Nein, ich hatte keine anderen Vorschläge und der Strand war perfekt. Denn auch, wenn wir dieses Mal nicht betrunken zusammen ins Wasser gingen und uns anschließend albern im Sand herumwälzten, erinnerte mich der Ausflug an die nicht weit entfernte Küste doch unweigerlich wieder an meinen Geburtstag. Beziehungsweise eben an die Feier, die Hunter deswegen und noch viel mehr wegen sich selbst - und seiner Mannschaft - in seiner Villa geschmissen hatte. Bei der Sydney und ich uns irgendwann wie dumm kichernde Teenager vom eigentlichen Geschehen entfernt hatten, um runter an den Strand zu gehen, der nur wenige Meter entfernt lag. Unser erster Kuss war zwar nicht an diesem Abend passiert, aber es war zweifelsfrei dieser Moment gewesen, der uns endgültig dazu bewegt hatte, den jeweils anderen noch besser kennenlernen zu wollen. Zusätzlich zu dieser schönen - und durchaus amüsanten - Erinnerung genoss ich die Sonne auf dem nackten Oberkörper auch unheimlich. Genoss selbst das zeitweise Gekeife der Möwen am Strand, die das entspannende Meeresrauschen hier und da vermeintlich etwas störten. Es fühlte sich an wie Urlaub, auch wenn es nur für ein paar Stunden war und morgen schon wieder der durchweg stressige Alltag weiterging. Für den Moment mangelte es mir an nichts und das war ein Segen. Es war irgendwie ein bisschen schräg, als ich ein paar Tage später zu Vahagn aufbrach. Wir waren nicht sowas wie Freunde, kannten uns aber trotzdem und ich war mir nicht ganz sicher damit, wie ich mich ihr gegenüber jetzt genau verhalten sollte. Geschäftliche Treffen waren früher mein täglich Brot gewesen, aber inzwischen war das nicht mehr so und irgendwie war das auch nicht wirklich sowas wie ein Geschäftsanliegen. Klar, wir würden die Russin für den Aufwand anständig bezahlen, das stand gänzlich außer Frage, aber es war eben trotzdem ein sehr privates Anliegen. Hatte mit meinen kriminellen Geschäften nichts am Hut und war eher eine Bitte auf menschlicher, als auf geschäftlicher Ebene. Natürlich war ein finanzieller Aspekt vorhanden, aber machen wir uns da mal nichts vor - wirklich viel Profit abwerfen dürften Sydney und ich eher nicht. Das allein würde also vielleicht auch gar nicht ausreichen, um es Vahagn schmackhaft genug zu machen, uns in dieser Angelegenheit auch wirklich zu helfen. Es hing womöglich also ziemlich an ihrem guten Willen. Oder zumindest daran, ob sie es vielleicht mit irgendeinem anderen Geschäft verbinden können würde, um wenigstens etwas mehr von der ganzen Sache zu haben. Dementsprechend fuhr ich doch mit sehr gemischten Gefühlen zu ihrer Adresse und sah die ganze Hinfahrt über ziemlich verbissen, sehr nachdenklich mit in Falten gelegter Stirn über das Lenkrad hinweg durch die Frontscheibe. Dachte darüber nach, wie ich das Gespräch am besten anleiern konnte, wie ich am besten in die Geschichte einstieg. Zu einem richtig festen Entschluss kam ich aber nicht, also würde ich es wohl einfach spontan formulieren und sehen, was dann dabei rauskam. Ich hielt den Wagen schließlich ein paar Meter von der Wohnung entfernt am Straßenrand an. Ich atmete einmal etwas tiefer durch und stieg dann aber ohne zu zögern aus. Machte nur noch den Wagen hinter mir zu - als würde die Kiste wirklich Irgendjemand klauen wollen -, bevor ich die letzten paar Meter zu Fuß zurücklegte und letztendlich die Klingel drückte. Es dauerte nicht lange, bis Vahagn mir aufmachte und ich erwiderte ihr Nicken zur Begrüßung ganz automatisch. Wenn sie gerade noch nicht zu Worten aufgelegt war, dann passte ich mich ganz einfach an. Schließlich war ich hier der Gast und im Gegensatz zu vielen anderen Leuten in diesem Metier war ich noch gut erzogen worden, hatte keine drogenabhängigen Eltern und eigentlich eine gute Kindheit gehabt. Offensichtlich hatte mich das aber nicht davon abgehalten, schneller Geld verdienen zu wollen und dafür zu unerlaubten Mitteln zu greifen. Tauren kreuzte meinen Weg im Flur und wir tauschten nur ein knappes Lächeln aus, bevor er durch die Wohnungstür verschwand und mich mit seiner Freundin allein zurückließ. Daraufhin wanderte mein Blick wieder zu der Brünetten, die mich kurzerhand mit ins Wohnzimmer nahm. So im Flur herumstehend miteinander zu reden - potenziell vielleicht sogar schon vorab etwas zu verhandeln - war einfach nicht das Wahre, also ließ ich mich im Wohnbereich angekommen mehr oder weniger in aller Seelenruhe ins Polster des Sofas sinken. Mir war zwar danach mich mit den Ellenbogen nach vorne auf die Knie abzustützen, aber ich animierte meinen inneren, gut erzogenen Gentleman und Geschäftsmann dazu, mich stattdessen aufrecht mit dem Rücken nach hinten ans Polster zu lehnen. Lediglich die Hände ineinander verschränkt auf meinem Schoß abzulegen, als mein Blick sich nach einer kurzen Musterung ihrer Gesichtszüge in die Augen der jungen Frau fixierte. Nicht stechend oder penetrant, aber doch sehr direkt. "Du wirkst nicht sonderlich gut gelaunt, also komm ich wohl besser gleich zur Sache.", stellte ich allem voran fest, dass Vahagn auf mich gerade doch einen etwas angespannten Eindruck machte. Was nun genau der Grund dafür war, war für mich erstmal unerheblich, wenn sie nicht von sich aus darauf zu sprechen kam. Konnte sich ja auch um Gründe handeln, die mich schlichtweg nichts angingen. "Wie sieht's mit den USA aus? Kommen deine Leute über die Grenze, ohne vom Himmel geschossen oder aus dem Hafen gezogen zu werden?", kam ich mit durchweg ruhiger, aber eher sachlicher Stimmlage gleich auf den Punkt und stellte die eine, sehr essentielle Kernfrage, die das gesamte Unterfangen von vornherein kippen könnte. Wenn die Antwort nämlich ein sehr stumpfes Nein war, könnte ich mir den Rest gleich sparen und wieder Kehrt machen, um Sydney die unschöne Botschaft zu überbringen... was ich allerdings nicht hoffte, wollte ich den enttäuschten Gesichtsausdruck doch nur ungern sehe.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Nachdem ich hinter Sabin die Wohnungstür zurück ins Schloss hatte fallen lassen, folgte ich dem jungen Mann wortlos ins Wohnzimmer. Setzte mich unweit des Sofas, auf dem er Platz genommen hatte, auf einen gepolsterten Hocker, wo ich das verletzte Bein der Entlastung wegen von mir streckte. Es war einfach angenehmer, weniger schmerzhaft, wenn die Bisswunde nicht permanent unter Spannung stand und es wäre mir nur recht gewesen, wenn ich auch meinen Arm hätte entlasten können. Prinzipiell wäre neben Sabin dafür noch massenhaft Platz und eine freie Armlehne gewesen, aber bei einer Unterhaltung auf geschäftlicher Basis sah ich mein Gegenüber nach wie vor lieber an. Das hatte ich mir nach ein paar unschönen Ereignissen zu früheren Zeiten meiner Karriere angewöhnt und inzwischen einfach verinnerlicht. Da dachte ich schon gar nicht mehr drüber nach und verbrachte daher auch nur maximal fünfzehn Sekunden damit, Sabin für seinen eigens ausgesuchten Sitzplatz zu verfluchen. Dann aber fokussierte ich mich schon bald darauf, den Worten des jungen Mannes zu folgen, mit denen er eingangs ein Augenrollen meinerseits provozierte. Stand mir die Demotivation und meine schlechte Laune etwa derart ins Gesicht geschrieben? Offensichtlich schon, aber ich gab mir ja nun auch wirklich keine Mühe damit, sie zu verbergen. Warum auch? Den Ruf als Miesepeter hatte ich schon lange weg und wie bereits erwähnt, hielt sich die Lust, mich mit Sabin über Geschäftliches zu unterhalten, ziemlich stark in Grenzen. Er tat sich also gut daran, einfach auf den Punkt zu kommen und wenn er sich durch meinen wenig begeisterter Gesichtsausdruck zusätzlich dazu animiert fühlte, nicht lange um den heißen Brei herumzureden, dann sollte mir das nur recht sein. Seine Frage ließ mich allerdings erst einmal argwöhnisch die Augenbrauen zusammenziehen. Amerika? Was wollte er denn in Amerika? Erst dachte ich daran, dass es vielleicht mit den Drogen in Zusammenhang stand und er in weitere Länder - in dem Fall dann eben Amerika - expandieren wollte, aber um den organisatorischen Ablauf kümmerte sich, zumindest soweit ich wusste, eigentlich Hunter. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Amerikaner das Risiko eingehen würde, sich auf dem Radar der amerikanischen Behörden bemerkbar zu machen. Ich wusste zwar nicht, wegen was der junge Mann nun konkret auf dem Kuba nahegelegenen Festland gesucht wurde, aber das spielte auch nur bedingt eine große Rolle. Fakt war jedenfalls, dass es ziemlich dumm von Hunter wäre, die Aufmerksamkeit seines Heimatlandes erneut auf sich zu ziehen und deshalb ging ich nicht davon aus, dass er Sabin gesandt hatte, um sich nach Transportrouten in Richtung Amerika zu erkundigen. Zumal der Choleriker sowas sicherlich auch nicht in Auftrag gegeben, sondern selbst erledigt hätte. Da die Drogen aber so ziemlich das Einzige waren, die ich mit meinen Dienstleistungen irgendwie in Verbindung bringen konnte, sah ich Sabin also dementsprechend fragend an. Meine Augenbrauen dabei selbstredend tief ins Gesicht gezogen. "Kommt drauf an, wer oder was in die Staaten möchte.", gab ich also eine vorsichtige, aber keinesfalls unsicher klingende Antwort, die mit einem fragenden Unterton behaftet war. Dabei zog ich fast schon automatisch eine Augenbraue ein Stück nach oben, bevor ich zu weiteren Worten ansetzte. "Grundsätzlich ja, hatte bis jetzt nie Probleme, Waren... oder Menschen in die USA zu schmuggeln oder von da weg. Es ist allerdings deutlich schwieriger, als Kuba oder die europäischen Staaten beispielsweise.", präzisierte ich meine vorherige Antwort noch etwas. Amerika war nun mal leider dafür bekannt, seine Nase überall drin stecken zu haben und das Wasser rund um, sowie der Himmel über dem Land war überdurchschnittlich gut bewacht. Es war schon eine recht heikle Angelegenheit, den Radaren und Kontrollen auszuweichen, von den ganzen Waffen mal ganz abgesehen. Deshalb nahm ich auch nur äußerst ungern Aufträge an, die dieses Land betrafen. Da es wegen der Masse an Menschen jedoch mit einer der größten Auftraggeber meines Geschäftes war, ließ sich das nur leider gar nicht wirklich vermeiden. Aber gut, wie auch immer. Die eigentlich wichtige Frage war hier und jetzt doch eigentlich nur "Warum?" - und prompt platzte der Gedanke auch schon aus mir heraus, noch bevor ich ihn überhaupt zu Ende gedacht hatte. Dabei sah ich Sabin noch immer relativ ruhig, aber weiterhin fragend an. Versuchte parallel dazu selbst auf eine Antwort zu kommen, aber ich hatte mir vorhin noch eine Schmerztablette einverleibt, die es mir momentan nahezu unmöglich machte, einen richtig klaren Gedanken zu fassen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es war vorhersehbar gewesen, dass sich Vahagn zu meiner Frage an sie wiederum ein paar eigene Fragen auftaten. Allerdings antwortete ich nicht sofort auf das Wer oder Was, weil die Brünette erst einmal noch eine etwas detailliertere Antwort abgab, der ich aufmerksam lauschte. Scheinbar war es so ganz grundsätzlich machbar in die Staaten rüberzukommen, was mir prompt einen kleinen Stein vom Herzen fallen ließ. Auch, wenn die Russin gleich im Anschluss daran noch betonte, dass es natürlich deutlich komplizierter war, als bei anderen Ländern. Die Amerikaner legten bekanntlich leider sehr viel auf ihre Landesgrenzen, was angesichts der Tatsache, dass sie ständig Streit mit Gott und der Welt suchten, wahrscheinlich auch besser so für sie war. Nur für Sydney und mich als unerwünschte, schwarze Passagiere eben nicht. Unmöglich war es aber trotzdem nicht und dass reichte uns beiden. Wir würden ja auch nicht die wildesten Partys schmeißen und unnötig Aufmerksamkeit auf uns ziehen, wenn wir drüben waren. Das Ganze sollte auch unabhängig vom Überflug so verdeckt wie nur irgendwie möglich ablaufen. Deshalb würde es wohl auch irgendein wenig glamouröses Motel oder Ähnliches zur Übernachtung werden, das ohne großen Aufwand bar bezahlt werden konnte. Motelbesitzer mit nicht idealer Ausgangslage verdienten sicher nicht allzu gut - andernfalls würden amerikanische Motels nicht oftmals so schäbig aussehen -, die stellten deswegen hoffentlich also nur wenige bis gar keine Fragen zu ihren Gästen. Auch die Frage nach dem Warum richtete Vahagn schließlich an mich, woraufhin ich mich flüchtig räusperte. Ich hatte heute noch kaum Wasser getrunken, was die leicht trockene Kehle erklären dürfte. Zwar war ich mir nicht sicher damit, wie die Brünette nun auf meine nicht allzu ausführliche Erklärung zur Ausgangsfrage reagieren würde, aber ich ließ mit jenen Worten trotzdem nur wenige Sekunden auf mich warten. "Kurz gesagt will Sydney noch ein letztes Mal in die Staaten, um ein paar Dinge abzuhaken und damit abzuschließen. Im Gegensatz zu mir beispielsweise hatte sie nie eine Möglichkeit zum Schlussstrich, das ist ein Scheißgefühl.", lieferte ich eine oberflächliche Antwort, die in meinen Augen so vorab aber erst einmal ausreichend war. Dass es explizit um Noah ging, war dabei für meine Begriffe aber auch nicht relevant. Für Vahagn machte das am Ende keinen großen Unterschied. Natürlich war es so oder so etwas riskant noch einmal ans alte, legale Leben anknüpfen und es final mit einem Abschied beenden zu wollen - deswegen ließ ich die ehemalige Agentin ja auch nicht auf eigene Faust zurückgehen. Sie diese Sache alleine durchziehen lassen stand für mich gar nicht zur Debatte, würde ich doch dauerhaft auf sengend heißen Kohlen sitzend auf ihre Rückkehr warten. Oder gar darum bangen, dass sie mit Pech nie wieder zu mir zurückkam. Trotz der gefährlichen Umstände war es in meinen Augen jedoch wichtig, dass die Frau an meiner Seite eine Chance dazu bekam, endgültig im neuen Leben anzukommen, indem sie Vergangenes hinter sich ließ. Sie war fließend zur Kriminalität übergegangen und hatte deswegen nie eine Möglichkeit dazu gehabt, Lebewohl zu sagen. Ich hatte mich von meinen alten Eltern damals, bevor ich zu den Bullen gegangen war, noch verabschiedet. Und auch, wenn ich nicht einmal wusste, ob sie inzwischen noch lebten und wie es ihnen ging, hatte mir das zumindest Frieden damit geschaffen. Wenn sie wüssten, dass ich nach diesem ganzen Aufriss jetzt ja doch wieder kriminell geworden war, ich umsonst nach Norwegen umgesiedelt war, würde meine Mutter mich wahrscheinlich ohrfeigen - weil sie mich nicht so erzogen hatte - und mein Vater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber genug davon. "Ich weiß, dass es ziemlich riskant ist, noch einmal in der Vergangenheit zu wühlen... aber sie verdient das und ich werd' schon dafür sorgen, dass wir heil wieder aus der Sache rauskommen. Deswegen geh' ich ja mit, also kannst du das meine Sorge sein lassen. Für dich geht's nur darum uns heil rein und wieder raus zu bringen, mit dem Rest hättest du nichts zu tun.", erklärte ich weiter und zuckte zum Ende hin schwach mit den breiten Schultern. "Ich nehme an, wenn's schwieriger ist, dann kostet's auch mehr?", ging ich mit einem leisen Seufzen noch weiter auf die ganze Geschichte ein, wobei mein Ton vollkommen neutral blieb. Geld sollte für mich nie das Problem sein. Irgendwie bekam ich immer genug zusammen, auch wenn ich es immer wieder aufs Neue hasste, mein Erspartes schrumpfen zu sehen. Zumindest immer dann, wenn dabei keine komfortable Villa oder Ähnliches heraussprang, das mein Leben auf lange Dauer lebenswert machte. Aktuell war es das ja nur mehr oder weniger.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Einen Moment lang sah ich Sabin einfach nur wortlos an. Suchte in seinem Gesicht nach Anzeichen dafür, dass er mich gerade verarschen wollte, als er mir mitteilte, mit seiner Freundin gerne noch einmal in die Staaten zurückkehren zu wollen. Nachdem letztere vermutlich nach wie vor ziemlich aktiv von sämtlichen Behörden gesucht wurde, erschien mir das milde gesagt als eine absolut beschissene Idee, aber das wusste der Italiener sicherlich selbst. Dennoch kam ich um ein "Spinnst du?", nicht drum herum. Eben ganz die freundliche Geschäftsfrau, die ich nun mal war, stellte ich Sabin diese eine, natürlich rein rhetorische Frage, auf die ich nun wirklich keine Antwort erwartete. Er müsste schon ziemlich dreist lügen, um mit etwas anderem, als 'Ja, definitiv.' darauf zu reagieren. Aber offensichtlich schien der junge Mann das absolut ernst zu meinen, was mich fassungslos mit dem Kopf schütteln ließ. Anhand der nachfolgenden Worte ließ sich mir fast schon so etwas wie Vernunft unterstellen, aber in erster Linie war ich lediglich besorgt um meine Männer und meine Ressourcen. "Das ist nicht nur riskant - das ist verdammt dumm.", zeigte ich mich von Sabins Schnapsidee gänzlich unbeeindruckt. Dabei war mir persönlich vollkommen egal, was nun eigentlich der konkrete Grund dafür war, dass die beiden noch einmal in die Staaten einreisen wollten, es war einfach nur lebensmüde. "Sämtliche Behörden sind auf der Suche nach deiner Freundin. Einen Schritt über die Landesgrenze wäre quasi Selbstmord.", versuchte ich mit verständnisloser Stimme an die Vernunft des Italieners zu appellieren. Das Kopfschütteln stellte ich dabei zu keiner Zeit ein und am liebsten wäre ich parallel dazu ein paar Meter durch mein Wohnzimmer spaziert. Ich musste wohl nicht erwähnen, dass ich das wegen der Verletzung lieber nicht tat, oder? Sabins noch folgende Frage nach dem Preis irritierte mich etwas und ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, dass er für sein Vorhaben auf meine Hilfe - also meine Dienstleistungen - zählte. Warum? Vermutlich weil ich hier auf dieser Gott verlassenen, wirtschaftlich absolut zurückgebliebenen Insel die einzige war, die das konnte, aber... ich wollte nicht. In meinen Augen war das Ganze einfach eine Nummer zu riskant. Bisher hatte ich schon so einige böse Jungs uns Mädels in Länder reingeschmuggelt oder herausgeholt, aber vor allem Sydney war da eine ganze andere Hausnummer. Sie war eine ehemalige FBI-Agentin, verdammt. Eine, die zudem von ihrem alten Arbeitgeber, als auch von etlichen anderen Behörden gesucht wurde. Sie irgendwie auch nur ansatzweise unbemerkt ins Landesinnere zu bringen war nahezu unmöglich. Aber eben auch nicht komplett ausgeschlossen und so wie es Sabin schon ganz gut auf den Punkt brachte, könnte es ein durchaus lukratives Geschäft für mich sein. Leider stand das Risiko für uns alle aber in keiner Relation zu Geld, wenn ich ehrlich sein sollte. Es müsste nur eine Sache in ihrem Ansatz schiefgehen und wir wären alle ziemlich sicher am Arsch. Nicht nur Sabin und Sydney, sondern auch Hunter, Cosma und der Rest unserer kleinen Mafia würde von den amerikanischen Behörden überrollt und nicht zuletzt gnadenlos eingeknastet werden. Noch ein weiteres Mal würden wir sie sicher nicht an der Nase herumführen können. "Vergiss es, Sabin. Ich kann dir da nicht helfen.", lehnte ich also ziemlich bestimmt ab, den Italiener bei seinem Vorhaben unterstützen zu wollen, weil es meiner Meinung nach einfach viel zu gefährlich war. Ich stellte mein organisatorisches Können zwar keinesfalls in Frage, aber dass die beiden heile in Amerika und schließlich wieder auf Kuba ankamen, oblag nicht allein meiner Verantwortung. Und ich wollte das Risiko schlichtweg nicht eingehen, dass es an irgendeinem Punkt scheitern würde und sich die Spur zu uns zurückverfolgen ließ. Immerhin begannen sich auch die Kubaner langsam zu fragen, warum die Kriminalität in den letzten Woche rapide zugenommen hatte. Und selbst wenn die Menschen hier etwas zurückgeblieben waren, irgendwann würden sie eins plus eins zusammenzählen und damit wollte ich nichts zutun haben.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das folgende, ziemlich schwere Seufzen, das mir über die Lippen rollte, war wohl nur zu verständlich. In etwa ebenso, wie all die Worte, die Vahagn innerhalb weniger Minuten hier an mich loswurde und ich verstand das ja. Ich hatte mir im Vorfeld selbst mehr als genug Gedanken darüber gemacht, wie wahnsinnig heikel die ganze Angelegenheit war. Schließlich konnte an unendlich vielen Ecken so einiges schiefgehen und daraufhin würde nicht nur Sydney ohne Umwege - mal abgesehen vom Gerichtsverfahren - in den Knast wandern. Wahrscheinlich für mehrere Jahrzehnte oder gar für immer und das allein war schon ein wirklich furchtbarer Gedanke. Ich selbst wollte genauso wenig wieder nach Italien ausgeliefert und dort dann eingebuchtet werden. Endlos viele Kilometer von der jungen Frau entfernt sein, die ich zu lieben gelernt hatte und die ich daraufhin vielleicht niemals wiedersehen würde. Denn so viel stand fest - ich würde lebenslänglich kriegen. Um das zu wissen, musste ich keinen Anwalt befragen. Aber all das würde ganz einfach nicht passieren. Ich war ein ganzes Jahrzehnt lang erfolgreich unter dem Radar der italienischen Polizei gewandert und würde das auch in den Staaten einwandfrei hinkriegen. Natürlich machte Noahs Kidnapping die ganze Sache nur noch gefährlicher und der Zeitrahmen dafür war wie gesagt auch spärlich... wobei mir just in diesem Moment eine Idee dazu kam, wie man noch ein bisschen Puffer herausholen könnte. Aber das ging Vahagn vorerst nichts an, also richtete ich nach einem ruhigen, tiefen Atemzug andere Worte an sie. "Ich weiß, dass das Risiko nicht gering ist und sich auch nicht nennenswert schmälern lässt. Aber ich bin etliche Jahre in Italien den Bullen entgangen, obwohl ich landesweit gesucht wurde und mehrfach durch die Nachrichten gelaufen bin. Das geht, wenn man weiß wie. Ob Europa oder USA macht da keinen Unterschied, solange wir nicht direkt an irgendwelchen Kameras vorbei müssen, wo auch immer du uns absetzt. Und Sydney war doch bei den Cops, sie weiß also im Ernstfall bestens, wie die Arschlöcher ticken. Wenn's Jemand schafft diesen Idioten durchs Netz zu gehen, dann wir beide.", zeigte ich mich was das anbelangte weiterhin zuversichtlich und unbeirrt. Allerdings brachten uns beiden all diese Argumente nicht mehr besonders viel, wenn wir wirklich eine kleine Armee von Sirenen hinter uns hätten, aus welchen unglücklichen Umständen heraus auch immer. Ich brauchte also wahrscheinlich nicht zu hoffen, dass sich die Russin davon ernsthaft umstimmen ließ, wo sie ihren Standpunkt doch gerade sehr deutlich gemacht hatte. Zwar konnte sie uns beiden sehr wohl helfen, aber sie wollte es eben nicht. Es war auch nicht so, als würde ich das nicht verstehen - was wiederum aber nicht hieß, dass ich mich so einfach abspeisen lassen würde. War nicht die erste Diskussion oder Verhandlung, die ich führte. Noch war ich also optimistisch damit, Vahagn rumzukriegen. Wenn ihr Plan A nicht gefiel, dann musste eben ein anderer aus dem imaginären Hut gezaubert werden. "Was ist mit Canada? Wäre dir das lieber? Es sind nur ein paar Stunden Autofahrt von Vancouver aus und solange wir keine der Hauptstraßen über die Grenze nehmen, wär das sicher gut machbar.", schlug ich ihr quasi eine andere Variante vor, mit der sie und ihre Mannschaft um die USA herumkommen würden. Zwar war das mit der Überquerung der Grenze dann auch nicht ganz einfach, jedoch ganz und gar nicht unmöglich. Ich war ja auch öfter mal zwischen Italien, Frankreich und Spanien hin und her getingelt in meiner aktiven Zeit als Drogenbaron. Es sollte also auch das eher keine Sorge sein, die ich mir machen musste. Natürlich hieße das Umfahren der Hauptstraßen zusätzliche Fahrtzeit und etliche Umwege, aber wenn wir dafür ohne Probleme rüberkamen, war es das allemal wert. Dann planten wir eben einen Tag zusätzlich ein wegen der Fahrerei, wäre kein Weltuntergang.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Sabin schien so einfach nicht aufgeben zu wollen, was mich genervt seufzen ließ. Ich hatte so schon keine besonders große Lust gehabt, mich mit dem Italiener heute zu unterhalten und jetzt auch noch mit ihm diskutieren zu müssen bestätigte mich darin, dass ich dem Gespräch gar nicht erst hätte zusagen sollen. Konnte er nicht einfach akzeptieren, dass es viel zu gefährlich wäre, in die Staaten zu reisen und es einfach gut sein lassen? Sydney würde schon irgendwann darüber hinweg kommen, es nicht mehr geschafft zu haben, die Dinge zu erledigen, wegen denen sie ursprünglich noch einmal nach Amerika wollte. Es wäre vermutlich deutlich einfacher gewesen, die Brünette abzuspeisen, als Sabin, der ziemlich konsequent versuchte, mich doch noch irgendwie umzustimmen. Erst damit, dass er und Sydney sich bestens mit den Behörden und ihrer Art zu arbeiten auskannten - sich dementsprechend vorsichtig verhielten und vorgingen -, dann mit einer Alternative, über die ich tatsächlich kurz nachdachte. Nicht aus Nächstenliebe, sondern weil das Risiko tatsächlich geringer war und sich damit doch noch der ein oder andere Tausender verdienen lassen würde. Einen Moment lang sah ich Sabin wieder wortlos an, aber da kam nichts mehr. Kein spontaner Rückzieher, kein weiterer Versuch, mich zu überzeugen - nichts. Er ließ mir jetzt ganz offensichtlich die Wahl. Also nahm ich mir auch die Zeit - in Summe bestimmt an die dreißig Sekunden -, um die Pro- und Kontraargumente gegenüberzustellen und schließlich kam ich dann zu dem Entschluss, dass Kanada ein Kompromiss war, den ich einzugehen bereit war. Des Geldes wegen und weil Sabin tatsächlich einer der wenigen Menschen war, denen ich ansatzweise so etwas wie Vertrauen entgegenbringen konnte, wenn es darum ging, dass er alles daran setzen würde, nicht von den Bullen aufgelesen zu werden. Schließlich stand auch für ihn und seine Freundin so einiges auf dem Spiel, es war also eher unwahrscheinlich, dass er kopflos über die Landesgrenze stolpern würde. Nichtsdestotrotz würde ich mich beim Preis nicht drücken lassen, weil es unabdingbar war, den amerikanischen Luftraum zumindest kurzzeitig zu passieren. War einfach notwendig, wenn man auf einen mehrstündigen Umweg verzichten wollte. Am gesamten Kontinent vorbeizufliegen wäre nämlich die Alternative dazu und die erschien mir doch etwas sehr zeitaufwendig. Was ich jetzt davon halten sollte, dass Sabin und Sydney dann mit einem Auto, per Anhalter oder vielleicht auch mit einem Fahrrad über die Grenze schippern würden, wusste ich zwar nicht, aber im Grunde genommen war das auch gar nicht mehr mein Bier. Sie in Kanada absetzen und von dort wieder abholen - das wäre meine Aufgabe und alles weitere oblag in der Verantwortung der anderen beiden. Ich überlegte noch kurz, ob sie für ihre Abreise noch irgendwelche Unterlagen benötigten, die ich zusätzlich in Rechnung stellen konnte, ehe ich mich mit einem genervten Seufzen geschlagen gab. Ich zuckte schwach mit den Schultern und rieb mir im gleichen Atemzug noch mit der Hand des unverletzten Arms über das Gesicht. "Okay, von mir aus.", ließ ich Sabin wissen, dass er mich tatsächlich hatte überzeugen können. Die kubanischen Papiere dürften zumindest in Kanada erst einmal ausreichend sein. Lediglich ein Touristenvisa fehlte den beiden und das war verhältnismäßig schnell organisiert. Ich ging nämlich nicht davon aus, dass Sabin und Sydney in Kanada die Justiz fürchten müssten, wo doch die Beziehung der zwei nah beieinander gelegenen Länder nicht ganz so gut war. Zwar versuchte Amerika mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch bei ihrem nördlichen Nachbarn nach der jungen Frau zu suchen, aber die Kooperation ließ sicher zu wünschen übrig. Nichtsdestotrotz würde ich mich natürlich vorher erkundigen, was nun Stand der Dinge war, bevor ich meinen Flieger in den Norden schickte. Außerdem brauchten sie gar nicht darauf zu hoffen, gleich morgen schon aufbrechen zu können, denn das rentierte sich für mich weder vorne noch hinten. "Ich schaue, was ich machen kann.", grummelte ich mehr in mich hinein, als mit Sabin direkt zu sprechen. Knüpfte das Ganze außerdem direkt an eine Bedingung. "Wird aber weder diese, noch nächste Woche etwas. Ich muss schauen, wie ich das organisiere. Ihr fliegt definitiv nicht allein." Zwar war ich kein besonders großer Fan davon, Aufträge miteinander zu verknüpfen, aber das war mir in dem Fall allemal lieber, als ausschließlich die beiden Turteltäubchen ins Flugzeug zu setzen. Rentierte sich bei nur zwei Personen kein bisschen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Erneut herrschte für ein paar sehr lange Sekunden absolute Stille im Raum, während Vahagn sich den Kopf darüber zu zerbrechen schien, was sie denn nun von meinem zweiten, leicht abgewandelten Vorschlag halten sollte. Ich für meinen Teil sah für sie darin nur Vorteile. Sie kam um die USA größtenteils herum und musste ihre Crew dort nicht landen lassen, was das Risiko für meine Begriffe sicher merklich schmälerte. Nicht für Sydney und mich, weil wir logischerweise dennoch nach Oregon reisen würden, aber damit hatte die Russin absolut nichts zu tun. Dementsprechend hoffte ich sehr darauf, ihre Meinung mit meinem spontanen Plan B gekippt zu haben. Schließlich erlöste die junge Frau mich auch von der Warterei, indem sie mir mit ein paar wenigen Worten zu verstehen gab, dass eine Landung in Canada für sie in Ordnung ging. Ich ließ es mir nach außen hin nicht ansehen, aber innerlich rollte mir doch ein kleiner Stein vom Herzen. Das hieß nämlich, dass ich keine Hoffnungen zerstören musste, die ich selbst in Sydney geschürt hatte und dafür war ich Vahagn gerade wirklich dankbar. Meine Mundwinkel spiegelten das auch wider, als ich erfreut zu lächeln begann. Nicht übermäßig, sondern weiterhin dezent, aber ich war doch der Meinung, dass die Brünette ruhig sehen durfte, dass sie mir damit einen Gefallen tat. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass meine Freundin und ich uns mit der Abreise noch etwas gedulden müssen würden, weil wir keinen Privatflug rüber nach Canada kriegen würden, sondern uns das Flugzeug mit ein par anderen Passagieren teilen müssen würden. Das war absolut kein Problem, weil Sydney und ich uns dann bis dahin auch noch ganz in Ruhe überlegen und gemeinsam planen konnten, wie wir die Grenze der USA am sichersten überqueren und wie wir danach weiter vorgehen konnten. Es kam mir also sogar eher gelegen, dass Vahagn noch etwas Zeit für die ganze Planung brauchen würde. Ich nickte gut sichtbar, ehe ich nach wie vor schwach lächelnd zu einer Antwort ansetzte. "Das ist vollkommen in Ordnung. Wir brauchen selbst ja auch noch etwas Zeit, um die Angelegenheit zu planen. Es soll ja nichts schiefgehen.", ließ ich die junge Frau wissen, dass es mich nicht störte, noch warten zu müssen. Eher ganz im Gegenteil. Ich musste mich ja auch noch darum kümmern, dass das Labor in meiner Abwesenheit weiterlief. Dass Richard sich in dieser nur wenige Tage umfassenden Zeitspanne vollumfänglich darum kümmerte, dass die Lieferkette nicht abriss und wir Niemanden vertrösten mussten. Mexikanische Kartelle verstanden leider nur sehr selten Spaß, man provozierte sie also besser nicht unnötig. Andernfalls rollten schneller Köpfe, als uns allen lieb war. Wenn wir schon in ein paar Wochen nach Canada aufbrechen sollten, dann wäre es vielleicht auch besser, den Engländer noch nicht im Labor mit den Drogen allein zu lassen. Er war zwar auf den ersten Blick gerade wirklich stabil, aber es reichte unter Umständen schon ein einziger, extrem mieser Tag, um sein Gemüt wieder zu kippen. Ein Risiko einzugehen wäre dahingehend nicht nur fahrlässig, sondern vielleicht unser beider Todesurteil. Apropos... ich hatte auch noch absolut keinen Schimmer davon, wie ich es Hunter gegenüber passabel in Worte verpacken konnte, dass ich mich ein paar Tage verpissen würde. Das war auch so eine Sache, die ich mir noch sehr gut überlegen musste. Auch, wenn ich ihm eigentlich keiner Rechenschaft schuldig war, solange das Labor in diesem Zeitraum trotzdem weiterlief. Ich hatte mein eigenes Leben und würde mich nicht wie seine Untergebenen von ihm herumschubsen lassen. Geldschulden hin oder her. "Wir brauchen nicht mehr als zwei, höchstens drei Tage da drüben... melde dich einfach, wenn du was Passendes hast und weißt, was uns das Ganze kosten wird.", hängte ich noch ein paar weitere Worte an. Selbst, wenn wir einen Tag brauchten, um von Vancouver nach Oregon zu kommen, dann brauchten wir für Noah ja auch nur einen einzigen Tag. Großzügig kalkuliert waren 3 Tage also vollkommen ausreichend und viel mehr sollte sicher auch nicht riskiert werden. Je früher wir zurück auf kanadischem und schließlich kubanischem Boden waren, desto besser.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Und wenn es nicht in Ordnung gewesen wäre, dann hätte mich das wohl auch nur wenig bis eigentlich gar nicht interessiert. Denn entweder spielten Sabin und Sydney das Spiel nach meinen Regeln oder sie mussten sich anderswo einen Kontakt suchen, der lebensmüde genug war, sie mit ihrer beider Vergangenheit auch nur ansatzweise in die Nähe der Vereinigten Staaten zu bringen. Nur weil Kanada zu seinen Nachbarn kein besonders gutes Verhältnis pflegte, hieß das nämlich noch lange nicht, dass sie solches Gesocks wie der Italiener und seine amerikanische Freundin es war gerne in ihrem Land wussten. Es barg als gangbare Alternative für mich nämlich trotzdem einige Risiken, die sich mit keinem Geld der Welt aufwiegen lassen würden. Wenn es blöd lief, würde man uns aus dem Verkehr ziehen und an der Stelle ging es nicht nur ausschließlich um meine eigene Freiheit. Hätte es für den Ältesten also ein Problem dargestellt, dass das Organisatorische seine Zeit brauchte, wäre ein freundlicher Ratschlag meinerseits wohl gewesen, sich das Geld, welches er mir für den Trip nach Amerika zahlen wollen würde, einfach in den Arsch zu schieben. Ich war lieber arm und dafür frei, als eine Menge Kohle zu haben, die mir schlussendlich nur noch meinen Sarg finanzieren würde, wenn ich im Knast dann irgendwann mal tot umfiel. Gut, an der Stelle überzog ich natürlich wieder maßlos, wo Sabin und ich uns doch von Anfang an einig waren, aber wo kämen wir denn da hin, wenn ich nicht hier und da ein kleines bisschen übertrieb? Jedenfalls würde der Italiener sich mit seiner Liebsten zusammensetzen und einen Plan ausarbeiten, wie sie von Vancouver nach wo auch immer kamen und der Rest fiel dann in meinen Zuständigkeitsbereich. Vermutlich würde ich mir damit noch ein oder auch zwei Tage Zeit lassen, bevor ich tatsächlich anfing, ernsthafte Überlegungen anzustellen, weil ich persönlich nicht davon ausging, dass sich die nervtötenden Kopfschmerzen binnen kürzester Zeit einfach in Luft auflösten. Schön wäre es zwar, aber genau so war es auch reines Wunschdenken. Ich würde heute und sehr wahrscheinlich auch noch morgen die Füße hochlegen - sofern das mit dem verletzten Bein im Bereich des Möglichen lag natürlich - und mir dann in aller Seelenruhe meine bereits in Bearbeitung befindlichen Anfragen anschauen. Vielleicht war ja etwas Passendes dabei, wo man die beiden Turteltäubchen noch im Frachtraum mitfliegen lassen könnte. Vielleicht bot sich stattdessen aber auch eine Schiffsfahrt an, das wusste ich aber noch nicht. Wie gesagt, stresste ich mich in dem Punkt nicht wirklich. Klar, je schneller ich die beiden bedienen konnte, desto schneller sah ich auch ein paar mehr Scheine auf meinem imaginären Konto. Die Arbeitsmoral war seit der Sache in Russland nur leider nicht maßgeblich gewachsen und ich hatte nach wie vor große Lust dazu, einfach alles hinzuschmeißen und Iljah mit der Scheiße alleine im Regen stehenzulassen. Aber andererseits verdiente auch ich persönlich damit ein Stück weit mein Geld und meinen Bruder hängenlassen konnte ich, wenn es darauf ankam, ja dann doch nicht. Familie war und blieb ein Segen und ein Fluch zugleich. Ich hoffte nur inständig, dass er sich als Wiedergutmachung noch etwas einfallen lassen würde und im Gegenzug nicht von mir erwartete, Irina als meine... was auch immer in spe anzusehen. Mit einem schwachen Kopfschütteln löste ich mich von den kurzzeitig abschweifenden Gedanken an meine bessere Hälfte, um mich stattdessen wieder auf den Tätowierten vor mir zu konzentrieren. Mehr als ein paar Tage würden sie also nicht brauchen. Gut, okay. "Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen muss?", fragte ich ganz direkt, ob es da noch irgendetwas gab, auf das ich bei der Organisation der Reise achten musste. Zwar glaubte ich da nicht wirklich dran, da mich so etwas wie persönliche Präferenzen hinsichtlich der Bequemlichkeit der Reise oder bestimmte Allergien nur wenig bis gar nicht interessierte, aber vielleicht gab es da ja etwas, das ich nebst dem Preis und den Eckdaten zum Überflug gerade nicht auf dem Schirm hatte. Mein Kopf glich einer gekochten Banane, ich war froh, wenn Sabin endlich wieder weg war. Wir saßen hier bestimmt noch nicht allzu lang, schließlich wollte es der Italiener selbst ja kurz machen, aber jede Minute in einem geschäftlichen Gespräch, war eine Minute zu viel für meinen geschwächten Körper.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Auf Anhieb fiel mir sonst nichts mehr ein, das für Vahagn und ihre Planung irgendwie relevant gewesen wäre. Trotzdem dachte ich noch einen kurzen Moment lang darüber nach und senkte meine Augen dabei nachdenklich auf den flachen Tisch nahe des Sofas. Nach wenigen Sekunden schüttelte ich dann bereits den Kopf und hob den Blick wieder in den der Russin. "Nein, ich glaube nicht. Solltest dir noch was einfallen, was du für die Planung wissen musst, dann frag' einfach. Meine Nummer hast du ja.", meinte ich diesbezüglich also nur noch. Das Gespräch hier schien so weit beendet, wenn der Brünetten nicht plötzlich noch etwas einfiel, das sie unbedingt jetzt sofort noch wissen musste. Wenn es morgen oder auch erst in ein paar Tagen dann doch noch etwas gab, das sie für ihr weiteres Vorgehen in Erfahrung bringen musste, konnte sie mich einfach anrufen. Ich würde ihr ja fast anbieten, einfach vorbei zu kommen, wenn sie in der Gegend war, aber erstens war letzteres unwahrscheinlich, wohnten wir doch ein kleines Stück auswärts der Stadt und zweitens dürfte die Russin wenig Lust dazu haben, sich in eine Gemeinschaftsunterkunft mit Hunters Schergen zu begeben. Dazu hatte ich ja nicht mal selbst Lust und ich wohnte da, war noch dazu keine Frau. Dass diese unerzogenen Hunde vor dem weiblichen Geschlecht noch weniger Respekt hatten als ohnehin schon, hatte Sydney ja leider zu Anfang deutlich spüren dürfen - wobei Vahagn sich mit Sicherheit durchaus gegen diese Idioten wehren können würde. Mindestens wörtlich. Ich erinnerte mich noch sehr gut an die Gespräche, die sie in Norwegen mit unserem invaliden Tauren geführt hatte, als er auf weiß Gott was für Schmerzmitteln gewesen war. "Dann mach ich mich jetzt wieder auf den Weg. Zeit ist Geld, wie du weißt.", wurde ich mit einem leisen Seufzen einen einleitenden Satz zu meinem anstehenden Aufbruch los. Ich hatte wirklich nur wenig Lust dazu jetzt gleich weiter zum Labor zu fahren - weswegen ich eigentlich auch gehofft hatte, dass wir hier ein kleines bisschen länger brauchen würde, aber das Leben war nun mal nur selten ein Wunschkonzert -, aber die Drogen warteten nur ungern und Hunter wartete ganz genau gar nicht. Wahrscheinlich würde er mir mindestens beide Hände amputieren, wenn ich nur ein einziges Mal mit dem Meth auf mich warten ließ. Man sollte eigentlich meinen, dass er trotz der noch vorhandenen Schulden besänftigt war, weil er ja merken müsste, dass ich immer regelmäßig abzahlte, aber sowas wie Anerkennung oder Vertrauen waren bei dem Amerikaner absolut mühselig verdient. Also stand ich nun auf, ließ auf den Beinen angekommen einmal kurz die verspannten Schultern kreisen und sah dann noch ein letztes Mal zu der jungen Frau. "Danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Wir hören voneinander.", verabschiedete ich mich dann schließlich von Vahagn, ließ ihr dabei auch noch ein anerkennendes Nicken zukommen und machte nach der Verabschiedung Kehrt, um die Wohnung zu verlassen. Für mich war es niemals selbstverständlich, wenn sich Jemand für meine Anliegen Zeit nahm, die er vielleicht lieber anders verbracht hätte oder die er eigentlich gar nicht hatte. Wertschätzung zu zeigen gehörte für mich zu einem gesunden Miteinander, auch wenn ich damit heutzutage ziemlich allein war.
- Sprung zu nächste Tag oder so -
Ich schlief so unruhig wie schon lange nicht mehr, weil ich endlos viel schrägen Mist träumte. Zwar war das nicht unbedingt atypisch für mich, weil mein Unterbewusstsein nicht selten im Schlaf Dinge zu verarbeiten versuchte, die ich den Tag über geflissentlich ignorierte, aber in dieser Nacht war es wirklich extrem. Ich wachte ständig auf, trotz zugezogener Vorhänge und daraus resultierender, fast gänzlicher Dunkelheit im Schlafzimmer. Es waren meine Eltern und ihr ach so vertrauenswürdiges Kindermädchen, die mich in meiner Traumwelt zuletzt heimsuchten und wegen denen ich nach der Pistole unter dem Kopfkissen griff. Auch letzteres war eigentlich nicht mehr normal für mich, seit ich mit Cosma ein Bett teilte und die Wumme deshalb meistens auf dem Nachttisch bunkerte. Aus alter Gewohnheit hatte ich sie schon die letzten Tage über wieder mit ins Bett genommen. Als hätte ich eine böse Vorahnung oder irgendwelche Gründe dafür, wo mir hier auf Kuba doch noch nie Jemand wirklich zu nahe gekommen war. Ich war hier sicher, es war also wirklich unbegründet. Erst recht wegen der nächtlichen Alarmanlage am und im Haus. Ich würde es so oder so frühzeitig merken, wenn Jemand sich aufs Grundstück wagen würde. Trotzdem schreckte ich mit aussetzendem Herzen im Bett hoch und richtete die Waffe in den Raum, als könnte ich im selben Moment schon klar sehen. Mir wurde durch die sehr hektische Bewegung kurz schwarz vor Augen und es dauerte ein paar stoßartige Atemzüge, bis ich eindeutig sehen konnte, dass ich in diesem Raum vollkommen allein war. Bis ich realisierte, dass das Kindermädchen von damals nicht mit einem Besen bewaffnet am Fußende des Betts stand, um mich damit aus dem Bett zu prügeln, weil ich sonst zu spät zur Schule kam. Ich sicherte die Waffe wieder, legte sie neben mir im Laken ab und legte den Kopf in die Hände. Die Folter selbst war jetzt schon ein Jahrzehnt her und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass es mich niemals loslassen würde. Nachdem ich mir mehrfach mit viel Druck übers Gesicht gerieben hatte, seufzte ich tief und sah zur anderen Betthälfte. Erwartete dort Cosma zu sehen, die mich verwirrt ansah, aber die Matratze war bis auf mich und die Knarre vollkommen leer. Also griff ich mit irritiert zusammengezogenen Augenbrauen nach meinem Handy auf dem Nachttisch und es war eigentlich noch viel zu früh für sie, um zur Bar aufzubrechen. Normalerweise würde ich jetzt gegen 11.30 Uhr selbst noch gar nicht aufstehen, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich war gerädert, aber dennoch hellwach und so schob ich schließlich die müden Beine aus dem Bett, um ins Bad rüberzugehen. Ich hatte ziemlich stark geschwitzt beim Schlafen, also konnte eine Dusche nicht schaden. Außerdem half das Wasser auch etwas gegen den dröhnenden Schädel, der wohl aus dem wenig erholsamen Schlaf und vielleicht auch aus dem Whiskey resultierte, dessen Reste ich mir dann mit der Zahnbürste aus dem Mund putzte. Nur mit grauer, kurzer Jogginghose bekleidet - war ja wie immer recht warm - ging ich nach unten und sah mich nach der Rothaarigen um, aber sie war weit und breit nicht zu sehen. Weder im Wohnzimmer, noch in der Küche, noch draußen auf der Terrasse. Ich fand sie nirgends, also beschloss ich das Smartphone aus meiner Hosentasche zu ziehen und sie anzurufen, was nur die nächste Portion blanker Verwirrung für mich bereithielt. Denn ihr Handy vibrierte auf der Ablage an der Garderobe im Flur. Ich würde ja darauf tippen, dass sie es einfach nur vergessen hatte, aber auch ihre Schlüssel hingen noch am Brett. Ich dachte noch einen Moment lang darüber nach, schüttelte dann aber den Kopf. Sie war alt genug, um alleine klar zu kommen. Zumindest meistens und tagsüber sah ich weniger Risiken für irgendwelche Drogen-Mord-Eskalationen. Also ging ich nach unten in den Keller, um nach der Klimaanlage zu sehen. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber irgendwie war es heute Morgen doch schon deutlich wärmer im Haus, als es das normalerweise sein sollte. Selbst mit Klimaanlage heizten sich die Räume durch die großen Fenster tagsüber ein bisschen auf, aber das fiel eigentlich erst am Nachmittag so richtig auf, wenn die Sonne auf die großen Fenster im Wohnzimmer knallte. Also ging ich einfach nach unten, um nachzusehen und stellte erstmal fest, dass die Tür abgeschlossen war. Ich zog die rechte Augenbraue nach oben, weil ich die Tür eigentlich nie abschloss - wozu auch, war ja nur ein Klimasystem drin, das mir kaum weglaufen würde. Also drehte ich den Schlüssel im Schloss und zog die Tür mit sicherlich noch leicht verwirrtem Gesichtsausdruck auf. Nur, um dann auch schon in der Bewegung innezuhalten, weil mir bei Cosmas Anblick die Kinnlade runterkippte. "Was zur Hölle machst du hier unten?", wurde ich die erste Frage los, die mir in den Kopf schoss. Die viel wichtigere Frage war allerdings, warum sie gefesselt war. Hier. In meinem Haus, zu dem außer uns beiden Niemand Zutritt haben sollte. Ich löste mich mit einem kaum sichtbaren Kopfschütteln aus der vorübergehenden Starre, als mir klar wurde, dass Cosma mir dem geknebelten Mund sowieso nicht antworten konnte. Zügigen Schrittes schloss ich zu ihr auf und kniete mich zu ihr runter, um erst einmal den Knebel zu lösen. Die Fesseln würden gleich danach folgen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Das Gefühl für Raum und Zeit hatte ich hier unten schnell verloren. Nachdem Hunter an Tag eins die Tür zum ersten Mal hinter sich zugezogen und mich damit in dem finsteren Raum zurückgelassen hatte, ließen sich die Minuten noch gut zählen. Als ich früher oder später dann allerdings die Augen schloss und mein Körper ganz von selbst zum Schlafen abschaltete, war es damit dann aber vorbei. Seitdem könnten wenige Stunden bis mehrere Tage vergangen sein, ich wusste es nicht genau. Jedoch ging ich davon aus, dass zwischen den regelmäßigen Besuchen des jungen Mannes ziemlich genau vierundzwanzig Stunden lagen, denn er kam jedes Mal mit etwas zum Essen und einem Glas Wasser nach unten, ansonsten verschonte er mich größtenteils mit seiner Anwesenheit. Von dem gebrachten Essen satt werden tat ich logischerweise keinesfalls – warum auch, wenn es eine Art Bestrafung sein sollte? – und durch die Hitze des im Raum befindlichen Klimasystems schwitzte ich auch die Flüssigkeit ziemlich schnell wieder aus. Es reichte allerdings gerade so, um meinen Körper nicht gänzlich versagen zu lassen, obwohl ich mir in der Zwischenzeit nicht selten gewünscht hatte, dass er es einfach tat. Ich die Augen schloss und nicht wieder öffnete, weil ich nicht wusste, wie lange dieser Spuk hier noch anhielt und ob er überhaupt jemals wieder ein Ende nehmen würde. Ein lebenswertes Leben sah auch unter der Prämisse meines kriminellen Lebensstils anders aus. Als wirklich fit würde ich mich also nicht mehr betiteln, nachdem eine schier unendliche lange Zeit ins Land gezogen war. Trotz – oder besser gerade wegen – des vielen Schlafs hier unten fühlte ich mich unglaublich müde, mein Mund war durch den Knebel nahezu ausgetrocknet und die verschwitzten Haarsträhnen klebten mir an der Stirn. Von dem Geruch wollte ich gar nicht erst anfangen, fühlte ich mich auf so vielen Ebenen einfach nur unglaublich entwürdigt. Ich hatte einen Fehler gemacht, das hatte ich inzwischen eingesehen. Hier unten hatte ich ja auch massenhaft Zeit, über diesen Vorfall und noch etliche andere nachzudenken, aber egal, wie es ich auch drehte und wendete, verdient hatte ich diese Aktion seitens Hunter nicht. Klar, der Amerikaner hob sich in Sachen Bestrafung nicht selten von der Allgemeinheit ab, weil er zu deutlich radikaleren Methoden neigte, aber ich konnte und wollte es einfach nicht verstehen. Einfach deshalb nicht, weil sich der Amerikaner mir gegenüber in der letzten Zeit ganz anders verhalten hatte, als noch zum Zeitpunkt unseres ersten Aufeinandertreffens. Wir beide waren an der Beziehung gewachsen, hatten uns zum Teil auf den jeweils anderen eingestellt und angepasst. Gelernt, miteinander umzugehen. Da passte es meiner Meinung nach überhaupt nicht ins Bild, dass der jungen Mann all die Fortschritte auf einmal über Bord warf, weil ich einen vielleicht etwas schwerwiegenderen Fehler gemacht hatte. Dass wir uns anschrien, uns zofften… ja, das war normal, nach wie vor gang und gäbe, aber das hier ging definitiv eine Spur zu weit. Ich ließ ja wirklich viel mit mir machen, aber irgendwann war dann auch mal Schluss. Ich hatte für mich daher den Entschluss gefasst, sollte ich hier tatsächlich wieder rauskommen, dass es vielleicht besser war, wenn wir uns erst einmal ein wenig voneinander distanzierten. Es tat mir im Herzen weh, diesen Gedanken zu verinnerlichen, weil ich die Gefühle für den Tätowierten mittlerweile eingesehen hatte, aber mich nach der Sache noch weiterhin im gleichen Haus mit ihm aufzuhalten, erschien mir nicht mehr, als absolut wahnsinnig. Mal ganz abgesehen davon, dass ich mir sowieso nicht vorstellen konnte, dass Hunter mich weiterhin in seiner Nähe wissen wollte, wenn ich durch Zufall hier unten entdeckt werden würde. Auch dieser Gedanke schmerzte, sodass zwischenzeitlich die ein oder andere Träne über meine Wange kullerte, die glücklicherweise weder er, noch irgendwer anders sehen konnte. Falls ich hier unten dann aber doch frühzeitig an meinen Tränen oder meinem Selbstmitleid ersticken sollte, hatte ich mich auch damit bereits angefreundet. Es schien in jedem Fall wieder Zeit für meine klägliche Mahlzeit zu sein, denn ich hörte den jungen Mann an der Tür rascheln, was mich ehrlich gesagt überraschte. Es fühlte sich nämlich so an, als hätte mein knurrender Magen erst vor wenigen Stunden seine klägliche Scheibe Brot samt Belag bekommen, aber vielleicht gewöhnte ich mich aber auch einfach nur daran, nicht mehr ganz so viel zu essen. Besagtes, Geräusche von sich gebende Organ schrumpfte mit der Zeit schließlich ein bisschen, der Hunger war dann nicht mehr ganz so ausgeprägt. Wie immer hob ich den müden Kopf nur ein wenig an, als die Tür mir gegenüber aufschwang, weil ein Heben des Kopfes den Knebel derart unter Spannung setzte, dass es mir die Mundwinkel einschnitt. Ich gab keinen Mucks von mir, als Hunter den Raum betrat und hoffte einfach nur darauf, dass er mir nicht noch ein paar unschöne Worte an den Kopf schmiss, sondern das Essen ablud und wieder verschwand. Wider Erwarten schien er mir jedoch gar nichts zu essen bringen zu wollen und noch bevor ich aktiv darüber hätte nachdenken können, sorgte der junge Mann mit seinem Handeln für vollkommene Verwirrung meinerseits. Anstatt mich zu beschimpfen, fragte er mich doch allen Ernstes, was ich hier unten machte. Wäre ich weder verwirrt, noch gefesselt gewesen, hätte ich ihn für diese Frage ohrfeigen und anschnauzen können, aber ich tat nichts dergleichen, als er zu mir geeilt kam, um mich erst von dem Knebel und dann von den Fesseln zu befreien. Ich brauchte einen Moment, bis ich wieder einigermaßen ein Gefühl im Mund und den Hand- sowie Fußgelenken hatte. In der Zwischenzeit half mir der junge Mann auf die Beine und ich wäre beinahe einfach wieder umgekippt, weil die Muskeln einfach nicht so richtig mitspielen wollten. Bis ich dann so weit war, dass ich endlich ein Wort über die Lippen brachte, zog sicherlich eine halbe Ewigkeit – vielleicht eine Minute, maximal zwei – ins Land. Aber auch dann beantwortete ich die Frage von Hunter noch nicht, sondern murmelte nur ein kraftloses „Fass‘ mich nicht an.“, in seine Richtung. Hätte ihn am liebsten angeschrien, so wie ich das eigentlich immer tat, aber das brachte ich mit dem letzten Rest meiner Energie nicht fertig. Stattdessen zog ich meinen Arm, an dem er mich bis dahin noch gehalten hatte, an mich. Was fragte er denn aber auch so blöd? Schließlich war er es gewesen, der es für nötig gehalten hatte, mich hier einzusperren! Dass das alles hinten und vorne keinen Sinn machte, wie er sich mir gegenüber gerade verhielt, fiel mir in dem Augenblick überhaupt nicht auf. Ansonsten hätte ich das Ganze sicher hinterfragt, aber im Grunde wollte ich gerade nicht mehr, als einfach nur hier weg. Ich wusste nur leider nicht, ob ein Fluchtversuch von Erfolg gekrönt sein würde. Zum einen, weil ich nach der langen Zeit, in der ich sitzend auf dem Boden gekauert hatte, sicher wacklige Beine hatte und zum anderen weil ich Hunters überraschten Gesichtsausdruck nicht als echt oder gespielt klassifizieren konnte. Gut möglich, dass er mich direkt niederstrecken würde, wenn ich jetzt versuchte, an ihm vorbei die Treppe nach oben zu fliehen. Deshalb stand ich erst einmal nur reglos und mit nach unten gerichtetem Blick da, die Arme um meinen Oberkörper geschlungen und die Handgelenke an meinem Körper reibend. Sie waren wund und juckten, weil die Kabelbinder auf der verschwitzen Haut gescheuert hatten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es war wohl meinen Angewohnheiten zu verschulden, dass ich nicht noch einmal Kehrt machen musste, um ein Messer für die Kabelbinder zu holen. Das Taschenmesser, das sein Dasein meistens dort im Schlafzimmer fristete, wo ich meine Klamotten vom Vortag ausgezogen hatte - meistens auf der Kommode, in der überwiegend Unterwäsche und Socken gebunkert waren -, wanderte genauso wie mein Smartphone nach dem Aufstehen grundsätzlich in meine Hosentasche. Auch dann, wenn ich noch nicht die Klamotten anhatte, die ich in der Nacht anhaben würde, wenn ich auf Achse war. Also konnte ich es problemlos aus der Jogginghose ziehen, um damit das dünne, aber endlos widerstandsfähige Plastik aufzuschneiden und der Rothaarigen damit Arme und Beine wieder freizugeben. Danach half ich ihr vorsichtig zurück auf die Beine, wollte ich ihr doch nicht wehtun. Es war Cosma kaum zu verübeln, dass sie auch nach dem Lösen des Knebels und der mit Sicherheit unangenehmen Fesseln - ich hatte selber früher hier und da mal mit Kabelbinder Bekanntschaft machen müssen, konnte es also durchaus nachempfinden, auch wenn das lange her war - noch eine kleine Weile brauchte, um erst einmal zu sich zu kommen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie lange sie schon so hier rumgesessen hatte, aber ihr Kreislauf war sichtbar im Keller. Außerdem ließ der Schweißgeruch doch ziemlich darauf schließen, dass sie nicht erst seit zwei Stunden dingfest gemacht worden war. Aber das konnte dann nicht hier drin gewesen sein, das hätte ich gemerkt. Ich hatte schon seit Jahren keinen richtig tiefen Schlaf mehr. Zumindest nur äußerst selten, was auch die nie vollständig verschwindenden Schatten unter meinen hellen Augen ganz gut erklärte. Andererseits hätte ich es doch auch merken müssen, wenn sie von draußen reingebracht worden wäre... höchstens vielleicht dann nicht, wenn sie mit dem Täter durch die äußere Kellertreppe reingekommen wäre, weil die sich durchaus leise verschließen ließ und doch nochmal eine Etage tiefer lag als die Haustür. Aber dass der Entführer - konnte man denjenigen so nennen, wenn er sie nach Hause gebracht hatte? - danach dann den Schlüssel wieder hoch in den Flur gehängt hatte, ohne dass ich davon Wind gekriegt hatte, war wiederum auch unwahrscheinlich. Gerade eben auch deswegen, weil ich so unfassbar beschissen geschlafen hatte und gefühlt schon bei einem zu großen, fallenden Staubkorn aufgewacht wäre. Es ergab irgendwie hinten und vorne keinen Sinn, ich kam zu keiner Lösung und auch die Rothaarige hatte keine für mich parat. Alles, was ich zu hören bekam, als sie wieder etwas sicherer auf den Puddingbeinen stand, war dass ich sie loslassen sollte. Untermalt mit einer Geste, die unmissverständlicher eigentlich nicht hätte sein können und damit gleich ein weiteres Mal meine Augenbrauen nach oben schießen ließ. An und für sich war es zwar nicht gerade das erste Mal, dass sie sich aus meinem Griff wandte - kam ja doch ab und zu mal vor, wenn wir beide uns in die Haare kriegten -, aber jetzt gerade wollte ich ihr doch wirklich einfach nur helfen. Dafür sorgen, dass sie mir nicht gleich nochmal einknickte wie eine welke Blume, die nicht genug Wasser gekriegt hatte und deshalb am Ende ihrer Kräfte war. Ihr schien gerade nicht wirklich nach reden zu Mute zu sein, aber ich brauchte trotzdem Antworten. Schließlich würde Jemand ganz gewaltig zur Rechenschaft gezogen werden müssen und das zeitnah. Etwas anderes ließ sich mit meinem Gewissen gar nicht vereinbaren. Ich mochte kein perfekter Partner sein, aber mir lag mehr an Cosma, als an Irgendjemandem sonst. "Wie lang sitzt du schon hier? Wer war das?", hakte ich also ein weiteres Mal nach. Widerstand dabei dem Drang, sie einfach mit den Armen vom Boden einzusammeln und nach oben zu tragen, weil die junge Frau im Augenblick ganz einfach nicht so wirkte, als würde sie meine Hilfe wollen, was ich mir wiederum nicht erklären konnte. Schließlich war es nicht meine Intention ihr einfach nur unter die Nase zu reiben, wie schwach sie gerade aussah. Ich wollte nicht mehr, als ihr Unterstützung zu geben, die sie gerade sehr gut gebrauchen könnte. Offenbar waren wir beide da aber geteilter Meinung.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Hunter verarschte mich doch gerade, oder? Er konnte die Fragen - welche er am besten zu beantworten wusste - doch wirklich nicht ernst meinen. Verständnislos hob ich den müden Kopf an, sah dem jungen Mann mir gegenüber in die Augen und... war einfach nur verwirrt. Ich versuchte eine kleine Ewigkeit nach Anzeichen dafür zu suchen, dass er mich nur weiter psychisch auf die Folter spannen wollte, weil mein Urteilsvermögen ziemlich im Keller war und er es dementsprechend leicht hatte, aber je länger ich meinem Freund ins Gesicht sah, desto ratloser, wütender wurde ich. Da war nämlich kein verräterisches Zucken der Mundwinkel, kein aufgeregtes, angetanes Funkeln in seinem Blick, einfach absolut gar nichts, das mir meine Annahme bestätigte. Viel mehr das genaue Gegenteil. Er schien wirklich besorgt zu sein, nicht zu verstehen, was hier vor sich ging und das wiederum verstand ich nicht. "Das solltest du doch am besten wissen.", platzte es plötzlich aus mir heraus und ich war überrascht, wie laut ich trotz versagender und belegter Stimme werden konnte. Der Kloß, der sich in meinem Hals bildete, trieb mir die Tränen in die Augen und ich wagte zum ersten Mal einen vorsichtigen Schritt nach hinten, weg von Hunter. Ich hatte keine Angst vor ihm. Hatte sie noch nie gehabt, aber in dem Moment war ich einfach unfassbar enttäuscht von dem jungen Mann. Ich konnte mir diesen plötzlichen Sinneswandel nicht erklären, würde aber auch jetzt nicht versuchen, mir darüber Gedanken zu machen, weil ich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach vor lauter Anstrengung wegklappen würde. Da der junge Mann nicht weiter darauf reagierte, dass ich mich von ihm distanzierte, wagte ich auch noch einen zweiten Schritt in Richtung der Tür und inzwischen liefen die Tränen - die ich zurückzuhalten gar nicht erst versuchte - ungehemmt über meine Wangen. Ich musste hier raus und zwar sofort. Jetzt, wo ich mich wieder einigermaßen frei bewegen konnte, ließ mich der Fluchtinstinkt gleich ein bisschen wacher und agiler werden. Zwar war das nur temporär und sobald das Adrenalin wieder abgeklungen war, würde ich mich vermutlich noch elender fühlen, als ich das ohnehin schon tat, aber es war vorerst ausreichend, um mir aus dem Keller zu verhelfen. Mit meinem Blick auf Hunter geheftet tastete ich mich Schritt für Schritt dem Ausgang entgegen, ließ den jungen Mann zu keinem Zeitpunkt aus den müden Augen. "Lass... mich einfach in Ruhe. Dass du krank bist, das wusste ich... Ich... ich wusste das, aber es gibt Grenzen, Hunter.", schluchzte ich wirr und mit zittriger Stimme ein paar Worte, die ziemlich deutlich machen dürften, wie wenig ich den Amerikaner gerade in meiner Nähe haben wollte. Ich gab ihm damit zwar keine konkreten Antworten auf seine Fragen, aber ich ging auch immer noch nicht davon aus, dass er eine ernstgemeinte Antwort meinerseits erwartete. Das Alles war gerade furchtbar verwirrend für mich und sollte Hunter mich jetzt tatsächlich gehen lassen, bräuchte ich bestimmt ein paar Tage, um das Geschehene Revue passieren zu lassen. Und wenn ich mit dem Aufarbeiten so weit war, konnte ich darüber nachdenken, wie es zwischen dem jungen Mann und mir denn eigentlich weiterging. Ob ich ihm das jemals verzeihen können würde war nämlich fraglich, weil ich bekanntermaßen ziemlich nachtragend sein konnte. In Stein meißeln würde ich es aber nicht, denn die Gefühle für ihn waren nach wie vor da - nur das Vertrauen... das hatte er mit dieser Aktion in seinen Grundfesten erschüttert. Aber wie gesagt, wollte ich darüber jetzt noch nicht nachdenken, sondern mich erst einmal darauf konzentrieren, hier lebend rauszukommen. Ich stand bereits im Türrahmen, es war nicht mehr weit bis zur Treppe, als ich mir mit der Hand über die verheulten Augen wischte. "Du brauchst Hilfe, man... dringend.", ächzte ich noch kraftlos und setzte meinen Weg fort, in der Hoffnung, den jungen Mann hier unten zurückzulassen. Andernfalls hätte ich was meine Flucht anging womöglich ziemlich schlechte Karten. Als ich die ersten Stufen an meiner Ferse spürte, stellte ich mir aber dann doch noch einmal kurzzeitig die Frage, was zur Hölle hier eigentlich gerade abging.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Sie fing an zu weinen. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt zwar noch keinesfalls irgendeiner Schuld bewusst, aber ich hatte trotzdem irgendwie das dumme Gefühl, dass das meine Schuld war. Warum wusste ich nicht, vielleicht war einfach nur mein Unterbewusstsein verantwortlich. Oder aber es lag schlicht und ergreifend an der Art, wie Cosma mich ansah. In Kombination damit, dass sie mir an den Kopf schmiss, dass ich bestens wissen müsste, was hier gerade vor sich ging, verstand ich wirklich nur noch Bahnhof. Sah die junge Frau auch genau so an, wie ich mich fühlte - einerseits wirklich besorgt über ihren alles andere als guten Zustand, gleichzeitig aber auch vollkommen irritiert und verwirrt. Sagte sie das, weil irgendeiner der Menschen, die ich mit meiner Arbeit hier auf Kuba verärgert hatte, dafür verantwortlich war? Es gab davon sicherlich nicht gerade wenige, aber keiner von denen hatte jemals mein Gesicht gesehen. Konnte allein deswegen also auch gar nicht wissen, wo er nach Rache suchen müsste. Nicht mal das ergab ansatzweise Sinn und für den Moment war ich wirklich sprachlos. Es kam nur sehr selten vor, dass ich nicht wusste was ich sagen sollte, aber ich versuchte fieberhaft mir gedanklich weiter einen Reim auf ihre Worte zu suchen. Folgte Cosma dabei mit meinem Blick und drehte mich ein Stück weit, während sie langsam den Weg in den Flur antrat. Scheinbar verunsichert darüber, ob ich ihr dabei nicht noch einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Zumindest war es das, was ihr Gesichtsausdruck mir vermittelte. Dabei hatte ich sie doch gerade sogar selbst hier rausholen wollen, wieso sollte ich sie also jetzt aufhalten? Ich verstand es nicht. Auch dann nicht, als sie mir mit ein paar Worten klarmachte, dass ich einen gewaltigen Sprung in der Schüssel hatte und ihr das zu viel wurde. Es war nicht so, als würde ich das nicht selbst wissen. Als wäre mir nicht klar, dass in meinem Kopf viele Dinge nicht so liefen, wie sie das bei einem normalen Menschen tun sollten. Normalerweise störte das Cosma aber nicht mehr, als es das zwangsweise tun musste und sie arrangierte sich gut damit. Sie kam mit meinem Dachschaden klar und ich mit ihrem - auch, wenn ich was das anging, selbstverständlich die Nase vorne hatte. Stand außer Frage. Ich brauchte Hilfe? Ich stand noch immer sichtlich aufgeschmissen unweit der Stelle, wo sie vorhin noch gesessen hatte, während die Rothaarige sich weinend abwendete und endgültig in den Flur verschwand. Ich war mir nicht sicher, was genau sie damit meinte, aber wahrscheinlich spielte sie auf den vorher schon erwähnten Sprung in meiner Schüssel an. Und ja, vielleicht brauchte ich Hilfe - aber sie wusste genauso gut wie ich, dass ich der letzte Mensch auf diesem Planeten war, der von sich aus nach Hilfe suchte oder gar ohne darüber nachzudenken nach einer helfenden Hand griff, wenn sie nach mir ausgestreckt wurde. Nein, ich war mir grundsätzlich selbst der Nächste, wenn Cosma nicht diejenige war, die mir ihr Gehör und ihre Wärme schenkte. Das war die einzige Ausnahme. Sie war die einzige, die mich sowas wie gut kannte, obwohl selbst für sie große Teile meiner Vergangenheit noch ein unbeschriebenes Blatt waren, weil ich auch ihr niemals mehr darüber erzählte, als ich für in Ordnung hielt. Ich glaubte auch nicht, dass sich mein tief sitzendes Vertrauensproblem, das diese herbe Kontrollsucht von allem und jedem in mir auslöste, jemals verschwinden würde. Aber all das erklärte mir noch immer kein Stück, was hier gerade vor sich ging und so setzte ich erst einige Sekunden, in denen Cosma den Raum schon längst verlassen hatte, nach einem aufgeschmissenen Kopfschütteln zur Verfolgung an. Nicht gehetzt, weil die Rothaarige ohnehin nicht wirklich schnell voran kam und gerade mal das obere Ende der Treppe erreicht hatte. Außerdem sah ich bis jetzt auch noch keinen Grund dafür sie noch einmal festhalten zu müssen, weil ich es noch nicht kommen sah, dass sie tatsächlich vor hatte das Haus zu verlassen. Ich schloss also erst im Flur des Erdgeschosses wieder zu der jungen Frau auf, als ich die Tür zum Keller hinter mir geschlossen hatte. "Ich kapier's nicht.", war das erste, was ich loswurde. Ich hielt nur mit ihr Schritt, hielt sie nicht fest und redete auch verhältnismäßig leise. Einfach, weil ich nicht raffte, was hier vor sich ging und was ich verbrochen haben sollte. "Ich meine, ja, ich... hab 'nen Schaden", das ließ sich schlichtweg nicht leugnen, "aber ich versteh' nicht, was das jetzt damit zu tun hat. Das ist ja nicht erst seit gestern so.", gab ich mich weiterhin vollkommen unwissend, was ich zu diesem Zeitpunkt eben auch war. Schließlich erinnerte ich mich an rein gar nichts. Wusste nicht, dass ich sie eigenhändig da runtergebracht und dort hatte verkümmern lassen, als würde ich nicht mehr in ihr sehen, als unsere gemeinsamen Entführer damals vor einer halben Ewigkeit. Damals, als sie sich für mich eine Ladung Schrot eingefangen hatte, obwohl ich zu jenem Zeitpunkt noch so gar nichts für sie übrig gehabt hatte. Zwar würde ich Cosma gerade wirklich gerne ein Taschentuch reichen oder ihr zumindest die Tränen von den Wangen streichen, aber mich beschlich das Gefühl, dass ich mir damit jetzt ins eigene Bein schießen würde, wo sie doch überdeutlich gemacht hatte, dass ich sie nicht anfassen sollte. Es galt das bei diesem Anblick leicht piekende Herz also zu ignorieren.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Nein, offensichtlich kapierte er es wirklich nicht. Schien überhaupt nicht zu verstehen, dass ganz alleine er der Grund dafür war, dass es mir momentan derart beschissen ging. Ich wegen seiner überzogenen Reaktion kaum noch gerade laufen konnte und kurz vor dem Zusammenbruch stand. Es machte mich nur noch wütender, dass Hunter plötzlich so tat, als wüsste er von nichts. Was ja laut seiner Aussage auch irgendwie der Fall war, aber ich glaubte ihm nicht und... argh! Ich war so unfassbar durch den Wind, dass ich wieder eine Weile lang nichts sagte. Immerhin folgte er mir nicht direkt, nachdem ich mich von ihm abgewendet hatte, um die Treppenstufen zu erklimmen. Auch im oberen Hausflur angekommen hatte Hunter mich noch nicht zu Boden gerissen und in mir schürte sich die Hoffnung, dass ich dieses Haus ohne weiteres verlassen können würde. Dann aber hörte ich Schritte hinter mir und schluchzte in der Erwartung, doch wieder zurück in den Keller gezerrt zu werden, nur noch lauter, zudem beschleunigte ich meinen Schritt. Es war allerdings nicht so, als wäre ich dadurch nennenswert schneller geworden - Hunter holte mich kurz darauf trotzdem ein. Ich befürchtete schon das Schlimmste, aber entgegen all meinen Erwartungen ließ der Tätowierte mich tatsächlich in Ruhe, trottete lediglich neben mir her, während ich auch noch die zweite Treppe in Angriff nahm, um das Schlafzimmer anzusteuern. Zwar wäre ich am liebsten direkt aus der Tür ins Freie gestolpert, aber ich wusste, egal wo ich jetzt hingehen würde, um über all das hier nachzudenken - ich brauchte definitiv frische Klamotten. Ich roch wirklich bestialisch nach Schweiß und sobald ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, wäre mir das sehr sicher unangenehm. Also musste ein Koffer, eine Tasche oder ein Beutel her, in dem ich ein paar Wechselklamotten mitnehmen konnte. Ich entschied mich schnell für meine alltägliche Handtasche, die am oberen Ende der Treppe - ich war vollkommen aus der Puste und mir war schwindelig als ich die letzte Stufe nahm -, an der Wand lehnte. So musste ich immerhin nicht noch im Schrank nach einer Alternative kramen, womit ich Zeit und Energie sparte. Ich schob kraftlos die Tür zu Hunters und meinem gemeinsamen Schlafzimmer auf, aber auch hier würde ich mich nicht mehr lange mit ihm aufhalten wollen. Normalerweise war gerade unser privates Gemach ein Ort gewesen, an dem ich bedienungslos hatte abschalten können. Ich hatte es immer genossen, mich gemeinsam mit dem jungen Mann durch die Laken zu wälzen und gen Ende meinen Kopf auf seiner nackten Brust zu betten, aber bei dem Gedanken daran wurde mir plötzlich ganz anders. Ich hatte gerade nicht das geringste Interesse, Hunter näher zu kommen, als ich unbedingt musste und so konzentrierte ich mich lieber darauf, meine Tasche bis obenhin mit Unterhosen, Socken und Shirts vollzustopfen. Weil ich im Alltag keinen besonders großen Wert auf eine Tasche mit viel Kapazität legte - in der Regel verstaute ich darin auch bloß mein Handy, die Schlüssel und mein Portemonnaie -, weshalb das Teil schnell voll. Also drehte ich mich zurück zu meinem Freund und blieb unweit von ihm entfernt fassungslos stehen. Scheinbar wollte er wirklich daran festhalten, dass er nicht Schuld an alledem hier war. Normalerweise hätte ich ihn jetzt gerne gefragt, ob er schlechtes Koks geschnupft oder irgendein krankes Zeug konsumiert hatte, das ihn derart weggebeamt hatte, dass er sich wirklich an nichts erinnern konnte, aber ich wollte Hunter im Augenblick ausnahmsweise mal nicht unnötig provozieren. Ihm keine Gründe geben, mich hier doch noch länger festzuhalten. Aber weil ich auch nicht so recht wusste, was ich sonst auf seine Fragen antworten sollte, sah ich ihn nur verzweifelt an. "Was willst du von mir hören?", drehte ich den Spieß einfach um. War das vielleicht Teil seines Plans? Ihm zu bestätigen, dass es hängenblieben war, was er mit mir getan hatte? Eine Art Denksportaufgabe quasi? "Du hast mich da unten eingesperrt und gefesselt, nachdem wir uns gestritten haben. Du hast mich geschlagen und wie Dreck behandelt. Du und niemand Anderes!", zählte ich dem Choleriker, der ungewöhnlich ruhig war für seine Verhältnisse, also noch einmal Punkt für Punkt auf, was er mir in den letzten... ja, wie vielen Tagen eigentlich angetan hatte? Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es früh am Tag sein musste, aber weder wusste ich das heutige Datum, noch wie lange ich dort unten im Keller jetzt insgesamt gefangen gehalten worden war. Dabei betonte ich auch noch einmal kraftlos die Tatsache, dass er und niemand sonst das angetan hatte. War es das jetzt, was er hatte hören wollen? Wollte er sein Ego jetzt wirklich damit pushen? Im Grunde genommen war es mir inzwischen egal, was er von mir wollte oder dachte. Ich hatte meine Tasche gepackt und machte mich gerade wieder auf den Weg nach unten. Nur noch mein Geldbeutel und das Handy und dann würde ich verschwinden. Ich betete zu Gott, dass sie noch dort lagen, wo ich sie zuletzt abgelegt hatte. Ansonsten würde ich ohne diese Dinge aufbrechen, aber noch länger durch das Haus zu tigern und Hunter potenzielle Chancen einzuräumen, mich wegzusperren, wollte ich ganz einfach nicht. Ich mied den Blick des Amerikaners beim Treppen nach unten Laufen, steuerte zielstrebig die gegenüberliegende Haustür an. Auf Schuhe oder eine Jacke würde ich jetzt allerdings verzichten. War ja aber auch warm genug draußen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Cosma sich schließlich doch noch dazu entschied, mir eine Antwort auf die offensichtlichen Fragezeichen in meinem Kopf zu liefern. Zuerst packte sie ihre Tasche, ohne mich dabei auch nur eines Blickes zu würdigen, obwohl ich weiterhin komplett aufgeschmissen unweit des Türrahmens stand. Dabei zumindest schon eins und eins zusammenzählte, was ihre Packerei anging - offensichtlich wollte sie weg und das nicht erst in zwei oder drei Tagen, um sich einen erholsamen Ausflug zu gönnen. Nein, sie wollte jetzt sofort weg. Ohne zu duschen, ohne erstmal durchzuatmen und sowas wie ansatzweise zu neuen Kräften zu kommen - als wäre das innerhalb kurzer Zeit angesichts ihres Zustands überhaupt möglich. Sie bräuchte mit Sicherheit erstmal eine ordentliche Mahlzeit - in dem Maß, in dem ihr Magen das gerade eben zuließ - und danach dann ein paar Stunden Schlaf. In einem bequemen Bett, statt auf dem kalten Betonboden im Keller. Absolut ideal wäre natürlich eine Infusion mit allen notwendigen Nährstoffen, aber ich hatte hier auf Kuba noch nicht sowas wie meinen privaten Arzt. Zwar fände sich in einem der Krankenhäuser hier sicher einer, der sich problemlos schmieren ließ, wo doch gefühlt jeder Zweite in diesem Land an der Armutsgrenze kratzte, aber ehrlich gesagt glaubte ich nicht, dass ein kubanischer Arzt auch nur ansatzweise an einen europäischen oder amerikanischen herankam. Vielleicht lag das einfach an dem allgemein etwas zurückgebliebenen Zustand des Landes. Ob man den Ärzten hier mit ihrem Handwerk trauen konnte, blieb für mich fraglich. Deutlich wichtiger als das Anheuern eines persönlichen Medizinmanns war allerdings das, was die Rothaarige mir schließlich ins Gesicht sagte, als sie mit dem Packen ihrer Sachen fertig war. Als sie mich sichtbar verzweifelt und mit ihren Kräften, wie auch Nerven am Ende ansah, hätte ich mir womöglich schon zusammenreimen können, dass all das irgendwie wirklich meine Schuld war. Im ersten Moment hielt ich es trotzdem für einen schlechten Scherz, als Cosma mir zu verklickern versuchte, dass ich das selbst getan haben sollte. Dass ich sie sogar geschlagen haben sollte. Wäre da nicht diese bittere Ernsthaftigkeit in ihrem Blick gewesen, hätte ich nach meinen ironischen Worten "Ja, na klar. Ich wieder.", fast kurz aufgelacht. Es war für mich nicht weniger als grotesk, dass sie mir hier Dinge ankreiden wollte, von denen ich eigentlich etwas wissen müsste. War sie sich sicher damit, dass sie nicht halluziniert hatte? Vielleicht war sie ja unter Drogen gesetzt worden. Hatte sich Dinge eingebildet, die so nie stattgefunden hatten. Aber ganz gleich, was nun der Grund dafür war, dass mir meine angeblichen Taten nicht bekannt waren, schienen sie für die Rothaarige mehr als präsent zu sein. Denn sie zögerte nicht das Schlafzimmer wieder zu verlassen, kaum war ich die paar Worte losgeworden. Wollte offenbar final aufbrechen, weshalb ich ihr ohne zu zögern wieder nach unten folgte. Ich hatte zwar nach wie vor keinen Schimmer davon, was wirklich vorgefallen war, ob sie die Wahrheit sagte oder nicht, aber ich wollte auch nicht, dass Cosma jetzt ging. Nicht, solange ich nicht verstand, was hier gerade abging. Vor allem auch deswegen nicht, weil sie nicht gut aussah und wahrscheinlich die einzige Person auf diesem Planeten war, die sowas wie ernsthafte Fürsorge in mir wecken konnte. Ich würde in meinem Leben kaum noch zum perfekten Krankenpfleger mutieren, aber ich würde trotzdem gerne bei ihr sein, bis sie wieder richtig auf den Beinen war. Sicher gehen, dass ihre Gesundheit eine möglichst steile Kurve bergauf machte und sie erst danach wieder in die skrupellose Welt entlassen wurde. "Cosma, warte...", setzte ich also doch dazu an, sie aufhalten zu wollen und griff dabei nach ihrem Oberarm, als sie drauf und dran war nach dem Henkel an der Haustür zu greifen. Nicht grob oder gar schmerzhaft, wo sie gerade für ihre Verhältnisse doch sehr gebrechlich wirkte, aber doch gewohnt bestimmt. "Lass uns darüber reden. Ich... will's verstehen und... du siehst echt nicht gut aus.", versuchte ich sie zum Bleiben zu überreden und suchte den Blick in ihre glasigen Augen. Ich klang mit Sicherheit reichlich irritiert von der Tatsache, dass ich immer noch nicht wirklich wusste, was hier passiert oder eben nicht passiert war. Es schwang auch Besorgnis in meiner Stimme mit, was für mich sehr untypisch war. Aber ich wollte wirklich nicht, dass sie jetzt ging. Nicht, bevor ich nicht wusste, was hier gerade so gewaltig schief lief und sie nicht wieder fit war. Sie konnte doch irgendwann später auch noch abhauen, wenn sie so dringend weg wollte... auch, wenn das nicht hieß, dass es mir zu einem späteren Zeitpunkt besser in den Kram passen würde.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich wusste es. Hatte geahnt, dass ich das Haus nicht so einfach verlassen konnte, ohne, dass Hunter mich davon abzuhalten versuchte. Für gewöhnlich wäre das wieder einer dieser gewohnten Situationen, in der wir einander anschrien und ich mich irgendwann einfach losriss, wenn Hunter in der Hitze des Gefechts vergaß, mich richtig festzuhalten. Im Augenblick könnte man aber meinen, ich zerfiel unter dem, für Hunter in einer solchen Situation eher untypisch lockeren Griff, zu Staub. Zudem versuchte ich nicht einmal, mich von ihm loszusagen, was im Umkehrschluss auch irgendwie untypisch für mich persönlich war. Aber gut, aktuell schien die Welt ohnehin Kopf zu stehen, da kam es auf das eine Detail mehr oder weniger jetzt dann auch nicht mehr an. Jedenfalls hatte ich eigentlich nicht vor, mich zu meinem Freund umzudrehen, sah dann doch lieber die Haustür an, von dessen Klinke ich meine Hand längst schon wieder entfernt hatte. Wollte meinem Untergang einfach nicht ins Gesicht sehen, aber letztlich stand ich Hunter ja trotzdem wieder direkt gegenüber. Und zwar, weil der junge Mann offensichtlich noch immer nicht begreifen wollte, dass er Schuld an allem war. Er wollte verstehen... darüber reden... Jetzt auf einmal? Ganz plötzlich? "Was gibt es da noch zu reden?", fragte ich fauchend, meine Stimme weiterhin zittrig. Allgemein erweckte ich wohl nicht wirklich das Bild einer ernstzunehmenden Bedrohung, wenn man mich fragte, ob meine Stimme nun belegt war oder auch nicht. Aber das hatte Hunter ja ebenfalls schon recht akkurat auf den Punkt gebracht, mit einer Feststellung, die sich durchaus missverstehen ließ. Die ich sicher auch missverstanden hätte, wenn ich die gleiche, aufmüpfige, anstrengende Cosma gewesen wäre, die ich sonst auch war. Aktuell ging seine Aussage jedoch zum einen Ohr rein und direkt zum anderen wieder raus, ich überhörte sie einfach. Stattdessen ging ich mehr auf die Tatsache ein, dass er reden wollte. Urplötzlich, wohlgemerkt. "Ich war bereit zu reden, Hunter. Aber du warst es nicht und jetzt... will ich allein sein. Ich will dich nicht bei mir haben!", machte ich dem jungen Mann vor mir unmissverständlich klar, dass der Zug zum Reden mittlerweile abgefahren war. Ich inzwischen kein Interesse mehr daran hatte, mich mit ihm über die Vorkommnisse zu unterhalten. Zumindest eben in diesem Augenblick nicht, wer wusste schon, auf was für schräge Ideen ich wieder kam, wenn ich mich erst einmal sortiert hatte. Denn Aufgeben - und sei es nur eine Beziehung - war eigentlich Nichts, das ich gerne tat, aber gut. Das würde ich früher oder später dann sehen, nur halt eben nicht jetzt. "Lass'... mich einfach los... bitte.", versuchte ich noch einen verzweifelten Versuch, an seine kaum noch vorhandene Vernunft zu appellieren. Mich einfach gehen zu lassen und nicht länger festzuhalten, weil er aus mir momentan sowieso kaum brauchbare Informationen herausbekommen würde. Sogar ein Bitte hängte ich meiner Aufforderung noch an, als würde das auch nur im Entferntesten irgendetwas bringen. Ich musste wohl darauf hoffen, mit irgendeinem meiner Worte einen Wunden Punkt getroffen zu haben. Zwar glaubte ich da nicht wirklich dran, aber eine andere Wahl hatte ich in dem Fall nicht. Erst jetzt wagte ich einen vorsichtigen Versuch, mich aus seinem Griff zu winden, wobei ich eigentlich nur vermeiden wollte, dass die Tasche, welche ich geschultert hatte, herunterrutschte. Vermutlich wäre das alles andere als schwere Gewicht ausreichend gewesen, um mich ganz von selbst in die Knie zu zwingen, denn auch meine Beine hatten ihre Konsistenz bis zur Tür leider nicht verfestigt. Es brauchte für mich im Allgemeinen gerade nicht besonders viel, um mich aus dem Verkehr zu ziehen und gerade deshalb war ich ja so erpicht darauf, das Haus einfach zu verlassen und zu flüchten. Irgendwo hin, wo ich in Ruhe duschen und zu Kräften kommen konnte, denn das war hier in Gegenwart des Amerikaners momentan nicht möglich.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Was es noch zu reden gab? Irgendwie... alles? Ich verstand nach wie vor nur Bahnhof und offenbar hatte ich, wenn ich Cosmas Worten Glauben schenken konnte, vorher nicht über Irgendwas reden wollen. Ich erschloss aus diesen Worten auch, dass wir uns wohl irgendwie gestritten hatten und das mehr oder weniger der Ursprung allen Übels war. Auch das war etwas, woran ich mich nicht im entferntesten erinnern konnte. Ich wusste nicht, was ich hier gerade glauben sollte und was nicht. Das Ganze ergab für mich hinten und vorne noch keinen Sinn und mit so verhältnismäßig wenig Informationen war es auch schwer, vorwärts zu kommen. Denn die Rothaarige äußerte sich nach wie vor nicht mehr zu Alledem, als unbedingt nötig war. Wollte mich ganz offensichtlich vom Hals haben. Wollte mich nicht bei sich haben, weil sie sich in meiner Nähe aktuell nichts als durchweg unwohl fühlte. Zwar war ich kein besonders empathischer Mensch, aber wenn ich eins kannte, dann den Ausdruck von Angst und allem, was jener ähnlich war. Zwar war es keine richtige Angst, die sich in Cosmas Augen widerspiegelte - sie hatte ja nicht mal dann Angst vor mir, wenn ich drauf und dran war sie zu erwürgen oder Ähnliches, wäre also auch komisch gewesen -, als sie mich ein letztes Mal darum bat, sie endlich loszulassen, aber dieses blanke Unbehagen war fast genauso schlimm in Kombination mit ihren Worten. Machte mir zumindest im Ansatz klar, dass wahrscheinlich nicht alles von dem, was sie mir hier an den Kopf warf, einfach nur ausgedacht und erlogen sein konnte. Die junge Frau war kein Mensch, der wegen jeder Kleinigkeit einknickte oder kuschte. Normalerweise stand sie mir einfach mit erhobenem Kopf gegenüber und predigte mir meine Missetaten, wenn wir wieder mal etwas gefunden hatten, weswegen wir uns streiten konnten. Es war fernab von normal, dass sie es jetzt tatsächlich bevorzugte diesen Kampf mehr oder weniger vorerst aufzugeben und sich stattdessen in andere Gefilde fernab von mir zurückzuziehen. Sich dort in Ruhe von welchen Strapazen genau auch immer zu erholen, ohne meine Gegenwart ertragen zu müssen, weil ihr jene gerade offenbar unangenehmer war als alles andere. Würde mich Jemand danach fragen, dann würde ich es nur unwahrscheinlich zugeben, aber das tat weh. Viel war von meinem absolut zertrümmerten, verkorksten Herzen nicht mehr übrig und Cosma war die einzige Person, der ich überhaupt je die Möglichkeit dazu gegeben hatte, sich Zugang dazu zu verschaffen und mir dabei zu helfen zu retten, was eben noch davon übrig war. Dass ihr das ebenso ein Tor dafür öffnete, den kläglichen Rest meiner menschlichen Seele wie so viele andere verräterische Menschen zuvor erneut anzuzünden, war ein beschissener Beigeschmack davon, sie nahe an mich herangelassen zu haben. Wahrscheinlich war Liebe einfach nicht für Menschen wie mich geschaffen. Richtete mehr Schaden an, als sie Gutes bewirken konnte. Ich war eben schlichtweg kein liebenswerter Menschen. Ich war ein Egoist, süchtig nach alleiniger Herrschaft und absoluter Kontrolle. Was ich hier und heute - beziehungsweise irgendwann davor..? - verbrochen haben sollte wusste ich zwar nach wie vor nicht, aber die anderen drei Punkte reichten im Grunde auch schon vollkommen dazu aus, festzustellen, dass die Beziehung zwischen uns beiden von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Auch, wenn ich in dieser Hinsicht genauso wenig dazu bereit war, eine Niederlage zu akzeptieren, wie in jeder anderen Lebenslage auch. Trotzdem lockerten sich meine Finger nach über einer Minute langsam und schließlich ließ ich die Hand, mit der ich sie festgehalten hatte, gänzlich sinken. Ich wusste zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, welchen Nerv in meinem Körper sie gerade mit ihren gefauchten Worten zerschnitten hatte, aber ich senkte den Blick bereits während ich den Mund für einen letzten Satz öffnete. "Meld' dich, wenn du was brauchst.", war alles, was ich noch sagte - auch wenn ich wusste, dass sie darauf eher nicht zurückkommen würde - und schon beim letzten Wort drehte ich mich langsam von ihr weg, um noch etwas unentschlossen die Küche anzusteuern und ihr damit auch mit meiner Gestik zu zeigen, dass ich sie nicht aufhalten würde. Dass es ihr freistand zu gehen, wohin auch immer sie wollte. Allerdings nur, weil ich nicht glaubte, dass sie endgültig verschwinden würde. Und selbst wenn sie es tun würde, über alle sieben imaginäre Berge verschwinden würde, würde ich früher oder später damit anfangen, nach ihr zu suchen. Ich konnte sie für den Moment ziehen lassen, weil ich keinen Sinn in dem wenig aufschlussreichen Gespräch sah und ich selbst erstmal die Wunde lecken müssen würde, die sie gerade mit ihren Worten verursacht hatte. Wie üblich wahrscheinlich mit einem guten, schon etwas älteren Whiskey. Es war komisch, aber ich war gar nicht wütend auf sie, obwohl sie mich gerade so angemault hatte. Normalerweise verursachte sie damit grundsätzliche eine ähnliche Reaktion meinerseits, aber ich fühlte mich eher niedergeschlagen. Ich hatte eigentlich nicht gedacht, wegen mir selbst mal Gebrauch von den im Haus installierten Kameras machen zu müssen, aber mir blieb wohl irgendwann später nichts anderes mehr übrig, wenn Cosma nicht mit mir reden und ich aber Antworten wollte. Viel mehr sogar brauchte, um auch nur irgendwas von dem, was hier gerade passiert war, verstehen zu können.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Die Zeit zog auch jetzt noch nur wirklich langsam ins Land und bis Hunter tatsächlich von mir abließ, vergingen sicher zwei oder drei gefühlte Ewigkeiten. Aber er kam meiner Bitte nach, was mich letztlich hörbar erleichtert aufatmen ließ. Dass ich das nach wie vor Alles nicht so ganz verstand, das war wohl offensichtlich, mir für den Moment aber ziemlich egal. Solange ich vorerst auf dem Absatz Kehrt machen und den Rückzug antreten durfte, konnte das Haus hier auf wundersame Art und Weise in Einzelteile zerfallen und es wäre mir ziemlich egal. Den letzten Satz, welchen mir Hunter noch zukommen ließ, kurz bevor ich mich langsam von ihm abwendete, um ein weiteres Mal nach der Türklinke zu greifen, nahm ich zwar zur Kenntnis, glaubte aber keinesfalls daran, dass ich auf diesen Gefallen zurückkommen würde. Zumindest jetzt in diesem Augenblick nicht und so zog ich final die Eingangstür auf, um kurz darauf das Haus zu verlassen. Um die Uhrzeit waren die Temperaturen noch nicht ganz so drückend, die Luft im Vergleich zu der im Keller ein wahrer Segen, der mich nach zwei, drei Atemzügen gleich etwas fitter werden ließ. Ich stolperte unbeholfen die Auffahrt entlang, ohne mich noch ein weiteres Mal zu dem geknickten Amerikaner umzudrehen, der wie ein getretener Hund den Rückzug antrat. Ein absolutes Highlight, wenn man mein Normales-Ich fragen würde. Eine Rarität, die mir Niemand glauben würde, sollte ich jemals auch nur ein Wort darüber verlieren, nur konnte mir im Moment absolut Nichts egaler sein. Es interessierte mich gerade einfach nicht, wie Hunter sich fühlte - warum auch, schien er sich die letzten Tage auch nicht um meine Gefühle geschert zu haben. Ich wollte bloß hier weg und als guter Anfang erschien mir in dem Punkt erst einmal den hohen Zaun am Ende des Grundstücks zu erreichen, den ich schließlich passierte und nachdem ich mich noch ein paar weitere Meter von der Villa entfernt hatte, ging es mir schon fast ein bisschen besser. So weit abgelegen wie das Anwesen gelegen war, wäre ich zu Fuß sicherlich morgen noch unterwegs gewesen und so rief ich mir mit dem eingesackten Handy noch beim Laufen ein Taxi, welches mich auf dem Weg weg von Hunter einsammeln sollte. Ich bat den kubanischen Taxifahrer, der mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Ekel - ich roch wirklich nicht mehr besonders frisch, wie mir zwischendrin unangenehmerweise selbst auffiel - in seinem Wagen begrüßte, mich erst einmal in die Stadt zu fahren. Es war unwahrscheinlich, dass Hunter mich inmitten einer Menschenmenge einsacken lassen würde, falls er es sich noch einmal anders überlegen sollte. Außerdem war die Anbindung im Zentrum Havannas für die Infrastruktur des Landes wirklich sehr gut. Wenn ich mir überlegt hatte, wohin ich vorerst flüchten wollte, standen mir also alle Türen offen. Leider war es gar nicht so einfach, vollkommen dehydriert, hungrig und müde einen klaren Gedanken zu fassen. Sich zu organisieren und darüber nachzudenken, wohin ich denn jetzt eigentlich wollte. Im Grunde genommen war es ein Wink des Schicksals, dass mich just in diesem Moment Richard auf dem Handy anzurufen versuchte und mir damit die Sorge um ein nächtliches Obdach quasi abnahm. In dem Augenblick, als ich seinen Anruf entgegennahm und nach einem Platz für die Nacht fragte, war ich mir natürlich nicht wirklich im Klaren darüber, ihn damit quasi indirekt in all seinen bösen Vorahnungen hinsichtlich der Beziehung zwischen Hunter und mir zu bestätigen. Es war vielleicht komisch, gerade von mir zu hören, dass ich für solche Sperenzien gerade keinen Nerv hatte und doch war es so. Sollte der Engländer mich ruhig mit seinen ganzen 'Ich-hab's-doch-gesagt -Theorien überfallen, solange ich mich trotz der langen räumlichen Trennung zwischen uns bei ihm in Sicherheit wiegen konnte. Richard zögerte auf meine Frage allerdings einen kurzen Moment und ich musste noch ein flüsterndes, wieder kurz vor dem Heulen stehendes "Bitte...", in den Hörer flüstern, bis er mir verriet, wo er sich aktuell aufhielt. Die Adresse sagte mir zwar nichts, aber das musste ja erstmal nichts heißen. Vielleicht war es eine von Sabins unzähligen Ideen gewesen, den jungen Mann wieder auf die rechte Spur zu bekommen. Ein Umzug, damit ihm in seiner Hütte während des Entzugs nicht die Decke auf den Kopf fiel oder so, keine Ahnung. Dass ich mir darüber nur wenig, bis eher gar keine Gedanken machte, würde mir wohl niemand verübeln, oder? Erst, als ich an der Wohnung angekommen klingelte und ein mir fremder junger Mann die Tür öffnete, fing sich in meinem Oberstübchen etwas zu tun an. Natürlich... schließlich war der Nachname, den Richie mir mitgeteilt hatte und der auch auf dem Klingelschild stand, nicht seiner. War er also gerade einfach bei einem Freund zu Besuch und hatte mich nichtsahnend dorthin eingeladen? Es war nicht so, als wäre ich nicht ohnehin schon stark verwirrt und überfordert mit der ganzen Situation. Da musste mein bester Freund natürlich gleich noch eins draufsetzen, aber mangels Kraft ließ ich ihn das heute mal kommentarlos durchgehen, war ich auf der Fahrt hierher doch schon zwei Mal fast eingeschlafen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wenn ich mein Leben aktuell mal so ein bisschen von oben betrachtete, dann war es eigentlich gut. Natürlich war nach wie vor dieser wahnsinnig unangenehme Beigeschmack in Form von Hunter und der ganzen Drogengeschichte vorhanden, den ich so schnell auch nicht loswerden würde. Allerdings war ich inzwischen wohl langsam an einem Punkt angekommen, wo ich das Ganze akzeptiert hatte und im Grunde ging es sogar was das anbelangte langsam bergauf. Zwar würde ich mich weiterhin lieber gänzlich davon lossagen und wieder ein durchweg legales Leben führen, aber da dieser Zug inzwischen wohl endgültig abgefahren war und auch nicht mehr zurückkommen würde, sah ich es anderweitig positiv. Ich war kein profitgieriger Mensch und es reichte mir ein gutes, mittelständisches Leben in der Gesellschaft zu führen. Unter der Prämisse betrachtet, dass ein Leben als Krimineller allerdings beträchtliche Risiken mit sich führte - und sei man noch so geschickt dabei - war ich einem netten, finanziellen Bonus nicht abgeneigt. Wer wusste schon, ob mein Leben nicht schon in ein paar Monaten plötzlich vorbei war, weil ich hinter kubanische Gitter wandern würde? Also wäre es doch schön, wenn ich das Leben bis dahin noch ein bisschen genießen könnte. Sabin hatte schon zu Beginn dieser ganzen Sache gesagt, dass ich früher oder später auch eine kleine Beteiligung haben konnte. Jetzt, wo Richard endlich wieder mit in jenes Geschäft eingestiegen war und sich bis dato auch gut damit schlug, wuchs die Aussicht darauf natürlich. Wo mehr Geld zustande kam, da konnte auch eher ein bisschen was für mich abgezweigt werden. Außerdem fand ich, dass das irgendwie das Mindeste dafür war, wenn ich künftig noch öfter Drogen mit tarnendem Kaffeegeruch verschiffen sollte. Ich konnte mit Sicherheit keine allzu großen Summen erwarten, aber ich war froh über jede noch so kleine Entschädigung. Noch dazu war es natürlich schön, dass der Engländer sein Leben nun wieder gut im Griff hatte - auch in Hinsicht auf seine Gemütslage. Sie schwankte für mein Empfinden nicht mehr ganz so oft, was vielleicht auch daran lag, dass wir beide uns so gut verstanden und uns immer näher kamen. Zwar definierten wir diese milde Freundschaft-Plus-Geschichte zwischen uns nach wie vor nicht, aber das war mir auch ganz recht. Ich war ohnehin Niemand, der sofort wahnsinnig viel in eine etwas inniger werdende Beziehung interpretierte. Dafür hatte ich eindeutig zu viele One-Night-Stands und kurze Affären hinter mir, ich sah das Ganze also locker. Gerade auch unter dem Aspekt, dass Richard von Sex bis jetzt nichts wissen wollte, würde ich keine Beziehung eingehen wollen. Man sollte schon vorher wissen, ob man auch auf dieser sehr intimen Ebene halbwegs zusammenpasste. Weil er was das anging ohnehin noch eine ganze Weile lang Zeit brauchen würde - oder zumindest ging ich mal davon aus, wir redeten nicht darüber -, sah ich die Zärtlichkeiten hier und da zwischen uns nicht zu ernst. Ich genoss es dennoch immer sehr, holte mir gerne ab und an mal einen Kuss oder eine Kuscheleinheit ab, dachte aber auch nicht mehr als nötig darüber nach. Sollte er sich irgendwann für mehr bereit fühlen, würde ich das sicher merken und dann konnte man immer noch über irgendwelche Grenzen nachdenken oder die Beziehung auf höherer Ebene fortführen. Was ich allerdings so ganz und gar nicht schätzte, war dass Richard mir gerade gesagt hatte, dass seine ehemalige beste Freundin quasi auf dem Weg hierher war. Ich hatte heute einen freien Tag und ehrlich gesagt hätte ich den gerne genossen, ohne dass hier eine Frau aufkreuzte, die in meinen Augen nicht ganz dicht sein konnte. Natürlich kannte ich sie bis dato nicht, aber irgendwas konnte mir ihr ja nicht stimmen, wenn sie mit einem Mann wie Hunter zusammen war. Ich saß auf dem Sofa und hatte gerade erst mit einem sehr späten Frühstückskaffee abgeschlossen, als der Dunkelhaarige mir verkündete, dass Cosma scheinbar eine Unterkunft brauchte und dass sie hierher kam. Mir entglitten sämtliche Gesichtszüge und ich hätte beinahe den letzten Schluck Kaffee ausgespuckt. Ich meine, ja, natürlich wohnte er hier jetzt schon eine ganze Weile und von mir aus hätte er sie auch für einen vorübergehenden Besuch hierher einladen können. Aber länger als ein paar Stunden? Das Risiko, dass sie den aufbrausenden Amerikaner in meine vier Wände lockte, wenn es zwischen ihnen Stress gab, war mir eindeutig zu groß. "Du spinnst doch. Willst du Hunter auch gleich noch einladen? ... ach nein, warte. Der braucht ja gar keine Einladung, er schießt mir einfach das Türschloss ein.", wetterte ich grummelnd vor mich, als ich mit der leeren Tasse rüber in die Küche ging und sie schließlich in der Spülmaschine verstaute. Das war auch nicht das Einzige, was ich noch loswurde, bevor die Rothaarige hier eintraf. Ich sagte Richard von vornherein, dass das kein lang anhaltender Zustand sein würde und ich absolut nicht erpicht darauf war, sie länger bei mir unterkommen zu lassen, als unbedingt notwendig war - nicht wegen ihr selbst, sondern wegen Hunter. Sollte sie doch Sabin fragen, in dem Irrenhaus war bestimmt noch ein Platz frei. Oder sollte sie in ein Hotel umziehen. Einfach irgendwo anders hingehen, nur nicht bei mir bleiben. Ich hatte schon bei der Warenkontrolle im Hafen jedes Mal einen halben Herzinfarkt, ich konnte also keine Hunters bei mir Zuhause brauchen. Als sie schließlich klingelte, war ich dementsprechend auch nicht besonders gut gelaunt, bemühte mich aber um einen halbwegs neutralen Gesichtsausdruck, als ich sie mit einem indirekten "Cosma, nehme ich an..?" begrüßte. Allerdings schossen schon bald meine Augenbrauen in die Höhe, als mir der beißende Schweißgeruch entgegenwehte. Ich musste mich damit zurückhalten eine Hand vors Gesicht zu heben und trat stattdessen einen Schritt zurück, um ihr Einlass zu gewähren. "Ich bin Samuele... Sam.", stellte ich mich verhältnismäßig knapp vor. Ich musterte sie einen Moment lang und stellte fest, dass sie neben dem üblen Geruch auch wirklich kaputt aussah. Ich mochte sie zwar nicht unbedingt mit offenen Armen begrüßen, aber hier hatte wohl Niemand was davon, wenn ich ihr den Zutritt zum Bad nicht schnellstmöglich gewährte. "Willst du duschen? Oder soll ich dir die Wanne einlassen?", versuchte ich es möglichst charmant zu formulieren, dass sie diesen Geruch am besten ganz schnell loswurde. Außerdem konnte ein bisschen Wasser auf der Haut hier und da auch anderweitig Wunder wirken, was ihr wirklich nicht schaden konnte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Samuele... Sam... hatte ich den Namen nicht schon irgendwann einmal gehört? Würde mein Körper nicht gerade das letzte bisschen Energie dafür aufbrauchen, mich ab leben zu erhalten, dann wäre mir sicher schnell die Erkenntnis gekommen, dass die Crew ab und an bereits ein paar Worte über den mir gegenüberstehenden Italiener verloren hatte. Wirklich hinterfragt hatte ich den Namen aber nie, weil es mich zum einen einfach nicht interessierte und später dann auch nichts mehr anging. Ich hatte mitbekommen, dass zu unserer Anfangszeit auf Kuba ein kleines Malheur passiert war - Sydney war durch Samuele erkannt worden; wie, wo oder warum wusste ich allerdings nicht - und daraufhin hatte sich Hunter ihm angenommen. Ihn in irgendwelche gemeinsamen Geschäfte mit Sabin eingebunden und da war ich dann endgültig raus gewesen. Wir wussten nämlich alle, wie wenig Hunter es leiden konnte, wenn ich ihm ins Geschäft fuschte und ich hatte mich ja durchaus bessern wollen. Im Nachhinein war das wohl eine ziemlich blöde Idee gewesen. Vielleicht hätte ich dann nämlich auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon gehabt, was für ein Typ Mensch unser guter Sam - der mich alles andere als mit Begeisterung empfing - denn nun eigentlich war. Von Richard war nämlich noch eine lange Zeit lang nichts zu sehen und so stand ich mit dem jungen Mann vorerst alleine an der Tür. Vollkommen aufgeschmissen und nicht so recht wissend, wohin eigentlich mit mir. Ich nickte also erst einmal wortlos auf die indirekte Frage des jungen Mannes, als er sich danach erkundigte, ob ich... nun ja, ich war. Dann stellte er sich selbst kurz vor und ließ mich zuletzt durch die Blume hindurch wissen, dass der miese Körpergestank inzwischen auch bei ihm angekommen war. Mit meinem angekratzten Ego hätte ich jetzt gerne geschnaubt, sein Angebot erst recht ausgeschlagen, aber es gab gerade nichts, das ich mir nebst einer Dusche und einer Mütze voll Schlaf mehr wünschen könnte. Also nickte ich erneut und rang mir ein müdes, ja, sogar entschuldigendes Lächeln ab. "Ja... danke. Eine Dusche wäre jetzt nicht schlecht.", unterstrich ich diese stille Geste noch mit ein paar Worten, ehe ich mich an ihm vorbei in die Wohnung schob. Just in diesem Augenblick erschien dann auch Richard im Türrahmen zum Wohnzimmer und empfing mich mit einer Mischung aus Erleichterung und Besorgnis in seinem Blick. Aber auch er hielt wegen des Geruchs lieber etwas Abstand. Warf mir ganz ungeniert noch ein paar entsprechende Worte an den Kopf, mit denen er mich noch einmal auf das Offensichtlich hinwies - nämlich, dass ich bestialisch stank. Ich bedankte mich mit den ironischen Worten "Danke, genau das brauche ich gerade." bei dem Engländer für den Hinweis und fragte dann, in welcher Richtung das Bad lag, um direkt etwas dagegen unternehmen zu können. Viele Türen standen zwar nicht zur Auswahl, aber ich wollte nicht provozieren, plötzlich in Samueles Schlafzimmer zu stehen. Der schien nämlich alles andere als begeistert davon zu sein, dass Richard mich einfach eingeladen hatte und jetzt noch negativer aufzufallen, würde dem Ganzen sicher die Krone aufsetzen. Grundsätzlich war es mir aber relativ egal, was der Italiener nun von meiner Anwesenheit hielt, schließlich lag das Problem in der Kommunikation in dem Punkt nicht zwischen ihm und mir, sondern zwischen ihm und Richard. Wenn er sich von dem quirligen Engländer, der sich im übrigen stark gemausert hatte, wenn ich an unser letztes Treffen zurückdachte, auf der Nase herumtanzen ließ, dann traf mich da wirklich keine Schuld. Nichtdestotrotz war ich ihm natürlich auch gewissermaßen dankbar, dass er dieses Spielchen hier mitmachte, weil ich wirklich erst einmal etwas Ruhe brauchte, bevor ich mich daran machen konnte, einen besseren Plan auszuarbeiten. Hätte er mich also einfach wieder auf die Straße gesetzt, hätte ich wohl blöd in die Röhre geschaut.
Ob ich mittlerweile wieder ein bisschen zu sehr in alte Verhaltensmuster verfiel? Vielleicht. Ob ich mir darüber im Klaren war? Ja, definitiv. Störte es mich? Nicht besonders, nein. Zwar fiel es mir schon schwer, Sammy zu beichten, dass ich Cosma hierher eingeladen und das Sofa für eine Nacht zum Schlafen angeboten hatte, aber waren wir mal ehrlich. Die junge Frau war lange Zeit einer der mit Abstand wichtigsten Menschen in meinem Leben gewesen und ich hatte sie schon an Hunter verloren geglaubt. Außerdem stand sowieso noch ein Gespräch mit ihr aus, warum nicht also die Gelegenheit am Schopf packen und die Basis für eine Unterhaltung schaffen, indem ich ihr meine Hilfe anbot? Natürlich hätte ich vorher darüber mit Sam sprechen müssen, gar keine Frage, aber in meinen Augen reagierte er ein wenig über. Es war natürlich naheliegend, dass dort, wo Cosma war, auch ein Hunter nicht lange auf sich warten ließ - den ich persönlich ebenfalls weiterhin gerne meiden würde -, aber die junge Frau schien der gebrechlichen Stimme am Telefon nach zu urteilen wirklich Hilfe zu brauchen und so hatte ich ganz eigenständig eine Entscheidung getroffen, die bei meinem Mitbewohner nicht besonders gut ankam. Weil ich aber der Meinung war, dass Sammy sich schnell damit arrangieren würde, war ich gar nicht weiter darauf eingegangen und hatte stattdessen einfach wortlos darauf gewartet, dass die Rothaarige hier eintraf. In der Zwischenzeit war ich einfach dagesessen und hatte durch eine Zeitschrift geblättert. Auch ich hatte heute einen freien Tag, weshalb ich überhaupt erst so früh schon wach war und natürlich hätte ich ihn mir deutlich schöner und entspannter vorstellen können, aber ich wollte mich nicht beschweren. Hauptsache ich bekam die Chance, mit der jungen Frau irgendwie zu sprechen. Vielleicht konnte ich mir ihren gebrechlichen Zustand ja auch zu Nutze machen, weglaufen konnte sie so schließlich nicht wirklich. Vorerst blieb allerdings abzuwarten, wie schwer es die Französin denn nun eigentlich getroffen hatte und es dauerte nicht lange, bis ich mir persönlich ein Bild davon machen konnte. Keine halbe Stunde nach unserem Telefonat klingelte es bereits an der Tür. Sam war in den Flur gehuscht, nachdem ich Bandit nicht einfach achtlos von meinem Schoß hatte schmeißen wollen und es brauchte noch ein paar Minuten, bis ich schließlich zu den beiden aufschließen konnte. Das Bild, welches sich mir bot, war schon ziemlich... überraschend. Die sonst so taffe junge Frau wirkte irgendwie ausgemergelt, kaputt und roch echt nicht gut. Natürlich konnte ich mir Cosma gegenüber eine entsprechende Anmerkung nicht verkneifen, woraufhin sie sich schon bald ins Badezimmer verzog. Ich sah ihr noch einen Augenblick lang nachdenklich nach, bevor ich mich Sammy zuwandte, dem ins Gesicht geschrieben stand, wie viel er von ihrem Besuch hielt. Ich seufzte leise, rieb mir die im Nacken befindlichen Haare und zuckte schwach mit den Schultern. "Es ist nicht für lang, Sam. Wirklich nicht... ich... lass mir was einfallen.", versuchte ich den Italiener damit zu besänftigen, dass die junge Frau nicht lange bei uns bleiben würde. Ich mir etwas einfallen ließ, sollte sie mehr als eine Nacht brauchen, um wieder zu sich zu kommen. Er sollte nur für den heutigen Tag etwas Nachsicht zeigen und mir mein übereifriges Hilfsangebot meiner besten Freundin gegenüber verzeihen. Einfach das Gute darin sehen. Schließlich würde mir das Gespräch in meiner Therapie sicherlich helfen, einen Schritt weiter zu kommen und das war doch ganz in Sammys Sinne, oder? Wenn ich weiterhin gute Fortschritte machte, hatten wir schließlich alle etwas davon und ich konnte positiven Zuspruch nach wie vor wirklich gebrauchen. Zwar fiel mir im Labor nicht mehr ganz so sehr die Decke auf den Kopf, aber angenehmes Arbeiten war halt trotzdem anders und ich würde gerne auf den alten Standard zurück kommen. Ich bezweifelte zwar, dass das wirklich möglich sein würde, aber zumindest versuchen würde ich es gerne. Sam sollte meinem bittenden Blick, den ich ihm zuwarf, also bitte einfach nachgeben und für ihn untypisch das Alles hier ausschließlich negativ betrachten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #