Andernfalls hätten sowohl Cosma, als auch ich sie vermutlich bereits vorgewarnt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er hier auf der Matte gestanden hätte. "Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass Cosma ihn gleich schon wieder vor die Tür setzen wird. Er wird nicht lange bleiben.", grummelte ich ferner noch ein paar weitere Worte, von denen ich wirklich überzeugt war. Mochte sein, dass die Rothaarige vielleicht nicht mitbekommen hatte, wie sich ihr herzallerliebster Freund Zutritt ins Haus verschafft hatte, aber das war vermutlich auch gar nicht weiter wichtig, wenn sie tatsächlich noch nicht bereit war, mit Hunter über das Vergangene zu sprechen.
Es war irgendwie seltsam, nach so langer Zeit mal wieder eine weibliche, nicht absolut unausstehliche Bezugsperson zu haben, die in ihrem Umgang eigentlich ein ganz angenehmer Zeitgenosse war. Klar, würde ich Irina bei Weitem nicht als meine neue beste Freundin betiteln - streng genommen wäre sie damit so ziemlich die erste beste Freundin, die ich in meinem Leben je gehabt hätte - und thematisch redete ich mit ihr auch noch nicht über besonders viel aus meinem Privatleben, aber grob zusammengefasst konnte ich anhand der wenigen Tage, die ich sie inzwischen kannte, eine gute Prognose für die Zukunft geben. Sie war ein recht ruhiger Typ Mensch, zumindest machte es stark den Anschein und damit war Irina so ziemlich das genaue Gegenteil von mir. Richtig kennengelernt hatten wir uns natürlich noch lange nicht, aber ich hatte wirklich Lust, das zu ändern und das war für mich schon gewissermaßen etwas Neues. Eine solche Entscheidung hatte ich zuletzt getroffen, als es um die Beziehung zu Richard gegangen war und weil er bis heute so ziemlich mein einziger Freund war, dem ich überdurchschnittlich viel anvertraute, konnte man sich darauf wirklich schon etwas einbilden, es war eine echte Rarität sozusagen und ich hoffte stark darauf, dass mich die Serbin nicht enttäuschen und sich als absolute Nullnummer herausstellen würde. Es wäre irgendwie... cool, auch mal eine Frau als Freundin zu haben, mit der man über die ein oder andere Sache reden können würde, weil so manches einfach nicht für Richard, Männerohren im Allgemeinen bestimmt war. Aber so weit dachte ich noch überhaupt nicht, würde nicht auf Biegen und Brechen versuchten, in Irina meine neue Vertraute zu sehen, sondern ganz entspannt sehen, was die Zukunft bringen würde. Scheinbar stand der Uranus im Hause des Westens heute denkbar ungünstig und das, was die Zukunft brachte, hätte sie sich genauso gut schenken können. Ich saß gerade mit der Schwarzhaarigen auf dem Bett im Gästezimmer, hatte mich mit ihr über ein paar Klamottenläden in Havannas Altstadt unterhalten, als es plötzlich an der Tür klingelte. Zuerst dachte ich mir nichts weiter dabei, Richard verlautete, dass er sich um die Klingel - und damit den Gast vor der Haustür - kümmern würde, weshalb meine Aufmerksamkeit bald schon wieder einer Boutique galt, in der es meiner Meinung nach wirklich kostengünstige, dafür aber wirklich schicke Outfits zu erwerben gab. Zwar hatte die junge Frau nach einer ersten Shoppingtour inzwischen ein paar sommertaugliche Klamotten, aber es war wohl allseits bekannt, das Frauen in der Regel nie genug Kleider im Schrank haben konnten. Ich bot Irina deshalb an, dass wir den Laden gerne einmal aufsuchen konnten, wenn sie denn wollte und gerade, als ich ihr vorschlagen wollte, das Ganze einfach direkt gleich in Angriff zu nehmen - vorerst eigentlich nur zum Gucken, weil sie nach wie vor nicht besonders viel Geld auf der hohen Kante hatte -, wurde die Tür zum Gästezimmer aufgeschoben und mein Gesichtsausdruck verfinsterte sich just in dem Moment, als ich Hunter in der Tür stehen sah. Seine erste Aufmerksamkeit gar dabei allerdings gar nicht mir, sondern Irina, was ich mir so gar nicht erklären konnte. Kannten sich die beiden? Etwa durch Iljah? Gut möglich, aber warum hatte Irina denn dann nichts gesagt? Weil es vielleicht nichts war, worüber man in den ersten Tagen bei Fremden sprach? Keine Ahnung... Misstrauisch ließ ich meinen Blick jetzt jedenfalls zwischen den beiden hin und her wandern, hob auch fragend eine Augenbraue, als mir klar wurde, dass hier irgendetwas nicht stimmen konnte. Allerdings ließ ich das erst einmal gänzlich unkommentiert, erschien es mir doch gerade als nicht der beste Zeitpunkt, hier und jetzt Verbindungslinien zu ziehen, wo alles in mir danach schrie, einfach mit der Schwarzhaarigen das Zimmer zu verlassen. Es war nicht so, als hätte ich jetzt Angst vor Hunter - wie gesagt, die hatte ich nie wirklich gehabt -, es lag vielmehr an der Tatsache, dass ich einfach noch keine Lust hatte, mich mit dem jungen Mann zu unterhalten. Überhaupt nicht wusste, was ich in einem Gespräch mit ihm sagen sollte und nicht zuletzt war ich mir über den weiteren Verlauf unserer Beziehung auch absolut unsicher. Und ich wollte es einfach nicht verkacken. Wollte mir Gedanken machen, nicht überstürzt handeln und konnte Hunter deshalb auch gar nicht böse sein, dass er sich so viel Zeit damit gelassen hatte, hier aufzuschlagen. Meinetwegen hätte er mir ruhig noch ein oder zwei Wochen geben können, bis ich mich selbst dazu animiert hätte, mich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen. So war ich vollkommen unvorbereitet, wusste überhaupt nicht was ich wollte und was ich zu sagen hatte, was ich gleich zu Anfang wohl auch ziemlich deutlich machte. "Ehrlich gesagt... nein, eigentlich können wir das nicht... reden, meine ich.", ließ ich meinen Noch-Freund wissen, dass ich eigentlich nicht besonders erpicht auf eine Unterhaltung mit ihm war. Dabei erhob ich mich langsam vom Bett, weil ich mich damit einfach etwas besser fühlte. Ich war zwar immer noch ein ganzes Stück kleiner als Hunter und um mit ihm auf Augenhöhe zu kommunizieren hätte ich mich vermutlich auf die Matratze stellen müssen, aber gut. So machte ich mich ihm gegenüber zumindest selbst nicht kleiner, als ich das eigentlich war. "Aber ich weiß, dass du keine Ruhe geben und mich so lange nerven wirst, bis ich dir zuhöre, also schieß los mit dem, was du zu sagen hast.", ergänzte ich wenig später ein paar Worte, mit denen ich allem voran auf Hunters Hartnäckigkeit anspielte. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann verfolgte er dieses Ziel ziemlich unnachgiebig und wenn er tatsächlich den Kontakt zu mir suchte, würde er nicht aufgeben, bis er damit erfolgreich war. Ich lenkte also direkt ein, wusste, dass es zwecklos war, zu versuchen ihn abzuweisen. Also sollte er reden, wenn ihm danach der Sinn stand und abhängig davon, was dabei so rum kam, konnte ich mich ja immer noch entscheiden, ob ich ihn einfach nach Hause schicken oder mir über seine Worte Gedanken machen würde. Im Augenblick ging ich felsenfest von ersterem aus, aber Hunter hatte inzwischen leider ein Händchen dafür entwickelt, wie er meine Wut auf ihn mildern konnte und sich mir gegenüber zu verhalten, als wäre er ein getretener Hund, der überhaupt nicht wusste, was er falsch gemacht hatte, war leider ein viel zu effizientes Mittel, als dass ich dem nicht nachgeben konnte. Aus dem ganz einfachen Grund, weil er sonst nie derart handzahm war, sich nie so richtig entschuldigte und schon gar nicht seinen Stolz herunterschluckte, um einzusehen, dass er einen Fehler gemacht hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich war nicht gläubig und hätte trotzdem beinahe die Hand ausgestreckt, um das sinnbildliche Kreuz über meine Schultern und den Kopf zu zeichnen, als Hunter im Türrahmen auftauchte. Im Grunde hatte ich nicht weniger als längst darauf gewartet, dass der Amerikaner mich durch irgendeinen unglücklichen Zufall sehen und dann gleich das nächste Mal zusammenfalten würde. Es war einfach hochgradig unwahrscheinlich, dass er über meine Anwesenheit hier erfreut sein würde. Wahrscheinlich fing er schon jetzt an sich die wildesten Geschichten zusammen zu spinnen - ich wäre hergekommen, um ihn auszuspionieren oder irgendeinen anderen Blödsinn - nur um mich dann bald endgültig um die Ecke zu bringen. Deswegen versiegte die Unterhaltung mit Cosma auch sehr schnell, als ich Hunters Stimme im Flur hörte und ich verkrampfte mich unweigerlich, als er in mein Sichtfeld trat und mich ins Auge fasste. Einen kurzen Moment lang war es still, dann kam mehr oder weniger die Frage nach dem Warum und dann... folgte kurze Zeit gar nichts. Während ich stocksteif in der Ecke auf der Matratze saß, schien er über irgendwas nachzudenken. Ich tippte am ehesten darauf, dass es sich darum handelte, auf welche unangenehme Art und Weise er mich jetzt nach draußen schleifen würde. Wider Erwarten folgte aber überhaupt nichts dergleichen. Stattdessen widmete er mich keines Blickes mehr und sah Cosma an, die unweit von mir ebenfalls auf dem Bett Platz genommen hatte. Erst als der Choleriker dann sein Wort an sie richtete, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Zwar hatte ich der jungen Frau keine Fragen dazu gestellt, was nun genau vorgefallen war, weil mich das schlicht und ergreifend in unserem Stadium der Bekanntschaft nichts anging und das doch sehr persönlich war, aber inzwischen war selbst bis zu mir durchgedrungen, dass sie sich offensichtlich mit ihrem Freund verkracht hatte, weil der gelinde gesagt ziemlich Mist gebaut hatte. Tja, wer war nun dieser Freund? Hunter. Ausgerechnet Hunter. Irgendwie hätte ich mir das schon denken können, oder? Dass sie schon in unserer ersten Unterhaltung mehr oder weniger eine flüchtige Andeutung dazu gemacht hatte, dass sie es selbst mit einem nicht unkomplizierten Mann zu tun hatte, hätte vielleicht schon meine Alarmglocken schrillen lassen sollen. Ich war wohl so froh darüber gewesen, hier auf Kuba meine Ruhe zu haben und endlich mal wieder normal, vollkommen unbelastet mit sympathischen Menschen reden zu können, dass ich das nicht einmal in Erwägung gezogen hatte. Mich gemütlich mit der Freundin von dem Hitzkopf anfreunden, der mir gefühlt den ganzen Körper ruiniert hatte - konnte auch wieder nur mir passieren. Weil er mir bis dato aber nur das Dekolleté versaut und noch nicht den Kopf abgeschlagen hatte, nutzte ich die Gelegenheit, dass er mit der Rothaarigen alleine sprechen zu wollen schien, um mich postwendend aus dem Zimmer zu verkrümeln. Sonst bekam ich noch den nächsten Schriftzug verpasst, nur weil ich mich nicht schnell genug verpisst und die beiden in Ruhe gelassen hatte. Ich widmete also keinem von beiden auch nur einem einzigen, weiteren Blick, bevor ich mich mit so viel Abstand wie möglich an Hunter vorbei aus dem Zimmer zwängte - was irgendwie schwierig war, weil er mehr als die Hälfte vom Türrahmen für sich beanspruchte - und mich ins Wohnzimmer verkrümelte. Es ging mir gleich etwas besser, als ich ihn nicht mehr sah. Trotzdem lehnte ich hibbelig an der Wand neben der Tür zur Terrasse, als Richard zu mir aufschloss und damit unweigerlich meinen Blick auf sich zog. Mir dann auch gleich Dinge sagte, die ich in seinen Augen vermutlich noch nicht wusste. Ich hatte bisher kein Wort über all die Geschehnisse in Russland verloren, also konnte der Engländer es auch gar nicht besser wissen. "Ist er nicht. Also nicht heute.", bezog ich mich darauf, dass der Dunkelhaarige es für möglich hielt, dass der Amerikaner mir gegenüber gerade ungemütlich geworden war. Wenn ich so drüber nachdachte war es auch ziemlich erstaunlich, dass das nicht passiert war. "Ich hab in Moskau viel Scheiße gebaut... sein Geschäft mit Iljah hing da mit drin und das hatte... unschöne Konsequenzen für mich. Hunter versteht da keinen Spaß, wie du bestimmt weißt...", gestand ich ich dem jungen Mann neben mir gemurmelt, dass ich aus eigener Hand von Hunters impulsiven Verhalten wusste und mich dahingehend wohl nichts mehr wundern würde. Ich lief noch immer mit hochgeschlossenen Oberteilen rum. Bei den bauchfreien Tops, die ich mir unter anderen Klamotten gekauft hatte, war der Kragen grundsätzlich immer weit oben. Wenn ich mich in Cosmas Beisein in ihrem Zimmer umzog, dann immer mit dem Rücken zu ihr. Ich schämte mich noch immer für den hässlichen Schriftzug auf meinem Oberkörper. Deswegen hatten mich bis jetzt auch noch keine zehn Pferde tiefer als hüfthoch ins Meer gekriegt, weil ich dann ja das Oberteil hätte ausziehen müssen. Dass Richards unübersehbare Narbe im Gesicht auch der Hand des Amerikaners entsprang wusste ich bis dato nämlich noch nicht, weil ich mich davor gehütet hatte ihn darüber auszufragen. Auch das schien mir einfach eine Stufe zu weit zu gehen, wo er es damit doch sicher nicht immer leicht hatte.
Ich war schon drauf und dran mir zu überlegen, wie ich Cosma dazu umstimmen konnte mir doch zuhören zu wollen - nachdem sie mir allem voran erst einmal eine Absage erteilt hatte -, da stand die junge Frau auch schon auf und lenkte was das anging doch noch ein. Es war der erste, kleine Stein, der mir vom in den letzten Tagen immer schwerer gewordenen Herzen fiel. Außerdem war es auch einfach eine kleine Genugtuung, dass sie mir zuhören würde, obwohl Richard das verneint hatte. Dass das nur dem Fakt zugrunde lag, dass sie mich besser kannte als jeder andere Mensch und wusste, dass ich ziemlich wahrscheinlich nicht locker lassen würde, war in diesem Moment auch vollkommen egal. Ich war einfach nur froh darüber, dass sie mir die Chance gab mich zu Alledem zu äußern und mich zu erklären... obwohl ich bis dato ja selbst nur minder eine Erklärung für all das hatte. Ohne Therapie und Jemanden, der Ahnung von psychischen Erkrankungen wie dieser hatte, würde ich kaum den Auslöser oder gar die endgültige Lösung für all das finden. Psychosen und Traumata gingen nicht einfach wieder von selbst weg, nur weil man sich das wünschte. Jedenfalls machte ich sicherheitshalber erstmal die Tür hinter mir zu, auch wenn ich nicht glaubte, dass einer der anderen beiden sich mir jetzt freiwillig nähern würde. So oder so war keines der Worte der kommenden Unterhaltung für deren Ohren bestimmt, also galt es die Möglichkeit aufs Lauschen so gut es ging zu eliminieren. Erst danach ging ich noch zwei, drei Schritte auf die junge Frau zu ohne ganz zu ihr aufzuschließen. "Ich..." War am Ende ja doch noch schwerer, als ich es für möglich gehalten hatte und so hielt ich noch einmal kurz inne, bevor ich wirklich zu reden anfing. "Ich kann mich nicht daran erinnern... ich hab mir die Videoaufnahmen aus der Nacht angesehen, in der ich dich... eingesperrt habe..." Gelinde gesagt. Alles andere konnte ich aber nicht aussprechen. "...aber ich schwöre dir bei Allem was mir heilig ist, dass ich mich wirklich nicht daran erinnern kann. Nicht mal ein bisschen. Ich weiß es jetzt auch nur, weil ich mir das angesehen habe.", redete ich etwas konfus vor mich hin. Ich hielt es für wichtig, dass Cosma allem voran das erfuhr. Dass ich mich nicht dumm gestellt hatte oder sonst irgendwas, als ich sie wieder aus dem stickigen Raum im Keller geborgen hatte. Allerdings machte das wiederum eben auch deutlich, wie sehr ich inzwischen wahnsinnig war. Dass ich mehr als eine Schraube locker hatte und nicht nur eine Gefahr für meine Feinde war, sondern für jede andere Person um mich herum. "Demenz kanns leider eher nicht sein, also... hab ich jetzt wohl endgültig den Verstand verloren und kann nicht mal mehr mir selbst trauen." Oder ich hatte zumindest eben mehr als einen Verstand und die beiden fungierten unabhängig voneinander, was denkbar ungünstig war. Ich seufzte leise, hob die rechte Hand und rieb mir einmal übers Gesicht. Allerdings stand mir die eigene Ratlosigkeit und Verzweiflung wohl auch danach noch quer übers Gesicht geschrieben, als ich meinen Blick wieder in Cosmas legte. "Ich hab mir selbst Medikamente verschrieben... was sicher nicht ideal ist, aber ich wollte nicht riskieren, dass ich dir nochmal weh tue, wenn ich herkomme, falls ich wieder..." Den Verstand verliere. Zu meiner offensichtlich vorhandenen, zweiten Persönlichkeit switche. Amok laufe. "Ich kann gar nicht sagen, wie... leid mir das tut. Und ich erwarte auch nicht, dass du mir das jetzt einfach verzeihst... oder überhaupt jemals. Auch nicht, dass du nach Hause kommst, weil ich mir selbst die Kugel geben würde, wenn sowas nochmal passiert..." Nach wie vor verfolgte ich mit meinen Worten nicht sowas wie einen Plan, doch hatte die blanke Improvisation wohl tatsächlich zu einer wörtlichen Entschuldigung und mehr Einsicht geführt, als ich das für möglich hielt. Als ich hergekommen war, hatte ich die junge Frau doch noch sehr gerne mit nach Hause nehmen wollen, aber je länger ich bewusst über meine Lage und meine nicht zu leugnende Geisteskrankheit sprach, desto klarer wurde mir, dass das absolut keine gute Idee war. Ich konnte mir schon den ersten Schlag und das tagelange Einsperren nicht verzeihen, beim nächsten Mal war der Gnadenschuss also die einzige Lösung. Es war mir selbst kein Geheimnis, dass ich nicht selten ein Monster war, aber ich konnte nicht damit leben der Frau, die ich liebte, derartiges Leid zuzufügen. Ich hatte keinen Angst vor meinem eigenen Tod - vor Cosmas schon. "Aber ich... ich schaff das nicht allein.", kam ich schließlich zum Ende all meiner Worte. Setzte dazu an nach ihren schmalen Fingern zu greifen, ließ es dann aber doch sein und senkte schließlich den Blick auf den Boden. Ich fühlte mich nichts als elendig schwach und erbärmlich damit, mir meine Unfähigkeit allein mit dieser Sache fertig zu werden einzugestehen. Das auch der Rothaarigen zu sagen, die wohl der einzige Mensch war, der mir wirklich dabei helfen konnte. Ashton kannte mich gut, aber doch nicht so gut wie sie. Ich konnte mich vor Niemandem öffnen, außer vor ihr. Sie war zwar nicht gerade Psychologin, aber am Ende reichte es vermutlich auch, wenn sie dafür sorgte, dass ich meinen Arsch in irgendeine Praxis schob oder mir einen Seelenklempner nach Hause holte. Wenn mich Irgendjemand dazu kriegen konnte, dann sie. Ich fühlte mich momentan wie ein im Regen stehen gelassenes Kind, das vergeblich nach Hilfe suchte und nicht wusste, wohin es gehen sollte, um wieder ins Trockene zu kommen. Ich hatte nicht nur mir selbst und Cosmas gegenüber diese Verantwortung zu tragen und die Sache grade zu biegen, sondern auch all der Männer wegen, die mir bedingungslos folgten. Zwar mochte ich ein harter Boss sein, aber wir waren dennoch Familie. Ich konnte auch den Gedanken nicht ertragen sie in einer nächsten Phase von blankem Wahnsinn ungewollt über die Planke zu schicken und damit nicht nur mein Imperium zu stürzen, sondern auch endlos viele Männer zu enttäuschen, die mir teils schon etliche Jahre lang folgten und vertrauten.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es überraschte mich, dass Irina Hunter offensichtlich bereits kennengelernt hatte. Zumindest ließ sich das nicht heute der jungen Frau meiner Meinung nach nicht anders erklären, als dass sie irgendwann schon einmal aufeinandergetroffen waren. Und unter der Prämisse, dass Vahagns Bruder in Geschäfte mit dem Amerikaner verwickelt gewesen war, war es dann vielleicht doch gar nicht mehr so überraschend. Machte mehr als nur Sinn, weil Hunter laut der Rothaarigen doch auch das ein oder andere Mal nach Russland gereist war. Gut möglich also, dass sie dadurch bereits Bekanntschaft geschlossen hatten. Dass diese Vermutung grundsätzlich zutraf, aber noch um ein unschönes nice-to-know ergänzt wurde, ließ mich Irina mit ihren noch folgenden Worten wissen und meine Augenbrauen schnellten nur so in die Höhe, als sie darüber berichtete, dass ganz offensichtlich Hunters Geschäft unter einigen ihrer Missetaten gelitten hatte. "Und da lebst du noch?", platzte es ungläubig aus mir heraus und meine Worten hörten sich vermutlich spöttischer an, als sie das eigentlich hätten sein sollen. Das fiel mir auch schnell auf und so schüttelte ich nur mit einem leisen Seufzen den Kopf, zwang meine Augenbrauen wieder in ihre Ausgangsposition zurück. "Sorry, ich wollte nicht so... forsch klingen. Es fällt mir nur schwer zu glauben, dass er wegen Belanglosigkeiten quasi durch die Decke geht, aber bei seinen Geschäften scheinbar milde walten lässt.", entschuldigte ich mich für meine vorangegangenen Worte, raufte mir dabei auch etwas die ungemachten Haare, kurz bevor ich meine Arme in die Hüfte stemmte und die Schwarzhaarige mit leicht schief gelegtem Kopf ansah. Irgendwie konnte ich das ja nicht glauben. Entweder, sie erzählte mir hier gerade vollkommenen Mist oder es gab da einen Aspekt, der Hunter Gnade hatte walten lassen. Ich konnte mir nämlich definitiv nicht vorstellen, dass Irina unter normalen Voraussetzungen noch leben würde, obwohl sie dem Amerikaner ins Geschäft gepfuscht hatte. Denn ja, ich wusste, dass Hunter in der Hinsicht keinen Spaß verstand. Gut, ich hatte mir damals hinsichtlich einer Abmachung auch mehr rausgenommen, als mir zugestanden hatte, aber lediglich mit der malträtierten Gesichtshälfte zahlen müssen, weil ich noch gebraucht worden war und letztlich, als Cosma und er dann zueinandergefunden hatten, wollte er es sich mit seiner Freundin natürlich nicht mehr verscherzen. Andernfalls würde ich mir die Radieschen wohl auch schon lange von unten angucken, aber zum aktuellen Zeitpunkt war ich tatsächlich ganz froh, dass mir das bis heute erspart geblieben war. Ich fing langsam an, das Leben wieder mehr oder weniger zu genießen und Sammy gab mir trotz unseres kleinen Streits weiterhin einen Grund dafür, meinen Arsch endlich wieder final an die Wand zu kriegen. Also ja. Ich ließ meine Arme wieder sinken, wandte mich von der jungen Frau ab und holte gerade noch das letzte Polster von der Terrasse, kurz bevor sich der Wolkenbruch mit einem lauten Donner ankündigte, kehrte dann ins Haus zurück und schloss die Schiebetür hinter mir, damit der kommende Regen nicht den Wohnbereich flutete, ehe ich mich wieder mit einem leisen Seufzen an Irina wandte. "Willst du einen Tee? Ich mach mir in jedem Fall einen, das ist mir hier gerade schon wieder etwas viel für meine geschundenen Nerven.", stellte ich ebenfalls nur leicht gemurmelt fest und setzte mich kurze Zeit später auch schon direkt in Bewegung, um die Küche anzusteuern. Dabei schenkte ich der Schwarzhaarigen im Vorbeigehen noch ein schmales, aber aufrichtiges Lächeln und nickte mit dem Kopf in die Richtung, die ich einschlagen würde, um sie dazu zu animieren, mir zu folgen. In der Küche angekommen, schnappte ich mir zielstrebig den Wasserkocher von seiner Station, um ihn mit Wasser zu füllen, ehe ich mich den Tassen und der Auswahl an Tee widmete. In Norwegen hatte ich wirklich viel Wert darauf gelegt, frischen, losen und sehr hochwertigen Tee aus einem speziellen Geschäft auf Vorrat zu haben, weil da ganz einfach der Engländer in mir durchdrang, aber hier auf Kuba hatte ich bis jetzt noch keinerlei Möglichkeit dazu gehabt, mich in Ruhe nach einem solchen Lädchen umzuschauen. Also mussten es erst einmal allerlei Beutelchen tun, auch wenn der Geschmack natürlich keinesfalls vergleichbar war. Vielleicht würde mir Samuele ja einen Laden empfehlen können, bot er bei sich im Café doch bestimmt auch den ein oder anderen Tee an. Ich entschied mich nach kurzem Zögern schließlich für einen Schwarztee mit Citrusnote, der meine Nerven beruhigen sollte. Ich trat daraufhin einen Schritt zur Seite, falls Irina ebenfalls einen Blick auf die Auswahl werfen und sich dann etwas herausnehmen wollte, eine Tasse hatte ich ihr bereits auf die Anrichte gestellt. Tat mir schließlich keinen Abbruch, wenn ich diese später wieder wegräumen musste, weil ihr vielleicht gerade nicht danach war, ein Heißgetränk zu trinken. Zugegeben hatte mein Konsum hier auf Kuba auch stark nachgelassen, weil es einfach furchtbar warm war und die Temperaturen selbst an den absolut raren Regentagen kaum unter 18 Grad fiel, aber mit einer entsprechenden Klimaanlage konnte man es im Inneren des Hauses zwischenzeitlich auch recht kühl werden lassen, sodass sich ein Tee genießen ließ. Zwar war besagtes Klimagerät im Moment ausgeschalten, aber meine Nerven lagen blank und das ließ mich trotz der warmen Außentemperaturen etwas frösteln. "Wie sieht es eigentlich mit Iljah aus? Kommt er noch nach?", stellte ich nach einer kurzen Schweigeminute noch eine an die junge Frau gerichtete Frage, als ich den Beutel gerade aufgoss. Dabei sah ich sie nicht an, klang aber auch nicht so, als würde ich sie zu einer Antwort drängen wollen. Schweigen wollte ich aktuell aber halt einfach nicht, aus Sorge, es ließ sich aus dem Gästezimmer Geräusche vernehmen, die besorgniserregend waren. Ich versuchte mich daher einfach mit etwas Smalltalk abzulenken und hoffte darauf, dass Irina einfach auf den Zug aufspringen würde. Als zu persönlich empfand ich die Frage nämlich eigentlich nicht.
Hunter schien sich nicht zwei Mal dazu auffordern lassen zu müssen, mit der Sprache herauszurücken, sondern legte direkt los, nachdem ich mich damit einverstanden erklärt hatte, ihm zuzuhören. Zwar war das, was er anfangs zu sagen hatte, nicht unbedingt das, was ich hatte hören wollen und das quittierte ich für ihn auch ziemlich offensichtlich mit einem Augenrollen meinerseits. Er konnte mir doch nicht wirklich weismachen wollen, dass er sich an all das nicht mehr erinnern konnte. Nur durch die Videoaufnahmen wusste, was er getan hatte, das war einfach absurd. Je länger Hunter allerdings redete und nach einer Erklärung für sein Verhalten suchte, desto mehr Sinn machte all das auch für mich. Offensichtlich schien der junge Mann nämlich inzwischen wirklich wahnsinnig zu werden und den Verstand endgültig zu verlieren, was meiner Meinung nach keine besonders gute Basis für eine langanhaltende Beziehung war. Ich müsste jedoch lügen, würde ich behaupten, dass er mir nicht leidtat, denn so geknickt, wie er mir unweit gegenüberstand, schien es ihm mit der Erkenntnis, dass er tatsächlich der Sündenbock des Ganzen war und ich ihn nicht bloß als solchen hinstellen wollte, echt nicht gutzugehen. Es fiel mir dadurch halt aber leider trotzdem nicht leichter, Hunter seinen Fehltritt zu verzeihen, weil er - ob nun bei Sinnen oder nicht sei mal dahingestellt - einfach einen Schritt zu weit gegangen war. Dass er sich deshalb inzwischen selbst medikamentös behandelte, zeigte zwar seinen guten Willen, versprach aber weder mir, noch ihm, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommen würde und die Tatsache, dass er sich selbst die Kugel geben würde, falls es tatsächlich noch ein weiteres Mal dazu kam, war leider kein sehr überzeugendes Argument. Wer wusste denn, ob er einem möglichen nächstem Mal auch plötzlich wieder zu sich kam, kurz bevor ich abkratzte? Vielleicht würde ich das nächste Mal ja gar nicht überleben? Alles in allem war ich also sehr misstrauisch, was Hunters Worte anging, aber... aber konnte ich denn jetzt wirklich einfach abweisen und nach Hause, wo er so vor mir stand? Sich in höchster Form für sein Verhalten entschuldigte und dann sogar noch eins obendrauf setzte, indem er mich wissen ließ, dass er es nicht alleine aus dem tiefen Loch seiner kaputten Psyche herausschaffen würde und mich brauchte? Sozusagen gar nicht mehr ohne mich konnte. Ich hatte meine Arme, die ich kurzzeitig vor der Brust verschränkt hatte, mehr nur noch um meinen Körper gelegt, als Hunter darauf zu sprechen gekommen war, was er auf den Videoaufzeichnungen gesehen hatte, weil er mit seinen Worten all die Bilder vor meinem inneren aufblitzen ließ. Ich rieb mir deshalb wohl auch etwas nervös über den Unterarm, konnte den Blick des jungen Mannes gar nicht so richtig erwidern, obwohl mir das normalerweise überhaupt nicht schwer fiel. "Ich... weiß ehrlich gesagt nicht so recht, was ich sagen soll, Hunter.", murmelte ich, nachdem der Amerikaner mit seinen Worten zum Ende gekommen war. Und das war es, wovor ich eine solche Angst gehabt hatte. Dass ich überhaupt nicht wusste, was ich sagen sollte, weil ich mich bis dato ganz einfach noch nicht damit auseinandergesetzt hatte. Was ich aber sagen konnte war, dass er definitiv professionelle Hilfe brauchte, denn wenn es stimmte, was er sagte und er nicht Herr seiner Sinne gewesen war, dann saß das Problem eindeutig schon viel zu tief, als dass er die Konsequenzen der jahrelangen Verdrängung einfach mit ein paar Medikamenten in den Griff bekam. "Selbst wenn das alles stimmen sollte, was du da sagst...", was ich jetzt erst einmal nicht bezweifelte, weil man den Choleriker eigentlich grundsätzlich beim Wort nehmen konnte, "...dann kann ich alleine dir nicht helfen. Das... geht einfach nicht, das schaffe ich nicht.", gestand ich mir in dem Punkt nur widerwillig die Schwäche ein, dass ich eben keine ausgebildete Psychologin mit vielen Tipps und Tricks auf Lager war, um psychische Leiden erträglicher zu machen und unter Kontrolle zu bekommen. Es fiel mir schwer, das so offen zuzugeben, dass ich mit dem muskelbepackten Mann einfach nicht umgehen konnte, wenn er die Kontrolle über sich verlor - weil er dann nun mal einfach unberechenbar und nicht zu beeinflussen war -, aber alles andere wäre gelogen und schürte nur falsche Hoffnungen, die ich Hunter einfach nicht machen wollte. Nichtsdestotrotz ging es mir wirklich nahe, dass Hunter sich mir gegenüber so verletzlich zeigte und am liebsten hätte ich ihn wohl einfach in meine Arme gezogen, um ihm zu versichern, dass alles gut werden würde, aber im Augenblick war ich nicht wirklich überzeugt von diesem Gedanken. Konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass die Zukunft in meinen Augen rosiger aussah, als die Vergangenheit. Dementsprechend geknickt sah ich den jungen Mann wohl auch an, rührte mich nicht und war einfach ratlos, wusste nicht, wie ich mich jetzt verhalten sollte, weil dieser Streit einfach ganz anders war, als jede andere vorherige Auseinandersetzung. "Ich meine... wie stellst du dir das vor? Was soll ich denn bitte tun?", knüpfte ich etwas unsicher klingend an meine vorherigen Worte an. "Mir war von Anfang an klar, dass du irgendwann mein Tod sein wirst und wenn mich das abgeschreckt hätte, dann würde ich jetzt nicht hier stehen, aber... ich hatte mir das irgendwie anders vorgestellt.", murmelte ich nachdenklich vor mich hin, hob erst jetzt dann auch wieder meinen Blick in den von Hunter an, um meinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Zwar meinte ich das, was ich gesagt hatte, keinesfalls böse, aber es war de facto einfach so, dass unsere Beziehung absolut nicht gesund war und irgendeinen von uns früher oder später wirklich das Leben kosten würde. Ich wollte jedoch lieber im Streit erschossen werden, als verschwitzt und ausgehungert im Keller zu verrotten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ja, ich lebte noch. Allerdings nicht, weil der Amerikaner Gnade hatte walten lassen, sondern weil Iljah sich jene erkauft hatte. Vielleicht auch ein bisschen, weil Hunter wusste, dass es den Geschäftspartner in der Regel eher nur wenig bis gar nicht erfreute, wenn er dessen Freundin mal kurzerhand umlegte. Ich hatte mich mental damals darauf vorbereitet und war noch immer froh, dass ich das umsonst getan hatte. Zwar brauchte ich noch immer einen guten Weg, um all das blöde Geld an den Schwarzhaarigen zurückzuzahlen, weil ich das schlichtweg nicht einfach so auf sich beruhen lassen wollte, aber irgendwann würde ich das und dann wurde alles gut. Vielleicht nur langsam, aber stetig. Seit ich hier auf Kuba war und reichlich Distanz zwischen mir und dem Russen lag, waren meine aufgebrachten Gedanken doch etwas zur Ruhe gekommen und ich fing langsam damit an mich insgesamt weniger in all das hineinzusteigern, was noch zwischen mir und Iljah stand. Außerdem fing ich zwangsweise auch schon damit an den jungen Mann zu vermissen, wo ich mich doch jede Nacht allein auf dem Sofa herumkugeln musste und nicht selten dabei aufwachte, weil er eben einfach nicht da war. Ich fühlte mich nur deswegen ein bisschen weniger einsam, weil Richard und Cosma mich hier nett aufgenommen hatten und ich eben nicht allein war. Trotzdem fehlten mir die Küsse, seine Nähe, sein Geruch... und langsam wohl auch der Sex. Ich seufzte schwer und folgte dem Engländer nach einem gut sichtbaren Nicken aber erst einmal in die Küche, bevor ich zum Reden ansetzte. "Naja, es ist nicht so als ob er wirklich gnädig gewesen wäre. Er wollte mich sehr wohl umlegen, hat's aber nicht gemacht..." Ich unterbrach und warf einen blick auf die Teeauswahö, fischte mir letztendlich einen Beutel voll grünem Tee heraus. Dann hängte ich ihn in die Tasse und lehnte mich kurz darauf mit der Hüfte gegen die Theke. "...Iljah hat mich quasi freigekauft. Keine Ahnung, ob Hunter sich sonst noch irgendwas dabei gedacht hat... einen Denkzettel hat er mir trotzdem verpasst und ich bin nicht scharf drauf noch einen zu kriegen.", hängte ich noch eine knappe Erklärung an und zuckte mit den schmalen Schultern. Sah Richard dann schließlich dabei zu, wie er die Teetassen aufgoss und hing unweigerlich wieder komplett mit den Gedanken an dem Russen fest, weil er mir einfach fehlte und sowieso ständig in meinem Kopf kreiste. Der Engländer blieb auch gleich bei jenem Thema, wogegen ich nichts einzuwenden hatte. Das Problem war nur, dass ich ihm darauf keine richtige Antwort geben konnte. Iljah drückte sich weiter davor mir zu sagen, ob und wann er vielleicht endlich mal nachkam. Es war ja auch nicht so, als hätte er mir jemals wortwörtlich versichert, dass er tatsächlich nachkam. Ein weiß ich nicht war irgendwie alles, was ich von ihm bekommen hatte und das war doch ziemlich nichts aussagend. "Ich weiß es nicht... eigentlich schon, aber er drückt sich weiter davor mir zu sagen wann. Er muss ja den ganzen geschäftlichen Mist regeln, bevor er überhaupt herkommen kann und das dauert sicher noch eine Weile." Ich kam und ein weiteres, leiseres Seufzen nicht herum und rollte flüchtig die Augen nach oben, weil mich das eben einfach nervte. Mir war zwar schon vor unserer Beziehung klar gewesen, dass man so als Kopf einer Organisation nicht immer viel Zeit übrig hatte und einfach ein Stück weit gebunden war, aber gerade störte mich das schlichtweg mehr als jemals zuvor. Während meiner letzten Wochen in Moskau hatten wir uns ja zumindest im Bett immer gehabt, auch wenn er sonst fast dauerhaft auf Achse gewesen war. Hier hatte ich eben gar nichts von ihm außer Nachrichten und mit Glück einen Anruf hier und da. Ein Tee war alles, was mir nach Ablauf der Ziehzeit hier übrig blieb und das war schon jetzt ziemlich frustrierend, obwohl ich noch gar nicht so lange hier war. Deswegen hoffte ich doch sehr, dass Iljah sich nicht zu viel Zeit damit lassen würde zu mir aufzuschließen, damit wir uns zusammen in Kubas Sonne durch den Sand rollen konnten... wobei er da mit seiner etwas blasseren Haut vermutlich vorsichtiger sein musste als ich. "Hast du eigentlich Jemanden..?", fragte ich mal so ganz oberflächlich nach, wie es mit der Liebe denn eigentlich bei dem Dunkelhaarigen aussah.
Das war der große Haken an der Sache, ja - dass Cosma mir nicht allein damit helfen konnte. Dass es zwangsweise irgendeine dritte Person dazu brauchte, die mehr Erfahrung und vor allem auch mehr Wissen über dermaßen verheerende, psychische Erkrankungen hatte. Sicher, das Internet hatte mir an und für sich schon verraten, dass man zumindest die Schwere der Psychose in jedem Fall stark eindämmen konnte, aber ohne eine richtige Therapie brachten einem Medikamente auf lange Frist schlichtweg nichts. Sie waren jetzt vorübergehend okay um mich ruhig zu stellen und gewisse Reize in meinem Hirn zu dämmen und bis zu einem gewissen Grad zu blockieren, aber das war es dann eben auch schon. Cosma konnte vielleicht dafür sorgen, dass mich weniger der Selbsthass zerfraß, indem sie an meiner Seite blieb, aber sie war keine Fachkraft in Hinsicht auf gestörte Persönlichkeiten. Dass die junge Frau deshalb dezent mit der Lage und der Situation überfordert schien, war kaum verwunderlich. Sie wusste eben auch so gut wie ich selbst, dass mich nichts hielt, wenn ich nicht festgehalten werden wollte. Deswegen war es wahrscheinlich auch dezent fahrlässig einen Psychologen in meine Nähe zu bringen, der in sämtlichen Triggerpunkten meiner Vergangenheit herumstochern würde, weil das nun mal sein Job war - die Ursache finden und dann entsprechend behandeln. Anders wusste ich mir aber nicht zu helfen. Es hatte sich schlichtweg so viel Ballast in all den Jahren angesammelt, dass es jetzt zu viel war und vollkommen aus dem Ruder lief. "Ich... weiß das.", war die erste und eher überflüssige Feststellung, die ich zu alledem äußerte. Dann hob ich beide Hände an, rieb mir über die kurzen Stoppeln auf meinem Schädel und machte dabei ein paar Schritte. Nicht gehetzt, nur ein bisschen unruhig und eben nachdenklich, weil die Sache endlos schwierig hinzukriegen schien. "Ich hab schon ein bisschen gesucht wegen... Psychologen und sowas... es gibt ein paar in Havanna, vielleicht kann... Sam mir da irgendwen empfehlen... und Ashton kann sicher dabei helfen mich fest zu tackern... währenddessen, damit... Niemandem was passiert. Es geht mir eher darum, dass du... dabei einfach anwesend bist und...", wieder stammelte ich nur stückweise vor mich hin, während ich ein paar weitere Schritte durch den Raum machte. Schließlich am Bett vorbeikam, auf dessen Kante ich mich fast schon kraftlos fallen ließ. Im Grunde war ich das auch - nervlich. Dass Cosma mir offen und ehrlich ins Gesicht sagte, dass sie mich ohnehin schon längst für ihren Henker hielt, machte es auch nicht grade besser. Ich wollte nicht ihr Grab schaufeln und sie noch weniger selbst hineinschubsen. Ganz im Gegenteil. Ich hatte die Ellenbogen auf den Oberschenkeln abgestützt und hielt meinen Kopf noch einige Sekunden lang mit am Hinterkopf gefalteten Händen unten, bevor ich schließlich wieder zu der Rothaarigen aufsah. "Ich brauche dich, damit du mir in den Arsch trittst, wenn's nötig ist... ich werde mich da früher oder später rauswinden wollen wenn's hässlich wird und den Scheiß hinschmeißen, wenn ich keinen Grund dafür habe weiterzumachen. Du weißt, dass du der einzige Mensch bist, der überhaupt Einfluss auf mich hat.", formulierte ich meine Gedanken weiterhin einfach so in Worte, wie sie mir in den Sinn kamen. Zwar hatte auch Cosmas Einfluss auf mich irgendwo Grenzen, aber wenn ich keine andere Wahl hatte als mich ihren Worten zu stellen, dann würde das sicher Wirkung haben. Je mehr und je länger ich darüber nachdachte, dass die Sache verzwickt und vor allem gefährlich werden könnte, desto sicherer wurde ich mir damit, dass es ziemlich vorausschauend wäre mich während den Sitzungen schlichtweg an einen Stuhl zu ketten. Anders konnte ich kaum für irgendwas garantieren. "Das ist viel verlangt nachdem ich dich so behandelt habe, weil du dann wahrscheinlich noch viel mehr an mir sehen wirst, das du dir gern erspart hättest, aber..." Ich brach nochmal ab und sah auf meine Hände runter. Die Hände, die in meinem Vierteljahrhundert Lebenszeit schon endlos viel Leid erfahren und noch viel mehr ausgeteilt hatten. "...ich will nicht der Grund dafür sein, dass du stirbst. Ich will mit dir... glücklich werden. Irgendwann, wenn ich diese ganze Scheiße hinter mir lassen und dir... auch mal was zurückgeben kann. Bis dahin ist es ein verdammt langer Weg, das weiß ich..." Immerhin war ich derjenige, der die ganze Scheiße erlebt und verzapft hatte. Erst nach all diesen Worten und kurzem Schweigen hob ich den Blick wieder zu Cosmas Gesicht an, das durch meine sitzende Position doch deutlich höher lag als meines. "Nur wenn du sowieso jetzt schon weißt, dass du nichts mehr von mir wissen willst und dir das alles zu viel ist, dann... sag's mir bitte gleich oder wenigstens in ein paar Tagen, wenn du mehr Zeit brauchst. Weil in dem Fall spar' ich mir das alles.", richtete ich mit verunsicherter Stimme noch eine letzte Bitte an die junge Frau, ohne den Augenkontakt wieder zu unterbrechen. Ich wusste wie viel ich gerade von ihr verlangte. Wusste auch, dass ich dazu kein Recht hatte, so oft wie sie inzwischen nur wegen meinem egoistischen Verhalten geweint oder anderweitig gelitten hatte. Dennoch hatte ich ohne sie keinen einzigen Grund, der auch nur ansatzweise gut genug war, die Therapie durchzuziehen. Ich würde es dann einfach sein lassen und mein Leben endgültig an die Wand fahren. Mein eigener Henker sein, weil ich früher oder später durch die Schizophrenie irgendeinen Scheiß verbocken würde, aus dessen Schlinge ich meinen Hals dann nicht mehr ziehen konnte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Aha, daher wehte also der Wind. Irina - oder in dem Fall eben ihr Freund - waren für seine Gnade durch Hunter zur Kasse gebeten worden und als ich diese Information erst einmal verarbeitet, eins und eins zusammengezählt hatte, war quasi nicht mehr zu übersehen, warum Vahagn nicht besonders gut auf die Freundin ihres Bruders zu sprechen war. Unabhängig davon, ob ich nun wusste, dass auch ihr Geld Irinas Leben mitfinanzierte oder eben nicht, konnte ich mir vorstellen, dass es alles andere als im Sinn der Russin stand, ihre Familie für Jemanden zahlen zu sehen, der es im Prinzip nicht wirklich verdient hatte. Natürlich würde ich mich davor hüten, über Irinas Missetaten zu urteilen, weil es mich weder etwas anging, noch wirklich interessierte, aber es erklärte zumindest hinsichtlich Vahagns Verhalten ihr gegenüber so einiges. Ich murmelte ein nachdenkliches "Verstehe", in ihre Richtung und nickte dabei unterbewusst ein wenig. Dann folgten seitens der jungen Frau noch ein paar Worte, die mich fragend die Augenbrauen zusammenziehen ließen. Sie hatte also trotz allem einen Denkzettel verpasst bekommen? Ich sah augenblicklich auf ihre Hände, ließ meinen Blick ganz ungeniert dann auch über den Rest ihres Körpers wandern, aber die Finger an ihren Händen schienen noch alle vollständig und zumindest das, was man an Haut sah, unversehrt zu sein. Entweder Hunter hatte sich in ihrem unmittelbaren Freundeskreis an Bekannten zu schaffen gemacht, um ihr eins auszuwischen oder aber der Denkzettel war nicht besonders oberflächlich. Als ich mit der Musterung zum Ende gekommen war, was mich sicherlich keine fünfzehn Sekunden brauchte, suchte ich mit meinem Blick wieder den von Irina und griff parallel dazu nach meiner Teetasse. "Was... hat er dir denn angetan?", stellte ich ihr zögerlich die Frage, die mich gerade so beschäftigte. War dabei entsprechend vorsichtig, weil ich schließlich wusste, dass es durchaus unangenehm sein konnte, darüber zu sprechen. Immerhin hatte ich mir am Anfang auch wirklich schwer getan, aber dann doch recht schnell gelernt, damit etwas lockerer umzugehen. Klar, es hatte mein Antlitz wirklich ruiniert, aber ich konnte es jetzt nicht mehr ändern und auch wenn ich Hunter nach wie vor dafür verfluchte, kam ich langsam mit meinem neuen Ich klar. Nicht zuletzt natürlich wegen Samuele, aber zu dem gleich mehr. Nachdem ich Irina also die Frage gestellt hatte, was für einen Denkzettel Hunter ihr verpasst hatte, deutete ich mit der freien Hand schon bald auf meine kaputte Gesichtshälfte, lächelte aufbauend. "Brauch dir auch gar nicht unangenehm zu sein, ich kann mit der Narbe im Gesicht gut mit dir mitfühlen, denke ich", versuchte ich, Irina ein Stück weit dazu zu ermutigen, darüber zu reden. Wenn mir der jüngere Italiener eines beigebracht hatte, dann war es, dass man über etwas, das einen bedrückte, definitiv reden sollte. Man fühlte sich danach einfach viel besser und bei körperlicheren Verstümmelungen konnte ich Irina immerhin unterstützend zur Seite stehen und ihr versichern, dass sich das Schamgefühl dahingehend irgendwann zurückentwickelte. Ich hob anschließend die Teetasse an meine Lippen, um einen ersten, vorsichtigen Schluck von dem Gebräu zu nehmen, aber es war selbstredend noch viel zu heiß, als dass ich es problemlos hätte genießen können und somit stellte ich die Tasse noch einmal ab. Just in diesem Moment setzte die Schwarzhaarige zur Erklärung an und teilte mir mit, dass ihre bessere Hälfte wohl noch eine ganze Weile brauchen würde, bis er ihr nach Kuba folgen würde, weil er seine Zelte in der Heimat nicht einfach abbauen konnte, was bei einem Geschäft - legal, wie auch illegal - gewissermaßen nachvollziehbar war. Nichtsdestotrotz sollte es doch eigentlich in seinem Interesse sein, die Person, die er liebte, möglichst bald wiederzusehen, oder etwa nicht? Ihr zumindest hier und da mal einen Besuch abstatten und deshalb hielt sich mein Verständnis dafür, dass Iljah sich so gar nicht auszusprechen vermochte, was er sich hier sehen ließ, stark in Grenzen, aber gut, auch das ging mich vermutlich nichts an. "Also auch so ein ganz umgänglicher Typ Mensch - so mit klaren Aussagen, mit denen man auch tatsächlich etwas anfangen kann, hm?", witzelte ich und versuchte dadurch - sowieso durch ein schiefes Grinsen - die Unterhaltung etwas aufzulockern. Indessen verschränkte ich abwartend die Arme vor der Brust, weil mein Tee leider noch immer ziemlich stark vor sich hin dampfte und wenn er bis jetzt noch nicht angenehm temperiert war, dann aber spätestens nachdem ich über eine Antwort auf die noch anknüpfende Frage der jungen Frau vor mir nachgedacht hatte. Denn ehrlich gesagt war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass sie oder auch irgendwer anders mich nach meinem Beziehungsstatus fragte. Warum auch? So etwas wie Smalltalk hatte ich nicht zuletzt lediglich mit Sam und manchmal mit Sabin geführt. Der eine war eben Teil dieses Status und den anderen interessierte das schlichtweg nicht. Außerdem war ich mir nach wie vor nicht sicher damit, wie ich mit meiner Sexualität Dritten gegenüber, die definitiv kein mögliches Ziel für eine gemeinsame Nacht waren, umgehen sollte. Cosma war die Einzige, die nebst und auch nur wegen Samuele wusste, dass ich auf Männer stand und eigentlich hatte es auch so seine Gründe, warum ich das bis dato geheim gehalten hatte. Aber spätestens wenn der junge Italiener mal hier auf der Matte stand, würde doch jeder im Umkreis Wind davon bekommen, oder? Mir stand zumindest weniger im Sinn, nicht zu dem Südländer zu stehen, wenn mich jemand danach fragte und als ich mir das deutlich genug vor Augen hielt, zuckte ich gedanklich mit den Schultern und nickte für Irina gut sichtbar. Schließlich hatte ich mir damit meine eigene Frage schon beantwortet und konnte bei der von Irina gleich weitermachen. "Einen Freund, ja...", ließ ich sie also mit einem verlegenen Lächeln wissen, dass es da durchaus Jemanden in meinem Leben gab, für den mein Herz schlug. "Er lebt aber hier auf der Insel, ich muss... also nicht auf die gleiche Art auf ihn warten, wie du auf deinen Liebsten.", ergänzte ich dahingehend noch ein paar Worte, die deutlich machen sollten, dass ich in der Hinsicht leider nicht mitfühlen konnte. Ich nur in anderer Form auf ihn wartete - auch jetzt, wo ich mir fast zweifelsfrei darüber im Klaren war, dass eine Wohngemeinschaft mich psychisch ausreichend auf dem Damm halten würde.
Ich stellte mir in Situationen wie diesen hier manchmal wirklich die Frage, an welchem Punkt in meinem Leben ich eigentlich verlernt hatte, Hunter zu hassen. Denn auch wenn ich mir immer mal wieder ins Gedächtnis rief, was für ein Arschloch der Amerikaner doch eigentlich war oder er es mit Aktionen wie der letzten von sich aus recht deutlich machte, verspürte ich schon lange keinen richtigen Hass mehr auf den jungen Mann. Mehr nur das Bedürfnis, ihn eine Zeit lang zu meiden, aber so richtig gehasst hatte ich ihn zuletzt... wohl irgendwann in Norwegen, noch vor unserer gemeinsamen Entführung, die ja letztlich irgendwie den Stein zwischen uns beiden ins Rollen gebracht hatte. Gerade jetzt wäre es wohl am gesündesten gewesen, Hunter ein Stück weit für seinen Fehltritt zu hassen, aber wenn ich mir das Häufchen Elend so ansah, dann konnte ich es einfach nicht. Konnte ihn nicht einfach so von mir stoßen, wo er doch vermutlich das erste und letzte Mal um Hilfe bat. Ich konnte mich jedenfalls nicht dran erinnern, dass er zuvor schon einmal so verzweifelt die Hand nach mir ausgestreckt hatte. Sie jetzt wegzuschlagen und auf seinen Fehlern rumzuhacken - wozu ich bedingt durch den in mir angestauten Zorn schon wirklich Lust gehabt hätte -, erschien mir jetzt einfach nicht richtig. Dabei wäre es definitiv mein gutes Recht gewesen, auf das ich durchaus hätte bestehen können, nur gebracht hätte das Niemanden etwas. Ich wäre am Ende vermutlich trotzdem genau so eingeknickt, wie ich es letztlich tat und Hunter bekam, wie gewohnt, mal wieder das, was er wollte. Aber konnte man mir das nachsehen? War die Liebe zu einem derart kaputten Mann denn so verwerflich, wo ich doch mit als Einzige wusste, dass er auch noch ganz anders konnte? Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen und mich nicht noch einmal auf ihn einlassen, weil er langsam wirklich durchzudrehen schien und seine Nähe exponentielle gefährlicher wurde, je länger er sein Unwesen im kriminellen Metier trieb. Ob ein Psychotherapeut den Schaden in seinem Kopf jemals wieder geradebiegen konnte, wagte ich in Hunters Fall außerdem auch stark zu bezweifeln. Nur wusste jeder, der Hunter auch nur im Ansatz hatte kennenlernen dürfen, wie wahrscheinlich es war, den jungen Mann jemals derart aufgelöst und mit den Nerven am Ende zu sehen, wie in diesem Augenblick, als er angespannt ein paar Schritte durch das Zimmer machte und sich schließlich kraftlos auf die Bettkante fallenließ. Ich beobachtete ihn dabei eine Weile lang wort- und tatenlos, bis er mit der gestammelten Erklärung seines Vorhabens zum Ende kam und endlich auf den Punkt brachte, welche Rolle ich in diesem Plan eigentlich einnehmen sollte. Wie er sich die Umsetzung vorstellte, war zwar durchaus fragwürdig, aber wenn ich ehrlich sein sollte, dann stand für mich schon fast seit seiner Entschuldigung fest, dass ich ihm noch eine zweite Chance geben würde. Vollkommen ungeachtet dessen, wie er mit der offensichtlich immer schwerwiegenderen Geisteskrankheit umgehen wollte, wäre ich zu ihm zurückgekehrt. Vielleicht nicht direkt heute und morgen vermutlich auch noch nicht, aber um den Amerikaner gänzlich von mir zu stoßen, liebte ich ihn einfach noch viel zu sehr. Da konnte auch die Erniedrigung im Keller unseres eigenen Hauses nicht wirklich etwas dran rütteln, auch wenn mir der Gedanke an diese Zeit einen unangenehmen Schauer über den Rücken jagte. Aber... eigentlich konnte es doch nicht mehr noch schlimmer werden, oder? Gut, beim nächsten Mal könnte ich dabei draufgehen, schon klar, aber im Grunde war dann alles andere auch irgendwie... egal, um es mal plump auszudrücken. Immerhin hätte ich bis dahin noch die Chance auf ein paar schöne Tage mit Hunter, falls er tatsächlich ernst machen würde, was er da sagte - sich also einen Psychologen suchen und an sich arbeiten würde. Wenn er das durchziehen würde, wer war ich dann, ihn dabei nicht zu unterstützen? Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, brauchte ich allerdings eine kleine Ewigkeit, in der ich weiterhin stillschweigend mitten im Raum stand. Nicht so recht wusste, wohin mit meinen Händen und mir im Allgemeinen. Schließlich löste ich mich mit einem leisen, hörbar resignierten Seufzen aus der starren Haltung, um mich in Richtung Hunter in Bewegung zu setzen. Ich ging langsamen Schrittes auf ihn zu, blieb unmittelbar vor ihm stehen und streckte eine Hand nach seiner Wange aus, nachdem er seinen Blick endlich wieder in meinen hob. "Hab ich denn jemals behauptet, dass ich nie wieder etwas von dir wissen will?", stellte ich ihm eine ruhige, leise gehauchte Frage und zwang mich selbst zu einem fast schon liebevollen Lächeln. Dass ich zum Zeitpunkt meiner Freilassung nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen war, erschien mir nur logisch, war mein gutes Recht gewesen. Genauso wie es mein gutes Recht gewesen war, ihm frustriert und wütend an den Kopf zu knallen, er solle mich nicht mehr anfassen und in Ruhe lassen, aber weder zu diesem, noch zum jetzigen Zeitpunkt hatte ich erwähnt, dass ich ihn nie wieder sehen wollte. "Ich meine... wie könnte ich nichts mehr von dir wissen wollen, wo du mir doch gerade ganz deutlich gemacht hast, wie sehr du mich brauchst und... wenn ich dir mit etwas so Alltäglichem helfen kann, wie dir in den Arsch zu treten und einfach nur da zu sein, dann... dann werde ich es versuchen. Ich verspreche es." Nun war ich es, die unsicher ein paar Worte stammelte. Das lag jedoch nicht daran, dass ich mein Versprechen nicht ernst meinte, sondern selbst erst einmal kurz darüber nachdenken musste, ob ich das überhaupt mit mir vereinbaren konnte. Ob seine Ansprüche an mich im Rahmen des Möglichen lagen, aber ich war mir letzten Endes doch ziemlich sicher, dass ich Hunter schon oft genug in den Arsch getreten hatte, warum also sollte ich es in dem Fall dann nicht auch tun? Der Versuch konnte schließlich nicht schaden. Ich streckte nun auch meine andere Hand nach ihm aus, um ihm beide Arme um den Hals legen und ihn anschließend nach einem letzten Blick in diese fesselnden Augen an mich ziehen zu können. Seinen Kopf bette ich dabei behutsam an meinen Bauch, nur um mit den Fingerspitzen durch die Haare in seinem Nacken streichen und schwach lächelnd zu ihm heruntersehen zu können. Ich bezweifelte zwar bereits im direkten Augenblick danach, ob ich wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte, aber das würde sich wohl so oder so erst mit der Zeit zeigen.
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Richards Antwort auf meine Erklärung dafür, wieso ich eigentlich noch atmete, nahm ich nur schweigend zur Kenntnis. Auf dieses einsame Wort gab es einfach nicht viel zu sagen. Da waren sein darauffolgender, langer Blick auf mir und die Frage im Anschluss schon deutlich interessanter... beziehungsweise eher unangenehm. Gewissermaßen war ich aber selbst Schuld daran, dass der Engländer jetzt auf diesem Zweig das Gespräch aufrecht erhielt und auch einfach ein bisschen neugierig war, weil ich ihm ja überhaupt erst die Vorlage dafür gegeben hatte. Ich konnte ihm also eher nicht guten Gewissens vorhalten, dass er was das anging weiter nachhakte und gerne wissen wollte, was der Amerikaner mit mir angestellt hatte. Dennoch zögerte ich mit einer Antwort und sah erstmal in den Tee neben mir auf der Theke, als würde er mir verraten, was ich dazu sagen sollte. Deshalb kam Richard mir auch mit Worten zuvor, als er sagte, dass ich mich mit egal was es war nicht schämen brauchte, weil die Narbe in seinem Gesicht offenbar ebenfalls von Hunter stammte. Klar - hätte ich eigentlich auch selber drauf kommen können. Er schien den Hitzkopf recht offensichtlich nicht gerade zu mögen und unter der Prämisse, dass jener ihm das Gesicht verschönert hatte, war das nur allzu verständlich. "Hätte ich mir denken können...", meinte ich doch etwas abwertend, was allerdings keinesfalls dem Engländer galt, sondern dem Monster ein paar Türen weiter. Meine Worte unterstreichend schüttelte ich auch schwach den Kopf, bevor ich den Blick schließlich vorsichtig wieder anhob. Einen Moment lang sah ich den jungen Mann noch sehr unschlüssig an, bevor ich schließlich mit einem "Ach, was solls..." die Schultern zuckte und gleichzeitig seufzte. Es fiel mir irgendwie wahnsinnig viel leichter die hässlichen Buchstaben auf meinem Körper Richard anzuvertrauen, als sie Iljah zu zeigen. Wahrscheinlich lag das ganz einfach daran, dass er unverkennbar ein Leidensgenosse war und wenn ich mal ehrlich zu mir selbst war, dann war der Schriftzug doch weniger fatal als seine Brandnarbe. Optisch zumindest - die Bedeutung war und blieb durchweg hässlich und ich würde wohl nie aufhören mich dafür zu hassen, meinen jetzigen Freund damals so hinters Licht geführt zu haben. Ich legte die Finger an den Saum des eher weiten Tshirts, das ich heute trug. Atmete nochmal kurz etwas tiefer ein, dann zog ich das Oberteil über meinen Kopf. Den Kragen runterzuziehen hätte nicht alles sichtbar gemacht und halbe Sachen waren wohl irgendwie einfach nicht mein Ding. Ich behielt das Shirt in der linken Hand, als ich auf mein Dekolleté hinuntersah und die Narbe selbst noch einmal musterte. Nein, ich fand sie noch immer abstoßend und es würde wohl noch eine halbe Ewigkeit dauern, bis ich das anders sehen würde. "Ist wohl nicht so schlimm wie deine Narbe, aber... keine Ahnung. Wahrscheinlich kann ich erst damit leben, wenn ein Tattoo drüber ist.", seufzte ich leise und hob erst einige Sekunden später vorsichtig den Blick wieder an. Leider dauerte es aber noch eine ganze Weile, bis die einst unschönen Schnittwunden gut genug verwachsen waren, um Tinte reinzustechen. Außerdem war auch eine vollständige Heilung noch keine Garantie dafür, dass das Narbengewebe die Farbe auch vollständig annahm. Trotzdem war alles besser als die dicken, rosa Linien, die sich jetzt durch meine Haut zogen. Da widmete ich mich doch etwas lieber dem Gespräch über Iljah, der mir mit seinen klaren Ansagen wirklich ein bisschen den letzten Nerv raubte. "Ja, das trifft den Nagel wohl auf den Kopf.", stellte ich nicht minder sarkastisch angehaucht fest. Erinnerte mich daran, dass er mir ja auch bestimmt irgendwann mal erzählen würde, woher die Narben auf seiner Haut kamen, die ich immer wieder unter meinen Fingerspitzen spürte, wenn ich bei ihm im Bett lag und noch einmal über seinen Oberkörper strich, bevor ich einzuschlafen versuchte. Jetzt könnte er was das anging langsam eigentlich mal mit der Sprache rausrücken. Iljahs Verhalten war an sich also vielleicht wenig überraschend. Da hielt Richard mit seiner Offenbarung bezüglich seinem Beziehungsstatus doch viel eher eine kleine Überraschung bereit. Allerdings im positiven Sinne, verzogen sich meine Lippen doch unweigerlich schon sehr bald zu einem Lächeln und ich griff mit der freien, rechten Hand nach meiner Teetasse. "Das ist schön... sag mir Bescheid, wenn er mal vorbei kommt. Nicht, dass ich dann grade unterwegs irgendwo meinen letzten Cent ausgebe...", war ich an der Reihe damit, einen kleinen Witz in die Unterhaltung einzuschleusen. Ich hatte schon neulich mit Cosma beim Shoppen ein bisschen mehr gekauft als gut gewesen war. Noch nagte ich nicht am finanziellen Hungertuch, aber ich sollte es eben eigentlich auch nicht provozieren. Die Sommerkleider in der Innenstadt waren nur leider ziemlich verführerisch. "Ist er Kubaner?", hakte ich weiter nach, weckte das doch ziemlich mein Interesse. Ich kannte hier noch keinen Einheimischen und war einfach neugierig darauf, was er für ein Typ Mensch war. Es lag wohl an der Brandnarbe, dass es mir schwer fiel ein Bild zu einem Mann zu formen, der an Richards Seite stand. Ich hatte noch nie einen schwulen Freund gehabt, was wohl schlichtweg daran lag, dass man sowas in Russland auch lieber geheim hielt, stieß man mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen dort doch nicht allzu häufig auf Freude. Ich selbst hatte aber natürlich absolut nichts dagegen - wieso auch, es gab ja nicht sowas wie gute Gründe für Homophobie.
Die Warterei auf eine Antwort machte mich halb wahnsinnig. Natürlich war es durchweg nachvollziehbar, dass Cosma einen etwas längeren Moment dazu brauchte sich zu sammeln und meine Worte überhaupt erstmal zu verarbeiten. Der Gefallen, um den ich sie bat, war schließlich kein kleiner und wenn sie sich tatsächlich dafür entscheiden sollte, dann sollte das gut überlegt sein. Das änderte nur nichts daran, dass ich ein an und für sich sehr ungeduldiger Mensch war und noch dazu diese ganze Herzschmerz-Scheiße nicht gut verkraftete. Nur schwer damit umgehen konnte und mich innerlich deshalb selbst vollkommen kirre machte, bis die Rothaarige sich schließlich zu mir umdrehte und ihre zierlichen Finger nach meinem Gesicht ausstreckte. Ich unterbrach den Blick in ihren Augen nicht, sah weiterhin direkt zur ihr auf. Ihre Worte dabei waren bereits ein leiser Hoffnungsschimmer am düsteren Horizont meiner psychischen Probleme. Nein, sie hatte das niemals gesagt. Hatte auch mit keinem einzigen Wort gesagt, dass sie vor hatte mich zu verlassen, als sie vor einiger Zeit die Villa verlassen und mich in den einsamen Wänden allein gelassen hatte. Mir war das Haus noch nie so groß vorgekommen und ich hatte noch nie vorher solche Angst davor gehabt die junge Frau für immer verloren zu haben. Keiner unserer Streits davor hatte sie jemals für länger als einige Stunden aus dem Haus vertrieben. Sie war jedes Mal wieder zurückgekommen. Hatte mich höchstens eine Weile mit Nichtachtung gestraft, bis der Sturm unserer Differenzen etwas mehr in den Hintergrund gerückt war und danach war dann alles wieder gut gewesen. Eben bis der nächste Streit kam. Wir konnten wohl einfach beide nicht anders, als unsere Meinung und unseren Standpunkt durchsetzen zu wollen - da stritt man sich eben öfter mal und ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr mich Cosmas noch folgende Worte erleichterten. Ich konnte die endlos schwere Last auf meinen Schultern förmlich auf den Boden vor meinem Fußen krachen hören, während sie mir sagte, dass sie mir trotz allem beistehen wollte. Dass sie bei mir blieb und mir dabei helfen wollte, mit dieser ganzen Scheiße fertig zu werden und wieder auf eine gerade Bahn zu kommen. So gerade wie bei mir eben möglich war, wo doch Jedermann klar sein dürfte, dass ich niemals in ein legales Leben zurückkonnte und ein Teil meines psychischen Schaden schlichtweg dauerhaft war. Es reichte, wenn mein Kopf sinnbildlich wieder richtig herum auf meinen Schultern saß, statt nicht von mir autorisierte Purzelbäume zu schlagen. Wenn ich mir selbst wieder trauen konnte und damit auch Cosma versichern konnte, dass sie sich auf mich verlassen konnte. Dass ich für sie da war und ihr immer den Rücken freihalten würde, wenn das nötig war. Dass es nichts gab, dass sie von mir trennen konnte, wenn sie mich brauchte. "Nein.", war das erste, leise Wort, dass ich vor mich hin murmelte und sich noch auf ihre erste, eher rhetorische Frage bezog. Danach ließ ich mich bereitwillig zu ihr hinziehen und lehnte erst nur meine Stirn an ihren Bauch. Hauchte dabei leise die Worte "Danke, das... bedeutet mir alles." vor mich hin. Danke - ein Wort, das man von mir selten bis eher niemals hörte, weshalb es selbst in diesem leisen Ton ein Ereignis für sich war. Es dauerte jedoch nur ein paar wenige Atemzüge, bis ich die rechte Hand nach ihrem Rücken ausstreckte, sie vorsichtig unter ihr Oberteil schob und dann den Kopf seitlich an ihren Oberkörper legte, um sie besser an mich drücken zu können. Ihr Geruch in meiner Nase und die zärtliche Streicheleinheit am Nacken weckten unweigerlich das Gefühl von Geborgenheit. Die Augen ließ ich die ganze Zeit über geschlossen, legte schließlich die linke Hand an ihren unterhalb der Shorts nackten Oberschenkel und strich mit dem Daumen über ihre weiche Haut. Es ließ sich kaum in Worte fassen, wie sehr ich selbst diese an sich simplen Berührungen vermisst hatte. Das leichte kribbeln auf meiner Haut, aber auch das Gefühl ihrer Haut unter meinen Fingern. Nichts auf der Welt war es wert die Rothaarige zu verlieren - damit war ich mir jetzt sicherer als jemals zuvor. "Du kannst noch 'ne Weile hierbleiben, oder?", murmelte ich schließlich nach sicher zwei, oder gar drei Minuten eine Frage vor mich hin. "Die Villa ist zwar echt leer ohne dich, aber ich... denke hier bist du einfach sicherer.", hängte ich noch einige nachdenkliche Worte an, bevor ich mich ein Stück weit von ihr löste. Allerdings nur so weit, dass ich wieder zu ihr hochsehen konnte, ohne den Nacken komplett verrenken zu müssen. Ich ließ Cosma nicht gerne hier bei Richard zurück, wollte im Gegenzug aber noch viel weniger riskieren, dass ich ihr noch einmal eine Faust verpasste... oder gar schlimmeres. Lieber quälte ich mich mit der Einsamkeit herum und arbeitete mehr, um sie zu ersticken. Oder schaute eben hier ab und zu vorbei. Hier waren wir sicher nie allein, es gäbe also in jedem Fall Jemanden, der mich im Auge behielt. Auch, wenn ich nicht glaubte, dass ich herkommen würde, wenn ich gerade einen Film schob, aber ich konnte eben auch nicht garantieren spontan das Gesicht zu verlieren, obwohl es durch die Medikamente zumindest unwahrscheinlicher wurde. Das war ein Risiko, das ich nur ungern eingehen wollte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Irina schien sich offensichtlich nicht ganz sicher zu sein, ob sie mich nun an ihrer Leidensgeschichte teilnehmen lassen sollte oder lieber nicht. Trotz der Tatsache, dass ich wohl mit am besten verstand, wie sie sich aktuell fühlen musste, zögerte die junge Frau nämlich noch eine ganze Weile, bis sie sich letztlich dann doch dazu entschied, mir die grob in ihre Haut geritzten Buchstaben zu offenbaren, die sich unter ihrem Shirt verbargen. Als Heterosexueller hätte ich an der Stelle vermutlich leise in mich hineingelacht, weil es doch verhältnismäßig einfach gewesen war, Irina zum Ausziehen ihrer Klamotten zu animieren, aber unter dem Aspekt, dass mich Brüste und die nackte Haut einer Frau nicht besonders ansprachen, sah ich wohl genauso neutral auf ihre Oberweite, wie ich ihr ansonsten auch ins Gesicht gesehen hätte. Erst musterte ich die Linien nur flüchtig, sah immer mal wieder kurz zu der jungen Frau rauf, ehe ich schließlich etwas genauer hinsah. Zu übersehen war der Schriftzug definitiv nicht und er entlockte mir ein mitleidig klingendes Seufzen. Ich schüttelte nach etwa einer halben Minute nur fassungslos über den Amerikaner mit dem Kopf, suchte dann wieder Irinas Blick, als mich gerade ihre Worte erreichten. Mochte sein, dass die großflächige Brandnarbe in meinem Gesicht deutlich auffälliger war und mich dadurch ganz allgemein etwas mehr im Leben beeinträchtigte, weil sie sich nun mal nicht ganz so leicht – eher gar nicht – verstecken ließ, aber in Anbetracht des unschönen Wortes, das Hunter da in Irinas Dekolleté geritzt hatte, würde es ihr vermutlich trotzdem schwerfallen, sich damit zu arrangieren. Eben solange, wie es noch nicht möglich war, die unschönen Überbleibsel mit Tinte zu versehen, weil sie noch nicht anständig verheilt waren. Bis dahin würde ihr das Wort Lügner – oder Lügnerin, in Irinas Fall –, täglich förmlich ins Gesicht springen, sobald sie einen Spiegel passierte. "Mhm, okay...", murmelte ich, ohne näher darauf einzugehen, wie schön ich diese Verzierung fand - sie war nämlich nicht minder schrecklich als meine. Ich sparte mir außerdem, nach dem Hintergrund der Titulierung zu fragen, weil es zum einen ganz einfach ein Stück weit zu persönlich war und mich demnach nichts anging, ich andererseits aber auch mein bisher recht gutes Bild von Irina nicht ruinieren wollte. Hunter würde schließlich seinen Grund dafür gehabt haben, warum er ausgerechnet Liar in dicken, fetten Lettern über ihrer Brust platziert hatte und ich redete mir ein, dass ich mich nicht daran stören würde, solange die junge Frau der Behauptung, sie wäre eine Lügnerin, nicht bejahte oder anderweitig zu rechtfertigen versuchte. Dass das früher oder später zwar ohnehin der Fall sein würde wusste ich, aber bis dahin hatte ich hoffentlich genug Zeit, mir ein eigenes Bild von der Serbin zu machen, um mich von Vergangenem nicht groß beeinflussen zu lassen. Statt also nach dem warum und wieso zu fragen, schüttelte ich nur ein weiteres Mal leicht den Kopf und beschloss, meinen Ärger über den Amerikaner für die junge Frau hörbar Luft zu machen. "Mein Gott, man kann diesen Mann doch eigentlich nur hassen.", grummelte ich also unzufrieden vor mich hin, brachte damit einmal mehr mein Unverständnis darüber, dass Cosma sich in den Amerikaner verliebt zu haben schien, zum Ausdruck und angelte anschließend mal wieder meine Tasse von der Theke, um einen Schluck von dem mittlerweile angenehm heißen Tee zu nehmen. So als könnte er meinen Zorn auf den Choleriker irgendwie abmildern oder Dinge, die er getan hatte, rückgängig machen. Letzteres war logischerweise nur Wunschdenken, aber auch meine Sympathie ihm gegenüber ließe sich kaum durch das bisschen aufgebrühtes Kraut beeinflussen. Irina bat mich indessen darum, dass ich ihr das nächste Mal vor einem Besuch von Samuele doch Bescheid geben sollte, damit sie sinngemäß hier sein und ihn kennenlernen konnte. Zu sagen, dass es mich ungemein erleichterte, gerade von Jemanden aus einem noch konservativerem Land als Kuba trotz meiner Sexualität akzeptiert zu werden, wäre zwar etwas übertrieben, aber es war natürlich schon schön, dass deswegen jetzt kein Unmut aufkam, der das bis dato ganz angenehme, lustige WG Leben erschütterte. "Klar, wieso nicht?", ließ ich Irina mit einem aufrichtigen Lächeln wissen, dass ich ihrem Wunsch gerne nachkommen würde. Allerdings wusste ich nicht, ob und wenn ja, wann Sammy mich das nächste Mal beehren würde. Er hatte mir zwar versichert, so oft vorbei zu kommen, wie ich es aufgrund meiner psychischen Lage für notwendig hielt, aber ich wollte ihn nun auch wirklich nicht jeden Tag dazu zwingen, hier vorbeizuschauen, wenn es zum einen weder wirklich notwendig war, weil ich momentan doch recht stabil auf dem Damm lief und zum anderen wollte er doch ab und an bestimmt auch mal seine Ruhe. Er hatte mich schließlich lange genug den ganzen Tag ertragen müssen. Ich sollte so zwar nicht denken, tat es aber logischerweise trotzdem und zögerte deswegen manchmal, zum Hörer zu greifen, auch wenn ich den Italiener wirklich gerne bei mir gehabt hätte. Apropos, Italiener... "Sam? Er sieht vielleicht aus wie einer, aber nein. Er kommt aus Italien. Aber frag mich nicht, von wo da genau.", erklärte ich der Serbin, dass mein Freund zwar optisch durchaus ein Einheimischer hätte sein können - und auch von der Mentalität hatte sich sein freundliches Wesen hier in der kubanischen Gesellschaft etabliert -, aber seine Wurzeln lagen dennoch in Italien. Wo genau er da aufgewachsen war konnte ich Irina allerdings nicht sagen, aber meines Erachtens nach war das auch gar nicht weiter von Bedeutung. "Ich denke, ihr würdet euch gut verstehen. Er... ist auch eher ruhig, ein bisschen zurückhaltend, aber ein sehr freundlicher Mann.", schwärmte ich unterbewusst ein wenig und das aufrichtige Lächeln wollte mir gar nicht mehr aus dem Gesicht weichen. Ich mochte es einfach, von oder über Sam zu reden, er bedeutete mir einfach unglaublich viel und im Endeffekt wünschte ich ihn mir auch in diesem Augenblick an meiner Seite. So wie fast jeden Tag, vierundzwanzig Stunden lang...
Danke. Danke? Ich musste mich wohl eben gerade verhört haben, konnte ich mir doch überhaupt nicht vorstellen, dass ein Danke seitens Hunter wirklich real sein sollte. Ja, mir war der Amerikaner vor dieser Sache immer schon etwas anders gegenübergetreten als Tauren, dem Rest seiner Mannschaft und den Menschen in unserem näheren Umfeld, aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass er sich jemals bei mir bedankt hatte. Vielleicht hatte ich es nicht bewusst wahrgenommen und konnte mich deshalb nicht dran erinnern, aber ich war mir eigentlich nahezu einhundert Prozent sicher, dieses Wort noch nie zuvor aus seinem Mund gehört zu haben. Dementsprechend stand mir die Verwunderung wohl auch quer über das Gesicht geschrieben, als ich zu ihm runter sah, aber da hatte der junge Mann seinen Kopf noch an meinen Bauch gelehnt und die Augen geschlossen. "Nicht dafür...", wimmelte ich murmelnd ab, dass er mir dafür nicht zwangsläufig zu danken brauchte. Ich das gerne tat, weil eine Beziehung nun mal ein ständiges Geben und Nehmen war. Bis dato hatte mir Hunter zwar noch nicht allzu viel gegeben, aber das könnte er von mir vermutlich genauso behaupten. Im Grunde war mir das aber auch egal, Fakt war, dass er mich nun brauchte und mir nicht im Sinn stand, ihm die Hilfe auszuschlagen. Er hatte diese zweite Chance verdient und das war... nicht selbstverständlich, aber er brauchte sich eigentlich trotzdem nicht zu bedanken. Beschweren würde ich mich darüber aber logischerweise nicht. Ich strich noch einen Moment lang ein wenig geistesabwesend durch seine Haare, genoss auch die Streicheleinheiten seitens des Amerikaners, ehe ich die Bewegung meiner Hände einstellte und für einen Augenblick ebenfalls die Augen schloss. Ein leises Stoßgebet gen Himmel sandte, mit dem ich um den Segen Gottes bat - an den ich weiterhin nicht glaubte -, mit der zweiten Chance für Hunters nichts Falsches getan zu haben. Ein paar Sekunden später drang schließlich die Stimme des jungen Mannes an mein Ohr und ich schlug die Lider wieder auf, um zu ihm runter zu schauen. Eine Antwort auf seine Frage ließ auch nicht lange auf sich warten, weil ich laut Richard weiterhin ein sehr willkommener Gast in seinem Haus war. Zudem musste ich nicht befürchten, durch Irina aus dem Gästezimmer vertrieben zu werden, weil wir uns ganz gut verstanden und sie außerdem überhaupt gar keine freundschaftlichen Befugnisse hatte, mit denen sie den Engländer dazu überreden können würde, mich vor die Tür zu setzen. Zwar hätte ich im Fall der Fälle durchaus wieder meinen Platz in der Villa einnehmen können, aber auch ich hielt es für vorerst für sinnvoller, noch ein paar Tage die räumliche Distanz zu wahren, damit die Medikamente, welche sich Hunter selbst verschrieben hatte, weiterhin ihre Wirkung entfalten und er sich etwas mehr an das vorläufige Leben mit ihnen gewöhnen konnte. Ich nickte also nur schwach, löste eine Hand aus seinem Nacken, um sie Hunter stattdessen an die Wange zu legen. Dort mit dem Daumen über seine stoppelige Kinnpartie und über seinen Wangenknochen zu streichen. Ein weiteres Mal empfand ich es als irgendwie surreal, wie umgänglich der junge Mann doch eigentlich sein konnte. Kaum einer würde mir abkaufen, dass Hunter handzahm wie ein Hundewelpe ein paar liebevolle Streicheleinheiten seiner zierlichen Freundin genoss, den Rest des Tages jedoch Menschen mit Blicken und nicht zuletzt mit Waffen tötete, um Profit zu machen. Glücklicherweise war es mir aber ziemlich egal, wie die anderen über uns dachten und so schob ich den Gedanken schon bald wieder zur Seite. War gerade absolut nicht relevant, hatte genau gar nichts mit der Frage meines Freundes zu tun, die ich abgesehen von meinem Nicken nun doch seit bestimmt einer halben Minute unbeantwortet gelassen hatte. "Sollte kein Problem sein, Richard hat nichts dagegen, wenn ich bleibe. Der ist ja froh über jeden Tag, den ich nicht mit dir verbringe.", ließ ich Hunter mit einem vielsagenden Augenrollen wissen, dass der Engländer sich noch immer nicht damit arrangieren konnte, dass wir beide jetzt so etwas wie en Paar waren. Zusammenwohnten und uns ganz einfach liebten. "Irina pennt auf dem Sofa, du musst dir also keine Sorgen machen, dass ich einen kaputten Rücken hab, wenn ich zurückkomme. Was aber nicht heißen soll, dass du mich dann nicht trotzdem massieren kannst. Das... fehlt mir irgendwie so ein bisschen." Jetzt, wo wir das Ernste doch überwiegend geklärt hatten, konnten wir das Gespräch doch sicher wieder etwas auflockern, oder? Ein bisschen gute Laune war doch trotz eines klärenden Gesprächs nicht gänzlich unmöglich, wenn man mich fragte. Und außerdem war das, was ich sagte, ja noch nicht einmal gelogen. Das unterstrich ich auch sogleich dadurch, dass ich mir die Hand, die eben noch an Hunters Wange gelegen hatte, in eigenen Nacken fasste, um dort auf ein paar härteren Muskelpartien rumzudrücken. Das Gästebett hier bei Richard war zwar bequem und definitiv besser, als das Sofa, im Vergleich zu Hunters und meinem Bett Zuhause jedoch ein schlechter Scherz... und ja, ich hatte mich schnell an diesen überaus angenehmen Luxus gewöhnt. Aber natürlich hatte ich in all der Zeit nicht nur die gegenseitigen Massagen und das Kuscheln vermisst, sondern den jungen Mann an sich natürlich auch. "Mindestens genau so sehr, wie du mir gefehlt hast.", ergänzte ich meinen vorangegangenen Satz noch um ein paar wenige, dafür absolut ernst gemeinte, liebevolle Worte, die ich sogleich mit einem entsprechenden Lächeln untermauerte. Damit musste dann für heute aber hinsichtlich der Gefühlsduselei langsam mal gut sein. Ich hätte ganz gerne noch einen Kuss mit ordentlich Gefühl im Nachgang, aber wir mussten einander ja nicht noch mehr weichspülen, als wir das ohnehin schon getan hatten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #