Mir war bereits früh klar geworden, dass Irina und ich einige Gemeinsamkeiten hatten und uns im Allgemeinen gar nicht so unähnlich waren. Allerdings hatte ich gehofft, dass wir uns zumindest in diesem speziellen Punkt unterschieden. Tja, dem war wohl nicht so. Offenbar hatte aber auch Iljah – oder vielleicht ein Ex-Freund vor dem Russen? – bereits einmal die Beherrschung verloren, was mich leise seufzen ließ. Warum waren Männer in unserem Metier eigentlich so? Ich konnte wirklich vieles nachvollziehen, aber seine Frau zu schlagen… das war mir eine Nummer zu hoch, verstand ich einfach nicht und würde es auch nie. Gut, natürlich wusste ich nicht, unter welchen Umständen wem auch immer die Hand ausgerutscht war. Vielleicht war es ja ähnlich der Situation, die Hunter und mir widerfahren war, aber dem geknickten Gesichtsausdruck der Serbin nach zu urteilen, wollte sie darüber nicht weiter reden. Das konnte ich gut nachvollziehen und hakte deshalb auch lieber nicht weiter nach, sondern schenkte Irina bloß ein verständnisvolles Lächeln. Obwohl die Stimmung zu drohen kippte, schien sie sich relativ schnell wieder zu stabilisieren, was sicher nicht zuletzt daran lag, dass ich bald wieder zu Grinsen anfing, als die Schwarzhaarige anfing, von ihrem Gatten zu schwärmen und dabei selbst wieder zu Lachen anfing. Auch wenn ich versuchte, ihrem Gedankengang zu folgen, konnte ich persönlich Iljah optisch überhaupt nichts abgewinnen. Er war zwar nicht hässlich, aber so gar nicht mein Typ Mann. Deshalb konnte ich auch nicht anders, als schlussendlich loslachen. „Man, Irina. Der Typ tanzt dir momentan total auf der Nase rum. Ob er jetzt gut aussieht oder nicht, er ist und bleibt ein Arsch. Lass‘ dich davon gefälligst nicht so einlullen!“, stellte ich amüsiert fest und hing anschließend noch eine mehr oder weniger ernstgemeinte Aufforderung hintendran. Zwar sollte ich in der Hinsicht wohl besser vor meiner eigenen Tür kehren, aber es ging momentan nicht um Hunter, also war das schon irgendwie okay. Kurz dachte ich darüber nach, ob es mir möglich wäre, überhaupt so von dem Amerikaner zu schwärmen, weil das eigentlich gänzlich gegen meine Natur war, aber ich stellte schnell fest, dass ich damit keine Probleme hätte. Von dem ganzen anderen Scheiß mal abgesehen, war Hunter in meinen Augen ein bildhübscher Mann und Irina gegenüber könnte ich das womöglich sogar laut aussprechen. Die etlichen Wunden, die dieser Mann mit sich herumtrug, taten dem ansonsten makellosen Antlitz wirklich keinen Abbruch. „Vielleicht ist es dir hier auch einfach zu warm und du willst deshalb zurück nach Russland, hast du darüber schon mal nachgedacht?“, versuchte ich die Schwarzhaarige mit einer rationaleren Erklärung raus aus dem Schwärmen und zurück auf den Boden der Tatsachen zu holen. Weil ich einen Großteil meines Lebens in Norwegen verbracht hatte, war mir Kuba auch viel zu warm. Wieso sollte es Irina da anders gehen? Zudem war Russland noch mal eine ganze Ecke kälter, zumindest Richtung Sibirien. Die Erklärung war jedenfalls plausibler, als das ein Mann allein sie ein Land so vermissen ließ. Trotzdem war sie scheinbar hoffnungslos genug, um den Plan wirklich durchziehen zu wollen, auch wenn die Serbin mich kurzzeitig perplex ansah. Ich lachte auf, das Glas wieder an den Lippen, als sie mir belustigend vorwarf, dass ich meine Pflichten als ihre Freundin nicht ernst nahm. „Was soll ich sagen? Ich befürchte, dass du den Entschluss schon gefasst hast, sonst hättest du es doch gar nicht erst angesprochen, oder?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. „Ich denke auch, dass der Gesichtsausdruck zum Schießen sein wird. Da müsste ich fast mit dabei sein, um das live und in Farbe erleben zu können.“, witzelte ich weiter und zuckte zwischendrin schwach mit den Schultern. „Das mit dem Kleid ist auch eine verdammt gute Idee! Der wird Augen machen, sag ich dir. Und sich dann verfluchen, dass er nicht viel, viel früher nach Kuba gekommen ist dafür.“ Als ob er dann noch wütend sein könnte. Ich glaubte kaum, dass jemals ein Mann lange einen Groll gegen seine Frau hegen konnte, wenn sie sich in einem solchen Kleid präsentierte, wie Irina bei unserer Shoppingtour hatte mitgehen lassen. Es wäre jedenfalls unglaublich dumm, wenn es so wäre. Aber gut, wir sprachen hier von Iljah. Der war vielleicht keine so gute Referenz.
Wahrscheinlich teilten sich alle Schwerverbrecher, die es ein bisschen zu was gebracht hatten, eine Gehirnzelle. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass sowohl Hunter als auch Iljah beinahe zeitgleich auf die gleiche beschissene Idee gekommen waren. Möglicherweise saßen auf der anderen Seite der Erde noch zwei weitere gute Freundinnen, die genau das gleiche Problem mit ihren Verbrecher-Partnern hatten? Auszuschließen war das jedenfalls nicht, auch wenn es sich absolut surreal anhörte. Aber gut, sei’s drum. Irina und ich waren auf den ersten Blick gleichermaßen genervt von dem Vorschlag gewesen und fürs Erste nahm ich an, dass sie genauso wenig Interesse daran hatte, mich auszufragen, um potenziell wichtige Informationen dann an ihren Freund weiterzuleiten, wie ich. Dafür klang sie viel zu amüsiert über diese Absurdität. Statt uns also weiter über die zwei Hohlköpfe und deren Pläne Gedanken zu machen, lenkte die Serbin das Gesprächsthema zurück auf meine Verletzungen und ich konnte nicht anders als über ihren nachdenklichen Tonfall und die Frage bezüglich der Umstände gleich ein weiteres Mal zu lachen. Nicht ganz so laut, wie das Mal zuvor, aber immer noch herzhaft. „Ganz ruhig, junge Frau. Du kennst mich doch inzwischen wohl gut genug, um zu wissen, dass ich sowas kaum auf mir sitzenlassen würde, wenn ich ernsthafte Zweifel daran hätte, dass das nicht noch mal vorkommt.“, beantwortete ich so mehr oder weniger Irinas Frage, ohne dabei näher ins Detail zu gehen. Zwar belog ich mich mit der Aussage ein Stück weit selbst, weil ich de facto nicht zu einhundert Prozent sicher sein konnte, dass so etwas wie damals nicht noch ein weiteres Mal passierte, aber ich hatte dem Amerikaner klipp und klar gesagt, dass das nächste Mal auch das letzte Mal sein würde. Vorausgesetzt, ich überlebte eine weitere Tortur. Und das war… tatsächlich relativ unwahrscheinlich. Schon beim letzten Mal war ich, zumindest meiner Auffassung nach, dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen und Hunter würde wohl kaum ein weiteres Mal urplötzlich wieder zur Besinnung kommen, oder? Jedenfalls wollte ich der Serbin nicht aufs Brot schmieren, dass mein Freund eigentlich vollkommen bekloppt war – also wirklich und nicht bloß so daher gesagt. Das hatte auch überhaupt nichts damit zu tun, dass ich Irina nicht vertraute. Es war nur einfach ein Abschnitt in der Beziehung zwischen dem Amerikaner und mir, über den ich nicht gerne redete. Zwar sollte ich das bestenfalls irgendwann einmal tun, aber definitiv nicht hier und heute. Ich war also ganz froh, dass meine Freundin das Thema gleich ein weiteres Mal wechselte und ich mit dem Antworten erst einmal aus dem Schneider war. Ansonsten wäre meine Laune auf kurz oder lang sicherlich gen Keller geschlittert, wenn ich zu lange über diese Zeit nachdachte. Lieber hörte ich der Erklärung der Schwarzhaarigen zu, wieso der Russe sie an ihrem Geburtstag versetzte und regte mich darüber auf, statt über meinen eigenen Freund. „Zu viel zu tun also?“, fragte ich mit hochgezogener Augenbraue. „Hoffentlich nur im Sinne von Arbeit und nicht irgendwelche anderen Frauen. Sonst muss ich leider mal ein ernstes Wörtchen mit Iljah wechseln. Dann traut er sich zwar möglicherweise gar nicht mehr nach Kuba, aber dann ist er hier auch wirklich nicht mehr gerne gesehen.“, redete ich weiter, wobei ich das Ende meiner Aussage ein Stück weit ins Lächerliche zog, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Ich merkte nämlich, dass es Irina tatsächlich ziemlich nahe ging und ich konnte es verstehen. Eine Fernbeziehung war scheiße, da sprach ich aus Erfahrung. Noch beschissener war sie aber, wenn beide Parteien ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe hatten und einer mehr einforderte, als der andere bereit war zu geben. Wie im Falle von Irina und Iljah eben. Ich seufzte schließlich leise, konnte meine Mundwinkel doch nicht besonders lange oben halten, ehe sie langsam nach unten sackten und ich auf die Hand, welches das Weinglas hielt, sah. Mit einem leichten Kopfschütteln nahm ich einen weiteren Schluck und lauschte den noch folgenden Worten der Serbin. Konnte dabei ein erneutes Anheben der Augenbrauen nicht vermeiden. Sie wusste also von den Flugplänen und wann die Flieger nach Kuba geschickt wurden? Sehr interessant. Ich konnte nicht anders, als kurzzeitig an die Worte Hunters zurückzudenken, auch wenn ich mich im nächsten Augenblick gedanklich dafür ohrfeigte. Irina hatte sich von ihrem Freund nicht beschwatzen lassen, mich auszuhorchen… oder? Ich überlegte kurz, ob ich sie darauf ansprechen sollte, entschied mich aber schließlich dagegen und lauschte vorerst weiter ihren Worten. Die Idee, mit welcher sie schließlich ums Eck kam, ließ mich Irina für gut dreißig Sekunden nachdenklich ansehen. Dann nahm ich einen weiteren Schluck von dem Wein, den ich etwas länger als gewöhnlich im Mund hin- und herwandern ließ, bevor ich ihn runterschluckte und ihr zustimmte. „Eigentlich könnte diese Idee beschissener nicht sein…“, stelle ich knapp fest und fing an zu grinsen. „Aber was will er machen, wenn du schon mal in Russland bist? Dich einfach wieder zurückschicken? Außerdem sollte er ja wohl ein bisschen Verständnis dafür aufbringen können, dass du mal wieder in deine Heimat zurückwillst.“ Na ja, zumindest dachte ich das.
Zugegebenermaßen war ich anfangs etwas verwirrt, als Irina plötzlich zu kichern begann. Natürlich, das Ganze klang absolut absurd, also war es gewissermaßen nachvollziehbar, dass sie sich darüber amüsierte. Sowohl der Umstand, unter dem diese Diskussion zwischen Hunter und mir stattgefunden hatte, wie auch das Gesprächsthema an sich. Trotzdem hatte ich vermutet, dass es die junge Serbin treffen würde einen solchen Seitenhieb von dem Amerikaner zu kassieren, obwohl sie in jüngster Zeit wirklich nichts Schlimmes verbrochen hatte und damit völlig zu Unrecht Opfer einer solchen Unsinnigkeit geworden war. Warum Irina aber eigentlich so kichern begonnen hatte, eröffnete sie mir erst ein wenig später und ich war, gelinde gesagt, … sprachlos. „Niemals!“, rief ich, verhältnismäßig laut. Zu gleichen Teilen entsetzt, überrascht wie auch verwirrt, ehe ich meinen Rücken mit Schwung zurück an die Rückenlehne beförderte. So impulsiv, dass ich dabei beinahe das Glas in meinen Händen losließ. Ich schaffte es gerade noch, dass Ausmaß meiner Sauerei – es waren lediglich ein, zwei Tropfen aus dem Glas geschwappt – auf ein Minimum zu reduzieren, indem ich das Behältnis auf dem Tisch abstellte, ehe ich mir mit der Hand auf den Oberschenkel schlug und in schallendes Gelächter ausbrach. „Das kannst du nicht ernst meinen! Das gibt es doch nicht!“ Es war mehr ein Japsen, als das tatsächlich verständliche Worte aus meinem Mund kamen. Ich war fassungslos, wirklich. „Also das… das sind doch schon wieder typisch Männer. Kennst du einen, kennst du alle.“, stellte ich schließlich fest, als ich mich nach einer langen Weile halbwegs wieder eingekriegt hatte. Mir standen schon die Tränen in den Augen, weil ich vor lauter Lachen das Atmen vergessen hatte. Als ich mich schließlich gänzlich wieder gefangen hatte, lehnte ich mich erneut nach vorne, wischte mir die Tränenflüssigkeit aus den Augenwinkeln und Griff dann wieder nach dem Wein. Der Inhalt unserer beider Gläser neigte sich allmählich dem Ende entgegen – es war also an der Zeit nachzuschenken. Dann atmete ich einmal durch, überspitzter, als es eigentlich notwendig gewesen wäre, um mit ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit weiterzusprechen. „Aber Moment mal… was meinst du, Iljah kommt nicht zu deinem Geburtstag? Du wirst süße 21 Jahre. Das muss man doch ausgiebig feiern, mit Geburtstagssex und allem Drum und Dran!“ Die Empörung in meiner Stimme war wohl kaum zu überhören. Zwar war ich auch kein Mensch, der seine Geburtstage jedes Jahr groß feierte, aber zumindest mit den Liebsten sollte man doch wenigstens was machen. Und wenn man nur altbacken zu Kaffee und Kuchen einlud. Gedanklich notierte ich mir, dass ich dieses Thema unbedingt mit Hunter aufnehmen musste. Er sollte nämlich gar nicht erst auf die Idee kommen, mich an meinem Geburtstag sitzen zu lassen. Andernfalls würde ich es doch noch in Erwägung ziehen, die Villa in Flammen aufgehen zu lassen. Eine riesige Geburtstagskerze sozusagen… Das noch folgende Thema, welches Irina anschnitt, ließ mich kurzzeitig ein wenig verwirrt auf meine Arme hinabblicken. Es brauchte einen Moment – inklusive des verbalen Hinweises der Serbin – bis ich die Frage der jungen Frau gänzlich geschnallt hatte. „Oh, nein, nein. Um Gottes Willen. Also… jetzt auf jeden Fall nicht. Das kam schon mal vor, aber die Umstände waren auch nicht besonders… rosig, möchte ich sagen. Aber dahingehend hat er sich ansonsten gut im Griff. Gewürgt hat er mich ein paar Male, ja. Und ein bisschen zu lange und zu fest mein Handgelenk gepackt, aber davon abgesehen… ne. Die blauen Flecke kommen vom Training. Wir…“, ich zögerte kurz. Dachte nach, ob ich bis hierhin nicht vielleicht schon zu viel gesagt hatte oder es vielleicht noch tun würde, wenn ich jetzt weitersprach. Dann aber verwarf ich den Gedanken. Immerhin konnte man ja auch ganz ohne Hintergedanken ein bisschen Selbstverteidigung üben, oder? Mal ganz davon abgesehen, dass Irina es sicherlich nachvollziehen konnte, weil das Metier, in dem wir uns bewegten, doch für unschöne Zwischenfälle bekannt war. Also better safe than sorry, oder nicht? „Hunter bringt mir gerade ein bisschen Selbstverteidigung bei. Für Notfälle, weißt du. Und nach dem letzten Streit hält er es glaube ich für nötig, mich nicht mit Samthandschuhen anzupacken.“, beendete ich also den zuvor begonnen Satz mit einem leichten Schulterzucken. Dabei strich ich mir geistesabwesend über eine kleine Ansammlung an blauen Flecken auf meinem Unterarm. Ich schenkte Irina ein aufrichtiges Lächeln, um ihr damit zu versichern, dass bei mir alles gut war. Viel eher sollte sie sich Gedanken darüber machen, warum Iljah sie an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag nicht besuchen kommt. „Hat Iljah gesagt, warum er es nicht nach Kuba schafft? Wobei mir kein Grund einfällt, einen Geburtstag seiner Freundin sausen zu lassen.“, hakte ich nach und quittierte das Ende des Satzes mit einem unzufriedenen Grummeln.
Irina ließ sich nicht zwei Mal bitten und nahm kurze Zeit später auf ihrem designierten Stuhl Platz. Nachdem ich die Gläser befüllt hatte und wir anstießen, ließ ich mich mit selbst einem lauten Seufzer gegen die Stuhllehne fallen. Rutschte auf der Sitzfläche ein Stück nach vorne, sodass mein Kopf auf der Rückenlehne lag und ich meine Beine unter dem Tisch ausstrecken konnte. Das Glas weiterhin in der rechten Hand haltend, fuhr ich mir mit der linken durch die rote Mähne und anschließend von oben nach unten über das Gesicht, um zu vermeiden, dass ich bei der nachfolgenden Erzählung direkt schon nach dem ersten Satz platzte. Denn die Wut auf den Amerikaner kroch mir just in dem Moment wieder den Hals hoch. „Also…“, setzte ich an, brach nach dem ersten Wort aber noch einmal ab, weil ich mich neu sortieren musste. Etwa zehn Sekunden späte setzte ich erneut an: „Ich stehe glaube ich wirklich kurz davor, unsere Villa in Brand zu stecken. Während Hunter sich noch darin befindet, wohlgemerkt.“ Erst mal musste ich meinem Ärger mit einer Drohung Luft machen, die ich ja doch nicht wahrmachen würde. Dann raffte ich mich allerdings wieder etwas auf, nachdem ich meinen Unmut zum Teil heruntergeschluckt hatte und lehnte mich nach vorne. „Wir hatten vor… lass‘ mich lügen… einer Woche? Ja, vor circa einer Woche einen Streit – mal wieder. Is‘ ja bei uns nichts Neues, aber… alter, Irina. Mir platzt jetzt schon wieder eine Ader, wenn ich nur daran zurückdenke.“, stöhnte ich, nun doch wieder genervt. Was sollte ich tun? Hunter hatte irgendwie ein Händchen dafür, mich auf die Palme zu bringen, auch wenn ich ihn schrecklich liebte. Ich nahm erst mal zwei kräftige Schlucke von dem Wein, bevor ich kopfschüttelnd weiterredete. „Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, worüber wir gestritten haben, weil es doch schon etwas privater ist, aber der springende Punkt… und jetzt halt dich fest“, mit einer Hand schlug ich ungläubig auf den Tisch „Hunter hat mich darauf angesetzt, dich über Iljah und seine Geschäfte auszuquetschen. Also… er hat es zwar nicht genau so gesagt, aber ich denke, du weißt, was ich meine. Ich soll dir doch mal unter die Nase reiben, was er mir so gibt, dies und das, um damit deine Zunge zu lockern. Weil, vielleicht, unter welchen Umständen auch immer, würdest du mir dann auch erzählen, was Iljah dir so alles steckt. Weil du ja so manipulierbar bist… ich hab‘ gedacht, ich höre nicht richtig. Und das alles, während wir unter der Dusche standen. Versteh‘ mich jetzt bitte nicht falsch, ich habe sicherlich kein Problem damit, mich unter der Dusche über dich zu unterhalten oder von dir zu erzählen, aber nicht, wenn… na ja, du weißt schon.“ Den letzten Teil murmelte ich mit einem schrägen Grinsen und vielsagenden Blick über den Rand hinweg in mein Glas, welches ich mir zwischenzeitlich schon wieder an den Mund gehoben hatte. Irina dürfte wohl wissen, was ich im Begriff gewesen war zu sagen, ich musste es gar nicht aussprechen. Und sicher hatte sie auch Verständnis dafür, dass es mir nicht ganz gepasst hatte, sie in der Situation als vorrangiges Gesprächsthema zu haben. Eigentlich war damit auch schon alles gesagt, aber dann fiel mir doch noch etwas ein. „Ihm passt es auch immer noch so gar nicht in den Kram, dass wir uns so gut verstehen. Und ich bin es langsam echt leid, da ständig mit ihm aneinanderzugeraten. Weißte, wenn ich irgendwas gegen seine wenigen Kumpels oder Bediensteten sagen würde, was meinst du, wäre bei uns zuhause los?“, grummelte ich verständnislos und schüttelte erneut fassungslos mit dem Kopf.
Dass das Training mit Hunter kein leichtes werden würde, war von Anfang an klar gewesen. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mir nach unserer hitzigen Diskussion vor knapp einer Woche noch mal so richtig einen reinwürgen wollte. Auf der Straße würde ich kaum verschont werden, auch das wusste ich, aber das hieß noch lange nicht, dass der Amerikaner mich direkt in den ersten Trainingssessions so hart rannehmen musste. Das war zumindest nicht meine Definition von üben. Meiner Meinung nach fing man erst einmal leicht an und arbeitete sich dann mit diversen Tricks und Kniffen weiter hoch, aber gut – sei’s drum. Ich hatte das Gefühl, mich gar nicht so schlecht geschlagen zu haben, auch wenn mehr als nur eine Situation absolut frustrierend gewesen war. Nach unserem letzten Sparring gestern Abend tat mir jedenfalls so ziemlich alles weh. Außerdem waren meine Arme und Beine mit Blutergüssen nur so überzogen. Der Preis, den man eben zahlen musste, wenn man in Selbstverteidigung besser werden wollte. Ich konnte wohl von Glück reden, dass ich bisher keinen Schlägen ausweichen, sondern mich lediglich aus Situationen, wie beispielsweise jener in der Dusche, befreien musste. Sonst wären die blauen Flecken vermutlich mein kleinstes Problem, neben einer demolierten Nase oder anderweitigen Knochenbrüchen. Ausgesprochen hatten Hunter und ich uns bisher natürlich noch nicht. Sehr wahrscheinlich würde das Thema wie so oft einfach unter den Teppich gekehrt und vergessen werden, was mich per se nicht störte. Es nervte mich nur ungemein, dass ich meinem Freund nicht doch noch versucht hatte zu erklären, was ich damals eigentlich wirklich meinte. Ich hatte ihm in der Hinsicht das letzte Wort überlassen und genau das nagte auch am heutigen Abend wieder an mir. Ich hoffte, dass es mir zumindest ein bisschen besser gehen würde, wenn ich Irina davon erzählte. Natürlich würde ich nicht zu sehr ins Detail gehen, worüber wir uns gestritten hatten, aber in jedem Fall musste ich meinen Frust über die unfassbare Dreistigkeit des Amerikaners loswerden. In Anbetracht der Tatsache, dass sie auf der anderen Erdhalbkugel einen ähnlich anstrengenden Pflegefall sitzen hatte, wusste sie bestimmt, warum ich so angefressen war. Ich hatte die Serbin deshalb in die Bar beordert, um meinem Ärger Luft zu machen und erwartete jeden Moment ihr Auftauchen. Vor etwa zehn Minuten – es war circa 22:50 Uhr – hatte ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut und dann im Minutentakt die Tür gecheckt. Punkt elf betrat die Schwarzhaarige das Lokal und ich bedeutete ihr, kurz zu warten, um noch einen Tisch fertig zu bedienen. Als das erledigt war, begrüßte ich die junge Frau mit einem Arm um ihre Hüfte, den Worten „Endlich bist du da.“ sowie einem schiefen Grinsen. Das Tablet, welches ich zum Austeilen der Getränke in den Händen gehalten hatte, wanderte kurzum unter den Tresen, nachdem ich mich von meiner Freundin gelöst hatte. „Nach hinten.“, bestätigte ich ihr schließlich mit der, lediglich im Wortlaut veränderten, Wiederholung ihrer Worte, dass wir uns heute nicht über die Theke hinweg unterhalten würden. Privatsphäre und so. Keinen der Gäste hier hatte es anzugehen, was in unseren eigenen vier Wänden passierte. Gerade als ich im Begriff war, durch die Staff only-Tür zu treten, entlockte mir Irina ein leises Lachen und ich machte auf dem Absatz kehrt. Natürlich, was wäre ein Abend voller Lästereien ohne einen Tropfen Alkohol. Aus einer der gekühlten Schubladen angelte ich einen Weißwein, in der anderen Hand hakte ich zwei dazu passende Gläser ein. Es folgte noch eine knappe Info an einen meiner Angestellten, bevor ich die Tür zum Hinterzimmer mit der Hüfte aufstieß und hindurchtrat. Mit dem Fuß hielt ich Irina die Tür auf und lies diese anschließend zurückschwingen. Im hinteren Raum der Bar, welcher quasi der Pausenraum meiner Angestellten war, brannte nur ein schwaches Licht. Wenn wir wollten, konnten wir es später noch heller werden lassen, für den Moment empfand ich es jedoch als ausreichend und angenehm. Vorsichtig stellte ich die Gläser auf einem runden Holztisch ab, an dem insgesamt vier Stühle standen. Einen zog ich für Irina vor und nahm selbst den Platz gegenüber ein. „Du glaubst nicht, was ich dir zu erzählen habe…“, begann ich mit einem leichten Kopfschütteln, noch bevor ich die Weinflasche öffnete und uns beiden die Gläser füllte. Allerdings war ich auch sehr gespannt, was die Serbin zu unserem heutigen Tratsch mitgebracht hatte. Am Telefon war sie nicht sonderlich gesprächsbereit gewesen, aber ich hoffte, sie würde mir heute mehr davon erzählen.
Oh shit. Die plötzlich einkehrende Stille ließ nichts Gutes erahnen und dauerte für meinen Geschmack besorgniserregend lange an. Bei Menschen wie Hunter und mir war das nie ein gutes Zeichen, wenn sie plötzlich ruhig wurden. Sich gegenseitig anschreien, handgreiflich werden, sich Beleidigungen an den Kopf schmeißen – das war unsere Art von Kommunikation. Auf diese Art war fast jede nachfolgende Handlung vorhersehbar. Wenn der Schlag ins Gesicht nicht angekündigt wurde, dann wies einen zumindest die Körpersprache des Gegenübers darauf hin und man konnte sich darauf einstellen. Sobald ein Choleriker wie Hunter oder ein Tatsachenverweigerer wie ich einer war, anfingen zu schweigen und uns nicht mehr in die Karten schauen zu lassen, sprengten wir förmlich die imaginäre Schutzweste unseres Gesprächspartners, der uns dann wiederum schutzlos ausgeliefert war. Und genau das passierte hier gerade - sehr zu meinem Missfallen, versteht sich, weil ich in der Situation die Angearschte war. Das Grinsen verschwand augenblicklich von meinen Lippen und auch mein Blick veränderte sich. Ich war noch immer nicht ängstlich, aber… beunruhigt und Hunter zeigte mir wenige Sekunden später, dass ich das besser auch sein sollte, als er den Griff um meinen Hals nach der ersten Lockerung wieder schlagartig fester werden ließ. Ich schnappte japsend nach Luft und verkrampfte meine ursprünglich nur als Backup dort platzierte Hand um Hunters Handgelenk. Versuchte mit jämmerlich wenig Kraft seine Finger um meinen Hals zu lockern, aber da tat sich nichts. Der allmählich schwindende Sauerstoff trieb die Tränen in die Augen und ein Hauch von Panik kroch durch meinen Körper. Vielleicht war meine Zeit nun doch schon gekommen? Es dauerte eine schier unendlich lange Zeit, in der mir Hunter noch ein paar Worte an den Kopf schmiss – die es mangels Sauerstoffversorgung nicht mehr bis in mein Hirn schafften - bis der Druck von meinem Hals endlich verschwand. Der Amerikaner distanzierte sich daraufhin relativ schnell von mir, was in Kombination mit dem vorangegangenen Ruck dazu führte, dass ich auf dem rutschigen Untergrund beinahe die Biege machte. Ich schaffte es gerade noch so, mich mit den Nägeln der rechten Hand in Hunters Unterarm zu krallen, während die linke reflexartig ihren Halt an der Duscharmatur suchte. Andernfalls wäre ich in der Hitze des Gefechts womöglich ziemlich schmerzhaft auf den Boden geschlittert und hätte das nächste Wehwehchen auskurieren müssen. Ich hustete und keuchte bestimmt für eine ganze Minute, bis ich mich wieder aufraffen konnte und den Amerikaner losließ. Verständnislos starrte ich ihn mindestens für eine weitere Minute an und überlegte, ob ich ihm jetzt noch zu erklären versuchen sollte, dass seine Anschuldigungen in keiner Weise richtig waren, entschied mich schlussendlich aber dagegen. Er war sowieso schon nicht in der Lage gewesen, meine Worte richtig zu interpretieren, zu verstehen, dass ich das überhaupt nicht so gemeint hatte und er das bloß wieder in den falschen Hals bekommen hatte. Nicht ein winziges Bisschen hatte ich ihn dazu befehligen wollen, mir sofort etwas von seinen geheimen Details und Informationen preiszugeben, aber das wollte er nicht hören. So oder so nicht. Dabei war es nur ein gutgemeinter Vorschlag meinerseits gewesen, damit ich ihm vielleicht ein bisschen weniger Kopfschmerzen mit meinem Verhalten bereitete, weil ich dann tatsächlich wusste, wo seine Probleme lagen und mich ein Stück weit anders verhalten würde. Aber dann halt nicht. Nachdem ich mich aus meiner Starre gelöst hatte und wieder bei Sinnen war, verdunkelte sich mein Blick binnen Sekunden wieder. Wütend funkelte ich ihn an, meine Hand zuckte bereits. Hungrig darauf, erneut Bekanntschaft mit seiner Wange zu machen. Anstatt die Situation jedoch erneut eskalieren zu lassen, stieß ich ihn lediglich ein Stück zur Seite und verließ wortlos die Dusche. Vollkommen durchnässt – was mir gerade egaler nicht hätte sein können – sammelte ich meine vor der Dusche wartenden Klamotten ein und stürmte Richtung Tür. Mit genug Sicherheitsabstand zu dem Amerikaner drehte ich mich ein letztes Mal zu ihm um. Die sich ansammelnden Tränen, die inzwischen drohten, mir die Sicht zu vernebeln, rieb ich mir schnell aus den Augen. Bloß keine Schwäche zeigen. „Du bist ein beschissenes, störrisches, rücksichtsloses, gewalttätiges und cholerisches Arschloch, Hunter Price. Va te faire foutre!“, machte ich meinem Ärger Luft und hob zur Unterstreichung meiner letzten Worte den Mittelfinger in seine Richtung an. Als mir klar wurde, dass ich gen Ende meiner Tirade, die im Endeffekt nur aus Tatsachen bestand, über die sich der Tätowierte bereits im Klaren war, in meine Muttersprache gewechselt hatte, hängte ich pro forma noch ein „Fick dich selbst!“ auf Englisch hintendran. Und mit diesen Worten riss ich schließlich die Milchglastür des Badezimmers auf und stürmte auf den Flur. Gut, dass dieses Haus mehr als nur ein Badezimmer hatte. Wirklich geduscht hatte ich nämlich nicht und ich musste definitiv noch die brennenden Salzrückstände abwaschen, die mein Gesicht von den Augen aus anschwellen ließ.
Für Hunters Verhältnisse war es ungewöhnlich lange ruhig in der Dusche geblieben. Zumindest, wenn man von dem ganzen Knurren und Hissen mal absah – das gehörte bei uns inzwischen zum guten Ton. Es wunderte mich daher auch nicht wirklich, dass der Amerikaner kurze Zeit später vollkommen aus der Haut fuhr. Meines Erachtens nach war das längst überfällig, so bockig, wie ich mich hier wieder verhalten hatte. Wie so oft zeigte ich mich jedoch gänzlich unbeeindruckt von der Hand um meinen Hals. Schließlich wusste ich mittlerweile, dass Hunter kein wirkliches Interesse daran hatte, mich umzulegen, sondern diese Art von Crashout sein Ventil war, um angestaute Emotionen und seine Missgunst über mein Unverständnis zum Ausdruck zu bringen. Es war natürlich nicht angenehm, seinen festen Griff um meinen Hals zu spüren, wenn dieser nicht voller Lust, sondern Zorn war, aber es war auch kein Grund zur Panik – ich vertraute ihm dahingehend blind. Dennoch musste ich meinen Kopf etwas anheben, um mir nicht selbst die Luft weiter abzuschnüren. So war das einzig unangenehme in dieser Situation nur noch die kalte Wand in meinem Rücken, die meine Brustwarzen schlagartig hart werden ließ. Bis das warme Wasser meinen Rücken hinabgelaufen war, klemmte ich die linke Hand zwischen mir und der Wand ein, um zumindest ein bisschen Abstand zu gewinnen. Die Finger der rechten Hand legte ich auf Hunters Handgelenk, mit der er mich an die Wand getackert hatte. Nicht, um mich aktiv gegen ihn zu wehren – dazu war ich aktuell noch nicht imstande – sondern um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und mich notfalls an ihm festhalten zu können, falls mich meine Füße nicht mehr tragen wollten. Ein diabolisches Grinsen zierte meine Lippen, welches im Normalfall in einem gehässigen Lachen mündete. Aufgrund der aktuellen Umstände blieb mir dieses allerdings im Hals stecken. „Du musst mich ja auch noch nicht mit nach draußen nehmen. Erzähl’ mir hier zuhause doch einfach ein bisschen was. Wenn niemand weiß, dass du mir Infos gegeben hast, muss ich sie auch nicht verteidigen. Und selbst wenn mich jemand aufgreifen sollte, nehme ich lieber deine Geheimnisse mit ins Grab, als dumm zu sterben.“, spukte ich ihm entgegen und funkelte ihn im Rahmen meiner Möglichkeiten an, obwohl der Inhalt meiner Worte eigentlich versöhnlicher Natur war. Was die Sache mit den Drogen betraf, entlockte mir Hunter mit seiner Erklärung nur ein ersticktes Lachen. Mexiko war doch nicht das einzige Land, welches er auf dem Seeweg hätte beliefern können. Er mochte zwar Amerikaner sein, aber eigentlich stufte ich ihn nicht so dumm ein, wie es ein Großteil der Fettsäcke weiter nördlich von Kuba durchschnittlich war. Er wusste doch sicher, dass es auch in Mittel- und Südamerika einige Abnehmer gegeben hätte, warum also nicht mit dem Schiff nach Panama, Brasilien oder Kolumbien fahren? Ich hielt mich, zumindest was das anging, mit meinen Gedanken zurück, wollte ihn ausnahmsweise nicht noch weiter provozieren. Schon viel zu sehr hatte ich seine Entscheidungen in Frage gestellt. Möglicherweise zog er es doch noch irgendwann in Erwägung, mir einfach endgültig die Lichter auszuknipsen, weil er in mir eine potenzielle Ratte sah. Da glaubte ich zwar, wie bereits erwähnt, nicht dran, weil ich Hunter schon mehrfach meine Loyalität bewiesen hatte, aber dieser Mann war unberechenbar und stand zudem unter Medikamenten- und Alkoholeinfluss. An meiner Meinung bezüglich seines Vorschlags würde sich deswegen trotzdem nichts ändern. „Meine Antwort bleibt nein.“, setzte ich fauchend an. „Ich setze meine Freundschaft mit Irina nicht aufs Spiel für euer dummes Machtgeplänkel. Klärt das gefälligst unter euch und lasst uns da raus.“, bestand ich darauf, dass weder Irina noch ich selbst damit weiter behelligt wurden. Seine Drohung der Serbin gegenüber konnte er sich ebenfalls sparen. Sollte Hunter auf die Idee kommen, Irina noch mehr zu verletzen, als er das bis hierhin nicht ohnehin schon getan hatte, müsste er auch mit den Konsequenzen rechnen. Wie diese genau aussahen, wusste ich bisher natürlich nicht, aber er konnte sich sicher sein, dass mir etwas passendes einfallen würde.
Seit unserem letzten Streit nach Irinas und meinem Shoppingausflug hatte ich wirklich versucht mir Hunters Worte in Bezug auf das Thema Weitsicht zu Herzen zu nehmen, ehrlich. Mehrere Stunden hatte ich auf der Terrasse oder auf der Couch damit verbracht, mir den Kopf über Situationen zu zermartern, in denen mir in der Vergangenheit aus Sicht des Amerikaners diese sagenumwobene Weitsicht gefehlt hatte. Ich habe analysiert, versucht, mich in ihn hineinzuversetzen, um zumindest ansatzweise nachvollziehen zu können, warum eine Situation in einem Streit zwischen uns gemündet war. Und tatsächlich war ich hier und da wirklich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mich einfach unnötig auffällig verhalten oder etwas als nicht bedrohlich eingestuft und für diesen Gedanken prompt die Retourkutsche kassiert hatte. Trotzdem musste ich mir wieder seine alte Leier anhören - die „Du würdest es verstehen, wenn“-Schallplatte, welche sich mittlerweile mehrfach an ein und derselben Stelle aufgehangen hatte. Und so langsam ging es mir nur noch auf den nicht vorhandenen Sack. „Dann klär‘ mich halt auch mal auf. Was soll ich mit diesem ständigen ‚Du würdest es verstehen‘-Scheiß, man. Erkläre es mir und ja, vielleicht könnte ich es dann ein bisschen besser nachvollziehen. Momentan ist aus meinen Augen alles super. Kein Handlungsbedarf.“, gab ich genervt von mir. Vollkommen unbeeindruckt von Hunters normalerweise angsteinflößendem Blick. Ein Großteil der durchschnittlichen Frauen wäre vermutlich jetzt schnell aus der Dusche gesprungen und hätte das Weite gesucht. Aber ich nicht – ich war schon lange nicht mehr nur durchschnittlich und dessen war ich mir vollkommen bewusst. Trotzdem wollte ich meine Zeit unter dem Wasserfall nicht unnötig in die Länge ziehen. Nackt zu diskutieren, vor allem über ein solches Thema, fühlte sich irgendwie… komisch an. Ich griff daher an Hunter vorbei und angelte mir ein Duschgel aus der in der Wand extra für solche Utensilien eingelassenen Aussparung. „Wenn du so ein Problem mit Iljah hast, warum hast du dich dann überhaupt auf diesen ganzen Scheiß mit ihm eingelassen. Es hätte sicherlich auch eine andere Lösung gegeben, wo du im worst case nicht von beiden Seiten beschossen werden würdest.“, grummelte ich weiter und äffte ihm zum Ende meines Satzes hin mit verzerrter Stimme nach, während ich dazu ansetzte, mich mit den Händen einzuseifen. Normalerweise nahm ich mir für meine Hygiene immer ausreichend Zeit, bearbeitete meine Haut am liebsten ausgiebig mit dem Luffa-Schwamm, aber dazu fehlte mir jetzt zum einen die Motivation und zum anderen auch die Zeit. Eigentlich wäre ich jetzt am liebsten schon auf dem Weg zur Arbeit gewesen. Was seitens Hunter noch folgte, quittierte ich lediglich mit einem lauten Schnauben und einem Kopfschütteln. Klar, dafür, dass das hier kein Verhör sein sollte, fühlte es sich ganz danach an. Konnte aber auch daran liegen, dass ich das Ganze schon wieder in den völlig falschen Hals gekriegt hatte. Na ja. Er wusste, worauf er sich mit mir eingelassen hatte und schraubte seine Erwartungen bezüglich eines neutralen Gesprächs über ein solches Thema hoffentlich nicht allzu hoch. Ich dachte eigentlich, dass die kurzzeitige Stille aus der Einsicht des jungen Mannes herrührte, der begriffen hatte, dass er mit seinem Nachhaken nichts erreichen würde. Wie falsch ich da doch lag! Die Spitze des Eisberges folgte bald auf dem Fuße. Ich hatte die Duschgelflasche gerade an ihrem ursprünglichen Platz zurückgeräumt und nach meinem Shampoo gegriffen, als ich kurz davorstand, aus allen Wolken zu fallen. Mitten in der Bewegung hielt ich inne, um mich abzusichern, dass ich durch das Wasser gerade richtig gehört hatte. Weil Hunter keine Anstalten machte, seine letzten Worte zu revidieren, musste ich jedoch davon ausgehen, dass das Rauschen gerade keine wichtigen Teile seiner Frage den Abfluss hinuntergespült oder in ihrem Klang verändert hatte. „Sag mal, trinkst du wieder mehr?“, fragte ich ungläubig, weil ich nicht glauben konnte, was ich da gerade hören müsste. „Also erst mal… was interessiert es dich, ob wir über euch reden? Es gibt da was, das nennt sich Privatsphäre, Hunter. Ich teile wirklich viel und auch gerne mit dir, aber ich glaube nicht, dass es dir weiterhilft oder dich gar ernsthaft interessiert, wie lang Iljahs Schwanz ist und unter welchen absurden Umständen er plötzlich bei Irina vor der Haustür stand, um sie zu überraschen, nachdem er sie gefühlt ein Jahrzehnt allein in Havanna hat versauern lassen. Wie süß und romantisch er trotz all seiner Ecken und Kanten sein kann. Es sei denn, du möchtest dir von ihm eine Scheibe abschneiden. Dann kann ich dich dahingehend natürlich gerne beraten.“, wetterte ich los und fing gen Ende an, spielerisch von dem Russen zu schwärmen. Ich wusste, dass das etwas war, was Hunter hasste. Er mit Eifersucht zu kämpfen hatte, auch wenn er sich das vielleicht nicht eingestehen oder gar offen zeigen wollte. Bedauerlicherweise für ihn war das sehr zu meinem Vergnügen. Ich erinnerte mich noch gut an eine Situation am Pool, die schließlich in einer wilden Nacht geendet war – weil der Herr sein Ego verletzt gesehen hatte. Herrliche und gute, alte Zeiten. Seine noch folgende Bitte war aber noch viel lächerlicher als die vorangestellte Aussage. Fassungslos sah ich ihn an, kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. „Ein Scheißdreck werde ich tun. Das hat Irina und Iljah schon gar nicht zu interessieren. Gerade sagst du noch, ich muss aufpassen und jetzt willst du, dass ich potenziell – und ich halte das immer noch für verdammt unwahrscheinlich, dass einer der beiden dir ans Bein pissen will – gegen dich verwendbaren Zündstoff streue? Hörst du dir eigentlich selbst zu?“ Letzteres war eine Frage, die ich Hunter mindestens schon hundert Mal gestellt hatte. Ein alter Klassiker sozusagen, auf den ich aber nie eine wirkliche Antwort bekam…
Vor noch gar nicht allzu langer Zeit wären diese Worte aus dem Mund des Amerikaners undenkbar gewesen. Hunter machte nur selten bis gar keine Zugeständnisse und erst recht nicht, wenn sie implizierten, dass er in irgendeiner Form unachtsam und angreifbar sein könnte. Inzwischen fiel ihm das mir gegenüber zumindest etwas leichter. Wahrscheinlich, weil Hunter wusste, dass ich ihn damit nicht aufziehen würde – weder in der Öffentlichkeit noch vor seinen Handlangern, sondern maximal privat, wenn wir unter uns waren. Mit einem schiefen Grinsen tat ich seinen – wahrheitsgemäßen – Kommentar ab und beobachtete ihn dann dabei, wie er der Rest seiner Klamotten in den Wäschekorb beförderte. Wartete währenddessen auf die Beantwortung meiner Frage, die in etwa eine Ewigkeit auf sich warten ließ. Und das, was ich als erstes zu hören bekam, stellte mich in keiner Weise zufrieden. Weil ich das ganz einfach schon wusste. Immer drehte sich bei dem Amerikaner alles nur ums Abwägen – das hatte er ganz richtig erkannt. Nur mit einem leisen Seufzen wehrte mich, als er meinen Unterarm aus dem Knoten vor meiner Brust befreite, folgte ihm dann aber bereitwillig die wenigen Schritte in Richtung Dusche. Allerdings blieb ich einen Schritt hinter ihm vor der Glasfront zurück und wartete erst einmal darauf, bis Hunter das Wasser entsprechend angenehm temperiert hatte. Zwar war es auch für diese Jahreszeit noch relativ warm auf Kuba, aber die feinen Wasserpartikel waren gelinde gesagt trotzdem arschkalt und bescherten mir immer wieder eine mehr oder weniger unangenehme Gänsehaut. Besonders lange warten musste ich nicht und so schob ich mich keine dreißig Sekunden später zu dem Amerikaner in die Dusche. Meine Haare sogen sich augenblicklich mit dem warmen Wasser voll und klebten mir buchstäblich im Gesicht, als Hunter weitersprach. Ich wischte mir eine Strähne aus den Augen und sah dann mit halb zugekniffenen Augen durch das Wasser hindurch zu meinem Freund hoch. Nur um genervt aufzustöhnen, als er auch noch den Russen mit in unser Badezimmer holte. Irina hatte das Kribbeln in meiner Körpermitte schon abschwächen lassen, aber der Gedanke an Iljah ließ auch noch das letzte bisschen Vorfreude auf das gemeinsame Duschen in Luft auflösen. Einmal mehr stellte ich mir die Frage, ob er sich eigentlich darüber im Klaren war, dass er manchmal das Taktgefühl eines 12-Jährigen hatte. Wie kam er denn jetzt darauf? Und warum wollte er ausgerechnet unter der Dusche darüber reden? Hätten wir das nicht auch auf der Terrasse mit einer Tasse Kaffee besprechen können? Offenbar nicht, sonst würden wir uns ja wohl kaum in dieser Situation befinden. Ich ließ Hunter erst einmal reden, mir seine Worte durch den Kopf gehen, ehe ich schwach mit dem Kopf schüttelte. „Was soll das hier werden, Hunter?“, fragte ich, obwohl ich keine Antwort erwartete. Mein Tonfall indizierte bereits, dass ich leicht genervt von seinen paranoiden Feststellungen und Fragen war. Denn ja, nichts weiter war er gerade – paranoid. Er schien nicht begreifen zu können, dass nach langer Zeit der Dramen endlich ein wenig Ruhe einkehrte und schien nach Auffälligkeiten nur so zu suchen. „Du weißt genau so gut wie ich, dass du dich hier in etwas reinsteigern willst, was deiner Energie überhaupt nicht bedarf. Warum machst du dir Gedanken, wenn doch gerade alles perfekt läuft?“, formulierte ich meine Gedanken zu einer Frage und adressierte diese direkt an den jungen Mann, schüttelte dabei langsam den Kopf. Als Hunter mich anschließend ganz explizit danach fragte, ob Iljah Irina etwas über seine Geschäfte verriet, zog auch ich meinen Kopf aus dem Wasserstrahl und legte meine Stirn in nachdenkliche Falten. „Wird das hier jetzt ein Verhör, oder was? Woher soll ich das denn wissen?“ Die Worte kamen etwas zischender über meine Lippen, als ich beabsichtigt hatte. Das war leider ein Laster, welches ich vermutlich nie ganz ablegen würde. Auch wenn Hunter wahrscheinlich berechtigtes Interesse daran hatte, eine gescheite Antwort auf seine Frage zu bekommen, wurde ich das Gefühl nicht los, als vermutete er, dass Irina mir etwas über Iljahs Geschäfte verraten hatte. Und dass ich ihm im Umkehrschluss eine solche Information vorenthielt, was wiederum bedeutete, dass er mir nicht hundertprozentig vertraute. War doch also naheliegend, dass ich mir dann auf den Schlips getreten fühlte und zickig wurde, oder?
Mir war von vornerein klar, dass meine wenigen Worte nur einen verzweifelten Versuch darstellten, den Amerikaner von seinem Vorhaben abzubringen. Eigentlich hätte ich mir die Luft sparen können, denn was Hunter haben wollte, nahm er sich in aller Regel einfach. Was den Sex anging hatte ich natürlich ein gewisses Mitspracherecht, aber es brauchte mittlerweile nur noch ein Zwinkern, eine bedachte Berührung hier, ein paar vielversprechende Worte da und schon hatte er mich um den Finger gewickelt. Was das anging, machte ich es Hunter fast schon lächerlich einfach. Er hatte also keinen Grund, eine Grenze überschreiten zu müssen, denn diese standen ihm grundsätzlich offen. Gerade nach dem Sport, wo sich der leichte Schweißgeruch mit seinem körpereigenen Duft mischte, verlor ich regelmäßig beinahe den Verstand. Dass Hunter binnen weniger Sekunden zu mir aufgeschlossen hatte und sich in gewohnt gieriger Manier einen Kuss von meinen Lippen stahl, ließ das Gedankenkaroussel nicht langsamer werden. Ganz im Gegenteil – beinahe automatisch hob ich meine Hand an das leicht feuchte T-Shirt und strich mit den Fingerspitzen über die trainierten Muskeln, die unter dem Stoff schlummerten. „Stimmt wohl…“, murmelte ich dem jungen Mann eine Bestätigung an die Lippen, von denen ich mich nur ungern wieder löste. Allerdings schien es ausnahmsweise nicht Hunters primäres Ziel zu sein, mich mit sehr viel spaßigeren Aktivitäten von der Arbeit abzuhalten - beziehungsweise gar nicht erst dort hingehen zu lassen -, wie er mich wenig später wissen ließ. Fragend sah ich ihn an, doch eine Erklärung blieb vorerst aus. Stattdessen nahm der Amerikaner meine Hand und begleitete mich auf dem Weg ins Badezimmer. Einzuwenden hatte ich dagegen nichts, ich würde die Dusche liebend gerne mit ihm teilen. Bereitwillig tapste ich neben ihm her und stellte einmal mehr fest, wie glücklich ich mich schätzen konnte, trotz all der Scheiße, die uns in den letzten Monaten widerfahren war. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so zufrieden gewesen war. Nicht unbedingt in diesem Moment, sondern… ganz allgemein. Klar, Hunter und ich hatten hier und da unsere Differenzen und das würde sich vermutlich auch nie ändern, was unseren schwierigen Charakteren zugrunde lag, aber seit dem Zwischenfall von vor einigen Wochen verhielt sich der junge Mann mir gegenüber anders. Und zeigte mir damit deutlich, dass er sich weiterentwickeln zu versuchte. Etwas, das man ihm hoch anrechnen musste und das tat ich auch, ohne Zweifel. Noch immer auf eine Erklärung wartend, betrat ich das Badezimmer. Kaum war die Tür hinter uns in den Rahmen gefallen, begann ich damit, mir auch noch das letzte bisschen Kleidung von der Haut zu streifen. Hunter klinkte sich dahingehend schnell ein und ich genoss den sich mir bietenden Anblick von wohlgeformter Muskelmasse für etwa… zwei Sekunden. Dann fiel ein Name, den ich nicht unbedingt hören wollte, wenn wir drauf und dran waren, intim miteinander zu werden. Irina war zwar inzwischen eine gute Freundin von mir geworden, unter den aktuellen Umständen hatte sie trotzdem keinen Platz in meinem Badezimmer. Ich rollte schon nach den ersten vier Worten seitens des Amerikaners mit den Augen und stellte mich bereits auf eine Auseinandersetzung ein. Die Vorfreude auf ein feuchtfröhliches – ha ha – Rendezvous in der Dusche verpuffte. Hunter kannte mich und konnte förmlich riechen, dass ich im Begriff war, etwas zu sagen, sodass er mit den noch folgenden Worten gerade so die Kurve kratzte. Gut, schön, dass ich ihm meinen Standpunkt, was das anging, scheinbar glasklar gemacht hatte und er nicht einmal mehr den Versuch wagte, mir den Kontakt weiter ausreden zu wollen. Ich wusste genau, dass ihm das nicht in den Kram passte, aber ich war auch nicht zufrieden mit allem, was er so tat. Kompromisse mussten also auf beiden Seiten eingegangen werden. Eigentlich hätten bei mir schon bei seiner törichten Frage, die kurz nach seiner Feststellung folgte, die Alarmglocken klingeln müssen. Stattdessen sah ich ihn lediglich mit hochgezogener Augenbraue an. „Waren wir jemals nicht an diesem Punkt?“, fragte ich ironisch. „Hier und da denke ich schon darüber nach…“ Natürlich nicht wirklich. Na ja, zumindest sehr selten. Ich rang mir ein schiefes Grinsen ab, auch wenn mir seine Frage nicht gefiel. Kalt abblitzen lassen wollte ich den Versuch des Smalltalks jedoch nicht und so ergänzte ich noch eine ernstgemeinte Aussage. „Ich würde schon sagen, dass wir uns sehr gut verstehen. Ich mag sie und vertraue ihr.“ War vermutlich nicht das, was er hören wollte, entsprach aber der Wahrheit. Wir telefonierten viel, lachten gemeinsam und die Nächte in der Bar vergingen irgendwie schneller, wenn Irina vorbeischaute. Das konnte und würde ich nicht leugnen. Aber wieso wollte er das wissen? Obwohl ich die Antwort vermutlich nicht hören wollte, überwog die Neugier. Mit den vor der nackten Brust verschränkten Armen setzte ich an: „Warum fragst du?“ Wir waren beide nicht der Typ Smalltalk. Unterhalten taten wir uns zwar viel, aber meistens nicht über solch belanglosen Dinge. Irgendwas führte dieser Mann doch im Schilde, er verhielt sich viel zu auffällig.
Diese beschissene Narbe wird mich noch in zehn Jahren daran erinnern, wie unfähig ich manchmal bin, dachte ich, als ich im Ankleidezimmer in den deckenhohen Spiegel sah. Mit einem genervten Augenrollen wandte ich mich von meinem eigenen Antlitz hab und schnaubte. „Wie kann man eigentlich so blöd sein?“, stellte ich mir murmelnd selbst eine Frage, von deren Beantwortung ich jedoch absah. Es war schon schlimm genug, dass ich in letzter Zeit überhaupt wieder öfter Selbstgespräche führte, und ich wollte das keinesfalls ausarten lassen. Ich war verrückt, keine Frage, aber solange ich noch dazu imstande war, hier und da selbst einzulenken, würde ich das auch tun. Nachdem ich eine ganze Weile aus offensichtlichen Gründen nicht besonders viel Zeit in der Bar verbracht hatte, wurde es nun langsam wieder an der Zeit. Mir fiel zuhause die Decke auf den Kopf und eine gute Hausfrau würde aus mir auch nicht mehr werden. Kochen machte mir keinen Spaß und für das Wäschewaschen und Putzen zahlte Hunter unserer Haushälterin viel zu viel Kohle, als dass ich ihr die Arbeit freiwillig abnehmen wollte. Bis mein geflicktes Bein also einigermaßen abgeheilt war, hatte ich die meiste Zeit damit verbracht, auf der Terrasse zu hocken oder mich im Rahmen meiner Möglichkeiten sportlich zu betätigen. Scheiße, sogar ein Buch habe ich gelesen – komplett, inklusiver der Danksagungen am Ende! Ein paar Tage war ich außerdem für wenige Stunden in der Bar gewesen, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht zuletzt, um auf Hunters Geschäft mit den Blüten ein Auge zu haben, aber lange hielt ich nicht durch. Das ständige Hin- und Herlaufen, längeres Stehen… all das war mir noch zu viel. Aber jetzt, knapp einen Monat nach meiner mir selbst zuzuschreibenden Verletzung konnte ich endlich wieder länger stehen, ohne, dass die Narbe unangenehm zu brennen und zu schmerzen anfing. Für mich war das gleichbedeutend mit arbeitstauglich und so stand ich, nur im BH und Slip, im Ankleidezimmer und überlegte, was ich zu meiner ersten Schicht seit langem anziehen würde. Am Ende des Tages entschied ich mich zwar doch immer für dasselbe – schwarze Jeans und ein weißes Shirt – aber es war ein Ritus, welchen ich nie gänzlich ablegen würde. Ich musste mindestens zehn, wenn nicht sogar fünfzehn Minuten durch all die Klamotten in meinem Besitz wühlen, bis ich resigniert kapitulierte und das Altbewährte aus dem Schrank zog. Mit dem besagten Shirt und der Hose unter dem Arm löschte ich das Licht im Inneren des Zimmers und zog die Tür hinter mir zu. Gerade, als ich mich auf den Weg ins Badezimmer machte, sah ich aus dem Augenwinkel eine Silhouette die Treppen nach oben kommen. Ich hob den Blick an und schenkte Hunter, welcher sich die letzten Tage bilderbuchmäßig um mich gekümmert hatte, ein aufrichtiges Lächeln. „Hey.“, begrüßte ich ihn und wollte meinen Weg fortsetzen. Die Zielstrebigkeit, mit der der Amerikaner auf mich zukam, ließ mich jedoch innehalten und mein Lächeln wich von Sekunde zu Sekunde einem schiefen Grinsen. Der hochgewachsene, nach wie vor überaus attraktive Amerikaner sah nicht so aus, als stünde ihm im Sinn, mich nur flüchtig zu grüßen. Etwas an ihm – seine Körperhaltung, sein Blick vielleicht? – erweckte in mir das Gefühl, als wollte er etwas von mir. Und in Anbetracht der Tatsache, dass es relativ spät war und ich zudem halb nackt vor seiner Nase herumtanzte, war ich mir ziemlich sicher, was das sein könnte. „Ich hab‘ keine Zeit… muss in die Bar.“, versuchte ich ihn also abzuwehren, noch bevor er etwas versuchen würde, dem ich ja dann doch nicht widerstehen konnte. Die letzten Wochen waren auf sexueller Ebene knapp bemessen gewesen aufgrund meiner eingeschränkten Beweglichkeit und ich würde mich selbst belügen, würde ich behaupten, dass ich jetzt etwas gegen eine schnelle Nummer einzuwenden hätte, aber ich musste wirklich bald los. Der Schuppen öffnete in knapp einer Stunde und ich wollte im besten Falle vorher schon hinter der Theke stehen, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Aber ob meine Selbstbeherrschung dahingehend ausreichen würde? Sobald ich Hunters warme Hand auf meiner nackten Haut spüren würde, wahrscheinlich eher weniger…
Scheinbar hatte ich mich ein bisschen unglücklich ausgedrückt und Tauren das Gefühl gegeben, dass ich mir mit meiner Aussage nicht ganz so sicher war. Aber das war ich, wirklich. "Sorry, hab' mich ein bisschen blöd ausgedrückt, glaube ich. Ich vertraue ihm schon. Bisher hat er mir keine Gründe gegeben, es nicht zu tun.", stellte ich also klar. Mittlerweile sah ich das Ganze ein bisschen anders. Nach der gestrigen Aktion würde ich mir künftig wohl häufiger Sorgen darüber machen, dass er etwas im Schilde führte und es fühlte sich absolut beschissen an. Ich bezweifelte außerdem, dass dieses Vertrauen jemals wieder gänzlich zurückkehren würde, selbst wenn Sam Himmel und Hölle in Bewegung setzte, dieses wiederzuerlangen. Da war das menschliche Gehirn wirklich furchtbar. Ein kleiner Vertrauensmissbrauch und selbst die längsten Beziehungen gerieten gefährlich ins Wanken. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Was musste der Italiener mich aber auch so um den Finger wickeln? Ich war als Single doch eigentlich ganz zufrieden gewesen und jetzt saß ich hier und zerbrach mir den Kopf... beeinflusste zudem die Laune des Norwegers, der vermutlich glücklicher nicht sein konnte, seine Liebste wieder an seiner Seite zu wissen. Aber naja. Tauren wusste leider auch nicht genau, was ich tun sollte, wenn ich mein Trauma nie überwinden konnte und das war... gelinde gesagt ziemlich scheiße. Ich hatte gehofft, er hätte vielleicht eine Idee, mit der ich mich einlullen und mir einreden konnte, es würde alles wieder gut werden. So oder so. Die Realität sah nur leider anders aus und ich konnte nicht mehr tun, als das so hinzunehmen. Mich einfach an die nachfolgenden Worte des jungen Mannes zu klammern, die immerhin ein kleines Bisschen Hoffnung schürten. Wenn Sam mich wirklich liebte und in mir nicht nur einen Klotz sah, der ihm unfreiwillig ans Bein gebunden worden war, dann standen die Chancen auf eine gemeinsame Zukunft gar nicht mal schlecht. Es fiel mir nur wirklich schwer, daran zu glauben und das stand mir förmlich auf die Stirn geschrieben. "Ich hoffe so sehr, dass du damit Recht hast...", murmelte ich beinahe verzweifelt. Wenn einen solche Situationen selber trafen, dann war es unglaublich schwer, den aufmunternden Worten von Freunden Glauben zu schenken. Sicher hatte sich Tauren ähnlich beschissen gefühlt, als ich ihm vor einiger Zeit gesagt hatte, dass er die Beziehung zu der Russin noch nicht gänzlich abschreiben sollte. Sie möglicherweise noch einmal auf ihn zukäme, was ja auch tatsächlich passiert zu sein schien. Sollte mir das nicht eigentlich noch mehr Hoffnung geben? Über die Frage des Norwegers musste ich einen Moment lang nachdenken. Kam wohl ganz darauf an, was er mit machen konkret meinte. "Wir reden viel...", war das Erste, was ich mit einem Schulterzucken antwortete. "Über Kunst und etlichen anderen Kram. Davon abgesehen, hm... ein bisschen Spazieren, aber ansonsten beschäftigen wir uns eher hier im Bungalow. Vor allem mit Bandit." Kaum waren mir die Worte über die Lippen gekommen, musste ich feststellen, dass wir uns eher nicht wie ein gewöhnliches Paar verhielten. Wir unternahmen eigentlich kaum etwas außerhalb der eigenen vier Wände. Vielleicht sollten wir damit mal anfangen. Auf Dates gehen, wie das so üblich war. Verreisen, das Museum oder ein Theater besuchen. Irgendetwas ansatzweise interaktives, anstatt unsere Hintern nur auf dem Sofa plattzusitzen. Zwar fühlte ich mich ganz wohl in meinem Zuhause und musste nicht unbedingt die Stadt unsicher machen, aber ich konnte schließlich nicht von mir auf andere schließen, richtig?
Das war gut zu wissen. Manchmal tat ich mir doch ein bisschen schwer, etwas sein zu lassen oder aus meiner Komfortzone zu treten und das wusste Tauren. Es war daher gar nicht so abwegig, dass er mich früher oder später tatsächlich nochmal daran erinnern musste, das Rauchen wieder einzustellen. "Besser ist es wahrscheinlich.", stellte ich deshalb schief grinsend fest und legte das Thema damit gedanklich zu den Akten. Heute hatte ich schließlich noch allen Grund dazu, mir mit den Zigaretten die Lunge zu teeren, er durfte mich frühstens morgen daran erinnern, von den Glimmstängeln Abstand zu nehmen. Schade war, dass der Norweger nicht an einen Reset-Knopf glaubte, was nicht wirklich das war, was ich hatte hören wollen. Mir wäre ein 'Na klar, Richard. Versuch' es doch einfach mal, kann schon gut sein.' deutlich lieber gewesen, aber bedauerlicherweise war ich mir dessen selbst bewusst, dass das vollkommener Schwachsinn war, den ich da von mir gegeben hatte. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber wissen tat ich es durchaus. Ich seufzte und nahm den letzten Zug von meiner Kippe, bevor ich auch diese ausdrückte und im Aschenbecher zurück ließ. Ich durfte nicht vergessen, später den weggeworfenen Stummel wieder einzusammeln... Für den Moment verschränkte ich jedoch erstmal die Arme vor der Brust und sah nachdenklich ins Grüne. "Hmm...", ließ ich verlauten und klang damit gleichermaßen unzufrieden wie auch niedergeschlagen. Dann schenkte ich den restlichen Worten des jungen Mannes meine Aufmerksamkeit und wäre im Zuge dieser am liebsten im Erdboden versunken. Ich wusste, dass ich kein besonders angenehmer Mitbewohner gewesen war, aber es noch einmal aus Taurens Mund zu hören ließ mich schwer schlucken. Auch wusste ich, dass er es keinesfalls böse meinte oder es mir noch übel nahm, unangenehm war es mir trotzdem immer noch und würde es wohl auch noch in der Zukunft sein. Ich versuchte so gut es ging, diesen Teil seiner Ansprache auszublenden und mich viel mehr auf den Kern seiner Aussage zu konzentrieren. Währenddessen nickte ich hin und wieder schwach, als Zeichen dafür, dass ich ihm so weit folgen und außerdem zustimmen konnte. Er hatte ja Recht, verdammt. Trotzdem wünschte ich mir, es wäre anders und ich konnte ihm hier und heute nicht versprechen, dass ich es nicht doch irgendwann einfach versuchen würde. Vielleicht, nachdem ich mich mit eine oder zwei Gläsern Wein etwas lockerer gemacht hatte. "Ich verstehe grundsätzlich, was du meinst und ich werde es versuchen, aber... was ist, wenn ich mich nie wieder dazu bereit fühle?", murmelte ich meine Bedenken gen Boden und hob nur zögerlich den Blick wieder an. Erschrak beinahe, als ich sah, wie besorgt Tauren zu mir rüber schaute, so als würde er sich wirklich Sorgen um mich machen. Ich hatte nie angezweifelt, dass der Norweger ein guter Freund war, allerdings hatte er jedes Recht der Welt, nach wie vor sauer auf mich zu sein. Er musste sich nicht Sorgen. Nicht, nachdem ich ihm sein Leben im Zuge meiner Drogenexzesse zur Hölle gemacht hatte. Und doch schien er es zu tun. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass es mir dadurch nicht schon ein bisschen besser ging. Sollte die Beziehung mit Samuele scheitern, wusste ich nämlich, wer für mich da sein würde. Was seine Frage anging, musste ich tatsächlich kurz überlegen. Normalerweise hätte ich wie aus der Pistole geschossen antworten können, dass ich es sehr wohl tat - Samuele vertrauen, meine ich - aber nach seiner letzten Aktion war meine Einschätzung dahingehend etwas getrübt worden. Wenn ich versuchte, davon abzusehen, dann... "Ja, schon... Eigentlich vertraue ich ihm sogar sehr.", waren meine Lippen schließlich schneller, als meine Gedanken. Gelogen war das jedoch nicht. Wenn ich den gestrigen Streit und die Worte, welche er mir während unserer Auseinandersetzung an den Kopf geschmissen hatte, ausblendete, dann vertraute ich dem Italiener beinahe blind. Aber warum wollte Tauren das wissen?
Auch Tauren schien der Meinung zu sein, dass ich das Rauchen besser schnellstmöglich wieder einstellte, was ich mit einem schwachen Nicken kommentierte. Wahrscheinlich würde ich das auch, konnte aber nicht versprechen, es in der Zukunft gänzlich sein zu lassen. Wenn es hart auf hart käme, dann griff ich lieber wieder zu den Zigaretten, anstatt mich erneut in den Drogensumpf zu stürzen. Kippen ließen einen wenigstens nicht derart am Rad drehen, wie es etwaige andere abhängig machende Konsumgüter taten. Der Gedanke an all die zurückliegenden Zwischenfälle, die ich während meiner aktiven Konsumphase provoziert hatte, ließ mich leise seufzen und einen weiteren Zug von dem Glimmstängel nehmen. Dieses Mal allerdings bedacht darauf, nicht zu viel von dem Rauch meine Lungen fluten zu lassen. Mit dem Handrücken wischte ich mir im Anschluss die Tränenflüssigkeit aus den Augen, bevor auch nur ein Tropfen auf die Idee kam, meine Wange hinunterzulaufen. "Ich denke, nach der Schachtel bin ich ohnehin erst mal bedient...", mutmaßte ich und zuckte nachdenklich mit den Schultern. Die Packung war beinahe leer. Es würde mir zwar kein Loch in den Geldbeutel reißen, den Bestand aufzufüllen, denn Tabakwaren waren auf Kuba verhältnismäßig günstig, aber was man nicht mit Geld zahlte, zahlte man dafür mit der Gesundheit und die war mir irgendwie... naja, wichtig? Ein bisschen ironisch war das jetzt schon, immerhin hatte ich vor noch nicht allzu langer Zeit alles menschenmögliche daran gesetzt, mich und meinen Körper ins Verderben zu stürzen, bis ich auf kalten Entzug gesetzt wurde und schließlich Samuele in mein Leben getreten war. Wenn man so wollte, konnte man durchaus sagen, dass mich das toleranter hatte werden lassen, ja. Mit einem schiefen Grinsen sah ich zu dem Norweger rüber, aber meine Mundwinkel waren nicht besonders ausdauernd. Je länger Tauren sprach, umso mehr sanken sie wieder ab, bis ich mich schließlich wieder von ihm abwandte und meinen Blick auf die Zigarette zwischen meinen Fingern heftete. Vahagn und Samuele schienen sich laut Aussage des jungen Mannes relativ ähnlich zu sein, was mich nicht besonders glücklich stimmte. Bisher hatte ich das Gefühl gehabt, die beiden waren wie Äpfel und Birnen - komplett unterschiedlich eben, nicht zu vergleichen. Dass ich jetzt auf eine ähnlich verkorkste Beziehung zusteuerte, wie die zwischen dem Norweger und der Russin war besorgniserregend, eigentlich wollte ich das nicht. Sammy einfach so gehen zu lassen kam aber auch nicht infrage, so viel war sicher. Dass es dafür Regel brauchte, musste mir Tauren nicht zwei mal sagen. Sollte ich den Italiener in meinem Haus mit einer anderen Person intim werden sehen, gäbe es höchstwahrscheinlich Mord und Totschlag und um genau das zu vermeiden, mussten wir vorab klären, was in Ordnung war und was nicht. Ich schluckte schwer. Eigentlich war für mich absolut gar nichts in Ordnung, alleine der Gedanke daran, wie er sich von jemand anderem anfassen ließ, trieb mir förmlich die Gallensäure in die Speiseröhre. "Da hast du Recht. Ehrlich gesagt muss ich aber selber noch überlegen, ob ich das mit mir vereinbaren kann... irgendwie... fühlt es sich nicht gut an.", stellte ich unzufrieden fest. Vielleicht würde mir ja noch etwas anderes einfallen. Vielleicht musste ich mir selber einfach in den Arsch treten? Was, wenn ich schon längst nicht mehr so panische Angst vor Sex hatte und mein Gehirn einfach nur eine kurze Schocktherapie brauchte, um wieder anständig zu funktionieren? Wieder normal zu denken, wie vor dem Zwischenfall. Es klang gleichermaßen absurd wie auch einleuchtend und ich beschloss, Tauren diesbezüglich nach seiner Meinung zu fragen. "Meinst du... der Kopf hat vielleicht eine Art Reset-Button? Vielleicht geht es mir ja tatsächlich schon wieder besser und ich denke nur noch, dass dem nicht so ist? Wer weiß, wenn ich mich darauf einlasse - auf Sex mit Sam, meine ich -, vielleicht... eventuell bin ich ja schon wieder der Alte und weiß es nur noch gar nicht?" Es war überraschend, wie viel Überzeugung und Hoffnung in meinen Worten mitschwang, obwohl ich wusste, dass nun ich derjenige war, der den Anschein machte, nicht zu verstehen, wie ein Trauma funktionierte. Die Taktik, die ich dem jungen Mann vorschlug, mochte vielleicht bei weniger gravierenden Ängsten funktionieren, bei kleinen Schatten, die sich eigentlich leicht überspringen ließen, aber eine Vergewaltigung? Ich konnte nicht glauben, dass ich wirklich so dumm war, von meinen eigenen Worten derart überzeugt zu sein.
Ja, ein mulmiges Gefühl war wohl kaum zu vergleichen mit der Panik, die mich ergriff, wenn ich nur daran dachte, mich vor einem Mann - egal auf welcher Basis, ob vertraut oder nicht - zu entblößen. Und ich spürte, dass es Tauren leidtat, was mir widerfahren war, auch wenn er es nicht aussprach und schon gar nichts dafür konnte, dennoch sollte er sein eigenes Trauma nicht kleiner reden, als es eigentlich war. Schlimmer war schlimm, aber trotzdem nicht weniger... schlimm. Ließ einen nicht nennenswert weniger leiden. Meine Narben waren überwiegend psychisch, nicht sofort sichtbar. Taurens körperliche Blessuren hingegen schon. "Nur weil mir etwas, in deinen Augen vielleicht schlimmeres, widerfahren ist, musst du dein Unwohlsein deswegen nicht gleich degradieren. Du hast genauso gelitten.", stellte ich ruhig fest und schenkte dem jungen Mann ein schwaches Lächeln. Sein Leid war genauso schlimm wie mein eigenes, nur eben auf eine andere Art und dafür verdiente er mindestens das gleiche Maß an Einfühlsamkeit und Verständnis, was er mir gegenüber gerade an den Tag legte. Außerdem war das hier kein Wettbewerb. Es ging nicht darum, wer es mit mehr Schäden aus diesem gottverdammten Hotel geschafft hatte. Wir beide lebten noch und hatten gleichermaßen mit den Folgen zu kämpfen. Ich seufzte und ließ mich nach hinten gegen die Lehne fallen, drehte meinen Kopf aber direkt wieder in Richtung des Norwegers, welcher aufgrund der prekären Situation augenscheinlich zu seinen Zigaretten greifen wollte, weil sein Kopf das Nikotin brauchte, um wieder einen einigermaßen klaren Gedanken fassen zu können. Zumindest vermutete ich das, weil mich in diesem Moment ein ähnliches Gefühl heimsuchte. "Nimm' ruhig...", murmelte ich und streckte meine Hand nach der auf dem Tisch liegenden Zigarettenschachtel aus. Ich selbst nahm mir ebenfalls einen Glimmstängel und schob die Packung anschließend zum untermauern meiner vorangegangenen Worte ein Stück in Taurens Richtung. Während ich nach dem Feuerzeug angelte, ließ ich mir die Worte des Norwegers einen Augenblick lang durch den Kopf gehen. Er musste sich nicht scheuen, mir Ratschläge zu geben. Ich war alt genug, selber zu beurteilen, ob ich diese für gut befand oder in die Kategorie Ablage P rund einordnete. Genau aus dem Grund war es mir ja überhaupt so wichtig gewesen, dass er herkam und sich mein Gejammer anhörte. Nicht nur, weil ich mir meine Meinung bestätigen lassen oder mir eine andere anhören wollte, sondern eben auch einen Ratschlag gebrauchen könnte, wie ich in dieser Situation weiter verfahren sollte. Und was Tauren sagte, hatte schon Hand und Fuß. Der Gedanke daran, Sammy einen Freipass dafür zu geben, sich den Sex, dem ich ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in naher Zukunft bieten konnte, woanders zu holen, vergiftete zwar jede einzelne Faser meines Körper - und sprach dazu noch gegen ziemlich viele meiner bisherigen Prinzipien -, aber nüchtern betrachtet war es tatsächlich der einzige Weg, ihn auf lange Sicht nicht zu verlieren. So zumindest die Theorie. Allerdings barg das Ganze auch ein gewisses Risiko. Was wäre, wenn er sich plötzlich anderweitig verliebte und sich früher oder später von mir lossagte? Wenn ihn plötzlich jemand anderes mit genügend Intellekt verzauberte und ihn mir somit aus meinen kraftlosen Händen riss? Alleine die Vorstellung daran ließ mein Herz ganz schwer werden und in einem von Anfang an zum Scheitern verurteilten Versuch, sich dem Druck auf meinen Lungen zu entziehen, zog ich einmal zu heftig an der Zigarette. Ich hustete und saß binnen Sekunden kerzengerade, um besser nach Luft ringen zu können. Mir standen die Tränen in den Augen, als ich mich nach etwa dreißig Sekunden wieder gefangen hatte und ich verzog unzufrieden das Gesicht. "Deswegen rauche ich eigentlich nicht...", stellte ich grummelnd fest und schnippte den Glimmstängel am Aschenbecher ab. Ich hasste dieses Gefühl, wenn sich die Lunge durch die Schadstoffe allein schon perforiert anfühlte. Sich dann auch noch zu veratmen war die Hölle. Aber zurück zum eigentlichen Thema. "Tut er auch...", bestätigte ich den Norweger kurzerhand in seiner Aussage, dass Sam mir guttat. "Ich bin viel glücklicher, seit er an meiner Seite ist. Und der Kater ist auch ein nettes Plus. Eigentlich bin ich ja kein Katzenfreund, aber Bandit... er ist schon süß." Der Gedanke an das dreieinhalbbeinige Fellknäuel ließ mich wieder schwach lächeln. "Vermutlich ist das genau der Grund, warum mich das heute Nacht so getroffen hat... ich weiß nicht. Ich hab ihm vertraut, wir waren bisher immer auf einer Wellenlänge und ich war der Meinung, ihm das Gefühl gegeben zu haben, dass er über alles mit mir reden kann. Aber offenbar nicht." Suchte ich die Schuld letzten Endes jetzt doch bei mir? Versuch' es gar nicht erst, ermahnte ich mich selbst. Ich versuchte wohl nur ziemlich verzweifelt, mir irgendwie schönzureden, was ich selbst bereits gedacht hatte und Tauren letzten Endes auch aussprach: Ich würde Samuele wohl teilen und darauf hoffen müssen, damit die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Es fiel mir wirklich schwer, dem jungen Mann zuzustimmen und doch nickte ich langsam. "Vermutlich hast du Recht... ich sehe bisher auch keinen anderen Weg." Und damit nahm ich einen weiteren Zug, unentschlossen, ob ich künftig mehr rauchen würde, um die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu kriegen oder doch wieder aufzuhören, weil es ein guter Kompromiss war.
Auch wenn mir gerade wirklich nicht nach lachen zumute war, gab ich zumindest ein im Ansatz belustigtes Schnauben von mir, als Tauren auf die Nacht zu sprechen kam, die auf die ein oder andere Art in einem Desaster geendet hatte. "Ja, genau über diese Nacht spreche ich... sorry, hab' vergessen, dass du dich nur vage daran erinnerst, was ich zu dir gesagt habe.", stimmte ich ihm zu und entschuldigte mich im selben Atemzug weniger ernst gemeint dafür, dass ich ein kleines Vergesserchen war. Anschließend richtete ich mich auf dem Stuhl etwas auf und beugte mich nach vorne, um die Ellbogen auf meinen Knien abzustützen und meinen Kopf nachdenklich zwischen den Schultern baumeln zu lassen, während ich gespannt auf eine Antwort des Norwegers wartete. Das dauerte allerdings einen Augenblick und ich stand kurz davor, aus der Haut zu fahren, weil mir Tauren viel zu lange brauchte. Dabei waren es eigentlich nur ein paar Sekunden, bis er mir schließlich seine Meinung zu dem ganzen Spektakel kundtat. Und wie ich erwartet hatte, waren wir ziemlich genau der gleichen Ansicht. Fanden beide, dass es ein absolutes Unding war, mein Trauma hinzustellen, als würde es sich irgendwann schlicht und ergreifend in Luft auflösen. Auch die noch folgenden Worte des jungen Mannes bestätigten mich zunehmend mehr darin, dass mein Standpunkt absolut nachvollziehbar und Sam derjenige war, der sich daneben benommen hatte. Es wäre zwar Quatsch zu behaupten, dass es mir mit der Erkenntnis jetzt besser ging, aber ich fühlte mich zumindest ein bisschen weniger... delulu. Dass Tauren selbst unter den Italienern gelitten hatte, war mir gar nicht mehr so bewusst, was nicht daran lag, dass es mir egal war oder ich mich nicht dran erinnerte - ich hatte es, wie so vieles aus der Zeit, einfach verdrängt. Demnach wanderten meine eigenen Augenbrauen nun auch etwas nach oben und ich drehte den Kopf in Richtung des Norwegers, um ihm als Zeichen dafür, dass ich zuhörte und verstand, ein wenig zuzunicken. "Die Schweine haben uns wirklich fürs Leben gezeichnet...", stellte ich stumpf fest und konnte ein weiteres, dieses Mal deutlich abfälligeres Schnauben nicht unterdrücken. "Ich... ich meine...", setzte ich an und musste feststellen, dass ich bei dem Gedanken daran, was mir widerfahren war, unweigerlich zu Stottern anfing. Tauren wusste, wie er selbst schon sagte, nicht, was hinter geschlossenen Türen alles passiert war und ich wiederum bezweifelte, ihm gegenüber Lichts ins Dunkle bringen zu können, ohne dabei in Tränen auszubrechen, aber: "Ich glaube, dass das, was für dich Keller sind, für mich der Sex ist. Nur, dass ich wirklich in Panik ausbreche.", umschrieb ich vorsichtig und ohne weiter ins Detail zu gehen, wie schlimm es um mich stand. Wenn Keller, die er nicht kannte, ihm schon mulmig zumute werden ließen, dann konnte er sich ausmalen, wie es für mich war, wenn ich... naja, nackte Männer sah und etwaige sexuelle Interaktionen im Raum standen. Ob ich vielleicht doch noch ans andere andere Ufer schwimmen und meine Zukunft lieber mit einer Frau verbringen wollen würde? Denkbar unwahrscheinlich. Vielleicht fiel es mir leichter, mich auf intimer Ebene wieder mehr einzulassen, ja, weil ich kaum darum fürchten musste, einer Frau unterlegen zu sein, aber irgendwie konnte ich es mir trotzdem nicht vorstellen. Der Gedanke an einen fraulichen Körper reizte mich gar nicht, wobei auch ein männlicher Körper momentan keine anregende Wirkung auf mich hatte. Jetzt einen aussagekräftigen Vergleich zu ziehen war also eigentlich gar nicht wirklich möglich. Außerdem war ich ja verliebt, Hals über Kopf sogar, wenn man das so sagen konnte. Samuele hatte ein paar verstorben geglaubten Schmetterlingen in meinem Bauch neues Leben eingehaucht und ich fand, dass das schon ein verdammt großer Fortschritt war. Wir kuschelten regelmäßig und auch das Küssen war mir von Mal zu Mal leichter gefallen. Dass er sich jetzt daran aufhing, dass ich mir an dieser einen Herkulesaufgabe noch immer die Zähne ausbiss, brachte mich mehr aus der Fassung, als ich es mir eingestehen wollte. Ich sah Tauren entsprechend betreten an, als er mir seine Sicht der Dinge im Bezug auf das Fremdgehen mitteilte und über seine Feststellung bezüglich seiner eigenen Freundin sowie seine abschließend an mich gerichtete Frage hätte ich beinahe gelacht, wenn mir nicht grundsätzlich nach Heulen zumute gewesen wäre. "Also was Vahagn angeht, kann ich dich komplett verstehen. Manchmal ist es besser, einfach nicht zu wissen, was möglicherweise gelaufen ist, damit man sich selbst besser fühlt.", stellte ich erst einmal ruhig und mit einem schwachen Schulterzucken fest, dass es mir in seiner Situation vermutlich ähnlich gegangen wäre. Vor allem, wenn man einen begründeten Verdacht hatte, dass eben Irgendwas passiert war. Bevor ich zum Beantworten seiner Frage ansetzte, warf ich beinahe entgeistert die Arme in die Luft und konnte mich nur durch äußerste Anstrengung dazu zwingen, auf dem Stuhl sitzenzubleiben. Am liebsten wäre ich eigentlich aufgesprungen und hätte losgewütet. "Ich wünschte, wir hätten es... darüber geredet, meine ich. Er wollte es wohl, hat sich aber anscheinend nicht getraut. Ich kann es ja auch irgendwo verstehen, weil ich selber nicht so richtig weiß, wie ich reagiert hätte. Aber ich bin der Meinung, dass alles besser gewesen wäre, als... naja, das jetzt halt. Im Nachhinein oder auch vorab kann man Vieles sagen, was man in der Situation aber vielleicht ganz anders gesehen hätte, weißt du?" Vor allem, wenn man ein so sensibles Thema besprach, war eine sachliche Unterhaltung manchmal gar nicht so einfach. "Nur was gibt es in der Hinsicht für Möglichkeiten, die beide Parteien gleichermaßen zufriedenstellen? Korrigier' mich, wenn ich falsch liege, aber eigentlich gibt es doch nur drei Optionen: Entweder wir trennen uns, weil Sam sagt, er besteht auf Sex und ich ihm den nicht bieten kann; ich stimme zu, dass er sich anderweitig vergnügt, was mich definitiv unglücklich machen würde oder er steckt zurück und akzeptiert, dass ich vielleicht niemals dazu in der Lage sein werde, mit ihm intim zu werden... Also auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, wenn du mich fragst." Aber irgendwas mussten wir tun. Es war zwingend notwendig, dass wir uns aussprachen und eine Lösung fanden. Ich wollte die Beziehung zu ihm zumindest äußerst ungerne so enden lassen.
Na immerhin schien es wenigstens einem von uns einigermaßen gut zu gehen. Nicht, dass es mir dadurch mit meiner eigenen Misere besser ging, aber ich freute mich, dass Tauren endlich wieder lächeln konnte. Zwar sah ich ihn einen Moment lang verwirrt an, während ich meine eigene Zigarette ansteckte, weil mir nicht sofort klar war, wen er mit V meinte, aber die nachfolgenden Worte seinerseits schafften dahingehend Klarheit. Ich nickte langsam und mein Blick richtete sich abwesend nach vorne. "Ich hab' doch gesagt, es wird alles wieder gut." Hatte ich zwar nicht gesagt und genauso wenig daran geglaubt, aber so oder so ähnlich hatte ich ihm beschrieben, wie es ablaufen könnte, wenn Tauren der Russin wirklich am Herzen lag. Dass er eben nicht derjenige sein musste, der zu Kreuze kroch, sondern Vahagn sich auch etwas bemühen würde, wenn ihr die Beziehung zu dem Norweger wirklich wichtig war. Es hatte augenscheinlich eine ganze Weile gedauert, die den jungen Mann zum Teil wirklich unausstehlich hatte werden lassen, aber naja. Wenn sie nun wieder da war, sollte sich die schlechte Laune bei Hunters Handlanger alsbald gänzlich in Luft auflösen. Er war ja jetzt schon kaum wiederzuerkennen, ihm stand die Glückseligkeit förmlich quer über das Gesicht geschrieben. Sehr zu meinem Bedauern wohlgemerkt, denn ich hätte gerne mit jemandem gesprochen, der sich in einer ähnlich beschissenen Situation befand, damit wir uns beide gegenseitig bemitleiden konnten. Ich nahm einen tiefen Zug von dem Glimmstängel, ließ das Nikotin förmlich jede Faser meines Körpers langsam vergiften, ehe ich den Rauch mit einem tiefen Seufzen in die Luft pustete. "Brauchte was, um meine Nerven zu beruhigen.", murmelte ich und drehte langsam meinen Kopf in Richtung des Norwegers. "Ich... wir... Sam und ich hatten gestern Streit.", fuhr ich fort und so gerne ich auch mit offenen Karten spielen wollte, es fiel mir irgendwie schwer, darüber zu reden. Allerdings hatte ich den jungen Mann herbestellt, um eben genau das zu tun. Um ihn nach seiner Meinung zu fragen. Ich wollte wissen, was er davon hielt und mir eine zweite Meinung einholen. Vielleicht hatte ich ja tatsächlich ein wenig überreagiert und Sam zu Unrecht verurteilt. "Er kam heute Nacht nach Hause und... erst mal wusste ich überhaupt nicht, dass er unterwegs ist, was ja jetzt nicht schlimm ist. Ich meine... er ist erwachsen, kann seine eigenen Entscheidungen treffen und so, aber eigentlich sind wir da ziemlich transparent miteinander. Ich sag ihm, wenn ich was vorhabe, wo ich hin gehe und Sam mir normalerweise auch.", fing ich erst einmal an, eines der weniger dramatischen Probleme zu erläutern. Wie gesagt, so richtig gestört hatte es mich auch nicht. Ja, es war untypisch für ihn gewesen, mir einfach nichts zu sagen, aber jeder hatte so seine Tage, wo man manches einfach vergaß. Also alles gut, kein Ding. "Und... als er dann die Tür rein ist, sehe ich einen fetten Knutschfleck an seinem Hals, der er definitiv nicht von mir hatte. Sam...", ich zögerte, nestelte mit Daumen und Zeigefinger ein wenig an dem Filter der Zigarette herum, den Blick auf den Boden gerichtet. "Er hat mir dann gesagt, dass irgendeine Frau ihm um den Hals gefallen ist. Ich... ich weiß nicht, es war alles irgendwie total seltsam und ist dann auch schnell eskaliert. Eigentlich wollte ich das Gespräch gestern nicht führen, weil ich, wie du schon weißt, der Meinung bin, dass das zu nichts geführt hätte, aber dann sind die Emotionen einfach übergekocht. Er hat sich angegriffen gefühlt, ich hab' mich angegriffen gefühlt. Aber... Also klar, ich hab' sicher auch nicht so nette Sachen gesagt, aber man. Sam lässt sich abknutschen und bittet mich dann im Nachhinein um Verständnis. Das kann er doch nicht ernst meinen, oder?" Je länger ich redete, umso leichter fiel es mir auch und ich spürte, wie die Wut auf den Italiener langsam zurückkam. Ich würde behaupten, ein ziemlich verständnisvoller Mensch zu sein. Nachtragend, aber verständnisvoll. Keine Ahnung, wie ich reagiert hätte, wenn er von Anfang an ehrlich das Gespräch mit mir gesucht hätte. Ob ich erwachsen genug gewesen wäre, nicht beleidigt oder verletzt zu sein, sondern empathisch. Das hatte ich ihm zwar vor einigen Stunden zugesichert, aber jetzt war ich mir da gar nicht mehr so sicher. Nachdenklich griff ich nach meiner Tasse, lugte hinein und musste feststellen, dass ich den Inhalt bereits restlos vernichtet hatte. Super. Warum hatte ich sie nicht vorhin mit nach drinnen genommen, um mir nachzuschenken? Weil du mit deinen Gedanken gerade woanders bist, Richie, erinnerte mich mein Verstand und ich stellte das Behältnis entnervt zurück. "Es gab dann auch ein paar Sachen, die mich richtig sauer gemacht haben. Er hat mich gefragt, ob ich glaube, dass ich mein Trauma irgendwann überwinden würde." Mit einem Schnauben beförderte ich die Überreste der Zigarette schnipsend über das Ende der Terrasse hinweg ins Grüne. Rügte mich kurze Zeit später dafür selbst, weil das eigentlich nicht meine Art war und nahm mir vor, den Stummel später wieder einzusammeln. Aber es war eine Kurzschlussreaktion gewesen, weil ich immer noch nicht darüber hinweg war, dass Sam mir so eine blöde Frage gestellt hatte. Wenn ich Hellseher gewesen wäre, dann würde ich wohl kaum hier auf Kuba meinen Alltag in einem Drogenlabor verbringen. Da konnte Sammy sich sicher sein.
Es war einen Moment lang still am anderen Ende der Leitung und ich befürchtete kurz, Tauren habe einfach aufgelegt. Etwas irritiert nahm ich das Handy vom Ohr und prüfte, ob die Verbindung noch stand. Ich wollte gerade dazu ansetzen, ihn zu fragen, ob er noch dran war, als er mir mit verschlafener Stimme versicherte, sich zeitnah auf den Weg zu machen. Ich nickte stumm und als ich realisierte, dass er mich gerade gar nicht sehen konnte, murmelte ich ein leises "Okay, danke, bis gleich." Nachdem ich dem Norweger bestätigt hatte, wo er mich vorfinden würde, legte ich auf und das Handy wanderte etwas energisch auf die Theke. Dass es dabei zu Bruch gehen könnte, interessierte mich nicht. Ich seufzte, dann versorgte ich den Kater, der ungeduldig um meine Bein schlich, mit frischem Nassfutter und setzte eine Kanne Kaffee auf. Das Koffein würde mir zwar wohl kaum dabei helfen, wieder einen klaren Gedanken zu fassen, aber über den Punkt, wo das schwarze Gold mir effektiv dabei half, wacher zu werden, war ich ohnehin schon lange hinaus. Ich trank Kaffee nur noch, weil er mir schmeckte. Während die Filtermaschine mit einer Mischung aus monotonen Brummen und Gurgeln neben mir arbeitete, lehnte ich mich mit der Hüfte an die Theke und verschränkte die Arme vor der Brust - mein Blick dabei auf dem fressenden Kater geheftet. Als mir einige Minuten später das verheißungsvolle Klack der Kaffeemaschine signalisiert, die vorgesehene Arbeit vollbracht zu haben, löste ich mich aus der Starre und angelte zwei Tassen aus dem Schrank hinter mir. Tauren würde sicherlich auch etwas trinken wollen, richtig? Fürs Erste goss ich jedoch nur mir etwas ein, weil ich nicht wollte, dass das Getränk komplett kalt war, bis der Norweger eintraf. Mit der Tasse und meiner Schachtel Zigaretten bewaffnet schlurfte ich schließlich raus auf die Terrasse und zog die Tür hinter mir zu, damit der Kater nicht auf dumme Ideen kam. Wieder vernichtete ich binnen kürzester Zeit zwei Glimmstängel und als ich von meiner Position hinter dem Haus aus hörte, dass ein Wagen in die Auffahrt rollte, drückte ich gerade den kläglichen Rest der Zigarette im Aschenbecher aus. Diesen hatte ich eigentlich extra für rauchende Gäste - was in aller Regel nur Tauren war - angeschafft, denn wenn es etwas gab, was ich noch mehr verabscheute als Rauchen an sich, dann war es Rauchen in der Wohnung. Entsprechend hatte ich den jungen Mann immer noch draußen gescheucht und nun saß ich selber hier. Sehr ironisch. Ich erhob mich und durchquerte den Bungalow, um dem Norweger die Tür zu öffnen, noch bevor er überhaupt dazu kam, die Klingel zu betätigen. Aus müden und erschöpften Augen sah ich ihn an und... Moment mal - irgendwas stimmte hier nicht. Einige Sekunden lang beäugte ich meinen Freund nachdenklich. Warum war er so gut gelaunt? Das letzte Mal, als ich Tauren gesehen, beziehungsweise gehört hatte, war er ziemlich genervt gewesen, von guter Laune keine Spur in Sicht. Und jetzt stand er vor mir, ein breites Lächeln zierte seine Lippen. Ich konnte nicht anders, als verwundert die Augenbrauen nach oben zu ziehen. Das war auch der Grund, weshalb ich verzögert auf seine Frage nach einer Tasse Kaffee antwortete. "Ehm... hi.", begrüßte ich ihn zögerlich, dann schüttelte ich den Kopf und machte ihm Platz, sodass er eintreten konnte. "Ja, klar. Hab' dir schon eine Tasse rausgestellt.", fügte ich wenige Sekunden später hinzu, dass ich bereits an ihn gedacht hatte. Ich schloss die Tür hinter ihm, kaum hatte er das Haus betreten, bevor ich mich an dem jungen Mann vorbei schob und erneut die Küche ansteuerte. Inzwischen war der Kaffee vermutlich nicht mehr so heiß, wie noch vor einigen Minuten, aber immer noch angenehm temperiert. Mit der halbvollen Tasse schloss ich wenig später wieder zu ihm auf und bedeutete Tauren mit einem Kopfnicken, mir nach draußen zu folgen. Dort war es inzwischen recht angenehm und jede Minute, die ich nicht in dem Wohnzimmer verbringen musste, war eine gute Minute. Auf der Terrasse angekommen stellte ich die Tasse auf dem kleinen Tischchen, an dem jeweils rechts und links ein Stuhl stand, ab, ehe ich mich mit einem Seufzen wieder auf meine vier Buchstaben fallen ließ. Ich griff zu der Zigarettenschachtel, zog eine Kippe heraus und bot dem Norweger im Zuge dessen ebenfalls eine an. "Wie geht's dir?", fragte ich, weil ich ihn nicht sofort mit meinen Problemen zumüllen wollte. Außerdem interessierte mich ernsthaft, ob etwas vorgefallen war, von dem ich bisher nichts wusste. Nachdem Tauren seit der Trennung täglich mit unfassbar schlechter Laune um sich warf, war sein verhältnismäßig entspanntes Auftreten gleichermaßen überraschend wie besorgniserregend.
~ le sprüng zu le nächste tag, morgens, irgendwann... 08:30 Uhr, weil er konnte nicht schlafen und möchte, dass tauren es auch nicht kann ~
Es grenzte wirklich an ein Wunder, dass ich nach dem Streit von vor wenigen Stunden überhaupt in den Schlaf gefunden hatte. Kaum war Samuele aus dem Haus gestürmt, war ich auf dem Sofa unter Tränen zusammengebrochen und naja... scheinbar irgendwann der Erschöpfung wegen eingenickt. Freiwillig eingeschlafen war ich auf keinen Fall, dafür war mein Hirn viel zu beschäftigt damit gewesen, die Auseinandersetzung auf Dauerschleife wieder und wieder vor meinem inneren Auge abzuspielen. Sammys Geständnis, dann die Offenbarung seiner Gefühle und wie er mich kurz vor seinem Verschwinden genannt hatte - gottverdammter Wahnsinniger. Es versetzte mir mit jedem neuen Durchlauf einen erneuten Stich ins Herz. Der einzige Grund, warum ich nach gut anderthalb Stunden wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen war, war Bandit. Der Kater hatte sich im Laufe unserer immer lauter werdenden Unterhaltung und dem finalen Türknallen seines Besitzers ans andere Ende des Bungalows verzogen und traute sich nur vorsichtigen Schrittes wieder heraus. Checkte vorsichtig die Lage ab. Als er mich auf dem Sofa hatte sitzen sehen, war er behutsam um meine Beine geschlichen und hatte sich anschließend auf meinem Schoß niedergelassen. Bestand dann darauf, dass ich ihm durch das kurze Fell strich und das hatte irgendwie eine unfassbar beruhigenden Wirkung gehabt. Ich war zwar immer noch viel zu aufgewühlt, als dass an Schlaf wirklich zu denken war, aber ich weinte immerhin nicht mehr. Nur ein leises Schluchzen hier und da, bevor ich schließlich wider Erwarten zur Seite weggekippt und eingepennt war. Irgendwann, es müsste gegen sechs Uhr früh gewesen sein, riss ich die Augen wieder auf. Ein Albtraum hatte mich zurück in die kalte Realität katapultiert und mich schweißgebadet vom Sofa aufspringen lassen. Mein Kreislauf schien gar nicht begeistert darüber zu sein und ich musste mich wenig später kurz an der Sofalehne festhalten, weil meine Beine unter meinem plötzlichen Gewicht wegzubrechen drohten. Ich atmete einmal tief durch, strich mir eine an der Stirn klebende Strähne aus dem Gesicht, bevor ich meinen Blick durch das, mit Ausnahme auf den Kater, leere Wohnzimmer gleiten ließ. Es fühlte sich an, als würde die plötzliche Leere mich förmlich erdrücken und ich musste ganz dringend hier raus. Ich beschloss, einen kleinen Spaziergang zu machen und mir unterwegs eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Normalerweise rauchte ich nicht, hatte es auch noch nie gerne getan, aber ich brauchte gerade etwas, um meine strapazierten Nerven zu beruhigen. Am liebsten wäre mir natürlich etwas Härteres gewesen, aber diesen Gedanken verwarf ich genau so schnell wieder, wie er mir gekommen war. Niemals wieder würde ich mich freiwillig in dieses Rabbit Hole werfen, wenn ich noch genug mentale Stärke aufbringen konnte, dies zu verhindern. Es war kurz nach 08.00 Uhr in der Früh, als ich mich auf dem Rückweg befand. Bereits fünf Zigaretten hatte ich schon verqualmt und ich fühlte mich immer noch kein Stückchen besser. Auch der Anblick des Sonnenaufgangs, die noch halb schlafenden Randbezirke der Stand und das Meer hatten es nicht geschafft, mich auf andere Gedanken zu bringen. Ständig dachte ich darüber nach, ob ich mich während unseres Streits falsch verhalten hatte, ob es vielleicht sogar meine Schuld gewesen war, dass Sam sich zu diesem Schritt gezwungen gesehen hatte, sich hinter meinem Rücken anbaggern lassen zu müssen, aber so richtig einsehen wollte ich das eigentlich nicht. Ja, ein Gespräch wäre mit mir vermutlich nicht sehr einfach geworden und hätte mich sicherlich auch ziemlich verletzt, aber ich kam trotzdem zu dem Entschluss, dass es das Beste gewesen wäre, was Sam in seiner Situation hätte tun können. Der Fehler hatte nicht bei mir gelegen, warum fühlte ich mich dann trotzdem so schlecht? Ich seufzte, kaum hatte ich das Haus wieder betreten, die Tür hinter mir geschlossen und mir die Schuhe von den Füßen gestrichen. Ein Blick auf das Display meines Handys ließ mich überlegen, ob ich Samuele nicht anrufen sollte, weil ich das Ganze doch gerne geklärt hätte, aber dafür war es sicherlich noch viel zu früh. Zum einen schlief der Italiener bestimmt - wo auch immer, ich wollte es vermutlich gar nicht so genau wissen - und zum anderen lag der Streit gerade einmal vier Stunden zurück. Ich war meine angestauten Emotionen noch lange nicht los und jetzt ein klärendes Gespräch zu führen war mindestens genauso sinnlos, wie der Streit, den wir vom Zaun gebrochen hatten. Aber ich musste mit irgendwem reden, wollte nicht alleine sein mit den Stimmen in meinem Kopf, weshalb ich schließlich seufzend die Nummer des Norwegers wählte. Er schien mir in der Kontaktliste der Einzige zu sein, dem ich es am ehesten zutrauen würde, jetzt schon wach zu sein und den Willen zu besitzen, mir ein wenig Gesellschaft zu leisten. Sich meine Probleme anzuhören, auch wenn er rein gar nichts unternehmen konnte, damit ich mich wirklich, wirklich besser fühlte. Aber es würde mir schon helfen, einfach nicht alleine zu sein. Es dauerte eine ganze Weile, bis die müde Stimme Taurens sich zu Wort meldete. "Hey... ehm... sorry, wenn ich dich... eh... schläfst du noch?", stammelte ich nervös eine vollkommen überflüssige Frage. Wenn er noch schlief, würde er jetzt wohl kaum mit mir reden. "Tut mir leid, ich wollte dich eigentlich nicht wecken, aber... aber hast du Zeit? Ich meine... kannst du vorbei kommen? Mir... mir geht es nicht so gut und ich bräuchte jemanden, mit dem ich reden kann.", fuhr ich fort, während ich auf müden Beinen und mit gesenktem Blick in Richtung Küche schlurfte. Bandit, der bis eben noch auf dem Sofa residiert hatte, folgte mir auf leisen, aber schnellen Pfoten, weil er genau wusste, dass es an der Zeit war, eine Dose Nassfutter zu öffnen.
Tauren und ich mochten in vielerlei Hinsicht ziemlich verschieden sein, waren durch und durch ein ungleiches Paar, aber wenn es um den Sex ging, dann waren wir mittlerweile wirklich ein eingespieltes Team. Obwohl das letzte Mal bereits einige Monate zurücklag, wusste der junge Mann noch immer, welche Knöpfe er drücken musste, um mich um meinen Verstand ringen zu lassen und ich liebte alles daran. Es war einfach herrlich unkompliziert, wenn man Hand in Hand arbeitete, ohne dabei auch nur ein einziges Wort miteinander wechseln zu müssen. Es gab wenig, was mich akut störte, sobald wir anfingen, miteinander intim zu werden, aber sich währenddessen zu unterhalten war irgendwie... naja, noch nie wirklich meine Stärke gewesen. Klar, am Anfang hatten wir das natürlich getan, um auf beiden Seiten festzuhalten, was man so mochte oder vielleicht mal ausprobieren wollte und, ganz wichtig, was ein absolutes No-Go war. Das hatte mit der Zeit aber immer mehr nachgelassen, weil weder Tauren noch ich in der Hinsicht auf den Kopf gefallen waren. Irgendwann hatten wir uns an der heuristischen Methode Trial and Error versucht und so unsere Erfahrungen gesammelt. Es war ja auch keinesfalls so, als hörte ich den Norweger nicht gerne reden, aber als Frau hatte man es bekanntlich ohnehin schon schwerer, weil man sich unfassbar auf die Zielgrade konzentrieren musste, da war jede Ablenkung in etwa wie Fahrradfahren mit einem Stock in den Speichen. Außerdem verstand der junge Mann sein Handwerk und ließ sich nicht zwei mal bitten, meiner Aufforderung nachzukommen. Genießerisch legte ich den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Hatte ich schon erwähnt, dass ich diesen Mann einfach liebte? Wie geschickt er mit seinen Lippen umgehen konnte, um auch noch der letzten verkrüppelte Faser meines Körpers Leben einzuhauchen war einfach unglaublich. Ich hätte Stunden hier sitzen und mich einfach von ihm berühren lassen können - Tauren hätte sich sicher ohne Umschweife dazu bereit erklärt. Allerdings war das noch lange nicht alles und es sollte - nein, würde! - ganz bestimmt noch ein ganzes Stück besser werden, wenn die Beule, gegen die ich meine Hüfte weiterhin rieb, nicht zu viel versprach. Es fiel mir wirklich schwer, noch länger einen einigermaßen kühlen Kopf zu bewahren und so war ich ganz froh, dass der Norweger mich alsbald auf die Matratze beförderte, um sich den beiden letzten Kleidungsstücken an seinem Körper anzunehmen. Damit räumte er mir zudem genug Zeit ein, um mich um meine eigene Unterwäsche kümmern zu können. Weil ich damit deutlich schneller war als er, hatte ich im Anschluss noch die ein oder andere Gelegenheit, ihn lüstern bei seinem Treiben zu beobachten. Ich verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argusaugen, damit mir auch die noch so kleinste Reaktion nicht verborgen blieb. Was die Verhütung anging, um die sich Tauren zwischenzeitlich kümmerte, hätte ich beinahe eingeworfen, dass er sich keine Sorgen machen müsste, weil ich direkt nach dem unschönen Zwischenfall einen Frauenarzt aufgesucht hatte, um künftig noch mehr auf der sicheren Seite zu sein, aber ich schluckte die auf meiner Zunge liegenden Worte einfach runter. Ich nahm an, er war sich im Klaren darüber, dass ich in Russland nicht enthaltsam gelebt hatte, weil genau dieser Punkt in der Vergangenheit bereits ein heiß diskutiertes Streitthema gewesen war. Zwar hatte ich natürlich sehr viel mehr Wert auf entsprechenden Schutz gelegt, weil man nie wusste, was die Männer so mit sich herumschleppten, aber wenn es Tauren ein besseres Gefühl gab, heute ein Kondom zu benutzen, dann war ich die Letzte, die etwas dagegen einzuwenden hatte. Deshalb lächelte ich ihn auch nur an und nickte leicht. Wartete nur darauf, dass er mir endlich wieder näher kam, war er für meinen Geschmack deutlich zu langsam mit dem Ausziehen gewesen. Aber wie hieß es so schön? Gut Ding will Weile haben... oder so. Es dauerte aber eigentlich auch gar nicht besonders lange, kam mir wohl nur so vor, bis ich die feuchten Lippen des jungen Mannes wieder auf den meinen spürte. Kurze Zeit später begannen sie zu wandern und ich schloss in voller Vorfreude auf das was gleich folgen würde die Augen. Das anfängliche Seufzen ging nahtlos in ein leises Stöhnen über, als sich Taurens Finger zielstrebig ihren Weg zwischen meine Beine bahnten. Schon jetzt war mein Blick ziemlich diesig, als ich die Augen wenig später wieder aufschlug, weil sich der Norweger neben mir regte. Er ließ sich von meiner offensichtlichen Feuchtigkeit nicht zwei Mal bitten, endlich loszulegen, was ich mit einem erfreuten Japsen quittierte. Ich hatte fast schon vergessen, wie gut sich der junge Mann anfühlte... und was für ein Arschloch er eigentlich sein konnte, indem er sich so quälend langsam bewegte, dafür aber definitiv nicht an Tiefe sparte. Es dauerte nicht lange, bis mir in regelmäßigen Abständen ein lustgetränktes Stöhnen über die Lippen rollte und ich mich ihm im Rahmen meiner Möglichkeiten immer mehr entgegen drängte. Dabei schlang ich meine schlanken Arme um seinen Hals. Streckte sie anfangs recht weit aus, um ihm zärtlich, nicht zu grob über den Rücken zu kratzen, bis meine Hände schließlich in seinem Nacken zum Erliegen kamen, um dort erneut vereinzelt mit ein paar Haarsträhnen zu spielen. Wenn ich mir bis eben noch nicht ganz sicher gewesen war, ob ich es für eine gute Idee gehalten hatte, ihn mit meinen Berührungen getriezt zu haben, dann war ich es jetzt auf jeden Fall. Nachdem die ersten Wellen der Lust meinen Körper förmlich gelähmt hatten, entspannten sich meine Muskeln allmählich wieder und ich war in der Lage, mich langsam entgegen der gleichmäßigen Stöße zu bewegen.