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| Zuletzt Online: 13.12.2024
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Es wäre gelogen, hätte ich behauptet, eine Aussage dieser Art nicht bereits vermutet zu haben. Dennoch ließ sie mein mir selbst aufgezwungenes Lächeln, welches meine Augen nie erreicht hatte, beinahe verblassen. Einzig und alleine die Tatsache, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach als Gewinner aus diesem Gespräch herausgehen würde, ließ mich den Schein wahren, Hunters Arroganz und seine herablassende Art würden mir nicht tierisch aus den Zeiger gehen. Ich hatte auf der Fahrt hierher das Gespräch mit Sabin, die geplatzte Überfahrt sowie die daraus resultierenden Konsequenzen noch einmal Revue passieren lassen und war seitdem der festen Überzeugung, dass Hunter meinen Vorschlag quasi gar nicht ablehnen konnte. Ich mich in einer deutlich besseren Position befand als er - ihm sozusagen überlegen war. Na ja, vorausgesetzt, er ließ seinen Stolz guten Geschäften nicht im Wege stehen. Was hatte er denn für andere Möglichkeiten, seinen Scheiß an den Mann zu bringen? Reell gesehen nicht besonders viele und schon gar nicht binnen weniger Tage. Mochte sein, dass es hier auf Kuba oder auf dem nächstgelegenen Festland südlich der Inseln noch die ein oder anderen Abnehmer und zuverlässige Transporteure gab, aber so wie ich den Amerikaner einschätzte, würde er kaum einem Wildfremden hunderte Kilo Drogen einfach mal so übergeben. Sicher gab es noch etliche Dinge vorher zu überprüfen und Sicherheitsvorkehrungen mussten bestimmt auch getroffen werden... Wie auch immer. Worauf ich jedenfalls hinaus wollte war, dass der überaus reizende Choleriker hier wusste, mit wem er es in diesem Fall zu tun hätte. Nicht zu verachten war natürlich auch die Tatsache, dass der Transport zeitnah vonstatten gehen würde und er auf Kuba nicht mehr lange auf etlichen Drogenpäckchen sitzen musste. Ein volles Lager war in aller Regel sicherlich etwas Gutes, keinesfalls aber auf einer so kleinen Insel, wo die Wahrscheinlichkeit gar nicht mal gering war, von den Bullen geschnappt zu werden. Und das war doch wohl das letzte, was Hunter wollte... oder? Zu einhundert Prozent in Sicherheit wissen konnte und sollte ich mich aber nicht. Wie gesagt, wäre es dem Amerikaner durchaus zuzutrauen, dass er alleine schon aus Prinzip keinen Deal mehr mit mir eingehen wollte, weshalb ich nicht zu überheblich klingen durfte, als ich sagte: "Es ist das beste Angebot, was du momentan kriegen kannst, Hunter." Als ich den Namen meines Gegenüber ausgesprochen hatte, kniff ich die Augen ebenfalls etwas zusammen. Auf meinen Lippen zeichnete sich nun ein schmales, professionelles Grinsen ab, als ich noch ein "Und wahrscheinlich auch das einzige, was sehr kurzfristig den Verlust deiner Geschäftsbeziehungen in Mexiko und den damit verbundenen finanziellen Schaden kompensieren könnte. Was sicher in deinem Interesse ist, denn sonst hättest du unserem Gespräch keine Chance gegeben, oder?" hinzufügte. Ich löste meinen Blick wenig später von den markanten Gesichtszügen des Cholerikers, um stattdessen mit einem Handzeichen der Bedienung hinter der Theke zu signalisieren, dass ich gerne etwas Alkoholisches bestellen wollen würde. In der Zwischenzeit konnte Hunter über das Gesagte nachdenken, wozu ihn der junge Mann, der binnen einer halben Minute an unseren Tisch gesputet kam, indirekt animierte. Schließlich würde der Amerikaner nicht vor Unbeteiligten über Geschäftliches reden und so musste ich nicht befürchten, dass er mir voreilig etwas an den Kopf knallte. Ich bestellte also in aller Seelenruhe einen Vodka - Klischees kamen schließlich nicht von ungefähr - und sah der Bedienung noch einen Augenblick hinterher, bevor mein Blick wieder dem jungen Mann mir gegenüber galt. Nachdem das Glas wenig mit dem durchsichtigen Inhalt wenig später seinen Platz in meiner Hand gefunden und ich einen Schluck davon genommen hatte, setzte ich zur Erläuterung meines Angebotes an.
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Ich genoss die wenigen Minuten schweigsamer Intimität, bevor ich mich schließlich langsam wieder von Irina löste. Ihr noch ein etwas müdes Lächeln schenkte, nur um kurz darauf vom Sofa aufzustehen und mich kurz zu strecken. Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich all den Stress der letzten Tage nicht deutlich in meinem Bewegungsapparat spüren konnte, aber es half ja alles nichts. Ob man jetzt kriminell oder ein lobenswerter Mitbürger dieser verkackten Gesellschaft war, spielte keine Rolle, im Leben gab es nichts umsonst. Mir diesen Gedanken vor Augen haltend, verabschiedete ich mich noch mit wenigen Worten von meiner Freundin, bevor ich in den Flur stiefelte, wo ich vorhin meine Sneaker geparkt hatte. Wenige Augenblicke später vertrat ich mir mit dem Handy am Ohr die Beine. Bevor ich mich hinter das Steuer des Leihwagens setzte, wollte ich nämlich bei dem Italiener nachhören, ob er überhaupt Zeit und Lust für ein Treffen übrig hatte. Dass er sich aktuell wohl an jeden Strohhalm klammerte, der einen alternativen Weg darstellte, seine Hehlerware an den Mann zu bringen, stand außer Frage. Ich wollte daher gar nicht erst wissen, ob er an der Idee interessiert war, die ich ihm in wenigen Worten am Telefon schilderte, denn falls ihm noch nichts Besseres eingefallen sein sollte, hatte er nicht so etwas wie eine Wahl. Für mich war aktuell nur wichtig zu wissen, ob ich direkt vorbeikommen könnte oder auf dem Absatz Kehrt machte, um zu Irina zurückzukehren, weil er heute etwas Wichtigeres zutun hatte. Wenig überraschend stimmte er einem sofortigen Treffen zu und so saß ich nach circa zwanzig Minuten schließlich im Auto, das ich mir relativ bald nach meiner Ankunft angemietet hatte. Die Öffentlichen hier waren eine absolute Katastrophe, ein Taxi auf Dauer zu teuer und meine eigene Karre einfliegen zu lassen einfach verschwenderisch. Trotzdem konnte und wollte ich während meiner Zeit in Havanna nicht auf die Unabhängigkeit und Spontanität verzichten, weshalb ich mir kurzerhand bei einer der wenigen staatlichen Autohäuser ein für mein Verhältnis sehr bescheidenes Auto organisiert hatte. Hier in Havanna durfte es jedoch auch nichts allzu Außergewöhnliches sein, wenn man nicht auffallen wollte und von A nach B brachte mich das Teil allemal. Zwar war es für meine Größe etwas klein, aber ich wollte mich nicht beschweren. Stattdessen startete ich lieber das Navi auf meinem Handy, um mich auf den Weg zu machen. Inzwischen waren fast vierundzwanzig Stunden seit dem Gespräch mit Sabin vergangen, welches insgesamt gut verlaufen war. Er sah ziemlich scheiße aus, wollte ich an der Stelle anmerken. Ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt, hatte ich mir gedacht, als ich den angeschlagenen jungen Mann sah. Zwar schien ein Großteil der Verletzungen bereits abzuheilen, aber dass er gut einen hatte wegstecken müssen, konnte man nicht übersehen. Aber gut, zurück zum Gespräch... Wir waren uns doch relativ schnell einig in allen wichtigen Dingen und so galt es jetzt nur noch, den Amerikaner zu bezirzen. Hunter, so hatten wir zwischenzeitlich rausgefunden, wäre nämlich, so blöd das klang und so wenig uns beiden das gefiel, der Mann, mit dem die ganze Sache entweder stehen oder fallen würde. Die Kosten des Kerosin würden den Wert von Sabins Kleinkram um Längen überschreiten, wenn wir uns dafür entschieden, ausschließlich seine Ware auszufliegen. Es brauchte leider eine gewisse Grundmasse, damit sich Beiladungen wie diese rentierten und man keine Miese machte. Und besagte Masse besaß nur einer, der seine aktuelle Handelsroute komischerweise ebenfalls nicht mehr befahren konnte... ha ha. Na ja. Jedenfalls waren wir nach einem ewigen Hin und Her zu dem Entschluss gekommen, dass es keine andere, sinnvolle Möglichkeit gab, die Sache durchzuziehen, falls der Amerikaner nicht mitspielte und so hoffte ich jetzt einfach mal darauf, dass sein Groll sich mir gegenüber einigermaßen in Grenzen hielt und ich zumindest ansatzweise zu ihm durchdringen konnte. Wir hatten uns für heute Abend in der Bar seiner Freundin verabredet, was mir nur Recht sein sollte. Aktuell war ich weniger in der Position, Ansprüche geltend zu machen und falls er mir zu blöd kommen sollte, konnte ich die Situation so vielleicht noch für meinen Vorteil ausnutzen. Daran verschwendete ich aber erst einmal keinen Gedanken, als ich den Tag nach dem Treffen mit Irina verbrachte. Wie gesagt, war die Zweisamkeit in den letzten Tagen ziemlich kurz gekommen und ich genoss die Anwesenheit der Schwarzhaarigen, auch ein Spaziergang am Strand das Höchste der Gefühle war und wir den Rest des Tages Zuhause auf der Couch oder im Bett verbrachten. Als ich mich spät abends dann auf den Weg zur Bar machte, konnte man fast meinen, ich wäre tiefenentspannt, so beruhigend wirkte die Serbin auf mich. Gänzlich lossagen konnte ich mich von der Anspannung jedoch nicht, denn von dem anstehenden Gespräch hing nun mal eine Menge ab. In gewohnt professioneller Manier verbarg ich meine Sorgen allerdings hinter neutraler Mine, als ich circa viertel vor elf die Bar betrat, dessen Name quasi alles war, was Hunter mir am Telefon zu meinem erbetenen Treffen ins Ohr gekotzt hatte. Meine Augen brauchten einen Augenblick, um sich an das gedimmte Licht im Inneren des Lokals zu gewöhnen, weil es doch ein ziemlicher Kontrast zu den hellen Straßenlaternen war, die den Weg vor der Bar für Ansässige, Touristen und Bettler beleuchtete. Kurz darauf wanderte mein Blick über die Köpfe der anwesenden Gäste und der Inneneinrichtung. Es dauerte nicht lange, bis ich den Choleriker in einer abgeschiedenen Ecke ausfindig gemacht hatte und zielstrebig seinen Tisch ansteuerte. "Danke, dass du gekommen bist.", ließ ich ihn mit gewohnt ruhiger Stimme indirekt wissen, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn er sich dem Treffen verweigert hätte. Zwar war die ganze Misere nicht auf meinem Mist gewachsen, aber ich kannte Hunter gut genug, um sagen zu können, dass ihn selbst Fakten oft nur peripher tangierten. "Ich denke, auch ich habe noch etwas bei dir gutzumachen. Hab mir was überlegt, womit sich die Route nach Mexiko vielleicht kompensieren lässt.", brachte ich direkt auf den Punkt, weshalb ich ihn hatte sprechen wollen, während ich mich auf der Sitzbank ihm gegenüber niederließ. Ich wusste nicht nur, dass der Hitzkopf sich gerne Situation zu seinen Gunsten zurechtbog, sondern auch, dass er kein Fan langer Reden, von formellen Begrüßungen oder gar Smalltalk war. Und obwohl ich mir eigentlich keiner Schuld bewusst war - schließlich hatte ich in Sabins Auftrag gehandelt -, hoffte ich darauf, dass die wohlwollende, fast schon entschuldigende Einleitung dem Gespräch einen guten Start verlieh.
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Ja, das würde ich wohl tun. Zwar hielt sich die Lust, mich erst mit Sabin und im direkten Anschluss daran dann mit dem Choleriker zu unterhalten, stark in Grenzen, aber ich wusste, dass es ganz einfach notwendig war, die Sache in trockenen Tüchern zu wissen. Falls die Idee überhaupt Früchte tragen würde wohlgemerkt. Einerseits hatte ich nicht vor, noch ewig auf Kuba zu bleiben - schließlich warteten in Russland noch meine eigenen Geschäfte auf mich - und zum anderen war ich einfach an einer schnellen Lösung interessiert. Ich hasste es, in Hinsicht auf mögliche Geschäfte in den Seilen zu hängen und selbst wenn Hunter den Vorschlag total beschissen fand oder nach dieser Aktion verständlicherweise meine Dienste nicht mehr in Anspruch nehmen wollte, dann konnte ich die Idee wenigstens ad acta legen und die Sache war abgehakt. Glücklich wäre ich darüber zwar nicht, weil ich dann wieder am gleichen Punkt meines aktuellen Problems stehen würde, aber zumindest ließe sich behaupten, es in diese Richtung versucht zu haben. Ich lächelte Irina entschuldigend an, nickte leicht und zuckte parallel dazu schwach mit den Schultern. "Ich schätze ja.", war alles, was ich diesbezüglich dann noch antwortete, bevor ich mich nach einem letzten Blick auf die Schwarzhaarige schließlich aus dem Türrahmen abstieß und meinen Gang in Richtung Schlafzimmer fortsetzte. Ich würde zuallererst nur einen Anruf tätigen, bevor ich mich gegebenenfalls heute noch einmal nach draußen begab, aber auch den wollte ich nur ungern lediglich mit einem Handtuch bekleidet führen. Ich wusste nicht genau, woran es lag, aber es war einfach merkwürdig, sich mit Geschäftspartnern zu unterhalten, wenn man selbst halbnackt war. Auch, wenn der Gegenüber einen nicht sah. Mochte ich einfach nicht dieses Gefühl oder auch nur den Gedanken daran und deshalb schlüpfte ich endlich im Schlafzimmer angekommen recht bald in eine frische Boxershorts. Wenig später folgte dann eine schlichte Caprihose in olivgrün und ein weißes T-Shirt dazu. Mehr brauchte es bei den Temperaturen hier auf Kuba auch nicht. Ehrlich gesagt waren selbst die dünnen Socken, die ich mir auf dem Bett sitzend über die Füße zog, schon zu viel des Guten, aber ich wollte später nicht barfuß in meine Sneaker schlüpfen müssen. Auch das war einfach kein schönes Gefühl. Als ich dann soweit fertig war, mich einzukleiden, entschied ich mich kurzerhand dazu, noch einmal ins Wohnzimmer zurückzukehren. Nicht nur, weil dort mein Handy lag, was ich zum Telefonieren zwangsläufig brauchte, sondern weil ich ganz einfach auch noch das Bedürfnis nach einer Umarmung und einem Kuss hatte. Die letzten Tage waren einfach scheiße gewesen. Viel zu stressig, meiner Meinung nach und ich hatte irgendwie nicht so richtig abschalten können. Aber jetzt, mit einem Lichtblick am Horizont fiel es mir gleich ein bisschen leichter, zumindest kurzzeitig so etwas wie Entspannung zuzulassen. Und wenn es nur fünf Minuten waren, die ich meinen Kopf sinnbildlich in den Schoß der jungen Frau legte - ich brauchte das gerade. Natürlich war ich noch lange nicht wieder bei bester Laune und das würde sich wohl auch erst ändern, wenn sich das Blatt nennenswert zum Guten gewendet hatte, aber ich konnte die dunklen Wolken zumindest für den Augenblick bewusst zur Seite schieben und mich mehr oder weniger mit einem aufrichtigen Lächeln neben der jungen Frau aufs Sofa fallen lassen, wo ich meinen Arm um ihre schmale Schulter legte. "Was hältst du davon, wenn wir schick Essen gehen, sobald sich die Sache ein bisschen gelegt hat? Ich hab ja bis jetzt nur die nicht so erfreulichen Seiten Kubas kennenlernen dürfen... und du hast doch bestimmt schon die ein oder andere Empfehlung, was Restaurants angeht, oder?", säuselte ich meiner Freundin ins Ohr, als ich mein Gesicht auf der einen Seite ihrer Haare vergrub, während ich mit meiner Hand auf der anderen Seite ein paar Strähnen der schwarzen Mähne über ihre Schulter strich. Zumindest für den Vorschlag, mit dem sie mich auf eine mögliche Idee gebracht hatte, aus der Misere zu entkommen, in der ich aktuell feststeckte, war ich ihr doch etwas schuldig, oder? Auch wenn es nur ein leckeres Essen und ein bisschen gemeinsame Zeit war.
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Im Grunde genommen trottete ich mit genau derselben schlechten Laune ins Bad, wie ich sie auch vor dem Gespräch mit Irina bereits gehabt hatte. Zwar sah man mir diese inzwischen nicht mehr allzu sehr anhand meiner Mimik an, aber innerlich war ich nach wie vor reichlich unzufrieden. Auch die Dusche konnte die miese Laune nicht einfach den Abfluss hinunter spülen, egal, wie lange ich unter dem warmen Wasserplätschern stand. Der einzige Unterschied zu vorhin lag wohl daran, dass ich jetzt nicht mehr nach Schweiß roch, sondern angenehm nach... na ja, frisch geduscht eben. Insgesamt verbrachte ich sicherlich eine halbe Stunde, mindestens aber zwanzig Minuten im noch recht spärlich eingerichteten Badezimmer des Hauses meiner Freundin, bis ich schließlich mit einem Handtuch um die Hüften das Schlafzimmer ansteuerte. Dort hatte ich meine Tasche mit den Wechselklamotten deponiert, ankommen tat ich allerdings nicht. Auf halben Weg hielt mich Irina im Türrahmen zum Wohnzimmer auf und ich lehnte mich, wie sie es vorhin auch getan hatte, mit locker verschränkten Armen in den Rahmen, um sie abwartend anzusehen. Lauschte dann ihren Worten, über dessen Antwort ich einen Augenblick lang ernsthaft nachdenken musste. Nun... ich hatte in Amerika ein paar Geschäfte und hier und da Aufträge aus Paraguay, aber das war definitiv nichts, was in aller Regelmäßigkeit geschah. In Anbetracht dessen würde ich also eher sagen, dass ich Nichts hatte, wodurch sich eine Reise nach, beziehungsweise über Kuba und zurück nach Russland rentierte. Außer vielleicht... "Hm, an und für sich nicht", murmelte ich erst einmal schulterzuckend und versank daraufhin kurzzeitig in Gedanken. Meinen Blick senkte ich indessen auf den Boden vor meinen Füßen und stand so sicherlich eine Minute schweigsam dar, bis ich meinen Gedanken für mich selbst abnickte und wieder etwas ansprechbarer wirkte. Geschäfte hatte ich hier zwar keine, mit denen ich Irinas Idee in die Tat umsetzen könnte, aber eventuell konnte ich dahingehend etwas anleiern. Immerhin war nicht nur Sabins Geschäft geplatzt, sondern das des Amerikaners gleich mit und der verschiffte, soweit die Informationen, welche ich hatte, kein vollkommener Schachsinn waren, kein Kleinscheiß, sondern verhältnismäßig lukrativ. Darüber hatte ich noch überhaupt nicht nachgedacht... wann auch, zwischen all der miesen Laune und der Verantwortung, mich mit Sabin über das weitere Vorgehen zu besprechen? Jetzt, wo in Russland die Straßen auch nicht mehr vom Mist der Sorokins vergiftet wurden, wäre es durchaus eine Idee, die man Hunter unterbreiten könnte. Zwar war ich was Drogengeschäfte anging nicht sehr belesen, hatte mich damit schlichtweg noch nicht befasst und vielleicht war das ja auch überhaupt kein Zeug, was sich im Osten gut verkaufte, aber es war wenigstens eine halbwegs brauchbare Idee. Erstmal besser als nichts und sollte sich sowohl der Amerikaner, als auch der Italiener darauf einlassen, dann ließe sich das einrichten, ohne damit direkt ein Minusgeschäft anzuleiern. "Aber du hast mich da auf eine Idee gebracht, danke!", sagte ich schließlich, ohne weiter ins Detail zu gehen. Dass schmale Grinsen auf meinen Lippen sollte jedoch aussagekräftig genug sein, um der Serbin zu signalisieren, dass sie mir mit ihrem spontanen Einfall, über den ich selbst noch gar nicht nachgedacht hatte, wirklich geholfen hatte. Ich müsste mich dafür nur noch mit den beiden Männern besprechen, um in Erfahrung zu bringen, was die davon hielten, aber im Grunde... war das nur eine Win-Win-Situation oder etwa nicht?
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Auch wenn man es mir vermutlich nicht ansah, war ich doch ein wenig erleichtert darüber, dass Irina sich schon bald etwas zu entspannen schien. Nicht mehr so verkrampft in meinen Armen hing, sondern sich einfach meinen Berührungen hingab und mir ihr Gehör schenkte. Ihre Reaktion auf meine Worte stimmte mich jedoch nur mäßig zufrieden. Selbstredend genoss ich ihre warmen Lippen auf meiner Haut und auch die Streicheleinheiten sehr, aber es wäre mir doch recht gewesen, wenn sie einfach nicht weiter nachgehakt hätte. Entsprechend nachdenklich sah ich die junge Frau auf der Suche nach einer Antwort auf ihre Frage an, während ich weiterhin über ihre Wange strich. Allerdings war ich auch gut eine halbe Minute später noch kein bisschen schlauer. Irinas Frage ließ sich schlichtweg nicht beantworten, ohne zumindest hier und da etwas von dem Geschäft preiszugeben. Deshalb wollte ich mich mit ihr darüber eigentlich gar nicht weiter unterhalten - aber dann waren wir nach dem Gespräch hier genau gar keinen Meter weiter, als zuvor. Ich wäre immer noch schlecht gelaunt, weil die Sache nicht rund lief und Irina wäre nach wie vor verängstigt, weil die besagte miese Stimmung einfach nicht weggehen wollte. Letztlich seufzte ich also, zuckte schwach mit den Schultern und tat zum ersten Mal seit langer Zeit etwas, von dem ich mir einst geschworen hatte, es nie wieder zu tun - ich redete, ohne vorher über den Inhalt meiner Worte nachzudenken. "An zu vielen Punkten, um sie dir jetzt einzeln aufzuzählen...", murmelte ich erst einmal und lehnte meinen Kopf schließlich an den Türrahmen, in dem wir standen. "Aber das wohl größte Problem ist, dass die Abnehmer der Ware nach dem Vorfall berechtigterweise erst einmal nichts mehr importieren wollen. Wie ich schon sagte, ging einiges schief.", erklärte ich weiter, allerdings ohne tiefgehende Details und fing parallel dazu, wie so oft in den letzten Tagen, damit an, fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Aber auch in den wenigen Augenblicken, die ich nachdachte, bevor ich mein Wort erneut an meine Freundin richtete, kam genau gar nichts dabei rum. "Es ist wirklich zu viel und auch zu gefährlich, um es im Detail mit dir zu besprechen. Sowohl für dich, als auch für mich..." - gerade weil die ganze Geschichte auch den tollwütigen Amerikaner inkludierte, den ich bei meinen Erzählungen aus gutem Grund nicht erwähnte - "... aber primär geht es um Hehlerware. Kleinscheiß. Und ich hab keine Ahnung, wohin damit...", war vorerst das Letzte, was ich die junge Frau wissen ließ, weil ich ganz einfach der Meinung war, dass es für sie absolut ausreichend war. Ihre Frage war dadurch beantwortet und ihr Leben nicht zwangsläufig in Gefahr, nur weil ich ein bisschen geplaudert hatte. Was ich wenig später im Übrigen bereits bereute. Quasi dann, als ich mehr oder weniger wieder zur Vernunft kam und mich daraufhin grummelnd von Irina löste. Es war egal, wie oft ich mir einzureden versuchte, dass ich der jungen Frau inzwischen vertrauen konnte. Und egal, wie sehr ich mich anstrengte, es trotz der Bedenken zu tun, mir war einfach nicht besonders wohl dabei. Ich war zwar kein besonders nachtragender Mensch und irgendwann würde ich meiner Freundin sicherlich auch wieder vertrauen können, aber Irina hatte mir nun mal leider nicht bloß zehn Euro aus dem Portemonnaie geklaut, sondern mich ernsthaft verletzt. Psychisch wie auch physisch. Entsprechend frustriert über die mich einholende Erkenntnis distanzierte ich mich ein wenig von der jungen Frau, um mir seufzend das Haar zu raufen. "Ich... ich geh' erst mal duschen.", wollte ich dem weiteren Gespräch entkommen und setzte mich daraufhin bereits in Bewegung in Richtung Badezimmer. Vielleicht konnte mir ja der vorzugsweise kalte Wasserstrahl dabei helfen, zum einen all die negativen Gedanken loszuwerden, zum anderen auch wieder etwas klarer im Kopf zu werden. Eventuell ließ sich eine Unterhaltung später dadurch besser führen. Ich bezweifelte es, wenn ich ehrlich sein sollte, aber ein Versuch war es immerhin wert. Irina würde heute wohl kaum noch verschwinden, ich hatte also noch etwas Zeit.
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Ganz offensichtlich hatte ich der jungen Frau die Sprache verschlagen. Anders konnte ich mir zumindest nicht erklären, warum sie mich derart lange auf eine Antwort warten ließ. Es verging fast schon eine kleine Weile, bis die leise gemurmelten Worte Irinas an mein Ohr drangen und mir einen kleinen Denkanstoß verliehen. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass meine schlechte Laune von jetzt auf gleich wie weggeblasen war, aber... sie rückte in Anbetracht der Tatsache, dass ich meiner Freundin offenbar gerade Angst machte, ein Stück weit in den Hintergrund. Schließlich wollte ich das nicht - ihr Angst machen, meine ich, denn ich wusste natürlich sofort, warum sie so besorgt war. Die damals recht verhängnisvolle Nacht für die junge Frau hatte immerhin auch nicht anders angefangen, als mit meiner schlechten Laune und Alkohol. Gerade als ich jenen Gedanken zu Ende geführt hatte, wanderte mein Blick, der nun nicht mehr besonders grimmig, sondern eher etwas ratlos war, abwechselnd auf das Glas und die Weinflasche in meinen Händen, bevor ich diese nach kurzer Überlegung zur Seite stellte. Nicht, ohne ein leises Seufzen von mir zu geben, aber es war sicherlich das Beste, auch wenn ich mir das gerade nicht eingestehen wollte. Anschließend rieb ich mir mit einer Hand über das angestrengte Gesicht und überbrückte die Distanz zwischen Irina und mir mit den wenigen letzten Schritten. So war ich nur noch ein paar Zentimeter von ihr entfernt, als ich ihr gegenüber im Türrahmen inne hielt und nach kurzem Zögern - vielleicht wollte sie ja auch gar nicht angefasst werden, wenn sie gerade Angst vor mir hatte... übel nehmen würde ich ihr das auf jeden Fall nicht - meinen Arm nach ihr ausstreckte. Ich legte meine Hand seitlich an ihren Hals und schob sie von da aus langsam weiter in ihren Nacken, um ihren Kopf vorsichtig, aber mit einem gewissen Nachdruck an mich zu ziehen, sodass sie sich etwas mehr aus dem Rahmen löste und ich meinen anderen Arm problemlos um sie legen konnte. Dann hauchte ich ihr flüchtig einen Kuss auf den Haaransatz und auch wenn meine Haltung allgemein etwas verspannt wirkte - weil ich das nun mal nach wie vor war, verdammt noch mal -, bemühte ich mich um einen ruhigen Tonfall. "Entschuldige bitte, das war gewiss nicht meine Intention.", murmelte ich ebenso leise in die schwarze Mähne hinein und meinte jedes einzelne Wort auch genau so, wie ich es sagte. Mit meiner schlechten Laune wollte ich meine Freundin nämlich logischerweise nicht verängstigen. Alles andere vielleicht - sie nerven, für den Moment loswerden, einen Streit provozieren, weil ich da gerade Bock drauf hatte, ja. Aber ich wollte bestimmt nicht, dass sie Angst vor mir hatte und sich nicht mehr in meine Nähe wagte, nur weil ich ihr gegenüber eventuell komisch werden würde. Auszuschließen war letzteres natürlich nicht, ich kannte meine Macken schließlich nur allzu gut, aber ich war just in diesem Augenblick noch ausreichend Herr meiner Sinne und würde es nicht wagen, Hand an sie zu legen, wenn sie das nicht wollte. Na ja, außer was diese Umarmung hier anging vielleicht. Sollte ich jedoch merken, dass sie lieber flüchten wollte, um meine Nähe für den Moment zu meiden, dann würde das wohl akzeptieren müssen, auch wenn das meine Laune nur weiter in den Keller ziehen würde. Jedenfalls konnte ich nun auch eins und eins zusammenzählen, was Irinas seltsames Verhalten in den letzten Tagen anging und vielleicht wäre es gar nicht so weit gekommen, wenn ich ihr direkt erzählt hätte, wo bei mir aktuell der Schuh drückte. Leider war ich nur niemand, der besonders gerne über Geschäftliches redete und gerade der Serbin gegenüber fiel es mir zudem auch noch etwas schwer, Vertrauen zu fassen. Ich liebte sie, dessen war ich mir bereits seit Längerem bewusst, weshalb ich mich nicht zuletzt auch für ihren Schutz hier auf Kuba und der neuen Bleibe eingesetzt hatte, aber sie hatte schon einmal sensible Informationen über meine Geschäfte und mich dafür missbraucht, mir buchstäblich ein Messer in die Brust zu rammen. Die Narbe knapp unterhalb des Schlüsselbeins erinnerte mich täglich daran, wenn ich sie im Spiegel sah. Aber vielleicht konnte ich ja zumindest ein bisschen was verraten. Etwas sehr Allgemeines, vielleicht half das ja schon. Ich musste schließlich nicht ins Detail gehen, oder? "Ich...", setzte ich an, brach aber ab und seufzte noch einmal, während ich die Gedanken in meinem Kopf sortierte. "Das Geschäft, wegen dem ich hier bin, ist... etwas aus dem Ruder gelaufen. Es ist nichts Weltbewegendes und Tote gibt's auch keine" - meines Wissens nach zumindest nicht... noch nicht, aber vielleicht änderte sich daran ja noch etwas, wenn Hunter spontan der Sinn danach stand - "aber es nervt mich halt einfach, weil es Stand heute nicht vorwärts geht.", grummelte ich also und fing an, gedankenverloren mit den Fingern durch Irinas Haar zu streichen. Allerdings löste ich mich schon bald von ihr, um meine Hand, die bis eben noch in ihrem Nacken gelegen hatte, stattdessen an ihre Wange zu legen. "Aber du brauchst deswegen keine Angst vor mir zu haben. Das... wird schon alles wieder." Und ja, tatsächlich war ich mir, zumindest was das anging, ziemlich sicher. Fragte sich nur, wie lange das dauern würde.
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Zumindest die Kopfschmerzen wurden durch das Schließen der Augen ein kleines bisschen besser, weshalb ich es nach einem weiteren Schluck von dem Wein gleich noch einmal tat. Dieses Mal ließ ich sie auch geschlossen und versuchte die allgemein recht angestrengte Gesichtsmuskulatur ein wenig zu entspannen. Ich wurde nun mal leider auch nicht jünger und je länger ich grimmig guckte, umso mehr tat mir die Stirn und auch die Schläfen weh... älter werden war einfach ein Graus. Jedenfalls regte ich mich erst wieder, als ich auf der anderen Seite der Küche ein Geräusch vernahm. Nur langsam schlug ich die Lider auf, um nur noch mittelmäßig angepissten Blickes zu Irina zu schauen, die im Türrahmen ihren Posten bezogen hatte. Mir stand die Unzufriedenheit über die letzten Tage wohl quer über das Gesicht geschrieben und ich machte zudem wirklich keinen Hehl aus meiner schlechten Laune. Es war also nur eine Frage der Zeit gewesen, bis mich die junge Frau auf die negativen Schwingungen, die von mir ausgingen, ansprach. Dass dies ausgerechnet heute der Fall sein würde, hätte mir ja in Anbetracht der ganzen anderen Vorkommen am heutigen Tag irgendwie klar sein müssen. Alles, was ich auf Irinas Frage bezogen tat, war erst einmal nur zu Seufzen. Schwach mit dem Kopf zu schütteln, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass es etwas gab, womit sich die Scheiße von heute auf morgen ausbaden ließ. Ich könnte mir wohl maximal das Hirn vernebeln... entweder mit Alkohol oder härten Drogen, aber damit war das Problem als solches noch lange nicht beseitigt, sondern wurde lediglich für ein paar Stunden in den Hintergrund gerückt. Anschließend müsste ich mich womöglich noch mit zusätzlichen Kopfschmerzen der Sache annehmen und darauf hatte ich weniger als absolut gar keinen Bock drauf. Ich sah die junge Frau aus ansatzweise müden Augen und mit mahlendem Unterkiefer an. Dachte darüber nach, was ich ihr jetzt antworten würde, weil ich ihr einerseits schon deutlich machen wollte, dass sie für den Moment wohl mit meiner schlechten Laune auskommen müsste, aber andererseits wollte ich sie auch nicht unbedingt anschnauzen. Sie konnte schließlich nun wirklich nichts dafür, dass die ganze Sache ein wenig aus dem Ruder gelaufen war und anders als Vahagn, war ich oft bedacht darauf, meinen Zorn nicht an Unbeteiligten auszulassen. Sabin hatte beispielsweise schon eine Standpauke gehalten, wenn auch mit dem nötigen Respekt. Ich war immerhin zum Teil selbst Schuld daran, hatte mich ja keiner gezwungen, dem Italiener unter die Arme zu greifen und so wie er mir sein Wort gegeben hatte, war das umgekehrt selbstredend auch der Fall - die Hälfte von den entstandenen Kosten würde er mir zahlen, aus dem restlichen Verlust zog ich meine Lehre. Ganz einfach. Aber in diesem Moment fiel es mir doch wirklich schwer, an mich zu halten, was womöglich daran lag, dass ich bei Irina gut und gerne mal etwas... losließ. In ihrer Gegenwart anders tickte, weil sie inzwischen mehr oder weniger zu meinem Zuhause geworden war und ja, das mochte nicht immer gut sein, wie beispielsweise in diesem Fall. "Wenn du eine Zeitmaschine in deinem neuen Keller hast, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, sie zu entstauben...", gab ich also etwas ironisch von mir und verdrehte dabei die Augen. "Ansonsten stehen die Chancen dahingehend wohl eher schlecht.", ergänzte ich noch ein paar Worte, als ich mit der Nase schon wieder im Glas steckte und einen weiteren Schluck Wein meine Kehle hinablaufen ließ. Dann stieß ich mich von der Küchentheke ab, schnappte mir die Weinflasche und trat - das Shirt achtlos auf der Theke liegend lassend - ein paar Schritte in Irinas Richtung. Jetzt hatte ich das Trinken doch schon vorgezogen, aber duschen wollte ich heute trotzdem noch, weil das ganz einfach notwendig war. Ich hatte mir den ganzen Tag heute inmitten von Havanna um die Ohren geschlagen, der Gestank der Stadt und nicht zuletzt auch mein eigener Schweiß klebte auf meiner Haut und wollte dringend den Abfluss hinunter gespült werden. Bevor ich allerdings ins Bad konnte, musste ich erst einmal an der zierlichen Schwarzhaarigen vorbei, die mir im Weg stand und irgendwie immer unruhiger wurde, je näher ich ihr kam. Das ließ mich einige Schritte von ihr entfernt noch einmal inne halten und die Stirn in Falten legen. War es jetzt etwa falsch, wenn ich mal schlechte Laune hatte? Kam das in letzter Zeit so oft vor? Ich konnte mich zumindest nicht dran erinnern. "Was ist?", fragte ich sie deshalb also ganz direkt, warum sie mich... so ansah, wie sie mich eben ansah. Wurde nicht wirklich schlau aus ihrem Blick und unterstrich meine Worte daher zudem mit einer Geste meiner beiden Arme.
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Tja, es hätte mir wohl von Anfang an klar sein müssen, dass das eine absolut beschissene Idee gewesen war. Ganz einfach nichts Gutes dabei herausspringen konnte, ein bereits bestehendes Risiko noch weiter auszureizen - nämlich, dass sich in dem Kaffee ohnehin schon illegale Schmuggelware befand und dann sollte zusätzlich noch etwas unauffällig darin versteckt werden -, weil das Fass irgendwann schlichtweg voll war und etwas passieren musste. Schließlich war es auch nur recht unwahrscheinlich, dass ein Mord oder Ähnliches unentdeckt blieb - der Täter vielleicht, ja, weil der gut und gerne schon über alle Berge war, die Tat als solche allerdings seltener. Wenn ich ehrlich sein sollte, dann hätte ich jedoch nicht damit gerechnet, dass bereits die erste Überfahrt zum Supergau werden würde und mich direkt bereuen lies, Sabin meine Hilfe angeboten zu haben. Zwar hatte ich innerhalb der letzten Tage bereits mehrfach mit dem Italiener gesprochen, der mir weiterhin eine angemessene Entlohnung zusicherte, aber das war auch gar nicht der primäre Grund meiner schlechten Laune. Der Gesamtumstand nervte mich einfach. Dass die Sache aufgeflogen war, war Mist, keine Frage. Aber der Rattenschwanz, den diese Aktion hinter sich herzog, schlug mir noch sehr viel mehr aufs Gemüt. Nicht nur, dass der Deal wohl vorerst geplatzt war und Sabin nicht auf dem einfacheren, laut seiner Aussage zudem schnelleren Weg an seine Kohle kam, nein, jetzt waren auch ein Haufen meiner Männer und meine Schwester verletzt. Letzterer brauchte ich mich künftig wohl erst mal nicht mehr, als wenige Meter nähern, weil vorher bereits irgendetwas in meine Richtung geflogen kam und außerdem tat es mir leid, Vahagn da mit reingezogen zu haben. Ich hatte ihr hoch und heilig - mit sehr, sehr viel Nachdruck - versprochen, dass das eine schnelle Nummer werden würde und sie sich nicht so anstellen sollte. Tja, und jetzt? Stand ich blöd da, denn sie hatte mit ihrem Zweifel Recht gehabt. So als läge es ihr im Urin, mögliche Katastrophen vorherzusehen. Also war meine Laune alles in allem ziemlich beschissen, um es mal mild auszudrücken. Von ein paar erholsamen Tagen auf Kuba konnte nach der Sache leider auch keine Rede mehr sein, wobei ich sicher nicht erwähnen musste, dass mich das nur zusätzlich ankotzte. Zu allem Überfluss schien sich Irina mir gegenüber auch zunehmend seltsamer zu verhalten und ich wusste nicht, warum sie das tat. Man konnte mir also kaum verdenken, dass ich Sabin die Sache doch etwas krumm nahm, auch wenn ich wusste, dass es nicht seine Schuld gewesen war. Er eben nicht der Idiot gewesen war, der das Verpacken der Drogen verkackt hatte und trotzdem konnte das meine miese Laune kein bisschen beschwichtigen. Statt mich also am Strand liegend an der Sonne satt zu sehen und gemeinsam mit Irina ein paar schöne Tage und Nächte zu verbringen, verbrachte ich die meiste Zeit meines Aufenthalts ja doch wieder mit Geschäftlichem. Tätigte Anrufe, traf mich mit Sabin, mit den Jungs, kurz bevor sie abreisten, organisierte, machte hier was, dann da was und wenn ich letztlich nach Hause kam, dann hatte ich weder Lust auf Kuscheleinheiten, noch auf Sex oder allerlei anderer Art von zwischenmenschlicher Interaktion. Dann wollte ich nur noch meine Ruhe haben, aber trotzdem passte es mir nicht, dass die Serbin irgendwie... anders drauf war, wenn ich mich in ihre Nähe begab. Es war nicht so, als legte ich im aktuellen Augenblick viel Wert darauf, herauszufinden, woran das lag, weil ich momentan nun mal ganz andere Sorgen hatte. Ließ das Verhalten dementsprechend auch erst einmal unkommentiert, aber ich war nicht blöd. Ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Irina wirkte ebenfalls ein bisschen... gestresst? Nervös? Ich konnte es nicht so recht zuordnen, weil sie ja doch versuchte, sich Nichts anmerken zu lassen. Und bis sich die Sache hier auf der karibischen Insel nicht wieder gelegt hatte, alle meine Jungs wieder in Russland waren und ich mir sicher sein konnte, dass Vahagn noch lebte, war mir das auch erst einmal egal. Nachdem ich alles Notwendige heute erledigt hatte, war ich noch etwas spazieren gewesen. In der Hoffnung, dadurch den Kopf ein wenig freizukriegen, streunte ich durch Havannas Gassen und kundschafte ein bisschen die Gegend aus, bevor ich letztlich nur noch mäßig schlecht gelaunt zu Irinas neuer Wohnung zurückkehrte. So richtig gute Laune hatte ich zwar immer noch nicht wieder, aber sie war auch schon mal schlechter gewesen, sodass die junge Frau im Wohnzimmer nicht direkt einen Anranzer zu befürchten hatte. Ich schob mir noch im Flur die Schuhe von den Füßen und knöpfte mir das Hemd auf, welches bei den Temperaturen fast schon zu viel Kleidung darstellte, bevor ich im Türrahmen zum Wohnbereich inne hielt. Ich musterte kurz die junge Frau, das Gesamtbild, welches sich mir bot, ehe ich ihre Aussage mit einem unzufriedenen Schnaufen kommentierte und das geöffnete Oberteil kurze Zeit später von den gestressten Schultern rutschen ließ. Mit dem Stoff in der Hand zog ich schließlich weiter in Richtung der Küche, wobei ich an dem gekochten Essen ohne weiteres einfach vorbei ging. Ich hatte keinen Hunger, wollte eigentlich nur ein bisschen meine Nerven beruhigen, nachdem ich duschen war und beschloss deshalb, eine der Weinflaschen anzubrechen, den Richard zum Einzug der jungen Frau hiergelassen hatte. Da Irina logischerweise noch keinerlei extravagantes Geschirr hatte, musste ein einfaches Glas als Behältnis herhalten, dass ich doch etwas mehr, als bis zur Hälfte mit dem Rotwein auffüllte. In der Hoffnung, dass der Alkohol mir ein wenig die Sinne betäuben würde, nahm ich auch schon bald den ersten Schluck. Der zweite folgte kurz darauf und am liebsten hätte ich das Glas jetzt in einem Rutsch leergemacht. Tat ich aber nicht, weil ich mich schließlich nicht sinnlos besaufen wollte. Stattdessen lehnte ich mich grummelnd mit der Hüfte an den Küchentresen und schloss einen Moment lang die Augen. Atmete einmal tief durch, aber irgendwie... half das alles nichts.
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Auch wenn mich Taurens Überfürsorglichkeit oft ziemlich nervte, hieß ich sie hier und heute ein Stück weit willkommen. Ja, was den Verband anging, die Wundversorgung im Allgemeinen, hatten wir zwei unterschiedliche Ansichten und im Normalfall, wenn ich dazu die Kraft gehabt hätte, dann wäre das Ganze zumindest in einer kurzen Diskussion ausgeartet, aber er kümmerte sich wirklich rührend darum, mir allen möglichen, ziemlich unnötigen Scheiß abzunehmen, damit ich so schnell wie auch nur irgendwie möglich ins Bett kam. Ich hatte von Beziehungen zwar nicht wirklich eine Ahnung, glaubte aber zu wissen, dass ich mit dem Norweger zumindest in der Hinsicht einen guten Fang gemacht hatte und seine Fürsorglichkeit nichts Selbstverständliches war. Unterbewusst lächelte ich deshalb wohl auch ein wenig in mich hinein, als wir nach abschließender Kontrolle der Stabilität des Verbandes gemeinsam das Wohnzimmer verließen und damit zumindest für Sabin langsam Ruhe einkehrte. Im Flur trafen Tauren und ich schließlich noch die Vereinbarung, dass er mir Essen machen würde, während ich duschen ging und dann trennten sich unsere Wege auch schon. Ich verschwand zügig - wobei das bei mir aktuell wohl relativ war - im Badezimmer, um dort etwas umständlich die befleckten Klamotten loszuwerden und sie geradewegs in die Wäschetonne zu befördern. Das allein kostete mich schon ungemein viel Zeit, weil ich mit dem Arm ja doch irgendwie ziemlich aufpassen musste, aber als ich dann erst einmal nackt war, ging das Duschen an sich recht schnell. Ich verbrachte nicht mehr Zeit als nötig unter dem Wasserstrahl, schrubbte lediglich schnell all den Schmutz von der Haut, ehe ich mich in ein großes Handtuch kuschelte und mich für einen Moment lang im Spiegel betrachtete. Inzwischen stand mir die Erschöpfung quasi quer über das Gesicht geschrieben und ich hatte etwas an Farbe verloren. Nichts, was man mit einer Mütze voll Schlaf nicht wieder geradebiegen konnte und so knotete ich das Handtuch schließlich unter meinem Arm zusammen und schlurfte barfuß über den Flur rüber in die Küche, wo Tauren noch am herumwerkeln war. Ich trat langsam an ihn heran und... tat dann etwas, was für mich vermutlich ziemlich untypisch war. Als ich schräg hinter ihm zum stehen kam, während er noch mein Essen auf dem Teller drapierte, legte ich meinen heilen Arm um seine Hüfte und kuschelte mich mit geschlossenen Augen an seinen Rücken. Atmete einmal tief seinen Duft ein und murmelte ein leises "Danke...", in sein Shirt. Das ließ sich jetzt auch ziemlich weitläufig fassen, weil es sicher einiges gab, wofür ich ihm danken sollte und ich überließ es ihm, zu entscheiden, für was konkret ich ihm jetzt meinen Dank ausgesprochen hatten. Primär wohl erst mal wegen seiner Hilfe mit dem Verband und der Zubereitung des Essens, was sonst auf mich zurückgefallen wäre. Im Anschluss daran reihten sich eine Menge anderer Situationen, in denen ein Dank angebracht gewesen wäre, den er von mir aber nie zu hören bekommen hatte und gerade war mir einfach mal danach. Mir war nach Gefühlsduselei, kuscheln und affig aussehen... Außerdem hatte ich noch nicht einen einzigen Kuss bekommen, seitdem der junge Mann hier in der Wohnung aufgeschlagen war.
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Für meinen Geschmack dauerte es eindeutig zu lange, bis Tauren endlich damit aufhörte, mir literweise Desinfektionsmittel über die Wunde zu schütten. Zwar ging es mir, als das Brennen irgendwann endlich abgeklungen war, deutlich besser, was die Schmerzen im Arm anging und das war an und für sich schon ein gutes Zeichen. Allerdings fühlte ich mich deswegen nicht gleich fitter und sah Tauren dementsprechend müde nach, als er schließlich erneut aus dem Wohnzimmer verschwand, um die angesprochenen Tabletten aus dem Badezimmer zu organisieren. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der junge Mann mit dem Antibiotika zu mir zurück kam und mir jenes in die Hand drückte. Darauf bedacht, den verletzten Arm nicht allzu sehr zu bewegen, ließ ich die Pille postwendend in meinen Mund wandern und spülte sie mit dem angereichten Wasser des Norwegers runter. Sie schmeckte noch genau so bitter wie damals, als ich sie in aller Regelmäßigkeit im Krankenhaus hatte zu mir nehmen müssen und entsprechend angewidert verzog ich das Gesicht. Ablenken von dem ekelhaften Geschmack taten mich dann allerdings schon bald die Worte, die mein Freund noch an mich richtete und mit denen er mir ein leises Seufzen entlockte. "Von mir aus...", murmelte ich, war aber nicht wirklich begeistert. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er die klaffende Wunde einfach zugemacht hätte, aber ich wehrte mich trotzdem nicht gegen das Anlegen eines Verbandes. Mit den richtigen Kompressen ließ sich dieser ja sogar verhältnismäßig angenehm wechseln und war mit Abstand immer noch besser, als die Wunde einfach gänzlich offen zu lassen. "Ich würde... dann gleich noch duschen gehen. So möchte ich nicht ins Bett gehen.", klärte ich den Norweger darüber auf, dass ich mich mit den Blutflecken am Körper, die hier und da durch die Kleidung gedrungen waren nur ungerne ins Bett legen würde. Außerdem wäre es vielleicht vorteilhaft, wenn ich mir zumindest noch ein Brot oder dergleichen einverleiben würde, weil ich in den letzten Tagen nur recht wenig Nahrung zu mir genommen hatte. Und nachdem mein Körper jetzt allerhand zutun hatte und das Adrenalin aus meinen Blutbahnen verschwunden war, würde er sich über Hilfe in Form von Kalorienzufuhr sicher freuen. Der Hunger hielt sich zwar in Grenzen, aber ich wusste, dass die letzte Mahlzeit bereits lange her war und ich der Vernunft halber lieber noch etwas essen sollte. "Und vielleicht noch etwas essen...", ergänzte ich meine vorangegangenen Worte also nachdenklich um eine weitere Feststellung. Antibiotika auf nüchternen Magen schlugen zwar schneller an, als nach einer Mahlzeit, aber ich kannte mich und wusste, dass mir dadurch binnen der nächsten Minuten kotzübel werden würde und ich wollte mich heute nicht mehr übergeben wollen. Dafür fehlte mir wirklich die Kraft und den Flüssigkeitsverlust konnte ich mir in meinem jetzigen Zustand auch ganz einfach nicht leisten. Tauren tat also gut daran, sich mit dem Anlegen des Verbandes ein wenig zu beeilen. Je schneller ich in die Küche und ins Bad kam, desto schneller ging es mir besser und Sabin konnte in Ruhe schlafen. Der schien zwar bereits auf dem besten Weg in Richtung Tiefschlaf zu sein, aber man konnte ja doch nicht gänzlich abschalten, wenn um einen herum noch so viel Trubel herrschte. Zumindest ich konnte das nicht. Nachdem der Verband also angelegt war, stand ich ohne zu Zögern auf, was mein Kreislauf anfangs mit durchsichtigen Sternchen vor meinen Augen und einem leichten Wanken quittierte. Das legte sich allerdings schnell wieder und so schnappte ich mir schließlich die Wasserflasche, um mit ihr und meinem Freund im Schlepptau aus dem Wohnzimmer zu schlurfen. Anders als vorhin ließ ich den Müll jetzt allerdings auf dem Tisch liegen. Mir war gerade nicht mehr nach aufräumen und morgen war definitiv auch noch ein Tag.
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Es wäre aber auch wirklich zu einfach gewesen, wenn Tauren einfach meiner Bitte nachgegangen wäre und die Wunde verschlossen hätte. Ich seufzte leise, weil mir definitiv die Kraft dafür fehlte, jetzt mit ihm zu diskutieren und deshalb sagte ich erst einmal auch nichts weiter dazu, sondern ließ ihn einfach machen. Ich persönlich wäre wohl schlichtweg das Risiko eingegangen, die Schussverletzung jetzt einfach zu reinigen und daraufhin dann Nadel und Faden oder die Klebestreichen einzusetzen, hätte mir da nicht weiter Gedanken drüber gemacht - aber wenn dem jungen Mann danach war, dann sollte er das ruhig machen. Solange ich mich nicht aktiv an der Umsetzung seiner Wünsche bezüglich meiner Wundversorgung beteiligen musste und es ausreichend war, geistig halbwegs anwesend hier auf dem Hocker zu sitzen, dann sollte mir das alles nur recht sein. Auch ein halbfauler Arm, der kurz vorm Abfallen war - so oder so ähnlich beschrieb der Norweger zumindest eine mögliche Nekrose - wäre mir in dem Moment wohl ziemlich egal gewesen. Hinterher, wenn der Unterarm tatsächlich nicht mehr war, natürlich eher weniger, aber gut. Jedenfalls schien sich Tauren einen ziemlichen Kopf darüber zu machen, wie er jetzt weiter mit meiner Verletzung verfahren sollte, denn es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er sich schließlich mit dem Desinfektionsmittel neben mich hockte, um seinen Plan - der wie auch immer lautete - zu verfolgen. Auf die Frage, ob ich Antibiotika im Haus hatte, zuckte ich nach kurzer Überlegung schwach mit den Schultern. "Ich weiß es nicht...", gab ich ehrlich zu und versuchte mich daran zu erinnern, was sich nebst Verbandszeug, Schmerzmitteln und allerlei anderer Arznei noch in meinem Badezimmer befand. Viel konnte es nicht sein, schließlich wohnte ich noch nicht besonders lange hier. Aber ich meine mich daran zu erinnern, dass ich vom letzten Mal, als ich es mit der Wundhygiene nicht allzu ernst genommen hatte, tatsächlich noch einen Restbestand an Tabletten übrig hatte. "Wobei... doch. Es sollten noch ein paar Tabletten vom letzten Mal übrig sein. Im Schrank neben dem kleinen Mülleimer. Viele sind das bestimmt nicht mehr, aber bis morgen reichen die sicher...", gab ich nachdenklich von mir und verzog bereits sichtlich angespannt das Gesicht, als Tauren sich mit dem Desinfektionsmittel zu mir runter begab. Es hatte schon wehgetan, nur die Wundränder zu desinfizieren und ich wollte ehrlich gesagt nicht wissen, was für eine Welle von Schmerzen mich gleich mitreißen würde, wenn er den Streifschuss gleich flutete. Allerdings schien das meinen Freund nur wenig bis gar zu interessieren - berechtigterweise - und so hob er ohne zu Zögern die Flasche an. Als Reaktion darauf war ich verleitet, den ausgestreckten Arm direkt wieder an mich zu reißen und laut loszuschreien. Aber Sabin, Tauren und auch mir selbst zuliebe blieb es bei einem kläglichen Jammern, gemischt mit ein paar kurzen, russischen Flüchen und angespanntes Gezische. Früher war ich nicht so eine Mimose gewesen. Konnte das Brennen, wenn die Bakterien in der Wunde förmlich explodierten, noch gut wegstecken, ohne eine Miene zu verziehen, aber irgendwie... na ja, war das mit der Zeit immer weniger eine Regelmäßigkeit und nur noch eine Ausnahme gewesen, dass ich mich derart häufig ernsthaft verletzt hatte. Seit ich hier auf Kuba Fuß gefasst hatte, schien ich allgemein aber ziemlich vom Pech verfolgt und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass die karibische Insel einfach nichts für mich war. Abgesehen von Tauren hielt mich hier auch nur recht wenig. Das Geschäft lief inzwischen zwar ganz okay, tendierte in Richtung gut, aber war noch lange nicht auf dem Level von Italien angekommen... sonst würde mir der ganze Scheiß wohl auch gar nicht erst passieren. Ich war ganz froh, dass das Brennen mich bald schon aus dem Gedankenstrudel riss und wieder zurück in die Gegenwart katapultierte, weil ich gerade etwas abzudriften drohte. Das half mir zwar, den körperlichen Schmerz in den Hintergrund rücken zu lassen, aber dafür wurde der seelische nur schlimmer.
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Taurens Berührungen taten gut. Zwar heilten sie nicht von jetzt auf gleich all meine körperlichen Wunden, aber zumindest streichelten sie ein bisschen meine Psyche und das war im Augenblick wirklich verdammt viel wert. Denn mir ging es vom Kopf her nach wie vor relativ beschissen und der innerliche Schmerz war mit dem der körperlichen Wunden nicht zu vergleichen. Ich hätte mir gewünscht, dass es nicht bloß bei den wenigen Streicheleinheiten blieb und er noch ein bisschen weitermachte, so wie er es immer tat, wenn wir unsere gefühlsduseligen fünf Minuten hatten, in denen wir wie ein ekelhaft verliebtes Pärchen gemeinsam im Bett lagen und uns einfach nur ansahen. Uns anlächelten und allgemein einfach... affig aussahen. Zum Glück hatte ich uns noch nie zusammen auf Bildern gesehen, die diesen Moment für die Ewigkeit festhielten, weil ich sonst sehr wahrscheinlich bemüht darum wäre, solche Intimitäten in der Zukunft einzustellen. Es war schön, wenn man gerade so dabei war, keine Frage, aber irgendwie ließ es einen auch ungemein verletzlich wirken, wenn man sich so emotional und gefühlvoll zeigte. Aber genug davon. Ich würde noch warten müssen und in Anbetracht der Tatsache, dass sich Tauren abwandte, um sich Sabin zu widmen, ließ mich das gedanklich ein wenig mit den Zähnen knirschen. Allerdings sagte ich nichts, schließlich hatte ich ihn dazu angewiesen und es war ganz einfach das Richtige. Sabin brauchte mit der offensichtliche Verletzung im Gesicht einfach dringender seine Unterstützung. Also richtete ich mich auf dem Hocker ein wenig auf und beobachtete den Norweger bei seinem Tun. Sah ihm nach, als er kurzzeitig aus dem Wohnzimmer verschwand und verfolgte dann jeden seiner Schritte akribisch mit meinem müden Blick. Glücklicherweise war der junge Mann bereits einigermaßen geübt darin, Wunden zu nähen und brauchte daher auch nicht besonders lange, sodass seine Aufmerksamkeit bald schon wieder mir galt. Tauren wandte sich mir wieder gänzlich zu und auf seine Frage hin ließ ich nur ein leises, im Ansatz belustigt klingendes Schnaufen von mir hören. "Hatte ich keine Zeit für. Und auf dem Schiff dann auch kein Verbandszeug...", gab ich wahrheitsgemäß eine Antwort, die der junge Mann sicher nicht hatte hören wollen und ich musste zugeben, dass ich mit den Worten selber nicht zufrieden war. Schließlich wusste ich bereits aus eigener Erfahrung, wie schnell eine unbehandelte Wunde einen mehr oder weniger dahinraffen konnte und sollte es deshalb eigentlich besser wissen, wenn es um die Versorgung von Verletzungen ging. Nichtsdestotrotz war mir das einfach ein bisschen aus den Händen geglitten. Ich war froh, dass ich zwischen der ganzen Scheiße in Mexiko überhaupt kurz die Zeit dafür gefunden hatte, mir einen Verband anzulegen. Später, kurz bevor wir auf das Schiff geflohen waren, hatte ich den Verband ein letztes Mal wechseln können und mir aufgrund der nicht vorhandenen Kompresse bei der ersten Versorgung den ganzen Scheiß wieder aufgerissen. Seitdem lag der Verband, dem ich mich vor wenigen Augenblicken entledigt hatte, unberührt an meinem Arm an und das war jetzt wie lange her..? Zwei Tage mal mindestens, was an und für sich bei einer nicht besonders stark blutenden, nicht infizierten Wunde noch unbedenklich war, aber allein der Tatsache wegen, dass ich eben nicht dazu gekommen war, den Streifschuss anständig zu desinfizieren und er zudem die komplette Kompresse durchgeblutet hatte, wäre ein Wechsel längst angebracht gewesen. Aber gut, ich konnte es jetzt leider nicht ändern und musste mich wohl damit abfinden, dass der Mist wieder länger zum Heilen brauchte, als er das unter normalen Umständen getan hätte. "Ich habe im Bad diese... Klammerpflaster. Das reicht sicher, 'ne Narbe bleibt so oder so.", ließ ich Tauren wissen, dass er sich keinem neuen Päckchen Nadel und Faden widmen musste, weil ich das ganz einfach nicht wollte. Vermutlich war es zwar sinniger, als diese blöden Wundnahtstreifen, aber eben auch schmerzhafter und dafür fehlte mir gerade einfach die Nerven. Ich sah ihn entsprechend bittend und zu gleichen Teilen entschuldigend an, weil ich ihn gleich noch einmal ins Badezimmer schickte, obwohl er dort bereits gewesen war. War mir halt leider entfallen, man möge mir diese Nachsichtigkeit verzeihen, nachdem ich eine halbe Ewigkeit zwischen pöbelnden Männern auf einem schmutzigen Schiff in einem beschissenen Container gesessen habe. Und das, nachdem ich mir fast mehrere Kugeln eingefangen hatte und meine letzte Dusche auch nur provisorischer Natur mit Salzwasser gewesen war.
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Es dauert nicht lange, bis der junge Mann zu uns ins Wohnzimmer getrabt kam und scheinbar erst mal einen Moment brauchte, um die Situation einzuordnen. Verständlicherweise, ich wäre sicherlich auch erst mal ein bisschen irritiert, wenn plötzlich eine andere Frau in der Wohnung von Tauren auf seiner Couch liegen würde. Die Hintergründe dazu wären mir auch erstmal egal, es ging da einfach ums Prinzip. Jedenfalls brauchte der Norweger nicht allzu lang, um sich aus dem Türrahmen zu lösen und zu mir aufzuschließen. Schwach lächelnd, aber ebenso mit leicht schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck folgte ich ihm dabei mit den Augen, bis er unmittelbar vor mir stand. "Hey.", murmelte ich und stellte das Desinfektionsmittel gerade auf dem Tisch ab, als Tauren sein Wort an mich richtete. Na ja, zu sagen, dass alles okay war, wäre wohl ganz offensichtlich gelogen, denn das war es nicht. Mir ging es um ehrlich zu sein sogar relativ beschissen, sowohl körperlich, als auch psychisch, aber im Moment konnte er mir wohl eher nicht helfen. Sabin hingegen schon. Also schüttelte ich schwach den Kopf und fügte zu meinen vorherigen Worten hinzu, dass er sich lieber um den Italiener kümmern sollte. "Mir geht es... den Umständen entsprechend, denke ich. Aber Sabin könnte deine Hilfe gebrauchen. Die Platzwunde an seinem Kopf... ich wollte sie nicht nähen, dafür bin ich einfach zu müde. Könntest du das übernehmen?", kläre ich meinen Freund also darüber auf, dass ich mit dem Streifschuss fürs Erste alleine klarkam. Ich würde die Wunde noch etwas atmen lassen und ihn danach eventuell bitten, das Ganze zu nähen oder zuzukleben. Angesichts der Tatsache, dass die Wunde nicht allzu tief und vor allem älter als sechs Stunden war, würde ich die Klebestreifen aber definitiv bevorzugen, hatte ich doch leider nichts mehr Zuhause, um die zu nähende Stelle lokal zu betäuben. Und auf den zusätzlichen Schmerz könnte ich ganz gut verzichten, war eine Narbe so oder so vorprogrammiert. Anders als bei Sabin, wo man zumindest noch versuchen konnte, das ansonsten fast makellose Gesichts zu retten. "Danach... könntest du mir bei dem Streifschuss helfen. Ist aber wirklich nicht so schlimm, ich hab mich um den wesentlichen Teil schon gekümmert.", meinte ich bloß, dass er sich um mich keine Sorgen machen brauchte. Ich ihm nicht direkt wegklappen würde, weil soweit alles im einigermaßen grünen Bereich war, aber am Ende könnte er mir dann eben doch noch helfen. Ich realisierte gar nicht, dass ich die ganze Zeit ein wenig vor mich hinlächelte, seit der junge Mann das Wohnzimmer betreten hatte und als es mir auffiel, wandte ich den Blick sofort von Tauren ab. Räusperte mich ein wenig und sah stattdessen lieber rüber zu Sabin. Ich wollte hier jetzt nicht direkt sentimental werden, aber der Norweger hatte mir gefehlt. Nach dem Streit vor meiner Abreise ganz besonders und ich hatte ihn doch sehr vermisst. Gerade, weil aus den ursprünglich geplanten zwei Tagen doch ein paar mehr geworden waren und meine Nerven wegen dem Zwist zwischen Hunters und meinen Männern vollkommen blank langen. Ich war wirklich dankbar darüber, dass es jetzt einigermaßen ruhig war, denn trotz der Schmerztabletten waren die immer stärker werdenden Kopfschmerzen leider ziemlich präsent. Nicht auszudenken, wie schlimm sie werden würden, wenn hier noch richtig der Teufel los wäre. Allerdings ging ich nicht davon aus, dass sich an der Ruhe heute Nacht noch groß etwas ändern würde. Tauren war sicher auch ziemlich im Eimer, Sabin würde, sobald die Wunde versorgt war, höchstwahrscheinlich direkt einpennen und ich sah aktuell auch keinen Grund, wegen dem ich länger als notwendig wach bleiben sollte. Gut, ich müsste auf jeden Fall noch einmal unter die Dusche, die schmutzigen Klamotten loswerden und das Blut von meiner Haut schrubben, mit dem ich mich zwangsläufig besudelt hatte, als ich mich nach Sabins Wohlergehen erkundigt hatte. Dann würde ich dem Norweger vielleicht noch erzählen, wie Scheiße doch alles gewesen war, aber dann... ja, dann würde ich vermutlich auch einfach einschlafen. So zumindest der Plan...
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Weise Entscheidung. Zwar war es auf Kuba in der Nacht nicht besonders kalt, aber unter gewissen Umständen - wie etwa Krankheit oder bei schweren Verletzungen - fing man wegen des Blutverlustes manchmal trotzdem an zu frieren und da schadete es nicht, für den Fall der Fälle eine Decke parat zu haben. Er musste sie ja nicht sofort benutzen. Ich nickte die Bitte also ab, ehe ich mit dem Müll in der Hand aufstand und erst noch Sabins blutdurchtränktes Shirt aufsammelte, bevor ich das Wohnzimmer verließ und den Weg in Richtung Küche einschlug. Dort entsorgte ich sowohl die Plastikverpackung, als auch das Shirt im Müll. Letzteres logischerweise nicht, ohne es vorher nicht mit ein paar Lagen Altpapier zu umwickeln. Grundsätzlich war ich eher ein Freund davon, den ganzen Scheiß zu verbrennen. Einfach keinerlei Spuren hinterlassen, aber zum einen wurden wir auf Kuba nicht ansatzweise so sehr verfolgt, wie das in Italien, Russland und Norwegen der Fall gewesen war und daraus resultierend würde sich zum anderen keiner die Mühe machen, Tonnen von Hausmüll zu durchsuchen, um ein Indiz bezüglich unserer Aufenthaltsortes zu finden. Ich war da also noch recht entspannt, als das verpackte Stück Stoff schließlich in den Plastikbeutel unter der Spüle wanderte. Gut fünfzehn Sekunden später hielt ich vor dem Küchenfenster inne und ließ meinen leeren Blick einen Moment lang ziellos durch die Dunkelheit wandern, ehe ich mich mit einem leisen dazu ermahnte, zurück ins Wohnzimmer zu schlurfen. Das letzte Bisschen Adrenalin wurde nämlich gerade aus meinem Körper gespült und ich merkte, wie ich zunehmend müder wurde. Und das, obwohl ich die Wunde an meinem Arm noch nicht ein einziges Mal angesehen hatte, seit wir in meiner Wohnung angekommen waren. Ich zwang mich also dazu, mein Tempo ein bisschen anzuziehen, mit dem ich ein Zimmer weiter ins Schlafzimmer ging, um dort eine der zwei Decken von meinem Bett zu angeln. Falls Tauren heute noch auftauchen würde, müssten wir uns eben eine teilen, was für mich in der Theorie erst einmal nicht besonders schlimm war. Ich hoffte zumindest darauf, dass ich nicht plötzlich zu frösteln anfangen würde und wenn doch, dann glich der Norweger das als menschlicher Heizkörper sicher gut wieder aus. Alles in allem brauchte ich nicht lange, bis ich wieder zu Sabin zurückkehrte, der sich in der Zwischenzeit um eine liegende Position bemüht hatte. Überraschenderweise wollte der junge Mann auch gleich jetzt die Decke über sich ausbreiten, wobei ich ihm hier und da noch ein wenig unterstützte. Dabei zischte auch ich immer mal wieder, weil mein Arm inzwischen bei jeder Bewegung stark schmerzte - ein Blick auf den dunkelbraun, fast schon mehlig-mürben Verband ließ bereits erahnen, warum. Das Ding musste jetzt ziemlich bald runter, wenn ich nicht noch eine ernsthafte Blutvergiftung riskieren wollte und so war ich ziemlich froh, dass das mit der Decke schnell vonstatten ging und ich mich unweit des Sofas auf einen Hocker fallen lassen konnte. Ich warf noch einen letzten Blick auf Sabin, der fürs Erste relativ zufrieden zu sein schien, ehe ich mir die Hände ein weiteres Mal desinfizierte und Hand an die Verbandsschere legte. Glücklicherweise war dieses Mal der wesentlich weniger wichtige, linke Arm verletzt worden und so ließ sich die Schere zum Durchschneiden des Verbandes recht leicht führen. Ich hatte gerade die mit Aluminium bedampfte Kompresse von der Wunde entfernt, diese also endlich aufatmen lassen, da richtete der Italiener noch einmal sein Wort an mich. Ich wandte meinen bemüht konzentrierten, prüfenden Blick von dem Streifschuss ab, der doch tiefer war, als ich anfangs angenommen hatte, Sabin erneut anzuschauen. Parallel dazu legte ich die blutdurchtränkte Wundauflage vor mir auf dem Tisch ab und griff gerade zu dem Desinfektionsmittel, als der junge Mann ziemlich am Ende seiner Frage unterbrach, weil er, ebenso wie ich, den Schlüssel im Türschloss vernahm. Mit einer Mischung aus Vorfreude, aber auch innerer Unruhe sah ich mit geneigtem Kopf in den Flur, in dem wenig später Tauren zu sehen war.
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Auch wenn es mir nicht direkt anzusehen war, kostete es mich unglaublich viel Kraft, Sabins Wunden auszuspülen und einigermaßen angemessen zu verarzten. Die letzten Tage waren einfach alles andere als entspannend gewesen und noch dazu hatte ich reichlich beschissen geschlafen - wenn überhaupt, wohlgemerkt. Dass ich selbst in Mexiko im Kugelhagel etwas abbekommen hatte, machte die Sache nicht gerade angenehmer und so war ich doch wirklich froh, als all die großen, offensichtlichen Verletzungen einigermaßen fachgerecht bearbeitet waren. Der Italiener hatte auch brav stillgehalten und sich nicht wie ein bockiges Kind verhalten, das bei jedem Bisschen direkt zu nölen anfing. Zu seinem Glück, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, denn ich hatte nicht besonders viel Lust, mich heute noch gegen Widerstand auflehnen zu müssen. Damit war aber halt auch absolut Niemandem geholfen, weder ihm, noch mir. Aber er spielte mit, hob, wenn nötig, den Arm an, hielt die Mullwatte an seine Stirn und schmiss sich außerdem die Schmerzmittel selber ein. Ich konnte mich also eigentlich nicht beschweren und so waren wir auch verhältnismäßig zügig mit der Erstversorgung durch. Fehlte eigentlich nur noch die Platzwunde und dann konnte der Italiener ein wenig Kraft tanken. Vorausgesetzt natürlich, er kam trotz der ganzen Schmerzen irgendwie zu ein bisschen Schlaf, was ich mir für ihn ehrlich wünschte. Es gab nichts Schlimmeres als schlechten Schlaf, wenn es einem ohnehin schon beschissen ging. Der Körper kam dann einfach gar nicht mehr richtig hoch und wirklich alles fiel einem noch schwerer, als ohnehin schon. Man fror und das bei vermeintlich angenehmen Temperaturen, außerdem fühlte man sich unglaublich kraftlos. Guter Schlaf war also für das persönliche Wohlbefinden unabdingbar und ich gönnte Sabin eine Mütze voll davon. Natürlich nicht ganz uneigennützig, weil ich hoffte, dass er morgen dann schon wieder eigenständig nach Hause konnte, aber das spielte für mich erst einmal eine nicht ganz so wichtige Rolle. Ich war jedenfalls gerade dabei, den Verpackungsmüll der Pflaster und der Mullwatterolle zusammenzuräumen, als Sabin ein paar Worte an mich richtete, die mich nur müde mit den Mundwinkeln zucken ließen. Zu mehr konnte ich mich zumindest was die Mimik anbelangte nicht aufraffen, aber ich brachte immerhin ein "Passt schon." über die Lippen. Dabei war ich mir damit gar nicht so sicher. Ob das so passte, meine ich, aber ich war wohl schon länger prädestiniert dafür, diese Bedenken gekonnt in den Hintergrund zu schieben und mich jedes Mal wieder aufs Neue enttäuschen und verarschen zu lassen. Bevor ich die Zeit fand, weiter darüber nachzudenken, ergänzte Sabin seine Danksagung noch um eine Bitte, der ich ausnahmsweise sogar ohne zu Murren nachgehen würde. Ich musste ohnehin in die Küche, um den Müll zu entsorgen. Da konnte ich auf dem Rückweg wohl auch ein Kühlpad aus dem Gefrierfach angeln, damit er zumindest versuchen konnte, die Schwellung etwas einzudämmen. Gut schätzte ich die Chancen dahingehend allerdings nicht wirklich ein. Das Auge war jetzt schon relativ angeschwollen, konnte er es doch kaum noch offen halten. "Mach dir keine Hoffnung... ich glaube, morgen siehst du noch beschissener aus, als das jetzt der Fall ist, aber ja. Ich bring dir was zum Kühlen...", gab ich mit einer dunklen Prognose des morgigen Tages, gepaart mit einer gewissen Prise Sarkasmus eine Antwort auf seine Frage und erwischte mich dabei, wie sich meine Lippen zu einem schwachen Grinsen formten. Und doch entsprachen meine Worte der Wahrheit. Gut, wenn ich den Blick für einen Augenblick lang mal schweifen ließ und mir die zahlreichen Tattoos besah, die sich anbetungswürdig über den trainierten Oberkörper des Italieners spannten, dann war das natürlich Quatsch. Auch wenn ich Taurens Aussehen - vor allem aber auch seinen Charakter - weitaus eher bevorzugen würde, als Sabins, stammte der junge Mann nicht gerade von schlechten Eltern ab. Und auch sein Gesicht war doch auch ansehnlich. Nur halt eben dann nicht, wenn er einen Tag vorher grün und blau geschlagen wurde. Auch wenn ich sarkastisch geklungen hatte, war der Kern der Aussage also ein Fakt. "Brauchst du sonst noch etwas, bis Tauren kommt? Eine Decke vielleicht? Ist dir kalt..?", erkundigte ich mich beim Aufstehen vom Sofa danach, ob er ansonsten noch etwas brauchte. Damit ich im Fall der Fälle eben nicht zwei Mal laufen musste, weil auch die paar Schritte mich unglaublich viel Kraft kosteten. Die Frage nach einer Decke war natürlich nur eine von vielen, die ich ihm hätte stellen können, aber er wusste sicher, worauf ich hinaus wollte. Wenn er Hunger hatte oder etwas anderes zu Trinken wollte, um den Kreislauf in Schwung zu bringen oder sowas, dann konnte er das natürlich genauso kommunizieren wie seine Bitte nach dem Kühlpad.
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Sabin tat sich gut daran, einfach zu akzeptieren, dass wohl keiner von uns beiden gerade so recht wusste, was eigentlich Sache war. Warum ich ihn aufgelesen und mitgenommen hatte, obwohl vom Ding her tausend gute Gründe dagegen sprachen. Ich prinzipiell noch hätte nachtreten können, als er schon am Boden gelegen hatte, aber gut. Ich wollte keine unnötigen Gedanken mehr daran verschwenden, weil sie sowieso zu nichts führten und stiefelte stattdessen vor den beiden jungen Männern schon bald die Treppenstufen nach oben, um die Haustür aufzuschließen. Ich wunderte mich ein bisschen, dass jene Tür doppelt verschlossen gewesen war und auch kein freudestrahlender Norweger über mich herfiel, aber ich hatte wohl ganz einfach vergessen, dass Tauren sicher noch arbeiten musste. Er um diese Uhrzeit noch draußen unterwegs war und nur wenn es gut lief erst in den nächsten Minuten hier eintraf, eventuell dauerte es heute aber auch länger. Ich wusste es nicht genau, aber es verpasste meiner ohnehin schon angeschlagenen Laune nur einen zusätzlich Dämpfer. Nicht, dass er jetzt etwas dafür konnte, ich ärgerte mich nur über meine eigene Unachtsamkeit. Schließlich hätte ich es wissen müssen. Ich verabschiedete mich an der Tür noch von Dmytro, wünschte ihm gute Besserung und eine angenehme Nachtruhe, ehe ich auf dem Absatz Kehrt machte und mich wieder Sabin zuwandte. "Setz' dich schon mal... ich hole Verbandszeug.", wies ich ihn dazu an, sich eine Gelegenheit zum Sitzen zu suchen. Ob er sich jetzt in die Küche, auf die Couch im Wohnzimmer oder doch lieber auf den geschlossenen Toilettendeckel setzen wollte, war mir ehrlich gesagt ziemlich egal. Fakt war jedenfalls, dass es vermutlich recht schmerzhaft, aber vor allem kräftezehrend für ihn war, stehen zu müssen und ich hatte nur wenig bis gar keine Lust, geschweige denn die Kraft dazu, ihn später von Punkt A nach B schleppen zu müssen. Am besten ließ er sich also auf dem Sofa fallen, weil er dort sehr wahrscheinlich auch schlafen würde. Das allerdings erst, nachdem ich den Bezug hier und da mit Handtüchern ausgelegt hatte, damit er mir in der Nacht nicht alles voll blutete. Gerade als ich dazu ansetzen wollte, besagtes Verbandszeug zu holen, stellte mir Sabin noch eine Frage, die mich in meiner Bewegung innehalten ließ. Ich nickte bereits, da hatte ich mir über eine verbale Antwort noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Die folgte erst eine ganze Zeit später, sehr verzögert. "Ja... ja, ich denke, er müsste bald hier sein. Er wird dir dann mit der Platzwunde helfen.", ließ ich ihn wissen, dass er nicht damit rechnen brauchte, dass ich heute noch Nadel und Faden in die Hand nehmen würde. Ich hätte das bestimmt hingekriegt, keine Frage. Eben genau so, wie er sich womöglich auch selbst hätte verarzten können, aber den angeschlagenen Arm anzuheben und dabei noch konzentriert ein paar Stiche zu setzen, damit das Endergebnis nicht absolut beschissen aussah... das konnte ich nicht versichern und wollte das auch gar nicht. Es war sinnvoller, diese Aufgabe in die Hände des Norwegers zu legen in der Hoffnung, dass dieser sich nicht dagegen sträubte. Ansonsten - oder wenn er in ein paar Stunden immer noch nicht da war -, würde ich es wohl zwangsläufig machen müssen, aber fürs Erste war ich guter Dinge. Bis ich die restlichen Wunden desinfiziert und verbunden oder mit Pflastern getaped hatte, würden noch ein paar Minuten ins Land ziehen und dann konnte ich die Situation noch einmal neu beurteilen. Mal ganz abgesehen davon, dass auch mein Unterarm irgendwie noch so etwas wie medizinische Behandlung brauchte. Allem voran organisierte ich Sabin und mir jedoch erst einmal Schmerzmittel, weil wir das beide vermutlich gleichermaßen gebrauchen konnten. Ich hatte mich von dem Italiener inzwischen abgewendet und war ins Badezimmer getrottet, um dort ein paar Tabletten, Desinfektionsmittel und Verbandszeug zu holen. Auf dem Rückweg legte ich einen Zwischenstopp in der Küche ein, um mir eine Flasche Wasser unter den Arm zu klemmen, kurz bevor ich dann wieder zu Sabin zurückkehrte. Ich drückte ihm den Blister mit den Dragees in die Hand, das Wasser folgte kurz danach, bevor ich mich zu ihm setzte und anfing, die Wundversorgung vorzubereiten. Auch wenn ich die Platzwunde vorerst nicht nähen würde, wollte ich sie als womöglich schwerste - oberflächliche - Verletzung als erste ausspülen, damit sie sich wenigstens schon mal nicht ganz so schnell entzündete. Anschließend würde ich mich dann um die anderen Blessuren kümmern und Sabins Arm zum Schluss in eine Schlinge legen, damit er die Rippen nicht so arg belastete. Ein so fortschrittliches Band, welches man um den Torso spannen konnte, hatte ich leider nicht, also musste er mit der konventionellen Art und Weise Vorlieb nehmen, diese Verletzung zu behandeln.
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Anders als noch vor wenigen Augenblicken, gab mir Sabin auf meine nächste Frage recht zeitnah eine Antwort, die ich mit einem unzufriedenen Grummeln quittierte. Damit fiel es für mich persönlich nämlich schon mal raus, den Italiener einfach bei sich Zuhause abzuladen, eben weil das Risiko viel zu hoch war, dass der Bengel aufwachte und seinen neuen Ziehvater derart angeschlagen zu Gesicht bekam. Nachdem ich noch den ein oder anderen Gedanken an mögliche Alternativen verschwendetet hatte, stellte ich resigniert fest, dass es im Prinzip unausweichlich war, Sabin zumindest für den Rest der Nacht erst einmal mit zu mir zu nehmen. Zwar versuchte er am Auto angekommen seine Freundin zu erreichen, um jene nach Rat zu fragen, aber um diese Uhrzeit schien sie wohl schon zu schlafen. Also stiegen wir erst einmal ein, damit wir zumindest schon mal vom Hafen verschwunden waren, bevor ich weiter nachdachte. Zugegeben fiel mir das recht schwer, weil ich selbst auch langsam Kopfschmerzen bekam. Mein Gedankenstrudel wurde allerdings sowieso recht bald unterbrochen, als Sabin ein paar Worte an mich richtete, auf die ich mit einem Schnaufen und einem leichten Kopfschütteln reagierte. "Das werde ich nicht tun.", lehnte ich seine Bitte bestimmt ab, ohne mich dabei zu ihm umzudrehen. Zwar mochte ich dem Italiener durchaus zutrauen, dass er in der jetzigen Situation irgendwie für sich selbst sorgen könnte - und auch Verbandszeug wäre kein Problem gewesen -, aber ich musste hier auch ein Stück weit an mich denken. Kuba war technisch vielleicht noch nicht so weit fortgeschritten, dass sich an jeder Ecke in der Stadt irgendwelche Kameras befanden, dafür tratschten die Einheimischen unglaublich gern und ich wollte nicht riskieren, dass wir zusammen gesehen wurden. Irgendwer mitten in der Nacht eventuell mitbekam, dass ein schwerverletzter aus einer schwarzen Limousine entlassen wurde. Die Wahrscheinlichkeit war dahingehend vielleicht sehr gering, aber eben auch nicht null und außerdem... machte ich mir primär halt einfach Gedanken. Ich wollte Sabin in seiner Situation nur äußerst ungern alleine lassen, eben für den Fall, dass sich sein Zustand noch verschlechtern sollte. Es war immerhin nicht auszuschließen, dass sich nach den vielen Schlägen und Tritten noch Spätfolgen bemerkbar machten und je nach dem, welche genau das waren, machte eine Begleitperson die Sache ein Stück weit erträglicher. Ich erinnerte mich just in diesem Moment daran, wie ich vor einer sehr, sehr langen Zeit - da war ich noch ein Kind gewesen - von einem Klettergerüst gefallen war und ähnlich wie Sabin jetzt, hatte ich eine gebrochene Rippe und eine Gehirnerschütterung davongetragen. Durch letztere war mir in der Nacht derart schlecht geworden, dass ich mich hatte übergeben müssen und weil es furchtbar wehgetan hatte, mich beim Kotzen zu krümmen und gleichzeitig meine Haare aus dem Spuckradius zu schieben, hatte mir kurzerhand Iljah unter die Arme gegriffen und die damals bereits relativ lange Mähne für mich zusammengehalten. Es waren halt manchmal auch einfach die kleinen Dinge im Leben, die es einem leichter machten, mit einer blöden Situation umzugehen. Ich wäre jedenfalls ziemlich angefressen gewesen, hätte ich mir zusätzlich zu der ohnehin schon beschissenen Misere dann auch noch Erbrochenes aus den Haaren waschen müssen. Aber gut, genug von den kleinen Anekdoten meines Lebens und zurück zur bitteren Präsenz. Es kam für mich nicht in Frage, den Italiener einfach sich selbst zu überlassen. Ja, es wäre nicht direkt mein Bier gewesen, ich hatte schon mehr gemacht, als eigentlich nötig war und so weiter und sofort, aber ich wollte das ganz einfach nicht. Ich hatte ihn schon aufgelesen, da würde ich mich jetzt auch um seine Versorgung kümmern. Vorausgesetzt natürlich, er wehrte sich dagegen nicht direkt mit Händen und Füßen, aber das glaubte ich jetzt erst einmal nicht. Ich wies Volodymyr also an, direkt zu mir nach Hause zu fahren und gar nicht viel auf die Worte des auf der Rückbank befindlichen Mitfahrers zu geben. Er nickte die Anweisung als Zeichen des Verständnis kurz ab und tat wie ihm geheißen. Ich hatte, bis wir vor der Haustür anhielten, auch nicht weiter erwähnt, wohin ich ihn stattdessen bringen würde, weil ich es ganz einfach nicht für notwendig hielt. Er würde mir schon vertrauen, dass ich ihn nicht direkt ins nächstbeste Verderben schickte, weil ich leichteres Spiel gehabt hatte, als er regungslos auf dem nassen Boden des Hafengeländes gelegen war. Hätte ich ihm also etwas Schlechtes gewollt, dann wäre der Hammer bereits vor einigen Minuten gefallen. Jedenfalls verlor ich keine Zeit damit, aus dem Auto auszusteigen und Dmytro, der bei Sabin auf der Rückbank gesessen hatte, tat es mir gleich, um noch ein weiteres Mal seine helfende Hand anzulegen. Alleine wäre es für den verletzten jungen Mann nämlich sicherlich zur Tortur geworden, die Treppenstufen bis nach oben zu kommen und ich war bei der Masse an Körpergewicht leider der falsche Ansprechpartner - vor allem mit meiner eigenen Verletzung. Inzwischen hatte der Regen Gott sei Dank ein wenig nachgelassen, als ich an die hinteren Autotüren herantrat. "Du kannst für heute Nacht bei mir bleiben, nur... stell' einfach keine blöden Fragen. Ich weiß auch nicht, wieso ich das hier gerade mache...", murmelte ich zu dem jungen Mann herunter, dass mir vermutlich die selbe, unausgesprochene Frage durch den Kopf schwirrte, wie ihm. Und weil ich wirklich keinerlei Kapazitäten mehr hatte, um meinen Kopf noch mehr anzustrengen, als ich das ohnehin schon getan hatte, sollte diese Frage zumindest für heute auch erst einmal unausgesprochen bleiben. Morgen fand ich vielleicht eine Antwort, aber versprechen würde ich nichts.
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Es dauerte verständlicherweise eine ganze Weile, bis Sabin mir eine wenig zufriedenstellende Antwort auf meine Frage gab. Offenbar musste er sich erst einmal sammeln und wenn man sich kurz die Zeit nahm, all die offensichtlichen Verletzungen zu begutachten, dann war das wenig verwunderlich. Alleine die Platzwunde an seinem Kopf und das langsam zuschwellende Auge waren für mich schon ein Indikator für starke Schmerzen, die einem allein schon die Luft rauben konnten und ich hatte zudem gesehen, wo weitere Schläge und Tritte Hunters ihr Ziel gefunden hatten. Trotz des Regens hatte ich es also eigentlich nicht sonderlich eilig, gab Sabin die Zeit, die er zu brauchen schien, aber viel länger hätte ich trotzdem nicht gewartet und das aus einem ganz einfachen Grund. Hätte der junge Mann mir nämlich nicht bald eine Antwort gegeben, wäre ich wohl vom Schlimmsten ausgegangen und hätte ihn mittels meiner rechten und linken Hand an Armen und Beinen vom Hafengelände schleppen müssen. So schien glücklicherweise eine Stütze hier und da auszureichen, was für die beiden jungen Russen schon mal deutlich weniger anstrengend war. Auch sie waren nicht ohne den ein oder anderen Kratzer aus Mexiko zurückgekehrt und wenn es nicht zwingend notwendig war, wollte ich sie entsprechend wenig zusätzlich belasten. Aber dass der Italiener ansprechbar war und sich wenig später eigenständig aufsetzte, war schon mal ein gutes Zeichen. Ich seufzte leise und quittierte seine Aussage bezüglich der gebrochenen Rippen mit einem gemurmelten "Mhm...", ehe ich die anderen zwei Männer um uns herum dazu anwies, Sabin aufzuhelfen. Mit der nötigen Vorsicht, wohlgemerkt. Er war noch kein toter Körper, an dem man einfach herumzerren konnte. Sabin hatte offensichtliche Schmerzen, aber soweit ich das beurteilen konnte, schienen zumindest die Beine nicht viel abbekommen zu haben. "Wir bringen dich erst mal von hier weg. Wenn es nicht mehr geht, sag Bescheid...", ließ ich ihn wissen, dass er nur einen Laut von sich geben brauchte, wenn die Verletzungen ihn derart stark am Gehen hinderten. Er keinen Schritt mehr machen konnte, weil die Kraft fehlte. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie der Schuss ins Schlüsselbein mich damals belastet hatte. Obwohl der Schmerz an einer ganz anderen Stelle saß, zog es mir jegliche Energie aus dem Körper und meine Beine hatten lange Zeit die Konsistenz von Wackelpudding gehabt. Um das zu vermeiden schob sich Dmytro, der in etwa die gleiche Körpergröße wie Sabin hatte, mit dem Arm unter die Schulter des verletzten Italiener, um ihm wie selbstverständlich beim Aufstehen zu helfen. Als die beiden erst einmal - mehr schlecht als recht - aufrecht standen, nickte ich in Richtung Ausgang. Volodymyr sollte schon einmal den Wagen holen und uns ein Stück entgegen kommen, damit wir nicht unnötig weit laufen mussten. Wären wir direkt abgehauen, wäre das kurze Stück überhaupt kein Problem gewesen, denn an unseren Körpern war ja soweit nicht viel kaputt, aber ich wollte Sabin nicht auch noch den ganzen Weg latschen lassen, auch wenn er das vielleicht verdient hatte. Der hochgewachsene Russe tat, wie ihm geheißen und zog von dannen. Ließ uns drei damit schnell zurück und während ich langsamen Schrittes neben den beiden Männern herlief, atmete ich selbst einmal tief ein und wieder aus. Überlegte indes, wohin ich den jungen Mann bringen würde, denn eines war sicher. Er brauchte dringend medizinische Hilfe. Ein Krankenhaus kam logischerweise nicht in Frage, aber eigentlich wollte ich ihn auch nicht unbedingt mit zu mir nach Hause nehmen. Tauren wartete sicher schon und so stark, wie Sabin neben mir blutete, würde ich noch Ewigkeiten brauchen, die ganze Sauerei wieder zu beseitigen. Also spielte ich mit dem Gedanken, ihn einfach bei sich Zuhause abzusetzen und Sydney die Verantwortung für ihren Freund zu übertragen. Letzteres klang eigentlich nach einer sehr guten Idee, weil ich ihn ja noch nicht einmal hätte hier auflesen müssen und wirklich mehr schulden tat ich ihm nicht. Dann aber kam mir in den Sinn, dass der kleiner Scheißer, dessen Name ich bereits vergessen hatte, sicher auch Zuhause sein würde. Um die Uhrzeit lag er bestenfalls schon im Bett, aber Kinder hatten manchmal einen so leisen Schlaf, das selbst die Türklinke ausreichend war, um sie zu wecken. Und wenn ich kurz daran zurück dachte, wie traumatisch es für mich gewesen war, als ich meinen Vater oder Iljah blutüberströmt zu Gesicht bekommen hatte, wollte ich das Sydneys Sohn eher weniger antun. Keine Ahnung, wie die Beziehung zwischen ihm und Sabin war und ob er überhaupt bei den beiden wohnte, aber ich nahm es jetzt einfach mal stark an. Also richtete ich gleich meine nächste Frage an meinen Begleiter, um die Idee, ihn direkt nach Hause zu chauffieren eventuell gleich ausschließen zu können. "Ist... ehm... das Kind Zuhause?", ich brauchte einen Augenblick, um die passenden Worte zu formulieren. Beim Reden traf mich nämlich selbst ein Schmerz tief im Inneren meines Herzen, den ich aber schnell zur Seite schob, weil er hier und jetzt einfach absolut nichts zu suchen hatte. Aber das Thema Kinder war für mich inzwischen wohl recht sensibel geworden.
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Ich konnte nicht sagen, woran es genau lag, aber es fiel mir wahnsinnig schwer, Sabin und Hunter den Rücken zu kehren, um den Heimweg anzutreten. Versteht mich nicht falsch - ich wollte definitiv nach Hause, war absolut genervt und in keiner Weise gut auf den Italiener zu sprechen. Gönnte ihm dementsprechend auch die Abreibung, die ihm bevor stand, aber wohl war mir irgendwie trotzdem nicht. Es war ein nicht zu beschreibendes Gefühl in meiner Brust, das mit jedem Schritt, den ich mich gemeinsam mit meinen Jungs von den beiden anderen Männern entfernte, stärker wurde und mich zunehmend langsamer werden ließ. Irgendwie schien ich mich nicht ganz damit anfreunden zu können, dass ich nicht wusste, was der tollwütige Amerikaner mit Sabin vorhatte und ich befürchtete scheinbar das Allerschlimmste. Zumindest konnte ich mir anders nicht erklären, warum ich kurze Zeit später - der erste Schlag in Sabins Gesicht war bereits getan und es folgten noch mehrere -, das Schlusslicht meiner Gruppe bildete und letztlich mit meiner rechten und linken Hand zwischen zwei Container schlüpfte. Im Schatten der Nacht lehnte ich mich leise seufzend mit der Schulter des unverletzten Arms gegen den kalten Stahl und begann, das Geschehen aus der Ferne einfach zu verfolgen. Hatte ich vielleicht Angst, dass Hunter Sabin gnadenlos abmurkste? Dass Letzterer dafür in meinen Augen dann doch ein zu großes Herz hatte? Meine Erfahrungen mit dem Italiener waren eher nicht besonders gut gewesen, aber ich wusste um seinen Einsatz, als es seinem besten Freund überhaupt nicht gut ging. Auch wusste ich, dass er eine Freundin hatte, die er offenbar so sehr liebte, dass er ihr dabei half, ein Kind aus den Staaten zu entführen... und offensichtlich war er absolut unzufrieden damit gewesen, unter Hunters Pantoffeln leben zu müssen. Ich wusste nicht, warum ich gerade jetzt darüber nachdachte, warum ich gerade jetzt so etwas wie... Mitleid für den jungen Mann empfand. Es nicht gutheißen konnte, was Hunter mit ihm tat, obwohl er es verdient hatte. Oder vielleicht auch nicht? Keine Ahnung, ich war viel zu müde, um mir über die Komplexität des menschlichen Fühlens jetzt nähere Gedanken zu machen. Fakt war, dass ich nicht wollte, dass Sabin hier und heute auf dem kalten Hafenboden den Tod fand. Also nahm ich mir vor, einzuschreiten, sobald ich das Gefühl hatte, der Amerikaner würde dem Ganzen ein Ende setzen wollen. Alles was davor kam, hatte Sabin einzustecken. Eben als Wiedergutmachung seiner ganzen Bescheißerei und den Problemen, die er mir bis dato beschert hatte. Das Schauspiel war nicht besonders schön anzusehen, dennoch wand ich mich keine Sekunde lang ab und wäre gen Ende beinahe aus meinem Versteck getreten, von wo aus sich das wohl recht einseitige Gespräch leider nicht verfolgen ließ. Zu laut war das Rauschen des Wassers und des Regens, der inzwischen eingesetzt hatte. Jedenfalls zog Hunter nach einer Weile seine Waffe und fuchtelte damit vor dem Gesicht meines Geschäftspartners herum. Ich befürchtete bereits, dass es zu spät sein könnte, um den Italiener zu retten, da zog mich Dmytro gerade noch rechtzeitig am lädierten Handgelenk zurück. Ich zischte leise, reichlich schmerzverzerrt, richtete mein Blick aber gleich wieder auf die beiden Männer, als mir meine rechte Hand mit einem Nicken signalisierte, dass ich die Situation wohl falsch eingeschätzt hatte. Denn was mir entgangen war, war, dass Hunters Schoßhündchen sich nebenher mit einem der Männer beschäftigt hatte, der mich auf der Reise von Cancún zurück nach Kuba so tierisch genervt hatte. Und wider Erwarten traf die Kugel im Lauf nicht Sabin, sondern diesen Gunnar, was mich erleichtert aufatmen ließ. Auch bei dem Schuss, den der Amerikaner löste, zuckte ich nicht zusammen. Ich war Gewalt, Mord und Totschlag wohl einfach schon viel zu gewohnt. Als der leblose Körper des Handlangers von seinem ehemaligen Kollegen losgelassen wurde und neben Sabin auf den Boden prallte, richtete - sofern ich das aus meiner Perspektive beurteilen konnte -, der Amerikaner noch ein paar Worte an den übel zugerichteten jungen Mann zu seinen Füßen, kurz bevor er sich aus dem Staub zu machen schien. Ich wartete noch einen Moment, bis auch Desmond mit der Leiche final das Feld geräumt hatte, bevor ich mir ungläubig mit der Hand über das Gesicht rieb. Was machte ich hier eigentlich? Ich sollte längst Zuhause sein und mich in den Armen meines Freundes in den Schlaf wiegen. Stattdessen klebten mir die klitschnassen Haare im Gesicht, als ich mich etwa zehn Minuten später aus der Deckung wagte. Gemeinsam mit Dmytro und Volodymyr, die wort- und widerstandslos bei mir geblieben waren, ohne, dass ich sie darum gebeten hatte, machte ich ein paar Schritte auf Sabin zu, der noch immer am Boden lag. Ich trat von hinten an ihn heran - was bei Kriminellen eigentlich nie eine besonders gute Idee war, es sei denn, man wollte ein Messer im Bauch riskieren - und beugte mich vorsichtig über den blutüberströmten Körper. Langsam ging ich neben ihm in die Hocke, legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter, um ihn ein wenig in meine Richtung zu drehen, ihn anzusehen. Zum ersten Mal seit einer verdammt langen Zeit, sah ich jemanden, der nicht Tauren war, wehleidig an. Verzeihend, besorgt... es gab gerade viele Adjektive, mit denen sich der weiche Blick beschreiben ließ, mit dem ich auf Sabin hinabblickte. In jedem Fall stand für mich fest, dass ich den jungen Mann nicht ohne Weiteres hier liegen lassen könnte. Entweder würde er hier verbluten oder bei der Masse an Regen irgendwann einfach absaufen, sollte er sich nicht bewegen. "Kannst du aufstehen?", waren meine ersten Worte, die ich leise gemurmelt an ihn richtete. Kurz darauf strich ich mit der Hand vorsichtig ein paar seiner nassen Haare von seiner Stirn, die ihm ansonsten über den Augen geklebt hätten. Ein leises Seufzen quittierte gerade wohl meine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation.
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Bla, bla, bla. Im Prinzip war das alles, was aus dem Mund des Italieners zu hören war, als er zu einer Erklärung ansetzte, die ich faktisch eigentlich nicht gebraucht hätte. Denn es interessierte mich herzlich wenig, was Sabin zu der ganzen Sache zu sagen hatte, auch wenn ich durchaus ein paar ernstgemeinte Fragen an ihn gerichtet hatte. Grundsätzlich wollte ich hier jetzt nicht mehr Zeit verschwenden, als eigentlich notwendig war und demnach war eine Unterhaltung überhaupt nicht in meinem Sinn. Ich war den überwiegenden Teil meiner Lebenszeit - mit Ausnahme der Tage wie der meiner Abreise - Realist und wusste, dass sich die Vergangenheit nicht ändern lassen würde, selbst wenn man noch so zornig war. In der Regel stritt ich mich trotzdem recht gerne und interessierte mich deshalb nicht wirklich dafür. War oft auf hundertachtzig, wenn ich meinen Standpunkt für alle klar und deutlich zum Ausdruck brachte, aber heute? Heute wollte ich mir weder Sabins Geschwafel, noch Hunters billigen Psychospielchen antun, verdammt. Ich hatte Sabin echt gemocht. Er schien mir von Anfang an eigentlich ein vernünftiger Kerl zu sein, aber mit der Zeit hatte er mir nach und nach immer wieder ein Messer in den Rücken gerammt, wollte zudem einfach nicht akzeptieren, dass ich den Kontakt zu ihm auf ein Minimum zu reduzieren versuchte und das konnten die paar netten Worte, die er ungeachtet meiner negativen Seiten für meine Person fand einfach nicht aufwiegen. Ich fühlte mich verraten - von ihm und meinem Bruder, den ich ganz sicher auch noch darauf ansprechen würde. Deshalb schnaubte ich auch nur verächtlich, schüttelte sichtlich genervt den Kopf und winkte mit der Hand des heilen Arms ab. "Vergiss' es einfach, Sabin. Deine aufmunternden Worte kannst du dir hinschieben, wo die Sonne niemals scheinen wird. Die heilen weder meine Verletzungen" - ich hob zur Veranschaulichungen den bandagierten Arm, dann schwenkte ich mit diesem nach hinten, um meine Crew symbolisch einzufangen - "noch die meiner Männer. Das war Scheiße, von vorne bis hinten. Und du hast weder mir, noch Iljah, aber am aller wenigsten dir selbst einen Gefallen damit getan. Ich hoffe, dass ist dir klar.", führte ich meine Standpauke überraschend ruhig zu Ende, nachdem mir die Energie bereits nach dem ersten Mal Anfauchen ausgegangen war. Trotzdem klang ich hörbar angepisst, hatte einen gewissen Nachdruck in der Stimme und auch meine Mimik unterstrich noch mal, dass ich zwar einen ziemlichen Groll gegen ihn hegte, ihn aber in erster Linie fast schon ein wenig bemitleidete. Vor allem, wenn ich sah, wie der Amerikaner um ihn herumpirschte. Man musste schon blind auf beiden Augen, taub oder schwerwiegend geistig behindert sein, um nicht erkennen zu können, dass Hunter in seinem kranken Schädel bereits einige Szenarien durchging, in denen Sabin für seine Dreistigkeit, einfach - und scheinbar auch ungefragt - die Verkehrsrouten des Cholerikers für eigene Zwecks zu missbrauchen, bezahlen würde und ehrlich gesagt war Hunters Frage, ob er den Italiener für mich festhalten sollte, quasi mein Stichwort, mich von hier zu verpissen. Denn binnen der nächsten Minuten würde es hier noch richtig ungemütlich werden und das lag primär nicht an dem aufziehenden Regenschauer, wenn man mich fragte. Sabin hatte Iljah versichert, dem Amerikaner bei etwaigen Komplikationen direkt die Stirn zu bieten, damit ich fein aus dem Schneider war? Bitteschön, dann war es wohl langsam an der Zeit. Es klang, als sollte ich ihm dafür auch noch dankbar sein - und ja, vielleicht war ich das sogar ein klein wenig, zumindest in meiner aktuellen Verfassung -, aber er sollte sich nicht aufspielen, wie der gutherzige Samariter. Hunter war cholerisch, aber nicht dumm. Wir hatten in der vergangenen Zeit ausreichend Zank miteinander gehabt und auch wenn ich manchmal stark über die Stränge schlug, würde er wissen, dass nicht einmal ich dreist genug war, mich dermaßen akut in seine Geschäfte einzumischen. Das hatte ich ihm ganz zu Anfang unserer durchweg holprigen Beziehung zueinander klar zu verstehen gegeben. Ja, vielleicht hätte ich eine Faust kassiert oder eine gebrochene Nase wegstecken müssen, so im Eifer des ersten Gefechts, aber er wusste, dass ich aktuell keinen Grund dazu hatte, ihm ins Geschäft zu grätschen. Er tolerierte mich hier auf der Insel und das, obwohl ich bereits mehrfach Ärger mit ihm gehabt hatte und das Bestreiten meines Lebens in Hinsicht aufs Arbeiten lief zunehmend immer besser. Warum diese Chance also vertun? Außerdem hatte er mich hinsichtlich Tauren zusätzlich im Griff. Ich würde nicht riskieren, den jungen Mann wegen so einer offensichtlichen Dreistigkeit zu verlieren. Also nein, selbst wenn Sabins Name nirgends aufgetaucht war, früher oder später hätte mir Hunter schon geglaubt, dass ich nicht der Drahtzieher hinter der Sache gewesen war. Aber zurück zum Wesentlichen. "Nicht nötig. Kann meinen Arm eh kaum heben, also was soll's...", antwortete ich auf die wenigen Worte Hunters, von denen ich mir nicht einmal sicher war, ob er sie tatsächlich auch so meinte. Falls das der Fall gewesen wäre, fand ich es ja doch sehr nett, dass er - wenn auch nicht ganz uneigennützig - von sich aus mit mir kooperieren wollte, aber heute war ich eher nicht in der Stimmung oder der Verfassung dafür. Ich sah über Sabins Schulter hinweg in das diabolisch grinsende Gesicht des Amerikaners, ehe ich erneut schnaubte und mich abwand. Ich schien hier nicht weiter gebraucht zu werden und was die Männer unter sich ausmachten, ging mich nichts an. "Abmarsch, Männer...", wandte ich mich in russischer Sprache an meine Gefolgschaft, woraufhin sich die ersten bereits in Bewegung setzten. Ich schloss mich ihnen an und verschwand somit quasi in ihrer Mitte. Rechts, links, vor und hinter mir standen die jungen Russen und gemeinsam steuerten wir den offiziellen Ausgang des Hafengeländes an. Was für eine beschissene Nacht...
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