Das war dem Engländer in jedem Fall anzuraten. “Falls nicht, weise ich dich rückwirkend gerne nochmal auf diese Aussage hin.”, sicherte ich ihm leichthin mit einem Lächeln meine Unterstützung dabei zu, von dem Gift in Form von Zigaretten wieder Abstand zu gewinnen. In der Packung waren nicht mehr viele Kippen und dieser kurzweilige Konsum würde ihn nicht ins Grab bringen. Wenn er danach seine Aussage von gerade eben aber nicht mit Taten stützte, würde ich ihn lieb darauf verweisen. Nicht verurteilend, weil ich mir das aus meiner Position der Abhängigkeit heraus ganz einfach nicht erlauben konnte, aber unkommentiert lassen konnte ich das auch nicht. Zwar zog ich es vor, wenn er sich nur mit Zigaretten und nicht mehr mit Meth betäubte, doch gut wäre es trotzdem nicht. Ihn zurück in die richtige Richtung zu schubsen, falls er es selbst nicht hinbekam, erschien mir dabei die richtige freundschaftliche Geste zu sein. So richtig überzeugt davon, Samuele nebenbei sein Ding machen zu lassen schien Richard jedoch nicht zu sein und es wunderte mich nicht. Er hatte es erstaunlich schnell in Erwägung gezogen und ich war mir sicher damit, dass er diesbezüglich noch weitere Zweifel bekommen würde. Es war einfach kein schöner Gedanke – für ihn scheinbar genauso wenig, wie für mich – und ein nicht unerhebliches Opfer auf seiner Seite. Eines, das er sicherlich nicht so eliminieren konnte, wie er es kurz darauf in Erwägung zog. Deshalb hielt ich auch in der Bewegung inne, als ich die Kaffeetasse ein letztes Mal an meine Lippen heben wollte und sah stattdessen irritiert zu dem Dunkelhaarigen rüber. Wie kam er denn jetzt auf sowas? Vermutlich blanke Verzweiflung. “So sehr ich mir selbst gelegentlich einen Reset wünschen würde, glaube ich nicht, dass das so funktioniert.”, stellte ich allem voran nachdenklich fest. Es bildete sich eine Grübelfalte zwischen meinen Augenbrauen. Ich dachte weiter über Richards Worte nach und schüttete mir zuerst die letzten zwei Schluck nur noch lauwarmen Kaffees den Rachen runter, bevor ich die Tasse auf dem Tisch abstellte. “Vielleicht verschwindet diese gewisse… Rest-Angst nie. Ohne dir deine befristete Sucht noch übel zu nehmen, hast du damit beispielsweise sehr viel in meinem Kopf getriggert, das ich schon seit meiner Kindheit mit Junkie-Eltern herumschleppe. Obwohl ich durch Hunter und sein ganzes Netz in Oslo regelmäßig in Kontakt mit Konsumenten war und diesbezüglich automatisch wieder etwas abgestumpft bin. Mit einem Abhängigen unter demselben Dach zu leben war dann… trotzdem wieder was anderes.”, stellte ich fest. Diese Zeit in dem eigentlich ganz schönen Bungalow war für mich ziemlich die Hölle gewesen. Obwohl ich wusste, dass ich Richard selbst mit Handicap noch gewachsen war, sollte er gewalttätig werden, hatte ich nie ruhig geschlafen. Mein Körper war in dieser Zeit immer in Alarmbereitschaft und das aus purem Instinkt. Über Ängste hinwegzukommen war eine Sache. Tief verankerte Instinkte komplett abzulegen, war jedoch beinahe unmöglich, wenn sie erstmal ganz tief ins Unterbewusstsein reingehämmert worden waren. Es interessierte mich nicht, wenn Jemand irgendwo high auf Gras in der Ecke hing und nur noch lachte. Oder völlig geistesabwesend auf härteren Drogen reglos herumlag. Doch wann immer Jemand damit anfing, aufgrund von Drogeneinfluss laut oder aggressiv zu werden, stellten sich mir die Nackenhaare auf und ich war bereit, ein Messer zu zücken. Ohne Rücksicht auf Verluste, sobald Leben dadurch bedroht wurden. Das musste nicht mal mein eigenes sein. “Wenn du dich nicht bewusst bereit dafür fühlst, dann bist du es nicht, Richard. Dein Instinkt würde euch beiden an irgendeinem Punkt das Genick brechen und vielleicht alles noch schlimmer machen… versuch’ bitte nicht, das zu überstürzen und taste dich Stück für Stück ran. Trete nicht auf der Stelle, aber renn’ auch nicht blind rein.”, seufzte ich und sah ihn aus beinahe besorgt schimmernden Augen heraus an. Er sollte sich bitte keine Dinge einreden, die nicht wahr oder mindestens total abwegig waren, nur um dann auf Krampf zu versagen. Das täte ihrer Beziehung nicht gut, sie würden sich beide schlecht mit dem gescheiterten Versuch fühlen. Andererseits wusste ich nicht, ob es überhaupt möglich war, Sam noch vor dem einen oder anderen Dämpfer zu bewahren. Ängste legte man nicht von heute auf morgen ab, also war es sehr gut möglich, dass Richard mal den Versuch wagen wollte sich weiter vorzutasten, nur um dann festzustellen, dass er das doch noch nicht konnte. Ich rauchte die zweite Zigarette in Ruhe zu Ende, bevor ich mich dem Tisch etwas mehr entgegen neigte, um den Stummel im Aschenbecher auszudrücken. "Vertraust du ihm? Ich meine, abgesehen von... naja, dem kürzlichen Vorfall. Also bezogen auf alle anderen Bereiche.", stellte ich dem Engländer eine Frage.
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Das war gut zu wissen. Manchmal tat ich mir doch ein bisschen schwer, etwas sein zu lassen oder aus meiner Komfortzone zu treten und das wusste Tauren. Es war daher gar nicht so abwegig, dass er mich früher oder später tatsächlich nochmal daran erinnern musste, das Rauchen wieder einzustellen. "Besser ist es wahrscheinlich.", stellte ich deshalb schief grinsend fest und legte das Thema damit gedanklich zu den Akten. Heute hatte ich schließlich noch allen Grund dazu, mir mit den Zigaretten die Lunge zu teeren, er durfte mich frühstens morgen daran erinnern, von den Glimmstängeln Abstand zu nehmen. Schade war, dass der Norweger nicht an einen Reset-Knopf glaubte, was nicht wirklich das war, was ich hatte hören wollen. Mir wäre ein 'Na klar, Richard. Versuch' es doch einfach mal, kann schon gut sein.' deutlich lieber gewesen, aber bedauerlicherweise war ich mir dessen selbst bewusst, dass das vollkommener Schwachsinn war, den ich da von mir gegeben hatte. Ich wollte es nicht wahrhaben, aber wissen tat ich es durchaus. Ich seufzte und nahm den letzten Zug von meiner Kippe, bevor ich auch diese ausdrückte und im Aschenbecher zurück ließ. Ich durfte nicht vergessen, später den weggeworfenen Stummel wieder einzusammeln... Für den Moment verschränkte ich jedoch erstmal die Arme vor der Brust und sah nachdenklich ins Grüne. "Hmm...", ließ ich verlauten und klang damit gleichermaßen unzufrieden wie auch niedergeschlagen. Dann schenkte ich den restlichen Worten des jungen Mannes meine Aufmerksamkeit und wäre im Zuge dieser am liebsten im Erdboden versunken. Ich wusste, dass ich kein besonders angenehmer Mitbewohner gewesen war, aber es noch einmal aus Taurens Mund zu hören ließ mich schwer schlucken. Auch wusste ich, dass er es keinesfalls böse meinte oder es mir noch übel nahm, unangenehm war es mir trotzdem immer noch und würde es wohl auch noch in der Zukunft sein. Ich versuchte so gut es ging, diesen Teil seiner Ansprache auszublenden und mich viel mehr auf den Kern seiner Aussage zu konzentrieren. Währenddessen nickte ich hin und wieder schwach, als Zeichen dafür, dass ich ihm so weit folgen und außerdem zustimmen konnte. Er hatte ja Recht, verdammt. Trotzdem wünschte ich mir, es wäre anders und ich konnte ihm hier und heute nicht versprechen, dass ich es nicht doch irgendwann einfach versuchen würde. Vielleicht, nachdem ich mich mit eine oder zwei Gläsern Wein etwas lockerer gemacht hatte. "Ich verstehe grundsätzlich, was du meinst und ich werde es versuchen, aber... was ist, wenn ich mich nie wieder dazu bereit fühle?", murmelte ich meine Bedenken gen Boden und hob nur zögerlich den Blick wieder an. Erschrak beinahe, als ich sah, wie besorgt Tauren zu mir rüber schaute, so als würde er sich wirklich Sorgen um mich machen. Ich hatte nie angezweifelt, dass der Norweger ein guter Freund war, allerdings hatte er jedes Recht der Welt, nach wie vor sauer auf mich zu sein. Er musste sich nicht Sorgen. Nicht, nachdem ich ihm sein Leben im Zuge meiner Drogenexzesse zur Hölle gemacht hatte. Und doch schien er es zu tun. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass es mir dadurch nicht schon ein bisschen besser ging. Sollte die Beziehung mit Samuele scheitern, wusste ich nämlich, wer für mich da sein würde. Was seine Frage anging, musste ich tatsächlich kurz überlegen. Normalerweise hätte ich wie aus der Pistole geschossen antworten können, dass ich es sehr wohl tat - Samuele vertrauen, meine ich - aber nach seiner letzten Aktion war meine Einschätzung dahingehend etwas getrübt worden. Wenn ich versuchte, davon abzusehen, dann... "Ja, schon... Eigentlich vertraue ich ihm sogar sehr.", waren meine Lippen schließlich schneller, als meine Gedanken. Gelogen war das jedoch nicht. Wenn ich den gestrigen Streit und die Worte, welche er mir während unserer Auseinandersetzung an den Kopf geschmissen hatte, ausblendete, dann vertraute ich dem Italiener beinahe blind. Aber warum wollte Tauren das wissen?
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Richard schien nicht unbedingt begeistert davon zu sein, dass ich seine Theorie für mich schon vollständig widerlegt hatte. Ich konnte das verstehen und gut nachvollziehen. Doch selbst wenn jedes Gehirn anders mit Angst umging und jeder Mensch am Ende etwas anderes daraus machte, war ich mir ziemlich sicher, dass der Engländer es nicht schon morgen stumpf mit der ’Augen zu und durch’-Methode versuchen sollte. Das würde schiefgehen. Ich musste nicht er sein, um mir dessen sehr sicher zu sein. Da war es ähnlich wie mit seinem Zigarettenkonsum. Letzteren konnte ich im Gegensatz zu seiner Angst vor körperlicher Intimität jedoch positiv beeinflussen. Die Bedenken, die er nach kurzer Überlegung äußerte, waren womöglich berechtigt. Es war nicht extrem abwegig, dass sich die Erlebnisse in dem Hotel in Oslo derartig tief in sein Bewusstsein eingenistet hatten, dass er nie wieder davon loskam. Trotzdem war ich bis heute ein Verfechter davon, sich nicht von Ängsten das Leben diktieren zu lassen. Es gesellte sich noch eine Falte auf meiner Stirn dazu, als ich mit dem Blick nach vorne über Richards Gegenfrage nachdachte. Tja, sehr viele Optionen hatte er dann nicht, oder? Er könnte im Fall der Fälle entweder trotzdem bei Sam bleiben, falls der das auch wollte, oder sie gingen getrennte Wege. Ich wartete jedoch noch seine Antwort auf meine letzte Frage ab, um mir sicher mit meiner Antwort zu sein. Da Richard offenbar zögerte, richtete ich meinen Blick zurück auf ihn, um auch seine Mimik zu beobachten. Eigentlich? “Formulierst du das nur wegen gestern so oder hat das noch mehr Gründe?”, hakte ich ehrlich interessiert mit ruhiger Stimme nach. Wenn da mehr im Argen lag oder der Dunkelhaarige noch andere berechtigte Gründe hatte, seinem Freund zu misstrauen, würde mich das weiter beunruhigen. “Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, falls du dich nie bereit fühlst… ich meine, ich bin einfach nicht du.”, murmelte ich mit schwachem Schulterzucken, fühlte mich mit der Frage ein bisschen überfordert. “Aber noch hab‘ ich meinen Optimismus nicht ganz aufgegeben. Wenn ihr beide also zurück auf einen grünen Pfad kommt, du Sam wirklich vertraust und ihr euch beide aufrichtig liebt, dann wird das schon.“, zeigte ich mich vorsichtig optimistisch. Ob es auf die eine oder die andere Art gut wurde ließ ich ganz bewusst offen. Ich begann ausführlicher über Richard und Sam nachzudenken. Mir fiel auf, dass ich gar nicht viel über die beiden als Paar wusste. Allerdings wäre der Engländer in den vergangenen Wochen da ohnehin auf absolut taube Ohren gestoßen. Also fragte ich nach: „Macht ihr oft oder zumindest regelmäßig was zusammen? Abgesehen vom Alltag, meine ich…“ Während ich sprach, legte ich die Hände auf die Armlehnen, um mich in eine aufrechtere Sitzposition zu bringen. Mit der Jacke wurde mir langsam zu warm, weshalb ich sie auszog und über die Lehne hängte. Ich wusste, dass Sam aktuell etwas durchhing und natürlich verbrachte Richard häufig etliche Stunden im Drogenlabor. Doch die Zeit dazwischen sollten sie sinnvoll nutzen. Dadurch würde sich Sams Testosteron zwar nicht in Luft auflösen, aber vielleicht würden häufige gemeinsame Ausflüge dafür sorgen, dass er sich zumindest ein bisschen weniger daran aufhängte. Weil er mit Richard dann trotzdem viele schöne Dinge erlebte. Nicht nur einmal im Monat, sondern öfter. Vielleicht reichte das, um seine Freifahrtscheine auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Außerdem hätte das zwangsläufig auch den schönen Nebeneffekt, dass sich ihre Beziehung auf anderen Ebenen weiter stärkte und festigte. Dann kam der Italiener hoffentlich in Zukunft nicht mehr auf dumme Ideen… andernfalls sah ich mich ohnehin dazu gezwungen, ihm mal ordentlich ins Gewissen zu reden. Ich sah es nicht gerne, wenn meine Freunde leiden mussten und machte mir jetzt ohnehin schon Sorgen, dass die beiden auf die Schnauze flogen. Nun aber lehnte ich mich erstmal wieder an und sah abwartend zu Richard rüber.
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Scheinbar hatte ich mich ein bisschen unglücklich ausgedrückt und Tauren das Gefühl gegeben, dass ich mir mit meiner Aussage nicht ganz so sicher war. Aber das war ich, wirklich. "Sorry, hab' mich ein bisschen blöd ausgedrückt, glaube ich. Ich vertraue ihm schon. Bisher hat er mir keine Gründe gegeben, es nicht zu tun.", stellte ich also klar. Mittlerweile sah ich das Ganze ein bisschen anders. Nach der gestrigen Aktion würde ich mir künftig wohl häufiger Sorgen darüber machen, dass er etwas im Schilde führte und es fühlte sich absolut beschissen an. Ich bezweifelte außerdem, dass dieses Vertrauen jemals wieder gänzlich zurückkehren würde, selbst wenn Sam Himmel und Hölle in Bewegung setzte, dieses wiederzuerlangen. Da war das menschliche Gehirn wirklich furchtbar. Ein kleiner Vertrauensmissbrauch und selbst die längsten Beziehungen gerieten gefährlich ins Wanken. Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Was musste der Italiener mich aber auch so um den Finger wickeln? Ich war als Single doch eigentlich ganz zufrieden gewesen und jetzt saß ich hier und zerbrach mir den Kopf... beeinflusste zudem die Laune des Norwegers, der vermutlich glücklicher nicht sein konnte, seine Liebste wieder an seiner Seite zu wissen. Aber naja. Tauren wusste leider auch nicht genau, was ich tun sollte, wenn ich mein Trauma nie überwinden konnte und das war... gelinde gesagt ziemlich scheiße. Ich hatte gehofft, er hätte vielleicht eine Idee, mit der ich mich einlullen und mir einreden konnte, es würde alles wieder gut werden. So oder so. Die Realität sah nur leider anders aus und ich konnte nicht mehr tun, als das so hinzunehmen. Mich einfach an die nachfolgenden Worte des jungen Mannes zu klammern, die immerhin ein kleines Bisschen Hoffnung schürten. Wenn Sam mich wirklich liebte und in mir nicht nur einen Klotz sah, der ihm unfreiwillig ans Bein gebunden worden war, dann standen die Chancen auf eine gemeinsame Zukunft gar nicht mal schlecht. Es fiel mir nur wirklich schwer, daran zu glauben und das stand mir förmlich auf die Stirn geschrieben. "Ich hoffe so sehr, dass du damit Recht hast...", murmelte ich beinahe verzweifelt. Wenn einen solche Situationen selber trafen, dann war es unglaublich schwer, den aufmunternden Worten von Freunden Glauben zu schenken. Sicher hatte sich Tauren ähnlich beschissen gefühlt, als ich ihm vor einiger Zeit gesagt hatte, dass er die Beziehung zu der Russin noch nicht gänzlich abschreiben sollte. Sie möglicherweise noch einmal auf ihn zukäme, was ja auch tatsächlich passiert zu sein schien. Sollte mir das nicht eigentlich noch mehr Hoffnung geben? Über die Frage des Norwegers musste ich einen Moment lang nachdenken. Kam wohl ganz darauf an, was er mit machen konkret meinte. "Wir reden viel...", war das Erste, was ich mit einem Schulterzucken antwortete. "Über Kunst und etlichen anderen Kram. Davon abgesehen, hm... ein bisschen Spazieren, aber ansonsten beschäftigen wir uns eher hier im Bungalow. Vor allem mit Bandit." Kaum waren mir die Worte über die Lippen gekommen, musste ich feststellen, dass wir uns eher nicht wie ein gewöhnliches Paar verhielten. Wir unternahmen eigentlich kaum etwas außerhalb der eigenen vier Wände. Vielleicht sollten wir damit mal anfangen. Auf Dates gehen, wie das so üblich war. Verreisen, das Museum oder ein Theater besuchen. Irgendetwas ansatzweise interaktives, anstatt unsere Hintern nur auf dem Sofa plattzusitzen. Zwar fühlte ich mich ganz wohl in meinem Zuhause und musste nicht unbedingt die Stadt unsicher machen, aber ich konnte schließlich nicht von mir auf andere schließen, richtig?
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Ich musterte Richards Gesichtszüge akribisch, als er seine vorherige Aussage bezüglich Vertrauens noch einmal konkretisierte. Bis dato schien die Beziehung der beiden sehr auf Augenhöhe stattgefunden zu haben, was die Vertrauensebene anbelangte und ich glaubte ihm das. Es war trotzdem schwierig, ihm in diesem Moment abzukaufen, dass er Sam trotz seines Vergehens noch hundertprozentig vertraute, wenn er ein paar Sekunden darauf so den Kopf schüttelte. Der Engländer wirkte ganz allgemein ein wenig irritiert und ich verstand das. Mir hatte der Kopf damals auch schief auf den Schultern gehangen, als ich Vahagns Bettbekanntschaft an der Schwelle ihrer Haustür begegnet war und das auch noch mit Hunter als Augenzeugen. Es war nicht leicht gewesen, das zu verdauen und es war absolut in Ordnung, wenn Richard die ganze Sache jetzt nicht sofort runterschlucken konnte. Alles an ihm schrie danach, dass er eigentlich an eine gute Zukunft mit Samuele glauben wollte, aber gleichzeitig machte sein ganzes Verhalten mir klar, dass er total verunsichert war. “Es ist normal, dass du jetzt gerade Zweifel hast… immerhin liegt euer Streit erst ein paar Stunden zurück. Gib dir bitte genug Zeit, die Sache zu verarbeiten, bevor ihr euch trefft.”, versuchte ich, dem Dunkelhaarigen mit einem schmalen Lächeln zu vermitteln, dass seine Reaktion absolut normal und menschlich war. Nicht jede Person war in der Lage dazu, solche Situationen zügig abzuhaken und dann sofort das Beste daraus zu machen. Ich brauchte auch Zeit für sowas. Was regelmäßige Unternehmungen anging, gab Richard mir ebenfalls Auskunft. Ich hatte die Frage nicht ganz ohne Erwartungen gestellt und seine Antwort fiel in etwa so aus, wie ich es schon vermutet hatte – basierend auf dem Charakter des Engländers, weil mein Kontakt zu Sam für eine Einschätzung auf ihn bezogen noch zu begrenzt war. “Viel und gute Kommunikation ist auf jeden Fall wichtig.” Das musste ich Vahagn ja leider auch immer noch predigen. Zumindest indirekt. Dass Richard und Sam sich viel über Kunst unterhalten konnten, war sicher ein Segen für den geknickten Kerl auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Es war seine Leidenschaft und wenn er sie mit Samuele teilen konnte, war das viel wert. Zwar waren gewisse andere Themen offenbar nicht angesprochen worden, aber das wussten sie beide schon und brauchte ich an dieser Stelle nicht zu erwähnen. Salz in Wunden zu streuen war nicht meine Intention. “Sam war im Café immer viel unter Leuten. Ich weiß, dass du ein bisschen… zurückhaltender geworden bist, aber mehr aus dem Haus rauszukommen würde euch beiden gut tun, glaube ich. Ihr müsst euch dabei ja auch nicht immer unter anderen Menschen aufhalten. Kuba ist groß, bietet viel Abwechslung und ist tagsüber wirklich sicher.”, sinnierte ich weiter. Dachte dabei einmal mehr daran, dass ich mit Vahagn gerne noch mehr von der Insel erkunden wollte, weil das zu zweit mehr Spaß machte und wir bei weitem noch nicht alle Ecken erkundet hatten. Außerdem brauchten wir diesen Abstand zu unserem teils harten Alltag beide. Schließlich arbeiteten wir viel, manchmal zu viel, aber zumindest ich hatte absolut keinen Einfluss auf mein Arbeitspensum. Was mich erneut daran erinnerte, dass ich einen Weg finden musste, mich von Hunter zu lösen… rein gefühlsmäßig gesehen fiel mir das, sehr zu meinem Missfallen, nämlich immer schwerer, je mehr Vertrauen er nach und nach in mich steckte. Außerdem war er mittlerweile fast schon beängstigend ruhig, an den meisten Tagen, an denen ich ihn zu Gesicht bekam. Ich wollte ihn eigentlich nicht hintergehen, weil das ohnehin gefährlich war, wollte jedoch genauso wenig für immer in seinen Klauen feststecken. Meine Beziehung zu Vahagn hatte schon zu viel wegen ihm gelitten.
Diese beschissene Narbe wird mich noch in zehn Jahren daran erinnern, wie unfähig ich manchmal bin, dachte ich, als ich im Ankleidezimmer in den deckenhohen Spiegel sah. Mit einem genervten Augenrollen wandte ich mich von meinem eigenen Antlitz hab und schnaubte. „Wie kann man eigentlich so blöd sein?“, stellte ich mir murmelnd selbst eine Frage, von deren Beantwortung ich jedoch absah. Es war schon schlimm genug, dass ich in letzter Zeit überhaupt wieder öfter Selbstgespräche führte, und ich wollte das keinesfalls ausarten lassen. Ich war verrückt, keine Frage, aber solange ich noch dazu imstande war, hier und da selbst einzulenken, würde ich das auch tun. Nachdem ich eine ganze Weile aus offensichtlichen Gründen nicht besonders viel Zeit in der Bar verbracht hatte, wurde es nun langsam wieder an der Zeit. Mir fiel zuhause die Decke auf den Kopf und eine gute Hausfrau würde aus mir auch nicht mehr werden. Kochen machte mir keinen Spaß und für das Wäschewaschen und Putzen zahlte Hunter unserer Haushälterin viel zu viel Kohle, als dass ich ihr die Arbeit freiwillig abnehmen wollte. Bis mein geflicktes Bein also einigermaßen abgeheilt war, hatte ich die meiste Zeit damit verbracht, auf der Terrasse zu hocken oder mich im Rahmen meiner Möglichkeiten sportlich zu betätigen. Scheiße, sogar ein Buch habe ich gelesen – komplett, inklusiver der Danksagungen am Ende! Ein paar Tage war ich außerdem für wenige Stunden in der Bar gewesen, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht zuletzt, um auf Hunters Geschäft mit den Blüten ein Auge zu haben, aber lange hielt ich nicht durch. Das ständige Hin- und Herlaufen, längeres Stehen… all das war mir noch zu viel. Aber jetzt, knapp einen Monat nach meiner mir selbst zuzuschreibenden Verletzung konnte ich endlich wieder länger stehen, ohne, dass die Narbe unangenehm zu brennen und zu schmerzen anfing. Für mich war das gleichbedeutend mit arbeitstauglich und so stand ich, nur im BH und Slip, im Ankleidezimmer und überlegte, was ich zu meiner ersten Schicht seit langem anziehen würde. Am Ende des Tages entschied ich mich zwar doch immer für dasselbe – schwarze Jeans und ein weißes Shirt – aber es war ein Ritus, welchen ich nie gänzlich ablegen würde. Ich musste mindestens zehn, wenn nicht sogar fünfzehn Minuten durch all die Klamotten in meinem Besitz wühlen, bis ich resigniert kapitulierte und das Altbewährte aus dem Schrank zog. Mit dem besagten Shirt und der Hose unter dem Arm löschte ich das Licht im Inneren des Zimmers und zog die Tür hinter mir zu. Gerade, als ich mich auf den Weg ins Badezimmer machte, sah ich aus dem Augenwinkel eine Silhouette die Treppen nach oben kommen. Ich hob den Blick an und schenkte Hunter, welcher sich die letzten Tage bilderbuchmäßig um mich gekümmert hatte, ein aufrichtiges Lächeln. „Hey.“, begrüßte ich ihn und wollte meinen Weg fortsetzen. Die Zielstrebigkeit, mit der der Amerikaner auf mich zukam, ließ mich jedoch innehalten und mein Lächeln wich von Sekunde zu Sekunde einem schiefen Grinsen. Der hochgewachsene, nach wie vor überaus attraktive Amerikaner sah nicht so aus, als stünde ihm im Sinn, mich nur flüchtig zu grüßen. Etwas an ihm – seine Körperhaltung, sein Blick vielleicht? – erweckte in mir das Gefühl, als wollte er etwas von mir. Und in Anbetracht der Tatsache, dass es relativ spät war und ich zudem halb nackt vor seiner Nase herumtanzte, war ich mir ziemlich sicher, was das sein könnte. „Ich hab‘ keine Zeit… muss in die Bar.“, versuchte ich ihn also abzuwehren, noch bevor er etwas versuchen würde, dem ich ja dann doch nicht widerstehen konnte. Die letzten Wochen waren auf sexueller Ebene knapp bemessen gewesen aufgrund meiner eingeschränkten Beweglichkeit und ich würde mich selbst belügen, würde ich behaupten, dass ich jetzt etwas gegen eine schnelle Nummer einzuwenden hätte, aber ich musste wirklich bald los. Der Schuppen öffnete in knapp einer Stunde und ich wollte im besten Falle vorher schon hinter der Theke stehen, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Aber ob meine Selbstbeherrschung dahingehend ausreichen würde? Sobald ich Hunters warme Hand auf meiner nackten Haut spüren würde, wahrscheinlich eher weniger…
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Sogar ich war ausreichend bei Sinnen, um zu bemerken, dass sich die Dynamik zwischen Cosma und mir ein weiteres Mal im Wandel befand. Seit ihr ein paar meiner teuren Tropfen zum Opfer gefallen sind, sah ich sie mit etwas anderen Augen. Zwar stellte ich sie schon lange in etwa auf dieselbe Ebene wie mich selbst, aber das reichte irgendwie nicht. Nicht mehr. Ich war dumm gewesen, sie nicht schon viel früher tiefer mit in meine Welt zu nehmen. Als die eine Frau an meiner Seite stand ihr viel mehr zu, als sie bis heute eingefordert hatte. Desmond und Ashton hatte ich ein paar Tage nach dem Scherbendilemma also schon einmal vorgewarnt – ich wollte die Rothaarige so gut es ging selbst unter meine Fittiche nehmen, doch Zeit war eines der Dinge, an denen es mir häufig mangelte. Tauren würde ich weitgehend aus Cosmas unbarmherzigen Trainingsplan rauslassen, weil ich mir sicher war, dass er sie schonen würde. Außerdem hatte ich ausnahmsweise wirklich keine Lust, mir Vahagens Gezicke anzuhören. Es war quasi kaum zu übersehen gewesen, wie es dem Norweger aus dem Nichts wieder besser gegangen war und dementsprechend hatte die Rückkehr der Russin bald als Thema auf dem Tisch gelegen. Ich müsste lügen, um zu behaupten, er hätte mir mies gelaunt bezüglich seiner Arbeit für mich nicht besser gefallen, weil sein Schwiegersohngesicht tatsächlich mal gefährlich gewirkt hatte, aber sei’s drum. Solange er seine Arbeit weiter effizient erledigte, war mir egal, ob er Vahagn wieder flachlegte oder nicht. Bis Cosma allerdings tatsächlich aktiv werden und mit ihren kleinen Füßen in die Fußstapfen meiner Stiefel treten konnte, musste ihre Haut erst einmal intakt sein. Mir stand nicht im Sinn, zu riskieren, dass der tiefe Schnitt ein weiteres Mal aufplatzte. Es würde alles nur unnötig hinauszögern und ich war schlichtweg kein geduldiger Mensch. Also hatte ich mich sehr regelmäßig selbst davon überzeugt, dass die Wunde gut verheilte und allein deshalb schon etwas mehr Zeit mit Cosma verbracht, als in den Wochen zuvor. Umso praktischer, dass ich jetzt nach dem Training auf dem Weg nach oben zu der Rothaarigen gleich einen netten Blick auf ihre schlanken, nackten Beine werfen konnte. Die wichtigsten Telefonate und Anweisungen für heute Nacht hatte ich schon heute Mittag parallel zum Leeren der Tasse Morgenkaffee – ohne Schuss – erledigt, also hatte ich jetzt noch ein paar Minuten für Cosma übrig, bevor ich los musste. Nicht ganz ohne Hintergedanken, möglicherweise. Die ursprüngliche Rötung um den Schnitt war längst weg, es verheilte gut. Das stellte ich schon fest, bevor ich am oberen Treppenabsatz ankam und so wanderte mein Blick langsam aufwärts zu Cosmas Hüfte. Ein mildes, angetanes Schmunzeln schlich sich dabei von ganz allein in meine Züge. Ich sah sie mir immer gerne an und natürlich am liebsten nackt – kein Wunder also, dass sie mein Auftauchen fehlinterpretierte. Ich blieb vor ihr stehen und schob ihr bestimmt die Hand in den Nacken, wobei das Schmunzeln noch zu einem kurzen Grinsen mutierte. Es wurde von dem gierigen Kuss geschluckt, den ich mir von ihren vollen, weichen Lippen holte. “Das hat uns bisher nur selten abgehalten.”, raunte ich ihr zu und zog mich dann aber wieder zurück. Der Kuss war leicht salzig gewesen, hartes Training ohne Schweiß war ein Ding der Unmöglichkeit. Hätte ich so wie früher noch einen konstanten Pegel, wäre mir das egal gewesen, aber so ganz nüchtern war mir eine Dusche vorab lieber. Ich nahm mir einfach Cosmas Hand und zog sie sanft hinter mir her ins Badezimmer, in das sie offensichtlich sowieso gewollt hatte. Es war eigentlich bescheuert, dass wir uns in neun von zehn Fällen dasselbe Badezimmer teilten, obwohl die Villa über weitaus mehr verfügte. Eine Angewohnheit aus der Zeit in Norwegen, die einfach geblieben ist. “Aber deswegen bin ich gar nicht zu dir gekommen… ursprünglich.” Jetzt, wo der Gedanke an Sex da und sie sowieso schon halbnackt war, zuckte mir der Schwanz. Ich hatte allerdings Bedenken, dass das Gespräch, für das ich sie eigentlich aufgesucht hatte, dahingehend ein fettes Eigentor werden könnte. Ich machte erst die Badezimmertür hinter der Rothaarigen zu, bevor ich ihre Finger nach einem Streicheln über den Handrücken losließ. “Dein Kontakt zu Irina…” Ich zog mir erst das halbnasse Muskelshirt über den Kopf, bevor ich weitersprach. “...häuft sich. Und nein, ich wills dir nicht schon wieder ausreden”, folgte eine Feststellung auf die andere, bevor Cosma mir hier sofort von Null auf 180 sprang. Ich konnte Prävention, wenn ich denn wollte. Das Shirt wanderte in den Wäschekorb. “Aber… als wie eng würdest du eure Freundschaft bezeichnen? Sind wir schon an dem Punkt, wo ich vielleicht nachts im Schlaf erstochen werde?”, fragte ich sie mit einem Seitenblick, mitsamt hochgezogener Augenbraue und einer guten Portion rohem Sarkasmus. Mein Schlafgehör war viel zu sensibel, als dass dieses Miststück auch nur im Ansatz nahe genug an mich herankommen könnte. Sollte sie lieber weiter Iljahs Brust durchlöchern. Cosma hatte das Haus zwar nicht so oft verlassen in den letzten Wochen, aufgrund ihrer Verletzung, doch ich wohnte auch hier und hatte grundsätzlich beide Ohren offen, selbst in meinen eigenen vier Wänden. Da gab es doch einige Telefonate. Manchmal ein Kichern, wenn sie sich texteten. Denselben Humor schienen die beiden jedenfalls zu haben und ich wusste nicht, ob das eher gut oder verdammt schlecht für mich war.
Mir war von vornerein klar, dass meine wenigen Worte nur einen verzweifelten Versuch darstellten, den Amerikaner von seinem Vorhaben abzubringen. Eigentlich hätte ich mir die Luft sparen können, denn was Hunter haben wollte, nahm er sich in aller Regel einfach. Was den Sex anging hatte ich natürlich ein gewisses Mitspracherecht, aber es brauchte mittlerweile nur noch ein Zwinkern, eine bedachte Berührung hier, ein paar vielversprechende Worte da und schon hatte er mich um den Finger gewickelt. Was das anging, machte ich es Hunter fast schon lächerlich einfach. Er hatte also keinen Grund, eine Grenze überschreiten zu müssen, denn diese standen ihm grundsätzlich offen. Gerade nach dem Sport, wo sich der leichte Schweißgeruch mit seinem körpereigenen Duft mischte, verlor ich regelmäßig beinahe den Verstand. Dass Hunter binnen weniger Sekunden zu mir aufgeschlossen hatte und sich in gewohnt gieriger Manier einen Kuss von meinen Lippen stahl, ließ das Gedankenkaroussel nicht langsamer werden. Ganz im Gegenteil – beinahe automatisch hob ich meine Hand an das leicht feuchte T-Shirt und strich mit den Fingerspitzen über die trainierten Muskeln, die unter dem Stoff schlummerten. „Stimmt wohl…“, murmelte ich dem jungen Mann eine Bestätigung an die Lippen, von denen ich mich nur ungern wieder löste. Allerdings schien es ausnahmsweise nicht Hunters primäres Ziel zu sein, mich mit sehr viel spaßigeren Aktivitäten von der Arbeit abzuhalten - beziehungsweise gar nicht erst dort hingehen zu lassen -, wie er mich wenig später wissen ließ. Fragend sah ich ihn an, doch eine Erklärung blieb vorerst aus. Stattdessen nahm der Amerikaner meine Hand und begleitete mich auf dem Weg ins Badezimmer. Einzuwenden hatte ich dagegen nichts, ich würde die Dusche liebend gerne mit ihm teilen. Bereitwillig tapste ich neben ihm her und stellte einmal mehr fest, wie glücklich ich mich schätzen konnte, trotz all der Scheiße, die uns in den letzten Monaten widerfahren war. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so zufrieden gewesen war. Nicht unbedingt in diesem Moment, sondern… ganz allgemein. Klar, Hunter und ich hatten hier und da unsere Differenzen und das würde sich vermutlich auch nie ändern, was unseren schwierigen Charakteren zugrunde lag, aber seit dem Zwischenfall von vor einigen Wochen verhielt sich der junge Mann mir gegenüber anders. Und zeigte mir damit deutlich, dass er sich weiterentwickeln zu versuchte. Etwas, das man ihm hoch anrechnen musste und das tat ich auch, ohne Zweifel. Noch immer auf eine Erklärung wartend, betrat ich das Badezimmer. Kaum war die Tür hinter uns in den Rahmen gefallen, begann ich damit, mir auch noch das letzte bisschen Kleidung von der Haut zu streifen. Hunter klinkte sich dahingehend schnell ein und ich genoss den sich mir bietenden Anblick von wohlgeformter Muskelmasse für etwa… zwei Sekunden. Dann fiel ein Name, den ich nicht unbedingt hören wollte, wenn wir drauf und dran waren, intim miteinander zu werden. Irina war zwar inzwischen eine gute Freundin von mir geworden, unter den aktuellen Umständen hatte sie trotzdem keinen Platz in meinem Badezimmer. Ich rollte schon nach den ersten vier Worten seitens des Amerikaners mit den Augen und stellte mich bereits auf eine Auseinandersetzung ein. Die Vorfreude auf ein feuchtfröhliches – ha ha – Rendezvous in der Dusche verpuffte. Hunter kannte mich und konnte förmlich riechen, dass ich im Begriff war, etwas zu sagen, sodass er mit den noch folgenden Worten gerade so die Kurve kratzte. Gut, schön, dass ich ihm meinen Standpunkt, was das anging, scheinbar glasklar gemacht hatte und er nicht einmal mehr den Versuch wagte, mir den Kontakt weiter ausreden zu wollen. Ich wusste genau, dass ihm das nicht in den Kram passte, aber ich war auch nicht zufrieden mit allem, was er so tat. Kompromisse mussten also auf beiden Seiten eingegangen werden. Eigentlich hätten bei mir schon bei seiner törichten Frage, die kurz nach seiner Feststellung folgte, die Alarmglocken klingeln müssen. Stattdessen sah ich ihn lediglich mit hochgezogener Augenbraue an. „Waren wir jemals nicht an diesem Punkt?“, fragte ich ironisch. „Hier und da denke ich schon darüber nach…“ Natürlich nicht wirklich. Na ja, zumindest sehr selten. Ich rang mir ein schiefes Grinsen ab, auch wenn mir seine Frage nicht gefiel. Kalt abblitzen lassen wollte ich den Versuch des Smalltalks jedoch nicht und so ergänzte ich noch eine ernstgemeinte Aussage. „Ich würde schon sagen, dass wir uns sehr gut verstehen. Ich mag sie und vertraue ihr.“ War vermutlich nicht das, was er hören wollte, entsprach aber der Wahrheit. Wir telefonierten viel, lachten gemeinsam und die Nächte in der Bar vergingen irgendwie schneller, wenn Irina vorbeischaute. Das konnte und würde ich nicht leugnen. Aber wieso wollte er das wissen? Obwohl ich die Antwort vermutlich nicht hören wollte, überwog die Neugier. Mit den vor der nackten Brust verschränkten Armen setzte ich an: „Warum fragst du?“ Wir waren beide nicht der Typ Smalltalk. Unterhalten taten wir uns zwar viel, aber meistens nicht über solch belanglosen Dinge. Irgendwas führte dieser Mann doch im Schilde, er verhielt sich viel zu auffällig.
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Das Augenrollen. Die indirekt-direkte Morddrohung. Das Grinsen kehrte auf meine Lippen zurück, als ich die Hände an den Bund von Boxershorts und Sweatshorts legte. Ich wusste schon, warum es ausgerechnet diese Frau war, mit der ich mein Leben teilte. “Wärst auch die einzige, die da eine gute Chance hätte”, stellte ich wahrheitsgemäß fest. Das redete ich mir schon lange nicht mehr schön. Ich konnte überall schlafen, wenn ich es musste, doch mit Cosma an meiner Seite schlief ich besser und – für meine Verhältnisse – auch tiefer. Wann immer ich neben ihr im Bett lag, war ich mit Abstand am schutzlosesten, bot die leichteste Angriffsfläche. Griffbereite Pistole hin oder her. Hätte der kleine Teufel mich umlegen wollen, wäre es aber längst passiert. Ich hatte ihr schon gute tausend Gründe dafür gegeben. Cosma strapazierte mein Interesse zum Glück nicht unnötig weiter, sondern ging zumindest oberflächlich auf ihren Kontakt zu der Serbin ein. Ich zog mir erst noch die Socken von den Füßen und ließ mir dabei ihre Worte durch den Kopf gehen. Wenn meine Frau dieser Snitch tatsächlich vertraute, musste ich mich mit Irina möglicherweise nochmal auseinandersetzen. Denn Cosma war eigentlich nicht dafür bekannt, Jemandem von jetzt auf gleich ihr Vertrauen in die Hände zu legen. Es gab also eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder war Irina ein weiteres Mal verdammt gut darin, Jemandem dem Kopf so sehr einzulullen, dass völlige Blindheit eintrat, oder aber sie konnte durchaus loyal sein, wenn sie das wollte. Vielleicht erinnerte sie die Narbe auf der Brust aber auch einfach nur sehr effektiv jeden Tag daran, dass sie so einen Bullshit nicht nochmal abziehen sollte. “Hmmm, verstehe…”, erwiderte ich langgezogen, als Cosma mir längst ihre Gegenfrage zugeschoben hatte. Ich ließ die Zahnräder in meinem Kopf aber erst zu Ende rattern, bevor ich antwortete. “Naja… ich muss abwägen. Wie immer.” Ich zuckte leicht mit den Schultern und warf dann einen Blick auf ihre verschränkten Arme, die mir den Ausblick verwehrten. Meine Augenbrauen wanderten nach oben, ich warf einen kurzen Blick in ihre hellen Augen und griff ungefragt nach einem ihrer schmalen Unterarme. War nicht so, als könnten wir uns unterm Wasserstrahl nicht weiter unterhalten. Mit Cosma im Schlepptau ging ich zu der ebenerdigen Dusche mit Glasfront und drehte den Hahn auf. Ich stellte mich schon drunter, als das Wasser noch kalt war. Nach dem Training tat die Abkühlung gut, Klimaanlage im Haus hin oder her. Zwar hatte ich vor, Cosma nicht nur ein wenig Selbstverteidigung und Angriffsstrategien beizubringen, die auf ihre körperlichen Voraussetzungen zugeschnitten waren, sondern sie auch etwas mehr darüber wissen zu lassen, was auf geschäftlicher Ebene bei mir abging, aber mit letzterem wollte ich instinktiv noch sehr vorsichtig sein. Mich sehr langsam herantasten. Das Wasser war warm, bis ich weitersprach. “Mal abgesehen von Irinas Verrat damals, tue ich mir auch schwer damit, ihrem Mann zu vertrauen.” Was eigentlich erstmal gar nichts heißen musste, weil ich grundsätzlich gar Niemandem vollständig vertraute, der mir nicht schon eindeutig bewiesen hatte, dass er das verdient hatte. Cosma. Ashton. Desmond. Tauren mauserte sich zwar, hatte in der Vergangenheit aber verdammt viel Scheiße gebaut. “Er ist mir in einigen Punkten ähnlicher, als mir lieb ist.” Diese Erkenntnis war bitter, weil es ihn zu einem in der Theorie ernsthaften Problem werden lassen könnte. Er ließ sich genauso wenig in die Karten sehen wie ich, ihn einzuschätzen war auf vielen Ebenen schwer. Nicht grundlos ließ ich Tauren dem Russen und den Ladungen weiterhin nachlaufen. Er hatte ein gutes Auge für… Unregelmäßigkeiten. Er achtete auf Details. “Und es ist irgendwie zu ruhig. Zu einfach. Läuft zu glatt. Nenn’ mich paranoid, aber mein Gefühl täuscht mich selten.” Ich lag auch nicht immer richtig, aber doch sehr oft. Das war nun mal, was jahrelange Erfahrung mit einem machte. Umso ärgerlicher, dass Tauren bisher nichts aufgefallen war. “Erzählt Iljah ihr irgendwas? Oder sitzt sie so komplett im Dunkeln wie du es aktuell noch tust?”, fragte ich und distanzierte mich mit dem Kopf danach weit genug von der Wasserfallbrause, um mir das Wasser aus dem Gesicht zu streichen und Cosma ansehen zu können. Ich hatte ihr noch nicht gesagt, dass ich mir in den Kopf gesetzt hatte, sie auch ein bisschen über meine Geschäfte in Kenntnis zu setzen. Ich wollte die Reaktion sehen – ob es überhaupt Klick machte, oder sie sich am Rest aufhängte, weil sie das so gut konnte.
Vor noch gar nicht allzu langer Zeit wären diese Worte aus dem Mund des Amerikaners undenkbar gewesen. Hunter machte nur selten bis gar keine Zugeständnisse und erst recht nicht, wenn sie implizierten, dass er in irgendeiner Form unachtsam und angreifbar sein könnte. Inzwischen fiel ihm das mir gegenüber zumindest etwas leichter. Wahrscheinlich, weil Hunter wusste, dass ich ihn damit nicht aufziehen würde – weder in der Öffentlichkeit noch vor seinen Handlangern, sondern maximal privat, wenn wir unter uns waren. Mit einem schiefen Grinsen tat ich seinen – wahrheitsgemäßen – Kommentar ab und beobachtete ihn dann dabei, wie er der Rest seiner Klamotten in den Wäschekorb beförderte. Wartete währenddessen auf die Beantwortung meiner Frage, die in etwa eine Ewigkeit auf sich warten ließ. Und das, was ich als erstes zu hören bekam, stellte mich in keiner Weise zufrieden. Weil ich das ganz einfach schon wusste. Immer drehte sich bei dem Amerikaner alles nur ums Abwägen – das hatte er ganz richtig erkannt. Nur mit einem leisen Seufzen wehrte mich, als er meinen Unterarm aus dem Knoten vor meiner Brust befreite, folgte ihm dann aber bereitwillig die wenigen Schritte in Richtung Dusche. Allerdings blieb ich einen Schritt hinter ihm vor der Glasfront zurück und wartete erst einmal darauf, bis Hunter das Wasser entsprechend angenehm temperiert hatte. Zwar war es auch für diese Jahreszeit noch relativ warm auf Kuba, aber die feinen Wasserpartikel waren gelinde gesagt trotzdem arschkalt und bescherten mir immer wieder eine mehr oder weniger unangenehme Gänsehaut. Besonders lange warten musste ich nicht und so schob ich mich keine dreißig Sekunden später zu dem Amerikaner in die Dusche. Meine Haare sogen sich augenblicklich mit dem warmen Wasser voll und klebten mir buchstäblich im Gesicht, als Hunter weitersprach. Ich wischte mir eine Strähne aus den Augen und sah dann mit halb zugekniffenen Augen durch das Wasser hindurch zu meinem Freund hoch. Nur um genervt aufzustöhnen, als er auch noch den Russen mit in unser Badezimmer holte. Irina hatte das Kribbeln in meiner Körpermitte schon abschwächen lassen, aber der Gedanke an Iljah ließ auch noch das letzte bisschen Vorfreude auf das gemeinsame Duschen in Luft auflösen. Einmal mehr stellte ich mir die Frage, ob er sich eigentlich darüber im Klaren war, dass er manchmal das Taktgefühl eines 12-Jährigen hatte. Wie kam er denn jetzt darauf? Und warum wollte er ausgerechnet unter der Dusche darüber reden? Hätten wir das nicht auch auf der Terrasse mit einer Tasse Kaffee besprechen können? Offenbar nicht, sonst würden wir uns ja wohl kaum in dieser Situation befinden. Ich ließ Hunter erst einmal reden, mir seine Worte durch den Kopf gehen, ehe ich schwach mit dem Kopf schüttelte. „Was soll das hier werden, Hunter?“, fragte ich, obwohl ich keine Antwort erwartete. Mein Tonfall indizierte bereits, dass ich leicht genervt von seinen paranoiden Feststellungen und Fragen war. Denn ja, nichts weiter war er gerade – paranoid. Er schien nicht begreifen zu können, dass nach langer Zeit der Dramen endlich ein wenig Ruhe einkehrte und schien nach Auffälligkeiten nur so zu suchen. „Du weißt genau so gut wie ich, dass du dich hier in etwas reinsteigern willst, was deiner Energie überhaupt nicht bedarf. Warum machst du dir Gedanken, wenn doch gerade alles perfekt läuft?“, formulierte ich meine Gedanken zu einer Frage und adressierte diese direkt an den jungen Mann, schüttelte dabei langsam den Kopf. Als Hunter mich anschließend ganz explizit danach fragte, ob Iljah Irina etwas über seine Geschäfte verriet, zog auch ich meinen Kopf aus dem Wasserstrahl und legte meine Stirn in nachdenkliche Falten. „Wird das hier jetzt ein Verhör, oder was? Woher soll ich das denn wissen?“ Die Worte kamen etwas zischender über meine Lippen, als ich beabsichtigt hatte. Das war leider ein Laster, welches ich vermutlich nie ganz ablegen würde. Auch wenn Hunter wahrscheinlich berechtigtes Interesse daran hatte, eine gescheite Antwort auf seine Frage zu bekommen, wurde ich das Gefühl nicht los, als vermutete er, dass Irina mir etwas über Iljahs Geschäfte verraten hatte. Und dass ich ihm im Umkehrschluss eine solche Information vorenthielt, was wiederum bedeutete, dass er mir nicht hundertprozentig vertraute. War doch also naheliegend, dass ich mir dann auf den Schlips getreten fühlte und zickig wurde, oder?
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Inzwischen kannte ich Cosma gut genug, um mich in diesem Moment nicht darüber zu wundern, wie sie reagierte. Es war vorhersehbar und ich hatte es wissentlich selbst provoziert, was mich wiederum aber nicht daran hinderte, leise zu seufzen. Szenen wie diese würden sich zwischen uns mutmaßlich noch hundert Mal wiederholen, wenn sie nicht so schnell lernte, wie ich es mir wünschte. “Du würdest es verstehen, wenn ich schon früher drauf gekommen wäre, dir mehr von meiner Welt zu zeigen. Wer aufhört, Menschen in diesem Business zu hinterfragen, ist schon so gut wie tot”, stellte ich fest und sah die impulsive Rothaarige auch exakt so an – tot, eiskalt. Null Emotion im Blick. Das Training hatte mich ausreichend Energie beraubt, um heute zumindest ein bisschen geduldiger mit Cosma zu sein. Ob das ausreichte, sei aber mal noch dahingestellt. Bekanntlich hatte sie nicht weniger Luft für Streit in den Lungen als ich selbst. “Und es läuft nicht perfekt. Ich warte nur darauf, dass die Mexikaner die offene Rechnung begleichen. Das tun sie immer”, sprach ich weiter. Es war nachvollziehbar, dass diese Angelegenheit in Cosmas Gedanken nicht wirklich präsent war, weil sie sich um dieses Problem ja nicht kümmern musste – weil sie, statt sich um solche Dinge zu scheren, genüsslich ihre Joints rauchen und Verletzungen auskurieren konnte. Es war mein Problem, nicht ihres – würde hoffentlich nie zu ihrem werden. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass es noch ein Echo geben würde und ich nicht wusste, wann das passierte. Noch ein guter Grund, Cosma endlich beizubringen, wie sie mit derartigem Rattenpack umzugehen hatte. “Deswegen kann ich… können wir”, korrigierte ich mich, damit sie vielleicht doch noch anfing, die problematische Situation auch als ihre eigene anzuerkennen, weil sie unweigerlich mit in meinem verdammten Boot saß, “es nicht gebrauchen, im worst Case gleich von zwei Seiten beschossen zu werden.” Meine Augenbrauen wanderten unterbewusst doch schon ein Stück tiefer und es bildete sich eine kleine Falte auf meiner Stirn, weil ich diese Naivität schlicht und ergreifend nicht nachvollziehen konnte. Dafür war ich schon zu lange Teil von Team Mord und Totschlag. Als Verhör würde ich es auch nicht bezeichnen wollen. Ansichtssache. “Ich will dich nicht verhören, sondern nur wissen, ob sie irgendwas Oberflächliches in der Richtung erwähnt hat. Dass Irina dir ganz unverblümt irgendwelche Details zu Iljahs Unternehmen unter die Nase reibt, die für mich tatsächlich relevant sind, halte sogar ich für hochgradig unwahrscheinlich.” Jetzt wanderte die linke Augenbraue doch nach oben. Dachte Cosma etwa, ich vertraute ihr nicht? Das wäre eine Beleidigung, weil sie der einzige Mensch war, der alle meine Facetten sehen durfte. Wenn das kein Vertrauensbonus war, neben der Tatsache, dass ich sie mit in mein Geschäft nehmen wollte, was dann? Ich war hier doch echt schon wieder im falschen Film. Irina hatte damals zwar auch den Russen aufs Kreuz gelegt, aber irgendwas schien er ja trotz alledem an ihr zu finden, also ging ich mal schwer davon aus, dass sie ihm abgesehen davon sehr treu blieb. Ich konnte mir dennoch nicht vorstellen, dass die beiden Frauen nie irgendwelche Worte über ihre Männer verloren. Das war es doch, was Weiber immer machten, oder? Vielleicht waren die beiden da auch anders, schon möglich – immerhin hatten sie sich beide einen gewalttätigen Mann ausgesucht, was genauso wenig der Norm entsprach. Aber gerade das gab doch Gesprächsstoff, oder? “Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass ihr gar nicht über uns redet. Wie wärs also, wenn du einfach mal ganz banal einstreust, dass ich dir bald zeige, was ich nachts für gewöhnlich treibe, wenn ich unterwegs bin? Vielleicht lockert das ihre Zunge ein wenig.” Ich hob das Kinn an, neigte den Kopf ein wenig nach links und mich dabei dem Wasserstrahl entgegen. Meine Halsmuskulatur war immer verspannt, aber jetzt nach dem Training wars irgendwie noch schlimmer als nach dem Aufstehen. Vielleicht waren es aber auch nur die Kopfschmerzen, die sich schonmal in die Startlöcher stellten, nur für den Fall, dass dieses Gespräch gleich den Bach runterging.
Seit unserem letzten Streit nach Irinas und meinem Shoppingausflug hatte ich wirklich versucht mir Hunters Worte in Bezug auf das Thema Weitsicht zu Herzen zu nehmen, ehrlich. Mehrere Stunden hatte ich auf der Terrasse oder auf der Couch damit verbracht, mir den Kopf über Situationen zu zermartern, in denen mir in der Vergangenheit aus Sicht des Amerikaners diese sagenumwobene Weitsicht gefehlt hatte. Ich habe analysiert, versucht, mich in ihn hineinzuversetzen, um zumindest ansatzweise nachvollziehen zu können, warum eine Situation in einem Streit zwischen uns gemündet war. Und tatsächlich war ich hier und da wirklich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich mich einfach unnötig auffällig verhalten oder etwas als nicht bedrohlich eingestuft und für diesen Gedanken prompt die Retourkutsche kassiert hatte. Trotzdem musste ich mir wieder seine alte Leier anhören - die „Du würdest es verstehen, wenn“-Schallplatte, welche sich mittlerweile mehrfach an ein und derselben Stelle aufgehangen hatte. Und so langsam ging es mir nur noch auf den nicht vorhandenen Sack. „Dann klär‘ mich halt auch mal auf. Was soll ich mit diesem ständigen ‚Du würdest es verstehen‘-Scheiß, man. Erkläre es mir und ja, vielleicht könnte ich es dann ein bisschen besser nachvollziehen. Momentan ist aus meinen Augen alles super. Kein Handlungsbedarf.“, gab ich genervt von mir. Vollkommen unbeeindruckt von Hunters normalerweise angsteinflößendem Blick. Ein Großteil der durchschnittlichen Frauen wäre vermutlich jetzt schnell aus der Dusche gesprungen und hätte das Weite gesucht. Aber ich nicht – ich war schon lange nicht mehr nur durchschnittlich und dessen war ich mir vollkommen bewusst. Trotzdem wollte ich meine Zeit unter dem Wasserfall nicht unnötig in die Länge ziehen. Nackt zu diskutieren, vor allem über ein solches Thema, fühlte sich irgendwie… komisch an. Ich griff daher an Hunter vorbei und angelte mir ein Duschgel aus der in der Wand extra für solche Utensilien eingelassenen Aussparung. „Wenn du so ein Problem mit Iljah hast, warum hast du dich dann überhaupt auf diesen ganzen Scheiß mit ihm eingelassen. Es hätte sicherlich auch eine andere Lösung gegeben, wo du im worst case nicht von beiden Seiten beschossen werden würdest.“, grummelte ich weiter und äffte ihm zum Ende meines Satzes hin mit verzerrter Stimme nach, während ich dazu ansetzte, mich mit den Händen einzuseifen. Normalerweise nahm ich mir für meine Hygiene immer ausreichend Zeit, bearbeitete meine Haut am liebsten ausgiebig mit dem Luffa-Schwamm, aber dazu fehlte mir jetzt zum einen die Motivation und zum anderen auch die Zeit. Eigentlich wäre ich jetzt am liebsten schon auf dem Weg zur Arbeit gewesen. Was seitens Hunter noch folgte, quittierte ich lediglich mit einem lauten Schnauben und einem Kopfschütteln. Klar, dafür, dass das hier kein Verhör sein sollte, fühlte es sich ganz danach an. Konnte aber auch daran liegen, dass ich das Ganze schon wieder in den völlig falschen Hals gekriegt hatte. Na ja. Er wusste, worauf er sich mit mir eingelassen hatte und schraubte seine Erwartungen bezüglich eines neutralen Gesprächs über ein solches Thema hoffentlich nicht allzu hoch. Ich dachte eigentlich, dass die kurzzeitige Stille aus der Einsicht des jungen Mannes herrührte, der begriffen hatte, dass er mit seinem Nachhaken nichts erreichen würde. Wie falsch ich da doch lag! Die Spitze des Eisberges folgte bald auf dem Fuße. Ich hatte die Duschgelflasche gerade an ihrem ursprünglichen Platz zurückgeräumt und nach meinem Shampoo gegriffen, als ich kurz davorstand, aus allen Wolken zu fallen. Mitten in der Bewegung hielt ich inne, um mich abzusichern, dass ich durch das Wasser gerade richtig gehört hatte. Weil Hunter keine Anstalten machte, seine letzten Worte zu revidieren, musste ich jedoch davon ausgehen, dass das Rauschen gerade keine wichtigen Teile seiner Frage den Abfluss hinuntergespült oder in ihrem Klang verändert hatte. „Sag mal, trinkst du wieder mehr?“, fragte ich ungläubig, weil ich nicht glauben konnte, was ich da gerade hören müsste. „Also erst mal… was interessiert es dich, ob wir über euch reden? Es gibt da was, das nennt sich Privatsphäre, Hunter. Ich teile wirklich viel und auch gerne mit dir, aber ich glaube nicht, dass es dir weiterhilft oder dich gar ernsthaft interessiert, wie lang Iljahs Schwanz ist und unter welchen absurden Umständen er plötzlich bei Irina vor der Haustür stand, um sie zu überraschen, nachdem er sie gefühlt ein Jahrzehnt allein in Havanna hat versauern lassen. Wie süß und romantisch er trotz all seiner Ecken und Kanten sein kann. Es sei denn, du möchtest dir von ihm eine Scheibe abschneiden. Dann kann ich dich dahingehend natürlich gerne beraten.“, wetterte ich los und fing gen Ende an, spielerisch von dem Russen zu schwärmen. Ich wusste, dass das etwas war, was Hunter hasste. Er mit Eifersucht zu kämpfen hatte, auch wenn er sich das vielleicht nicht eingestehen oder gar offen zeigen wollte. Bedauerlicherweise für ihn war das sehr zu meinem Vergnügen. Ich erinnerte mich noch gut an eine Situation am Pool, die schließlich in einer wilden Nacht geendet war – weil der Herr sein Ego verletzt gesehen hatte. Herrliche und gute, alte Zeiten. Seine noch folgende Bitte war aber noch viel lächerlicher als die vorangestellte Aussage. Fassungslos sah ich ihn an, kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus. „Ein Scheißdreck werde ich tun. Das hat Irina und Iljah schon gar nicht zu interessieren. Gerade sagst du noch, ich muss aufpassen und jetzt willst du, dass ich potenziell – und ich halte das immer noch für verdammt unwahrscheinlich, dass einer der beiden dir ans Bein pissen will – gegen dich verwendbaren Zündstoff streue? Hörst du dir eigentlich selbst zu?“ Letzteres war eine Frage, die ich Hunter mindestens schon hundert Mal gestellt hatte. Ein alter Klassiker sozusagen, auf den ich aber nie eine wirkliche Antwort bekam…
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Ich hasste es wirklich, dass sowohl Cosma als auch ich extrem prädestiniert dafür waren, nach dem Umlegen eines gewissen Kippschalters im Kopf nur noch das zu hören, was wir hören wollten. Wahrscheinlich würde ich nie Meister darin werden, unsere Beziehung zueinander vollständig zu verstehen, aber das stach selbst mir inzwischen ins Auge… und ich konnte förmlich spüren, wie mir die Halsschlagader anschwoll. Wie mir das Gefühl, sie zu packen und an die Fliesen zu tackern, den Rachen nach oben kroch. Zusammen mit ein paar sehr hässlichen Worten. Der einzige Grund, warum ich mich in diesem Moment zurückzuhalten versuchte, war, dass das ‘Warum musst du eigentlich immer gleich handgreiflich werden’ durch meinen Kopf hallte. Scheinbar ging doch nicht immer alles, was der Rotschopf sagte, zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Verfickte Scheiße. “Das habe ich doch vor, verdammt nochmal. Aber ich kann dich nachts nicht mitnehmen, wenn ich mir nicht sicher damit bin, dass du dich wehren kannst… und dir spezifische Infos zu geben, bevor du sie verteidigen kannst, wäre Schwachsinn”, knurrte ich, wurde aber nicht laut dabei. Das waren wohl meine Worte für ‘Ich werde dich einweihen, möchte es aber trotzdem noch so lange rauszögern wie’s irgendwie möglich ist, weil ich trotzdem Schiss davor habe’… Die Frau würde mein Grab werden. Wenn nicht deshalb, weil es doch ein Fehler war, sie in meine Geschäfte einzuweihen, dann weil mein Herz irgendwann nicht mehr hinterher kam, wenn die Stresshormone meine Blutbahnen fluteten. “Hätte ich stattdessen weiter auf dem Berg Crystal sitzen bleiben sollen, während die Bullen jeden verfickten Stein auf der Insel umdrehen? Das war nämlich meine einzige andere Perspektive. Es gibt auf Kuba niemanden, der mir das Zeug abgekauft hätte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich niemals den vollen Preis bekommen hätte, ist der Weg übers Wasser nach wie vor Irrsinn. Es bleibt also nur der Luftweg und ob ich es jetzt Iljah oder seiner Schwester überlasse, macht so gut wie keinen Unterschied. Der Hebel ist beinahe derselbe.”, funkelte ich Cosma an. Vermied es bewusst, Vahagns Namen auszusprechen, weil die Rothaarige die Russin nach wie vor nicht ausstehen konnte. Ich wünschte mir allerdings schon etwa zwei Sekunden später, ihr die Schwarzhaarige doch unter die Nase gerieben zu haben. So kam Cosma mir nämlich zuvor und raubte mir damit definitiv das letzte kleine bisschen Vernunft. Der Knoten platzte, der Schalter kippte. Ich schlug ihr mit dem Handrücken das Duschgel aus der Hand, das irgendwo auf den gefliesten Boden donnerte, während ich mit der zweiten Hand schon nach Cosmas Hals griff. Der war einfach so praktisch schmal. Das effektivste Mittel, sie festzuhalten und da hinzubugsieren, wo ich sie haben wollte – nämlich mit dem Rücken an die Wand, wo ich meine Füße zwischen ihre schob, damit sie nicht nach mir treten konnte. Noch war sie ja wehrlos. Wenn sie meine Schwachstellen nutzte, dann tat ich das auch. “Nein”, beantwortete ich ihre möglicherweise rein rhetorische Frage, bestand aber darauf, das klarzustellen. Möglicherweise bezog es sich gleichzeitig auch darauf, ob ich mir eine Scheibe abschneiden wollte. Scheiße nein, romantischer als das hier wurde es wahrscheinlich nicht mehr und ich weigerte mich, meiner hirnrissigen Eifersucht in Form von Worten Raum zu geben. Diese Genugtuung gönnte ich weder Cosma, noch Iljah. Mein glühender Blick sprach ohnehin für sich, das war schlimm genug. “Ich habe nicht gesagt, dass du mit irgendwelchen Details rausrücken sollst. Ich halte dich für schlau und loyal genug, das nicht zu tun. Auch dann, wenn dein ziemlich bequemes Leben davon abhängt.” Mein Gesicht war dicht vor ihrem, was sie anzuschreien überflüssig machte, aber das Knurren blieb. Meine sich stärker hebende und senkende Brust, die zwangsläufig ihre streifte, gepaart mit der eigentlich keine Widerrede duldenden Tonlage, sollten ihr Wink mit dem Zaunpfahl genug sein. “Aber Irina ist manipulierbar. Wenn sie nur einmal hört, dass du etwas von mir bekommst, was sie von ihm vielleicht nicht kriegt, könnte das schon ausreichen, sie unvorsichtig werden zu lassen… oder dir mitzuteilen, dass Iljah ihr das schon gewährt.” Je nachdem, was eben Phase war. Vielleicht wurde die Serbin dann auch einfach gierig und ging ihrem Mann auf die Eier, so wie meine Frau das gerade bei mir tat. Das war durchaus ein Risiko, wenn sie ihr Mundwerk dabei nicht im Griff hatte, aber im Gegensatz zu den schnatternden Weibern könnte Iljah diese Maßnahme meinerseits zumindest auf geschäftlicher Ebene nachvollziehen. Er wusste so gut wie ich, dass man sich nie zu sehr in Sicherheit wiegen durfte. Es war also quasi eine reine Vorsichtsmaßnahme und wenn er nichts zu verbergen hatte, dürfte ihn meine unterschwellige Detektivarbeit ja im Grunde nicht stören. Wenn sie es doch tat, sollte er seine kleine Göre einpacken und zurück nach Russland fliegen. Wäre mir sowieso lieber. “Und am Ende des Tages ist Irina auf Kuba, nicht du in Moskau.” Bis Iljah hier war, um sich für irgendetwas zu revanchieren, das er für einen unfairen Schachzug hielt, war ich hier längst darauf vorbereitet.
Für Hunters Verhältnisse war es ungewöhnlich lange ruhig in der Dusche geblieben. Zumindest, wenn man von dem ganzen Knurren und Hissen mal absah – das gehörte bei uns inzwischen zum guten Ton. Es wunderte mich daher auch nicht wirklich, dass der Amerikaner kurze Zeit später vollkommen aus der Haut fuhr. Meines Erachtens nach war das längst überfällig, so bockig, wie ich mich hier wieder verhalten hatte. Wie so oft zeigte ich mich jedoch gänzlich unbeeindruckt von der Hand um meinen Hals. Schließlich wusste ich mittlerweile, dass Hunter kein wirkliches Interesse daran hatte, mich umzulegen, sondern diese Art von Crashout sein Ventil war, um angestaute Emotionen und seine Missgunst über mein Unverständnis zum Ausdruck zu bringen. Es war natürlich nicht angenehm, seinen festen Griff um meinen Hals zu spüren, wenn dieser nicht voller Lust, sondern Zorn war, aber es war auch kein Grund zur Panik – ich vertraute ihm dahingehend blind. Dennoch musste ich meinen Kopf etwas anheben, um mir nicht selbst die Luft weiter abzuschnüren. So war das einzig unangenehme in dieser Situation nur noch die kalte Wand in meinem Rücken, die meine Brustwarzen schlagartig hart werden ließ. Bis das warme Wasser meinen Rücken hinabgelaufen war, klemmte ich die linke Hand zwischen mir und der Wand ein, um zumindest ein bisschen Abstand zu gewinnen. Die Finger der rechten Hand legte ich auf Hunters Handgelenk, mit der er mich an die Wand getackert hatte. Nicht, um mich aktiv gegen ihn zu wehren – dazu war ich aktuell noch nicht imstande – sondern um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und mich notfalls an ihm festhalten zu können, falls mich meine Füße nicht mehr tragen wollten. Ein diabolisches Grinsen zierte meine Lippen, welches im Normalfall in einem gehässigen Lachen mündete. Aufgrund der aktuellen Umstände blieb mir dieses allerdings im Hals stecken. „Du musst mich ja auch noch nicht mit nach draußen nehmen. Erzähl’ mir hier zuhause doch einfach ein bisschen was. Wenn niemand weiß, dass du mir Infos gegeben hast, muss ich sie auch nicht verteidigen. Und selbst wenn mich jemand aufgreifen sollte, nehme ich lieber deine Geheimnisse mit ins Grab, als dumm zu sterben.“, spukte ich ihm entgegen und funkelte ihn im Rahmen meiner Möglichkeiten an, obwohl der Inhalt meiner Worte eigentlich versöhnlicher Natur war. Was die Sache mit den Drogen betraf, entlockte mir Hunter mit seiner Erklärung nur ein ersticktes Lachen. Mexiko war doch nicht das einzige Land, welches er auf dem Seeweg hätte beliefern können. Er mochte zwar Amerikaner sein, aber eigentlich stufte ich ihn nicht so dumm ein, wie es ein Großteil der Fettsäcke weiter nördlich von Kuba durchschnittlich war. Er wusste doch sicher, dass es auch in Mittel- und Südamerika einige Abnehmer gegeben hätte, warum also nicht mit dem Schiff nach Panama, Brasilien oder Kolumbien fahren? Ich hielt mich, zumindest was das anging, mit meinen Gedanken zurück, wollte ihn ausnahmsweise nicht noch weiter provozieren. Schon viel zu sehr hatte ich seine Entscheidungen in Frage gestellt. Möglicherweise zog er es doch noch irgendwann in Erwägung, mir einfach endgültig die Lichter auszuknipsen, weil er in mir eine potenzielle Ratte sah. Da glaubte ich zwar, wie bereits erwähnt, nicht dran, weil ich Hunter schon mehrfach meine Loyalität bewiesen hatte, aber dieser Mann war unberechenbar und stand zudem unter Medikamenten- und Alkoholeinfluss. An meiner Meinung bezüglich seines Vorschlags würde sich deswegen trotzdem nichts ändern. „Meine Antwort bleibt nein.“, setzte ich fauchend an. „Ich setze meine Freundschaft mit Irina nicht aufs Spiel für euer dummes Machtgeplänkel. Klärt das gefälligst unter euch und lasst uns da raus.“, bestand ich darauf, dass weder Irina noch ich selbst damit weiter behelligt wurden. Seine Drohung der Serbin gegenüber konnte er sich ebenfalls sparen. Sollte Hunter auf die Idee kommen, Irina noch mehr zu verletzen, als er das bis hierhin nicht ohnehin schon getan hatte, müsste er auch mit den Konsequenzen rechnen. Wie diese genau aussahen, wusste ich bisher natürlich nicht, aber er konnte sich sicher sein, dass mir etwas passendes einfallen würde.
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Es sollte nicht lange dauern, bis Cosma mir die nächsten guten Gründe lieferte, sie einfach hier und jetzt zu erwürgen. Tief in mir drin wusste ich, dass ich das eigentlich überhaupt nicht wollte und trotzdem war es immer wieder aufs Neue schockierend verlockend. Sie war einer der wenigen Menschen, die mir Gegenworte servieren und damit davonkommen konnten. Ich liebte sie dafür, dass sie mich meistens einfach so verkorkst hinnahm, wie ich war – trotzdem hasste ich sie oft dafür, dass sie so ein freches Miststück war. Meine Finger verkrampften sich um ihren Hals und es kostete mich einen sehr tiefen, sehr langen Atemzug, sie nach ein paar Sekunden wieder zu lockern. Von einem Grinsen war bei mir keine Spur. Ich spürte sogar ein unangenehmes Pieksen auf Brusthöhe, so als würde jemand mit einer Messerspitze auf die Haut drücken, ohne die Barriere zu durchbrechen. Erst das Lachen löste den Durchstoß aus. Wir wussten beide, dass Respekt und Loyalität mir viel wichtiger waren als die meisten anderen Eigenschaften. Loyalität war offensichtlich auch nicht das, woran es hier mangelte. Normalerweise war ich mir nie sicher damit, ob mich ein Streit mit der Rothaarigen mehr anturnte oder einfach nur nervte, aber diesmal schon. Mir lief trotz des warmen Wassers ein kalter Schauer durch den Nacken und es blieb ein paar Sekunden still. Ein paar Sekunden, in denen ich mit dem Feuer an meiner Zündschnur rang. Ein paar Sekunden, in denen ich zu evaluieren versuchte, ob Cosma mir vielleicht wichtiger war, als es andersherum der Fall war. Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als betrunken zu sein. Nichts von ihrem Verhalten würde ich dann derart penibel hinterfragen. Es lebte sich leichter, wenn das Hirn und die Brust betäubt waren. Vielleicht hatte mich das auch einfach blind für Cosmas wahres Gesicht gemacht. “Du bestätigst mich gerade nur in meinem Vorhaben, genau das nicht zu tun.”, stellte ich mit scharfem Ton fest, kniff dabei die Augen zusammen. “Dass du bei der Freundschaft zu Irina”, der verdammten Ratte, “eine Grenze ziehst, ist eine Sache…” Schmeckte mir nicht, konnte ich im Grunde genommen aber überhaupt nichts dagegen tun. Musste ich also so schlucken, weil Cosma genauso stur war, wie ich selbst. Da würde sie nicht nachgeben. Ich ließ zu, dass sich die Spannung in meiner Brust wieder auf meinen Arm übertrug. Schnürte dem rothaarigen Teufel die Luft ab, weil ich ihre bockigen Widerworte allmählich satt hatte. “Aber dass du ernsthaft glaubst, ich lasse mir von dir sagen, wann und wie ich dir etwas mitzuteilen habe, geht zu weit. Ich habe immer gesagt, ich werde dich aus meinen Geschäften komplett raushalten… und jetzt, wo ich bereit dazu bin, dich vollständig in mein Leben zu lassen und dir doch noch die andere Seite der Münze zu zeigen, mach ich’s falsch? Fick dich einfach.” Mein Blut kochte und mein Arm bebte, als ich mit den letzten Worten einen Schritt von der Wand wegging. Cosmas Rücken löste sich von der Wand und ich entließ ihren Hals mit ordentlich Schwung zur Seite aus meinem Griff. Weg, sie musste weg von mir. Sonst würde ich etwas tun, dass ich später bereute. So viel lieber hätte ich sie für diese Respektlosigkeit wie einen verdammten Köter auf den Boden vor der Dusche geschmissen… aber ich konnte nicht von Respekt reden und ihr dann den letzten Funken Würde nehmen, indem ich sie derartig demütigte. Obwohl sie auf meiner eigentlich so offensichtlichen Grenze fröhlich herumtanzte, versuchte ich wirklich auf Biegen und Brechen mit meinem letzten Funken Selbstbeherrschung, zumindest noch welche von ihren zu wahren. Wir waren beide wahnsinnig gut mit unserer Doppelmoral, die wir grundsätzlich immer so auslegten, wie es uns gerade am besten passte, aber scheinbar musste sogar ich irgendwann mal den kaputten Jungen im stockdunklen Keller zurücklassen, um erwachsen zu werden... und ich war verdammt nochmal wirklich zu nüchtern für diese Scheiße. "Wir trainieren morgen." Eine zu ihr rüber gespuckte Feststellung, keine Frage.
Oh shit. Die plötzlich einkehrende Stille ließ nichts Gutes erahnen und dauerte für meinen Geschmack besorgniserregend lange an. Bei Menschen wie Hunter und mir war das nie ein gutes Zeichen, wenn sie plötzlich ruhig wurden. Sich gegenseitig anschreien, handgreiflich werden, sich Beleidigungen an den Kopf schmeißen – das war unsere Art von Kommunikation. Auf diese Art war fast jede nachfolgende Handlung vorhersehbar. Wenn der Schlag ins Gesicht nicht angekündigt wurde, dann wies einen zumindest die Körpersprache des Gegenübers darauf hin und man konnte sich darauf einstellen. Sobald ein Choleriker wie Hunter oder ein Tatsachenverweigerer wie ich einer war, anfingen zu schweigen und uns nicht mehr in die Karten schauen zu lassen, sprengten wir förmlich die imaginäre Schutzweste unseres Gesprächspartners, der uns dann wiederum schutzlos ausgeliefert war. Und genau das passierte hier gerade - sehr zu meinem Missfallen, versteht sich, weil ich in der Situation die Angearschte war. Das Grinsen verschwand augenblicklich von meinen Lippen und auch mein Blick veränderte sich. Ich war noch immer nicht ängstlich, aber… beunruhigt und Hunter zeigte mir wenige Sekunden später, dass ich das besser auch sein sollte, als er den Griff um meinen Hals nach der ersten Lockerung wieder schlagartig fester werden ließ. Ich schnappte japsend nach Luft und verkrampfte meine ursprünglich nur als Backup dort platzierte Hand um Hunters Handgelenk. Versuchte mit jämmerlich wenig Kraft seine Finger um meinen Hals zu lockern, aber da tat sich nichts. Der allmählich schwindende Sauerstoff trieb die Tränen in die Augen und ein Hauch von Panik kroch durch meinen Körper. Vielleicht war meine Zeit nun doch schon gekommen? Es dauerte eine schier unendlich lange Zeit, in der mir Hunter noch ein paar Worte an den Kopf schmiss – die es mangels Sauerstoffversorgung nicht mehr bis in mein Hirn schafften - bis der Druck von meinem Hals endlich verschwand. Der Amerikaner distanzierte sich daraufhin relativ schnell von mir, was in Kombination mit dem vorangegangenen Ruck dazu führte, dass ich auf dem rutschigen Untergrund beinahe die Biege machte. Ich schaffte es gerade noch so, mich mit den Nägeln der rechten Hand in Hunters Unterarm zu krallen, während die linke reflexartig ihren Halt an der Duscharmatur suchte. Andernfalls wäre ich in der Hitze des Gefechts womöglich ziemlich schmerzhaft auf den Boden geschlittert und hätte das nächste Wehwehchen auskurieren müssen. Ich hustete und keuchte bestimmt für eine ganze Minute, bis ich mich wieder aufraffen konnte und den Amerikaner losließ. Verständnislos starrte ich ihn mindestens für eine weitere Minute an und überlegte, ob ich ihm jetzt noch zu erklären versuchen sollte, dass seine Anschuldigungen in keiner Weise richtig waren, entschied mich schlussendlich aber dagegen. Er war sowieso schon nicht in der Lage gewesen, meine Worte richtig zu interpretieren, zu verstehen, dass ich das überhaupt nicht so gemeint hatte und er das bloß wieder in den falschen Hals bekommen hatte. Nicht ein winziges Bisschen hatte ich ihn dazu befehligen wollen, mir sofort etwas von seinen geheimen Details und Informationen preiszugeben, aber das wollte er nicht hören. So oder so nicht. Dabei war es nur ein gutgemeinter Vorschlag meinerseits gewesen, damit ich ihm vielleicht ein bisschen weniger Kopfschmerzen mit meinem Verhalten bereitete, weil ich dann tatsächlich wusste, wo seine Probleme lagen und mich ein Stück weit anders verhalten würde. Aber dann halt nicht. Nachdem ich mich aus meiner Starre gelöst hatte und wieder bei Sinnen war, verdunkelte sich mein Blick binnen Sekunden wieder. Wütend funkelte ich ihn an, meine Hand zuckte bereits. Hungrig darauf, erneut Bekanntschaft mit seiner Wange zu machen. Anstatt die Situation jedoch erneut eskalieren zu lassen, stieß ich ihn lediglich ein Stück zur Seite und verließ wortlos die Dusche. Vollkommen durchnässt – was mir gerade egaler nicht hätte sein können – sammelte ich meine vor der Dusche wartenden Klamotten ein und stürmte Richtung Tür. Mit genug Sicherheitsabstand zu dem Amerikaner drehte ich mich ein letztes Mal zu ihm um. Die sich ansammelnden Tränen, die inzwischen drohten, mir die Sicht zu vernebeln, rieb ich mir schnell aus den Augen. Bloß keine Schwäche zeigen. „Du bist ein beschissenes, störrisches, rücksichtsloses, gewalttätiges und cholerisches Arschloch, Hunter Price. Va te faire foutre!“, machte ich meinem Ärger Luft und hob zur Unterstreichung meiner letzten Worte den Mittelfinger in seine Richtung an. Als mir klar wurde, dass ich gen Ende meiner Tirade, die im Endeffekt nur aus Tatsachen bestand, über die sich der Tätowierte bereits im Klaren war, in meine Muttersprache gewechselt hatte, hängte ich pro forma noch ein „Fick dich selbst!“ auf Englisch hintendran. Und mit diesen Worten riss ich schließlich die Milchglastür des Badezimmers auf und stürmte auf den Flur. Gut, dass dieses Haus mehr als nur ein Badezimmer hatte. Wirklich geduscht hatte ich nämlich nicht und ich musste definitiv noch die brennenden Salzrückstände abwaschen, die mein Gesicht von den Augen aus anschwellen ließ.
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Manchmal fragte ich mich ernsthaft, ob ich es war, deren Weltanschauung völlig verschoben war, oder ob Iljah manchmal schlichtweg vergaß, dass ich auch ein eigenes Leben führen musste. Vor allem in sozialer Hinsicht, weil er als mein Partner nicht da war. Freundschaften brauchte man immer, aber ganz besonders dann, wenn man alleine wohnte. Wie zum Teufel war er also auf die Idee gekommen, ich würde meine einzige Freundin als Schachbrettfigur aufs Spiel setzen wollen? Es war nicht so, dass ich Sam und Richard nicht schätzte – die beiden waren mir wirklich ans Herz gewachsen, jeder auf seine sehr eigene Art, aber das war nicht dasselbe. Jetzt, wo ich Cosma hatte, war mir überhaupt erst wieder bewusst geworden, wie sehr ich es vermisst hatte, eine gleichgesinnte Frau in meinem Leben zu haben. Wir waren uns in vielerlei Hinsicht ähnlich und als das weibliche Geschlecht hatte man andere Probleme und Bedürfnisse als die Männerwelt. Vor allem dann, wenn man sich einen ganz besonders bekloppten Gatten anlachte, wie ich erst jüngst wieder feststellen musste. Normalerweise war es immer Iljah, der irgendwann das Gespräch beendete und auflegte, weil ich mich von seiner Stimme nur schwer trennen konnte – das war schließlich alles, was ich auf diese Distanz mit meinen Sinnen von ihm wahrnehmen konnte. Aber vorgestern hatte er mich mit einer irrsinnigen Forderung tatsächlich so sprachlos gemacht, dass ich einfach aufgelegt hatte, sogar ohne mich vorher von ihm zu verabschieden. Fand er gar nicht lustig. Ich auch nicht. Also befanden wir uns im Grunde nach wie vor im schweigenden Streit, weil keiner eingelenkt hatte und er sich nicht so wie sonst einfach vor mich stellen und mich kleinreden konnte, bis ich einknickte. Er schrieb mir nicht und ich ihm auch nicht. Lag wahrscheinlich daran, dass wir beide wussten, dass ich früher oder später sowieso zu ihm zurück kriechen würde. Das hatte ich ihm schließlich versprochen – noch so eine von meinen völlig wahnsinnigen Ideen. Jetzt jedoch würde ich mich erstmal genau daran hindern, indem ich mich stattdessen mit Cosma traf. Gegen 23 Uhr schob ich mit einem kurzen Nicken an den Security die Tür zur Smith And Wesson auf. Anfangs hatte ich mich noch gewundert, warum der Wachhund mich immer so eindringlich ansah. Mittlerweile war mir klar, dass das einer von Hunters Männern sein musste und er wahrscheinlich grundsätzlich sofort Rückmeldung bekam, wenn ich hier ein- und ausging. Männer mit Macht waren ungefähr so attraktiv wie sie zum Kotzen waren. Ich erkannte sofort zwei Stammgäste wieder, die auch heute über dem Tresen hingen. Cosma in dem nur mäßigen Trubel zu finden war dank ihrer feurigen Mähne leicht. Heute war ohnehin ein 0815-Wochentag in der Bar, also kein übermäßiger Ansturm. Genau das, worauf ich grundsätzlich abzielte, wenn ich für ein Treffen herkam. Cosma hatte noch ein paar Getränke auf dem Tablett, als sich unsere Blicke kreuzten und sich automatisch ein Lächeln auf meine Lippen legte. Sie bedeutete mir mit einer Handgeste noch kurz zu warten, also lehnte ich mich zwischenzeitlich einfach an den Durchgang an der Theke. Leider nicht, ohne Blicke auf mich zu ziehen, die ich mit Nichtachtung strafte. Es war grundsätzlich egal, ob ich wütend auf Iljah war oder nicht – ich wollte nicht von anderen Männern angegafft werden. Die Narbe auf dem Dekolleté, die ich inzwischen nicht mehr grundsätzlich versteckte, weil ich damit zu leben lernen musste, war dabei leider so gar nicht hilfreich. “Hey”, begrüßte ich Cosma mit einer halben, seitlichen Umarmung, weil sie in der anderen Hand noch das Tablett hielt, als sie zu mir kam. “Nach hinten?”, fragte ich mit einem kurzen Nicken Richtung Personaltür und sah sie abwartend an. Meistens unterhielten wir uns eher über die Theke hinweg, weil sich das besser mit ihrer Arbeit vereinen ließ. Das war aber suboptimal, wenn wir uns über unsere Männer unterhalten wollten, was der Fall war. Wir beide mochten auch unsere Macken haben, aber in der Öffentlichkeit über unsere Partner herzuziehen, gehörte nicht dazu. Wir mussten uns also immer ein bisschen danach richten, wann die Rothaarige Pause machen konnte. Oh und fast hätte ich’s vergessen: “...mit einem Weinchen?”, ergänzte ich schief grinsend.
Dass das Training mit Hunter kein leichtes werden würde, war von Anfang an klar gewesen. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mir nach unserer hitzigen Diskussion vor knapp einer Woche noch mal so richtig einen reinwürgen wollte. Auf der Straße würde ich kaum verschont werden, auch das wusste ich, aber das hieß noch lange nicht, dass der Amerikaner mich direkt in den ersten Trainingssessions so hart rannehmen musste. Das war zumindest nicht meine Definition von üben. Meiner Meinung nach fing man erst einmal leicht an und arbeitete sich dann mit diversen Tricks und Kniffen weiter hoch, aber gut – sei’s drum. Ich hatte das Gefühl, mich gar nicht so schlecht geschlagen zu haben, auch wenn mehr als nur eine Situation absolut frustrierend gewesen war. Nach unserem letzten Sparring gestern Abend tat mir jedenfalls so ziemlich alles weh. Außerdem waren meine Arme und Beine mit Blutergüssen nur so überzogen. Der Preis, den man eben zahlen musste, wenn man in Selbstverteidigung besser werden wollte. Ich konnte wohl von Glück reden, dass ich bisher keinen Schlägen ausweichen, sondern mich lediglich aus Situationen, wie beispielsweise jener in der Dusche, befreien musste. Sonst wären die blauen Flecken vermutlich mein kleinstes Problem, neben einer demolierten Nase oder anderweitigen Knochenbrüchen. Ausgesprochen hatten Hunter und ich uns bisher natürlich noch nicht. Sehr wahrscheinlich würde das Thema wie so oft einfach unter den Teppich gekehrt und vergessen werden, was mich per se nicht störte. Es nervte mich nur ungemein, dass ich meinem Freund nicht doch noch versucht hatte zu erklären, was ich damals eigentlich wirklich meinte. Ich hatte ihm in der Hinsicht das letzte Wort überlassen und genau das nagte auch am heutigen Abend wieder an mir. Ich hoffte, dass es mir zumindest ein bisschen besser gehen würde, wenn ich Irina davon erzählte. Natürlich würde ich nicht zu sehr ins Detail gehen, worüber wir uns gestritten hatten, aber in jedem Fall musste ich meinen Frust über die unfassbare Dreistigkeit des Amerikaners loswerden. In Anbetracht der Tatsache, dass sie auf der anderen Erdhalbkugel einen ähnlich anstrengenden Pflegefall sitzen hatte, wusste sie bestimmt, warum ich so angefressen war. Ich hatte die Serbin deshalb in die Bar beordert, um meinem Ärger Luft zu machen und erwartete jeden Moment ihr Auftauchen. Vor etwa zehn Minuten – es war circa 22:50 Uhr – hatte ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut und dann im Minutentakt die Tür gecheckt. Punkt elf betrat die Schwarzhaarige das Lokal und ich bedeutete ihr, kurz zu warten, um noch einen Tisch fertig zu bedienen. Als das erledigt war, begrüßte ich die junge Frau mit einem Arm um ihre Hüfte, den Worten „Endlich bist du da.“ sowie einem schiefen Grinsen. Das Tablet, welches ich zum Austeilen der Getränke in den Händen gehalten hatte, wanderte kurzum unter den Tresen, nachdem ich mich von meiner Freundin gelöst hatte. „Nach hinten.“, bestätigte ich ihr schließlich mit der, lediglich im Wortlaut veränderten, Wiederholung ihrer Worte, dass wir uns heute nicht über die Theke hinweg unterhalten würden. Privatsphäre und so. Keinen der Gäste hier hatte es anzugehen, was in unseren eigenen vier Wänden passierte. Gerade als ich im Begriff war, durch die Staff only-Tür zu treten, entlockte mir Irina ein leises Lachen und ich machte auf dem Absatz kehrt. Natürlich, was wäre ein Abend voller Lästereien ohne einen Tropfen Alkohol. Aus einer der gekühlten Schubladen angelte ich einen Weißwein, in der anderen Hand hakte ich zwei dazu passende Gläser ein. Es folgte noch eine knappe Info an einen meiner Angestellten, bevor ich die Tür zum Hinterzimmer mit der Hüfte aufstieß und hindurchtrat. Mit dem Fuß hielt ich Irina die Tür auf und lies diese anschließend zurückschwingen. Im hinteren Raum der Bar, welcher quasi der Pausenraum meiner Angestellten war, brannte nur ein schwaches Licht. Wenn wir wollten, konnten wir es später noch heller werden lassen, für den Moment empfand ich es jedoch als ausreichend und angenehm. Vorsichtig stellte ich die Gläser auf einem runden Holztisch ab, an dem insgesamt vier Stühle standen. Einen zog ich für Irina vor und nahm selbst den Platz gegenüber ein. „Du glaubst nicht, was ich dir zu erzählen habe…“, begann ich mit einem leichten Kopfschütteln, noch bevor ich die Weinflasche öffnete und uns beiden die Gläser füllte. Allerdings war ich auch sehr gespannt, was die Serbin zu unserem heutigen Tratsch mitgebracht hatte. Am Telefon war sie nicht sonderlich gesprächsbereit gewesen, aber ich hoffte, sie würde mir heute mehr davon erzählen.
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Cosmas Begrüßung ließ mein Lächeln gleich noch breiter werden. Ja, endlich. Im Gegensatz zu mir war sie mit der Bar sehr eingespannt, hieß also wir richteten uns grundsätzlich mehr nach ihr mit unseren Treffen. Das war für mich völlig in Ordnung – war ja nicht so als hätte ich wirklich viel Besseres zu tun, solange ich noch keinen Job hatte. Nur meine chronische Ungeduld und Neugier machten das Spiel nicht so gerne mit. Glücklicherweise trainierte mich Iljah zwangsläufig darauf, besser damit umgehen zu können. Ich wollte ihn trotzdem noch regelmäßig dafür erwürgen, obwohl ich mir dieses Leben selbst ausgesucht hatte. Sam jedenfalls lobte mich inzwischen sogar selten mal für mein besser werdendes Spanisch und er war da wirklich unnötig kleinlich. Fand ich zumindest. Meiner Meinung nach sollte er froh sein, wenn ich den russischen Akzent auch nur ansatzweise aus meiner Stimme raushalten konnte. Wenigstens hatten beide Sprachen ein gewissermaßen prägnantes R... nur so gar nicht auf dieselbe Art. Der Wein, den Cosma noch vor unserem Gang in die Personalräume einsammelte, ließ mein Lächeln zwangsläufig zu einem schelmischen Grinsen werden. Es ging einfach nichts über einen leicht beschwipsten Abend mit einer guten Freundin. “Danke”, säuselte ich, als die Rothaarige mir die Tür aufhielt, damit ich unbeschwert hindurchgehen konnte. Es bezog sich sowohl darauf, als auch auf den Wein. Cosmas zuvorkommende Art fand auch keinen Abbruch – sogar der Stuhl wurde mir zurückgezogen, was mich die Augenbrauen hochziehen und anerkennend Nicken ließ. “Langsam glaub’ ich, du bist der Mann, der mir in meinem Leben fehlt.”, schnaubte ich belustigt, als ich mich auf dem für mich vorgesehenen Stuhl am Tisch niederließ. Ich streifte die schwarze Jeansjacke ab, die ich über dem weißen Top mit Spitze und V-Ausschnitt trug, und hängte sie über die Stuhllehne. Ich hatte sie nur dabei, weil ich nicht wusste, wie spät es diesmal werden würde. Jedenfalls wusste ich aber ganz genau, warum ich Cosmas Gesellschaft so genoss. Sie musste ich nie darum bitten, mich gut zu behandeln, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Damit wollte ich gar nicht sagen, dass Iljah kein Gentleman oder nicht großzügig zu mir war – aber meist eben nur dann, wenn es ihm gerade genehm war und sowohl zu seinen Terminen, seinem Geschäft als auch zu seiner Laune passte. Wenn letztere schlecht war, musste ich sowieso immer gucken, wo ich abblieb. Zu meinem Geburtstag kam er ja auch nicht, der Idiot. Sicher ein Mitgrund dafür, warum ich so schlagartig aufgelegt hatte. Ich war dementsprechend schon angepisst gewesen, bevor er mich darum gebeten hatte, Cosma auf den Zahl zu fühlen. “Same, Girl… same.”, seufzte ich leise und rollte mit den Augen, weil ich schon nur beim Gedanken an das letzte Telefonat mit Iljah wieder genervt war. Ich sah dem Weißwein dabei zu, wie er seinen Weg ins Glas fand. In für uns und unser Gesprächsthema angebrachter Menge – bisschen mehr als üblich vielleicht, aber wozu auch geizig damit sein? Bevor hier irgendein Tea gespillt wurde, brauchte ich aber definitiv schon ein Schlückchen. Also angelte ich mit der rechten Hand das mir etwas näher stehende Glas und wartete, bis Cosma die Flasche beiseite gestellt und es mir gleich getan hatte. Es folgte der angenehme Klang unserer aneinander stoßenden Gläser und kurzer Augenkontakt mitsamt lieblichem Lächeln meinerseits, bevor ich den ersten Schluck nahm. Dann lehnte ich mich langsam zurück und legte die freie Hand locker in meine angewinkelte Armbeuge, denn das Glas hatte ich gar nicht erst wieder abgestellt. “Aber schieß du erstmal los.”, gab ich mich geduldig damit, mich bei ihr auszukotzen. Da Hunter auch regelmäßig irgendeinen Scheiß abzog, war es glücklicherweise nie langweilig, Cosma zuzuhören.
Irina ließ sich nicht zwei Mal bitten und nahm kurze Zeit später auf ihrem designierten Stuhl Platz. Nachdem ich die Gläser befüllt hatte und wir anstießen, ließ ich mich mit selbst einem lauten Seufzer gegen die Stuhllehne fallen. Rutschte auf der Sitzfläche ein Stück nach vorne, sodass mein Kopf auf der Rückenlehne lag und ich meine Beine unter dem Tisch ausstrecken konnte. Das Glas weiterhin in der rechten Hand haltend, fuhr ich mir mit der linken durch die rote Mähne und anschließend von oben nach unten über das Gesicht, um zu vermeiden, dass ich bei der nachfolgenden Erzählung direkt schon nach dem ersten Satz platzte. Denn die Wut auf den Amerikaner kroch mir just in dem Moment wieder den Hals hoch. „Also…“, setzte ich an, brach nach dem ersten Wort aber noch einmal ab, weil ich mich neu sortieren musste. Etwa zehn Sekunden späte setzte ich erneut an: „Ich stehe glaube ich wirklich kurz davor, unsere Villa in Brand zu stecken. Während Hunter sich noch darin befindet, wohlgemerkt.“ Erst mal musste ich meinem Ärger mit einer Drohung Luft machen, die ich ja doch nicht wahrmachen würde. Dann raffte ich mich allerdings wieder etwas auf, nachdem ich meinen Unmut zum Teil heruntergeschluckt hatte und lehnte mich nach vorne. „Wir hatten vor… lass‘ mich lügen… einer Woche? Ja, vor circa einer Woche einen Streit – mal wieder. Is‘ ja bei uns nichts Neues, aber… alter, Irina. Mir platzt jetzt schon wieder eine Ader, wenn ich nur daran zurückdenke.“, stöhnte ich, nun doch wieder genervt. Was sollte ich tun? Hunter hatte irgendwie ein Händchen dafür, mich auf die Palme zu bringen, auch wenn ich ihn schrecklich liebte. Ich nahm erst mal zwei kräftige Schlucke von dem Wein, bevor ich kopfschüttelnd weiterredete. „Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, worüber wir gestritten haben, weil es doch schon etwas privater ist, aber der springende Punkt… und jetzt halt dich fest“, mit einer Hand schlug ich ungläubig auf den Tisch „Hunter hat mich darauf angesetzt, dich über Iljah und seine Geschäfte auszuquetschen. Also… er hat es zwar nicht genau so gesagt, aber ich denke, du weißt, was ich meine. Ich soll dir doch mal unter die Nase reiben, was er mir so gibt, dies und das, um damit deine Zunge zu lockern. Weil, vielleicht, unter welchen Umständen auch immer, würdest du mir dann auch erzählen, was Iljah dir so alles steckt. Weil du ja so manipulierbar bist… ich hab‘ gedacht, ich höre nicht richtig. Und das alles, während wir unter der Dusche standen. Versteh‘ mich jetzt bitte nicht falsch, ich habe sicherlich kein Problem damit, mich unter der Dusche über dich zu unterhalten oder von dir zu erzählen, aber nicht, wenn… na ja, du weißt schon.“ Den letzten Teil murmelte ich mit einem schrägen Grinsen und vielsagenden Blick über den Rand hinweg in mein Glas, welches ich mir zwischenzeitlich schon wieder an den Mund gehoben hatte. Irina dürfte wohl wissen, was ich im Begriff gewesen war zu sagen, ich musste es gar nicht aussprechen. Und sicher hatte sie auch Verständnis dafür, dass es mir nicht ganz gepasst hatte, sie in der Situation als vorrangiges Gesprächsthema zu haben. Eigentlich war damit auch schon alles gesagt, aber dann fiel mir doch noch etwas ein. „Ihm passt es auch immer noch so gar nicht in den Kram, dass wir uns so gut verstehen. Und ich bin es langsam echt leid, da ständig mit ihm aneinanderzugeraten. Weißte, wenn ich irgendwas gegen seine wenigen Kumpels oder Bediensteten sagen würde, was meinst du, wäre bei uns zuhause los?“, grummelte ich verständnislos und schüttelte erneut fassungslos mit dem Kopf.
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