Gott, womit hatte ich das schon wieder verdient? Oder wir, besser gesagt. Natürlich war in diesem Fall Richard der eigentliche Geschädigte und ich beneidete ihn keine einzige Sekunde darum, sich von dem Amerikaner verschleppen lassen zu müssen, aber was jagte der Kerl mir hier mitten in der Nacht für einen Schrecken ein... Ich wusste nicht wieso, aber ich hatte mich bisher zumindest Zuhause noch immer in seliger Sicherheit gewiegt und geglaubt, dass hier Niemand auf meine Türschwelle treten würde, der mir so Angst machte wie Hunter. Natürlich hatte ich Sabin gerade am Anfang auch wirklich nicht gerne hier gehabt, weil er sehr wohl auch unberechenbar sein konnte, wenn er das nur wollte. Mit ihm verstand ich mich inzwischen aber sogar ganz gut. Wahrscheinlich einfach deswegen, weil er merkte, dass mir ganz und gar nicht im Sinn stand, auch nur Irgendwen in meinem neuen kriminellen Umfeld sauer zu machen. Und natürlich, weil er nicht wusste, dass ich mich neulich so gnadenlos abgeschossen hatte. Oder auch deswegen, weil ich Richard in den meisten Fällen gut tat. Wir hatten in diesem Dreiergespann am Anfang unsere Schwierigkeiten gehabt, aber mittlerweile funktionierte es wirklich sehr gut und ich wollte mich nicht mehr gezielt vor dem älteren Italiener verkriechen. Ich wusste auch gar nicht, warum ich geglaubt hatte, den gruseligen Amerikaner niemals hier bei mir sehen zu müssen. Schließlich war es auch sehr in seinem Interesse, dass Richard wieder auf die Beine kam und außerdem hatte er mir ja schon ganz am Anfang zahlreiche Adressen abgeknöpft. Meine eigene war natürlich auch dabei gewesen. Theoretisch gesehen hätte Hunter also schon wesentlich früher und bedeutend öfter hier auftauchen können, ohne sich vorher anzukündigen. Ich war in jedem Fall heilfroh darüber, dass er sich bis zum heutigen Tag damit Zeit gelassen hatte und hätte auch weiterhin echt bestens auf seinen Besuch verzichten können. Zu sagen, dass mir das Herz bis zum Hals geschlagen hatte, als ich dem Choleriker die Haustür nach einem sehr tiefen Atemzug aufgemacht hatte, wäre wirklich weit untertrieben gewesen. Es war ein echtes Wunder, dass ich nicht anfing zu zittern und mir auch die Puddingbeine nicht wegkippten, als Bandits Fell mich an den Knöcheln kitzelte. Der Kater hatte eine gute Menschenkenntnis und dass er fast stumm vor sich hingeknurrt hatte, war definitiv auch kein gutes Zeichen. Umso froher war ich natürlich darüber, dass Hunter sich schon sehr bald wieder aus meiner Wohnung verzog. Allerdings dämpfte der Umstand, dass er dafür den armen Engländer mitnahm, ziemlich stark die Freude. An Schlaf war deswegen auch gar nicht mehr zu denken, als die beiden weg waren. Da konnte mich auch Richards vermeintlich aufbauendes Lächeln beim Abschied nicht beruhigen, also tigerte ich natürlich die ganze Zeit über absolut unruhig durch die Wohnung. Setzte mich zwischendurch mit einem Tee aufs Sofa und streichelte den Kater dabei, weil er meine Unruhe zu lindern versuchte, indem er aus freien Stücken auf meinen Schoß krabbelte und vor sich hin schnurrte. Nach einem anerkennenden Lächeln zu ihm nach unten streichelte ich ihn aber nur mehr recht geistesabwesend. Würde dieser Psychopath meinem Mitbewohner was antun? Ich traute ihm auch zu, dass er ihn für eine Hinrichtung nach draußen entführte und die angebliche Arbeit nur ein Vorwand war. Ich begann mir also fröhlich die allerwildesten Theorien dazu auszumalen, während ich mich parallel dazu fragte, was ich machen würde, wenn Richard tatsächlich nicht mehr wiederkam. Der etwas schräge Dozent war mir inzwischen ans Herz gewachsen und weit mehr als ein Mitbewohner geworden. Das lag zwar überwiegend an meinem Rausch von vor ein paar Wochen, aber seitdem kamen wir uns eben doch immer mal ein bisschen näher. Selbst beiläufige, nur kleine Gesten reichten oft schon dazu aus, mir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, weil ich die kleinen Aufmerksamkeiten einfach genoss. Zwar würde ich nicht beschreien, dass uns beiden mal irgendwann wirklich etwas Festes wurde, weil das Ganze dazu wirklich noch viel zu fragil in sich war, aber auch, wenn es nur von kurzer Dauer sein würde, war es schön. Ich wollte einfach nicht, dass dem jungen Mann etwas zustieß, jetzt wo er doch endlich wieder richtig auf die Beine kam. Ich hatte endlos oft auf die Uhr gesehen in den vergangenen Stunden und eigentlich war Richard gar nicht ewig lang weg gewesen, als ich am Fenster stehend sah, dass er aus dem Auto des Amerikaners ausstieg. Mir fiel sofort eine unsagbare Last von den Schultern und auf dem kurzen Stück bis zum Innenhof konnte ich sehen, dass er auch nicht humpelte und allgemein wohlauf aussah. Trotzdem stellte ich daraufhin zügig die ohnehin schon lange leere Teetasse in der Küche ab, die ich die ganze Zeit über unruhig in meinen Händen gedreht hatte, bevor ich in den Flur ging. Ich zog dem Engländer die Wohnungstür quasi direkt vor der Nase auf und fing an ihn eingehend zu mustern, noch während er eintrat. Ein weiteres Mal atmete ich schwer auf, bevor ich die Tür dann auch mal wieder zumachte. Meine Augen lagen trotzdem sofort wieder auf dem jungen Mann. "Gott, ich dachte der legt dich um...", unterstrich ich meine Erleichterung noch mit ein paar Worten. "Hat er dir was getan? Bist du ok?", schob ich noch schnell zwei Fragen hinterher, die im Grunde fast ein und dieselbe waren. Nur, weil ich auf den ersten Blick keine Verletzungen an ihm sehen konnte, hieß das nämlich nicht automatisch, dass er nicht trotzdem einen Haken in den Bauch geschlagen bekommen hatte oder anderweitig schikaniert worden war. Wobei man wohl grundsätzlich immer von Glück reden konnte, wenn Jemand wie Hunter einen nur mit Worten in den Dreck zog und nicht körperlich verletzte. Mit Demütigung ließ sich zumindest für mich leichter leben, als mit körperlichen Schmerzen. Lag wohl einfach an meiner eher wenig dominanten Persönlichkeit.
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Ich hatte schon befürchtet, dass Hunter mich aus mir unerfindlichen Gründen noch die Treppe nach oben begleiten und bei Sam in der Wohnung absetzen würde. Einfach um absolut sicherzugehen, dass ich nach der Nacht jetzt auch wirklich schnurstracks über den Innenhof ins Treppenhaus stiefelte und nicht noch schnell einen Abstecher machte, um meinen gestressten Geist mit ein paar Drogen zu beruhigen. Zwar hatte ich die Zeit über recht ruhig gewirkt, aber das musste ja nun wirklich nichts heißen. Gut, im Endeffekt hatte aber das Warten im Auto bis ich durch die erste Tür verschwunden war in etwa den gleichen Effekt. Andererseits hätte ich in sicherer Ecke auch einfach durch das Milchglas schauend darauf warten können, bis er verschwunden war, um mich dann auf den Weg in die Stadt zu begeben. Tat ich aber nicht. Ich hatte den Amerikaner nur knapp verabschiedet und war zielstrebig den Asphalt entlang gelaufen, hatte die wenigen Treppenstufen zur Haustür in fast einem Schritt hinter mich gebracht und die offenstehende Tür passiert. Nachdem ich diese wieder hinter mir ins Schloss hatte fallen lassen, war ich die nächsten Stufen nach oben gestiegen und gerade als ich meine Hand zum Anklopfen hob - in der Eile hatte ich vorhin vergessen, den Zweitschlüssel mitgehen zu lassen, aber da man von außen Licht durch die zu Sams Wohnung gehörenden Fenster sah, ging ich einfach mal davon aus, dass er noch wach war -, erblickte ich auch schon das Gesicht des jüngeren Italieners, der mich ansah, als hätte er einen Geist gesehen. Offenbar konnte er nicht glauben, dass Hunter mir ausnahmsweise kein einziges Haar gekrümmt hatte und ich musste mich erst einmal etwas an ihm vorbei in die Wohnung schieben, weil ich sonst sicher morgen noch im Treppenhaus gestanden hätte. Sammy schloss die Tür kurze Zeit später hinter mir, während ich gerade im Begriff war, mir müde die Schuhe von den Füßen zu schieben. Außerdem gähnte ich ein weiteres Mal und vermutlich wäre ich auch hier und jetzt einfach auf dem Boden eingeschlafen, wenn ich mich hingelegt hätte. Aber auch das tat ich selbstredend nicht, weil Samuele mich mit Fragen durchlöcherte, noch bevor ich mein Portemonnaie und das Handy abgelegt hatte. "Das dachte ich auch...", stimmte ich dem jungen Mann mit einem schiefen, sichtlich müdem Grinsen auf den Lippen zu, schüttelte dann aber schwach den Kopf. Jetzt war wohl nicht der richtige Zeitpunkt zum Scherzen und wenn ich ehrlich sein sollte, fehlte mir dafür tatsächlich auch die Kraft. Die noch folgenden Fragen des besorgten jungen Mannes quittierte ich erst einmal mit einem schweigsamen Schulterzucken. Öffnete dabei den Knopf meiner Shorts und schob mir diese von den Beinen. Ich hatte nämlich tatsächlich nicht mehr vor, die Wohnung jetzt noch einmal zu verlassen und würde zielstrebig das Bett ansteuern, wenn wir hier fertig waren. Ich legte die Jeans zusammengefaltet auf der Kommode neben meinem Geldbeutel ab, dann raufte ich mir nachdenklich die Haare und rieb mir gen Ende mit der ohnehin angehobenen Hand über das Gesicht. "Ich... weiß nicht. Er hat mir nichts getan, mir geht es gut.", beruhigte ich Sam in Hinsicht auf mein körperliches Wohlbefinden. "Nur... keine Ahnung... wir waren im Labor. Und... ich weiß einfach nicht, wie ich mich fühlen soll. Es war seltsam, in gewisser Maßen wieder mit dem Zeug zu arbeiten, mit dem ich mein Leben kaputt gemacht hab.", platzte es schließlich aus mir heraus, dass es mir dieser Ausflug psychisch nicht besonders gut getan hatte. Außerdem war das ja auch noch lange nicht alles. "Und ich soll ab morgen wieder hin. Sabin unterstützen, aber ich weiß ehrlich nicht, ob ich das schaffe, Sam.", redete ich also weiter vor mich hin und die Resignation schwang hörbar in meiner Stimme mit. Auch dass ich beim Erzählen durchweg nur den Boden anstarrte und nachdenklich an dem Saum meines Shirts nestelte, war ein gut sichtbares Anzeichen dafür, dass ich mich gerade absolut nicht wohl fühlte. Morgen am liebsten gar nicht die Wohnung verlassen und mich einfach bei Sammy unter der Decke verkriechen würde, aber selbst wenn Sabin dafür Verständnis aufbringen könnte - woran ich aktuell nur leider nicht mehr glaubte -, stünde sehr wahrscheinlich ein tobender Amerikaner vor der Wohnungstür, wenn er davon erfuhr. Natürlich konnte ich die beiden gut verstehen und mir war auch bewusst, dass ich irgendwann zwangsläufig wieder in die Drogenküche musste, weil nur deswegen - und laut Sabin natürlich aus mehreren anderen Gründen - hatte mit besagter Italiener ja erst unter die Arme gegriffen und mir wieder auf die Beine geholfen. Aber das änderte nun mal einfach nichts daran, dass diese Zweifel wohl so lange bleiben würden, bis ich mich selber davon überzeugt hatte, dass alles gutgehen würde.
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Wie beruhigend. Richard kannte den aufbrausenden Amerikaner schon wesentlich länger als ich, die Narbe in seinem Gesicht war auch Zeuge davon und trotzdem konnte er noch irgendwie Witze darüber machen. Mehr oder weniger zumindest, entlockte er mir damit doch nur ein leises Seufzen und sein eigenes, ohnehin nur recht klägliches Grinsen erlosch auch schon sehr bald wieder. Ich hob die rechte Hand, um mir die Haare zu raufen und mir im gleichen Atemzug über die noch immer leicht angespannte Kopfhaut zu reiben. Wirklich abfallen tat die Anspannung deswegen zwar nicht von mir, aber es half doch immerhin ein kleines bisschen. Meine Augen folgten Richard ununterbrochen und immerhin schien dem jungen Mann rein körperlich gesehen schon einmal nichts zu fehlen. Das erleichterte mich noch zusätzlich und so langsam konnte ich wieder sowas wie durchatmen. Nur hielt jene Erleichterung gar nicht mal so lange an, weil der Engländer schon bald damit fortfuhr, dass ihm der Ausflug dafür anderweitig zugesetzt hatte. Wenig überraschend trugen all seine noch folgenden Worte wenig bis eher gar nicht zu meiner Beruhigung bei. Selbstzweifel waren niemals eine gute Sache und gerade der Dunkelhaarige hier konnte davon weiß Gott gerade keine gebrauchen. Außerdem glaubte ich auch zu wissen, dass er nicht wirklich mehr als nur eine einzige Chance dafür bekommen würde, wieder mit dieser Scheiße anzufangen. Zwar war mit seinen Zweifeln nicht automatisch auch sein Untergang in Stein gemeißelt, aber eine positivere Einstellung dazu würde ihm zweifelsfrei dabei helfen, die Sache richtig und auch möglichst gut hinzukriegen. Er sollte sich deswegen bitte lieber einreden, dass er es auf jeden Fall schaffte. Ich wusste schon, dass das viel leichter gesagt als getan war, aber das war kein unwichtiger Ansatz für seinen Erfolg. Deswegen schüttelte ich auch ganz leicht den Kopf, als ich mit langsamen Schritten auf ihn zuging und letztendlich auch nach einer seiner beiden Hände griff, um sie vom Saum seines malträtierten Shirts zu nehmen. "Ich weiß, dass das nicht leicht für dich wird und es ist auch ein wirklich großer Schritt... aber Hunter wird doch nicht da sein, oder? Selbst wenn, dann bestimmt nicht die ganze Zeit über, Sabin ist ja immer ewig da...", fing ich etwas nachdenklich damit an, ihm wie so oft lieber ein paar positive Seiten aufzuzeigen, ohne dabei seine Hand wieder loszulassen. Strich ihm ein bisschen über die Fingerknöchel, einfach so zur Beruhigung, weil er schon wieder reichlich aufgewühlt wirkte. "Und er ist ja kein Unmensch." Meistens zumindest. "Wenns schlimm wird kannst du doch bestimmt mal kurz fünf Minuten raus da und durchatmen... und danach ein bisschen leichter wieder weitermachen. Er hilft dir bestimmt, wo er kann. Du musst das nicht ganz allein machen.", versuchte ich ihm zu vermitteln, dass er da drin auch nicht auf sich allein gestellt sein würde. Das war in meinen Augen schon wichtig, weil er sich dann auch bei Bedarf mal mit einem Gespräch ablenken konnte, so weit die Arbeit das zuließ. Oder eben mal fünf Minuten lang das Labor verlassen konnte, weil ja Jemand da war, der den Prozess weiter überwachte. Zwar wusste ich nicht, inwieweit Sabin Richard vielleicht doch verpfeifen würde, wenn er die Sache komplett verkackte, aber erstens ging ich davon nicht aus und zweitens wollte ich daran auch eigentlich gar nicht erst denken. Es würde gut laufen und Punkt. Wahrscheinlich würde ich sogar freiwillig direkt nach der Arbeit morgen dort vorbeischauen, um zu sehen, wie der Engländer sich des abends so mit dem Kochen schlug, aber ich durfte da nach wie vor keinen Fuß hinsetzen. Oder zumindest hatte ich von Hunter keine offizielle Erlaubnis dafür, also kam das nicht in Frage. "Du kriegst das schon hin, da bin ich sicher.", schloss ich meine vorherigen Worte noch damit ab, mich selbst überzeugt davon zu zeigen, dass er die Arbeit schon schaukeln würde. Unterstrich meine Worte auch noch mit einem aufbauenden Lächeln, damit er eindeutig sah, dass ich diesen Optimismus absolut ernst meinte.
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Es war einfach unglaublich schwierig für mich, dem Ganzen so positiv entgegenzutreten, wie der junge Italiener das gerade tat. Ich hoffte natürlich inständig, dass alles so glattlaufen würde wie nur irgendwie möglich und ich früh morgens unversehrt aus dem Labor kommen würde, ohne, dass Hunter oder Sabin mir einen Arm oder schlimmer noch meinen Kopf abgeschlagen hatten, aber ich konnte gegen die negativen Gedanken einfach nicht wirklich viel machen. Ich war ja schon immer recht misstrauisch gewesen, war außerdem Derjenige, der immer sofort schwarz sah, wenn etwas nicht nach Plan verlief, aber irgendwie hatte ich mich doch immer noch am Riemen reißen und ruhig bleiben können. Seit der Zeit im Hotel fiel mir das allerdings nicht mehr so leicht und man konnte mich nun wohl wirklich als einen durchweg negativ eingestellten Menschen titulieren. Zwar freute ich mich dann unglaublich darüber, wenn etwas wider erwarten doch ohne Probleme klappte und dachte mir im Nachhinein nicht selten, warum ich so eine Angst davon gehabt hatte, dass etwas schiefgehen würde, aber dafür musste es halt nun mal auch erst einmal irgendwie funktionieren. In dem Fall müsste ich den morgigen Tag - beziehungsweise die Nacht - und vermutlich auch die darauffolgenden zwei bis drei Nächte noch rumkriegen, ohne mit dem Gedanken gespielt zu haben, einfach etwas von dem Meth mitgehen zu lassen, bis ich mich selbst davon überzeugt hatte, dass ich es schaffen konnte. Bis es jedoch soweit war, tat es mir schon ein bisschen leid, den quirligen Italiener wieder mit meinem Pessimismus zu erdrücken. Dabei hatte ich ihm doch in der Bar versprochen, diesbezüglich an mir zu arbeiten. Da sah man mal wieder, wie leichtsinnig man eigentlich Versprechen gab, ohne sich überhaupt sicher damit sein zu können, dass man diese auch einhalten konnte. Es stresste mich daher nur zusätzlich, dass ich drauf und dran war, dem jungen Mann wieder einmal gute Gründe dafür zu geben, sich das Leben mit Alkohol und Drogen zu versüßen, dass sich meine Muskeln auf unangenehmste Art und Weise anspannten, was beinahe schon weh tat. Da konnte auch Sammys Hand nicht viel dran ändern, als er das unruhige Herumspielen an meinem Shirt stoppte. Stattdessen meine Hand in seine nahm und beruhigend über die Fingerknöcheln strich. Ich seufzte leise und hob vorsichtig meinen Blick in seinen an. Im Grunde genommen hatte er ja Recht. Was sollte schon groß passieren? Sabin würde die ganze Zeit über an meiner Seite sein und ließ im Gegensatz zu Hunter definitiv mit sich reden. Es wäre daher sicher kein Problem, mal raus an die frische Luft zu gehen, um atmen zu können. Auch mit einem Gespräch würde er mich ziemlich sicher ablenken, aber was wäre, wenn er nur mal kurz auf Toilette musste? Oder für den Bruchteil einer Sekunde im Nebenraum verschwand, um den fertigen Stoff zu lagern? Es brauchte jetzt nun wirklich nicht viel Zeit, eines der Tütchen einfach in meine Hosentasche wandern zu lassen. "Ich weiß, ich weiß...", murmelte ich nachdenklich vor mich hin und sah dann kurzzeitig an Sam vorbei, weil ich Bandit im gegenüberliegenden Türrahmen erblickte. Auch wenn ich diesen haarigen Vierbeinern immer noch nicht viel abgewinnen konnte, war mir der kleine Krüppel inzwischen irgendwie ans Herz gewachsen und es zauberte mir ein schwaches Lächeln auf die Lippen, ihm dabei zuzusehen, wie er müde auf uns beide zuhumpelte. Ich kannte mich mit Katzen wirklich nicht gut aus, glaubte aber zu wissen, dass er mich inzwischen als den neuen Mitbewohner seines Herrchen akzeptiert hatte. Und er schien mir ebenfalls verziehen zu haben, dass ich ganz zu Anfang nie besonders nett zu ihm gewesen war. Andernfalls würde er wohl kaum freiwillig auch um meine Beine tänzeln oder sich von mir streicheln lassen. Ich wandte meinen Blick schon Sekunden später wieder von dem schwarzen Fellknäuel ab, um Samuele wieder direkt anzusehen. "Wenn ich es nicht schaffe, hat es sich sowieso erledigt.", gab ich bezüglich meiner ganzen Zweifel noch einen Kommentar ab, der durchweg ironisch angehaucht war. Aber es war nun mal auch die bittere Wahrheit. Wie gesagt, glaubte ich nämlich nicht daran, dass ich noch wahnsinnig viele Chancen bekommen würde, sollte ich es wider den Erwartungen des positiv gestimmten Italieners verkacken. Aber wie auch immer. Auch wenn ich offensichtlich eine Menge Spaß daran hatte, Dinge einfach schlecht zu reden, würde ich es für heute gerne sein lassen. Immerhin war es auch mit einer guten Portion Pessimismus nicht ausgeschlossen, erkennen zu können, wann es einfach keinen Sinn mehr machte, sich über eine bestimmte Sache den Kopf zu zerbrechen. Deshalb erwiderte ich den Druck von Sammys Hand ein wenig und seufzte. "Aber es macht keinen Sinn, weiter darüber zu reden.", stellte ich nüchtern fest. "Ich bin ziemlich fertig und würde daher jetzt gerne ins Bett gehen...", ergänzte ich noch ein paar wenige Worte und nickte in Richtung Schlafzimmer. "Kommst du mit?", fragte ich noch lächelnd, als ich bereits zum ersten Schritt ansetzte. Ich ging nämlich nicht davon aus, dass Sammy hier jetzt noch lange untätig in der Gegend herumstehen und Einwände haben würde. Dafür sah er mir nämlich deutlich zu gerädert aus, hatte er doch sicher in den letzten Stunden kein Auge zugemacht.
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Irgendwie überzeugte mich sein doppeltes ich weiß nun nicht sonderlich. Es klang nämlich eindeutig noch viel zu wenig entschlossen und viel zu nachdenklich, als dass ich ihm allein aufgrund dessen hätte glauben können, dass er der Sache positiv entgegensehen wollte. Auch Richards noch folgende Worte stimmten mich nicht gerade optimistischer, was einen Sinneswandel seinerseits anbelangte, aber da würde ich heute wohl auch einfach nicht mehr weiterkommen. Er war sichtlich müde und wirkte auch nicht so, als würde er überhaupt versuchen wollen sich von mir zu positiverem Denken überreden zu lassen, also ließ ich es wohl besser einfach sein. Ein leises Seufzen konnte ich aber nicht unterdrücken, als er seine Zweifel noch einmal so offen kundtat. Ich wollte das nämlich nach wie vor nicht gerne hören und ich wollte ihn auch nicht vermissen müssen, weil der durchgeknallte Amerikaner ihn irgendwo im Wald verscharrt hatte, wo ihn niemals Irgendjemand finden würde. Wahrscheinlich könnte ich ihm nicht mal Lebwohl sagen, ihm nicht mal an einem Grab die letzte Ehre erweisen. Ich schüttelte gedanklich den Kopf über meine eigenen Gedankengänge, waren die doch genauso wenig hilfreich wie die des Engländers. Es wäre wohl wirklich das Beste, wenn wir diese Angelegenheit für heute ruhen lassen würden und erst morgen noch einmal darüber redeten, wenn überhaupt. Wenn, dann hatten wir dafür wahrscheinlich nicht wirklich viel Zeit, weil ich dank der supertollen mexikanischen Lieferung am späten Abend länger arbeitete, als normalerweise. "Ja, hast wahrscheinlich Recht...", stimmte ich dem Dunkelhaarigen zu und zuckte dabei ein wenig mit den Schultern. Auch was den erneuten Weg ins Laken meines Betts anging, war ich ganz bei ihm. Zwar war von meiner Nacht jetzt nicht mehr wirklich viel übrig, weil ich wie gewohnt morgen früh los ins Café musste, aber selbst, wenn ich nicht mehr einschlafen können würde, dann wäre rumzuliegen immer noch wesentlich kraftsparender und entspannender, als weiter durch die Wohnung zu laufen. Außerdem hatte es eigentlich immer eine angenehme Wirkung auf meinen Schlaf, wenn der Engländer sich dazu überredete, sich mein Bett mit mir teilen zu wollen. Er entschied sich da öfter mal um und es kam durchaus noch häufiger vor, dass er lieber auf dem Sofa schlief, aber das war nicht schlimm für mich. Ich wusste ja, woher all die Unsicherheit bei ihm kam und würde ihm weiß Gott keinen Strick daraus drehen. Außerdem war ich es ja ohnehin gewohnt sonst immer alleine zu schlafen, also war das wirklich kein Beinbruch. Es war viel eher schön, dass er sich überhaupt in mein Bett traute und mit der Zeit auch häufiger mal aktiv von sich aus meine Nähe suchte, war das Ganze zu Beginn doch eher noch etwas einseitig gewesen. Ich für meinen Teil ließ mich was die Sache zwischen uns beiden anging einfach ohne jeden Druck treiben und würde sehen, was dann noch so passierte. Eben einfach ganz spontan, ohne irgendwelche großen Erwartungen und dementsprechend dann auch ohne Enttäuschungen. Es würde einfach kommen, wie es eben kam und gut. "Klar... schätze ich sollte sowieso jede Minute Schlaf mitnehmen, die ich jetzt noch kriegen kann.", stimmte ich ihm ein bisschen sarkastisch zu und erwiderte das Lächeln etwas schief ganz von selbst, während ich mich in Bewegung setzte und daraufhin mit ihm zu meinem Schlafzimmer ging. Es war am Ende des Flurs, aber weit war der Weg gewiss nicht und so dauerte es nicht lang, bis ich die Zimmertür hinter mir im Türrahmen anlehnte. Sie musste nicht zwangsweise zu sein und ein offener Türspalt war schon auch okay, aber ich fühlte mich einfach nicht wohl, wenn sie so richtig offen war. War wohl einfach ein Tick meinerseits, der bestimmt nicht nachgelassen hatte, seit ich wusste, was sich auf der Insel für kriminelles Pack niedergelassen hatte - als könnte mich die eher dünne Holztür im Ernstfall vor einem Hunter schützen. Gerade wenn ich alleine schlief ließ ich sie aber doch gerne einen kleinen Spalt breit offen, damit Bandit zu mir kommen konnte, falls er das wollte. Ihn von vornherein mit ins Bett nehmen tat ich nie, weil er das ganz einfach nicht leiden konnte, wie ich schon sehr früh herausgefunden hatte. Er war dann immer sofort wieder gegangen, also ließ ich ihm da einfach die freie Wahl. Wenn Richard mit im Bett war, fand er sowieso nur am Fußende bequem einen Platz. In meinem Schlafzimmer gab es glücklicherweise auch die 'Wer schläft an der Wand - Diskussion' nie, weil das Bett mittig mit dem Kopfende an der Wand stand und demnach auf keiner der beiden Seiten eine Wand war. Ich fand mich also einfach auf der Seite ein, die irgendwie mehr zu meiner geworden war als die andere, ehe ich mich ohne Umschweife auf die Matratze sinken ließ und mich wieder unter die große Bettdecke schob. Ich hatte nur eine, wir mussten also grundsätzlich teilen. Als ich dann noch einmal ein bisschen durchatmete und die Augen zumachte, wollte ich aber doch noch ein paar Worte loswerden, die mir in den Sinn kamen. "Aber wenn du morgen wirklich an irgendeinem Punkt denkst, dass du jeden Moment... abrutschen könntest... dann ruf mich an, okay? Ist auch egal, wie spät's ist. Zwei Nächte mit weniger Schlaf bringen mich nicht um.", bat ich ihn etwas leiser darum, dass er sich nach meiner Hilfe ausstrecken sollte, falls er sie wirklich brauchte. Dabei drehte ich zum Schluss auch den Kopf in seine Richtung und sah ihn an, wobei im Dunkeln eher nur schemenhafte Umrisse zu erkennen waren. Ich wollte nur, dass er wusste, dass ich trotzdem da war. Halt leider nicht unmittelbar körperlich anwesend, aber bei Bedarf am anderen Ende der Telefonleitung. Vielleicht auch ein bisschen verpennt, aber es könnte auch schon reichen einfach eine vertraute Stimme zu hören, wenn er kurz davor war am Rad zu drehen und damit sein eigenes Todesurteil zu unterzeichnen.
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Glücklicherweise war Sammy der Typ Mensch, der wusste, wann es einfach gut war. Wann man besser die Klappe hielt und nicht noch mit Nachdruck versuchte, auf Biegen und Brechen irgendwie auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, denn ich hasste das. Zwar war ich damals nicht selten eben genau Derjenige gewesen, der diese absolut schandhafte Charaktereigenschaft an sich gehabt hatte, aber auch die war inzwischen Geschichte. Ob nur temporär oder nicht wusste ich zwar nicht, spielte im Augenblick aber meiner Meinung nach auch keine besonders große Rolle. Fakt war jedenfalls, dass meine Laune noch ein ganzes Stück tiefer in den Keller gesunken wäre, wenn Samuele jetzt noch weiter versucht hätte, mir seine positive Einstellung überzubügeln und dass das alles andere als vorteilhaft gewesen wäre, musste sicher nicht noch zusätzlich erwähnt werden. Weil Sam aber nun mal Sam war, stimmte er mir schlichtweg mit ein paar wenigen Worten zu und setzte sich ohne weiter auf das Thema einzugehen in Bewegung. Auch auf dem recht kurzen Weg zum Bett sagte er nichts weiter und ich war wirklich froh darüber. Ja, richtig erleichtert sogar, weil ich einfach keine Kraft mehr dafür übrig hatte, mich damit jetzt noch länger zu befassen. Zurück in den mittlerweile vertrauten vier Wänden fiel nämlich eine ganze Menge Last unterbewusst von meinen Schultern und auch wenn ich noch recht angespannt mit Sammy an der Hand das Schlafzimmer betrat, hatte die gewohnte Umgebung eine unglaublich beruhigende Wirkung auf mich. Es gab mir ein Stück weit das Gefühl von Sicherheit und ließ mich deshalb ziemlich müde werden. Nicht unbedingt in Hinsicht auf die räumliche Trennung von Sabin, Hunter oder den anderen teils wirklich negativen Einflüssen, nein. Es war einfach... dieses Gefühl von Zuhause sein. Denn ehrlich gesagt fühlte ich mich bei Sam fast schon wie Zuhause und der junge Mann trug einen nicht unerheblichen Teil zu diesem Befinden bei. Mittlerweile hatte sich Samuele nämlich trotz seines Ausrutschers in der Bar zu einer Art Fels in der Brandung für mich entwickelt und seine Nähe tat mir einfach unglaublich gut. Es war schon witzig, dass ich plötzlich so empfand, wo ich doch früher nie wirklich viel davon gehalten hatte. Von diesem ganzen Beziehungsquatsch, meine ich. Ich würde mich zwar noch nicht so weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass Sammy und ich wirklich so etwas wie eine ernste Beziehung führten, aber das, was zwischen uns war, war definitiv weit mehr, als bloß eine normale Freundschaft. Und ganz offensichtlich schien ich es meiner abwertenden Aussagen bezüglich des Zusammenwohnens zum Trotz sehr zu genießen. Andernfalls wäre ich wohl nicht so bereitwillig neben dem jungen Mann ins Schlafzimmer marschiert, wo ich seine Hand letztlich nur deshalb losließ, um an meine Seite des Bettes heranzutreten. Dort ließ ich mich mit einem leisen Seufzen auf der Bettkante nieder, wo ich noch einen Augenblick lang sitzend verweilte. Zum einen deshalb, um mir in Ruhe das Shirt über den Kopf zu ziehen und es neben dem Bett auf den Boden wandern zu lassen. Zum anderen, weil ich meine Ellenbogen auf den Knien abstützte und mir mit beiden Händen angestrengt über das Gesicht rieb. Ich saß noch ungefähr für zwei weitere Minuten einfach in der Dunkelheit herum, bis ich schließlich zu Sam unter die Decke kroch. Ich hatte meinen Kopf gerade ins Kissen gelegt, als der jungen Mann noch einmal sein Wort an mich richtete und mich dazu bewegte, meinen Kopf in seine Richtung zu drehen. Sehen tat ich zwar nicht viel, aber das brauchte ich ja auch gar nicht. Der Stimme des Italieners zu lauschen reichte schließlich vollkommen und während ich über seine Worte nachdachte, drehte ich meinen Kopf wieder zurück, um stattdessen an die nicht weniger schwarze Zimmerdecke zu starren. Ein paar Sekunden zogen ins Land und schließlich nickte ich leicht mit dem Kopf. Weil ich mir aber nicht sicher war, ob Sam das auch gesehen oder durch die Bewegung gespürt hatte, untermauerte ich diese Geste auch noch einmal verbal mit einem leisen "Mach' ich... danke." Auch wenn ich inzwischen wusste, dass der Schönling an meiner Seite das gerne machte - einem helfen, meine ich -, war das für mich immer noch keine Selbstverständlichkeit und jetzt, wo ich wieder einigermaßen klar denken konnte, versuchte ich Samuele auch oft zu zeigen, dass ich ihm wirklich dankbar für all das war, was er für mich getan hatte. Selbstredend galt Gleiches auch, wenn ich mich mal wieder mit Sabin unterhielt oder wir gemeinsam unterwegs waren, weil er nicht weniger aktiv daran beteiligt gewesen war, mir wieder auf die Beine zu helfen, aber wenn man tagtäglich aufeinander hockte, war es doch wesentlich einfacher, einfach mal Danke zu sagen. Ob sich das dann jetzt auch ändern würde, wenn ich wieder arbeiten ging? Sahen wir uns dann noch? Sollte ich dann eigentlich trotzdem noch zu Sam in die Wohnung kommen oder war ich nach einem erfolgreichen Arbeitstag dann wieder auf mich gestellt? Sollte ich dann besser zurück in mein Haus oder wie hatten sich die Beteiligten des Ganzen das jetzt vorgestellt? So wirklich darüber geredet, wie es jetzt weitergehen soll, hatten Sabin und ich immerhin noch nicht. Hunter hatte ja jetzt doch sehr spontan festgestellt, dass ich am dem morgigen Abend wieder ins Drogenkochen involviert werden würde, so wirklich wissen, was danach geschah, wusste also wohl niemand so genau.
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Die letzten Wochen waren wirklich nervenaufreibend und absolut anstrengend gewesen. Sie hatten wirklich beschissen angefangen und spannten mich zum Ende hin auch nochmal richtig unnötig auf die Folter, aber der Reihe nach. Es war wahrscheinlich ziemlich überflüssig zu erwähnen, dass mir die vorübergehende Trennung von Vahagn absolut nicht gut getan hatte. In der ersten Woche schien mein Herz jeden Tag ein bisschen mehr in dem Wissen zu bluten, dass ich sie nun eine gefühlte halbe Ewigkeit weder sehen, noch hören können würde. Dementsprechend unkonzentriert war ich auch bei der Arbeit. Es war nicht so, als würde ich deswegen irgendwas nennenswert verkacken - hätte ich mir nach der Sache in Russland auch echt nicht leisten können -, aber mir passierten hier und da kleinere Missgeschicke, auf die ich selbst bestens hätte verzichten können. Das war beispielsweise mal eine getragene, fallende Kiste oder das Vergessen von Kleinigkeiten, die mir normalerweise leicht im Kopf hängenblieben, weil sie fast sowas wie eingepflanzt waren. Irgendwann wurde das aber besser. Die absolute Funkstille blieb weiterhin beschissen und ich hatte täglich einen kurzen, gedanklichen Anflug, in dem ich der Meinung war, jetzt doch einfach mal Vahagns Nummer zu wählen oder vor ihrer Haustür aufzutauchen, aber ich konnte mich gottseidank jedes Mal erfolgreich davon abhalten. Gerade in der ersten Zeit hatte ich auch gar nicht wirklich nennenswert viele Minuten für mein eigenes Leben, wo Hunter mich doch wieder mit Arbeit zugeknallt hatte, wo es nur möglich war. Aber das war inzwischen eigentlich fast schon keine Strafe mehr. Es hatte noch nie wirklich bei mir gezogen und das tat es dementsprechend auch dieses Mal herzlich wenig. Aber die Distanz zu der hübschen Brünetten, die tat wirklich weh. Ich konnte behaupten was ich wollte, damit hatte er mich definitiv an den Eiern. Vahagn war inzwischen wohl zu meiner mit Abstand größten Schwäche geworden und ich trug sie auch nicht gerade unauffällig mit mir herum. Wenn man einen anderen Menschen wirklich liebte, dann war es denkbar schwer, das zu verstecken. Unsere Beziehung war sicher nicht in aller Augen perfekt, waren wir in so mancherlei Hinsicht doch einfach sehr verschieden... aber für mich war sie's, mit allen Ecken und Kanten. Ich konnte mich wirklich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so glücklich gewesen war, wie mit der ehrgeizigen Russin an meiner Seite. Also galt es das mit allen Mitteln zu schützen und die Auszeit zähneknirschend zu ertragen. Als die Arbeit dank Hunters Abwesenheit etwas nachließ und ich mehr Zeit zum darüber Nachdenken hatte, ob Vahagn in ihrem Heimatland sterben würde, suchte ich mir sogar freiwillig Arbeit, die ich gar nicht hätte machen müssen. Lud mir einfach alles auf, was ich finden konnte. Griff selbst Sabin mal an zwei Abenden unter die Arme, einfach nur, um irgendwas zu tun zu haben und nicht in der Sorge um die junge Frau zu ertrinken. Und das war ja auch noch gar nicht alles - ihr Aufenthalt in Moskau zog sich so weit in die Länge, dass damit der ursprüngliche eine Monat Abstinenz noch unbarmherzig mehr in die Länge gezogen wurde. Das einzig gute daran war, dass ich zumindest noch vor ihrer Ankunft auf kubanischem Boden mal anrufen und einfach nur ihre Stimme hören konnte. Zwar stimmte mich die Nachricht darüber, dass sie von irgendeinem Köter mehrfach gebissen worden war und deswegen nicht wirklich fit war, alles andere als glücklich und ich machte mir deswegen erst recht noch mehr Sorgen um sie, aber schlechte Neuigkeiten von ihr zu hören war immer noch besser, als sie gar nicht zu hören. Mir fiel ein unsagbar großer Stein vom Herzen, als ich von Desmond hörte, dass der Rückflug für unsere Urlauber anstand und es den Abtransport der Drogen am Flughafen zu organisieren galt und was auch immer. Eigentlich war alles, was ich im ersten Moment hörte, dass Vahagn endlich zurückkam und ich sie in zwei Tagen in den Armen halten konnte. Auch, wenn die Rückreise der gesamten Mannschaft aus Russland für mich Arbeit bedeutete, weil ich an jenem Abend dann Desmonds wichtigste Aufgaben mit übernehmen musste - Hunter brauchte natürlich seinen persönlicher Chauffeur, was auch sonst - und ich deswegen erst danach zu ihr können würde, hätte der Tag der Rückkehr kaum schöner verlaufen können. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ich erfuhr, dass der erste Weg der Russin ins Krankenhaus geführt hatte, weil sich die Bissverletzungen entzündet hatten. Damit war meine gute Laune schnell dem Erdboden gleich gemacht und nachdem meine Arbeit getan war, fuhr ich sofort weiter zur in Havanna ansässigen Klinik. Als wäre das alles an und für sich schon wieder nicht schlimm genug, ließen sie mich auch noch auf Biegen und Brechen nicht zu ihr. Weil ich ja weder Verwandtschaft, noch Ehemann oder sonst Irgendwas offiziell nachweisbar Wichtiges war. Ich war ja ein wirklich ruhiger Mensch, aber da brannten mir dann doch kurzzeitig die Sicherungen durch und als ich die Dame hinter dem Tresen in der kleinen Lobby dann fragte, ob sie bescheuert und absolut herzlos war, wurde ich von einem Security nach draußen eskortiert. Trat draußen angepisst gegen einen stählernen Mülleimer, der sehr zum Missfallen meines großen Zehs fest am Boden verankert war. Ich hatte also keine andere Wahl, als mit dem Wiedersehen zu warten, bis Vahagn entlassen wurde und bis dahin wurden Worte dann eben weiterhin nur über gottverdammte Handys gewechselt. Es zogen letztendlich also noch viel zu viele, elendig lange Stunden ins Land, bis ich wieder an der Klinik war und den Wagen anhielt, den ich inzwischen meinen Dienstwagen schimpfen konnte. Er gehörte natürlich nicht mir, war aber in dieser Situation weitaus praktischer als mein Motorrad. Der Wachmann am Eingang - der verglichen mit mir eigentlich nur ein schlechter Scherz sein konnte - bedachte mich mit einem warnenden Blick, als ich ihn an der Tür passierte, was ich geflissentlich ignorierte. Es war jetzt kurz vor 10 Uhr morgens und ich nahm in einem der Stühle in der Sitzecke auf der rechten Seite Platz. Wartete dort unruhig mit dem rechten Bein wippend die letzten paar Minuten auf meine Freundin, während ich auch die Ellenbogen auf meinen Knien abstützte und die Hände ineinander faltete. Ich war absolut wach, obwohl ich seit der Arbeit letzter Nacht noch überhaupt nicht geschlafen hatte. Ganz einfach nicht hatte schlafen können, weil ich dazu viel zu ungeduldig auf das Wiedersehen mit Vahagn wartete. Ich hatte die fünf Stunden also einfach mit Duschen, Essen und unruhig immer wieder auf dem Sofa einnicken aber nie wirklich einschlafen verbracht. Wegen all der Aufregung waren meine Augen jetzt auch sehr unnachgiebig auf den Fahrstuhl auf der anderen Seite des Raums gerichtet und scannten sofort jede Person, die hinter den Türen auftauchte... und eindeutig viel zu viele davon waren nicht Vahagn.
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Wenn ich ehrlich sein sollte, dann wusste ich wirklich nicht, wann ich mich das letzte Mal körperlich so elend gefühlt hatte, denn nicht einmal mein durch ein Projektil zertrümmertes Schlüsselbein hatte mir so viele Schmerzen bereitet, wie diese beschissenen Bisswunden, die ich durch den Köter der Sorokins davongetragen hatte. Am Anfang war noch alles in verhältnismäßig bester Ordnung gewesen. Klar, so eine Wunde tat halt weh und zwickte nicht selten ziemlich unangenehm, wenn man aus Versehen gegen den Verband kam, aber sobald man Fieber bekam und sich allgemein abgeschlagen fühlte, wurde die ganze Sache erst richtig heikel. Hunter und ich waren nach unserem mehrwöchigen Aufenthalt in Russland vor Kurzem dann endlich in den Flieger gen Heimat gestiegen und eigentlich hätte es mir zu dem Zeitpunkt kaum besser gehen können. Die Gefahr in Hinsicht auf die Sorokins schien gebannt zu sein, ich musste Irina nicht mehr ertragen - auch wenn ich wegen dem serbischen Miststück immer noch ein wenig Angst um Iljah hatte, der inzwischen zwar wieder alleine laufen konnte, aber bei Weitem noch nicht wieder zu voller Stärker gefunden hatte - und würde endlich Tauren wiedersehen können. In den letzten Tagen war es mir zwar relativ leicht gefallen, Gedanken an ihn bewusst auszublenden, weil sie nur ein unangenehmes Stechen in meinem blöden Herzen hinterlassen hatten, aber das änderte rein gar nichts an der Tatsache, dass ich ihn nach wie vor schrecklich vermisste. Ich Hunter deshalb auch immer noch böse war - so als nachtragender Mensch war das wohl auch völlig normal -, aber das interessierte ihn logischerweise nicht die Bohne. Wieso sollte es auch? Man sah es mir zwar nicht an, aber entsprechend glücklich und auch ein wenig aufgeregt war ich gewesen, als ich humpelnd in den Flieger einstieg. Kurz nach dem Start war ich nach einer letzten Unterhaltung mit dem Amerikaner dann eingeschlafen und im Nachhinein wünschte ich mir, meine Augen nicht zugemacht zu haben. Denn als ich ein paar Stunden später wieder wach wurde, fühlte ich mich zum einen noch müder, als ich das ohnehin schon gewesen war und ich fror. Mehrere hundert Meter über dem Erdboden mochte das vielleicht auch normal sein, aber definitiv nicht, wenn mir parallel dazu der Schweiß von der Stirn tropfte. Glücklicherweise war es bis nach Kuba nicht mehr weit und der Flug ließ sich mit Schmerzmitteln und noch mehr Schlaf ganz gut überbrücken. Letzten Endes war ich kreidebleich, als der Flieger am Boden zum Stehen kam und ohne Unterstützung hätte ich es sicher auch nicht geschafft, mich aus dem Sitz zu heben, in dem ich derart tief versunken war, dass mir der Rücken davon schon weh tat. Normalerweise war ich jemand, wie so ziemlich alle anderen im kriminellen Metier auch, der sich jetzt in seine ruhige Ecke verzog, um die Verletzung anständig auszukurieren, aber in Anbetracht der Tatsache, dass auch die Wunden schrecklich juckten und zu wässern begonnen hatten, hielt es einer meiner Männer für angebracht, mich vor ihrer Abreise noch in einem Krankenhaus abzuladen. Ein Privileg, welches ich in Italien nicht gehabt hatte, auch in Norwegen und Russland wäre es sicher schwierig geworden, unauffällig stationär behandelt zu werden, weil unser aller Gesichter doch in mehreren Datenbanken zu finden war, aber hier auf Kuba... kannte man uns nicht. Noch nicht. Da war es also absolut kein Beinbruch, wenn man noch keinen Arzt hatte, der schwarz für einen arbeitete. Nein, man konnte ganz einfach in das örtliche Klinikum spazieren und sich behandeln lassen. Zwar wollte ich das logischerweise nicht, weil ich mit Krankenhäusern in gewisser Maßen auf Kriegsfuß stand und man Aufsehen nicht unnötig provozieren musste, aber der hochgewachsene Russe, der mich hergefahren hatte, kannte da kein Pardon. Trug er mich doch bis in die Notaufnahme, weil ich zum Laufen schlichtweg keine Kraft mehr hatte. Dort wurde die herannahende Sepsis als Folge der sich entzündeten Bisswunden schnell und zielgerichtet behandelt. Sehr viel länger hätte es laut dem behandelnden Arzt bis zu einer Behandlung auch nicht mehr dauern dürfen, weil die nächste Phase der körperlichen Abgeschlagenheit dann wirklich die Blutvergiftung gewesen wäre, welche dann zu einer wirklich gefährlichen Bedrohung für mein Leben geworden wäre. So kam ich letztlich nur mit einer überempfindlichen Immunreaktion, einem Schrecken und der Erfahrung von unappetitlichem Krankenhausessen davon. Außerdem hatte ich noch mehr Zeit einbüßen müssen, die ich nicht an der Seite von Tauren hatte verbringen können, weil man den jungen Mann auch auf meine Bitte hin nicht zu mir ins Zimmer gelassen hatte. Angesichts der Tatsache, dass wir uns vermutlich nie wieder gesehen hätten, wenn man mich nicht ins Krankenhaus gebracht hätte, war das aber ein noch zu verkraftendes Opfer, wenn man mich fragte. Außerdem war es dann ja heute endlich so weit. Die Entzündungswerte in meinem Blut nahmen nach erfolgsreicher Behandlung mit Tabletten rasant ab und nachdem sowohl die Wunde an meinem Arm, als auch die an meinem Bein ordentlich gespült und verbunden worden war, ging es mir schon viel besser. Gut genug, keinen Platz mehr für ernsthaft kranke Menschen in der Klinik zu belegen und so stand meine Entlassung kurz bevor. Dass ich den Norweger darüber informiert hatte, noch bevor ich vom Doktor das finale Go hatte, musste ich nicht noch extra erwähnen, oder? Ich wäre auch ohne die entsprechende Zustimmung einfach gegangen, weil die Betten und das Essen hier fürchterlich waren und ich mich schlichtweg einfach wieder... okay fühlte. Vielleicht nicht gut, aber ich konnte immerhin schon wieder alleine laufen. Reden war auch kein Problem mehr und so einigte ich mich mit dem Arzt darauf, ihm nur noch die Anamnese zu dem Biss zu geben, ehe er meine Behandlungsakte schließen konnte. Ich erklärte ihm also mit noch etwas kraftloser Stimme, dass ich offensichtlich von einem Hund gebissen worden war. Mitten in der Pampa irgendwo hier auf Kuba ein streunender Köter auf mich zugelaufen war, der scheinbar keine besonders gute Laune gehabt hatte. Natürlich war die Geschichte an den Haaren herbeigezogen, aber ich würde einen Teufel tun, Ärzten trotz der Schweigepflicht die Wahrheit meiner Verletzungen zu offenbaren. Schließlich war es doch egal, unter welchen Umständen mich ein Hund gebissen hatte, oder? Jedes der Viecher hatte nebst ihrer scharfen Zähne auch ausreichend Bakterien im Maul, um zu einer ernsthaften Bedrohung zu werden, da war das Wie und Warum des Angriffs doch vollkommen nebensächlich. Jedenfalls dauerte das abschließende Gespräch nicht besonders lange und so durfte ich den Rucksack voller Klamotten, der mir von der Reise hiergelassen worden war, mit dem unversehrten Arm schultern und den Heimweg antreten. Ich freute mich darauf, das sterile Krankenhauszimmer verlassen und nach Hause zu dürfen, nur sah man mir das vermutlich nicht wirklich an. Ich war nämlich immer noch müde - oder viel eher sediert durch die ganzen Schmerzmittel - und schlurfte deshalb auch nur langsamen Schrittes den langen Gang zum Fahrstuhl entlang. Normalerweise wäre ich mit den Treppen schon zwei Mal unten und wider oben gewesen, aber weil ich noch immer humpelte und entsprechend Schmerzen hatte, betrat ich die Aufzugkabine zeitgleich mit einem älteren Pärchen, die diesen seltsamen Geruch nach Tod an sich hatten. Ich sah erst die Frau an, die ich auf etwas über siebzig schätzte, dann ihren Mann, der sicher genau so alt, wenn nicht sogar älter war, bevor ich meinen Blick wieder abwendete und den Knopf drückte, der diesen Aufzug hier ins Erdgeschoss fahren lassen sollte. Allerdings stieg er wider Erwarten erst einmal in den dritten und vierten Stock auf, sodass es mich sicher noch einmal an die fünf Minuten in dieser stickigen Kabine brauchte, bis ich endlich in die Eingangshalle flüchten konnte. Das Pärchen hatte mich indes auf den oberen Stockwerken verlassen und wurde von einer gesprächigen Mittvierzigerin abgelöst, die mich auf Biegen und Brechen in einen Smalltalk hatte verwickeln wollen. Da ich aber keine besonders große Lust hatte, mich mit Fremden über meine Einlieferung ins Krankhaus zu unterhalten, wimmelte ich die Dame forsch ab und sah mich stattdessen suchend in dem Foyer um. Tauren hatte mir versichert, dass er mich abholen würde und ich befürchtete schon, dass ihm etwas dazwischen gekommen war, weil ich ihn auf den ersten Blick nicht erhaschen konnte. Glücklicherweise schien ich aber nur noch etwas neben der Spur zu stehen, denn kurz darauf sah ich ihn in einer der hinteren Ecken der Eingangshalle sitzend und wartete nicht lange, zielstrebig auf ihn zuzugehen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte noch gefühlt ewig, bis ich die Russin schließlich aus dem Fahrstuhl kommen sehen konnte. Ich sah in der Zwischenzeit auch viel zu oft auf die Uhr an der Wand hinter der Rezeption, deren Zeiger sich viel zu langsam drehten und letzten Endes schon auf zwei Minuten nach Zehn stand, als ich den Blick wieder von dem Ziffernblatt abwendete und zurück zu den Aufzügen sah. Im selben Moment fiel mir Vahagn ins Auge und meine bisher noch nervös angespannten Mundwinkel hoben sich augenblicklich an. Ich zögerte nicht aus dem Stuhl - der im übrigen ohnehin nicht besonders bequem, sondern ziemlich durchgesessen war - aufzustehen und ihr zügigen Schrittes entgegen zu laufen, um auch ja keine vermeidbare Sekunde länger ohne ihre Nähe sein zu müssen. Das vorfreudige Lächeln wurde schon bald zu einem glücklichen Grinsen und kaum hatten wir zueinander aufgeschlossen, bettete ich ihr Gesicht behutsam in meine Hände. Allerdings fackelte ich gar nicht lange mit einem Blickwechsel, sondern legte meine Lippen auf ihre. Es brauchte noch einen kurzen Moment, bis meine Mundwinkel durch die Bewegung wieder vollständig abgesunken waren. Dann aber legte ich all die überlaufenden Gefühle in den innigen Kuss. All die angestaute Sehnsucht ging einfach in den Kuss über und fiel endlich von mir ab, nachdem sie mich in den letzten Wochen das eine oder andere Mal fast um den Verstand gebracht hatte. Endlich konnte ich Vahagn wieder spüren, ihr wieder über die Wange streicheln, während mir ihr unverkennbarer Geruch in die Nase stieg. Gut, der war gerade durch die Krankenhaus-Atmosphäre zwar etwas eingedämmt, aber spätestens nach ihrer nächsten Dusche war das wieder Geschichte. Ich zog den Kuss eine ganze Weile in die Länge, hätte wohl am liebsten einfach gar nicht mehr damit aufgehört. Weil wir beide hier aber quasi mitten in der Lobby herumstanden und gerade die nicht ganz fitte Russin sicher ausreichend Sauerstoff in ihren Lungen brauchen konnte, löste ich mich schließlich doch schweren Herzens von ihren Lippen. Einen Moment lang sah ich sie dann einfach nur freudestrahlend an. Könnte nicht noch breiter lächeln, während meine Augen glücklich vor sich hin funkelten. Ich zog Vahagn erst noch in eine kurze, aber innige Umarmung, bevor es für uns nach draußen gehen sollte. "Ich hab dich so vermisst...", hauchte ich ihr ans Ohr. Dabei lag mein rechter Arm noch um ihren Rücken und ich streichelte ihr mit der linken Hand achtsam über den Hinterkopf. Drückte letztendlich auch noch einen flüchtigen Kuss in ihre Halsbeuge und löste mich erst dann verhältnismäßig endgültig von ihr. Sah auf ihren noch in einen Verband gepackten Unterarm runter, woraufhin sich doch auch etwas Sorge mit in meine Augen mischte. "Wie geht's dir jetzt? Das Ganze hier hat mir echt 'nen Schrecken eingejagt.", erkundigte ich mich nach ihrem Wohlergehen und machte mit der rechten Hand eine flüchtige, das Krankenhaus einfassende Geste. Danach griff ich dann vorsichtig nach der Hand ihres unverletzten Arms, um mich final mit ihr auf den Weg nach draußen zu machen, damit wir endlich mal hier wegkamen. Zwar würden die Ärzte sie kaum jetzt schon entlassen, wenn sie die brenzlige Infektion in ihrem Körper nicht als sicher gebannt einstufen würden, aber ich machte mir trotzdem noch ein bisschen Sorgen. Vahagn war schließlich kein Mensch, der wegen jedem Kinkerlitzchen zum Arzt rennen wollte, es musste ihr also schon wirklich mies ergangen sein und dementsprechend hatte mir die Besorgnis in den letzten beiden Tagen auch keine Ruhe gelassen. Daran hatte auch der Kontakt übers Handy zu ihr nichts ändern können. Solange ich nicht mit eigenen Augen sehen konnte, dass es ihr zumindest den Umständen entsprechend gut ging, war das ganz einfach nicht ausreichend. Zugegeben sah die Brünette auch jetzt noch relativ erledigt aus, aber wenigstens nicht so, als würde sie mir gleich an der Hand wegsterben. Ich hatte den Wagen nicht weit vom Eingang entfernt auf einem der begrenzten Parkplätze angehalten und es kam meiner Freundin sicher ganz recht, dass sie nicht weit laufen musste. Zwar konnte ich ihr mit dem alten, schwarzen 1990er Chevrolet Pickup nicht unbedingt puren Luxus bieten, aber der Wagen tat seinen eigentlichen Job eben gut. Die Ladefläche war oft wahnsinnig praktisch und er war ideal für die nicht selten holprigen Straßen auf Kuba, die ja nicht mal überall geteert waren. Jene Straßen waren zwar nicht gerade dafür ausgelegt schnell auf ihnen zu fahren, aber wenn es doch mal notwendig war, dann war auch das kein Problem, brachte der Wagen doch nicht zu wenig Pferdestärken mit. Er war in seiner älteren Optik auf der Insel eben auch wesentlich unauffälliger als ein neuer Wagen und solange wir noch nicht mitsamt Gesichtern bei den Cops hier verzeichnet waren, passte das besser ins allgemeine Bild. Hunter hatte ihn auch gut restaurieren lassen, bevor er ihn importiert hatte. Um irgendwelche technischen Probleme brauchte ich mir also auch absolut keine Sorgen machen und weil ich heute ganz besonders Gentleman war, trat ich zuerst mit Vahagn an die Beifahrerseite des Wagens, um ihr die Tür aufzuhalten.
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Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie froh ich war, als Tauren mir auf den letzten paar Metern entgegenkam, um mich nach der schier unendlich langen Zeit endlich wieder in seine Arme zu schließen. Mir mit einem Kuss das zu geben, was mir über die letzten Woche so unendlich gefehlt hatte. Zwar empfand ich das Alles, was zwischen dem Norweger und mir inzwischen lief, noch immer als reichlich gewöhnungsbedürftig, aber ich mochte die Richtung, in die sich das Ganze entwickelte. Fand es einerseits natürlich absolut furchtbar, mit dem jungen Mann wieder eine so große Angriffsfläche in meinem Leben zu lassen, die Menschen wie Hunter zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen wussten, aber die gemeinsame Zeit mit Tauren war es das definitiv wert. Ich verbrachte meine Freizeit gerne mit ihm und eine dementsprechend wundersame Wirkung hatte die Nähe zu ihm jetzt auch auf mich. Denn im Aufzug war meine Laune noch verhältnismäßig angeschlagen gewesen, weil die Krankenhausatmosphäre ziemlich erdrückend war. Die vielen Schmerzen nervten mich nur zusätzlich und hätte mich Tauren nicht abholen können, wäre auf dem Weg nach Hause mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch noch Jemand verletzt worden, so angespannt war ich. Nicht nur physisch, sondern eben auch psychisch. Aber als ich die Lippen des jungen Mannes auf den meinen spürte, waren all die negativen Gedanken plötzlich verschwunden. Wie verschwunden, in Luft aufgelöst sozusagen und meine Lider schlossen sich ganz von selbst, als ich das leidenschaftliche Lippenspiel erwiderte. Indessen hatte ich die Hand meines unverletzten Arms etwas unbeholfen angehoben und an seine Taille gelegt. Mich allgemein auch etwas mehr gegen ihn gelehnt, um einfach das vor Schmerzen pochende Bein zu entlasten. Nur, weil die Wunden inzwischen gereinigt waren, taten sie nicht automatisch auch weniger weh und meine letzte Dosis Schmerzmittel lag meines Erachtens nach schon viel zu lange zurück. Bedauerlicherweise war der Kuss ziemlich schnell vorbei und ich löste mich nur widerwillig von den süchtig machenden Lippen, um dem Norweger stattdessen mit einem müden Blick ins Gesicht zu sehen. "Ich... hab dich auch vermisst.", murmelte ich leise, zögerlich, weil solch ein Satz noch kein anderer außer mein Bruder von mir zu hören bekommen hatte. Es fiel mir tatsächlich auch etwas schwer, diese Worte zu formulieren und auszusprechen, weil die Sache mit Tauren für mich nun mal einfach völlig neu war. Ich noch nicht zu einhundert Prozent warm damit geworden war, dass es da nun Jemanden gab, der mich vermisste und der mir auch fehlte. Gelogen war meine gemurmelte Antwort nämlich keineswegs. Ich hatte ihn tatsächlich vermisst und das definitiv nicht zu knapp. In den letzten Wochen waren meine Gedanken an ihn zwar immer weniger geworden, aber vermutlich auch nur deshalb, weil ich die meiste Zeit sediert im Bett gelegen hatte. Anfangs war es jedenfalls kein schönes Gefühl gewesen, ihn weder hören, noch sehen zu dürfen. Der Anruf pünktlich zur Halbzeit der von Hunter auferlegten Trennung hatte mir dann kurzzeitig einen Stich im Herzen verpasst und mich nur sehnsüchtiger nach seiner Nähe lechzen lassen, aber dann war es einigermaßen auszuhalten gewesen. Schließlich war in Russland auch viel losgewesen, es hatte sich um Einiges gekümmert werden müssen und die Sorge um Iljah hatte mich nur zusätzlich abgelenkt. Jetzt war ich jedenfalls froh, wieder hier auf Kuba zu sein und mich wieder einigermaßen entspannen zu können. Die Wunden an meinem Arm und dem Bein würden es mir in jedem Fall danken. Apropos. Scheinbar hatte ich meinem Freund nicht nur einen kleinen, sondern direkt einen großen Schrecken damit eingejagt, ein paar Nächte im Krankenhaus zu verbringen und auch wenn mir wegen dem nervigen Zwicken gerade nicht wirklich nach Lachen zumute war, schnaubte ich dennoch belustigt. Folgte dem Blick und auch der Handgeste des jungen Mannes mit meinen Augen. Anschließend zuckte ich bloß schwach mit den schmalen Schultern und ließ die Hand, welche ich an seine Taille gelegt hatte wieder sinken. "Sorry... war definitiv nicht beabsichtigt. Aber... na ja, was soll ich sagen. Ich kann halt nicht so gut mit Hunden.", stellte ich hörbar ironisch fest, rollte dann nur leicht mit den Augen und setzte quasi zeitgleich zu dem jungen Mann zum Gehen an. Ich hatte in meinem Leben zwar noch nie besonders viel mit den pelzigen Vierbeinern zutun gehabt und konnte deshalb nicht wirklich bewerten, wie eigentlich meine Beziehung zu den Tieren war, aber als Hundeflüsterer würde ich mich keinesfalls betiteln. Auch würde ich nicht behaupten, jetzt Angst vor Hunden zu haben, nachdem ich von einem angefallen worden war, denn das arme Vieh hatte bloß seine ihm aufgetragene Aufgabe erfüllen wollen. In Irinas Nähe war das Tier schließlich zu einem richtigen Schoßhund mutiert, grundsätzlich aggressiv war der Rüde also nicht gewesen. Aber na ja, war ja jetzt auch nicht weiter wichtig. Ich folgte Tauren müden Schrittes nach draußen, war einfach nur froh, das Krankenhaus nach dem kurzen Aufenthalt endlich hinter mir zu lassen und spazierte in einem für mich gemütlichen Tempo neben dem hochgewachsenen Schönling her. Ließ mir von dem jungen Mann nur allzu gerne die Beifahrertür seines neuen Wagens aufhalten, auch wenn das am Komfort des Einsteigens an sich nicht besonders viel geändert hätte. "Wow, schickes Auto. Hat es sich wenigstens gelohnt, dass wir uns so lange nicht gesehen haben, hm?", fragte ich schmunzelnd, wobei ich dem Tätowierten mit den Worten, welche man durchaus missverstehen konnte, keine bösen Absichten unterstellen wollte. Er zeigte mir schließlich mehr als nur einmal, wie wichtig ich ihm war und ich wollte nicht anzweifeln, dass er mich einem neuen Auto definitiv vorgezogen hätte, wenn er die Wahl gehabt hätte. Aber auch das Späße machen hatte mir einfach gefehlt und es bot sich in dem Kontext gerade einfach gut an, auch wenn ich den Pickup wirklich schick fand. Hatte eben so seinen ganz eigenen Charme. Meines Erachtens deutlich mehr, als die Supersportwagen heutzutage.
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Ich hatte zu keinem Zeitpunkt daran gezweifelt, dass die Russin mich ebenso vermisst hatte, wie ich sie vermisst hatte. Zwar gehörte sie eher nicht zu den Menschen, die einem pausenlos die eigenen Gefühle mitteilten, aber ich wusste dennoch, das es so war. Umso schöner war es jetzt eben auch mit eigenen Ohren zu hören, dass es ihr genauso wie mir gegangen war. Auch, wenn es aus dem innigen Kuss ohnehin ziemlich unmissverständlich hervorgegangen war. Offenbar war Vahagn auch schon imstande wieder Scherze zu machen und daraus schloss ich einfach mal, dass es ihr in jedem Fall schon deutlich besser ging, als noch bei der Landung auf kubanischem Boden. Zwar sah sie noch nicht unbedingt aus wie das blühende Leben, aber ich würde die nächsten Tage einfach ein Auge auf sie haben und dann wurde das schon wieder. Leider gab es für mich gerade im Gegensatz zu den Russland-Rückkehrern keinen Spezialurlaub, aber ich arbeitete ja wieder in einem relativ normalen Pensum und musste die hübsche Brünette demnach nicht übermäßig lange alleine lassen. "Ja, ich seh' schon.", war alles, was ich kopfschüttelnd noch auf die Hundegeschichte erwiderte, begleitet von dem heute sicher nur noch schwer wegzukriegenden Grinsen auf meinen Lippen. Ich war eben einfach glücklich. Wahrscheinlich könnte mir Hunter für die nächste Nacht noch so viele unliebsame Aufgaben erteilen und es wäre mir so egal, wie es das nur sein konnte. Meine Laune könnte wohl höchstens von der Russin selbst gekippt werden, aber ich wüsste nicht, wieso das passieren sollte. Zumindest jetzt auf Anhieb würde mir kein triftiger Grund einfallen, der einen bösen Streit rechtfertigte. Außerdem kannte ich mich gut genug, um zu wissen, dass ich heute wahrscheinlich ohnehin einfach bei allem, was Vahagn sagte, mit nichts als Ja und Amen antworten würde. Sie hatte nicht selten mal etwas fiesere Witze in petto und vielleicht hatte sie sich ein paar davon erfolgreich für ihre Rückkehr aufgehoben, aber das konnte ich gut ab. Stichelte im Regelfall einfach spaßeshalber zurück, sie meinte das für gewöhnlich ja auch nicht böse. Ihr Kommentar hinsichtlich des neuen alten Autos, ließ nun mich wiederum flüchtig die Augen nach oben rollen - ohne, dass das Grinsen dabei verschwand. Ich machte auch erstmal die Tür hinter ihr zu, als sie eingestiegen war und ging um den Pickup herum zur Fahrerseite. Ich schmiss mich mit einer flüssigen Bewegung hinters Lenkrad und zog auch meine Tür erst wieder zu, bevor ich zu einer Antwort ansetzte. "In Hinsicht auf die Arbeit - also so wie Hunter das wollte... ja, ziemlich sicher. Ist mehr sein Auto als meins, aber es hat echt seine Vorteile. In Hinsicht auf mein Privatleben und meine Laune... aber definitiv nicht, nein.", spaltete ich die Geschichte sarkastisch angehaucht in zwei Hälften. Ja, was die Arbeit anging tat ich mich jetzt mit dem Auto doch wirklich leichter. Der Wagen schluckte zwar etwas mehr Sprit, aber angesichts des Komforts war es das doch ziemlich wert. Außerdem musste ich dann nicht mit einem dieser noch wesentlich sperrigeren, langsameren Transporter rumfahren, sondern saß was das anbelangte jetzt quasi auf Augenhöhe mit Ashton und Desmond. Ansonsten zwar sicher noch lange nicht, weil die beiden eben schon ein gefühltes Jahrhundert lang Hunters linke und rechte Hände waren, aber ich arbeitete mich doch merklich in dieselbe Richtung vor. Stückweise bekam ich immer mehr von dem Vertrauen des Amerikaners und dafür war ich auch dankbar, weil es ganz einfach nicht selbstverständlich war - eben gerade bei ihm. Er vertraute nach Möglichkeit schließlich nicht mehr Leuten, als er musste. Das ausgerechnet ich da jetzt dazugehören sollte, obwohl ich ihm schon öfter mal Gründe dafür gegeben hatte mich stattdessen umzulegen, leuchtete dabei nicht nur mir nicht so ganz ein. Aber hey, solange ich dadurch wesentlich mehr verdiente als vorher und eine eigene Karre bekam, sollte ich das Ganze vermutlich auch einfach nicht zu sehr in Frage stellen und einfach froh darüber sein noch zu atmen. Es waren schon Leute in seiner Anwesenheit für deutlich weniger gestorben. Ich ließ den Wagen an und parkte nach einem letzten, durchweg glücklichen Blick in Vahagns Richtung dann auch aus, um zu mir nach Hause zu fahren. Havanna war zum Glück ja keine endlos riesige Stadt, es würde uns also trotz meiner Lage etwas weiter am Rand der Stadt nicht mehr als ein paar gut zu verkraftende Minuten kosten. Meine Hand verirrte sich zwischendurch auch mehrfach auf den Oberschenkel der jungen Frau auf dem Beifahrersitz, wenn ich gerade nicht schalten musste, wollte ich sie doch im Moment am liebsten einfach nie wieder loslassen. Sie war gefühlt endlos lange weg gewesen und ich war so froh darüber, dass sie jetzt wieder bei mir war, dass ich es gar nicht in Worte fassen konnte. "Ich geh' mal nicht davon aus, dass du mit deinen Verletzungen was anderes als Extrem-Couching unternehmen wolltest..?", streute ich eine Frage ein, baute da auch einen von ihr in meinen Wortschatz eingebrachten Begriff mit ein. Zwar war damals nur wenig aus dem puren Faulenzen geworden, hatte es uns doch kurz darauf mit fast schon sportlichem Elan in mein Bett verschlagen, aber das meinte ich in diesem Fall jetzt eher nicht. Nein sagen würde ich zwar bestimmt nicht und es gab sicher Mittel und Umwege für Sex, aber man müsste wegen ihren Verletzungen eben doch ziemlich aufpassen und ich wollte ihr nicht weh tun. "Ich hab noch nicht geschlafen, seit ich mit der Arbeit fertig bin, also...", hängte ich nach ein paar Sekunden noch eine Erklärung an und warf ihr ein schiefes Grinsen zu, bevor meine Augen wieder an der Straße klebten. Noch flossen zwar ganz fröhlich die Glückshormone durch meinen Körper, aber spätestens dann, wenn wir uns erstmal hingesetzt hatten, würden jene sicher zügig abflachen und dann war es nur eine Frage der Zeit, bis ich irgendwann einnickte. Ich war schon über 20 Stunden wach und das würde sich zweifelsfrei in absehbarer Zukunft bemerkbar machen.
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Mehr als ein schiefes Grinsen bekam Tauren bezüglich der Hintergrundgeschichte zu den Bisswunden nicht mehr von mir, während ich mich etwas umständlich auf den Beifahrersitz hievte und ihm dankend für das Aufhalten der Tür zunickte. In meinen Augen gab es dazu ganz einfach nicht mehr zu sagen - der Köter war für seine dämliche Aktion schließlich schon draufgegangen und damit hatte sich das Thema für mich grundsätzlich erledigt. Blöd nur, dass die Zähne dieses Mistviechs scheinbar mit unendlich vielen Bakterien behaftet waren, sodass auch jetzt - mehrere Tage nach den Bissen - noch keine nennenswerten Fortschritte im Bezug auf die Wundheilung zu verzeichnen waren. Nach der professionellen medizinischen Betreuung war ich mir zwar ziemlich sicher, dass sich zeitnah die ersten Erfolge einstellen würden, aber es nervte halt trotzdem. Es könnte mir theoretisch schon längst besser gehen - körperlich natürlich, denn vom Kopf her ging es mir so gut, wie schon lange nicht mehr -, tat es aber nicht. Anstatt mich darüber zu echauffieren und direkt nach meiner Entlassung schon wieder schlechte Laune zu verbreiten, obwohl das Wiedersehen definitiv ein Grund zur Freude und nichts Geringerem war, schluckte ich die Schmerzen beim Einsteigen zähneknirschend herunter und bemühte mich schließlich um ein glückliches Lächeln, als der junge Mann das Auto umrundet und hinter dem Steuer des Wagens Platz genommen hatte. Ich fragte gar nicht erst, wohin er nun fahren würde, weil es mir schlichtweg ziemlich egal war. Selbst wenn wir jetzt weder zu ihm, noch zu mir gefahren wären, hätte mich das nicht gestört, solange Tauren nur bei mir war. Es gab nach den letzten Wochen einiges aufzuholen und viel zu erzählen, mir war also alles recht, wo man sich zumindest ungestört unterhalten konnte. In eine Bar oder eine Diskothek würde mich der junge Mann wegen meiner Verletzungen hoffentlich sowieso nicht verschleppen wollen und demnach lauschte ich einfach seinen noch folgenden Worten - die mich sofort breit grinsen ließen -, anstatt mich damit zu befassen, wohin es denn nun gehen würde. Tauren hatte sich auf genau die richtige Art von meiner wenig ernst gemeinten Stichelei angesprochen gefühlt und antwortete mit dem von mir erhofften Sarkasmus. "Ich bin ja jetzt wieder da. Und ich werde die Wohnung in den kommenden Tagen voraussichtlich auch nur sehr selten verlassen. Heißt also du hast jetzt das Auto und mich - besser kann es doch gar nicht laufen. Ist eine absolute Win-Win-Situation jetzt, wenn du mich fragst.", betonte ich schmunzelnd einen der wenigen positiven Aspekte unserer Trennung. Schließlich würde Hunter dem Norweger das Auto ja jetzt nicht plötzlich wieder aberkennen, nur weil ich zurück auf Kuba war und Tauren deshalb wieder mehr Zeit mit mir verbringen würde. Zuzutrauen wäre es dem Amerikaner zwar schon, aber ich wollte ihm jetzt nicht unbedingt etwas Böses unterstellen, wo ich doch gerade so außerordentlich gute Laune hatte. Man mochte es mir vielleicht nicht ansehen, aber die Heilung von einst entzündeten Wunden war nun mal auch unglaublich kräftezehrend. Der Norweger würde mir das sicher verzeihen, solange ich ihn jetzt nicht darum bat, mich Zuhause abzusetzen und dann wieder zu verduften. Aber keine Sorge, selbst wenn mir im Auto bereits die Augen zugefallen wären, hätte ich den jungen Mann gefragt, ob er nicht bei mir bleiben wollte oder ob es ihm umgekehrt etwas ausmachen würde, wenn ich mich in sein Bett verkroch, um dort etwas Kraft zu tanken. Aktuell stand mir nämlich nicht im Geringsten der Sinn danach, ihn einfach von mir zu stoßen. Ganz im Gegenteil. Da ich aber wie gesagt heute keine Bäume - mit Ausnahme von Bonsai vielleicht - mehr ausreißen würde, sah ich da auch überhaupt kein Interessenskonflikt und zeigte mich dem Extrem-Couching bedingungslos einverstanden. Ich nickte dem Vorschlag in Form einer indirekten Frage nur lächelnd ab und sah, nachdem ich die Gesichtszüge des Norwegers kurzzeitig gemustert hatte, erst auf die Hand auf meinem Oberschenkel und dann durch die Frontscheibe auf die Straße. Ich griff mit der Hand des unverletzten Arms nach seinen Fingern, um geistesabwesend über seine Fingerknöchel zu streichen, während ich auch noch eine verbale Antwort zum Untermauern meines Nickens formulierte. "Na ja, ich sehe, denke ich, zumindest nicht so aus, als würde ich heute noch in den Ring steigen wollen, oder?", stellte ich eine rein rhetorische, ironisch angehauchte Gegenfrage, anstatt ihm ein konkretes Ja oder Nein als Antwort zu liefern. Einfach weil ich die Sticheleien unglaublich vermisst hatte. Ich hatte Taurens Grinsen vermisst, sein Lachen, seine gute Laune, wo ich von all dem doch meist selbst nicht allzu viel zu bieten hatte. Nachdem wir bereits eine Weile unterwegs waren, leuchtete mir auch so langsam ein, dass wir uns auf der Fahrt in Richtung Taurens Eigenheim befanden, was ich weiterhin kommentarlos hinnahm. Ich ließ mich einfach, so gut es die Verletzungen eben zuließen, in den Beifahrersitz sinken und beobachtete nebenher die an uns vorbeiziehenden Häuserfassaden und Bäume. Der junge Mann zu meiner Linken schien heute, selbst wenn ich topfit und bereit für Unternehmungen aller Art gewesen wäre, nicht mehr unbedingt dafür bereit zu sein, Massen an Energie bei körperlicher Betätigung in den Wind schießen zu wollen, was in meinen Augen überhaupt kein Problem darstellte. Denn laut eigener Aussage schien auch er ziemlich geschlaucht zu sein, weil er bereits länger auf den Beinen war und demnach war ein ruhiger Tag vermutlich das Richtige für uns beide. Traf sich meiner Meinung nach auch ganz gut, gab es doch die ein oder andere Story, die ich ihm gerne erzählen wollte. "Aber um deine Frage zu beantworten... nein, mir steht nach ehrlich gesagt nicht viel mehr der Sinn. Ich bin auch immer noch ziemlich hinüber und es trifft sich ganz gut. Gab viel Scheiße, die drüben in Russland passiert ist. Vielleicht interessiert sie dich ja?", formulierte ich den letzten Satz als eine indirekte Frage. Ich wollte mich Tauren schließlich nicht aufdrängen. Wenn er so gar keine Lust hatte, mir sein Gehör zu schenken, dann würde es mir auch kein Bein brechen, wenn wir einfach nur schweigend nebeneinander liegen würden. Das lag aber ganz in der Hand des Norwegers, ich passte mich ihm da ausnahmsweise bedingungslos an.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Was Vahagn sagte, war wirklich Musik in meinen Ohren. Natürlich hatte ich ohnehin irgendwie ziemlich stark darauf gehofft, dass sie für ein paar Tage nicht auf Achse sein würde, weil sie ja verletzt war, aber sicher gewusst hatte ich es eben nicht. Deswegen erleichterte es mich jetzt doch ziemlich, dass die hübsche Brünette tatsächlich die nächsten Tage zu nicht vielen anderen Dingen nutzen wollte, als sich erst einmal auszukurieren und durchzuatmen. Russland war sicher bis zum Schluss anstrengend für sie gewesen und da war es in meinen Augen nur richtig, jetzt erstmal zehn Gänge runterzufahren und sich zu erholen. Zwar war sie wohl schon zu Beginn des Auslandsaufenthalts von dem Köter außer Gefecht gesetzt worden, aber nur, weil sie verletzungsbedingt früh ausgefallen war, hieß das nicht, dass es nicht auch anderweitig weiterhin anstrengend für sie geblieben war. Mal ganz davon abgesehen, dass die Wunden eben auch nennenswerte Probleme machten. Ich konnte wie es aussah also ruhigen Gewissens in den nächsten Tagen zur Arbeit fahren, weil Vahagn einfach die Füße hochlegen und entspannen würde. Damit hatte ich in jedem Fall eine Sorgen weniger. "Ja, da hast du wohl Recht... und trotzdem wär's mir anders lieber gewesen.", seufzte ich leise, die Augen weiter auf die Straße geheftet. Immerhin hätte ich den Wagen früher oder später ohnehin gekriegt, auch wenn wir beide diese fiese Beziehungspause nicht über uns hätten ergehen lassen müssen. Schließlich würde es nur wenig Sinn machen mir eine der Führungspositionen in die Hände zu legen und mich dann umständlich immer erst zu einem der anderen Wagen schicken zu müssen. Dadurch würde unnötig viel Zeit ins Land ziehen, die man sich ganz einfach auch sparen oder anderweitig sinnvoller verbringen konnte. Deswegen war es vermutlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis mir diese eigene Kiste zuteil wurde, aber gut - es war eben gekommen, wie es gekommen war und jetzt war Vahagn ja auch endlich wieder bei mir. Streichelte sogar über meine Hand und es waren ziemlich sicher diese Dinge, die ich am meisten vermisst hatte. Natürlich wäre es auch schön gewesen nicht über einen Monat lang auf dem Trockenen sitzen zu müssen, aber kleine Zärtlichkeiten wie diese hier waren einfach Gold wert. Ich liebte es, wie sie mich beiläufig streichelte oder mir eine der Haarsträhnen von der Stirn strich, wenn sie unmittelbar vor dem Aufstehen noch ihr Eigenleben führten. Liebte es auch, wenn sie einfach nur neben mir lag und mich ein paar Sekunden lang mit einem Lächeln auf den Lippen schweigend ansah. Manchmal brauchte es keine Worte, um auszudrücken, was man fühlte. Vielleicht war meine Freundin was Gefühle anging nicht Kategorie Quasselstrippe, aber solange sie mir mit Gesten zeigte, dass sie mich liebte - und sei es auch nur unbewusst -, war ich rundum glücklich. Ihre rhetorische Frage ließ mich gleich wieder grinsen. Ich hatte selbst diese zwanglose Art von Unterhaltung vermisst. "Bin mir nicht sicher, muss ich mir nach dem Aussteigen nochmal genauer ansehen.", gab ich eine nicht weniger sarkastische Antwort von mir. Nein, selbstredend sah die junge Frau ganz und gar nicht so aus, als würde sie sich gleich mit Irgendjemandem Boxen wollen. Fairerweise musste man aber sagen, dass sie Verletzungen nicht zwangsweise von Dummheiten abhielten. Ich erinnerte mich noch bestens daran, wie sie mitsamt ihrem noch nicht fertig auskurierten Schlüsselbein in die nächstbeste Spielothek gegangen war und sich besoffen hatte. Mit starkem Schmerzmittel intus. Ich wusste noch als wär es erst gestern gewesen, wie sehr ich mir in dieser Nacht Sorgen darum gemacht hatte, ob sie denn überhaupt noch nach Hause kam, oder vielleicht schon in irgendeiner Ecke bewusstlos herumlag. Gut, man musste an dieser Stelle auch erwähnen, dass ich einfach eine Person war, die sich wahnsinnig leicht sehr viele Sorgen machte, aber darum ging es hier grade nicht. Glücklicherweise bestätigte mir Vahagn dann noch kurzum wörtlich, dass sie heute voraussichtlich nur noch das tun würde, was zum Überleben notwendig war und da konnten wir uns bis zum Abend die Hand geben. Ich wusste noch nicht genau, wann ich später zur Arbeit los musste, aber uns blieben doch erstmal einige Stunden, um einander wieder nahe zu sein und ein bisschen was von der verlorenen Zeit aufzuholen. Auch einem Gespräch über die Geschehnisse in Russland war ich nicht abgeneigt. Zum einen deswegen, weil Hunter mir bestimmt wieder nur das Nötigste erzählen würde, weil ich nach wie vor nicht zum ganz engen Kreis gehörte, und zum anderen, weil es doch stark so klang, als würde Vahagn was das anging etwas auf dem Herzen liegen. Da schenkte ich ihr natürlich gerne mein Gehör und außerdem war ich sowieso eine schrecklich neugierige Person. Im Grunde schlugen sich da also gleich drei Fliegen mit nur einer Klappe. "Klar, ich hör' dir gern zu.", ließ ich die Brünette mit einem aufrichtigen Lächeln in ihre Richtung wissen, dass sie mir ruhig etwas darüber erzählen konnte. Das hatte sie nach ihrer ersten Reise in die Heimat ja auch schon gemacht, als sie von Iljahs Zusammenspiel mit Hunter im ersten Moment nur wenig begeistert gewesen war. Allerdings dürften die Geschichten dieses Mal sicherlich schlimmer ausfallen. Ich wusste schließlich, warum sich der Chef nach Russland verpisst hatte und dass die zierliche, kleine Buchhalterin gar nicht so unschuldig war, wie sie aussah und wirkte. Das hatte sicher im Allgemeinen einen riesigen Haufen Stress und Streit gegeben. Aber dafür war ich ja an Vahagns Seite - um ihr meine Ohren und Aufmerksamkeit zu schenken, wenn sie das wollte und brauchte. Außerdem lechzte ich förmlich nach dem Klang ihrer Stimme, klang die übers Telefon doch irgendwie anders. Zuhause angekommen hielt ich den Wagen dann unweit vor dem Haus an, in dem sich meine Mietwohnung befand und war wirklich froh, jetzt wieder Zuhause zu sein. Ich stieg aus und wartete nur darauf, dass die Brünette es mir gleich getan hatte, bevor ich den Pickup abschloss und dann mit ihr zur Haustür rüberging. Ich schob die tagsüber meistens offene Tür auf und ging nach oben in den ersten Stock, wo ich ohne Umschweife - aber inklusive flüchtigem Gähnen - die Wohnungstür aufsperrte. Im Flur meines Apartments angekommen legte ich den Schlüssel bei Seite und schob mir die Sneaker von den Füßen. Ich vermisste zwar die kühle Luft aus Norwegen manchmal, aber ich war doch irgendwie ganz froh, dass ich jetzt nicht mehr Jacke und Pullover ausziehen, sondern nur die Schuhe loswerden musste. Die Wärme hatte so ihre Vor- und Nachteile.
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Nicht nur ihm, dass konnte er ruhig glauben. Und doch spielte es inzwischen keine Rolle mehr, weil keiner von uns eine Zeitmaschine besaß, an der sich ein Zeiger zurückstellen ließ. Wir konnten die unliebsame Zwangspause nicht ungeschehen machen und sollten deshalb viel eher in die Zukunft blicken, als uns weiterhin an der ersten schwereren Hürde unserer Beziehung die Zähne auszubeißen. Hunter war nun mal schrecklich und würde es auch immer bleiben - die Aktion wäre ziemlich sicher nicht die Letzte, um unseren Zusammenhalt auf die Probe zu stellen. "Ist jetzt halt so, wie es ist.", stellte ich noch vollkommen unnötig diesbezüglich fest und damit war das Thema für mich dann auch abgehakt. Es würde meine Laune nur unnötig negativ beeinflussen, jetzt an die Zeit in Russland und die damit zusammenhängende, temporäre Trennung von Tauren zurückzudenken und es war in unser aller Sinn, dies zu vermeiden. So ziemlich jeder wusste nämlich, wie unausstehlich ich werden konnte, wenn ich schlechte Laune hatte. Ich konzentrierte mich daher vermehrt auf das hier und jetzt. Müsste lügen, würde ich behaupten, dass die Müdigkeit nicht auch über mich bereits wieder hereinbrach, wo der inzwischen sicher tonnenschwere Stein endlich von meinem Herzen gefallen war, aber bis zu der Wohnung des Norwegers war es ja auch gar nicht mehr so weit. Ein paar Minuten höchstens noch und die würde ich bestimmt überstehen, ohne im Beifahrersitz gleich wegzunicken. Dass sich der junge Mann weiterhin mit mir unterhielt war dabei trotzdem sehr hilfreich, weil ich so schlichtweg beschäftigt war und überhaupt keine Zeit hatte, die Augen zuzumachen und in Gedanken abzuschweifen. Ich drehte meinen Kopf wieder in seine Richtung, als Tauren mich indirekt darin bestätigte, dass ich eben nicht so aussah, als würde ich gleich noch Jemanden die Fresse polieren wollen, obwohl meine persönliche Abschussliste durchaus ziemlich lang war. Ich ad hoc mehrere Namen nennen konnte, deren Gesichter ich gerne dazu benutzen würde, meiner inneren Wut Herr zu werden, aber heute definitiv nicht mehr. Ich rollte wegen der doch sehr sarkastischen Antwort seitens des jungen Mannes nur grinsend mit den Augen, sagte aber auch dazu nichts mehr. Der Rest der Fahrt verlief dann relativ schweigsam, nachdem ich noch einmal nickend zur Kenntnis genommen hatte, dass der Norweger kein Problem damit hatte, mir sein Ohr für ein paar Minuten zu leihen, damit ich meiner Unzufriedenheit über die Situation in Russland eine Stimme geben konnte, die gehört wurde. Tauren selbst konnte zwar weder an der Beziehung zwischen Iljah und Irina selbst etwas ändern, noch die Sache anderweitig angenehmer für mich gestalten, aber ich hoffte einfach... ja, worauf eigentlich? So richtig wissen, was für eine Erwartungshaltung ich meinem Freund gegenüber bezüglich der aktuellen Geschehnisse in meiner Heimat hatte, tat ich nicht und erwischte mich einmal mehr dabei, wie ich mir vollkommen unnötig den Kopf über etwas zerbrach, das überhaupt nicht der Rede wert war. So wie ich den zuvorkommenden Norweger kennengelernt hatte, wäre es ihm ziemlich sicher absolut egal, worüber ich mich mit ihm unterhielt und er würde mir vermutlich zu jeder Tages- oder Nachtzeit zuhören, selbst wenn es um etwas deutlich Belangloseres ging, als die aktuellen Geschehnisse in meinem Heimatland, aber auch das war etwas, woran ich mich erst noch langsam gewöhnen musste. Es war für mich nun mal einfach vollkommen fremd, mich ungezwungen mit Jemanden zu unterhalten, ohne, dass es einem bestimmten - meist geschäftlichem - Zweck diente. Und über private Sachen redete ich im Regelfall sowieso nicht. Aber ich tat mein Bestes, dem Ganzen zwischen uns eine faire Chance zu geben, weshalb ich mich auf die spätere Unterhaltung schon etwas freute, auch wenn der Anlass eher nicht so schön war. Wie ich bereits vermutet hatte, brauchten wir bis zu der Wohnung dann auch gar nicht mehr so lange und schon bald schob ich die Beifahrertür auf, um aus dem Auto auszusteigen. Daraufhin schnappte ich mir wieder die Hand des jungen Mannes, der neben mir lief und gemeinsam legten wir den mir nur allzu bekannten Weg zu seiner Haustür zurück. Ich brauchte wegen dem verletzten Bein einen Augenblick länger, um die Treppenstufen hinter mir zu lassen, aber der junge Mann wartete mit einer Engelsgeduld auf mich, die das schmale Lächeln auf meinen Lippen aufrecht erhielt. Ich betrat hinter Tauren die Wohnung und ließ als Schlusslicht dann auch sogleich wieder die Haustür ins Schloss zurückfallen, bevor ich mir ebenfalls etwas umständlich die Schuhe von den Füßen schob, um mich gleich weiter in Richtung Schlafzimmer zu trollen. Die Couch war zwar für den müden Penny, den sie gekostet hatte, nicht gerade unbequem sein, aber ich würde vor allem gerne das verletzte Bein ausstrecken und mich entspannen können. Außerdem freute ich mich auf eine wärmende Decke, war mir als Folge der Müdigkeit doch inzwischen etwas kalt geworden, auch wenn es draußen schon längst die gewohnt sommerlichen Temperaturen hatte. Auf dem Weg in Richtung Schlafzimmer ließ ich den geschulterten Rucksack, den ich während der Fahrt zwischen meinen Beinen platziert hatte, über den unverletzten Arm gen Boden gleiten und platzierte ihn unweit des Türrahmens an der Wand. Das meiste musste ohnehin gewaschen werden, es tat den Klamotten daher absolut keinen Abbruch, wenn sie noch ein paar Minuten länger in der Tasche verweilten. Mit müden Schritten schlurfte ich schließlich rüber zum Bett und ließ mich mit einem leisen, hörbar schmerzverzerrten Stöhnen auf die Matratze fallen. Dort schob ich mich vorsichtig und nur stückchenweise mit dem Rücken ans Kopfende, um mich dort anzulehnen. Dann klopfte ich neben mich, um meinem Freund zu signalisieren, dass er mir gerne folgen durfte. Ich selbst hatte mich bis jetzt tatsächlich ausschließlich meiner Schuhe und der Tasche entledigt. Ziemlich dumm, wie ich im Nachhinein feststellte, war es in der Jeans und dem Langarmoberteil doch verhältnismäßig unbequem, hier zu liegen. Aber noch einmal aufstehen würde ich jetzt erst einmal nicht, dafür fehlte mir gerade die Kraft. "Willst... du vielleicht erst mal erzählen, was so passiert ist in den letzten Wochen? Ich meine, über vieles haben wir ja schon gesprochen, aber... war sonst noch irgendwas?", richtete ich eine direkte Frage an den jungen Mann, der ebenfalls gerade das Schlafzimmer betreten hatte. Immerhin hatten wir bei unserem Telefonat zur Halbzeit und als ich die Nächte im Krankenhaus verbracht hatte schon über so Einiges geredet. Vielleicht gab es ja aber noch etwas, dass Tauren mir persönlich mitteilen wollte? Ansonsten würde ich gleich damit anfangen, ihm mein Leid zu klagen. Oder... es zumindest versuchen.
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Zuhause angekommen dauerte es nicht lang, bis Vahagn die Richtung ins Schlafzimmer einschlug. Ich selbst machte nur noch einen kleinen Umweg über die Küche, um mir eine Flasche Wasser aus dem Kasten neben dem Kühlschrank zu nehmen. Gerade war mir ein Getränk auf Zimmertemperatur deutlich lieber, als ein kaltes aus dem Kühlgerät. Nach der Arbeit hingegen griff ich nicht selten lieber in den Kühlschrank, weil ich doch meistens viel in Bewegung war und gerne abkühlen wollte. Wobei auch das etwas nachließ, sobald man zu einem von Hunters privilegierten Schoßhunden befördert wurde. Zwar war man dann immer noch einfach nur sein Werkzeug, aber das Leben wurde eben doch merklich leichter, weil die schweren Arbeiten im Regelfall dann die wiederum mir untergeordneten Männer ausführten. Allerdings reichten diese Vorzüge kaum dazu aus es mir schmackhaft zu machen, für den Rest meines Lebens unter der Fuchtel des Amerikaners stehen zu wollen. Klar, es lebte sich dann jetzt auch finanziell deutlich leichter, aber dafür trug ich eben auch wesentlich mehr Verantwortung und ich wollte eigentlich nur ungerne derjenige sein, der am meisten von ihm auf den Sack bekam, wenn Irgendetwas schiefging. Außerdem hatte ich jetzt Vahagn und ich wollte nicht, dass dieser Idiot ewig weiter zwischen uns stehen würde. Zwar glaubte ich wiederum auch nicht, dass ich mich - sofern ich einen Weg dafür fand mich von Hunter loszusagen - dann vollkommen legaler Arbeit hingeben würde, weil man damit in der Regel einfach beschissen wenig Geld verdiente, aber ich würde sicherlich versuchen mir ein Geschäft aufzubauen, das weniger Menschenleben kostete als das des Amerikaners. Gefühlt hatten wir die kubanische Bevölkerung schon halbiert, seit wir hier aufgeschlagen waren und es gab sicher auch genug andere Wege, ans Ziel zu kommen. Natürlich konnte es immer passieren, dass Jemand zur falschen Zeit am falschen Ort war und weil man sich niemals sicher sein konnte, dass derjenige auf ewig die Klappe halten würde, musste er dann halt sterben, aber... ach, darüber würde ich wann anders weiter nachdenken, gerade gab es Wichtigeres. Ich schüttelte über diese Gedanken leicht den Kopf, bevor ich zu der Russin in mein Schlafzimmer aufschloss. Die Wasserflasche wanderte erstmal auf den Nachttisch und ich legte auch mein Handy dort ab, bevor ich mich sämtlichen überschüssigen Klamotten entledigte. Mir war beim Schlafen sowieso fast immer zu warm und so brauchte es schlicht und ergreifend nicht mehr als die Boxershorts, um mit einem unbewussten Lächeln schließlich zu Vahagn unter die Decke zu kriechen. Ich streckte ganz automatisch den Arm nach ihr aus und legte ihn ihr um die Schultern, woraufhin ich damit anfing ihr leicht über den Oberarm zu streicheln. Ihre Frage erreichte meine Ohren und meine Augen hefteten sich einen Moment lang nachdenklich an die Bettdecke über meinen Oberschenkeln. Gab es denn irgendwas wirklich Interessantes, das ich ihr bis jetzt noch nicht erzählt hatte? Im Grunde war ja alles wie immer gewesen und es hatte auch nicht sowas wie Komplikationen in den letzten Wochen gegeben. Also zumindest keine, die eine Erwähnung wert waren. Noch dazu hatte ich in den vergangenen Tagen eben auch nicht wirklich was anderes gemacht, als zu arbeiten und über Hunters Geschäfte durfte ich logischerweise ohnehin auch nur sehr oberflächlich reden. Sie müsste es ja nicht einmal mit Absicht tun, aber sollte Vahagn ihm gegenüber irgendwann mal etwas rausrutschen, das sie gar nicht wissen durfte, dann war ich echt am Arsch. Deshalb beließ ich es dabei ihr darüber im Allgemeinen so gut wie gar nichts zu erzählen. Das war nicht nur für mich selbst sicherer, sondern auch für sie. "Da gibt's eigentlich nicht viel...", stellte ich murmelnd mit einem Schulterzucken fest, bevor ich den Blick wieder anhob und zu ihr rüber sah. "Ich hab ja fast nichts gemacht, außer zu arbeiten. Wenn Ashton nicht da ist lädt der seine Aufgaben auf Desmond ab und der gibt wiederum mir was von seinem Scheiß. Das einzige Spannende, das passiert ist, waren meine zwei Ausflüge ins Drogenlabor. Ich hab Sabin freiwillig ein bisschen geholfen, weil er mir irgendwie ein bisschen leid tut... ich würde zwar wirklich nichts drauf verwetten, dass ich das deswegen jetzt auch allein hinkriegen würde, aber ich weiß jetzt wohl mehr oder weniger, wie man Meth kocht.", erzählte ich der jungen Frau neben mir etwas ironisch das Einzige, das irgendwie noch ansatzweise der Rede wert war. Ich würde es wegen den paar Stunden mit Sabin zweifelsfrei nicht alleine hinkriegen Crystal in guter Qualität zu produzieren, aber mein Wissen darüber hatte ich eben doch zwangsläufig erweitert. Allerdings war ich dank meiner Eltern ohnehin alles andere als heiß darauf zukünftig meine eigenen Drogen zu kochen, also hätte ich auf dieses Wissen auch getrost verzichten können. Es schadete mir nicht, bereicherte mein Leben aber halt auch nicht. "Aber sonst ist wohl genau gar nichts passiert, was du noch nicht weißt. Du kannst also loslegen.", meinte ich abschließend mit einem Schulterzucken. Falls mir im Laufe des Tages oder in den nächsten Tagen noch Irgendwas einfiel, das Vahagn interessieren könnte, dann konnte ich es ihr später ja immer noch sagen. Aber ich erinnerte mich was die letzten Wochen anging an nicht viel außer die Arbeit, und dass ich die hübsche Brünette schrecklich vermisst hatte. Das waren so ziemlich die einzigen beiden Dinge, die unsere getrennte Vergangenheit meinerseits geprägt hatten.
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Während sich Tauren seiner Klamotten entledigte, beobachtete ich ihn akribischen Blickes. Schließlich hatte mir auch der Anblick seines halbnackten Körpers gefehlt, ich wollte also keine Minute verpassen, in denen er mir all die schicken Tattoos über seinen Muskeln zur Schau stellte. Er war nämlich nicht der Einzige, der jetzt seit gut einem Monat auf dem Trockenen saß und wenn es mir durchaus zuzutrauen wäre, hatte ich mir in Russland keinen dahergelaufenen Spinner angelacht, weil die Sache zwischen dem Norweger und mir mittlerweile etwas Ernstes war. Damals, als die Fronten alles andere als geklärt gewesen waren, hatte es mir ja schon unglaublich leid getan, den jungen Mann derart gekränkt zu sehen, auch wenn ich nach wie vor der festen Überzeugung war, dass ich nichts Falsches getan hatte. Nur spielte das gerade absolut keine Rolle. Was ich damit eigentlich sagen wollte war, dass ich es mir vermutlich nicht verzeihen könnte, den jungen Mann gleich ein weiteres Mal auf diese Art und Weise zu verletzen, nur weil ich für ein paar Tage nicht auf Sex verzichten wollte. Gut, hatte ja keiner ahnen können, dass es über den Monat hinaus auch noch eine Weile dauern würde, bis wir einander wieder körperlich näherkommen konnten, ohne, dass mir wegen der Schmerzen prompt die Lust verging, aber bei Iljahs Befreiung war das wohl ein kalkulierbares Risiko gewesen, an das ich nicht im Entferntesten gedacht hatte. Schließlich war es höchst unwahrscheinlich, dass man unverletzt blieb, sobald man sich dazu entschied, sich ins Gefecht zu stürzen. Einem verfeindeten Kartell den Kampf anzusagen, aber selbst wenn ich mir vorher darüber im Klaren gewesen wäre, hätte ich die Finger von der russischen Männerwelt gelassen. Einfach... weil ich mit keinem anderen Mann mehr schlafen wollte, als mit Tauren. Und da konnte ich dann auch gerne mal etwas länger warten, ich wusste ja, womit ich am Ende der Durststrecke belohnt werden würde. Fürs Erste verbannte ich die Gedanken daran aber konsequent aus meinem Oberstübchen und konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt, wo bis auf ein paar Küsse und Kuscheleinheiten heute bedauerlicherweise nicht mehr viel passieren würde. Zum einen eben wegen dem körperlichen Aspekt, zum anderen waren wir beide auch einfach ziemlich platt. Als Tauren schon bald zu mir unter die Decke gekrabbelt kam, schmiegte ich mich sehnsüchtig an seinen Oberkörper und lehnte meinen Kopf gegen seine Brust, wo ich für einen Moment schließlich die Augen schloss. Seinen Geruch einatmete, der mir ebenfalls wahnsinnig gefehlt hatte und als ich die Lider wieder aufschlug, lächelte ich noch ein Stückchen breiter, als ich das sowieso schon tat. Im Folgenden lauschte ich den Worten des Norwegers und schon bald erhellte ein Grinsen meine Gesichtszüge. Tauren schien mir also bereits alles wirklich Wichtige mitgeteilt zu haben, einzig und alleine seine Ausflüge ins Drogenlabor hatte er mir bis jetzt vorenthalten. Schlimm fand ich das jetzt nicht, denn ich wusste ja, dass er Rauschgift gegenüber eine ganz eigene, etwas speziellere Meinung hatte. Ich machte mir also keine Sorgen, dass er wegen dem Kontakt zu Meth genauso abrutschen würde, wie es der komische Engländer getan hatte und demnach nahm ich diese Information auch nur mit einem leichten Nicken des Kopfes zur Kenntnis. "Hört sich ja wahnsinnig spannend an.", murmelte ich grinsend vor mich hin und die Ironie in meiner Stimme war kaum zu überhören. Klar, Chemie war meiner Meinung nach alles andere als langweilig, aber definitiv absolut uninteressant, wenn man das sich angeeignete Wissen überhaupt nicht nutzte. Ich konnte also durchaus nachvollziehen, warum der Norweger diese Information unter der Kategorie eigentlich nicht viel abtat. Ich nickte nur als Zeichen der Kenntnisnahme und das Grinsen wich mir prompt aus dem Gesicht, als das Rederecht an mich übertragen wurde. Es nun an mir lag, von den vergangenen Wochen zu berichten. Grundsätzlich hatte ich meinem Freund ja bereits die ein oder andere Information zukommen lassen, aber für Vieles war einfach keine Zeit gewesen, ihm das schnellstmöglich über das Telefon zu erklären, weshalb ich tatsächlich etwas mehr zu berichten hatte. "Ich... weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, wie viel ich dir jetzt eigentlich schon erzählt hatte. Also fange ich am besten mal ganz von vorne an. Iljah hat sich - wie sollte es auch anders sein - scheinbar in diese komische Buchhalterin verliebt, die für Hunter die Zahlen des Autohauses schönen soll. Sie heißt Irina und hat von Anfang ein ein ziemlich falsches Spiel mit ihm gespielt. Logischerweise gibt es auch in Russland viele Clans und Kartelle und irgendwie... hat sie zu einem davon gehört, sollte wohl Informationen aus meinem Bruder herausquetschen und ihn letztlich dann auch abmurksen.", fing ich also an, leise erst mal die absoluten Grundlagen der ganzen Krise hier zu benennen. "Das hat Gott sei Dank nur nicht geklappt und... keine Ahnung. Dann war Iljah tagelang nicht zu erreichen gewesen und plötzlich kam ein Anruf von einem seiner Männer. Ich hab mir echt schon das Schlimmste ausgemalt und tja, wirklich beruhigend war die Nachricht, dass er entführt worden war, ehrlich gesagt nicht. Also bin ich zu Hunter und wir sind dann gemeinsam nach Russland. Irina schien da entscheidende Hinweise zu haben, wo sie meinen Bruder gefangen halten und dann sind wir in einer Nacht und Nebel Aktion dann diese blöde Villa gestürmt.", fuhr ich fort, indem ich all die Vorkommnisse etwas kompakter zusammenfasste. Die kleinsten Details musste ich jetzt wirklich nicht ansprechen, weil sie für den Verlauf der Story absolut unerheblich waren und ich sparte an der Stelle lieber Zeit. "Da ist dann auch der Köter über mich hergefallen und es war echt verhältnismäßig knapp mit Iljahs Leben. Dann sind wir Zuhause und er hat sich gerade mal einen Tag oder zwei von dem Ganzen erholt und dann... dann liegt dieses Miststück einfach... bei ihm im Bett. Ich hab gedacht, ich fall vom Glauben ab." Ich unterstrich, wie unglaublich ich das alles fand, indem ich mit der Hand des verletzten Arms eine wegwerfende Bewegung machte, die mich postwendend das Gesicht verziehen ließ. Mit der anderen Hand hatte ich allerdings schon längst wieder nach den Fingern des jungen Mannes neben mir gegriffen, die zärtlich über meine Schulter strich, um nachdenklich an ihnen herumzunesteln. Mich damit etwas abzulenken, weil mir bei dem Gedanken an die Schwarzhaarige direkt schon wieder die Halsschlagader anzuschwellen drohte. Ich konnte einfach nicht nachvollziehen, warum und wieso Iljah sie weiterhin bei sich behalten wollte, wo sie ihm doch nichts als eine Menge Schmerzen bereitet hatte.
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Ja, genau so, wie es sich angehört hatte, war es auch gewesen. Die zwei Abende im Labor kamen ganz bestimmt nicht auf meine Liste mit Dingen, die ich unbedingt nochmal machen musste, weil sie schön waren. Aber ich bereute es trotzdem nicht dort gewesen zu sein, weil Sabin einfach einer der wenigen Menschen in meinem direkten Umfeld war, mit dem man sich echt normal und auch nett unterhalten konnte. Der noch sowas wie Menschlichkeit zwischen all den Verbrechen besaß und im Grunde genommen sogar genau deswegen mit hier auf Kuba war. Ich war auch was seinen Ausstieg aus der italienischen Mafia damals anging neugierig gewesen und hatte einfach mal etwas nachgehakt, weil es nicht so gewirkt hatte, als hätte er Probleme darüber zu reden. An der Stelle, wo seine kleine Familie dann hatte dran glauben müssen, setzte ich allerdings gerne einen Cut, weil der Gedanke daran allein schon wehtat. Ich wollte seine Vergangenheit wirklich nicht gegen meine tauschen, obwohl auch meine Vorgeschichte alles andere als gemütlich war. Jedenfalls hatte es gut getan, sich mit ihm zu unterhalten und das war am Ende sicher auch der Grund dafür, warum ich noch ein zweites Mal hingegangen war. Einfach der netten Unterhaltung wegen. Ich hatte mich auch flüchtig nach Richard erkundigt, weil ich seit unserer Versöhnung nichts mehr von ihm gehört hatte und es schien ihm soweit gut zu gehen. Zumindest bis jetzt schien ich die Entscheidung, ihm verziehen zu haben, also nicht bereuen zu müssen. Ich glaubte ohnehin nicht daran, dass wir beide noch sowas wie richtig dicke Freunde wurden, weil uns dazu wohl einfach ein bisschen der Bezug zueinander fehlte, aber es war trotzdem schön, dass er jetzt auf dem richtigen Weg zu sein schien. Ich freute mich gerne für andere Menschen. Lange Rede, kurzer Sinn - es war ganz bestimmt interessanter nun der Russin dabei zuzuhören, wie sie mir von ihrem Aufenthalt in Russland berichtete, als weiter mit ihr über Sabin und seine Drogen zu reden. Ich nickte leicht, als sie meinte noch einmal ganz von vorne anzufangen. War nicht verkehrt, weil selbst wenn sie sich deswegen irgendwo wiederholen sollte, dann alles in der richtigen Reihenfolge war und ich nichts durcheinander schmiss. Ich wendete den Blick zu keiner Sekunde von ihrem Gesicht ab, während ich ihr mein Gehör schenkte. Es dauerte nicht lange, bis sie auf Irina zu sprechen kam, die ich ja auch schon kennen gelernt hatte, als ich mit in Moskau gewesen war. Sie erläuterte mir die Umstände recht unmissverständlich und ich konnte ihr gut folgen, aber meine Augenbrauen schossen doch ziemlich plötzlich in die Höhe, als meine Freundin mir sagte, dass die zierliche, nicht besonders groß gewachsene Frau scheinbar ernsthaft versucht hatte, ihrem Bruder den Garaus zu machen. Ich konnte es mir einfach nur schwer vorstellen, weil sie gerade zu Beginn meines Besuchs in dem kleinen, separaten Büro eher schüchtern gewirkt hatte. So endlos unsicher, als hätte sie Angst ich wäre derjenige, der ihr jeden Moment die Kehle durchschlitzen würde, wenn sie auch nur einen winzigen Fehler machte. Dass ausgerechnet sie nun der Ursprung dieses ganzen Übels war, schien mir echt grotesk. Dass Iljah sich scheinbar in sie verliebt hatte... weniger. Ich meine, ich selbst hatte offenbar kein Faible für vermeintliche Lämmchen - sonst hätte ich mir nicht Vahagn als charakterliches Gegenteil davon ausgesucht, schätze ich -, aber zumindest optisch hätte ich sie bestimmt auch nicht von der Bettkante geschubst, als ich noch single war. Wenn er dann noch irgendwas an ihrem Charakter fand, das er mochte... tja, ja, dann war der Zug schnell mal abgefahren. Dass Liebe nicht selten Probleme machte hatte ich mit seiner Schwester am eigenen Leib erfahren und als Kopf einer kriminellen Organisation musste man sicher immer doppelt auf der Hut sein, was zwischenmenschliche Beziehungen anging - nur machte Liebe halt in 99,99% aller Fälle sehr blind, wie offenbar auch in diesem Fall. Es wurde halt auch nicht weniger dramatisch, je länger Vahagn mir vom weiteren Verlauf der Dinge erzählte. Mit Sicherheit war es nicht ganz normal mit einer Person, die einen kürzlich umzubringen versucht hatte, dann einfach gemütlich halbtot im Bett rumzuliegen. Ich meine, theoretisch hätte sie den gescheiterten Versuch dann problemlos zu Ende bringen und aus dem Fenster hüpfen können. Es war wirklich schräg, weshalb ich schließlich sichtbar irritiert den Kopf schüttelte und mir einen Moment lang mit der freien Hand an die Stirn fasste, den Blick auf die Bettdecke gerichtet. Erst einige Sekunden später ließ ich die Hand neben mir zurück auf die Bettdecke fallen und schüttelte abermals den Kopf. "Also ich kann noch irgendwie nachvollziehen, dass Irina es mit ihrem Gesicht geschafft hat, diese scheinbar ziemlich gutes Masche überhaupt so durchzuziehen...", fing ich hörbar nachdenklich damit an, meinen Senf dazu abzugeben. "...aber ich glaube nicht mal ich wäre so wahnsinnig dich wieder in mein Bett zu lassen, wenn du versucht hättest mich umzubringen und ich mich noch nicht wehren könnte. Ich meine, damit nimmt er seine eigene Hinrichtung theoretisch ja quasi freiwillig hin... das ist echt schräg.", stellte ich noch einmal hörbar verständnislos fest, bevor ich meinen Blick wieder anhob und in Vahagns Augen legte. Mir war wohl quer übers Gesicht geschrieben, dass ich diese Sache nicht weniger merkwürdig fand, als sie selbst. Allerdings kam mir dann bald schon der nächste Gedanke dazu - warum hatte Irina sich überhaupt noch zu ihm ins Bett legen können? Normalerweise legte Hunter Leute, die er nicht mehr brauchte, ziemlich gnadenlos um. Wäre ich nutzlos für ihn, würde ich längst mit auf dieser roten Liste stehen. "Moment, warte... er hat sie aber doch noch umgelegt, oder? Hunter, meine ich.", hakte ich etwas wirr nach und kniff fragend die Augen zusammen. Im Grunde war es schon möglich, dass er Irina noch für irgendwas gebraucht hatte und sie deswegen eben noch ein paar Tage gelebt hatte, denn offensichtlich hatte sich das Ausmerzen des Kartells ja lange hingezogen, weil die Mannschaft sonst früher zurück nach Kuba gekommen wäre. Aber lebte sie jetzt immer noch?
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„Niemand, der noch halbwegs bei Sinnen ist, würde das.“, stellte ich grummelnd fest, dass man schon wirklich dumm sein musste, um sich freiwillig schwerverletzt seinem einstigen Angreifer aufzuliefern. Ihn dann auch noch in Schutz zu nehmen, nachdem man beinahe draufgegangen war, war in meinen Augen allerdings die absolute Krönung. Iljah hatte schließlich nicht einmal im Ansatz Anstalten gemacht, Irina für diese Aktion irgendwie zu bestrafen. Ob er das im Nachhinein noch tun würde oder kurz nach unserer Abreise bereits getan hat, konnte ich natürlich nicht wissen – geredet hatten wir seither in jedem Fall noch nicht. Nachdem Hunter und ich der Serbin einen ordentlichen Denkzettel verpasst hatten, war ich meinem Bruder bewusst aus dem Weg gegangen. Nicht, weil ich Angst davor hatte, er würde mich mit dem Zwischenfall konfrontieren und zur Rede stellen – schließlich stand ich in nahezu hundert Prozent der Fälle hinter meinem Handeln –, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich sämtliche Kraft gut gebrauchen können und war nicht gewillt gewesen, sie für einen Streit mit dem älteren Russen zu verprassen. Natürlich war Iljah schon sehr bald auf mich zugekommen und hatte mit mir sprechen wollen, weil die Wunde auf Irinas Dekolleté nun mal ganz einfach nicht zu übersehen war. Sie beim Ausfragen nach dem Hergang sicher auch meinen Namen hatte fallen lassen, aber ich wimmelte den noch immer nicht wirklich fitten jungen bloß forsch Mann ab. Ließ ihn wissen, dass ich mit der Verletzung als solches nichts zu tun hatte – was ja auch der Wahrheit entsprach – und ich mich für ein paar böse Worte Irina gegenüber definitiv nicht rechtfertigen musste. Schließlich hatte ich die mit Abstand besten Gründe dafür, sie zu hassen, auch wenn sie mir in gewisser Hinsicht beim Stürmen der Villa das Leben gerettet hatte. Genauer betrachtet war sie aber auch erst der Grund dafür, warum mich der Köter überhaupt erst hatte anfallen können. Es erschloss sich mir bis heute nicht, warum sie lediglich einen der Hunde in Ketten gelegt hatte, während der andere absolute Narrenfreiheit besaß. Sicher wäre es auch möglich gewesen, dass die Männer, die zu dem Zeitpunkt zu unserer Verfolgung ansetzten, ihre tierischen Gefährten wieder losmachten und auf uns hetzten, aber faktisch war mir jeder noch so vage Grund, Irina zu verabscheuen, nur recht. Ich schüttelte also ebenfalls nur verständnislos mit dem Kopf und zuckte mit den schmalen Schultern. „Für mich ergibt das einfach alles keinen Sinn. Iljah war in Hinsicht auf Beziehungen… so wie Hunter und ich. Vielleicht unterbewusst nicht grundsätzlich abgeneigt, aber nie wirklich auf der Suche und überaus kritisch. Keine Ahnung also, was jetzt plötzlich in ihn gefahren ist, dass er all seine alten Werte und Prinzipien einfach über Bord schmeißt. Ich… verstehe das einfach nicht.“, redete ich nachdenklich weiter vor mich hin und brachte damit auf den Punkt, dass mein Bruder mit zwischenmenschlichen Beziehungen genauso wenig anzufangen wusste, wie ich einst. Er war von uns beiden zwar nach wie vor derjenige, der mehr Empathie für seine Mitmenschen aufbringen konnte, aber er kannte seinen Platz in der Gesellschaft und wusste, dass es nur wenig Sinn machte, sich in seiner Position irgendwen anzulachen. Im Grunde genommen war es also nur wenig überraschend, dass Irina ihre Chance genutzt hatte, Iljah um den Finger zu wickeln, damit sie ihn dann kaltblütig abstechen konnte. Mit dem Tod meines Bruders hätte sie sicher einer ganzen Menge Leute einen riesigen Gefallen getan, brachte die Bewegung im kriminellen Metier grundsätzlich Feinde mit sich. Glücklicherweise war das Ganze ja aber noch zu Gunsten des Russen ausgegangen, nur schien ihm diese Nahtoderfahrung nicht einmal im Ansatz dazu bewegt zu haben, der Serbin ihrer gerechten Strafen zuzuführen. Wo wir dann auch bei der berechtigten Frage angekommen wären, wie es denn eigentlich sein konnte, dass Irina überhaupt noch die Möglichkeit dazu bekommen hatte, sich zu Iljahs ins Bett zu flüchten. Denn eigentlich – und das war meines Erachtens nach auch die einzige vernünftige Entscheidung – dürfte sie nach meinen Prinzipien gar nicht mehr atmen. Nach denen des Amerikaners noch viel weniger und genau an der Stelle drückte bei mir persönlich der Schuh. Ich schnaubte leise und rollte unterbewusst etwas mit den Augen, um die Fassungslosigkeit über die nachfolgende Erklärung widerzuspiegeln. Ich fühlte mich ehrlich gesagt richtig dämlich dabei, Tauren jetzt zu erläutern, wieso Irina noch lebte, weil es einfach lachhaft war, dass mein Bruder über meinen Kopf hinweg mit zum Teil meinem Geld für das Miststück bezahlte. Es kratzte auch einfach ganz gewaltig an meinem Ego, wo ich mir doch in der Regel von Niemanden etwas sagen ließ. Rundum war ich mit dem Umstand einfach total unzufrieden und das merkte man mir auch an, weil sich meine Atmung etwas beschleunigte, ich allgemein unruhig wurde. „Nein.“, beantwortete ich die Frage meines Freundes erst einmal sehr knapp. „Das ist ja das Beste an der ganzen Sache. Hunter... Irina stand schon auf seiner Abschussliste. Auf meiner selbstredend auch.“ Gut, ich legte zwar nicht jeden Tag wahllos Leute um, wäre aber, wenn es darauf ankäme, durchaus in der Lage dazu. „Aber dieser dumme Idiot… hat sich von meinem Bruder einfach bestechen lassen. Mit meinem Geld… und meinen Dienstleistungen.“, redete ich vor Wut fast schon etwas wirr vor mich hin und fing dabei an, wild mit den Händen zu gestikulieren. Dass der verletzte Arm direkt wieder mit einer unangenehmen Welle aus Schmerzen streikte, tat ich mit dem Verziehen meines Gesichts und einem weiteren, hörbar angesäuerten Schnauben ab. „Und ich kann sie nicht einfach kaltmachen. Iljah würde nie wieder ein Wort mit mir reden.“, fügte ich etwas ruhiger, aber nicht weniger aufgewühlt hinzu. Das war einfach ein sehr klassischer Fall von Zwickmühle, in der ich gerade steckte. Ich wusste, dass Irina meinem Bruder nicht guttat und er ohne sie besser dran wäre, aber ich besaß nicht die Dreistigkeit, dem jungen Mann etwas wegzunehmen, an dem er augenscheinlich Gefallen gefunden hatte – auch wenn ich es noch so wenig nachvollziehen konnte. Es war irgendwie schon seltsam, mit Tauren über diese Problematik zu reden. Über das Thema allgemein, ging doch meine Familie im Normalfall wirklich Niemanden etwas an. Aber… es tat ehrlich gesagt auch gut, es einfach mal rauszulassen, auch wenn die Angst, der Norweger würde mir irgendetwas davon in der Zukunft negativ anlasten können, nach wie vor bestand. Dass das jemals weggehen würde, wagte ich allerdings zu bezweifeln.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Da hatte sie wohl Recht, ja. Eigentlich sollte einem der gesunde Menschenverstand - gut okay, das war bei uns allen so eine Sache, über die sich streiten ließ - oder doch zumindest der blanke Überlebensinstinkt sagen, dass man von seinem einstigen Angreifer so weit wegrücken sollte, wie einem nur möglich war. Wahrscheinlich konnte man die ganze Sache in diesem Fall gar nicht verstehen, wenn man weder Iljah, noch Irina selbst war. Ich meine, ich hielt es nicht per se für vollkommen unmöglich, dass es trotzdem irgendwas an der Schwarzhaarigen gab, das all die Schmerzen wert war. Ganz einfach deswegen, weil man den Menschen immer nur vor den Kopf gucken konnte und ich die auf den zweiten Blick hinterlistige, junge Frau nicht kannte. Vielleicht zeigte sie nach dem dritten Blick dann wieder ein ganz anderes Gesicht. Ich hatte ja nicht einmal viele Worte mit ihr gewechselt, als es um Hunters Geldwäsche und ihren damit verbundenen Job gegangen war. Das Einzige, das ich wirklich über sie wusste, war, dass sie ihre Arbeit damals korrekt gemacht hatte und das wars. Vielleicht gab es wirklich irgendwas an ihr, das trotzdem liebenswert war, was man so als Außenstehender schlichtweg nicht wissen konnte. Allerdings machte das die Sache dann trotzdem noch immer nicht weniger schräg und es ließ sich gut mit Cosma und Hunter vergleichen. Bei den beiden verstand schließlich auch kein Schwein, was es eigentlich war, das sie zusammenhielt und was sie aneinander fanden, nachdem sie sich vorher nicht selten gern gegenseitig hatten umbringen wollen. Bei letzteren beiden war es aber halt nicht wirklich zu einem Mordversuch gekommen... zumindest meines Wissens nach nicht. Wahrscheinlich wollte ich aber auch gar nicht wissen, was hinter dem hohen Tor der Villa manchmal so los war, wenn die beiden ihre fünf Minuten hatten. Mal ganz davon abgesehen, dass mich weder das, noch die Sache zwischen Iljah und Irina irgendwas anging. "Ist wohl ähnlich wie mit Hunter und Cosma. Das versteht jetzt keiner und wird auch nie einer verstehen.", ließ ich die Brünette mit einem Seufzen und einem schwachen Schulterzucken an meinen Gedanken teilhaben. Was diese Sache anging würden wir wahrscheinlich nie hinter irgendwelche Gründe steigen, solange sie uns nicht wortwörtlich auf den Tisch geknallt wurden. Aber das sollte gar nicht der wichtiges Punkt in dieser Angelegenheit bleiben. Meine Gesichtszüge begannen in der offensichtlichen Fassungslosigkeit ihr Eigenleben zu führen, was sehr offensichtlich machte, dass ich die neu gewonnene Information erstmal einen Augenblick lang verarbeiten musste. Ich meine, dass Hunter an und für sich in gewissen Situationen bestechlich war, das war jetzt nicht unbedingt eine Neuheit für mich. Normalerweise fiel Verrat an ihm - der zwangsläufig damit zusammenhing, dass Irina seinen Geschäftspartner hatte kaltmachen wollen, unter dessen Hand eben auch die Geschäfte des Amerikaners liefen - aber absolut nicht innerhalb die Verhandlungsgrenze von Bestechung. Es gab im Grunde nichts, was Hunter wichtiger war, als bedingungslose Loyalität und es passte dementsprechend wirklich nicht in seine normalen Verhaltensmuster, dass er die Schwarzhaarige nicht ungelegt hatte. Ich konnte es mir ehrlich gesagt nicht viel anders erklären, als dass er seine Einnahmen aus Russland nicht verlieren wollte, weil die inzwischen eben doch relativ hoch waren. Anfangs hatte er sich noch argwöhnisch an die Sache herangetastet, wie er es eben immer tat, aber es hatte nie Probleme gegeben und so war die Summe der Geldwäsche eben doch stetig höher geworden. Er verdiente gut damit und vielleicht wollte er die russischen Blüten, die er schon hatte - ein gewisser Teil wurde ja zwangsweise immer vor dem Überflug vorgedruckt -, einfach nicht umsonst gemacht haben. Die Herstellung war nicht vollkommen kostenlos und in manchen Teilen aufwendig, es wäre schon ärgerlich gewesen - aber eigentlich nicht unverzichtbar. Die Masse an Koks, die ich gestern im Lager gesehen hatte, würde das bisschen vorgedruckte Blüten schon weit übersteigen, wahrscheinlich auch noch abzüglich der ganzen verbratenen Munition und seinen vorübergehenden Ausfällen zwecks verwundeter Männer in seinen Reihen. Und zu allem Übel wälzten die beiden Männer diese Sache auch noch auf Vahagns Rücken um, als hätte sie mit dieser ganzen Scheiße auch nur irgendwas zu tun, wo sie doch von Anfang an nicht mehr einbezogen worden war, als nötig war... das war echt noch die Krönung. "Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.", stellte ich mit sichtbar verständnislosem Gesichtsausdruck und einem leichten Kopfschütteln fest. Begann dann erneut der Russin leicht über den Oberarm zu streicheln, nachdem ich des Nachdenkens wegen kurz ausgesetzt hatte. "Ich meine, normalerweise liegt sowas echt außerhalb seiner Toleranzgrenze für Bestechung... mal ganz davon abgesehen, dass es echt nicht okay ist, diese Scheiße auf dich abzuladen. Unfassbar.", redete ich nach ein paar schweigsamen Sekunden ziemlich intensiv nachdenkend und deshalb etwas abwesend weiter. Zwar hatte Vahagn inzwischen sicherlich auch wieder ein paar andere Quellen, mit denen sie Geld verdienen konnte, aber es war dennoch kein bisschen fair. Dass es auch nicht in Frage kam Irina abzumurksen, war leider naheliegend. Ich war selbst was Mord und Totschlag anging sehr abgebrüht, wenn es drauf ankam, aber bei Familie und Liebe hörte auch das ganz schnell auf. Da musste man wohl oder übel eine Grenze ziehen, die man besser nicht überschritt, wenn man geliebte Mitmenschen nicht verlieren wollte. Die Freundin ihres Bruders - ich nahm jetzt einfach mal an, dass die beiden sowas wie zusammen waren oder zumindest irgendwas in dieser Richtung, wenn sie sich liebten - umzulegen gehörte eindeutig zu den Dingen, die man für ein mehr oder weniger gesundes Verhältnis zu ihm nicht tun sollte. Es blieb wohl zu hoffen, dass Iljah entweder noch mit ihr auf die Schnauze fliegen würde - ohne zu sterben, auch wenn ich ihn bisher nicht gerade lieb gewonnen hatte -, oder sich tatsächlich rausstellte, dass sie ihm irgendwie gut tat. Auf welche unerklärliche Art und Weise auch immer. "Wie genau sieht der Deal denn aus?", hakte ich aber doch weiter nach, um besser im Bild zu sein, hatte Vahagn das doch nur mit sehr groben Worten angeschnitten.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ja, die Beziehung zwischen Cosma und Hunter war da ein doch sehr treffender Vergleich. Niemand wusste so genau, was jetzt eigentlich der Nährboden ihrer Liebe war und wie sie es schafften, einander noch nicht gegenseitig umgebracht zu haben. Auch wenn ich die beiden heißblütigen Streithähne nicht besonders gut kannte, war es mehr als offensichtlich, dass sie nicht zusammen passten. So rein oberflächlich gesehen zumindest nicht. Vielleicht teilten sie sich insgeheim ja die gleichen Hobbys oder hatten andere gemeinsame Interessen - ihre Mitmenschen drangsalieren beispielsweise. Aber das würde immer noch nicht erklären, wie sie es tagein tagaus zusammen aushielten, schließlich teilten sie sich ja ein Haus. Die Villa war zwar meines Erachtens nach groß genug, um sich im Ernstfall für ein paar Stunden aus dem Weg zu gehen, aber weder der Amerikaner, noch der rothaarige kleine Teufel waren bekannt dafür, Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Demnach war die Größe des Anwesens, das sie bewohnten, also völlig uninteressant und meine Skepsis über das Funktionieren des Zusammenwohnens berechtigt. Aber gut, wie auch immer. Jedenfalls konnte ich Tauren in dem Punkt nur zustimmen, was ich mit einem entsprechenden Nicken dann auch tat. Anschließend seufzte ich leise und versank ein wenig in den Armen meines Freundes, weil ich mir dadurch wieder etwas mehr innere Ruhe erhoffte. Das Ergebnis war ernüchternd, in Anbetracht der Tatsache, dass mich der Deal zwischen Iljah und Hunter immer noch so fuchste aber nicht verwunderlich. Da war es wenig förderlich, wenn Tauren mich in meinem Recht, mich darüber aufregen zu dürfen, bestärkte. Dadurch spornte er mich schließlich nur noch mehr an, mich mehr und mehr in Rage zu reden. Und je emotionaler ich wurde - Wut war schließlich auch nicht mehr als eine Emotion -, desto redseliger wurde ich, weil es so viel leichter war, seinem Mund freien Lauf zu lassen, anstatt über das Gesagte vorher noch einmal nachzudenken. Das sah man an meinen darauffolgenden Worten wirklich beispielhaft, denn ich bereute sie quasi noch im selben Moment, wie ich sie ausgesprochen hatte. "Ich schätze, ich... hätte einfach hierbleiben sollen. Hunter hätte sicher nicht mitgekriegt, dass drüben in Russland etwas nicht stimmt. Und wenn, wäre er zu spät gekommen. Hätte sicher uns Allen einiges erspart.", murmelte ich vor mich hin und hätte mich für dieses Gedankenspiel binnen Sekunden glatt ohrfeigen können. Ich schämte mich dafür, so zu denken, aber faktisch wäre es für mich und auch für alle anderen Beteiligten leichter gewesen, den Tod meines Bruders zu verkraften oder zu kompensieren, als Irinas Existenz zu akzeptieren. Wäre Iljah in den Räumlichkeiten der Sorokins draufgegangen und ich hätte herausgefunden, dass die Serbin in die ganze Sache involviert gewesen war, dann wäre mir absolut Niemand mehr im Weg gestanden, der mich noch davon hätte abhalten können, sie einfach umzulegen. Rache zu üben, die mir langfristig vielleicht nicht wirklich etwas brachte, aber zumindest den anfänglichen Schmerz über den Verlust meines letzten lebenden Familienmitglieds linderte. Daraus resultierend müsste sich Hunter auch keine Gedanken mehr über eine Verräterin in seinen Reihen machen, auch wenn das mit Abstand das Letzte war, was ich als Vorteil einer toten Irina anführen würde. Die Bisswunden wären mir jedenfalls auch erspart geblieben. Mit ihnen der Krankenhausaufenthalt und Hunter sowie der Großteil seiner und meiner Männer wären ebenfalls unverletzt geblieben. Vorausgesetzt, der Amerikaner hätte nicht nachträglich noch ein paar seiner Jungs auf die Sorokins angesetzt natürlich. Einfach, um ihnen seine Dominanz zu zeigen oder so. Andererseits würde mich Iljahs Tod mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr verbittert werden lassen, als ich das ohnehin schon war, also vergaß ich besser ganz schnell wieder, wie es hätte sein oder werden können, wenn ich meinen Bruder einfach seinem Schicksal überlassen hätte. Stattdessen schüttelte ich irritiert über meine eigenen Gedankengänge ganz leicht den Kopf, ehe ich den Blick anhob, um ihn wieder in den von Tauren zu legen. Seine Frage, wie der Deal denn nun konkret aussah, ließ mich ihn kurzzeitig nachdenklich ansehen. Ob ich mir wirklich die Blöße geben wollte? Eigentlich nicht, behielt ich Geschäftliches doch in der Regel sowieso für mich. Andererseits würde er auf Umwegen ohnehin davon erfahren, weil er inzwischen zu Hunters engerem Kreis gehörte und dadurch an mehr Informationen gelangte, als mir das in mancherlei Hinsicht lieb war. Es war daher nur wahrscheinlich, dass er früher oder später sowieso im Bild war und da konnte er das Ganze auch von mir erfahren. "Zum einen wäscht Iljah Hunters Blüten ein Jahr lang für Umme und drückt einhundert Prozent an ihn an. So wie es quasi aus der Presse kommt, fließt es also in Hunters Taschen und zu allem Überfluss darf ich ihm das Falschgeld auch noch vollkommen kostenlos nach Russland fliegen. Keine Transportkosten, kein Geld für den Treibstoff, nichts...", klärte ich den Blonden neben mir also schnaubend auf, mit wie viel Geld mein lieber Bruder und ich eigentlich für das wertlose Leben seiner tollen Freundin zahlten, schüttelte dabei verständnislos den Kopf. Aber gut, was brachte es mir, mich jetzt noch weiter darüber aufzuregen? Ändern konnte ich es ja doch nicht, der Deal stand schließlich. Ganz gleich, ob das schwarzhaarige Miststück jetzt noch lebte oder nicht.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #