Wusste Iljah das gar nicht? Wahrscheinlich war es kein Wunder, dass er seine jüngere Schwester nur wenig bis gar nicht wahrgenommen hatte, während wir ihn aus dem Keller befreit hatten. Ansprechbar war er zu diesem Zeitpunkt schließlich nicht und auch seine Augen hatten sich nur mehr schlecht als recht geöffnet. Hatten zu diesem Zeitpunkt eben auch mich angesehen und nicht Vahagn, die erst kurz darauf in den Raum geeilt war. Aus diesem Blickwinkel betrachtet war es also nur nachvollziehbar, dass er die Brünette nicht bewusst auf dem Schirm hatte und sie allenfalls unterbewusst wahrgenommen hatte. Ich nickte langsam. "Ja... sie ist auch mit hergeflogen, als sie das erfahren hat... einer der Hunde hat sie erwischt, aber das wird wieder..", bestätigte ich dem Tätowierten mit ein paar gemurmelten Worten das, was er ohnehin schon vorher von mir erfahren hatte. Dass auch sie mich gerne in der Mitte durchbrechen würde war dabei in meinen Augen erst einmal überflüssig zu erwähnen. Vahagn hatte noch mehr als genug Zeit mit ihrem älteren Bruder, um ihm zu sagen, dass er einen wirklich unguten Geschmack hatte, was Frauen anbelangte. Optisch zwar eher nicht - ohne eingebildet klingen zu wollen -, aber was den Schutthaufen von Seele in meinem Körper anbelangte könnte ich ihr nicht einmal widersprechen. Es schien mir an dieser Stelle hingegen richtig zu sein, dem jungen Mann neben mir zumindest ganz grob mitzuteilen, dass es seiner Schwester so weit ganz gut ging. Natürlich war es nicht schön und sicher sehr schmerzhaft für sie, nun für ein paar Wochen unschöne Hundebisse mit sich herumschleppen zu müssen, aber sie würde das ohne jeden Zweifel überleben. Das war, was zählte. Auch, wenn ich wirklich Mitleid mit den Untergebenen hier hatte, sollte die junge Frau dank der Verletzungen nur noch anstrengender werden. Wobei sie vielleicht auch nur zu mir so scheußlich war, weil sie gute Gründe dazu hatte. Womöglich tickte sie im Alltag ganz anders, auch wenn ich sie mir irgendwie nur sehr schwer als ruhigen Menschen vorstellen konnte. Rausfinden würde ich das aber wohl eher nicht mehr, zumindest wenn es nach Hunter ging. Meinen Körper durchfuhr ebenfalls ein kleiner Ruck, als Iljah nach meinem Geständnis doch tatsächlich drauf und dran war sich aufrichten zu wollen. Zwar schaffte er es damit nicht so weit, wie ihm lieb gewesen war, aber er versetzte mir damit unweigerlich einen kleinen Schock. Er sollte sich doch nicht bewegen. Wie man sehr gut sehen konnte, tat ihm das nämlich unheimlich weh und das führte unweigerlich dazu, dass ich mich noch schlechter fühlte. Falls das denn überhaupt möglich war, weil ich nicht wirklich glaubte, dass mein schlechtes Gewissen in diesem Augenblick noch zu toppen war. Ich bedachte den Tätowierten mit einem sehr besorgten Blick, zog die Augenbrauen etwas zusammen und nach oben. Die stummen Tränen einzudämmen schaffte ich aber nicht, als ich seinen darauffolgenden Worten lauschte. Sie klangen nicht weniger als absolut utopisch. Ich glaubte nur allzu gerne mit jeder Faser meines Körpers daran, dass Iljah mich nicht gehen lassen wollte. Dass er alles daran setzen würde mir die kaltblütigen Finger des Amerikaners zu ersparen und mich bei sich zu halten. Aber was sollte dieses Alles in seinem Zustand denn sein? Zwar war ich Hunter gestern noch einmal durch die Finger gerutscht, weil ich ihm ein Angebot gemacht hatte, dass er ungern ausschlagen wollte, aber ob das noch einmal funktionieren würde..? Es war nur der anstehende Profit, der ihn meine Hinrichtung noch einmal hatte verschieben lassen und ich zweifelte doch stark daran, dass das noch ein weiteres Mal funktionieren würde. Es war zwar nicht übersehen, dass er Geldscheinen nicht abgeneigt war, aber er schien eben auch sehr strenge Prinzipien zu verfolgen. Wieso sollte er die nun plötzlich für eine Person wie mich über Bord werfen? Dafür müsste der Schwerverletzte neben mir ihm schon wirklich unschlagbar gute Argumente liefern - oder zumindest schätzte ich die Lage eben genau so ein. Aussichtslos, nicht mehr zu kippen und ich war selbst daran schuld. Deshalb würde ich auch niemals von Iljah verlangen sich in diese Sache einzumischen. Nur glaubte ich eigentlich auch nicht, dass es viel bringen würde ihm das ausreden zu wollen. Ich kannte ihn als sehr entschlossenen Menschen, der kaum aufgab, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. "Nicht...", war das erste, das ich hauchdünn vor mich hinflüsterte und streckte meine zierlichen Finger dabei noch einmal vorsichtig nach seinem Gesicht aus. Die kurze Ermahnung bezog sich erstmal nur auf seine eindeutig ungünstige Bewegung, die er besser unterlassen sollte, um keine der Verletzungen wieder aufreißen zu lassen. Nur weil sie geflickt waren, waren sie noch lange nicht wieder in Ordnung. Vorsichtig streichelte ich vom Haaransatz vor seinem Ohr nach unten zu seinem leicht stoppeligen Kiefer, der nun für seine Verhältnisse schon etwas zu lang keinen Rasierer mehr gesehen hatte. Stattdessen war er von einem Bluterguss und einer leichten Schwellung durch Schläge befallen, also strich ich lieber vorsichtig über das auffällige Tattoo an seinem Hals, um die letzten Minuten noch auszukosten. "Ich glaube nicht, dass er... sich umstimmen lässt, Iljah. Er wollte das gestern schon...", murmelte ich recht undeutlich vor mich hin, während ich mit etwas abwesendem Blick die gestrige Situation Revue passieren ließ. Dabei rutschte mein Blick automatisch auf meine Finger ab und schließlich schüttelte ich kaum merklich den Kopf, bevor ich meine Finger von seiner Haut löste und mich aufrichtete. Wieder gut sichtbar die Mine verzog und leise aufstöhnte, als ich dazu ansetzte über den Schwarzhaarigen hinwegzukrabbeln - natürlich ohne ihn dabei zu berühren, wollte ich ihm doch nun wirklich keine weiteren Schmerzen zufügen. Dafür waren die brennenden Stiche in meiner Taille beinahe unerträglich, während ich mich zu seiner anderen Seite auf die Matratze sinken ließ. Zu ihm unter die Decke schlüpfte, als könnte sie mich vor dem tollwütigen Amerikaner schützen. "...wäre er nicht so von Geld besessen, würde ich schon gar nicht mehr atmen.", flüsterte ich vor mich hin und hätte mich am liebsten einfach an Iljahs Brust gekuschelt. Nur noch einmal, um den Rest der Welt erfolgreich auszublenden. Nur ging das nicht, also musste ich damit Vorlieb nehmen mich ihm mit dem Oberkörper zuzudrehen und meine Stirn sachte an seinen Oberarm zu lehnen, der vermeintlich in Ordnung war. Dabei streckte ich meine Finger langsam nach seiner Hand aus, um über seinen Handrücken zu streicheln.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Irina bestätigte mir kurzerhand das, was ich sowieso schon vermutet hatte und es fühlte sich an, als würde mein Kopf ganz automatisch auf diese Information hin nicken. Dass ich aber selbst eine so schwache Bewegung kaum mehr zustande brachte, ging wohl daraus hervor, dass ich die junge Frau nur schweigend ansah und sich ganz genau kein einziger Muskel in meinem Kopf oder anderswo in meinem Körper angesprochen fühlte, ihr ein Zeichen des Verständnisses zu geben. Ich musste also erneut auf Worte als Medium zurückgreifen, obwohl mir Sprechen momentan besonders schwerfiel. "Verstehe.", ächzte ich also bloß ein einziges, dünn gehauchtes Wort. Dann wanderten meine Augen wieder gen Zimmerdecke und ich versuchte mich fieberhaft daran zu erinnern, ob ich Vahagn im Keller der Villa nicht doch schon einmal zu Gesicht bekommen hatte. Wirklich wichtig war das im Endeffekt zwar nicht und sie war mir bestimmt nicht böse, wenn ich ihre Anwesenheit nicht sofort zur Kenntnis genommen hatte, aber es erschreckte mich doch schon ein bisschen, wie wenig aufnahmefähig ich zum Zeitpunkt meiner Befreiung gewesen sein musste. Dass ich mich ausschließlich an Irinas weichen Hände – die mich in Verbindung mit ein paar weinerlichen Worten besagter jungen Frau zur Besinnung ermahnten – und ihre Stimme erinnern konnte. Nicht aber an meine Schwester oder die Hunde, die sie verletzt hatten. Auch war ich mir sicher, seit längerem keine Schüsse mehr gehört zu haben und das, obwohl Irina erst vor kurzem angeschossen worden war. Ein paar Sekunden zogen ins Land, in denen ich die schlicht weiße Zimmerdecke anstarrte, mehr Zeit sollte ich dafür dann allerdings nicht haben. Denn die Schwarzhaarige zog schon kurz darauf wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich, indem sie mir ihre zierlichen Finger ans Gesicht legte und diese bis zu meinem Hals wandern ließ. Ich drehte daraufhin meinen Kopf, den ich zwangsläufig von ihr abgewendet hatte, um an die Decke zu sehen, wieder zurück, um Irina erneut anzusehen. Wieder versuchte ich ihr ein aufmunterndes Lächeln zukommen zu lassen. Sie machte sich Sorgen und das konnte ich verstehen. Ich an ihrer Stelle würde vermutlich genauso reagieren, wenn im Raum stand, dass man mir schon bald die Lichter ausknipsen würde. Aber ihre darauffolgende Aussage rief mir ins Gedächtnis, dass ich mich eigentlich kaum darum sorgen müssen würde, dass Hunter Irina nicht noch eine Chance einräumen, denn sie hatte eine Sache ganz wesentlich auf den Punkt getroffen: Der Amerikaner war profitgierig. Ich war mir deshalb zu nahezu einhundert Prozent sicher – der Rest der Rechnung hing irgendwo in dem durch Medikamenten hervorgerufenen Delirium –, dass sich mit mehr Geld noch der ein oder andere Umstand in seinem Verlauf abändern lassen würde. Zu sagen, dass wir – also Vahagn und ich – mit den liquiden Mitteln inzwischen wieder auf dem Stand von vor dem Anschlag auf unsere italienische Niederlassung waren wäre zwar übertrieben, aber ich war der Meinung, einen doch recht zuverlässigen Eindruck bei dem Choleriker hinterlassen zu haben. Sprach ich also das Thema Geld an und unterbreitete Hunter ein gutes Angebot, würde er dieses doch kaum ausschlagen – auch dann nicht, wenn wir eine Art Ratenzahlung vereinbaren müssen würden. Zwar traf mich natürlich eine gewisse Mitschuld an dem ganzen Mist hier, hätte mir doch auffallen müssen, dass mit Irina in gewisser Hinsicht etwas nicht stimmte, aber das änderte wiederum nichts daran, dass ich ein durchaus zahlungswilliger und vertrauenswürdiger Geschäftspartner war. Nur bezweifelte ich, dass ich den Wert dieser Misere aus der Portokasse zahlen können würde, ohne im Nachhinein das Geschäft doch noch aufgeben zu müssen, weil mich die Liebe – konnte man das denn inzwischen eigentlich so nennen? – zu Irina mein letztes Hab und Gut gekostet hatte. Das Leben der Schwarzhaarigen war mir zwar so Einiges wert, aber es brachte letztlich auch nichts, wenn wir beide dann am Hungertuch nagen müssen würden. Es war schon komisch. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte ich mir um das Thema Beziehungen nicht besonders viele Gedanken gemacht, philosophierte jetzt jedoch darüber, wie das Leben mit der Serbin an meiner Seite weiterlaufen würde. Ob das so gesund war? Und ob das gutgehen würde? Es rein theoretisch überhaupt gutgehen könnte? Schließlich hatten wir beide unsere Eigenheiten und zu sagen, dass wir uns gut ergänzten wäre auch eine sehr mutige Aussage, aber irgendwie interessierte mich das nicht die Bohne. Es störte mich auch nicht, dass Irina dem Ganzen eher verhalten gegenüberstand, weil ich nun mal einfach nachvollziehen konnte, dass sie sich ihre Überlebenschancen bei Hunter eher gering ausrechnete. Nichtsdestotrotz ließ ich mich davon überhaupt nicht beirren - mein Entschluss stand fest. Und wenn ich es nur versuchen würde, um mein Gewissen zu beruhigen, ich würde den Amerikaner darauf ansprechen. Sobald er ins Zimmer gestürmt kommen würde, was laut Irinas Aussage schon bald der Fall sein würde. Bis es jedoch soweit war, entschied sich besagte junge Frau dazu, sich selbst noch einmal Schmerzen zuzufügen, obwohl sie mir genau das gerade noch untersagt hatte. Eigentlich hatte ich sie rügen, sie neckisch damit aufziehen wollen, aber ich musste das letzte bisschen Kraft sparen, war diese für eine Unterhaltung mit Hunter unabdingbar. Wir wussten schließlich alle, dass sich der Tätowierte nur schwer von etwas abhalten oder überreden ließ. Auf Mitleid durfte ich auch nicht hoffen und deshalb drehte ich lediglich den Kopf in Richtung der jungen Frau, als sie es sich ebenfalls unter der Decke bequem machte, um meine geschundene Wange gegen die schwarze Mähne zu lehnen. Den daraus resultierenden Schmerz ignorierte ich nach leisem Zischen vollends und schloss einen Moment lang die Augen. "Lass' das mal meine... Sorge sein.", flüsterte ich lediglich noch. Nicht unbedingt, um die Serbin zu beruhigen - da half wohl kaum noch etwas -, sondern viel mehr, um die einkehrende, recht unangenehme Stille zu verdrängen, bevor diese Überhand nahm.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es war nicht richtig. Iljah für meine eigenen Fehler büßen oder eintreten zu lassen, war eigentlich nicht guten Gewissens vertretbar und ein Teil von mir sträubte sich wirklich dagegen. Wollte ihm diese Dummheit ausreden, ganz gleich, was nun daraus resultieren würde. Ihn für mich bürgen zu lassen fühlte sich nicht gut an und da spielte es eigentlich auch keine Rolle, ob der Amerikaner darauf einging. Wenn nicht, dann machte er sich bei dem cholerischen Arschloch nur unnötig unbeliebt und würde mich trotzdem an ihn verlieren. Falls doch - was ich nach wie vor anzweifelte, gelinde gesagt -, dann würde die aufgenommene Bürde dafür sicher nicht klein ausfallen. Am Ende vielleicht auch eine halbe Ewigkeit lang oder für immer zwischen uns stehen. Immer wieder zum Thema werden, wenn es mal gerade nicht rund lief, wir uns vielleicht streiten würden. Ich hielt das wirklich für keine gute Idee und wollte eigentlich nicht damit leben müssen, ihn zu einem sicher nicht kleinen Preis in welcher Form auch immer mein Leben retten zu lassen. Aber wollte ich stattdessen lieber sterben? Scheiße, sowas von nein. Vielleicht hatte ich meine Hinrichtung gewissermaßen schon akzeptiert, aber Angst vor dem Tod hatte ich noch immer und ich wollte nicht gehen. Doch nicht jetzt, wo Iljah mir so deutlich sagte und zeigte, dass ihm etwas an mir lag. Seinen Kopf an den meinen lehnte, während er mir sagte, ich solle mir keine Sorgen darum machen und es einfach ihm überlassen. Er wieder einmal die starke Schulter implizierte, die ich so unbedingt brauchte und nicht mehr missen wollte. Der Schwarzhaarige setzte sich trotz allem für mich ein und ignorierte dabei vollkommen, dass das doch sehr negative Konsequenzen für ihn haben würde. Es schien ihn nicht im geringsten zu interessieren, was diesbezüglich unter Umständen auf ihn zukam, solange er dadurch nur meinen Kopf vom Galgen holen konnte. Damit war er sowas wie der Prinz, der die Prinzessin in Nöten rettete - etwas übertrieben ausgedrückt. Das zwischen uns beiden war kein sagenumwobenes Märchen, sondern eher eine Art von dramatischem, sehr düsterem Thriller, bei dem ich auf manche Abschnitte wirklich sehr gut hätte verzichten können. Dennoch musste der Schwarzhaarige ohne jeden Zweifel etwas für mich empfinden, was für mich schwer zu glauben war. Auch jetzt, wo er sich mir gerade so zugewandt zeigte. Wobei es vielleicht gar nicht so abwegig war, wo doch auch ich mich trotz seinem unschönen Vergehen in ihn verliebt hatte. Ich würde jedes kleine Fitzelchen, das er mir von seinem Herz zu geben bereit war, freudestrahlend annehmen und nicht mehr loslassen, es beschützen. Sollte er den Amerikaner tatsächlich davon überzeugen können mir doch nicht den Kopf von den Schultern zu schlagen, dann war Iljah ohnehin der einzige, den ich noch hatte. Ich glaubte nicht daran, dass Anastasia und Ksenia als meine beiden engsten Vertrauten in den Reihen der Sorokins ungeschoren davon gekommen waren, während ich mich in dem Container versteckt hatte. Sollte ich tatsächlich noch die Möglichkeit dazu kriegen in die WG zurückzugehen, würde sich das ganz bestimmt zeigen und sie wären mir alles andere als fröhlich gesinnt. Aber das war nun wirklich Zukunftsmusik. "Na gut...", stimmte ich ihm nach ein paar elend langen, stummen Sekunden leise murmelnd zu. Hielt die Augen dabei geschlossen und atmete noch einmal etwas tiefer durch, während die Tränen sich zumindest ein klein wenig eindämmen ließen. Ich hob meine Hand an und versuchte mir zumindest ein bisschen die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, bevor ich mit den Fingern wieder nach Iljahs Hand suchte. "...aber bitte tu nichts, was du... später bereuen würdest.", nuschelte ich danach kaum hörbar an seine Schulter und hauchte einen Kuss auf seine Haut. Ich wollte einfach nicht, dass er irgendwas Dummes tat, wofür er sich und mich danach nur verfluchen oder gar hassen würde. Wollte nicht, dass er sich im Anschluss irgendwann wünschen würde, es nicht getan zu haben. In meinen Augen war ich aber wohl auch einfach nicht besonders viel wert. Für die wenigen Jahre, die bisher auf meinen Schultern lasteten, war ich einfach schon wahnsinnig kaputt und es bestand kein Zweifel daran, dass er es mit einer anderen Frau sicher besser haben konnte. Und seine Schwester erst... ich wollte besser gar nicht daran denken, was Vahagn davon halten würde, wenn Iljah für mich weiß Gott was zahlte. Wahrscheinlich würde sie mich sowieso auf ewig hassen, ganz gleich wie sehr ich mich um eine Besserung bemühen würde. Sie wirkte wie eine extrem nachtragende Person und da glich sie dem Amerikaner stark. Auch, wenn meine Menschenkenntnis bekanntlich nun nicht die allerbeste war. Oder ich die roten Warnsignale im Verhalten eines Menschen zumindest sehr gerne ignorierte - siehe Iljah. Sicher hätte auch ich einen weniger kaputten Mann für mich gewinnen können, wenn ich es gewollt hätte. Nur schienen wir beide jeder für sich nicht viel mit Menschen mit gesundem Verstand anfangen zu können. Anders konnte ich mir ja doch nicht erklären, wie wir nun so hier gelandet waren. Nach meinem letzten Satz waren es nicht einmal mehr ganz fünf ruhige Minuten, die Hunter uns gönnte. Er ließ nicht nur mir damit wenig Zeit zu verarbeiten, was Iljah im Begriff für mich zu tun war, sondern auch dem Schwarzhaarigen war wenig Zeit dafür vergönnt sich zumindest fast sowas wie einen Plan zu überlegen. Sich eine Strategie dafür in den Kopf zu setzen es dem Hitzkopf möglichst schmackhaft zu machen mich weiterhin atmen zu lassen. Zuerst hörte ich die schweren Schritte des hochgewachsenen Amerikaners außerhalb des Zimmers verdächtig näherkommend, dann betrat er nicht zu überhören den Raum. Ich vermied es zu diesem Zeitpunkt aber noch zu ihm hinzusehen, kniff lieber die Augen zu. Deshalb sah ich auch nicht, wie er sich begleitet von einem spöttischen Schnauben an die Wand nahe der Tür lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. "Nein wie süß, mir kommen noch gleich die Tränen... kommst du selbst her oder muss ich dich an den Haaren hier raus schleifen?" Der blanke Hohn in seiner Stimme war kaum zu überhören und ich öffnete erst danach die Augen, um verunsichert zu dem Schwarzhaarigen aufzusehen. Theoretisch konnte er es sich zu diesem Zeitpunkt zu seinen Gunsten noch anders überlegen und wenn wir ehrlich waren, dann täte er gut daran.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Streng genommen war es dafür schon lange zu spät. Ich hatte bereits mehrfach bereut, mich auf Irina eingelassen zu haben, weil sie mein Leben bis dato nicht übermäßig bereichert, sondern es vielmehr in eine ganz neue Art von Hölle verwandelt hatte. Allerdings schien ich mich wirklich sehr gerne an die positiven Kleinigkeiten zu klammern, die wir bis hierhin geteilt hatten. An das gemeinsame Lachen, den Abend am Lagerfeuer und nicht zuletzt natürlich auch an den Sex im Hotel, der überraschend angenehm für beide Seite ausgefallen war. Ich hoffte wohl ganz einfach darauf, dass die junge Frau mit einer zweiten Chance all die negativen Aspekte unserer Bekanntschaft weiterhin aufwiegen würde, weshalb ich auf ihre Aussage hin nur leise schnaubte. „Mach‘ ich schon nicht.“, versicherte ich ihr, auch wenn ich vermutlich wieder und wieder mit einem Lachen in die Kreissäge rennen würde, wenn es um die Schwarzhaarige ging. So lange, bis ich endgültig die Schnauze voll hatte und sie eigenhändig erschießen würde. Natürlich teilte ich ihr das so keinesfalls mit und genoss einfach schweigend die darauffolgenden Minuten, die meiner Meinung nach viel zu kurz ausfielen. Ich hatte die Augen geschlossen und mich von dem Geruch der Serbin zunehmend einlullen lassen, da fiel Hunter auch schon mit Pauken und Trompeten ins Zimmer. Riss mich damit aus einen Gedankenstrudel, der mich auf kurz oder lang derart müde gemacht hätte, dass ich irgendwann einfach eingeschlafen wäre, wenn von Irina keine Bewegung mehr ausgegangen wäre. Gut, das lag mitunter sicherlich auch an den Schmerzmitteln, die bei meinen Verletzungen nicht gerade niedrig dosiert worden waren, aber viel mehr lag der schläfrige Zustand dem Umstand zugrunde, dass ich mir ausmalte, wie schön es eigentlich sein könnte mit uns. Jetzt, wo wir hoffentlich beide mit offenen Karten spielten und die Sorokins nicht mehr zwischen uns standen. Der Amerikaner war jedoch talentiert darin, dem Ganzen vorerst einen Cut zu setzen. Mit seiner gewohnt unfreundlichen und unangenehmen Präsenz. Ich erwiderte erst gar nichts auf seine unangebrachte Aussage, weil mir bewusst war, dass das sicherlich kein besonders gutes Fundament für ein Gespräch war, von dem ich mir erhoffte, dass es Irinas Leben retten würde. Also schwieg ich, ließ den hochgewachsenen, bis unters Kinn tätowierten Mann eintreten und wartete erst einmal ab. Erst als er sein Wort direkt an Irina gerichtet und sie indirekt dazu aufgefordert hatte, sich von mir zu lösen, weil er sie gerne einen Kopf kürzer machen wollte – vielleicht sogar im übertragenen Sinne – schaltete ich mich mit müder Stimme dazwischen. Meinen Kopf hatte ich schon in Richtung der Tür gedreht, als Hunter den Raum betreten hatte, suchte mit dem noch müden, etwas glasigen Blick den seinen. „Hunter… warte.“, murmelte ich erst einmal etwas undeutlich. Dann räusperte ich mich, um den darauffolgenden Worten etwas mehr Kraft zu verleihen. „Ich… würde gerne kurz mit dir reden.“ Unnötig zu erwähnen, was sollte ich denn sonst von ihm wollen? War ja nicht so, als gingen wir regelmäßig einen Kaffee trinken oder dergleichen. „Ich kann deine Wut… und deinen Hass nachvollziehen, aber… lass sie bitte noch kurz am Leben.“, bat ich nun etwas bestimmter. So bestimmt, wie es in meiner Verfassung nun mal eben möglich war. Ich bedeutete Irina mit einem Wink meiner Hand in Richtung Tür, dass sie tatsächlich aufstehen und den Raum verlassen wollte. Sie – als Auslöser des besagten Zorns – sollte sich bei Verhandlungen dieser Art besser nicht in seiner Nähe aufhalten. Er würde sich nur ablenken und durch seine Emotionen leiten lassen, auch wenn Hunter es sehr wahrscheinlich auf seine Prinzipien schieben würde, dass er der Serbin das Leben aushauchen wollte. Es erschien mir trotzdem äußerst kontraproduktiv, wenn er die Schwarzhaarige die ganze Zeit im Blick hatte, fachte sie den Hass doch immer wieder aufs Neue an. Ob bewusst oder unterbewusst spielte dabei keine große Rolle, am Ende rutschte ihr noch etwas Unpassendes im Eifer des Gefechts heraus, was ich gerne vermeiden wollte. Sie sollte also einfach gehen, falls das Gespräch zufriedenstellen verlief, konnte sie ja dann gerne wiederkommen und sich erneut zu mir ins Bett legen. Und wenn nicht… na ja, dann blieb ihr zumindest das an den Haaren nach draußen schleifen erspart. Es dauerte eine Weile, bis die zierliche Gestalt meiner Aufforderung Folge leistete und so ganz zufrieden schien weder Irina, noch Hunter zu sein, dass ich die Schwarzhaarige gerade einfach für kurze Zeit aus der Schusslinie befördern wollte, nur interessierte mich das ganz genau gar nicht. Als die Tür hinter der jungen Frau ins Schloss gefallen war, atmete ich noch einmal tiefer durch. Mir fiel es nicht leicht, einen guten Einstieg in das kommende Gespräch zu finden, aber da Hunter sehr pragmatisch veranlagt war, versuchte ich es einfach damit, den Nagel auf den Kopf zu treffen. Es einfach auf den Punkt zu bringen. „Wie viel?“, waren zwei Worte, in die man unglaublich viel hineininterpretieren konnte. „Für Irinas Leben, meine ich.“, konkretisierte ich meine Frage also, damit es zu keinen Missverständnissen kommen würde. Dabei war mir grundsätzlich auch erst einmal egal, was Hunter davon hielt, dass ich mich um das Leben der Serbin scherte. Wenn er wissen wollte, was und warum mir so viel an ihr lag, konnte er fragen und er würde eine ehrliche Antwort bekommen. Ich würde es jedoch erst einmal ganz einfach versuchen. Vielleicht nannte er mir ja auch gleich eine Summe und die Sache war vom Tisch. Das würde sowohl mir, als auch ihm eine Menge Ärger sparen, aber wenn ihm etwas daran lag, die Hintergründe zu erfahren, hatte ihm Gott einen Mund zum Reden gegeben. Auch Verhandlungen konnten wir gerne führen, wenn Geld alleine ihn nicht glücklich machte. Wobei ich diese gerne auf ein anderes Mal vertagen würde, fiel mir Reden doch noch immer ziemlich schwer. In erster Linie wollte ich allerdings auch nur wissen, ob überhaupt die Möglichkeit bestand, Irina lebend aus der Geschichte herauszubekommen oder ob ich mir Bemühungen in diese Richtung gänzlich sparen konnte.
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Ich hatte mir sogar noch etwas mehr Zeit damit gelassen den Kaffee leerzumachen, als ursprünglich angedacht war. Das lag aber weniger meiner eher nicht vorhandenen Güte zu Grunde und mehr der Tatsache, dass Ashton sich nach Irinas Verschwinden bald zu mir gesellte und schon einmal wissen wollte, wie viele Einsätze hier auf russischem Boden voraussichtlich noch auf uns warteten. Er hatte sich zuerst die Wunden der Jungs angesehen, um eventuelle Entzündungen nach den letzten Stunden voll Schlaf früh genug zu bemerken, bevor er nun zu mir stieß und deshalb gab ich ihm eben jetzt meine erste Einschätzung dazu. Allein die Stützpunkte mit den gelagerten Drogen lagen an drei vollkommen verschiedenen Ecken Moskaus. Natürlich müsste ich theoretisch nicht alle davon abklappern, aber wenn ich sowieso schon dabei war, dann nahm ich auch so viel mit wie möglich war. Kam eben ganz darauf an, ob es irgendwo Komplikationen gab, oder ob alles recht glatt lief. Schließlich blieb das Hauptziel das Doppelgespann an der Spitze und ein Attentat auf die beiden ließ sich zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer planen. Ich musste sie zuerst ausfindig machen und sie beschatten lassen. Zwar konnte die Serbin mir sagen, wo sie vorübergehend wahrscheinlich unterkamen und wo sie sich am häufigsten aufhielten, aber mehr dann eben auch nicht - der Rest blieb also an mir und den Jungs kleben. Vorerst ging es jetzt aber um das kleine verlogene Biest an sich, das noch die gerechte Strafe kassieren musste. Also leerte ich den Kaffee endgültig und stand auf, um mich um diese lästige Plage zu kümmern, während Ashton sich die groben Skizzen ansah und frühstückte. Wenn ich nach dem Mord an der Serbin wieder zurück war, dann konnten wir in aller Ruhe nochmal über die anstehenden Missionen reden. Also begann ich den Weg zum Schlafzimmer des Invaliden mit recht energischen Schritten zurückzulegen, weil ich ganz einfach fand, dass ich Irina durch die kurze Unterbrechung seitens meiner rechten Hand schon zu viel Zeit mit Iljah gewährt hatte. Es wurde also allerhöchste Zeit dem Ganzen ein Ende zu setzen und so schob ich die Tür zum Zimmer ganz ungeniert auf ohne anzuklopfen. Das Bild, das sich mir dann prompt bot, als ich zum Bett sah, könnte merkwürdiger kaum sein. Allein schon deshalb, weil ich es nicht verstand und kein Stück nachvollziehen konnte. Ich würde Iljahs offensichtliche Unzurechnungsfähigkeit ja auf die Schmerzmittel in seiner Blutbahn schieben, aber er wurde dadurch weder blind, noch litt er deswegen plötzlich an Amnesie. Er wusste noch immer, dass die Schwarzhaarige mit dem ach so unschuldigen Gesicht ein ziemlich durchtriebenes Miststück war. Dass sie theoretisch jederzeit wieder einen Anschlag auf ihn verüben konnte... und was tat er? Er ließ sie ganz freiwillig auch noch bis auf den letzten Zentimeter an sich ranrücken, um ihr eine potenziell perfekte Angriffsfläche zu bieten. Sie hätte ihn theoretisch längst abstechen und durchs Fenster verschwinden können. Dass sie es nicht getan hatte war für mich auch nicht ansatzweise genug Beweis dafür, dass sie einen Sinneswandel hingelegt hatte. Man konnte einem Menschen nicht in den Kopf sehen und bevor ich mein Vertrauen leichtfertig verschenkte rächte ich lieber den Verrat an jenem, um allen um mich herum überdeutlich zu machen, dass sie es dem jeweiligen Verräter besser nicht gleich taten. Ob Iljah meine Ansicht teilte, war mir vollkommen gleich - deshalb ließ ich auch gleich die paar unmissverständlichen Worte in Richtung Bett verlauten, um die Angelegenheit hier so kurz wie möglich zu halten. So leicht, wie ich mir das vorgestellt hatte, wurde es aber natürlich nicht. Nicht nur, dass die Serbin ihren Hintern nicht augenblicklich erhob, sondern noch einen kurzen Moment lang liegen blieb, nein - auch der Tätowierte mischte sich ein. Mit Worten, die mir nicht nur nicht passten, sondern mir auch prompt den Puls anschwellen ließen. Denn ich ahnte bereits, worauf dieser Mist hier hinauslaufen würde, als er der jungen Frau im Anschluss bedeutete, uns für ein Gespräch alleine zu lassen. Sie sah ihn noch einen Moment lang an, dann nickte sie jedoch kaum sichtbar und kroch unter der Decke hervor. Irina kam auf ihrem Weg aus dem Zimmer unweigerlich ziemlich nah an mir vorbei sie wusste schon, warum sie meinem Blick dabei auswich. Lieber mit den Fingern an den Ärmeln des Pullovers herumspielte, statt dem förmlich tötenden Funkeln in meinen Augen entgegenzutreten. Kaum war der schmale Schatten aus dem Raum verschwunden und meine Augen glitten zurück zu Iljah, da schoss er auch schon den Vogel ab. Ich konnte gar nicht anders, als bitter aufzulachen. Allein das sollte ihm eigentlich schon deutlich genug klar machen, wie unfassbar dumm diese Frage war. "Was haben die dir gegeben? Zu hohe Dosis Morphium? Sind wir schon bei Sauerstoffmangel im Gehirn?", wies ich ihn nur so vor Ironie triefend darauf hin, wie bescheuert er gerade geklungen hatte. Beziehungsweise eben das, was er gesagt hatte. "Ich bin eigentlich echt der letzte, der zur Partnerwahl irgendwas sagt... aber was zum Teufel willst du noch mit dieser Hure? Nicht mal Cosma hat versucht mich abzustechen und sie hatte weiß Gott schon tausend gute Gründe dafür.", schnaubte ich und stieß mich von der Wand ab, um näher ans Bett zu gehen. Nüchtern betrachtet war es vielleicht auch ein kleines Wunder, dass die Rothaarige noch nicht des Nachts aufgestanden war und mich mit meiner eigenen Pistole vom Nachttisch erschossen hatte. Ich verstand auch noch immer nicht wirklich, warum genau sie mich eigentlich liebte. Viel mehr als Ärger und mangelnde Empathie hatte ich schließlich nicht zu bieten, wenn man unser Sexleben mal außen vorließ. "Willst du wirklich noch von ihr gekillt werden, sobald die Bude hier wieder leer ist und ihr keiner mehr nachjagt? Mal ganz davon abgesehen, dass es sowieso kein bisschen in meinem Interesse ist, sie leben zu lassen... wer garantiert mir denn, dass dieses verlogene Stück Scheiße sich nicht einfach dem nächstbesten anderen Kartell als Spitzel anbietet, um uns dran zu kriegen? Du etwa? Die halbe Welt würde mich gern hängen sehen und ich kann mir keine Sicherheitslücken leisten.", redete ich weiter vor mich hin und der Ärger, der in meiner Stimme mitschwang, war nicht zu überhören. Auch unterstrich ich meine Worte hier und da noch mit einer Handgeste und kam nach alledem schließlich nahe der Bettkante zum Stehen. Er musste wirklich sein Hirn in dem dreckigen Keller der Sorokin-Villa zurückgelassen haben, denn wirklich anders erklären konnte ich für meinen Teil diese utopische Situation nicht. Ich mochte ja Geld, so war's nicht - und theoretisch würde ich vielleicht sogar einwilligen, wenn die Summe nur immens genug wäre. Allerdings eben auch nur dann, wenn dann keine undichte Stelle mehr im Sicherheitsnetz um mich und meine Taten herum war. Mir das zu garantieren war aber quasi unmöglich.
+ .Es kommt, wie es kommt - aber so, wie man es ruft. +
Natürlich hatte Hunter ausschließlich sehr charmante - eigentlich absolut beleidigende - Worte dafür übrig, dass ich für Irinas Leben durchaus bereit war, eine Menge Geld auf den Tisch zu legen. Dabei konnten ihm die Beweggründe doch grundlegend egal sein, auch wenn ich andererseits natürlich nachvollziehen konnte, dass das alles ein sehr fragwürdiges Bild abgab. Es war nun mal alles andere als normal, dass ich mich wenige Stunden nach der Befreiung aus der Folterkammer in die Arme der Frau flüchtete, die das Ganze überhaupt erst zu verantworten hatte. Außerdem hatte Irina mehr oder weniger etwas mit Hunters Geschäften zutun und dass der junge Mann weniger begeistert von Spitzeln und Verrätern war, musste nicht mehr erwähnt werden. Trotzdem machte mich seine Art und auch die unschönen Titulierungen für die Schwarzhaarige sauer. Eine angemessenere Reaktion als ein Augenrollen bekam er dafür von mir allerdings nicht, weil mir für alles andere schlichtweg die Kraft fehlte. Zudem hätte ich nicht einmal mehr die Zeit dazu gehabt, ihm zu widersprechen. Hunter schien es nämlich überhaupt nicht einzusehen, mir Zeit zum Antworten einräumen. Hoffte wohl darauf, dass er mich wie so viele andere auch einfach in Grund und Boden reden konnte, um mich damit aus der Fassung und von meinem Vorhaben abzubringen, aber da war er bei mir nach wie vor an der falschen Adresse. Mochte sein, dass ich alles andere als zurechnungsfähig war in diesem Augenblick, aber das änderte noch lange nichts an meinen sonst ebenso beständigen Charaktereigenschaften. Ich wartete also geduldig darauf, dass der junge Mann zum Ende und letztlich damit neben dem Bett zum Stehen kam, bevor ich schließlich zum Antworten ansetzte. "Dir das zu erklären würde jetzt zu lange dauern.", versuchte ich mit überzeugender Stimmlage und einer gar nicht mal gelogenen Aussage die Frage nach dem Warum zu umgehen, weil ich selbst eigentlich gar nicht so genau wusste, wie es denn eigentlich mit Irina und mir weitergehen sollte, wenn der Amerikaner sie doch tatsächlich am Leben lassen würde. Aktuell standen die Chancen dahingehend eher schlecht, traf er mit dem Sicherheitsrisiko den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Dass er da auf etwaige Versprechen meinerseits nicht viel geben würde, war nur nachvollziehbar und trotzdem blieb mir absolut nichts anderes übrig, als es nicht trotzdem zu versuchen. Mehr als Hunter so ziemlich alles anzubieten, konnte ich ohnehin nicht. Er würde für sich dann evaluieren müssen, ob es das Risiko dann auch tatsächlich wert war, eingegangen zu werden. "Versprechen... kann ich dir da natürlich nichts.", räumte ich indirekt und auch nur kleinlaut ein, dass es natürlich gut möglich war, dass die Serbin einfach ein weiteres Mal die Seiten wechseln würde - hatte sie jetzt schließlich auch getan. Wer garantierte mir also, dass sie sich nicht in einen anderen Mann verlieben würde und so, wie es Hunter bereits erwähnte, einfach erneut spionierte? Sicherheit hatte in dem Fall keine der beiden Parteien, aber im Gegensatz zu Hunter war ich aktuell wirklich bereit dazu, eine ganze Menge Vertrauen in die jungen Frau zu setzen. "Aber... ich vertraue ihr inzwischen, Hunter. Nenn' mich dumm... naiv, was auch immer. Aber ich würde ihr gerne eine zweite Chance geben und stehe für all ihre Missetaten ein. Jetzt und... auch in der Zukunft.", versicherte ich und suchte mit den nur halb geöffneten Augen nach dem Blick den Amerikaners. "Ich weiß, dass ich nicht ganz unschuldig daran bin, dass alles so blöd gelaufen ist, aber habe ich dir abgesehen davon bis dato einen Grund gegeben, mir nicht vertrauen zu können? Ich bin mir sicher, wir werden uns auch in dem Punkt einig werden...", fügte ich inzwischen nur noch ein paar gehauchter Worte hinzu, weil meine Kraft sich langsam dem Ende neigte. Ich vielleicht erst einmal etwas zu Trinken und ein gutes Frühstück brauchte, bevor ich mich weiter mit ihm unterhalten können würde. Eventuell auch noch die ein oder andere Mütze voll Schlaf, aber dann...
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Ach, würde es das? Ich würde mir gerade wirklich gerne einen Stuhl heranziehen, um ihn neben dem Bett zu platzieren, mich hinzusetzen und die Füße auf der Bettkante ablegen. Nur, um dann die Hände vor dem Bauch zu falten und Iljah zu sagen, dass ich alle Zeit der Welt hatte, um der Geschichte lauschen zu können, an der er hier so vehement festhalten wollte. Wegen der er zu wissen glaubte, dass Irina wirklich sowas wie eine zweite Chance verdiente. Nur war es tatsächlich gar nicht so, als hätte ich gerade wahnsinnig viel Zeit übrig. Ich wollte nicht noch Monate hier in Russland versauern, weil die Sorokins sich nicht dingfest machen lassen wollten. Ich sollte es mir zu Nutze machen, dass sie gerade sicher noch überrascht wie ein paar aufgescheuchte Hühner herum rannten und nach einer Lösung suchten. Deswegen hatte ich die Schwarzhaarige ja auch jetzt schon kalt machen wollen - damit sie aus dem Weg war und ich mir darum keine Gedanken mehr machen musste, ich mich auf Wichtigeres konzentrieren und mich an die Arbeit machen konnte. Also ja, vielleicht würde es mir gerade wirklich zu lang dauern, wenn er alles von vorne aufrollte und eine Ewigkeit lang erzählte. Trotzdem ließ mich diese Aussage genervt seufzen. So lange konnte das mit den beiden schließlich noch nicht gehen, weil es wiederum noch gar nicht so lange her war, dass ich - leider - das Miststück für den Job mit ausgewählt hatte. Was zum Teufel hatte sie also mit Iljah in der kurzen Zwischenzeit angestellt? Hormonbelastete Hexensprüche an ihm verübt? Ihm irgendeine verborgene Goldquelle ihrer Familie preisgegeben, wegen der es ihn gar nicht kümmern musste, was für eine Summe ich ihm nannte? Es blieb mir wirklich ein Rätsel. Auch was die bestehende Sicherheitslücke anging, konnte der Russe mich wie erwartet nicht nennenswert besänftigen. Eigentlich könnten wir die Verhandlung - die eigentlich keine solche war, denn selbst wenn er einen Preis genannt bekam, dann war der fix und nicht verhandelbar - also gleich hier abbrechen. Und ja, in meinen Augen war es tatsächlich nichts Anderes als dumm und naiv, dass der Verletzte dieser Frau derartig viel seines Vertrauens schenken wollte. Gerade deshalb, weil er wegen ihr ja hier und jetzt ans Bett gefesselt war. Sich kaum regen konnte, selbst Worte nicht leicht über die Lippen brachte. Mein Blick war dementsprechend noch immer kein Stück weicher, als Iljah zu mir aufsehend versicherte, dass er für Irina einstehen würde. Dass er das jedoch auch für die Zukunft versprach, ließ meine Augenbrauen in die Höhe schießen. Wusste er, was er da sagte? Ich meine, ja - natürlich würde ich auch Cosma ganz freiwillig in fast jeder Situation den Rücken frei halten. Der Unterschied war nur, dass ich sie mit absoluter Sicherheit sehr viel besser kannte, als das bei dem Russen und der Serbin der Fall war. Ich traute es der Rothaarigen inzwischen eher zu mich eigenhändig zu erwürgen, als mich so zu verraten, wie Irina das getan hatte und jetzt gerade fiel mir auf, dass auch das gefährlich war. Zwar hatte ich schon seit ich denken konnte immer zu einhundert Prozent hinter Jedem gestanden, der in meinen Kreis gehörte, aber mein Urteilsvermögen wäre in Hinsicht auf Cosma sicher durch die Gefühle getrübt. Ich wusste nicht, ob es wirklich normal war für einen Menschen, den man liebte, seine eigenen Prinzipien derartig hinten anzustellen... aber schlau war es ganz bestimmt nicht. Nicht in diesem Metier. Langsam fing ich wirklich an es zu hassen, wie sehr die junge Frau mich beeinflusste - auch, wenn sie mir nicht bewusst ins Geschäft pfuschte. Sie hatte meine Sicht auf so manche Dinge inzwischen einfach verändert, förmlich verweichlicht. Wenn Cosma nicht irgendwann selbst mein Tod war, dann waren es sicher Folgen, die aus unserer Beziehung resultierten. Im Grunde vertraute ich Iljah, hielt ihn eigentlich auch nicht für dämlich. Nur machten Gefühle eben schlicht und ergreifend dumm. Ich atmete nach seinen letzten Worten also hörbar tiefer durch und hob die rechte Hand, um mir damit übers Gesicht nach unten zu reiben. Dann ging ich ein paar Schritte quer durch den Raum. War es mir die Kohle wirklich wert? Die Kehrseite der Mord-Medaille war, dass ich mir nicht sicher damit sein konnte, dass der Russe mir gegenüber wirklich loyal bleiben würde, wenn ich einen Menschen umlegte, der ihm wirklich irgendwas zu bedeuten schien. Ganz gleich, was genau es nun war. Ich wusste nicht, ob er da eine Grenze zog. Würde mir Jemand Cosma nehmen, dann würde ich einen Teufel tun das einfach kommentarlos für immer so hinzunehmen. Vollkommen egal, was die Ursache dafür war. Ich schwieg sicher noch zwei weitere Minuten lang ohne stehen zu bleiben und rieb mir gen Ende einmal mit der Hand durch die kurzen Stoppeln auf meinem Schädel, durch die das Tattoo gut sichtbar war. Letztendlich blieb ich wieder beinahe am selben Punkt unweit des Betts stehen. "Na schön, von mir aus. Wenn du so wild drauf bist in Schulden zu baden, dann wasch' mir die Blüten ein Jahr lang umsonst. Dass sie von mir keine Kohle mehr für den Transport kriegt erklärst du Vahagn dann aber selbst.", war das einzige Angebot, dass ich ihm mit etwas weniger Reue machen konnte. Ob Iljah seiner Schwester im Falle der Einwilligung die Transportkosten dann selbst erstattete oder nicht, war nicht mein Problem. Ich zahlte für den Überflug und das in Umlauf bringen keinen einzigen Cent. Würde genau so viel Profit mit dem Falschgeld machen, wie es aus der Geldpresse kam - erst, wenn mir das sicher war, würde ich davon absehen die Serbin kaltzumachen. Ergo der Deal stand erst dann sicher, wenn auch Vahagn mir sagte, dass sie da mitspielen würde. Wie sie das mit ihrem Bruder am Ende handhaben würde war mir scheißegal. Vielleicht hatte ich ja Glück und sie legte das Miststück stattdessen einfach für mich um, dann hätte sich die Sache einfach von selbst erledigt.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es war mehr als nur offensichtlich, dass Hunter mit sich zu hadern schien. Absolut unentschlossen war, ob es sich für ihn wirklich lohnen würde, seine Prinzipien für eine Stange voll Geld – oder anderweitigen Gegenleistungen – hintenanzustellen und doch zweifelte ich keine Sekunde lang daran, dass er einem Deal zustimmen und Irina damit am Leben lassen würde. Faktisch war es nun mal so, dass unsere Geschäftsbeziehung für beide Seiten eigentlich nur Vorteile versprach, weil wir nun mal beide wussten, was wir an dem jeweils anderen hatten. Wir mochten uns vielleicht noch nicht sonderlich lange kennen, aber ich empfand uns in Hinsicht auf unsere Geschäfte als sehr ähnlich. Der Amerikaner war nur deutlich weniger verweichlicht, nicht so menschlich, wie ich es nun mal war. Das mochte unter anderem sicher auch daran liegen, dass das Metier in dem wir uns bewegten verdammt vielfältig war. Ja, wir waren wohl beide kriminell, taten der Gesellschaft damit sicher keinen Gefallen, aber ich konnte beispielsweise sehr viel weniger Tote auf meinem Konto verbuchen, als der Amerikaner und das war meines Erachtens nach der springende Punkt. Wenn man tagtäglich Menschen abmurkste, stumpfte man nun mal irgendwann einfach ab, wurde vorsichtiger, undurchsichtiger und kalt. Sicherlich hatte ich bis dato nicht immer positive Erfahrungen damit gesammelt, Waren und auch Menschen unter dem Radar von A nach B zu schieben, war auch mal mehr und mal weniger aggressiv einem Kunden gegenübergetreten und konnte durchaus auch mal ungemütlich sein, aber das hatte mich psychisch noch lange nicht so zerrüttet, dass ich all meine Empathie über Bord geworfen und all meine Gefühle im Keim erstickt hatte. Was das anging waren Hunter und ich absolut nicht vom gleichen Schlag, teilten uns dafür allerdings die Zielstrebigkeit, die Unnachgiebigkeit und den Willen, für einen selbst das Beste aus dieser Gott verlassenen Welt zu machen. Der Amerikaner sehnte sich deshalb nach Geld, um im überheblichen Luxus zu schwelgen und ich wollte stattdessen einfach nur die Serbin an meiner Seite haben. Was ich mir letztlich davon erhoffte, wo ich doch eigentlich auch weniger der Typ für Gefühle war, wusste ich jedoch im Augenblick noch nicht. Irgendwas würde sich mein blödes Unterbewusstsein schon dabei gedacht haben, weil es mir sonst wohl kaum egal wäre, was für Bedingungen Hunter an eine lebende Irina knüpfen würde. Bis er darauf aber überhaupt mal zu sprechen kam und mir mitteilte, wonach ihm der Sinn stand, um Gnade über die junge Frau walten zu lassen, verging in Summe allerdings eine halbe Ewigkeit, die ich stillschweigend vor mich hin leidend im Bett lag. Ihn dabei beobachtete, wie er nachdenklich durch den Raum tigerte, nur um an genau der gleichen Stelle wie zuvor wieder neben mir zum Stehen zu kommen. Daraufhin schwieg er erneut ein paar Minuten und mich beschlichen langsam doch die ein oder anderen Zweifel an meiner Einschätzung des Cholerikers – bis er schließlich zum Reden ansetzte. Im Grund genommen überhörte ich total, was es mich – und auch Vahagn – kosten würde, dass das Leben meiner Angestellten verschont blieb. Alles was zählte war, dass Hunter sich tatsächlich auf einen Deal einlassen würde und das zauberte mir unwillkürlich ein schmales Lächeln auf die Lippen. Zum einen sicher deshalb, weil mir nach der kurzen Zeit des Bangens ein Stein vom Herzen fiel, aber unter anderem eben auch, weil ich getreu der Ich hab es doch gewusst-Manier wieder einmal Recht gehabt hatte. Grob überschlagen ging es bei der Geldwäsche zwar um einige hunderttausend Euro, die über das Jahr durch die Lappen gehen würden – von den Transportkosten mal ganz abgesehen -, aber das war mir im Moment ziemlich egal. Zumindest so lange, bis ich mit meiner Schwester darüber reden müssen würde. Vahagn würde mir nämlich unmissverständlich vor Augen halten, was für eine äußerst dumme Idee das eigentlich war, eine ganze Stange Geld in den Wind zu schießen, ohne dass ich eigentlich wusste, was ich davon hatte. Nachdem sie anfangs vollkommen fassungslos aus der Haut gefahren war und mich mit Nichtachtung gestraft hatte natürlich. Und ganz vielleicht würde ich mich auch ein bisschen ärgern, denn eigentlich sollte Hunters Auftrag ein Sprungbrett dafür sein, die Verluste aus Italien wieder aufzufangen. Er sollte wieder genug Kohle in die Kasse spülen, dass meine Schwester und ich uns nicht mehr darum sorgen müssen würden, morgen nichts mehr zu Essen auf dem Teller zu haben, aber was sollte ich sagen? Irgendwie hatten wir doch bis jetzt immer einen Weg gefunden, uns wieder aufzurappeln und weiter zu machen, warum sollte es dieses Mal nicht also auch irgendwie funktionieren? Es war ziemlich naiv, so zu denken und das würde mir früher oder später sicherlich auch klarwerden, aber bis dahin freute ich mich einfach, dass der Amerikaner sich doch verhältnismäßig leicht davon hatte abbringen lassen, hier zeitnah noch einen weiteren Toten auf sein Konto zu buchen. Die Erleichterung sah man mir wohl auch gewissermaßen an, auch wenn es sich zwischen den Schwellungen und Hämatomen nur schwach zur Geltung kam. „Hört sich nach einem fairen Deal an.“, bestätigte ich Hunter noch mit ein paar leisen Worten, dass ich einverstanden war, mich auf seine Bedingungen einzulassen. „Um Vahagn… kümmere ich mich schon – keine Sorge.“, sicherte ich ihm außerdem zu, dass ich mit meiner Schwester über die Transportkosten reden würde. Er sich damit nicht befassen musste, wo er es doch so oder so nicht tun würde. Hatte er ja ziemlich deutlich auf den Punkt gebracht. Allerdings würde er nicht ganz ungeschoren davonkommen, so wie ich heißblütige Russin kannte. Denn auch wenn der Mist ganz allein mein Verschulden war und ich diese Abmachung getroffen hatte, traf Hunter in Vahagns Augen sicherlich eine Mitschuld. „Die schlechte Laune auf dem Rückflug musst du aber leider ertragen. Die wird sie sich nicht ausreden lassen, aber ich denke… dass du das schon überleben wirst.“, warnte ich den Amerikaner deshalb mit einem mehr oder weniger belustigten Grinsen und einer hauchdünnen Stimme vor. Mehr als ein Zucken der Mundwinkel war für Außenstehende aber sicher nicht zu sehen, weil auch diese Bewegung nur unter Schmerzen möglich war. Was die miese Laune anging, würde sich Hunter ganz bestimmt nicht von der Brünetten aus dem Konzept bringen lassen, war er da doch relativ schmerzfrei. Ignorierte sie ganz einfach, wenn es ihm zu blöd wurde oder aber sie gingen sich beide an die Gurgel. Das sollte mich aber nicht weiter stören oder interessieren – die beiden waren schließlich alt genug. Vom erwachsen sein vielleicht noch weit weg, aber na ja…
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Die hiesige Stange Geld, die dem Russen wegen Irina durch die Lappen gehen würde, schien ihn nicht mal irgendwie zu interessieren. Er bezeichnete es sogar noch als einen fairen Deal, was man in meinen Augen eigentlich nicht sagen konnte. Irina war nicht mal ansatzweise so viel Geld wert, wenn man das Ganze mit ihren Fähigkeiten verglich. Zwar stand hier natürlich viel mehr im Vordergrund, dass die Serbin dem geschundenen, jungen Mann am Herzen lag, aber dennoch war sie in meinen Augen keinen müden Cent wert. Allein schon deshalb, weil sie ein verräterisches Miststück war und sie von mir für den Rest ihres Lebens keinen noch so winzigen Funken an Vertrauen mehr kriegen würde, der nicht nötig war. Es war schon riskant genug gewesen die Mission in der Villa auf ihre Glaubhaftigkeit zu stützen - hätte ich andere Optionen mit ebenso guten Erfolgschancen gehabt, hätte ich die zweifelsfrei lieber genutzt. Aber ich musste Iljah vielleicht auch einfach nicht verstehen, was diese Geschichte hier anbelangte. Solange er mich damit noch reicher machte und das schwarzhaarige Biest mir nie wieder in die Quere kam - wofür er selbst ja so gerne bürgen wollte -, sollte sie ihm hier von mir aus weiter die Luft verpesten. Er kümmerte sich noch darum, dass seine Schwester von dieser Angelegenheit Wind bekam und ich war aus der Sache ziemlich fein raus. Ich konnte also nur noch leicht den Kopf über die Entscheidung des Schwerverletzten schütteln, weil er sich offenbar ja ohnehin nicht ins Gewissen reden ließ, was Irina anging. Vielleicht würde er das noch bereuen, aber das war dann ganz einfach nicht mehr mein Problem. Sofern ich nicht mit involviert war, versteht sich. Iljah warnte mich noch davor, dass seine jüngere Schwester ziemlich wahrscheinlich für eine Weile lang ungemütlich sein würde. Für den Moment sollte mir das erstmal egal sein. Zu welchen Maßnahmen ich dann griff, wenn es mir auf dem Heimweg zu bunt wurde, weil sie sich zwangsweise in meinem Wahrnehmungsradius aufhalten würde, entschied ich dann, wenn es so weit war. Sie hatte ja ein paar nette Bisswunden, auf die man im Ernstfall ein bisschen Druck ausüben konnte, um sie auf Abstand zu kriegen. "Ist nicht grade das erste Mal, dass ich damit klar kommen muss.", ließ ich den Russen mit einem kaum sichtbaren Schulterzucken wissen, dass das aktuell nur meine kleinste Sorge bis eher gar keine Sorge war. Mit Vahagn war ich bisher noch immer fertig geworden, das war kein Problem. Er sollte lieber mal darüber nachdenken, dass seine herzallerliebste Schwester von Irina ebenso wenig begeistert war wie ich und es nicht in meinem Ermessen lag sie davon abzuhalten, die Verräterin an meiner Stelle abzumurksen. Iljah bezahlte mich dafür, dass ich sie am Leben ließ und nicht dafür, dass sie vor sämtlichen anderen Naturgewalten im Umkreis geschützt war. Dazu würde mich auch wirklich keine Summe Geld kriegen. Ich stellte meine Prinzipien hinsichtlich Loyalität und Respekt schon genug in den Schatten, indem ich sie weiter atmen ließ. Schutz für sie kam überhaupt nicht in Frage. "Sorg' dafür, dass sie keine Scheiße mehr baut. Ich will dich nicht umlegen müssen.", unterstrich ich noch mit ein paar Worten, dass es eine dritte Chance ganz sicher nicht geben würde. Er fiel und stand jetzt mit der Serbin. Täte dementsprechend gut daran, sie an weiteren Missetaten mir gegenüber zu hindern. Ich wendete mich langsam von dem Schwarzhaarigen ab, um zu gehen, wo doch jetzt eigentlich alles gesagt war. Oder zumindest fast alles. Als ich die Zimmertür erreichte und meine Hand auf die Klinke legte, drehte ich mich doch noch einmal halb zu Iljah um. "Ach ja... nur, damit wir uns da nicht falsch verstehen: Du zahlst dafür, dass ich sie am Leben lasse. Mehr nicht.", stellte ich diese Sache klar. Warf ihm nur noch einen kurzen Blick zu und verzog mich dann durch die Tür. Ein Denkzettel für Irina stand trotzdem noch auf meiner To-Do-Liste. Nicht jetzt sofort, weil ich mich gleich auf den Weg zu wichtigeren Dingen machen wollte und mir das in Ruhe überlegen würde. Aber wenn Vahagn sie bis dahin noch nicht umgelegt hatte, dann würde Irina trotzdem noch ein Strafe kriegen. Irgendwas, das sie am besten jeden Tag daran erinnerte, dass man Leuten, denen man nicht gewachsen war, besser nicht in den Rücken fiel.
Ich fühlte mich alles andere als wohl dabei zu wissen, dass Iljah gerade mit dem hitzköpfigen Amerikaner darüber redete, ob ich es nicht doch unter gewissen Bedingungen wert war am Leben gelassen zu werden. Im Grunde war das nicht weniger als stumpfer Menschenhandel. Das drückende Gefühl der Nervosität in meinem Bauch schlug irgendwann in richtige Schmerzen um. Ich stand am Ende des eher schmalen Gangs, der zu Iljahs Schlafzimmer führte. Lehnte mich dort mit dem Rücken an die Wand, weil ich mich gar nicht traute in Irgendjemandes Sichtfeld zu treten. Ich es nicht riskieren wollte, dass Vahagn mir jetzt im Wohnzimmer oder irgendwo anders im Haus über den Weg lief. Ich hob nach zwei, drei Minuten die Hände an meinen Magen in der Hoffnung ihn dadurch etwas beruhigen zu können, bis ich mich schließlich mit dem Rücken an der Wand hinunterrutschen ließ. Seit einer Ewigkeit hatte ich nichts mehr gegessen und auch kaum etwas getrunken. Ich war müde, ausgelaugt und hatte auch dank der schmerzenden Wunde kaum genug Kraft, um mehrere Minuten abwartend herumzustehen. Zwar war der Weg nach unten auf den Boden wegen des Streifschusses sehr schmerzhaft, aber auf dem Boden angekommen konnte ich dann wenigstens nicht mehr umkippen und es linderte durch die weniger angespannte Körperhaltung letztendlich auch ein klein wenig die Bauchschmerzen. Die Ungewissheit und Unruhe trieben mich in den paar Minuten allerdings trotzdem förmlich in den Wahnsinn und mein Herz dachte gar nicht daran, mal einen Gang runterzuschalten. Zwar redete ich mir ein, dass es ein gutes Zeichen sein musste, dass Hunter nicht sofort wieder aus dem Zimmer stürmte und mich auf dem Weg einfach einsammelte, aber wirklich beruhigend war auch dieser Gedanke nicht. Die ewig vielen Sekunden, die ich allein auf dem Boden saß, vergingen nur quälend langsam. Aber schließlich öffnete sich die Tür am anderen Ende des Gangs und der Amerikaner kam auf mich zu. Seine Körperhaltung war dabei in etwa genauso energisch wie zuvor im Zimmer und das ließ mich leise schlucken, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Ich sah mit großen Augen eingeschüchtert zu ihm auf, als er seine Schritte schließlich verlangsamte, weil er fast bei mir angekommen war. Aber wider Erwarten tat er das nicht, um sich leichter zu mir runterbeugen und mich an den Haaren packen zu können. "Mach dich wenigstens nützlich und sorg' dafür, dass er was zu essen kriegt.", war alles, was er mir unfreundlich an den Kopf warf, bevor er seinen Weg fortsetzte und sich schließlich aus meinem Sichtfeld bewegte. Einen Moment lang saß ich noch ungläubig regungslos herum, dann aber raffte ich mich so schnell, wie es mir möglich war - also eher ziemlich langsam - ächzend zurück auf die Beine. Brauchte noch einen Moment lang, um die schwarze Wand vor meinen Augen loszuwerden und machte mich dann aber bald zur Küche auf. Es war mir mehr als unangenehm, dass noch ein paar von Hunters Männern dort herumlungerten und mich gefühlt keine Sekunde lang aus den Augen ließen. Ich spürte immer mindestens ein Augenpaar im Rücken, während ich dabei war irgendwas in den Schränken ausfindig zu machen, das Iljah möglichst ohne unerträgliche Schmerzen essen können würde. Dass ich alles für eine Art russischen Milchbrei an Zutaten zusammenkratzen konnte, kam mir da gelegen, weil er den wenigstens nicht wirklich kauen müssen würde. Auch, wenn ich mir schwer damit tat, mich bei der kurzweiligen Kochangelegenheit wirklich zu konzentrieren. Ich konnte nicht so recht begreifen, dass ich nicht mehr dazu verdammt war noch am heutigen Tag zu sterben und es gab wahrscheinlich nichts auf der Welt, womit ich dem Russen in meinen Augen ausreichend danken konnte. Zumal ich mir auch unweigerlich den Kopf darüber zerbrach, womit genau er Hunter nun hatte umstimmen können. Bei all den Gedanken wäre mir das Frühstück auch beinahe angebrannt und ich rettete es in letzter Sekunde vom Herd, bevor es wenig später in zwei Schüsseln wanderte. Die wiederum kamen bald mitsamt Löffeln auf ein Tablett und ich nahm noch die Teebeutel aus den beiden Tassen, bevor ich mich endlich aus den Blicken der anwesenden Männer winden und zurück zu Iljah verschwinden konnte. Ich konnte sicher von Glück reden, dass der Weg nicht endlos weit war, weil mir mit den schwächelnden Muskeln sonst bald das Tablett zu schwer geworden wäre. Ich öffnete die Tür zum Schlafzimmer mühselig mit dem Ellbogen und schob mich mit dem Rücken voraus durch die Tür, die ich anschließend doch etwas wacklig mit dem Fuß hinter mir zumachte. Dass ich schon vor mich hin strahlte, seit ich die Küche verlassen hatte, merkte ich nicht mal. Balancierte das Tablett weiter ums Bett herum und stellte es da erstmal kurz auf dem Nachttisch ab, bevor ich zu dem jungen Mann aufs Bett krabbelte. Am liebsten hätte ich ihn mit einer innigen Umarmung umklammert und nie wieder losgelassen, aber seine Verletzungen ließen mich davon absehen. So beugte ich mich unter Schmerzen stattdessen nur zu ihm runter, um ihn zu küssen. Sehr vorsichtig und bemessen an unseren letzten Küssen im Hotel fast schon schüchtern, aber ich wollte ihm nicht mehr weh tun als notwendig. Dennoch musste ich Iljah einfach irgendwie zeigen, wie endlos dankbar ich ihm war. Unterstrich den Kuss auf seine Lippen danach noch mit einem auf seine Stirn, die in seinem Gesicht mit am wenigsten abgekriegt hatte. "Das werde ich dir nie vergessen.", hauchte ich ihm noch immer sehr nahe mit den Lippen an seiner Haut ein paar leise Worte zu. Ein paar Sekunden später richtete ich mich dann langsam auf den Knien zum Sitzen auf und meine Augen richteten sich sofort in seine, ohne, dass das breite Lächeln aus meinem Gesicht verschwand. Einen Moment lang sah ich ihn einfach nur glücklich an und streckte meine Finger nach seinen aus, streichelte über seine Fingerknöchel. "Willst du was essen?", schob ich etwas später schließlich eine Frage nach, die mir lieber war als die, womit er mein Leben bezahlen musste. Würde er das nicht von sich aus ansprechen, dann reichte es mir für meinen Teil vollkommen, noch ein wenig in Ungewissheit zu schwelgen. So konnte ich für den Moment noch die pure Freude genießen und etwas unbeschwerter damit anfangen, mich um Iljah zu kümmern. Er hatte gesagt, dass er wollte, dass ich bei ihm blieb - also bekam er auch das volle Rundum-Sorglos-Paket, so weit mir das mit meiner eigenen Verletzung möglich war.
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Angesichts der Tatsache, dass doch damit eigentlich alles geklärt war, was es hinsichtlich der Geschichte zu klären gab, brauchte mir Hunter doch noch eindeutig zu lange, bis er seinen geldgierigen Hintern endlich in Bewegung setzte, um zum Gehen anzusetzen. Natürlich nicht, ohne meine vorherigen Aussagen vorher noch einmal zu kommentieren, weil die Klappe zu halten und einfach zu verschwinden, nachdem man eine ganze Menge Geld zugesagt bekommen hatte, scheinbar zu viel verlangt war. Man verstehe mich an der Stelle bitte nicht falsch - ich schätzte die Anwesenheit des Amerikaners. War ihm nicht zuletzt auch wirklich dankbar, dass er geholfen hatte, mich aus der Villa der Sorokins zu befreien, aber wirklich Spaß daran, ihm schwerverletzt zu Kreuze zu kriechen hatte ich nicht. Jedenfalls ließ er mich noch einmal wissen, dass er Vahagns Launen schon des Öfteren hatte ertragen müssen und das ich ausschließlich ihn dafür bezahlte, Irina am Leben zu lassen. Worauf er damit hinauswollte leuchtete mir schnell ein, hatte sich die Serbin doch nur wenige Freunde mit ihrer Aktion gemacht. Um sich hinsichtlich des Deals noch einmal abzusichern, schien es Hunter aber wohl äußerst wichtig gewesen zu sein, das noch einmal zu betonen, was mich nicht weiter störte. Mir war ja klar, dass diese Absprache lediglich zwischen uns stattgefunden hatte. Wenn meiner geliebten Schwester also der Sinn danach stand, die Schwarzhaarige spontan umzunieten, bedeutete das keinesfalls, dass ich vorzeitig aus der Abmachung und den damit zusammenhängenden Zahlungsverpflichtungen entbunden war. Für den Fall der Fälle, dass Irina wider Erwarten doch noch einmal auffällig werden würde, wies mich Hunter auch noch einmal beiläufig auf die Konsequenzen hin, die das negative Verhalten der jungen Frau für mich haben würde und ich nickte diese Aussage schweigend ab. Als der Tätowierte sich schließlich wieder in Richtung der Tür drehte und diese bereits einen Spalt breit geöffnet hatte, setzte ich aber noch einmal zum Reden an. "Hunter... danke... für deine Hilfe, meine ich." Ich war schließlich erzogen, ging mit Danksagungen auch nicht gerade sparsam um, wenn ich sie für angebracht hielt und unabhängig von dem Gespräch von vor wenigen Augenblicken, war ich ihm mindestens dieses kleine Wörtchen schuldig. Er hätte mich schließlich genauso gut im Keller verrotten lassen können. Hatte er zwar vermutlich nur deshalb nicht getan, weil ich für seine Geschäfte hier in Russland eine wichtige Rolle spielte, aber das war nebensächlich. Mit ein bisschen Aufwand hätte er sicher auch einen anderen Deppen gefunden, der für ihn die Dreckarbeit erledigt hätte. Dass er sich stattdessen lieber in Gefahr begab, um mein Leben zu retten, sprach in meinen Augen ja wohl schon für eine verhältnismäßig gute Geschäftsbeziehung. Aber nun gut. Nachdem ich ihm also meinen Dank ausgesprochen hatte, verschwand Hunter letztlich im Flur und ließ mich damit in einer recht angenehmen Stille zurück. Nach dem Gespräch dröhnte mir irgendwie der Kopf und gegen eine weitere Dosis Schmerzmittel hätte ich absolut nichts einzuwenden gehabt. Ich bezweifelte jedoch, dass mir diese vergönnt war, hatte einer der Schützlinge des Amerikaners doch heute früh schon den Vorratsschrank geplündert. Ich versuchte deshalb der Kopfschmerzen Herr zu werden, indem ich einfach die Augen schloss und das Gespräch einen Moment lang einfach Revue passieren ließ. Tatsächlich half die einkehrende Dunkelheit auch ein bisschen dabei, den unangenehmen Druck aus den Schläfen zu nehmen, aber ganz Weg war er ja doch nicht, als ich die Lider nach einer Weile wieder öffnete. Ich hatte ein Geräusch aus Richtung der Tür vernommen und als ich sah, wer durch diese gerade im Begriff war, das Zimmer zu betreten, fing ich ungeachtet der starken Schmerzen im Gesicht zu lächeln an. Ich hatte mich schon ein bisschen gewundert, wohin die junge Frau plötzlich abgeblieben war, hatte ich sie doch bereits nach dem Ende des Gesprächs zwischen Hunter und mir erwartet. Das Tablett in der Hand verriet aber den triftigen Grund dafür, warum Irina erst eine knappe Viertelstunde später wieder zurück an mein Bett kam. Ich sah sie bereits ein wenig besorgt an, als sie die Schüsseln und zwei Tassen auf dem Nachtisch abstellte, weil ihr darauffolgendes Vorhaben scheinbar mit einer Menge Schmerzen am eigenen Leib verbunden war, aber als ich die hauchzarten Berührungen ihrer sinnlichen Lippen spürte, rückte meine Sorge schnell in den Hintergrund. Ich versuchte auf den Kuss so angemessen zu reagieren, wie mir das nur möglich war, aber viel bewegen tat ich mich dabei logischerweise nicht. Ich hätte es aber gerne getan, weil es in meinen Augen einen wirklich guten Grund zum feiern gab. Glücklicherweise schienen wir jetzt jedoch erst einmal ausreichend Zeit gewonnen zu haben, sodass besagte Kuscheleinheiten auch problemlos auf einen späteren Zeitpunkt vertagt werden konnten. Wäre wohl deutlich gesünder für beide Parteien, schien mir die junge Frau im Augenblick auch nicht gerade fit. Umso glücklicher machte es mich, dass ihr mein Wohlergehen momentan augenscheinlich wichtiger war als das ihres, allerdings musste ich die Frage verneinen. "Sorry, aber wirklich... Hunger habe ich nicht. Ess' du ruhig.", murmelte ich kraftlos und vielleicht wäre es gar nicht so verkehrt gewesen, den ein oder anderen Happen zu mir zu nehmen. Mein Körper konnte gerade sämtliche Energiezufuhr gut gebrauchen, aber ich bezweifelte, dass ich momentan in der Lage war, auch nur einen Bisschen runter zu kriegen. Was die Schmerzen anging machte ich mir dabei noch nicht einmal viele Gedanken, aber mein Magen machte nach dem Gespräch gerade doch ein bisschen Probleme. Mir war irgendwie ganz flau, da wollte ich nicht riskieren, dass mir das Essen gleich wieder die Speiseröhre nach oben kroch.
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Ich hatte schon befürchtet, dass er das sagen würde. Zum einen natürlich deshalb, weil er eben nicht gerade so wirkte, als hätte er Energie dafür übrig etwas zu Essen runterzuschlucken und auch noch zu verdauen. Zum anderen war es wohl auch gar nicht verwunderlich, dass er in seiner Lage nicht wirklich Appetit hatte. Sein Kreislauf war sicher nach wie vor ziemlich am Boden - genau deswegen wäre es eigentlich auch wichtig, ihn zumindest ein klein wenig in Schwung zu halten. Iljah hatte jetzt sicher schon eine halbe Ewigkeit nichts mehr gegessen und sein Körper würde es ihm danken, wenn er ein bisschen Brennstoff zum Überleben kriegen würde. Immerhin gab es so einige Wunden zu flicken und das fiel dem Körper zweifelsfrei leichter, wenn er nicht parallel dazu auch noch ausgehungert wurde. Je schwächer der Schwarzhaarige wurde, desto schleppender würde auch die Wundheilung vorangehen. "Ich hab schon befürchtet, dass du das sagen wirst.", ließ ich den jungen Mann an meinem vorherigen Gedanken teilhaben, als ich mich - natürlich nicht, ohne das Gesicht wieder kurz zu verziehen - etwas umständlich zurück auf den Hintern setzte. "Deswegen solltest du den Tee trinken... und bis der abgekühlt ist, werd' ich essen.", redete ich leicht gemurmelt vor mich hin und schob mich vorsichtig ans Kopfende des Betts, um eine halbwegs gute Sitzposition zu kriegen. Es war nicht so als wäre Tee das Heilmittel für alles, aber er konnte den Magen beruhigen und gleichzeitig auch etwas den Appetit anregen. Einen Versuch war es also in jedem Fall wert und ich hoffte, dass der junge Mann sich wenigstens dazu erstmal überreden ließ. Noch bevor ich mir die Schüssel vom Tablett angelte, schob ich aber meine Beine langsam unter die Bettdecke. Mir war ein bisschen kalt, was sicher auch in meinem Fall dem lädierten Kreislauf zu verschulden war. Mir fiel erst jetzt auf, dass ich noch immer den Pullover aus der gestrigen Nacht trug. Dass da noch immer recht viel getrocknetes Blut dran klebte und ich womöglich mal die Klamotten wechseln sollte. Mit der Hose sah es da ja auch nicht viel anders aus - nur hatte ich nach wie vor nicht wirklich was hier. Wahrscheinlich würde Vahagn mich eher mit den Ärmeln eines Oberteils erwürgen, als mir eines zu leihen. Ich würde ihr gerne so lange aus dem Weg gehen, wie es möglich war. Mich am besten erst einmal hier bei Iljah verkriechen und ausblenden, dass sie und auch der tollwütige Hitzkopf noch immer in diesem Haus waren. Lange würde das sicher nicht gutgehen, aber für den Moment war das womöglich meine beste Option, um mich nicht sofort mit ihr auseinandersetzen zu müssen. Auch, wenn ich sie gerade nicht für eine immens große Bedrohung hielt, solange sie keine Schusswaffe bei sich trug. Vielleicht konnte sie mit dem Schmerz besser umgehen als ich, aber ich konnte zweifelsfrei schneller laufen als sie, wenn es drauf ankam. Meine Beine waren noch heil. Aber ich wollte jetzt nicht länger darüber nachdenken, als unbedingt nötig war und so streckte ich meine Hand schließlich nach dem Brei aus. Hielt ihn mir letztlich vor den Bauch, wo sich prompt eine angenehme Wärme ausbreitete. Ich ließ auch meine etwas kühlen Finger noch einen Moment lang an der Schüssel und nahm erst nach gut einer Minute die rechte schließlich weg, um stattdessen nach dem Löffel zu greifen. Ich rührte noch einmal kurz um, dann hob ich den Löffel erstmals an meine Lippen. War noch eine recht heiße Angelegenheit, weshalb ich doch sicherheitshalber ein bisschen pustete. Brei war nicht unbedingt meine Lieblingsspeise, aber er erfüllte seinen Zweck in einer einfachen, aufwärmenden Mahlzeit, die auch Energie lieferte. Mit ein kleines bisschen Zucker drin war er gut essbar, auch wenn ich trotzdem nur langsam aß. Ich wollte es rechtzeitig merken, falls es zu viel im Magen und mir deshalb schlecht wurde. Ich war froh darüber, dass mein Bauch sich nach der Schrecksekunde - oder eher gefühlten Stunde - im Flur nun wieder halbwegs beruhigt hatte, da sollte ich ihm nicht gleich den nächsten guten Grund zum rebellieren liefern. Ganz leer war die Schüssel also nicht, als ich sie schließlich zurück aufs Tablett stellte. Aber dafür fröstelte es mich nicht mehr so sehr, als ich stattdessen nach meiner Tasse griff. Allem voran um zu testen, wie heiß er noch war. Nach den ersten beiden Schlucken stellte ich schnell fest, dass er auch ohne lästige Pusterei inzwischen angenehm trinkbar war und so glitt mein Blick zurück zu Iljah. Auch beim Essen hatte ich immer mal wieder zu ihm rüber gesehen. Einfach nur, um zu sehen, dass er noch da war. Jetzt aber war mein Blick in seine Richtung fragend. Ich könnte ihn nicht dazu zwingen, sich zumindest am Tee zu probieren, wenn er es nicht wollte. Aber gut wäre es eben schon.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Gegen ein bisschen Tee sprach eigentlich nichts gegen. Zwar würde ich beim Trinken später Irinas Hilfe brauchen, damit mir das Gebräu nicht bloß rechts und links über das Gesicht lief, aber das bekämen wir sicher schon irgendwie hin. Mir persönlich war jetzt erst einmal wichtig, dass sie wieder etwas zur Ruhe kam und den Schock verarbeitete, dass nicht mehr viel bis zu ihrem Tod gefehlt hatte. Wäre Hunter heute schlechter gelaunt gewesen, hätte ich mir vermutlich sämtliche Versuche, ihn vom Mord an der jungen Frau abzubringen, sparen können. Ich war jedoch ganz froh darüber, dass er sich so kompromissfreudig gezeigt hatte, auch wenn es wie immer eigentlich nur um das liebe Geld und keinesfalls um einen Gefallen unter Freunden oder guten Bekannten ging. Aber für den Moment sollte mir das egal sein, galt meine Aufmerksamkeit fürs Erste der Schwarzhaarigen mit dem bezaubernden Lächeln. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte sie ruhig noch ein bisschen bei mir liegen bleiben und mich den ein oder anderen Kuss spüren lassen können, aber auch sie war reichlich angeschlagen. Die Position, in der sie über mir beugte, erschien mir zudem nicht gerade bequem und unter der Prämisse ihrer noch recht frischen Wunde auch äußerst schmerzhaft. Sie tat sich also gut daran, schon bald wieder eine anständige Position einzunehmen, in der sie sich auch deutlich angenehmer dem Essen widmen konnte. Anders als ich schien die junge Frau Appetit zu haben oder war einfach deutlich konsequenter, wenn es darum ging, dem Körper die Nährstoffe zu liefern, die er jetzt gerade ganz dringend brauchte. Die auch mein eigener eigentlich ganz gut gebrauchen könnte, aber ich schaffte es ja nicht einmal, mich aufzusetzen. Da lag es fern, dass ich in der Lage dazu war, eine Schüssel, geschweige denn einen Löffel richtig zu halten. Irina hätte mich also füttern müssen, wenn ich tatsächlich Hunger gehabt hätte und es gab einfach Grenzen, die ich nicht überschreiten wollen würde. Mich derart verletzlich und auf Hilfe angewiesen zu zeigen war eine davon. Ich würde lieber ein paar Tage hungern, auch wenn das definitiv nicht dazu beitragen würde, dass ich schnell wieder auf die Beine kam. Ganz im Gegenteil. Wahrscheinlich müsste man mich dann irgendwann zwangsernähren, weil mein Körper einfach keinerlei Energie mehr dazu aufbringen können würde, die Wunden zu heilen und mich dadurch wieder fitter werden zu lassen. Aber genug davon. Noch sah ich mich weit entfernt von einem Hungertod, also kein Grund zur Panik. Als die zierliche Schwarzhaarige sich ihre Schüssel voll Essen auf den Schoß gezogen hatte, drehte ich meinen Kopf wieder ein wenig in ihre Richtung, sah zu ihr rauf und beobachtete sie eine kleine Weile einfach dabei, wie sie still in die Leere blickte und den Brei etwas abkühlen ließ. Vielleicht auch die Wärme an ihren Fingern genoss, die auf meiner Haut gerade noch ziemlich kalt gewesen waren und in dem Moment wünschte ich mir, sie hätte sich ans Fußende des Bettes verzogen. Nicht, weil ich sie etwa nicht mehr bei mir haben wollte - nur konnte ich sie aus der aktuellen Position heraus nur äußerst schlecht ansehen. Mir tat irgendwann der Nacken weh, weshalb ich den Kopf wieder in eine gerade Position ausrichtete und gen weißer Decke starrte. Dabei wollte ich Irina eigentlich gar nicht aus den Augen lassen. Sie sah trotz der ziemlich befleckten Kleidung und der allgemein eher miesen körperlichen Verfassung immer noch unsagbar gut aus und ich war wirklich froh, dass mir noch ein bisschen Zeit mir ihr vergönnt war. Hunter sie nicht einfach an den Haaren aus dem Zimmer geschleppt und vor der Haustür umgebracht hatte. Blieb nur zu hoffen, dass ich keinen Fehler damit begangen hatte, der Serbin das Leben zu retten und sie mein ihr entgegengebrachtes Vertrauen nicht noch ein weiteres Mal missbrauchen würde. Ich war zwar der Meinung, dass Irina aus ihren Fehlern gelernt hatte, aber am Ende konnte man den Menschen ja doch nur vor den Kopf schauen. Ich würde mir zwar wünschen, dass sie ehrlich bereute, mich derart hintergangen zu haben, sollte sie mich aber enttäuschen, musste ich das wohl auch akzeptieren. Dann konnte sie sich aber ziemlich sicher darauf verlassen, dass ich derjenige war, der ihr Todesurteil fällte, weil sie mich charakteristisch dann ein Stück weit Hunter näher gebracht hätte. Mochte sein, dass ich noch etwas gutgläubig, etwas zu einfühlsam war, aber spätestens dann wäre auch bei mir der Ofen aus. Da auch das wieder ein ziemlich negativer Gedankengang war, der in seinem Verlauf keine Besserung versprach, schüttelte ich nach einer Weile des Nachdenkens noch schwach, kaum sichtbar mit dem Kopf. Just in diesem Moment hätte die junge Frau gerade ihre Schale zurück auf das Tablett gestellt und sah mich an. Fragte mich schließlich danach, ob sie mir einen Tee anbieten konnte, woraufhin ich leicht nickte. "Tee klingt gut.", ließ ich sie mit einem schmalen Lächeln, das aufgrund der schmerzenden Wangen meine Augen besser nicht erreichen sollte, wissen, dass ich Flüssignahrung in dem Sinne nicht ablehnen würde. "Wärst... du nur so gut?", ergänzte ich noch eine leicht überflüssige Frage, die ich mit dem Deuten meines Zeigefinders der rechten Hand in Richtung der Tasse verdeutlichte. Ich war nämlich nicht in der Verfassung, eigenständig das Porzellan zu heben und an meine Lippen zu führen. Brauchte dabei definitiv etwas Hilfe und eventuell auch das ein oder andere Kissen im Nacken, damit ich zumindest einigermaßen aufrecht saß und mich nicht an dem Tee verschluckte. Ersticken war meiner Meinung nach nämlich der Tod, an dem ich am wenigsten sterben wollen würde.
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**ja, lass halt mal noch ne Woche seit der Befreiung vergehen, die sind sicher eh bisschen länger da drüben, wat soll der Geiz**
Das Leben konnte doch noch schön sein. So manchmal, hin und wieder, zumindest ein kleines bisschen. Denn wenn wir mal ganz ehrlich waren, dann war die letzte Zeit für mich nichts anderes als wahnsinnig anstrengend und gleichzeitig unfassbar langweilig gewesen. Es war zwar nicht schlecht nicht mehr allein in meiner Wohnung leben zu müssen, aber das war wiederum an so viele Bedingungen geknüpft, das der positive Effekt quasi fast gänzlich verloren ging. Denn noch immer war mein Alltag ziemlich stark davon bestimmt den ehemaligen Drogenabhängigen im Auge zu behalten. Wenn ich gerade nicht auf der Arbeit war - die auch nicht gerade angenehmer wurde, weil ich immer im Hinterkopf hatte, wie sehr ich meinen gutmütigen Chef mit der illegalen Schmugglerei hinter seinem Rücken verarschte -, dann war ich fast immer bei Richard. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen, dass er immer öfter auch gerne mal raus wollte und natürlich war das viel besser, als nur mit ihm Zuhause rumhocken zu können, wie es anfangs gewesen war. Aber manchmal war das auch anstrengend. Die einzigen Minuten, die ich noch mit mir selbst hatte, fanden hinter meiner Bürotür im Café statt. Natürlich konnte ich mich auch mal ins Schlafzimmer verziehen oder verschwand mal im Badezimmer, aber dann war der Dunkelhaarige eben trotzdem immer ein paar Meter weiter und nie wirklich weg. Nur dann, wenn er hin und wieder mit Sabin unterwegs war, hatte ich mal ein paar wenige Stunden für mich - wenn es nicht zufällig in einen Zeitrahmen fiel, in dem ich sowieso arbeiten war. Ich begann mich wirklich immer mehr so zu fühlen, als hätte ich gar kein eigenes Leben mehr, obwohl meine Verletzungen inzwischen vollständig verheilt waren und ich mich zumindest wieder ungehindert fortbewegen konnte. Das Alles laugte selbst einen eigentlich frohsinnigen Menschen wie mich irgendwann aus und ich brauchte sehr dringend mal einen Tapetenwechsel. Würde gerne auch meine Freunde mal wiedersehen... wobei ich mir nicht sicher war, was ich mir eigentlich davon erhoffte. Ich wusste ja, dass ich jetzt eigentlich wirklich kein guter Umgang mehr für sie war. Wir hielten den Kontakt zwar übers Telefon halbwegs gut aufrecht, aber ich konnte mir jetzt schon nicht mehr vorstellen, dass meine Ausreden, warum ich keine Zeit hatte mich mit ihnen zu treffen, wirklich noch zogen. Sie kannten mich und würden wissen, dass irgendwas los war. Ich ließ es mir normalerweise nicht nehmen mich mit meinen engsten Vertrauten zu treffen und einfach mal ein paar Worte zu tauschen oder ein Bier zu trinken. Einfach irgendwas. Mit meinen Freunden treffen konnte ich mich heute zwar nicht, aber dafür hatte Sabin mir heute im Café, als er mir wie gewohnt Richards Anteil der Miete gegeben hatte, eine andere gute Nachricht überbracht. Zwar feierte ich schon lange nicht mehr so exzessiv wie kurz nach meinem 18. Geburtstag, aber mich mit Richard irgendwo in Havannas Partyszene herumtreiben zu dürfen, klang gerade trotzdem besser als Weihnachten. Natürlich hatte das Ganze eigentlich einen sehr ernsten Hintergrund: Ich sollte den Dunkelhaarigen quasi einem Test unterziehen. Ausprobieren, wie er darauf reagierte, wenn Alkohol und auch andere Drogen um ihn herum im Umlauf waren. Dass ich gut geeignete Bars und Clubs dafür kannte, war wohl überflüssig zu erwähnen. Ich war gerade so begeistert von dem Gedanken bei guter Musik einfach mal wieder die Seele baumeln lassen zu können, dass ich sehr gekonnt ausblendete, dass ich mich eigentlich nicht einfach abschießen und die Sau rauslassen konnte. Aber wie auch immer - als ich am Abend gegen 19 Uhr nach Hause kam, zierte wie schon den ganzen Heimweg über ein leichtes Grinsen meine Lippen. Kaum hatte ich die Wohnungstür hinter mir zurück ins Schloss fallen lassen, ging die Badezimmertür auf und Richard kam raus. "Perfektes Timing.", war mein erster Kommentar dazu, bevor ich mir noch zügig die Schuhe von den Füßen schob und die sehr schlichte Aktentasche auf der Kommode ablegte. Danach ging ich ganz unverblümt auf Richard zu. "Wir beide, mein Lieber...", setzte ich zum Reden an und kam vor ihm zum Stehen, um ihm die Hände an beide Schultern zu legen. "...werden uns jetzt in einen nächtlichen Ausflug stürzen.", summte ich bestens gelaunt förmlich vor mich hin. Schüttelte ihn dann euphorisch wortwörtlich wach, wenn auch nur ganz leicht. Ich wollte ihm ja nicht schon vorher ein Schleudertrauma bescheren und ließ ihn dann wieder los, um mich erneut in Bewegung zu setzen. "Sabin will, dass wir beide ein bisschen rausgehen. Also geh ich jetzt schnell duschen und dann geht's los. Ich brauch nicht lang, also zieh dich schonmal so an, als würdest du... Jemanden beeindrucken wollen. Aber auf lockere Art, Herr Professor.", setzte ich den jungen Mann während ich an ihm vorbeiging eher beiläufig noch darüber in Kenntnis, dass wir eine offizielle Erlaubnis dazu hatten und ich ihn nicht unerlaubt des nachts entführte. Ich warf ihm über meine Schulter nur noch einen kurzen Blick zu und verschwand dann auch schon im Badezimmer. Die letzten paar Worte hängte ich hauptsächlich deswegen an, weil er meistens eben nicht so der... naja, lockere, ausgelassene Typ Mensch war. Kein Kubaner - wir strotzten hier eigentlich vor Lebensfreude und lebten grundsätzlich gerne nur im Hier und Jetzt. Feiern war quasi unsere zweite Hauptmahlzeit. Er durfte sich also gerne schick anziehen, aber bitte nicht so, als würde er gleich seine Schüler zu einer Kunstvorlesung einsammeln wollen. Sabin hatte mich auch davor gewarnt, dass Richard für gewöhnlich eher Niemand war, der mal spontan irgendwo feiern ging, sondern viel mehr nur immer am gleichen Platz in seiner Lieblingsbar rumgehockt war, als sie noch in Norwegen gewesen waren. Deswegen beschloss ich ihn heute einfach ins kalte Wasser zu werfen, weil ich vermeiden wollte, dass er sonst von vornherein sagte, dass er dazu keine Lust hatte und er einfach nicht mitkommen würde. Er würde schon Spaß daran haben, wenn wir erstmal da waren.
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Faktisch würde ich mich wohl nie wirklich daran gewöhnen können, mir mit einer weiteren Person die Wohnung zu teilen. Dafür war ich inzwischen viel zu lange alleine gewesen und hatte meine Zeit als unabhängiger Single, der für niemand geringeren als sich selbst verantwortlich war, einfach zu sehr genossen. Fairerweise musste ich aber zugeben, dass ich es mir mit Sam an der Seite doch weitaus anstrengender vorgestellt hatte. Der junge Mann hatte mich zwar nicht zuletzt wegen seiner quengeligen Art den letzten Nerv gekostet, als er bedingt durch seinen lädierten Fuß ans Sofa gefesselt gewesen war, aber ich hatte diesen weniger beabsichtigten Arschtritt dringend gebraucht, um wieder einigermaßen in die Spur zu finden. Sammy hatte mir dabei unglaublich geholfen und tat es noch. Außerdem war an dem Zusammenleben ja auch nicht grundsätzlich alles schlecht. Schließlich lachten wir inzwischen viel miteinander und die Unterhaltungen waren gerne auch mal intellektueller Art, es ließ sich mit dem Italiener also wirklich gut aushalten. Nichtsdestotrotz vermisste ich meine eigenen vier Wände und war froh, dass sie zunehmend in greifbarere Nähe rückten. Sabin und ich unterhielten uns fast täglich über die gemachten Fortschritte und so langsam schien ich den Italiener tatsächlich davon überzeugen zu können, dass ich mich wieder gut fühlte. Zumindest okay, lebensfähig halt - ohne, dass man Angst haben musste, dass ich mich in einem nächtlichen Rausch von der Brücke stürzte. Natürlich war ich noch nicht zu einhundert Prozent wieder derselbe, aber das würde ich vermutlich auch nicht mehr werden. Agnolo hatte meine Sicht auf so Manches ganz einfach verändert - den Richard in seiner alten, sehr aufgeschlossenen Form würde es also wohl nicht mehr geben. Aber das war im Grunde genommen ja auch nicht schlimm. Wichtig war nur, dass ich wieder einen einigermaßen lebensfähigen Eindruck machte, alles weitere würde sich mit der Zeit entwickeln. Vielleicht in Richtung des alten Richards, vielleicht wurde ich aber auch ein weitaus unausstehlicherer Mensch oder das komplette Gegenteil davon. Wer wusste das schon. Ich jedenfalls nicht. Es war mal wieder einer dieser Tage gewesen, an denen ich mich vollkommen überzogen in die Hausarbeit gestürzt hatte, obwohl es schon seit Längerem nichts mehr gab, worin ich sinnvoll meine Zeit hätte investieren können. Die Küche war blitzblank, das Badezimmer ebenfalls und nachdem ich ein oder vielleicht auch zwei herumliegende Shirts vom Sofa in die Wäschetonne befördert hatte, ließ sich auch in jenem Raum nichts mehr großherrlich aufräumen. Und doch schaffte ich es irgendwie, mich den Tag über zu beschäftigen, damit ich auch ja keine Zeit hatte, um in irgendwelchen komischen Gedanken zu versinken. Letztlich war es halb sieben, als ich mich dazu entschied, duschen zu gehen. Bei den Temperaturen schwitzte man einfach ziemlich schnell, wenn man sich bewegte und zum krönenden Abschluss des Abends hatte ich mich eigentlich frisch geduscht in die Küche schwingen und etwas für Sam und mich kochen wollen. Die Betonung lag hierbei auf dem Wörtchen eigentlich. Denn daraus sollte scheinbar nichts mehr werden. Ich hatte den jungen Mann noch gar nicht richtig wahrgenommen, mich vor seiner Anwesenheit fast schon erschrocken, als er geradewegs auf mich zugelaufen kam und sich nicht davor scheute, mich an den Schultern zu packen. Dann sah er mich mit einem auf ominöse Art und Weise apathisch wirkenden Lächeln auf den Lippen an und im ersten Augenblick war ich mir unsicher, ob Sammy nicht zwischenzeitlich zu irgendwelchen Drogen gegriffen hatte. Er wirkte im Verhältnis zu den letzten Tagen überdurchschnittlich gut gelaunt, jedoch kam ich gar nicht erst dazu, ihn zu fragen, was ihm denn so äußerst Positives widerfahren war, weil er schon von ganz alleine drauf loszureden begann. Ich brauchte noch einen Moment, nachdem er mit seiner Erklärung zum Ende gekommen war, um die Worte zu begreifen, dann aber seufzte ich leise. Die Begeisterung - die selbstredend irgendwie so gar nicht vorhanden war - stand mir förmlich ins Gesicht geschrieben, aber ich bemühte mich um Sams Willen trotzdem um ein schmales Lächeln. Er schien sich richtig zu freuen und nach all dem, was er in den letzten Tagen, Wochen für mich geopfert hatte, wollte ich ihm die gute Laune eigentlich nicht verderben. Dass das Lächeln binnen weniger Sekunden bereits wieder verschwunden war, konnte ich nur leider nicht beeinflussen. Glücklicherweise hatte sich der quirlige Italiener zu dem Zeitpunkt schon längst von mir abgewandt und war hinter mir ins Bad gegangen. Maximal die gegenüberliegende Kommode war Zeuge des weniger begeisterten Gesichtsausdruckes. "Oh, okay... wo gehen wir denn hin?", fragte ich, aber als ich mich umdrehte war die Tür bereits ins Schloss gefallen. Also seufzte ich leise und wandte mich wieder ab. Eigentlich hatte ich wirklich keine Lust mehr, jetzt noch einen Fuß vor die Tür zu setzen. Zum einen hatte mich der Tag doch gewissermaßen geschlaucht und zum anderen wollte mir partout keine - in meinen Augen spaßige - Aktivität einfallen, die sich um diese Uhrzeit noch abspielte. Aber mich zu weigern, einfach hierzubleiben stand angesichts der Tatsache, dass Sammy sicherlich ziemlich enttäuscht sein würde, gar nicht zur Debatte. Ich mochte es, wenn er lachte und gut drauf war, nur schien das in den letzten Tagen eine richtige Rarität geworden zu sein und ich hoffte einfach, seine Stimmung wieder etwas anheben zu können, indem ich einfach keine Fragen stellte und mich seiner Bitte fügte. Ich trottete also in Richtung eines inmitten des Flurs befindlichen Schranks, in meine Shirts und Hosen einen temporären Platz gefunden hatten, damit ich nicht ausschließlich aus dem Koffer leben musste. Ich kramte in den bereits mehrfach durchwühlten und dann wieder zusammengelegten Klamotten herum und zog schließlich ein weißes Hemd, dann zwei lange Jeans und eine khakifarbene Shorts heraus. All das legte ich auf der Kommode neben Sams Aktentasche ab und überlegte kurz. Konnte mich nicht so recht entscheiden, wie ich denn bitteschön Jemanden locker beeindrucken sollte. Mal ganz abgesehen davon, dass ich das eigentlich auch gar nicht wollte. Mein Verstand riet mir, mich einfach für eine der schlichten blauen Jeans zu dem bis zum Kinn zugeknöpften Hemd zu entscheiden, während mein Bauch doch lieber zu den Shorts greifen wollte, weil sie einen weniger förmlichen, aber trotzdem sommerlichen Look abgaben. Am Ende entstand letztlich eine ziemlich seltsame Mischung aus beidem. Ich entschied mich nämlich für die Shorts, gegen die ich meine Jogginghose eintauschte und das kurzärmelige Hemd knöpfte ich bis obenhin zu. Ein oder zwei Knöpfe weniger hätten optisch bestimmt deutlich mehr hergegeben, aber in Norwegen war es derart kalt gewesen, dass ich nicht einmal im Sommer auf die Idee gekommen wäre, kurze Hosen oder ein nur halb bis dreiviertel geschlossenes Hemd zu tragen. Bis ich die gemütlichen Klamotten gegen die weniger gemütlichen eingetauscht hatte, vergingen bestimmt an die fünfzehn Minuten, von denen ich mindestens fünf ratlos vor dem Spiegel stand. Mir fiel vermutlich da schon auf, dass irgendwas an dem Look seltsam aussah und damit meine ich bestimmt nicht die nicht zu übersehende Narbe in meinem Gesicht...
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Tja, ja... wo gingen wir wohl hin? Ich schwankte noch zwischen zwei verschiedenen Örtlichkeiten, als ich mir kurz nach unserer Begegnung im Flur unter der Dusche die Haare einshampoonierte. Die Entscheidung fiel mir auch nur deswegen ein bisschen schwer, weil ich nicht wusste, was mir lieber war - eher eine Bar, von der ich wusste, dass sie als recht geheimer Treffpunkt für die Szene an Nicht-Heterosexuellen fungierte, oder eine ganz normale? In letzterer bräuchte Richard wohl kaum Bedenken zu haben, dass ihm irgendwer zu nah auf die Pelle rückte und ihn nervte. Ich wollte da zwar jetzt nicht einfach so alle Heteros über einen Kamm scheren, aber die meisten waren eben doch deutlich weniger aufgeschlossen als Leute, die mit ihrer Sexualität nicht überall auf Verständnis stießen. Die Kubaner waren ja ohnehin was solche Dinge anbelangte auch etwas zurückgeblieben. Deshalb tendierte ich wohl doch eher zu der anderen Bar. Da wusste ich auch mit Sicherheit, das hinter der Theke und auf den Toiletten doch der eine oder andere illegale Stoff vertickt wurde - nicht, als würde ich hier duschend aktiv planen, mir gleich mit der spontanen Substanz des Tages das Hirn zu vernebeln, aber es war sehr sicher eine gute Testumgebung. Vielleicht würde der Engländer selbst dort wegen der Narbe mal schief angesehen werden, aber bei Weitem nicht so krass, wie in der anderen Bar oder auf der Straße. Mir fiel das inzwischen zwar gar nicht mehr so auf, wenn wir draußen zusammen unterwegs waren, aber gerade zu Beginn unserer Ausflüge war es mir manchmal noch unangenehm gewesen, wie er angesehen wurde. Mittlerweile hatte ich mich so sehr daran gewöhnt, dass es mir nur noch hin und wieder mal bewusst auffiel. Mich störte die Narbe nicht mehr, seit ich wusste, was sich in etwa für eine Sorte Mensch in dem Köpfchen dahinter verbarg. Dabei verdrängte ich zwar gern seine kranke, künstlerische Ader, aber der Rest war doch ziemlich... menschlich. Außerdem hatte ich nie das Gefühl, mich mit einem Backstein zu unterhalten oder nur einseitig Themen abdecken zu können. Wir verstanden uns gut und wenn er nicht gerade seine mies gelaunten fünf Minuten hatte, dann war Richard wirklich in Ordnung. Aber wie auch immer - die Wahl war gefallen und ich trocknete mich nach der kurzen Dusche zügig ab. Föhnte mir die Haare, weil sie doch wieder etwas länger geworden waren und sonst ein paar Minuten zum Trocknen gebraucht hätten. Nur in Handtuch bekleidet schlenderte ich dann beiläufig im Flur an Richard vorbei, als wäre das so vollkommen normal, was es eigentlich nicht war. Normalerweise nahm ich mir meine frischen Klamotten doch lieber gleich mit ins Bad. Aber weil ich in meiner Euphorie gerade eher nur von A nach B und nicht mehr bis C dachte, ging ich eben nur mit dem Badetuch um die Hüften rüber in mein Zimmer, um dort im Kleiderschrank zu wühlen. Das Handtuch musste ziemlich bald Boxershorts weichen, danach war ich kurzzeitig am hin und her überlegen. Entschied mich aber wohl innerhalb von fünf Minuten schon für schwarze Jeansshorts, die am unteren Ende ganz leicht ausgefranst waren - ohne, dass da lose Fäden rumhingen, weil mein innerer Perfektionist damit nicht umgehen müssen wollte - und versah sie mit einem braunen Ledergürtel. Danach zog ich mir ein locker fallendes, sandfarbenes Leinenshirt über den Kopf, dessen Ärmel zwar in etwa dreiviertel Länge hatten, von mir aber grundsätzlich bis über die Ellenbogen nach oben geschoben wurden. Wenn man mich fragte, dann hatten die Knöpfe, die in etwa bis zur unteren Linie meiner Brust verliefen, gar keine Funktion - deswegen blieben die auch vollkommen unberührt, während ich mir stattdessen eine kupferfarbene Kette um den Hals warf. Der spitz zulaufende Anhänger in gleicher Farbe kam etwa auf halber Höhe meiner Brust zum Erliegen, zierte mir das Brustbein. Ich warf noch einen kurzen Blick in die verspiegelte Schranktür, streifte mir noch ein ebenso nur dezentes Armband in gleicher Farbe über und verschwand noch in Socken zurück ins Badezimmer, um mir die Haare zu machen. Das war dank meiner natürlichen Locken mit ein paar wenigen, routinierten Handgriffen getan und ich konnte nach dem Auftragen von ein bisschen Parfüm angetan von mir selbst zu dem Dunkelhaarigen zurückgehen. "Na dann lass dich mal ansehen.", forderte ich ihn indirekt dazu auf, sich mir zuzuwenden. Ich wartete einen Augenblick, dann stand Richard mir gegenüber und... sah nicht so locker aus, wie ich das gerne hätte. Allerdings hatte ich wohl auch von vornherein nicht zu hohe Anforderungen an ihn gestellt, war er vom lockeren Inseltyp doch einfach insgesamt recht weit entfernt. "Ich seh schon: In locker brauchen wir noch ein bisschen Nachhilfe...", witzelte ich vor mich hingrinsend, ohne das ich so klang, als würde ich ihm diesen kleinen Fauxpas wirklich übel nehmen oder mich gar darüber lustig machen. Ich hob stattdessen einfach nur gut gelaunt erneut meine beiden Hände an und griff dieses Mal nach den oberen drei Knöpfen seines weißen Hemds, um sie wieder aufzumachen. Zupfte es danach dann ein bisschen zurecht und versuchte den Kragen noch etwas zu weiten, damit man überhaupt wirklich was von den offenen Knöpfen sah. "Gleich viel besser.", betrachtete ich zufrieden vor mich hin lächelnd mein Werk, bevor ich meine Hände wieder sinken ließ. Einen Moment lang sah ich ihn noch an, dann wendete ich mich dem kleinen Schuhschrank nahe der Garderobe zu und zog die Ledersneaker mit weißer Sohle raus, die fast den identischen Farbton wie der Gürtel aufgriffen.
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Ich wandte mich erst wieder von meinem Abbild über der Kommode ab, als Sam - der sich mittlerweile etwas angezogen hatte - hinter mir zum Stehen kam und sein Wort an mich richtete. Trotz allem was passiert war, ließ ich es mir ja nicht nehmen, dem jungen Mann kurzzeitig nachzusehen, als er wie selbstverständlich oberkörperfrei an mir vorbei ins Schlafzimmer abgerauscht war, aber genauso schnell hatte ich mich auch wieder akribischen Blickes im Spiegel begutachtet. Es war mehr nur die Tatsache gewesen, dass er seine Klamotten immer schon direkt mit ins Badezimmer nahm und mich dadurch etwas überraschte, als dass ich ernsthaftes Interesse daran hegte, Sammy unbekleidet zu sehen. Nicht, dass ich grundsätzlich etwas dagegen einzuwenden hatte, war er optisch doch ganz nett anzusehen, aber ich würde mich wohl noch definitiv zurückhalten, wenn es ums Flirten ging. Aktuell war mir vieles einfach deutlich wichtiger, als ein belangloser One-Night-Stand, auch wenn ich den jungen Mann nun schon etwas länger kannte. Jedenfalls sagte ich mich von meinem Spiegelbild auf Samueles Bitte hin ziemlich schnell los, um mich stattdessen zu ihm umzudrehen. Dabei sah ich ihn wohl mindestens genauso hilflos an, wie ich mein Abbild gerade eben schon angesehen hatte, weil mir diese ganze locker aussehen Geschichte einfach immer noch nicht ganz behagte. Als hätte ich eine böse Vorahnung oder sowas. In den Augen des Italieners bräuchte ich wohl auch noch die ein oder andere Nachhilfestunde, wenn es um den eher legeren Kleidungsstil ging und noch bevor ich mich hatte rechtfertigen können, spürte ich auch schon Sammys warme Finger an meinem Hals, wo er begann, nach und nach das Hemd wieder etwas aufzuknöpfen. Unweigerlich spannte ich mich zunehmend mehr an, war ich zum einen weder auf die Berührung an sich vorbereitet, noch konnte ich sie richtig genießen, wenn es so gewesen wäre. Auch in dem Punkt hatte Agnolo offenbar seinen maßgeblichen Teil dazu beigetragen, dass ich auf zwischenmenschlicher Ebene mit Berührungen nicht mehr ganz so gut konnte, wie noch vor ein paar Monaten. Und das, obwohl ich eigentlich wusste, dass der zierliche Brünette mit einer der Letzten sein würde, der mir etwas Böses wollte. Glücklicherweise distanzierte sich Sammy auch schon sehr bald wieder von mir und gab mich somit für die Öffentlichkeit tauglich frei. Ich rang mir erneut ein eher müdes Lächeln ab, bevor ich ebenfalls noch einmal einen Abstecher ins Badezimmer machte. Allerdings verweilte ich dort nur wenige Augenblicke vor dem Spiegel, weil meine Haare bei näherer Betrachtung eindeutig zu lang für auch nur irgendeine Art von gescheiter Frisur waren. Die braunen Strähnen hingen mir also locker in der Stirn, als ich schließlich zurück in den Flur ging, um dort in ein paar schlicht schwarze Sneaker zu schlüpfen. Ich schob meine Hände in die Hosentaschen der Shorts und sah abwartend rüber zu Sam, der mich hinsichtlich Accessoires fast schon nackt wirken ließ. Ich war nur leider weder ein Fan von unnötigem Dekokram - meine Bilder und Skulpturen in Norwegen mal außenvor gelassen -, noch besaß ich sowas überhaupt. Und selbst wenn ich nur den ein oder anderen Ring besessen hätte, war dieser wohl eher nicht derart essentiell gewesen, dass Sabin ihn mir aus meinem Haus mitgebracht hätte, als es um ein paar Klamotten für den Aufenthalt bei seinem Landsmann gegangen war. "Bekomme ich denn jetzt eigentlich noch eine Antwort?", fragte ich nachdenklich, als der junge Mann mir letztlich das Go zum Aufbruch gegeben hatte. Ich war gerade ins Treppenhaus getreten, als ich mich noch einmal halb zu meiner Begleitung herumdrehte. "Wo gehen wir denn hin? Hab ich irgendwie was verpasst? Warum bist du so gut drauf?", überhäufte ich ihn plötzlich mit Fragen, die mir plötzlich durch den Kopf geschossen waren, beziehungsweise mir schon seit seiner Ankunft vorhin im Oberstübchen schwirrten. Ich wurde nun mal ungerne ins kalte Wasser geworfen und während ich dazu ansetzte, die Treppenstufen nach unten zu nehmen, überlegte ich parallel dazu, was alles für Grausamkeiten auf mich zukommen konnten. Nur bekam ich irgendwie gar keinen klaren Gedanken zusammen, weil ich mit Unternehmungen um diese Uhrzeit gerade in den letzten Wochen wirklich nichts Gutes assoziierte. Das letzte Mal, als ich des nachts unterwegs gewesen war, hatte es für mich fast mit einer Knarre am Schädel und einer blutigen Nase geendet. Klar, Sammy würde mich sicher vor einem Absturz dieser Art bewahren, wenn uns auf dem Weg zu wohin auch immer einer blöd anquatschte und uns etwas andrehen wollte, aber ich war trotzdem verunsichert, was man mir wohl auch ziemlich deutlich ansah.
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Wenn ich es mir aussuchen könnte... dann nicht, nein. Richard wirkte alles in allem weiterhin ziemlich skeptisch und wenig motiviert, als er mit ins Treppenhaus kam und ich hinter ihm noch die Wohnungstür abschloss. Also hielt ich es im Grunde nach wie vor für absolut keine gute Idee dem jungen Engländer mitzuteilen, wohin genau wir uns jetzt auf den Weg machten. Andererseits war es wohl auch nicht so ganz fair, ihm nicht mal einen kleinen Funken an Information zukommen zu lassen. Nur, weil ich Überraschungen gerne mochte - wenn es gute waren und nicht solche 'du schmuggelst jetzt meine Drogen'-Überraschungen - und auch nicht selten mal spontan unterwegs war, wenn ich nicht gerade an einen Ex-Junkie gekettet wurde, musste das eben nicht heißen, dass er da gleich tickte. Er war allgemein sicher eher der durchorganisierte Typ Mensch, bemessen an seiner Karrierelaufbahn außerhalb dem kriminellen Metier. Wobei mich die Vorstellung an Richard in Form eines durchgeknallten Professors auf dem Weg die Treppenstufen nach unten unweigerlich noch breiter grinsen ließ. Ganz allgemein wollten sich meine Mundwinkel aber auch partout nicht mehr senken. "Bist nicht so der spontane Typ, hm?", stellte ich dem Dunkelhaarigen eine rein rhetorische Frage, die wohl eher eine Feststellung war. Erst als wir auch die Haustür hinter uns gelassen hatten und in den kleinen Innenhof nach draußen gingen, setzte ich im Gehen mehr oder weniger zu einer Antwort an. "Ich soll dich auf Herz und Nieren testen und deswegen gehen wir ein bisschen feiern.", gab ich ich erstmal eine Info dazu, warum Sabin unbedingt wollte, dass wir uns so verhältnismäßig spät noch vor die Tür bewegten. "Ich meine, unsere anderen, kleinen Ausflüge sind ja meistens auch ganz witzig... aber ehrlich gesagt freu ich mich gerade einfach, mal wieder was anderes zu sehen.", erklärte ich dem Dunkelhaarigen auch meine übermäßig gute Laune, obwohl die sich durch den vorherigen Satz vermutlich auch schon erklären ließ. Mir war gerade einfach jeder Fetzen Freiheit und jeder Tapetenwechsel mehr als recht. Als wir draußen auf der Straße angekommen waren bog ich recht zielstrebig in die Innenstadt ab und die ersten paar Meter waren mit meinem Arbeitsweg dementsprechend vollkommen identisch. Allerdings würden wir zeitnah in eine andere Gasse auf der rechten Seite abbiegen, statt geradeaus weiter in Richtung Marktplatz zu gehen. Die Bar lag geschätzt nur dreihundert Meter Luftlinie von meinem Apartment entfernt. Sollte also irgendwas schiefgehen war wenigstens der Heimweg wirklich nicht weit. "Er hat auch gesagt, dass du ein kleiner Partymuffel bist... deswegen dachte ich eine Bar ist erstmal besser, als ein Club.", redete ich weiter und sah zu ihm rüber. Zuckte im Anschluss leicht mit den Schultern, während ein lauer Abendwind vorbeizog. Wie gewohnt war der warm, wehte einem hier doch eher nur selten Mal ein unangenehm kalter Wind um die Nase. Eher nur zum meist heftigeren Ende der Regenzeit hin, von der wir gerade glücklicherweise ein paar Monate entfernt waren. "Ist denke ich eine gute Möglichkeit dafür ihm zu zeigen, dass du langsam wieder auf eigenen Beinen stehen kannst.", wollte ich Richard auch noch einen positiven Aspekt unter die Nase reiben, der noch viel mehr ihn als mich betraf, damit er mir hier nicht postwendend auf dem Absatz Kehrt machen wollte. Schob dabei locker die Hände in die Hosentaschen. Immerhin hatte er auf der Insel ein eigenes Haus und ihm wurde quasi von der Mafia - machen wir uns nichts vor, die Typen waren nicht so viel anders als meine Pest von Großfamilie - verboten da zu wohnen, weil er ein Drogenproblem hatte. Wiederum aber wieder Drogen kochen sollte, ohne dabei das Endprodukt auf magische Weise schrumpfen zu lassen. Meines Wissens nach hatte der Professor vorher in Norwegen immer allein gelebt und er hatte demnach sicher ein gewisses Interesse daran, zu diesem Zustand zurückzukommen. Wir waren schließlich keine ewig sitzenbleibenden Studenten und waren aus sowas wie Wohngemeinschaften längst rausgewachsen. Wäre zwar sicherlich komisch, wenn ich plötzlich wieder nur mit meinem Kater zusammenwohnte, aber ich würde mich bestimmt schnell neu dran gewöhnen. Und auch, wenn ich wirklich noch ganz andere, weit größere Sorgen hatte, könnte ich dann mal wieder sowas wie ein existierendes Sexleben haben. Ich war noch jung und single, da wollte ich die Blütezeit meines Lebens doch gern etwas mehr genießen können. Mir auch nicht jedes Mal ins Gedächtnis rufen müssen die Weinflasche ja nicht auf dem Tisch stehen zu lassen oder mir wenigstens explizit zu merken, wie voll sie genau noch war, um zu kontrollieren, dass der Engländer auch von der Volksdroge Alkohol weiter die Finger ließ. Ich hatte Einschränkungen so weit das Auge reichte und wäre froh, ihn los zu sein - auch, wenn ich mich dann weiterhin gern hin und wieder mit ihm treffen würde, falls er Lust dazu hatte. Das eine schloss ja das andere nicht aus und den Kontakt aufrecht zu erhalten, sofern er das wollte, war nun wirklich kein Problem. Havanna war keine endlos riesige Stadt.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Samuele ließ sich für die weniger zufriedenstellenden Antworten auf meine Fragen verhältnismäßig lange Zeit. Ich nahm das jedoch ganz gelassen hin und schlenderte währenddessen gemächlichen Schrittes die Treppenstufen nach unten, schließlich hetzte uns ja keiner. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätten wir in stiller Hoffnung, dass Sammy am unteren Ende der Treppe angekommen dann keine Lust mehr zum rausgehen hatte, gerade auch noch ein bisschen mehr Zeit im Treppenhaus totschlagen können, als wir es letztlich taten. Bedauerlicherweise war es bis in den kleinen Innenhof nicht besonders weit und die Haustür war bereits hinter uns ins Schloss gefallen, als der Italiener mir offenbarte, warum wir uns für aktuelle Verhältnisse so spät noch vor die Tür bewegten. Und tja, was sollte ich sagen... auch wenn ich es wirklich versucht, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, weil ich fast schon mit etwas aus dieser Richtung gerechnet hatte, entglitten mir meine Mundwinkel völlig und sackten ungeachtet der guten Laune meines Mitbewohners in den Keller. Ich blieb auch einen Moment lang fast schon etwas fassungslos stehen, sodass Sammy mühelos an mir vorbeilaufen konnte, obwohl er gerade noch hinter mir gewesen war. Er hielt nur leider nicht an, schien mich damit nicht verarschen zu wollen, sondern meinte das vollkommen ernst. Deshalb setzte ich ungefähr fünfzehn Sekunden später, in denen er schon fast bis zum Bürgersteig gelangt war, wieder zum Gehen an. "Oh, hm...", war das erste, was ich wieder von mir gab, als ich zu ihm aufgeschlossen hatte. Dann überlegte ich kurz, wie ich die noch folgenden Worte formulieren sollte, ohne, dass er sich auf den Schlips getreten fühlte. "Es freut mich, dass du so gut gelaunt bist, aber ich halte das ehrlich gesagt für keine besonders gute Idee...", murmelte ich nachdenklich vor mich hin und senkte meinen Blick indessen auf den asphaltierten Boden. "Auch auf Bars muss ich Lust haben und... die habe ich gerade nicht besonders. Außerdem... weiß ich nicht, ob ich da... du weißt schon...", ergänzte ich noch ein wenig leiser, als ich sowieso schon redete. Ließ ihn dadurch zeitgleich wissen, dass ich im Grunde genommen keinen Bock auf einen Ausflug dieser Art hatte, als auch, das ich hinsichtlich der dort gehandelten und konsumierten Drogen, sowie dem Alkohol einfach verunsichert war. Selbst wenn es nur ein Test sein sollte, um zu schauen, wie weit ich in meiner komischen Therapie denn wirklich schon war, scheute ich mich davor. Wollte Drogen und ihre Hotspots ganz einfach meiden, auch wenn ich wusste, dass das so einfach nicht funktionierte. Ich dem Älteren der beiden Italiener tatsächlich irgendwie zeigen musste, dass von dem Meth, das ich laut Sabins Aussage recht zeitnah nach meiner Genesung wieder kochen sollte, nicht nach und nach etwas verschwinden würde. Ich konnte das alles schon verstehen, aber es machte mir den Ausflug trotzdem alles andere als schmackhaft. Deswegen hing ich wohl beim Laufen auch ein wenig hinterher, musste immer mal wieder einen Zahn zulegen, um seitlich hinter Sammy meinen Posten zu beziehen. Anders als ich schien der junge Mann förmlich in Richtung einer auserkorenen Bar zu fliegen, ich kam da kaum hinterher. "Bitte... kannst du... können wir das nicht irgendwie anders machen? Du kannst mich sicher bei Sabin absetzen und feiern gehen, aber ich möchte echt nichts riskieren.", äußerte ich meine Zweifel dann auch noch mal wörtlich, schlug sogar eine Alternative vor, mit der er trotzdem noch etwas Spaß haben können würde. Er musste mich bloß bei Sabin absetzen, wenn er mich nicht alleine daheim sitzen lassen wollte. Alles war mir lieber, solange ich meinen Fuß weder in eine Bar, noch in einen Club setzen musste. Nur bezweifelte ich wirklich, dass Samuele sich von meinem Gejammer davon abbringen lassen würde, mich nicht trotzdem mitzuschleifen, wenn er es von seinem Landsmann aufgetragen bekommen hatte. Inzwischen unterhielten sich die beiden zwar einigermaßen auf Augenhöhe und Sam wirkte nicht mehr jedes Mal so, als würde er sich vor Angst fast in die Hose machen, aber trotzdem glaubte ich nicht, dass er sich aktiv Sabin widersetzen würde, wenn der Auftrag für ihn sogar noch gewissermaßen mit Spaß verbunden war.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Sowas hatte ich schon geahnt. War einfach ziemlich vorhersehbar. Bis zu einem gewissen Punkt konnte ich es auch wirklich nachvollziehen, dass Richard wegen alledem Zweifel hegte. Immerhin war er wegen Drogen schon einmal sehr tief gefallen und er hatte ewig lange dafür gebraucht wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Wäre auch danach noch ein, zwei Mal fast wieder eingeknickt und hatte nur gerade so die Kurve gekriegt. Aber war er das alles denn gar nicht leid? All die Regeln und die nicht zu übersehenden Einschränkungen? Sabin hatte ihn mit der Einquartierung bei mir quasi sämtliche seiner Rechte entzogen - hatte ihn in die Kindergartenstufe seines Lebens zurückversetzt. Wollte ihn nicht aus den Augen lassen, weil er allein noch nicht lebensfähig war. Ich kam nicht umher etwas schwerer zu Seufzen, wollte mir vom Pessimismus des Dunkelhaarigen aber trotzdem nicht einfach so den Wind aus den Segeln nehmen lassen. Weder hinsichtlich dessen, dass er gefälligst nicht schon wieder den Schwanz einziehen sollte, noch hinsichtlich meiner guten Laune. "Jetzt komm schon, Richard...", setzte ich zu meiner kleinen Motivationsrede an und drehte mich dann im Gehen zu ihm um. "Findest du nicht es ist langsam Zeit dazu, den Kopf aus dem Sand zu ziehen? Ich weiß, dass du eine beschissene Zeit hattest... und eine ganze Zeit lang war es sicher berechtigt, dich auf Biegen und Brechen von Drogen fernhalten zu wollen, weil du einfach noch nicht so weit warst. Aber du hattest doch schon genug Möglichkeiten, um rückfällig zu werden... zum Beispiel da, als du mir Medikamente holen gegangen bist, weil ich dir die Ohren voll geheult habe und eingepennt bin. Ich wär sicher noch eine ganze Weile nicht aufgewacht, wenn keiner heim gekommen wäre, aber es ist nichts passiert. Gar nichts. Du hast nur meine Medikamente geholt und bist wieder heim gekommen.", nannte ich ihm zur Verdeutlichung meiner Worte noch ein taugliches Beispiel. Ich war einige Schritte beim Reden rückwärts weiter gegangen, drehte mich nun aber doch wieder nach vorne um, weil es zu anstrengend wurde. Außerdem waren die Kanten der Pflastersteine beim Rückwärtsgehen ein bisschen gefährlich. Und da war noch so eine andere Kleinigkeit... "Außerdem hättest du schon vor Wochen theoretisch mal nachts abhauen können, wenn du's wirklich gewollt oder versucht hättest. Ich hab irgendwann in meiner Hinkerei angefangen nicht mehr abzuschließen, weil ich's einfach in meinem Krüppel-Medikamenten-Delirium vergessen habe. Die ersten Male hab ich immer fast einen Herzinfarkt gekriegt, wenns mir morgens im Bett eingefallen ist... und dann bin ich aufgestanden und du warst noch da. Also hab ich ganz damit aufgehört nachts abzuschließen, weil's einfach nicht nötig war und mir das auch ein paar Meter Weg erspart hat.", holte ich zwischendurch ein bisschen weiter aus, als vielleicht notwendig gewesen wäre, aber er sollte mich verstehen. Sollte merken, dass ein einziger verzweifelter Griff an die Klinke der Wohnungstür inmitten der Nacht seinerseits gereicht hätte und er seine Drogen gekriegt hätte. Nur hatte er das offenbar nie versucht. So sehr konnte er Drogen also aktuell nicht mehr wollen. "Sag das aber nicht Sabin, ich glaube der hakt mir sonst die Hand ab... oder Schlimmeres.", bat ich ihn darum dem älteren Italiener dieses kleine, aber sehr pikante Detail bitte vorzuenthalten, weil der davon selbstverständlich keine Ahnung hatte. Warf ihm dabei auch ein schiefes Grinsen über meine Schulter hinweg zu, bevor ich wieder nach vorne sah. "Dass du zum Feiern vielleicht nicht so Lust hast kann ja sein... aber willst du denn jetzt für den Rest deines Lebens auf meinem alten Sofa schlafen und wie im Knast leben? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass es das ist, was du dir vom Leben wünschst. Wie wärs also, wenn du einfach mal das Kinn heben und die Brust straffen würdest, um endlich einen Schritt nach vorne zu machen..? Kuba hat so unendlich viele schöne Seiten, auch was Kunst angeht und du hast noch kaum eine davon sehen können. Findest du das nicht mal ein bisschen schade?", redete ich weiter vor mich hin und bog während meiner letzten Worte dann nach rechts in besagte Gasse ab. Das Schild oberhalb des Eingangs der Bar war von hier aus schon sichtbar. "Und ich weiß, dass du seit deiner Entführung insgesamt ziemlich traumatisiert bist... aber da sind eigentlich immer ein paar süße Typen unterwegs und zumindest mal ein bisschen Anschauen hat noch Niemandem geschadet." Ich zuckte mit den Schultern und sah Paolo aus der Bar treten. Vermutlich, um vor dem eigentlichen Ansturm zu späterer Stunde noch eine kurze Pause einzulegen und eine Kippe zu rauchen. Auch, wenn er irgendwie immer außerhalb meiner Reichweite zu schwimmen schien, war er schön anzusehen und ein wirklich netter Kerl. Also falls Richard irgendwann im Laufe des Abends die Nase von mir voll haben würde, konnte er auch einfach dem Barkeeper ein Ohr abschwatzen gehen. Der Kubaner Anfang Dreißig gab gerne gute Ratschläge, während er Gläser abtrocknete oder Cocktails mischte.
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Wenn ich ehrlich sein sollte, dann wusste ich in genau diesem Augenblick absolut gar nichts mehr. Mein Kopf war plötzlich wie leergefegt und es fiel mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Deshalb schwieg ich nach der Motivationsrede des Italieners sicherlich auch noch ein paar Meter, ehe ich den Kopf schließlich anhob und leise seufzte. Grundsätzlich hatte er ja Recht. In den letzten Tagen hatte ich nicht einen einzigen Gedanken an Drogen verschwendet, nur wie viel war das unter der Prämisse, dass ich dazu auch überhaupt keine Zeit gehabt hatte, noch wert? Ich hatte mich den Tag über stetig beschäftigt gehalten - ob mit Sport, kochen oder aufräumen - und am Abend war schließlich Samuele da gewesen, um mich abzulenken und ein Auge auf mich zu haben. Wie aber würde es sein, wenn ich genug Zeit bekäme, noch einmal darüber nachzudenken, wie schön es sich im Rausch hatte leben lassen? Wie schön es doch gewesen war, sich um Nichts Sorgen machen zu müssen? Wenn ich vor allem die Chance bekäme, mühelos an Stoff zu kommen, selbst wenn sich der junge Mann in meiner Nähe aufhielt? Ich wollte es mir gar nicht ausmalen, diesen Gedanken überhaupt nicht zulassen und stattdessen versuchen, das Positive in dem Vorhaben zu sehen. Leider fiel mir das gar nicht so leicht, wie es sich eigentlich anhörte. "Ja... ich weiß... und ich meine, du hast ja auch Recht. Ewig kann das nicht so weiter gehen, aber..." Ja, aber was? Warum konnte ich es denn nicht einfach auf mich zukommen lassen? Entweder es würde gut gehen oder aber Sabin sah, dass ich definitiv noch nicht bereit war, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Würde das ganze Prozedere dann von vorne losgehen? Musste ich mich erneut einer Therapie unterziehen oder ließ es der ältere Italiener dann einfach gut sein und schrieb mich ab? All diese unbeantworteten Fragen bereiteten mir ein leichtes, dennoch unangenehmes Drücken in der Magengegend, was ich erst einmal mit ein paar tiefen Atemzügen zu mindern versuchte. Dann rückte auch schon die besagte Bar in mein Sichtfeld und ich wusste, dass es jetzt ohnehin kein Zurück mehr geben würde. Ich drehte mich zwar kurz noch einmal um, um in die Richtung zu schauen, aus der wir gekommen waren - nur für den Fall der Fälle, merkte ich mir gerne, wo ich gegebenenfalls zurück nach Hause fand -, hielt dann aber unweit vom Eingang des Lokals inne und Sam am unteren Saum seines Shirts fest. Nicht so, als würde ich ihn böswillig daran zurück schleifen wollen, aber es war dennoch bestimmt genug, ihn ebenfalls anhalten zu lassen. "Ich hab schon Interesse daran, irgendwann wieder den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen und ja, ich vermisse auch mein eigenes Bett wirklich sehr, aber... ich hab einfach Angst." Riesengroße noch dazu. Das konnte er sich gar nicht vorstellen. Bis dato war ich mir zwar wirklich sicher gewesen, dass ich es packen würde, wieder unter Leute zu gehen, aber wenn der Moment dann doch immer näher rückte, wurde ich irgendwie nervös und ja... ängstlich. "Ich meine... wir sind jetzt hier und ich werde wohl mit dir in diese beschissene Bar gehen, aber ich fühle mich absolut nicht gut dabei. Ich... will auch keine süßen Typen anschauen... ich... mach das einfach, weil... damit ich's hinter mir hab.", stammelte ich unruhig ein paar Worte zusammen, die wohl ziemlich deutlich machten, wie nah mir das Thema ging. Dass ich das nun mal nicht einfach so auf die leichte Schultern nahm, sondern ernsthaft besorgt darum war, dass das schrecklich nach hinten losgehen würde. Dabei äffte ich außerdem ein paar Worte die Stimmlage des jungen Italieners nach, schüttelte dabei leicht mit dem Kopf und seufzte erneut. Ich hatte insgesamt wohl deutlich wichtigere Probleme, als irgendeinem Typen hinterher zu schmachten, auch wenn ich gestehen musste, dass der ein oder andere, der unweit von uns die Bar verließ, schon ganz nett aussah. Allerdings hatte Sammy in der Hinsicht einen ziemlich wunden Punkt getroffen, denn ja, ich war nach wie vor ziemlich traumatisiert und ich befürchtete fast, dass das noch eine Weile anhalten würde. Es war für mich schon ein richtiges Wunder, dass ich mich von dem Hausherren selbst nicht in irgendeiner Art und Weise genötigt fühlte. Auch zu Sabin noch ein relativ gutes Verhältnis hatte, auch wenn physisch in meine Komfortzone eindrang. Das war schon noch einmal was anderes, wenn ein Fremder das tat, was wohl auch ziemlich klar wurde, als ein Passant direkt vor uns zum Stehen kam, um nach einem Feuerzeug zu fragen. Fast schon instinktiv wich ich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. Erneut war mein Kopf vollkommen leer und das Herz rutschte mir fast in die Hose, fing an zu rasen. Erst, als ich mich Bruchteile einer Sekunde später in Sicherheit wusste, beruhigte es sich wieder und ich konnte auch noch einmal verbal versichern, dass zumindest ich kein Feuer am Mann trug. Dafür rauchte ich nun doch einfach zu selten und selbst wenn, hätte mir Sabin sämtliche Waffen - und sei es nur ein belangloses Feuerzeug - bei meiner Zwangseinweisung abgenommen. Er hatte also maximal noch Chancen, bei Sam eines zu ergattern, den ich durch die Unterbrechung kurzzeitig vollkommen ausgeblendet hatte. Als der Fremde kurze Zeit später dann bedient war und abrauschte, wandte ich mich wieder meinem Mitbewohner zu. Schließlich war ich noch nicht fertig gewesen, ihm gegenüber meine Bedenken zu äußern, nur hatte ich jetzt irgendwie den Faden verloren. Deswegen raufte ich mir bloß nachdenklich die Haare und fing an zu akzeptieren, dass an diesem blöden Barbesuch heute wohl nichts mehr zu rütteln war.
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