Tat es das? Cosma erwischte mich ziemlich kalt mit ihren Vermutungen zu meinem Verhalten zu Problemen, weshalb ich einen Moment darüber nachdenken musste. Faktisch lag sie damit aber maximal manchmal richtig. Ungefähr 99% der Streits, die ich mit Iljahs bis heute gehabt hatte, waren nur deswegen passiert, weil ich den Mund aufgemacht hatte und ihm das nicht in den Kram passte, weil es nicht das gleiche war wie das, was er tun oder hören wollte. Ich machte meinem Unmut ihm gegenüber durchaus Luft und er dürfte auch längst gemerkt haben, dass ich es beschissen fand, dass ich ihn fast nie sah. Ich sagte ihm nicht umsonst beinahe täglich, dass ich ihn vermisste und ihn gerne bei mir hätte. Nicht über Facetime, sondern bei mir Zuhause, live und in Farbe. Was andere Probleme anging, mochte Cosma in der Vergangenheit Recht damit haben. In vielen Situationen hatte ich Angst vor den Konsequenzen gehabt und deswegen nichts getan, war in meinem Elend dahin gesiecht und hatte das Unvermeidliche einfach akzeptiert. Das hatte sich jedoch geändert, als ich mich trotz allem, was vorgefallen war, gegen das Kartell und auf Iljahs Seite gestellt hatte. Natürlich fiel es mir jetzt trotzdem schwer, mich gegen ihn durchzusetzen. Das konnte ich mir nicht einmal selbst schönreden. Aber das war ein Problem für… naja, später. Wenn er dann halt mal wieder hier war, in gefühlt erst zehn Jahren. “Nicht mehr. Beinahe jeder Streit, den ich in letzter Zeit ausfechte, resultiert daraus, dass ich eben nicht die Klappe halte.”, stellte ich seufzend fest. Ich machte kurz Pause und zuckte dann ziemlich unbeholfen mit den Schultern. “Aber du hast Recht damit, dass ich Menschen nicht gerne verletze. Egal ob körperlich oder seelisch. Ich hab’ zu viel gelitten, um anderen etwas antun zu wollen und ich kann nicht mit Worten zu einer Schießerei kommen. Da kann ich mich auch gleich erhängen.”, vollendete ich mein Fazit recht trocken. Natürlich könnte ich Iljah eine Ohrfeige verpassen, wenn er mir wieder nicht richtig zuhörte und/oder so sauer wurde, dass er mich an die nächstbeste Wand tackerte. Ich könnte sicher auch irgendwo neue Messer auftreiben, um sie mir unterm Kleid an die Beine zu heften, so für… Notfälle, von denen ich gerne verdrängte, dass sie durchaus wieder auftreten könnten. Aber das war nicht, was ich wollte. Es musste einen anderen Weg geben. Diese Hoffnung wollte ich noch nicht aufgeben. Schließlich zeigte der Russe mir auch ganz andere Seiten von sich, die jedem anderen Menschen verborgen blieben. Wenn er sich wieder abgeregt hatte, lenkten wir meistens beide ein wenig ein und die Lage entspannte sich verhältnismäßig schnell wieder. Das war ein Anfang. Ein Schritt in die richtige Richtung bei unserer von vornherein komplett kaputten Beziehung. Aber hey, wenigstens war ich jetzt auch mit meiner Liebe für einen offensichtlich psychisch gestörten, gewalttätigen Mann nicht mehr allein. Ein Sieg war ein Sieg, oder so. Ich versuchte, diese ganze Scheiße wieder abzuschütteln, was mir jedoch nicht leicht fiel. Auch nicht, als die Rothaarige mir versicherte, dass sie sich ihrem Freund in den Weg stellen würde, sollte er ernsthaft Jagd auf mich machen wollen. Entsprechend schmaler war das Lächeln auf meinen Lippen auch, als es wieder ein wenig aufflackerte. Es tat einfach gut zu hören, diesmal nicht alleine sein zu müssen, wenn ich drauf und dran war, die Gemüter anzustacheln. Cosmas Finger legten sich zwischen meine und dann wurde auch mein Lächeln wieder breiter. Mitunter deswegen, weil sie unsere besseren Hälften als Spinner betitelte. “Das schaff ich, versprochen.”, versicherte ich mit einem kaum sichtbaren Nicken und streichelte mit den Fingern über Cosmas, bevor ich die Hand mit ihrer zusammen sinken ließ und den zweiten Arm nach ihr ausstreckte, um sie in eine Umarmung zu ziehen. Ich wollte, dass das positive Gefühl dieses Ausflugs überwog und mich sinnbildlich für einen Moment an ihr festzuhalten half mir dabei, düstere Gedanken fallen zu lassen. Einer von vielen guten Gründen, warum ich verdammt nochmal Nähe brauchte. Irgendwie musste ich die Vergangenheit und auch die Gegenwart kompensieren. “Ich bin froh, dass ich dich gefunden hab.”, murmelte ich nahe ihres Ohrs, ehe ich mich langsam von ihr distanzierte. Einen kurzen Blick warf ich ihr noch zu, bevor ich langsam auf das grüne Kleid runter sah. “Und jetzt raus aus diesem sündhaft schönen Kleid. Es steht dir super und ist ein guter Grund dafür, uns für die nächste lange Nacht zu verabreden, aber bei unserer spektakulären Flucht über den Zaun solltest du das glaub’ ich nicht anhaben.” Ich tätschelte ihre Hüfte und ein kurzes Grinsen blitzte auf, dann löste ich mich ganz von ihr und suchte nach meinem Hoodie. Waren jetzt wirklich langsam genug aufwühlende Gefühlsschwankungen für heute. Als ich fertig angezogen war, band ich mir die Haare erneut zu einem Zopf, der diesmal noch etwas fester saß und zog auch die Kapuze über. Ich kletterte auf den Hocker, um mein Handy schon mal runterzuholen und ließ das Licht aber noch an, bis auch Cosma ganz umgezogen war und wir beide die Klamotten, die wir mitnehmen wollten, in den Händen hielten. Das, was wir beide aussortiert hatten, würde in einigen Stunden von jemand anderem weggeräumt werden. Wir brauchten nur noch Taschen zu finden, in die unser Shoppingertrag rein passte. Oh, und Schuhe – ich brauchte noch ein Paar passender Schuhe zu dem Kleid. Wenn ich zufällig noch eine passende sah, dann auch gerne noch eine Tasche, aber dann… dann wirklich nichts wie weg. Den Laden nebenan erledigten wir lieber im Schnelldurchlauf. Offenbar war die letzte Rakete verschossen.
Die Beziehung zwischen Irina und Iljah schien ähnlich kompliziert zu sein wie meine eigene und ich notierte mir im Geiste, zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal das Gespräch diesbezüglich mit der jungen Frau zu suchen. Es fiel mir schwer, aus den wenigen Anhaltspunkten, die Irina mir hier gab, sinnvolle Schlussfolgerungen zu ziehen, warum und wieso sie denn jetzt eigentlich unzufrieden war, wenn sie den Mund offenbar schon oft genug aufmachte. Dann war der Grund vielleicht ein anderer, aber um diesen hier und jetzt zu ergründen, fehlte uns eindeutig die Zeit. Ich quittierte die Aussage der Russin also vorläufig mit einem "Vielleicht bist du in der Beziehung dann gar nicht das Problem." und legte das Thema damit gedanklich vorerst ad acta. Wir sahen uns heute vermutlich nicht zum letzten Mal und bei einer Tasse Tee und einem Joint ließen sich solche Problematiken echt besser bereden. Für den Moment gab ich mich damit zufrieden, dass Irina mir ihr Wort gab, zuerst selbst für sich einzustehen zu wollen, sollten unsere kleinen Spielchen rauskommen, was ich zufrieden abnickte. Kaum hatte sie mir dieses Versprechen gegeben, fand ich mich auch schon in einer innigen Umarmung wieder. Es war beinahe Automatismus, dass ich mein Gesicht in ihrer schwarzen Haarpracht vergrub und mit geschlossenen Augen ein paar bewusste, tiefe Atemzüge nahm. Meinen freien Arm schlang ich dabei nur zu gern ebenfalls um den schlanken Körper meiner Freundin. "Ich bin auch echt froh, dich gefunden zu haben.", erwiderte ich ihre süßen Worte mit nicht viel mehr als der Wahrheit. Wie bereits mehrfach erwähnt, bereicherte Irina mein Leben in den unterschiedlichsten Belangen und ich wollte sie jetzt schon nicht mehr missen. Kaum auszudenken, was für gute Freunde wir werden würden, wenn wir einander erst einmal richtig kennengelernt hatten. Gut, wenn es blöd lief, konnten wir uns auf lange Sicht vielleicht doch nicht mehr so gut leiden oder aber einer von uns kratzte vorzeitig ab, aber davon wollte ich erst mal nicht ausgehen. Ich hätte gut und gerne noch ein paar Minuten länger mit Irina im Arm in der Umkleide verbringen können, nur schien ihr ebenfalls aufgefallen zu sein, dass es draußen inzwischen wieder ruhiger geworden war und wir uns nicht mehr allzu lange in der Mall aufhalten sollten. Dass ich bei unserer Flucht nicht unbedingt ein Kleid tragen sollte, leuchtete sein. Farblich wäre ich mit dem guten Stück im Schatten vermutlich gar nicht aufgefallen, aber wenn wir im worst case noch einen Sprint hinlegen mussten, wäre das Kleid alles andere als vorteilhaft. Realistisch gesehen würde ich es aufgrund des engen Schnitt noch nicht einmal über den Zaun schaffen, ohne dass der Stoff riss. Ich löste mich also widerwillig von der Russin, um mich umzuziehen. Das Kleid legte ich, genauso wie meine anderen Errungenschaften, fein säuberlich zusammen, damit es in einer Tasche oder einem Rucksack nicht unnötig Platz verschwendete, bevor ich zurück in meine ursprünglichen Klamotten schlüpfte. Auch einen dunkelblauen Kapuzenpullover hatte ich von einer der Stangen geangelt, den ich mir für die Flucht ebenfalls überzog. "Ich würde sagen, du flitzt noch mal schnell in den anderen Laden und ich mache mich währenddessen auf die Suche nach ein paar Taschen.", schlug ich vor, wartete aber gar nicht ab, ob Irina damit einverstanden war, sondern schnappte mir einfach unsere beiden Sachen und verließ die Kabine kurze Zeit später, nachdem ich der jungen Frau noch ein schwaches Lächeln zugeworfen hatte. Ich vermutete, dass ich an der Kasse die besten Chancen haben würde, Taschen zu finden, also steuerte ich diese als erstes an. Wie ich erwartet hatte, lächelte mich bereits aus einiger Entfernung ein Stapel Plastiktüten an. Ich legte die Klamotten auf dem Tresen ab und schob meine, die bereits zusammengefaltet waren, etwas weiter weg, um genug Platz zu haben, mich auch noch um Irinas Ausbeute zu kümmern. Mehr als eine große Tüte pro Kopf wollte ich ungerne füllen und so musste ich die zur Verfügung stehende Kapazität der Tasche bestmöglich ausnutzen. Sobald das erledigt war, würde ich dann noch ein oder zwei paar Schuhe einsacken. Wenn wir schon mal hier waren...
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Ich war auf jeden Fall nicht der einzige Stolperstein in der Beziehung, so viel war sicher. Stattdessen Iljah die volle Schuld zu geben, wäre aber nicht richtig. Ich hatte schlimme Fehler gemacht, ihn lange belogen und ihm zu guter Letzt wortwörtlich ein Messer in die Brust gerammt. Er sagte immer, dass er das alles hinter sich gelassen hatte und über diesen Dingen stand, aber ich glaubte nicht wirklich daran, dass man so etwas innerhalb kürzester Zeit vergeben und vergessen konnte. Er musste irgendetwas Besonderes in mir sehen… so, wie es auch umgekehrt war. Anders ließ sich kaum erklären, dass wir immer noch aneinander festhingen. Dank Cosma fühlte ich mich jetzt aber wenigstens nicht mehr so allein mit diesem ungesunden Beziehungskonstrukt. Sam und Richard würden mich nicht verstehen, deswegen sprach ich mit den beiden auch nur wenig darüber. Es war einfach nicht dasselbe wie mit der Rothaarigen und sie fühlte das zum Glück genauso. Aufgrund ihrer Worte lächelte ich umso breiter, als die Umarmung ihr Ende gefunden hatte und es langsam Zeit war, die Kabine zu verlassen. Cosma schlug kurzerhand den weiteren Ablauf vor und ich nickte lächelnd, hatte keinerlei Einwände. Also huschte ich nahe der Wand zu dem Loch in der Glaswand, warf dabei vorsichtige Blicke nach vorne in den Flur. Die Luft war nach wie vor rein, also schob ich mich durch das zerschlagene Glas und versuchte zuerst, mir einen groben Überblick zu verschaffen. Nachdem ich im vorherigen Laden kein Glück damit gehabt hatte, suchte ich in diesem gezielt nach Accessoires – Klamotten hatte ich für heute genug. Es dauerte nicht lange, bis ich eine Ecke mit einigen Handtaschen entdeckte. Ich entschied mich letztendlich für eine kleine Tasche, die fast denselben Farbton wie das Kleid hatte und außen mit kleinen Perlen bestickt war. Bemessen am Preisschild waren das definitiv keine echten Muschelperlen, aber sie hatten trotzdem einen schönen Schimmer, der auch den Stoff des Kleides aufgreifen würde. Der Träger in Form einer schmalen Kette gefiel mir gut, also klemmte ich mir das Stück unter den Arm und schnappte mir kurz darauf noch eine Sonnenbrille, weil meine letzte kaputt gegangen war. Noch ein Armband und ein paar neue Ohrringe, die beide passend sein sollten, zusätzlich eine Kette, von der ich fand, dass sie zu Cosma passte und im Anschluss verließ ich diesen Bereich. Auf dem Rückweg zum Durchgang hätte ich beinahe die Schuhe übersehen, die mich ein letztes Mal zum Anhalten zwangen. Die Riemchensandalen mit etwas höherem Absatz in blassem Beige waren schick genug, um zum Kleid zu passen, aber nicht so auffällig, dass sie ihm die Show gestohlen hätten. Also schnappte ich mir die passende Größe und wuselte zurück zum Eingangsbereich. Dieses Mal war ich beim Durchklettern offenbar unaufmerksamer, weil ich mir den dünnen Stoff der schwarzen Leggings an der Innenseite der Wade aufriss. Ich zischte leise, beim Absetzen des Beins spürte ich einen bissigen Schmerz. Mit den Fingern tastete ich nach der Stelle mit dem kaputten Stoff und fühlte das warme, feuchte Blut. Es war aber nicht viel, nur ein oberflächlicher Kratzer. Als Cosma mit unseren Taschen bewaffnet zu mir aufschloss, fluchte ich noch leise – allerdings wieder traditionell russisch, weil mir diese Ausdrücke viel geläufiger waren. Unsere Blicke trafen sich kurz darauf und ich schüttelte sofort den Kopf, als ich den fragenden Ausdruck in Cosmas Gesicht sah. “Ist nichts. Hast du alles?”, fragte ich sie im Gegenzug und sortierte anschließend meine Sachen in die Tüte, die offenbar mir gehörte. Die goldene Kette wanderte wiederum in Cosmas Tasche, danach nahm ich ihr meine Tüte gleich ab.
**** ZS zu ca. 2 Uhr****
Manchmal fragte ich mich immer noch, wie es eigentlich sein konnte, dass ein einziger Mensch derart starken Einfluss auf mich haben konnte. Ich war zwangsläufig komplett unabhängig gewesen, seit ich denken konnte, und doch hatte der rothaarige kleine Teufel es geschafft, sich unfassbar tief durch jede Faser meines Körpers zu fressen. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass ich mit der Zeit noch einen weiteren Gang runterfuhr, nur weil Cosma zurück in der Villa war und meinen Alltag bereicherte. Mittlerweile war sie schon etwas mehr als einen Monat wieder hier und es war schön, sie jeden Tag zu sehen. Mal mehr und mal weniger, aber irgendwo liefen wir uns immer für mindestens ein paar Minuten über den Weg. Die Cops krempelten die Stadt nach wie vor vermehrt um, besonders in den heiklen Vierteln, aber es wurde allmählich etwas weniger. Dementsprechend koordinierte ich meine Leute wieder aktiver, war selbst bis zu einem gewissen Grat zurück auf den Straßen. Mitunter deshalb, weil ich mit Ashton an einem Plan arbeitete, andere kriminelle Banden der Insel ins Visier des Gesetzes zu schubsen. Ich wollte in Havanna meine Ruhe haben und das war die effektivste Lösung dafür. Wenn die Bullen nicht genug von der Pseudo-Konkurrenz verhafteten, musste ich den Rest zwar schlimmstenfalls verschwinden lassen, aber das war dann ein Problem für später. Hauptsache der Fokus verschob sich aus der Stadt raus in abgelegenere Regionen. Da fanden sie zwar nur andere Drogen als Meth, aber es würde reichen, um sie den Vorfall am Hafen erstmal vergessen zu lassen, weil sie sowieso nicht vorwärts kamen. Leichen waren da auch leichter zu beerdigen als in der Hauptstadt. Dank der Rothaarigen war mein Leben trotz der anhaltenden Ärgernisse aus unternehmerischer Sicht deutlich weniger trist. Ich wachte gerne neben ihr auf, saß gerne mittags – unser früher Morgen – mit ihr am Tisch, wenn wir beide noch nicht richtig wach waren und ließ mir zwischenzeitlich sogar gern von ihr auf die Finger hauen, weil ich den Alkohol zurück in den Schrank stellen sollte. Der Streit dabei endete nämlich meistens damit, dass wir uns auf sexueller Ebene versöhnten. Örtlich variabel, eben ganz je nachdem, nach welchem der unzähligen Verstecke für Hochprozentigen ich hatte greifen wollen. Wenn ich Zeit dafür hatte, besuchte ich sie hin und wieder in der Bar und zog ihre Pausen versehentlich etwas in die Länge. Mann musste ja sicher sein, dass sie tiefenentspannt weiterarbeiten konnte. Heute hatte ich allerdings in kurzen Abständen einige Sachen auf der To-Do-Liste abhaken müssen und als ich damit fertig war, war es schon gegen 1 Uhr morgens. Ich fuhr also direkt nach Hause und hakte den üblichen Ablauf des Nachhause-Kommens ab, den ich mir angewöhnt hatte, als Cosma nicht hier gewohnt hatte. Erst ging ich duschen, weil ich geschwitzt hatte, bunkerte die Pistole daraufhin dann schon an ihrem Platz auf dem Nachtkästchen und schenkte mir auf der Kommode ein paar Schlucke Whiskey ein. Als Belohnung für mein kontinuierliches Durchhaltevermögen auf allen Ebenen, weil mein Leben grundsätzlich anstrengend war. Ich trank trotzdem insgesamt weniger, seit Cosma zurückgekommen war. Es gab zwar noch immer keinen Tag, an dem ich gar nicht trank, aber ich versuchte – mit ihrer zeitweisen Unterstützung, wenn ich doch wieder die Kontrolle verlor und sie es mitbekam – sehr langsam auf Null zu kommen. Ein sanfter Entzug. Sehr sanft und sehr langsam, aber fast stetig. Weil ihre Bemerkung neulich bis jetzt noch an meinem Ego kratzte, raffte ich mich zusätzlich wieder häufiger zum Training auf. Nicht nur, weil ich wieder besser aussehen wollte, sondern auch, weil es für mein Leben eigentlich unverzichtbar war. Ich brauchte Kraft, um zuschlagen zu können und Ausdauer war auch ein guter Überlebensbonus in so mancher Situation. Als ich die Haustür durch die offene Schlafzimmertür hörte, hielt ich inne und zog die Augenbrauen zusammen. Es dauerte ein paar Sekunden, in denen ich mich nicht rührte, bis ich zweifelsohne Cosma identifiziert hatte – durch die Art, wie unsanft sie ihren Schlüssel ans Brett im Flur knallte. Sie konnte den irgendwie nicht mit Gefühl aufhängen. Warum war sie schon Zuhause? Die Bar hatte noch offen. Mit einer fließenden Bewegung zog ich das Glas von der Kommode und ging nur mit kurzer Jogginghose bekleidet in den Flur. “Schon Zuhause?” Sie hätte mich glatt dasselbe fragen können. Ich ging die Treppe eher gemütlich runter, weil der Muskelkater mir jeden Schritt unangenehm machte, und musterte Cosma dabei erstmals etwas genauer. Mir fiel die Tüte ins Auge. “Warst du einkaufen?”, hakte ich nach, hob dabei etwas irritiert die rechte Augenbraue. Sie hatte nichts dergleichen erwähnt. Nicht, dass sie das zwingend musste: Sie war schließlich alt genug, um alleine Shoppen zu gehen. Trotzdem ließ sie es mich normalerweise vorher wissen. Ich erkundigte mich – ein bisschen aus Kontrollzwang, ein bisschen aus Interesse, ein bisschen aus Sorge – beinahe jeden Tag nach ihren Plänen, weil ich einfach gerne wusste, wo sie war. Nur für den Fall, dass ich vielleicht wieder Leichen für sie entsorgen musste. Falls die Italiener doch nochmal beschlossen, sich Sabin und mich holen zu wollen. Oder falls die Mexikaner zu uns rüber schwammen, um Hallo zu sagen, was sicher früher oder später passieren würde. Es gab weit mehr als eine Sache, die Cosma als meine Partnerin fürchten musste und sie sollte nicht meine Fehler und Taten ausbaden müssen. Also war es für mich immer gut und auch wichtig zu wissen, wo sie war, damit ich sie schützen konnte.
Irina hatte den zweiten Laden im Schnelldurchlauf abgeklappert und kam mir ein Stück entgegen, als ich mich mit unseren Tüten bewaffnet gerade auf den Weg zur Tür gemacht hatte. Fluchte dabei und natürlich verstand ich auch dieses Mal kein Wort, weshalb ich sie kurzzeitig schief ansah. Sie winkte ab und ich beschloss, vorerst keine Rückfragen zu stellen, bis wir wieder aus der Mall raus und in Sicherheit waren. Ich bedankte mich noch mit einem Lächeln und den Worten "Du sieht gut aus, vielen Dank." für die Kette, welche sie mir mitgebracht hatte, dann nickte ich in Richtung Ausgang und bedeutete der Schwarzhaarigen, dass es an der Zeit war. Der Rückweg verlief ähnlich reibungslos wie der Einbruch selbst und so tigerten wir wenig später gemeinsam in Richtung Bar zurück. Dabei achteten wir stets darauf, unsere Köpfe so tief wie möglich in den Kapuzen unserer Pullover zu verstecken. In die Sackgasse hatte sich zwar weiterhin keine einzige Menschenseele hin verirrt, aber je näher wir der Smith'N'Wesson kam, umso häufiger liefen uns vereinzelt ein paar Menschen über den Weg, die sich von den Feuerwerk-Sammelplätzen entfernten. Natürlich waren wir nicht die einzigen, die mit irgendeiner Art von Tasche unterwegs waren, aber wir mussten nicht unnötig riskieren, mit dem Einbruch in Verbindung gebracht zu werden, weil uns jemand aus der Sackgasse hatte kommen sehen. Früher oder später würde auffallen, dass einige Glasscheiben eingeschlagen und zwei Läden beklaut worden waren. Also better safe than sorry. Eigentlich hatte ich ja auch nicht vorgehabt, heute noch einmal in die Bar zurückzukehren, hielt es aber - ebenfalls aus Sicherheitsgründen - für eine sinnvolle Idee, getrennt den Weg nach Hause einzuschlagen. Außerdem hatte die Russin sich verletzt, wie ich nach einer Unterhaltung auf dem Rückweg erfahren hatte und ich wollte mir das ganz einfach kurz ansehen, desinfizieren und verbinden. Kuba war ohnehin schon kein besonders hygienisches Land, ich wollte mir deshalb gar nicht erst vorstellen, wie viel Dreck und Keime sich an dem Zaun befunden hatten, über den wir geklettert waren. Als fürsorgliche Freundin war es daher quasi meine Pflicht, Irina notdürftig zu versorgen, bevor wir uns jeweils getrennt voneinander ein Taxi bestellten. Ich bedankte mich bei der jungen Frau noch für den tollen Abend, dann ging jeder seiner Wege. Das Adrenalin war inzwischen wieder gänzlich aus meinem Körper gewichen und müsste ich bildlich beschreiben, wie es mir ging, würde ich mich als durchgekautes und ausgespucktes Kaugummi beschreiben. Die Energie hatte mich verlassen und ich sehnte mich nach meinem Bett. Ich bat den Taxifahrer unweit der Villa rechts ranzufahren, die letzten Meter würde ich zu Fuß gehen. Ich kramte aus mein Portemonnaie aus der Handtasche und legte noch ein ordentliches Trinkgeld obendrauf, bevor ich mich von dem kubanischen Mann mittleren Alters verabschiedete. Gedanklich lag ich quasi schon im Bett, als ich die Auffahrt zur Haustür entlang schlurfte, bis ich im Augenwinkel Hunters Wagen wahrnahm. Ich hielt einen Moment inne, in dem ich meinen Blick abwechselnd zwischen meiner Tasche mit dem Diebesgut und dem Auto hin- und herwandern ließ. Als ich realisierte, dass es für mich vorerst wohl keinen ruhigen Schlaf geben würde, legte ich mit dem Anflug von Genervtheit meinen Kopf in den Nacken. Für eine schier unendlich lange Zeit sah ich in den glasklaren Nachthimmel hinauf, bis ich meinen Weg zur Haustür mit einem tiefen Seufzer fortsetzte. Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass der Amerikaner ausgerechnet heute einmal früher Zuhause war als sonst, aber irgendwie war an dem Abend auch alles erschreckend glatt gelaufen. Da musste natürlich mein Freund daherkommen. Ich hätte Geld darauf verwetten können, dass er gleich einen Streit vom Zaun brechen würde, wenn er erfuhr, woher ich plötzlich die Klamotten hatte. Ich hoffte kurzzeitig noch darauf, dass er sich zufällig am anderen Ende des Hauses befand und ich somit gerade noch genug Zeit hatte, die Tasche in einen Schrank unweit der Haustür zu werfen, damit er die Tüte gar nicht erst sah und entsprechend keine Rückfragen stellte. Jener Hoffnungsschimmer verpuffte allerdings ziemlich schnell wieder... Kaum hatte ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen lassen und mich des Schlüssels entledigt, kam mir der unfassbar gut aussehende junge Mann auch schon von der Treppe aus entgegen. Und sprach mich natürlich sofort auf die Klamotten an. Verflucht seist du, dachte ich und folgte Hunters Blick. Wenn er schon so früh Zuhause war, hätte er sich dann nicht irgendwie sinnvoll beschäftigen können, anstatt mir förmlich aufzulauern? Es wäre auch zu schön gewesen um wahr zu sein. Wäre Hunter nicht da gewesen, hätte ich meine Beute direkt in die Waschmaschine schmeißen und beim Aufhängen etwaige Rückfragen damit begründen können, dass es sich hier um die Kleidung handelte, die ich bei meinem überstürzten Auszug aus Richards Bungalow hatte zurücklassen müssen. Die Aussage konnte ich jetzt aber leider nicht bringen, dafür baumelten die Preisschilder noch viel zu offensichtlich aus prall gefüllten Tüte. Da ich Hunter aber auch nicht anlügen wollte - das hasste er in der Regel noch mehr als die nackte Wahrheit -, entschied ich mich, seiner Frage erst einmal mit einer Gegenfrage auszuweichen. "Das Gleiche könnte ich dich auch fragen. Hattest du heute nicht einen vollen Terminkalender?", fragte ich ruhig, sichtlich erschöpft, in der Hoffnung, so einem Streit eventuell aus dem Weg gehen zu können. Normalerweise besuchte er mich regelmäßig in meiner Bar, was er heute allerdings nicht getan hatte, eben aus dem Grund, dass er alle Hände voll zutun hatte. Bei einer Unterhaltung am gestrigen Tag hatte ich ihn wissen lassen, dass das gar nicht schlimm war, weil es bei mir nicht besser aussehen würde. Wir hatten also beide einen guten Grund, etwas misstrauisch zu sein. Er war genau so zu früh Zuhause wie ich auch. Was ich auf seine Frage bezüglich der Tasche antworten sollte, wusste ich nicht. Zuckte deshalb schwach mit den schmalen Schultern. "So ähnlich. Es gab sozusagen einen Silvester Schlussverkauf.", erklärte ich, würde behaupten, ihn damit nicht angelogen zu haben. Nur... naja, vielleicht hatte ich das ein oder andere wichtige Detail weggelassen, aber die Wahrheit war ja auch gewissermaßen dehnbar. "Ich hab ein paar schicke Sachen gefunden. Schau mal.", versuchte ich Hunter schließlich davon abzulenken, woher ich das Zeug hatte und zog das dunkelgrüne Kleid aus der Tüte, um damit vor seiner Nase herum zu wedeln. Dass ich ihm damit quasi das Preisschild direkt vor die Augen hielt, fiel mir erst dann auf, als es schon zu spät war, denn selbst bei einem Schlussverkauf hätte das Teil sicherlich noch einige hundert Dollar gekostet.
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Ich nickte langsam, während ich die letzten Stufen runterging. Obwohl ich es nicht leiden konnte, wenn mir Jemand eine Frage nicht sofort beantwortete, hängte ich mich daran nicht auf. Oder zumindest nahm ich mir vor, das nicht zu tun, falls sie mir im Lauf der nächsten Minute noch zufriedenstellend beantwortet wurde. Erstmal antwortete ich also auf die Gegenfrage der Rothaarigen. “Wer effektiv arbeitet, kann früher aufhören… mit dem Muskelkater hatte ich keinen Bock drauf, länger als nötig unterwegs zu sein.”, erklärte ich der jungen Frau ruhig und schloss dabei die letzten paar Schritte in ihre Richtung auf. Abgesehen davon, dass ich tatsächlich alles erledigt hatte, was ich selbst hatte abhaken wollen, hätte ich aber genauso gut einfach meinen dreiköpfigen Höllenhund – wie ich das Team aus meinen drei wichtigsten Männern zwischenzeitlich schimpfte – den Rest machen lassen können, hätte ich es mir spontan anders überlegt. Bei Cosma funktionierte das mit der Bar jedoch oft nur bedingt. Gerade heute war eigentlich einer dieser Tage, an denen sie theoretisch selbst anwesend sein musste. Sie hatte genauso wie ich gerne alles unter Kontrolle, was ihre eigenen vier Geschäftswände betraf. Der Jahreswechsel war einer der ertragreichsten Tage des ganzen Jahres. Praktisch war das anscheinend aber doch variabel, sonst stünde sie jetzt nicht hier vor mir im Flur und würde irgendetwas von einem Schlussverkauf zum Jahreswechsel faseln. Wenn ich sie so musterte, dann wirkte sie mir jedoch etwas zu erschöpft für einen vorzeitigen Feierabend und eine entspannte Shoppingrunde am Nachmittag. Außerdem passte das zeitlich auch überhaupt nicht. Wann hätte sie das machen sollen? Eine so volle Tasche brauchte Zeit. Ich hatte trotzdem noch nichts erwidert und musterte von meinem eigentlichen Gedankengang abgelenkt das Kleid, das die Rothaarige aus der Tüte zog. Es sah gut aus und würde an ihren Kurven sicher gleich nochmal viel besser wirken. Die kurze Länge war auch äußerst praktisch, so aus meiner Sicht. Deswegen lächelte ich. Auch dann noch, als mir das Preisschild ins Auge gefallen war und ich zurück in Cosmas Gesicht blickte. “Hmmm, das wird gut an dir aussehen…”, murmelte ich angetan von der Vorstellung, streckte jedoch im gleichen Moment an dem Stoff vorbei die freie linke Hand nach ihrem Kiefer aus. Erst streichelte ich nur mit dem Daumen die Kontur entlang, griff dann aber plötzlich zu. Nicht so, dass es sehr weh getan hätte, aber Cosma sollte merken, dass sie auf dünnem Eis zu tanzen begann. “Und wann genau soll dieser Sale gewesen sein, hm? Warst du da noch, bevor du zur Bar gefahren bist?” Das Lächeln klebte versteinert an meinen Lippen, aber meine Augen funkelten kalt. “Weil ich mich daran erinnere, dass du gesagt hast, dass du da direkt hinfährst und dass du heute Stress haben wirst…” Schien mir also doch auch sehr unwahrscheinlich, dass die Rothaarige dann spontan aus der Bar heraus nochmal los gesprintet war, um kurz vor Ladenschluss noch die letzten Teile abzugreifen. Teure Teile. Teile, die gar nicht reduziert waren, gemessen am Preisschild. “Und seit wann bezahlst du dermaßen viel Geld für Klamotten? Nicht reduzierte Klamotten? Ich kenn’ dich in Sneakern und Pullovern, das sieht dir so gar nicht ähnlich.” Sie lief bis heute noch sehr gerne darin rum, obwohl sie das nicht müsste. Von mir aus konnte sie sich alles kaufen, was sie wollte. Ob von meinem Geld oder von den Prozenten, die sie von mir fürs Waschen meiner Blüten bekam, oder einfach von den regulären Erträgen der Bar, wäre mir komplett scheißegal. Aber Diebstahl? Obwohl es so ganz offensichtlich vollkommen unnötig war? Obwohl das gerade in der aktuellen Situation ein höheres Risiko darstellte? Sie sollte mir nicht so dreist ins Gesicht lügen, sondern mir gefälligst sagen, woher das Zeug kam.
Gott, wie ich es hasste, dass Hunter förmlich ein Gespür dafür zu haben schien, wenn etwas im Argen lag. Vor diesem Mann konnte man so gut wie nichts geheim halten - nicht einmal so eine Kleinigkeit. Dass er sofort wieder handgreiflich wurde, hatte ich bereits befürchtet, war nicht überraschend gewesen. Dafür hatte wiederum ich irgendwie einen sechsten Sinn. Alleine seine scheinheiligen Aussagen ließen darauf schließen, dass er sich mit meinen Antworten nicht wirklich zufrieden gab und, wenn nötig, aus mir herausquetschen würde, was er wirklich hören wollte. Nämlich die Wahrheit mit all ihren Details, die ich bewusst weggelassen hatte. Andere hätten vor Schreck jetzt wahrscheinlich die Tasche fallen lassen und um Vergebung gebeten, aber ich blieb stur und umklammerte die Henkel fest, bis meine Fingerknöchel weiß durch die darüberliegende Haut hindurchschimmerten. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen, ein verärgertes Funkel lag in meinem Blick, als ich versuchte den Kopf aus der menschlichen Schraubzwinge - aka Hunters Hand - zu winden. Es hätte mich allerdings stark gewundert, wenn er es mir so einfach gemacht hätte. "Ich war auch in der Bar und hatte Stress.", versicherte ich ihm erst einmal, dass ich ihn in diesem Punkt definitiv nicht angelogen hatte. Bis Irina aufgetaucht war, hatte mein Alltag aus der Zubereitung von Drinks, dem Abwischen von Tischen und dem Aufräumen zurückgelassener Habseligkeiten meiner Gäste bestanden. Hier hatte einer seinen Schal vergessen, da war eine abgelegte Brille nicht mitgenommen worden. Gerade die letzten beiden Szenarien hatte ich oft gleichzeitig machen müssen, weil sich die Menschenmassen förmlich die Klinke in die Hand gegeben hatten. Entsprechend musste ich die Plätze sofort nach Verlassen der vorherigen Gäste wieder herrichten. Klar, hätte ich auch einfach nicht machen oder an einen meiner Angestellten delegieren können, aber dadurch zeichnete sich meine Bar nicht aus. Ich legte noch einigermaßen Wert auf ein sauberes und ordentliches Etablissement, wo auch der Chef - beziehungsweise die Chefin - auch mal selbst mit anpackte. Anita und die anderen hatten auch nicht viel weniger zutun. Eine weitere Sache, für die ich Hunter regelrecht verfluchte, war, dass er sich selbst Kleinigkeiten zu merken schien, die in achtzig bis neunzig Prozent eigentlich keinerlei Bedeutung oder Anwendung in einem Gespräch oder Ähnlichem fanden. Die nicht erwähnenswert waren, womit man sich nicht bei neuen Leute vorstellte. Zum Beispiel mein Stil. Dass ich abgenutzte Sneaker und allgemein eher bequeme Sachen trug, für die ich ungern viel Geld aus dem Fenster warf. Wäre ich eine aufgebrezelte Schickimicki-Tusse gewesen, die seit ihrer Geburt im Geld ihres reichen Vaters badete, hätte das alle hier ganz anders ausgesehen. Dann wäre Hunters Punkt vollkommen haltlos gewesen, hätte gar keinen Sinn ergeben, aber so? Ich schnaubte und unterdrückte damit ein sarkastisches Lachen. Was machte ich mir eigentlich vor? Ich konnte ihm ja wirklich nichts verheimlichen. "Man, ich bin früher raus. Eine Freundin kam auf die Idee, in die Mall nahe der Bar einzusteigen, um da ein paar Klamotten mitgehen zu lassen. Aktuell wird da gebaut, es war niemand vor Ort und es ist nichts passiert. Niemand hat uns gesehen.", gestand ich ihm schließlich etwas schnippisch, woher ich das neue Kleid und den Haufen anderer Klamotten wirklich hatte, betonte dabei auch insbesondere noch mal, dass uns niemand gesehen hatte und alles reibungslos abgelaufen war. So als würde das irgendein Unterschied machen. Auch ließ ich Irinas Namen aus dem Spiel, war mir aber ziemlich sicher, dass Hunter ohnehin wusste, mit wem ich unterwegs gewesen war. Auf Kuba hatte ich nämlich genauso wenige Freunde, wie damals in Norwegen. Die Russin war die erste Freundin seit Langem, mit der ich regelmäßiger etwas unternahm. "Und jetzt lass mich los, verdammt. Warum musst du eigentlich immer gleich handgreiflich werden?", kombinierte ich einen Befehl und eine Frage, die ich ihm in aller Regelmäßigkeit bei unseren Streitereien stellte. Als wüsste ich die Antwort nicht schon seit einer gefühlten Ewigkeit.
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Die Muskeln in meiner Hand verkrampften sich, als ich durch ihr Rumgezappel dazu gezwungen war, Cosma doch noch fester zu halten. Ich ließ sie trotz der schmerzenden Muskulatur nicht los, sondern saß es einfach aus. Sie sollte mich gefälligst ansehen und mir nicht ausweichen. Immerhin schien meine Freundin mir heute Mittag nicht vorsätzlich falsche Tatsachen aufgetischt zu haben. Gut für uns beide, denn das hätte definitiv alles noch schlimmer gemacht. Ich stritt mich zwar gerne mit ihr, aber wenn dabei Lügen ins Spiel kamen, wurde ich eine ganze Stufe ungemütlicher. Ob man im Folgenden ihren Silvester Schlussverkauf als solche abtun konnte, darüber ließ sich gesondert von meinem eigentlichen Problem mit dieser Angelegenheit streiten. Gewissermaßen waren Dinge quasi sehr stark reduziert, wenn man sie einfach umsonst mitgehen ließ. Nur legal war das nicht und als Verkauf konnte man es auch nicht bezeichnen. Ansichtssache, aber das Kernproblem hier war erstmal ein Anderes. Während Cosma sprach, ging eigentlich alles, was mit es ist nichts passiert zu tun hatte, komplett zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Es war schon gut und wichtig, dass die beiden Frauen nicht gesehen wurden und keiner sie am Kragen festgehalten hatte, doch es hätte mehr als eine Sache dabei schiefgehen können. Das war es, was mich jetzt wütend werden ließ. Zwischenzeitlich war mir das Lächeln aus dem Gesicht gefallen und ich funkelte Cosma nur noch dunkel an. “Ach und das wusstest du vorher? Dass es kein Wachpersonal gibt?”, knurrte ich rhetorische Fragen zu ihr runter und verpasste ihrem Kopf dabei einen kurzen Ruck. Ich hätte sie lieber richtig geschüttelt, aber sie brauchte ihren hübschen Kopf noch – damit sie bestenfalls zukünftig keine derartig leichtsinnige Scheiße mehr abzog. Es wäre nicht nur übel, sondern auch verdammt peinlich, wenn sie wegen eines läppischen Ladendiebstahls verhaftet wurde, während ich mit ganz anderen Dingen beinahe ohne Konsequenzen davonkam. “Es sind genau solche beschissenen spontanen Ideen, die schiefgehen. Ich habe dir nicht umsonst gesagt, dass viele Bullen unterwegs sind.”, predigte ich weiter, so als hätte ich noch nie aus einer Laune heraus etwas Dummes getan. Gerade ich war für mein wechselhaftes Gemüt bekannt, aber ich war hier heute mal nicht das Problem. Abgesehen von dem schmerzhaften Griff um den Kiefer der jungen Frau vielleicht. Ich ließ sie aber noch nicht los, war noch nicht ganz fertig. “Und die Freundin erst…”, schnaubte ich, schüttelte verständnislos den Kopf. Cosma war genauso wie ich ein ziemlich einsamer Wolf, was einer der Gründe war, warum wir gut miteinander auskamen. Wir ließen uns gegenseitig Freiraum, weil wir ihn beide brauchten. Scheinbar glaubte sie jedoch, dass damit auch Narrenfreiheit einherging und da legte ich dann definitiv mein Veto ein. Vor allem, wenn es dabei um dieses russische Miststück ging, dass ich nach wie vor am liebsten im Hafen ertränken würde. “...du kannst der nicht trauen, verdammt. Die lügt ohne dabei verlegen zu blinzeln. Wenn du dich schon mit ihr einbuchten lassen willst, dann halt sie vorher wenigstens von meinen Blüten fern.” Mit diesen Worten ließ ich Cosmas Kopf stoßartig los, um sie leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen und griff ohne Umschweife nach der Tasche, entriss sie der Rothaarigen gewaltsam. Den Whiskey hielt ich in der anderen Hand bewusst auf Abstand, um nichts von dem teuren Tropfen zu verschütten. Cosmas letzte Frage gedachte ich, so wie immer, nicht zu beantworten. Sie loszulassen, war Antwort genug. Ich hasste es, wenn Irina sie in der Bar besuchte. Da ich Cosma von Anfang an gesagt hatte, die Tatsache, dass ich ihr das Geld für die Bar – quasi als zinsfreien Kredit – vorstreckte, würde nichts daran ändern, dass es ihre Bar und nicht meine sein würde, war der maßgeblich entscheidende Grund dafür gewesen, dass sie es überhaupt in Erwägung gezogen hatte und letztendlich darauf eingegangen war. Meine Blüten da von ihr waschen zu lassen, änderte daran auch nichts. Ich wäre aber nicht ich, würde ich nicht trotzdem zumindest versuchen, ihr dahingehend etwas anderes einzureden.
Als Hunters Griff um meinen Kiefer immer fester wurde, schossen mir unweigerlich die Tränen in die Augen. Ich hatte weder Probleme beim Atmen, noch war der Schmerz kaum mehr auszuhalten. Der menschliche Körper war nur manchmal eine ziemlich Bitch und versuchte wohl mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Griffel des Amerikaners aus meinem Gesicht zu entfernen. Vielleicht klemmte Hunter aber auch nur sehr ungünstig einen Nerv ein. Ich wusste es nicht, aber es war mir grundsätzlich auch egal. Es nervte mich nur ein bisschen, weil die Tränen gerade nichts anderes taten, als meine Standhaftigkeit zu untergraben. Ich hielt mich wacker auf den Beinen, bot meinem Freund die Stirn und dann fing ich an zu heulen? Wäre die Situation nicht gewissermaßen ernst, hätte ich vermutlich losgelacht, so lächerlich war das. Ähnlich dämlich waren im Übrigen auch Hunters an mich gerichteten Fragen, auf die er aber vermutlich ohnehin keine Antwort erwartet hatte. Anders konnte ich mir nämlich nicht erklären, warum er mir erst einen Ruck gab, der den Tränenfluss nur noch verstärkte und dann sofort weiter redete, mir damit gar keine Möglichkeit einräumte, etwas zu erwidern. Auf die nachfolgenden Worte hätte ich wahrscheinlich klüger reagieren sollen, als mit einem sarkastischen Lachen. Es hatte sich endlich rausgetraut und sich nicht schon wieder als ein Schnauben getarnt, wie es das gerade eben noch getan hatte. Der junge Mann spuckte mal wieder ganz schön große Töne für jemanden, der deutlich mehr auf dem Kerbholz hatte als ich, was ich ihm postwendend unter die Nase rieb. "Ach so, wenn du dich dazu entschließt, irgendeinen Deppen auf der Straße zu verprügeln, Drogen am helllichten Tage zu verticken oder dir ganz spontan der Sinn nach Mord und Totschlag steht, dann ist das okay, aber wenn ich mal Blödsinn mache, wird mir das direkt angekreidet?", blaffte ich zurück und stolperte einen Schritt nach hinten, weil Hunter meinen Kiefer plötzlich losgelassen und mir infolgedessen noch einen Schubs mitgegeben hatte. Hätte das Adrenalin nicht schon längst wieder Besitz von meinem Körper ergriffen und sämtliche Muskeln in weiser Voraussicht angespannt, dann wäre ich ziemlich ungünstig auf meine vier Buchstaben gefallen. Hätte mir im worst case dabei das Steißbein gestaucht, was alles andere als ein angenehmer Schmerz war. Innerlich kochte ich gerade vor Wut, hätte Hunter am liebsten ohne Vorwarnung meine flache Hand ins Gesicht gedonnert, würde sich just in diesem Moment nicht die Müdigkeit unterschwellig zu Wort melden. Das Klopfen war zwar sehr leise, kaum hörbar durch das Rauschen des Adrenalins, aber es war da und ich beschloss deshalb, einmal tief durchzuatmen. Kurz meine Gedanken zu sammeln und die Hand an meinen schmerzenden Kiefer zu heben, um zu prüfen, ob der Knochen noch ganz war. Diese Aktion war zwar vollkommen unnötig, wäre es mir bestimmt deutlich beschissener gegangen, hätte der Amerikaner wirklich etwas kaputt gemacht, aber ich konnte gegen den Drang, mich mit den eigenen Fingern davon zu überzeugen, dass noch alles heil war, nicht mehr ankämpfen. Anschließend atmete ich erneut durch. Dieses Mal, weil Hunter mir die Tasche aus der Hand gerissen hatte. Ich ahnte bereits, was er vorhaben könnte und schloss kurz die Augen, als würde es mir dabei helfen, diese Situation irgendwie zu meinem Vorteil zu wenden. Als ich den Mund wenig später öffnete, kamen erstaunlich versöhnliche Worte über meine Lippen. Insgesamt wurde ich etwas ruhiger. Wollte ich es jetzt etwa mit Vernunft und Ruhe versuchen? Ich konnte es selbst kaum glauben. "Hör' zu. Ich weiß, du hast mir gesagt, ich soll aufpassen wegen den Bullen. Aber wir waren wirklich vorsichtig. Haben alles abgecheckt. Ich brauchte einfach ein bisschen Action. Und warum sollte ich die nicht damit verbinden, meinen Kleiderschrank ein bisschen zu füllen?" Die Antwort auf meine Frage war dabei recht simpel, quasi selbsterklärend: Das Risiko, bei einer solchen Aktion erwischt zu werden, war verdammt hoch. Es hätte nur ein Mensch uns dabei beobachten müssen, wie wir über den Zaun geklettert waren. Ein Anruf bei der Polizei und der Drops war gelutscht. Was hätten wir denn im Inneren der Mall großartig ausrichten können? Ohne Waffe oder einen richtigen Plan wären wir schlichtweg eingebuchtet worden. Also ja, ich konnte den Unmut des Amerikaners verstehen, aber war das umgekehrt auch der Fall? Konnte Hunter nachvollziehen, dass ich auch mal eine kleine Auszeit von meinem sonst eher tristen Job in der Bar brauchte? Als er auf Irina zu sprechen kam, zuckte mein rechtes Augenlid wie von selbst. Ich gab mir wirklich Mühe, mich zu beherrschen, es ausnahmsweise mal auf die vernünftige Art zu versuchen, zu ihm durchzudringen, aber je länger er redete, umso mehr kochte die Wut wieder in mir hoch. Ich wusste, dass er der Schwarzhaarigen nicht vertraute und auch in dem Punkt konnte ich verstehen warum, aber so wie Hunter gerade die Tatsachen verdrehte, hörte es sich so an, als würde ich Irina haarklein über seine Geschäfte informieren. So als wüsste sie von den Blüten, die ich in meiner Bar für ihn unter die Leute mischte. Ich war weiterhin stets bemüht, die Fassung nicht zu verlieren, aber es wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer, was sich aus meinen nächsten Worten deutlich heraushören ließ. Meine Stimme schwankte zwischen versucht freundlich, beschwichtigend und herausfordernd sarkastisch. "Denkst du ernsthaft, Irina weiß davon? Traust du mir wirklich zu, dass ich gerade mit ihr über deine Geschäfte rede, wo ich doch weiß, was da alles gelaufen ist? Ich mag sie, ja, und ich werde auch weiterhin Zeit mit ihr verbringen, aber das bedeutet nicht, dass ich so blöd bin, ihr von deinen Machenschaften zu erzählen.", stellte ich klar, dass er dahingehend nichts zu befürchten hatte. Er sollte viel mehr Angst davor haben, dass wir ihn nicht beide irgendwann gemeinsam im Schlaf erwürgten. Dass ich mit Irina nicht über Hunters Geschäfte sprach, hatte im Übrigen nichts mit der jungen Frau an sich zutun. Auch Richard, Sabin, Anita, sowie Horst und Mohammed aus der Bar hätte ich nichts von alledem hier erzählt, weil das einfach selten dämlich gewesen wäre. Je weniger Menschen wussten, was der Amerikaner so trieb, umso sicherer waren wir alle. Ganz einfach. Eine Frage stellte sich mir nach all dem Theater aber noch. "Was hast du damit jetzt vor?", fragte ich und deutete mit einem Nicken auf die Tasche in Hunters Händen. Ich befürchtete fast, dass er mir die Arbeit mit dem Wäschewaschen wohl eher nicht abnehmen wollte.
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Ich fand nicht mehr so viel Gefallen wie früher daran, wenn Cosmas Augen glasig wurden. Damals hatte ich daran Spaß gehabt und erst recht dafür gesorgt, dass die Tränen kullerten. Jetzt verspürte ich diesen Drang nicht mehr. Ich wollte nicht, dass sie weinte – noch weniger aber wollte ich, dass sie erneut die Aufmerksamkeit des Gesetzes auf sich und damit auch auf mich zog. Ein Lachen war auch nicht unbedingt das, was ich in diesem Moment von der Rothaarigen erwartete. Das provozierte mich eher und das wusste sie auch. Das, was sie kurz darauf zurück spuckte, machte es nicht unbedingt besser. Ich zögerte jedoch nicht, zurückzuschießen. “Was denkst du eigentlich, wie ich hier arbeite?” Eine rhetorische, trockene Frage. “Ich bin von Kopf bis Fuß tätowiert, mich zu identifizieren ist scheiß einfach. Seit wir Oslo verlassen haben, gehe ich keine einzige Nacht mehr ohne Maske raus. Nicht, wenn ich weiß, dass ich mir die Hände schmutzig mache.” Ein unnötig förmlicher Ausdruck dafür, dass ich Menschen umgebracht. Die junge Frau sah mich nicht grundlos immer mit langen Ärmeln und langer Hose in die Nacht aufbrechen. Maske und Handschuhe bunkerte ich im Wagen. “Außerdem mache ich tagsüber gar nichts, maximal die Jungs und auch nur dann, wenn es akut notwendig ist. Wenn ich jemandem die Zähne rausprügeln will, dann warte ich, bis es dunkel ist. Wir sind zu nah an den Staaten, als dass ich es riskieren würde, dass meine Fresse Irgendjemandem mitsamt Straftat im Gedächtnis bleibt. Wenn mich Jemand erkennt, dann wars das nämlich. Ich hab verdammt nochmal keinen Bock drauf, ein drittes Mal neu anzufangen… verzeih’ also, dass ich deinen Blödsinn nicht tolerieren kann, weil bei mir eine lebenslange Haftstrafe oder mindestens riesiger logistischer Aufwand davon abhängt.” Den letzten Satz knurrte ich mit Nachdruck zu ihr rüber, weil ich manchmal wirklich das Gefühl hatte, dass Cosma komplett der Weitblick für dieses Metier und die Konsequenzen fehlte. Was insofern Sinn machte, dass sie sich mit solchen Dingen nicht täglich herumschlug und abgesehen von meinen Blüten nie damit in Kontakt kam. Sie musste mit sowas wie diesem kleinen Diebstahl, der niemanden außer sie selbst gefährdet hatte, keine schlimme Strafe fürchten. Schlimmstenfalls bekam sie sechs Monate, wahrscheinlicher war jedoch eine Geldstrafe. Sollte sie also ruhig nach ihrem Kiefer tasten und sich meiner Wut über diesen Leichtsinn bewusster werden, denn ich nahm das nicht auf die leichte Schulter. Dennoch versuchte ich, Cosmas folgenden Sätzen Gehör zu schenken, was hauptsächlich daran lag, dass sie im Gegensatz zu mir nicht laut wurde, sondern fast sowas wie zu schlichten versuchte. Bei meinen Geschäften war ich bekanntermaßen leider überempfindlich. “Es geht hier nicht darum, dass ich dir keinen Spaß gönne.”, seufzte ich angestrengt. Es ging nur um die Rahmenbedingungen davon. Dazu gehörte auch Irina, die ich als generelle Sicherheitslücke einstufte. Das würde sich so bald auch nicht ändern, was Cosma wiederum wütend zu machen schien. “Nein.”, war meine erste, sehr schlichte Antwort darauf, ob ich glaubte, dass die Rothaarige zwitscherte. Daraufhin nahm ich jedoch erstmal einen Schluck aus dem Glas, weil das meine Form des Durchatmens war. “Würde ich denken, dass du mich hintergangen hättest, würde das hier ganz anders ablaufen”, stellte ich weiter fest. Ursprünglich wollte ich den Satz mit ’...dann wärst du jetzt tot.’ beenden. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann wusste ich jedoch nicht, ob ich das konnte. Ich sagte es nicht, aber ich wusste, dass ich Cosma liebte. Schon nur der Gedanke daran, ihr eine Kugel durch die Stirn zu jagen, war mir unangenehm. Das hatte ich sonst nie. “Aber dir fehlt offensichtlich der Weitblick dafür, was ihr mit diesen Leichtsinnigkeiten anrichten könntet. Wäre jemand dort gewesen, hätte euch das aus dem Konzept gebracht. Du belügst dich selbst, wenn du glaubst, dass ihr auf dem Fluchtweg dann noch penibel darauf geachtet hättet, in keine Kamera zu gucken. Dafür fehlt euch die professionelle Routine. Es reicht ein einziger Fehler, damit sie eure Gesichter haben. Sollten sie Irina schnappen und sie verpfeift dich, wie sie es schon bei Iljah getan hat, obwohl sie ihn doch so, SO gerne hat, dann gibt ihnen das vielleicht genug Gründe, deinen Laden gleich mit umzukrempeln… und es juckt mich nicht im geringsten, wie unwahrscheinlich das ist, weil Havanna eine große Stadt ist. Deine Haare sind auffällig, meine Blüten sind in deiner Bar und Pech reicht, um erwischt zu werden, wenn man verdammt nochmal nicht richtig plant. Dieses Miststück hat beschissenen Einfluss auf dich.”, murrte ich weiter vor mich hin und unterstrich meinen Ärger mit einer energischen Handgeste samt Glas. Wenn die Polizei keine Hinweise auf die Täter hatte, würde die Anzeige gegen Unbekannt ins Leere laufen und ich musste schlicht darauf hoffen, dass genau das passieren würde. Es kotzte mich echt an, dass Cosma sich ausgerechnet mit der zweigesichtigen Schlange so gut verstand. Aber was sollte ich dagegen machen? Solange ich keinen ausreichend guten Grund hatte, Irina umzulegen, würde ich mich nicht auf dieser Ebene mit Iljah anlegen. Er transportierte meine Drogen und verdiente damit locker genug Kohle, um mir hier mit versammelter Mannschaft die Fenster einzuschießen. Ich hatte schon genug von den wütenden Mexikanern zu befürchten. Es wäre dumm, verletzte Männer wegen eines dummen Ladendiebstahls zu riskieren, wenn das meine Position längerfristig schwächte. Verbrecherpolitik war auch nicht weniger anstrengend und kompliziert als der Zirkus, den die Regierungen dieser Welt veranstalteten. Als Cosma die Tasche ansprach, sah ich flüchtig darauf hinab und dann zurück in ihr Gesicht. Ich zuckte mit den breiten Schultern, meine Augen funkelten ihr herausfordernd entgegen und mein rechter Mundwinkel verzog sich nach oben. “Anzünden, wenn du weiter so feige bist und nicht mal versuchst, sie dir zurückzuholen.” Kein Scherz. So, wie sie gefragt hatte, war ihr schon klar, dass ich ihr eine Lektion erteilen wollte. Ich stand hier vor der Rothaarigen, hielt weiter den Blickkontakt, begann langsam ein paar Schritte rückwärts in Richtung Terrassentür am anderen Ende des Flurs zu machen und hatte dabei keine Hand frei. Ihre Chancen, mir die Klamotten wieder wegzunehmen, waren in diesem Moment so gut wie nie. Wenn sie so leicht aufgab, trotz guter Gelegenheit zur Umkehrung der Situation, dann war sie als Kriminelle sowieso nicht zu gebrauchen. Dann musste ich mir überlegen, wie ich sie zukünftig davon abhalten würde, so einen Mist zu verzapfen.
Offenbar hatte er nicht das geringste Interesse daran, die ganze Situation auch mal von meiner Seite aus zu betrachten. Hielt mir lieber einen Vortrag darüber, wie bedauernswert sein Job doch war, weil er ohne Vollverschleierung nicht mehr das Haus verlassen konnte, wenn er wieder gegen das Gesetz verstoßen wollte. Als hätte er sich das nicht bis zu einem gewissen Grad selbst zuzuschreiben. Ich verstand ja, dass ich nun zwangsläufig mit in dieser Bubble hing und eine meiner Dummheiten den Amerikaner im schlimmsten Fall lebenslänglich hinter Gitter befördern konnte, ein bisschen Verständnis für mich aufzubringen war doch trotzdem wirklich nicht zu viel verlangt, oder? Es war ehrlicherweise aber auch ein bisschen naiv von mir anzunehmen, dass Hunter dazu überhaupt in der Lage war. Bei den Problemen, die der junge Mann mit sich herumschleppte, war Verständnislosigkeit wohl noch das geringste Übel. Entgegen meiner Annahme, der Amerikaner würde einfach weiter brüllen, schien er nach meinen beschwichtigenden und einlenkenden Worten doch einen Gang runterzufahren. Ließ mich knapp wissen, dass er nicht davon ausging, dass ich Irina über seine Geschäfte unterrichtet hatte und versicherte mir zudem, dass es ihm keinesfalls darum ging, mir keinen Spaß zu gönnen - von wegen. Ansonsten kam da nicht viel mehr bei rum. Ja, er schrie nicht mehr, aber am Inhalt seiner Aussagen hatte sich kaum etwas geändert. Er war unverändert unzufrieden über den Einbruch heute Nacht und zog weiter über die Schwarzhaarige her. Sie hätte einen beschissenen Einfluss auf mich. Hatte er sich mal an die eigene Nase gefasst? Mal darüber nachgedacht, was für einen Einfluss er auf mich hatte? Wenn wir mal außer Acht ließen, dass es mir finanziell mit ihm ein Stück weit besser ging und ich persönlich an und mit ihm wuchs, machte er mich auf der anderen Seite mit seiner Paranoia ganz verrückt. Jeder Mensch war plötzlich eine potenzielle Bedrohung und man musste überall schrecklich aufpassen. Ich war noch nie jemand gewesen, der Fremden blind vertraute, war ohnehin schon überdurchschnittlich misstrauisch, aber seit ich mehr Zeit mit Hunter verbrachte, hatte dieses Misstrauen eine ganz neue Ebene erreicht. Außerdem war es deutlich schwerer, längerfristig irgendwelche sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten, weil ich immer darum bangen musste, dass mein Freund ihnen das Leben aushauchte, nur weil ihm eine Einstellung, die Nase oder ganz allgemein irgendwas nicht passte. War ich am Ende des Tages aber diejenige, die mit dem Finger auf ihn zeigte und ihm Vorwürfe machte oder gar dazu zwingen wollte, sich zu verändern? Irgendwelche Menschen aus seinem Leben zu streichen, nur weil ich der Auffassung war, dass sie ihm nicht guttaten? Nein. Ich akzeptierte ihn so wie er war, mit all seinen Marotten und seinem komischen Gefolge. Himmel, er konnte mich verprügeln und wegsperren - auch dann kroch ich ihm noch zu Kreuze. Langsam fing ich wirklich an, mich zu fragen, ob er nur wegen dem Einbruch so verärgert war oder mehr über die Tatsache, dass ich mich mit Irina so gut verstand und anfing, mich langsam wieder aus dem Trott herauszutrauen, in den ich verfallen war. Nervte es ihn, dass ich mich seit Neuestem wieder vermehrt gegen ihn auflehnte und mein eigenes Ding durchzog, ohne ihn vorher haarklein darüber zu informieren und er im Zuge dessen keine Kontrolle mehr über mich hatte? Meine Gedanken begannen allmählich sich zu überschlagen und ich musste schwach mit dem Kopf schütteln, um wieder einigermaßen klar denken zu können. "Lass' einfach gut sein. Du kannst von ihr halten, was du willst. Ich mag sie und solange sie mir keinen Grund gibt, es nicht mehr zu tun, wird sich daran auch nichts ändern. Ich fand die Idee gut und habe zugestimmt, mit ihr zu kommen. Das kannst du jetzt gutheißen oder nicht, mir egal. Ich hab keine Lust mehr, mich dafür jetzt noch weiter zu rechtfertigen. Du kannst das jetzt akzeptieren oder nicht, auch das ist mir egal. Wenn mir deines Erachtens nach der Weitblick fehlt, dann ist das so. Vielleicht finde ich an einem anderen Tag die Lust dazu, mich deshalb noch mal mit dir zu streiten, aber heute habe ich die definitiv nicht mehr.", gab ich Hunter zu verstehen, dass sich das Thema an der Stelle für mich vorerst erledigt hatte. Er konnte dieses Streitgespräch gerne noch weiterführen, musste dies dann aber mit sich selbst tun. Ich war zu erschöpft, heute weiter gegen den Sturkopf anzureden, obwohl ich normalerweise nicht so einfach klein bei gab. Sollte er von mir aus als Gewinner dieser Konversation sehen. Ich war gerade im Begriff, meinen Arm nach der Tasche auszustrecken, um sie dem Amerikaner wie selbstverständlich wieder abzunehmen, als er plötzlich ein paar Schritte nach hinten machte. Dabei Worte von sich gab, die meine Gesichtszüge im Bruchteil einer Sekunde entgleisen ließen. "Du willst was?", fragte ich fassungslos und schüttelte den Kopf. "Einen Scheißdreck wirst du, weißt du, wie teuer die Klamotten sind?" Gut, ich hatte sie zwar nicht bezahlt, aber ehrlich ergaunert. Er konnte die Tüte doch jetzt nicht einfach in Brand stecken! "Wag' es Hunter, ich schwöre es dir... Wenn du das tust...", knurrte ich und auch wenn ich vermutlich kein bisschen bedrohend dabei aussah, stampfte ich auf ihn zu. Das Ziel vor Augen war, ihn davon abzuhalten, es mit dem Diebesgut bis auf die Terrasse zu schaffen. Das Ende meiner Androhung ließ ich offen, weil ich ehrlicherweise selbst nicht so genau wusste, was ich vorhatte, wenn er seiner Aussage Taten folgen ließ. Irgendwas würde mir aber ganz bestimmt einfallen. Wenn nicht heute, dann wann anders, aber er brauchte sich nicht mit dem falschen Glauben trösten, dass er ungeschoren aus der Nummer herauskäme.
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Ja, genau das hatte ich befürchtet. Meistens waren mir die Sackgassen, in die wir uns mit unseren zu unterschiedlichen Ansichten von Zeit zu Zeit manövrierten, ziemlich egal. Dann endete das Gespräch schlichtweg und entweder wir taten anschließend so, als hätte es nie stattgefunden oder einer von uns rollte die Sache später nochmal neu auf. Manchmal fanden wir Lösungen, manchmal nicht. Im Hinblick auf Irina war es für mich aber mehr als ärgerlich, dass Cosma an ihrer Ansicht festhalten wollte. Wichtiger war mir jedoch, dass sie verstand, dass es mir gar nicht nur darum ging, ihr zu unterstellen, dass sie zu blöd zum richtig Einbrechen war. Oder darum, dass sie sich niemals wieder auf illegale Weise vergnügen sollte. Ich atmete hörbar genervt durch. “Ich habe nicht grundsätzlich etwas dagegen, dass du Gesetze missachtest.” Schon allein deshalb, weil ich das selbst jeden Tag rund um die Uhr tat. Allein diese Villa war ein super Beispiel dafür – versteckte Waffen in jedem einzelnen Raum, nur für den Fall. Weder durfte ich auch nur eine davon besitzen, noch auf dem Schwarzmarkt erworben haben. Beides war trotzdem der Fall. “Aber entweder lernst du von mir, wie man sowas richtig macht, oder du lässt es komplett bleiben. Eine andere Option gibt’s nicht.”, stellte ich klar und verengte dabei leicht die Augen. Dieses Ultimatum war für mich nicht variabel. Auch nicht, wenn sie es nicht beantwortete. Vielleicht war meine Formulierung dennoch ein bisschen zu vage. Ich plante nämlich gewiss nicht, die Rothaarige eigenhändig an die Hand zu nehmen und dann mit ihr Geschäfte ausrauben zu gehen. Doch wenn sie weiter vor hatte, sich gelegentlich hinter die Grenzen des Gesetzes zu bewegen – abseits der recht sicheren Geldwäsche – dann brauchte sie nur darauf zu warten, dass ihr zukünftig ein Schatten am Arsch klebte. Es war zwar Ressourcenverschwendung, aber einen meiner Männer konnte ich für ein paar Wochen locker erübrigen. So oder so arbeitete ich schon zu lange für die Art von Freiheit, die ich hier auf Kuba endlich gefunden hatte. Zusammen mit Cosma, die viel dazu beitrug. Zumindest, wenn sie nicht gerade leichtsinnige Diebstähle durchzog und damit theoretisch unsere ganze Existenz ins Wanken brachte. Ich würde also nicht stumm und tatenlos dabei zusehen, wie sie so weitermachte und unsere gemeinsame Zukunft riskierte. Immerhin flammte die Motivation der Rothaarigen postwendend wieder auf, als sie begriff, was ich mit den geklauten Stoffen vorhatte. Ich konnte nicht anders, als zu grinsen. War sowieso kein Geheimnis, dass ich es mochte, wenn sie wütend wurde. Erst recht, wenn ihr zierlicher Körper dabei plötzlich so süß energisch aufgeladen war. “Dann was? Spuck’s schon aus, ich bin echt gespannt.”, erwiderte ich und es mischte sich ein sehr unterschwelliges Lachen in meine Worte. Es war nicht so, dass ich Cosma gar nichts zutraute – mir zu drohen, war aber relativ schwierig. Obwohl sie sich zugegebenermaßen von allen meinen Mitmenschen noch in der besten Position dafür befand. Als die junge Frau ein weiteres Mal nach der Tasche greifen wollte, zog ich sie reflexartig weg und hob sie anschließend bis über meine eigene Kopfhöhe an. Dabei fiel eine Kette raus, aber die ignorierte ich – hätte sowieso nicht besonders gut gebrannt. Ich war bis jetzt nicht stehen geblieben und die Tür rückte näher. Süffisant grinsend machte ich den Whiskey in einem großen Schluck leer und stellte das Glas beiläufig in einem Regal ab, das eigentlich nur für die Bücher gedacht war, die darin standen. “Chance schon verpasst, ab jetzt wirds schwierig.”, sagte ich schulterzuckend, zog sie mit einem bedauernden Seufzen auf. Es war trotzdem nicht so, als hätte Cosma gar keine Möglichkeit dafür, an die Tasche zu kommen. Ein gezielter Schlag in die Rippen und mein Körper würde dem Reflex nachgeben… sofern sie fest genug schlug zumindest. Genauso gut könnte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht an meinen Arm hängen. Ich war stark, aber nicht Gott. Nicht ganz zumindest. Das einzige, was sie gerade ins Aus beförderte, war ihre eigene Hemmschwelle – dass sie sich nicht traute, obwohl sie von mir verhältnismäßig wenig zu befürchten hatte. Mit dieser Einstellung kam sie in meiner Welt nicht weit. Durchsetzungsvermögen war das A und O.
Das war doch mal eine Aussage, mit der sich etwas anfangen ließ. Es war also okay, wenn ich das Gesetz missachtete, wenn er mich vorher entsprechend trainierte. Klang gut. Zum ersten Mal - wenn es schon mal vorgekommen war, dann erinnerte ich mich schlichtweg nicht mehr daran - lenkte der sonst so sture Hitzkopf mit einem Kompromiss ein, den ich gewillt war, einzugehen. Ich hatte nämlich weder heute noch in der Zukunft vor, mir von Hunter etwas vorschreiben zu lassen. Andererseits hielt sich die Lust, sich ausnahmslos jedes Mal wieder wegen des selben leidigen Themas zu streiten auch sehr stark in Grenzen. Wenn er mich also in Frieden meine Wege ziehen ließ, nachdem er mich in puncto professionell gegen Gesetze verstoßen sensibilisiert hatte, hockte ich mich gerne in seinen Anfängerkurs für Verbrecher. Ich nickte zufrieden und zuckte zeitgleich schwach mit den schmalen Schultern. "Dann wirst du mich wohl anlernen müssen. Aufhören werde ich nämlich ganz sicher nicht.", ließ ich ihn neutral wissen, was ich von seinem Vorschlag, der viel eher nur eine Aussage, ein Ultimatum gewesen war, auf die er vielleicht nicht mal eine Antwort erwartet hatte, hielt. Ob er gehofft hatte, dass ich es einfach ganz bleiben ließ und brav die Füße stillhielt? Tja, wenn dem so gewesen wäre, dann hätte er jetzt wohl Pech gehabt und sich mit seiner Aussage nur ins eigene Knie geschossen. Ich würde nie infrage stellen, ob Hunter meine Anwesenheit schätzte, das tat er zweifelsfrei. Wie lange würde er es jedoch aushalten, einem Menschen mit einem Charakter gar nicht unähnlich zu seinem eigenen, etwas beizubringen? Alleine der Gedanke daran hätte mich fast grinsen lassen. Dass sich meine Mundwinkel gar nicht erst anhoben, war dem albernen Verhalten des Amerikaners zu verdanken. Wie er sich hier gerade aufführte, ließ mich unweigerlich anzweifeln, dass er jemals überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, mich das Überleben auf der Straße zu lehren. Offenbar machte er sich ja gerade ganz ungeniert darüber lustig, dass ich ihm kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Zu sagen, dass mir an dem Punkt beinahe der Kragen platzte, war noch eine Untertreibung. Es war nicht das erste Mal, dass Hunter sich für etwas Besseres hielt, aber mir das mit der Art eines Kleinkindes unter die Nase zu reiben und sich so lächerlich zu verhalten, schlug dem Fass den Boden aus. "Wie kannst du eigentlich ein so ignoranter Großkotz sein.", paukte ich los und mein Gesicht nahm binnen Sekunden eine ähnliche Farbe wie die meiner Haare an. Die Müdigkeit war nach einem langen Kampf schlussendlich irgendwo zwischen den Wellen aus Wut und Unverständnis abgesoffen, meine Augen loderten förmlich und es fehlte wirklich nur noch, dass Hunter die Tüte in Brand steckte, dass ich mit jedem Wimpernschlag selbst eine Feuerfontäne freisetzte. "Findest du das lustig? Ist es das, was dir so Spaß macht? Zuzusehen, wie ich um diese beschissene Tasche kämpfe, obwohl du genau weißt, dass ich dir körperlich rein gar nichts entgegenzusetzen habe?", schrie ich weiter und die unumstößliche Tatsache, dass ich ihm körperlich unterlegen war, schmeckte beim laut Aussprechen unglaublich bitter. Nicht nur meine Stimme wurde lauter, ich selbst verhielt mich zudem auch aufbrausender. Riss mit der Hand ein paar Bücher aus dem Regal zu unserer Linken, auf dem Hunter sein leeres Glas abgestellt hatte. Dieses zerschellte beim Aufprall in gefühlt tausend Einzelteile, was mir im Moment nicht egaler hätte sein können. Ich war noch lange nicht fertig. Nach dem Regal folgten noch ein paar Blumenvasen, die hier und da im Haus verteilt rumstanden. Eine davon war etwas größer und stand auf dem Boden, beherbergte irgendeine Art von Seegras. Diese schlitterte nach einem gezielten Tritt meinerseits erst noch eine kurze Weile über den Boden, bevor sie an der gegenüberliegenden Wand ebenfalls zu Bruch ging. Was ich damit eigentlich erreichen wollte, wusste ich selber nicht genau, aber es tat gut, all den angestauten Frust und den begrabene Emotionen mal Luft zu machen. Sehr zum Leidwesen der Villa, deren Inneneinrichtung mir eigentlich sehr gut gefiel, jetzt jedoch durch meine Hände zu Brennholz für Hunters Vorhaben verarbeitet wurde. Als in meiner unmittelbaren Reichweite keine Gegenstände mehr vorhanden waren, die ich hätte zerstören können, atmete ich kurz durch. Nicht, dass das unbedingt zu meiner Beruhigung beitrug, aber ich hatte während meines Ausrasters unweigerlich die Luft angehalten und war nun etwas knapp an Sauerstoff. "Alles von mir habe ich dir gegeben, über unendlich viele Schatten bin ich für dich gesprungen und wozu das alles?! Dafür, dass du dich jetzt vor mir aufführst wie ein verficktes Kleinkind. Du willst die Klamotten in Brand stecken? Bitte, ich bin dir gerne behilflich dabei." Würde ich mich selbst hören, wäre ich spätestens jetzt auf Abstand gegangen, so hysterisch war ich am rumschreien und gestikulieren. Wie ich ihm dabei helfen würde, den Stoff anzuzünden, würde er gleich sehen, ich hatte da eine super Idee. Einen Geistesblitz sozusagen. Synthetik kokelte in der Regel auch ohne Brandbeschleuniger ganz gut, aber er wollte das doch sicher richtig machen, oder? Damit ich nicht einmal mehr den Hauch einer Chance hatte, irgendwas davon noch retten zu können. Also wandte ich mich schließlich von ihm ab und klapperte mit zügigen Schritten der Reihe nach seine Verstecke für den Alkohol ab, die sich auf unserer Etage befanden. Über die letzten Woche hatte ich so einige davon gefunden und ihn damit verbunden nicht selten in seine Schranken gewiesen, weil er heimlich trank und das verdammt noch mal sein lassen sollte. Heute würde ich den Alkohol gleich zu meinem doppelten Vorteil nutzen. Ich würde mich dadurch abreagieren, sie eine um die andere auf den Boden zu donnern und Hunter hatte im Zuge dessen weniger Vorräte für den heimlichen Konsum zur Hand. Ich brauchte keine fünf Minuten, bis ich mit einigen teuren Whiskeyflaschen unter dem Arm geklemmt wieder vor dem jungen Mann stand. Liebend gerne hätte ich die erste Flasche direkt vor Hunters Füße geworfen, aber so blöd war ich nun auch wieder nicht. Dass das Wasser aus den Vasen sich über den Fußboden verteilt hatte war die eine Sache, Alkohol musste jedoch nicht sein. Also steuerte ich zielstrebig die Terrassentür an, in der Hunter noch immer stand und wollte mich eigentlich an ihm vorbeischieben, wäre ich mit meinem Ellbogen nicht so günstig auf Höhe seiner Rippen hängengeblieben. Der vielen Alkoholflaschen in meinem Arm wegen, brachte mich der unerwartete Zusammenprall aus dem Gleichgewicht und riss mich schlussendlich zu Boden. Nur eine von den insgesamt fünf Flaschen, die ich im unteren Bereich der Villa aus den verschiedensten Verstecken gezogen hatte, schlug beim Sturz derart ungünstig auf dem Terrassenboden auf, dass sie mit einem lauten Klirren vor meinen Füßen zerbrach. Ungebremst fiel ich mit den Knien voran in die Mischung aus Scherben und hochprozentigen Alkohol, was schon alleine Grund genug gewesen wäre, mir die Tränen in die Augen zu treiben. Was mich letztlich jedoch final dazu brachte, lauthals zu heulen und den Rest der Flaschen loszulassen, war die Tatsache, dass sich Hunter just in diesem Moment in seiner Annahme bestätigt fühlen müsste, dass ich absolut unfähig war, alleine auf der Straße auch nur irgendwas zu reißen. Wenn ich es schon nicht packte, mit ein paar Alkoholflaschen auf dem Arm geradeaus zu gehen und bei der kleinsten Kollision direkt abklappte, wie würde dann erst die Konfrontation mit einem bewaffneten Cop enden? Ich hatte mir in der Hitze des Gefechts förmlich ein eigenes Bein gestellt und das konnte ich gerade nicht verkraften. Vielleicht wäre eine Therapie zum Aufarbeiten unterdrückter Emotionen vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen.
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Ich war mir nicht sicher, was ich erwartet hatte. Irgendwie aber nicht, dass Cosma kaum zögerte, sondern gerade heraus sagte, dass ich sie dann wohl oder übel unter meine Fittiche nehmen musste. Lange darüber Gedanken machen konnte ich mir jedoch nicht, weil sogleich die nächste Explosion folgte – ausnahmsweise nicht meine eigene. Ihre Wangen färbten sich binnen kürzester Zeit rot, kaum setzte Cosma dazu an, mir die Leviten zu lesen. Oder zumindest sowas in der Art. Was wollte sie denn jetzt von mir hören? Ja, es machte mir Spaß. War ich deswegen ein Arschloch? Wahrscheinlich schon. Interessierte mich das? Wenig, weil sie ganz genau gewusst hatte, worauf sie sich bei mir einließ. Das Grinsen auf meinen Lippen wurde also lediglich etwas schmaler, weil der schrille Ton ihrer lauten Stimme meinen Gehörgang reizte. Als die Rothaarige wider Erwarten aber sogar zu randalieren anfing, zog ich gleichermaßen überrascht wie irritiert die Augenbrauen hoch. Beobachtete argwöhnisch, ob sie irgendetwas nach mir zu werfen gedachte, aber dem war nicht so. Sie erinnerte mich sehr an mich selbst, wie sie hier Sachen zu Bruch gehen ließ, weil sie sich scheinbar nicht mehr anders zu helfen wusste. Oder weil sie schlicht die Kontrolle verlor. Wahrscheinlich beides. Manchmal war es gruselig, wie sehr wir uns ähnelten. Das Grinsen war mir vollständig aus dem Gesicht gewichen, als die junge Frau erneut Luft holte und mir noch einen Schwall Worte an den Kopf knallte. Ich war bis hierhin wegen all des Lärms noch gar nicht dazu gekommen, überhaupt irgendwas zu antworten. Das, was Cosma jetzt noch sagte, traf spürbar einen wunden Punkt in meiner steinernen Brust. Wir hatten viel zusammen durchgestanden und das meiste davon war passiert, weil ich… naja, ich war. Sie hatte Schrot für mich abgefangen. War nur wegen mir in Oslo ins Visier der Italiener gerückt. Wenn sie leben wollte, hatte sie gar keine andere Wahl gehabt, als den Norden Europas hinter sich zu lassen und woanders neu anzufangen. Sie hatte sich – trotz allem – dafür entschieden, mir dabei zu folgen. Obwohl sie gesehen hatte, was dann alles passieren konnte. Deswegen war ich für den Moment tatsächlich sprachlos. Sich wie ein Arschloch aufzuführen, war die eine Sache, aber ich wollte eigentlich nicht, dass Cosma dachte, ich wäre ihr nicht dankbar. Für alles, was sie für mich und uns beide gegeben hatte. Ich öffnete zwar den Mund, als sie mit einer von mir nicht zu durchschauenden Ansage davonging, aber es kam nichts raus. Erst, als sie aus meinem Blickfeld verschwunden war, merkte ich, dass mein Puls sich beschleunigt hatte. Im offenen Rahmen der Tür zum hinteren Bereich des Grundstücks verharrend stand ich Innerlich kurz vor einer sehr indirekten Entschuldigung an sie, aber als sie mit meinem Vorrat an teuren Tropfen auf mich zukam, verpuffte damit der gute Wille und mein Blick verdunkelte sich. Vorübergehend. Ich glaubte zuerst nicht, dass Cosma ernst machen würde, aber sie ging an mir vorbei… oder versuchte es zumindest. Ausgebremst von ihrer eigenen Ungeschicklichkeit küsste sie den Boden und ich ging reflexartig wieder einen Schritt nach drinnen, um meine nackten Beine und Füße vor dem potenziellen Scherbenregen zu schützen. Vielleicht hätte ich zumindest versuchen sollen, Cosma am Arm festzuhalten – ihren Fall zu bremsen. Aber so schnell hätte ich mich gar nicht umdrehen können und außerdem schritt mein eigener Überlebensinstinkt immer zuerst ein. Nur deswegen atmete ich noch. Ich war ein Egoist. Der Alkoholiker in mir schrie danach, die verbliebenen drei ganzen Flaschen in Sicherheit zu bringen und meine Freundin sich selbst zu überlassen. Er saß jedoch nur für einen kurzen Augenblick am längeren Hebel. Dann löste ich mich aus meiner angespannten Körperhaltung und ging mit einem schweren Atemzug wieder tiefer in den Flur hinein, um mir aus dem Schuhschrank ein paar Sneaker zu holen, damit ich mir die Füße nicht aufschnitt – die brauchte ich zum Arbeiten. Ich beeilte mich dabei trotzdem, ließ die Tüte mit den Klamotten nach kurzem Zögern nahe der Garderobe stehen und ging anschließend zielstrebig zurück zu dem gescheiterten Häufchen Elend. Ihr Heulen ließ sich mir die Nackenhaare aufstellen und dass ich sehen konnte, wie sich eine kleine Blutlache auf den Scherben unter ihren Beinen bildete, ließ mir mulmig im Magen werden. Von mir aus konnte die ganze Welt ausbluten, aber nicht Cosma. Die Scherben knirschten unter meinen Sohlen, als ich vor ihr in die Hocke ging, weil ich wusste, dass sie meine Hand einfach wegschlagen würde, wenn ich ihr bloß stumm meine Hilfe angeboten hätte. Mir stieg der Geruch des Whiskeys in die Nase, als ich mein eigenes Riesenego mühsam runterwürgte und nach Cosmas Blick suchte, aber sie wich mir konsequent aus. “Du hast mir was entgegenzusetzen. Du weißt bloß noch nicht, wie.” Meine Stimme klang ruhig. Noch ein bisschen aufgewühlt, aber nicht aus Wut. Cosma hatte mal wieder einen dieser Triggerpunkte erwischt und außerdem wollte ich dringend, dass sie aus dem Scherbenhaufen rauskam. Desinfizierender Alkohol hin oder her. “Und ich weiß, dass du über jeden Schatten auf diesem Globus springen könntest… weil du meinen jeden Tag aufs Neue jagst, ohne einen Funken Angst.” Ich lächelte schmal und ein merkwürdiger Hauch von Stolz machte sich in meiner Brust breit. Lag wohl daran, dass ich mir sicher damit war, dass sie eine sehr effektive Waffe sein könnte. Es gab Dinge, vor denen sie Angst hatte, aber Menschen wie ich gehörten schrägerweise nicht wirklich dazu. Mein Blick fiel nur kurz nach unten auf die Scherben, die komplett gesprengte Flasche und die mit dem gebrochenen Hals. Dann sah ich Cosma zurück ins Gesicht und streckte ihr meine rechte Hand entgegen. “Darf ich dir mit den Schnitten helfen?” Bevor sie doch noch eine der unzerbrochenen Flaschen nach mir warf, hakte ich lieber nach. “Wenn die verheilt sind, zeig’ ich dir, wie du mit Menschen wie mir fertig wirst… dann müssen wir vielleicht irgendwann keine Vasen mehr ersetzen, ist schonender für unseren Geldbeutel.” Ich formulierte es ganz bewusst so, als wäre mein Geld auch ihres. Sie hatte zwar nur begrenzten Zugriff darauf, aber in der Theorie sah ich das schon lange so. Nur sagen tat ich das normalerweise nicht.
Konnte sich hier und jetzt bitte einfach ein Loch unter mir auftun, in das ich hineinkriechen konnte, um mir die Blöße nicht mehr geben zu müssen? Ich wartete eine schier unendlich lange Zeit, in der mein Kopf kraftlos zwischen meinen Schultern baumelte, aber es tat sich nichts. Es war einfach... ruhig. Zumindest, wenn man sich das laute Schluchzen meinerseits wegdachte. Dann hörte ich ein paar dumpfe Schritte, die sich von der Terassentür entfernten. War Hunter wirklich gegangen? Hatte ich womöglich einen oder gleich mehrere wunde Punkte getroffen und er musste jetzt erst einmal in Ruhe nachdenken? Oder hatte er auf die ganze Chose hier keine Lust mehr und dampfte deshalb genervt ab? Das Gedankenkarussell drehte sich viel zu schnell, als dass ich in der aktuellen Situation auch nur ansatzweise dazu in der Lage gewesen wäre, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Mitunter lag das sicher auch an der überaus ungesunden Mischung aus Müdigkeit, Adrenalin, Wut - überwiegend auf mich selbst -, und Schmerz. Erschwerend hinzukommen würde auf kurz oder lang sicher auch der Blutverlust, wenn ich nicht bald aus den Scherben rauskam und meinem Körper so gar keine Chance einräumte, das Blut um die Schnitte provisorisch antrocknen zu lassen. Um mich aufzuraffen fehlte mir allerdings gerade sowohl die physische als auch psychische Kraft, also würde ich hier wohl noch eine Weile vor mich hinsiechen, bis meine Tränendrüsen vollends ausgetrocknet und die wund geheulten Augen bis zum Zerbersten aufgequollen waren. Es war schon viel zu lange her gewesen, seit ich zuletzt in Selbstmitleid gebadet hatte, die heutige Eskalation war längst überfällig. Entgegen meiner Vermutung, Hunter hatte sich aus dem Staub gemacht und mich in den Scherben sitzen lassen, näherten sich kurze Zeit später wieder deutlich lautere Schritte. Als der junge Mann zu mir auf die Terrasse kam und sich neben mich hockte, erkannte ich auch den Grund dafür. Er musste sich Schuhe angezogen haben, bevor er nach draußen gekommen war. Hatte er etwa vorher keine angehabt? Ich konnte mich nicht erinnern, aber es war eigentlich auch egal. Ob mit oder ohne Schuhe, er musste ja nicht einmal einen Finger krümmen, damit ich mich auf die Schnauze legte. Dumm rumstehen schien vollkommen ausreichend zu sein. Ich wich Hunters Blick konsequent aus, konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen - aus zweierlei Gründen. Zum einen versuchte ich in einem jämmerlichen Versuch, das letzte Bisschen Stolz zu bewahren, indem er mir nicht durch die verheulten Augen bis in die letzte Ecke meiner geschundenen Seele schauen konnte und zum anderen war ich immer noch sauer auf ihn. Auch jetzt noch, verletzt und gedemütigt hätte ich ihn am liebsten zum Teufel gejagt. Einzig und alleine seine nachfolgenden Worte veranlassten mich dazu, den Kopf gegen Ende seines letzten Satzes hin doch leicht anzuheben und ihn anzusehen. Wenn meine Tränen nicht ohnehin schon ununterbrochen über meine heißen Wangen gekullert wären, dann wären die Dämme spätestens jetzt gebrochen. Auf ungewöhnliche Art und Weise tat es gut, diese Worte aus dem Mund des Amerikaners zu hören. Für unsere verkorkste Art von Beziehung waren sie zwar etwas zu kitschig, aber ich brauchte das gerade. Über die letzten Jahre hatte ich das kleine Kind in mir, was einfach nur geliebt, verstanden und umarmt werden wollte einfach weggesperrt und den Schlüssel ins Nirvana geworfen. Hatte keinen Gedanken mehr daran verschwendet und heute war es in Form eines verbitterten Erwachsenen mit einer Axt aus seinem so sicher geglaubten Bunker ausgebrochen, um einige Synapsen durchbrennen zu lassen. Immer noch das gleiche Ziel vor Augen, wie damals auch schon: Liebe und Verständnis. Trotz den versöhnlichen Worten seitens Hunter haderte ich noch einen Moment mit mir, ob ich die Hand meines Freundes wirklich annehmen sollte. Im Endeffekt war es vermutlich die beste Chance, die ich hatte, wenn ich mir bei dem Versuch aufzustehen nicht auch noch die Handflächen aufschneiden wollte. Ich war in einer ziemlich ungünstigen Position gelandet, aus der ich mich nur dann erheben konnte, wenn ich mich vornüber auf meine Hände gestützt hätte. Mit Hunter an meiner Seite war da wenigstens Gegengewicht, an dem ich mich einfach hätte hochziehen können. Nach kurzer Überlegung legte ich meine zitternde Hand schließlich in seine. Einfach oder gar schmerzfrei war es aber nicht, wieder auf die Beine zu kommen. Jede noch so kleine Bewegung bohrte an irgendeiner Stelle zwangsläufig eine Scherbe tiefer in meine Beine, die man von der Konsistenz her mittlerweile locker mit Wackelpudding vergleichen konnte. "Danke...", flüsterte ich kraftlos. In erster Linie für seine Hilfe, aber auch für die liebevollen Worte, die er zu mir runtergemurmelt hatte. Immerhin hatte ich jetzt ein bisschen weniger das Gefühl, vollkommen umsonst durch einen ganzen Ozeane voller Scheiße für ihn gewatet zu sein. Wäre ich nicht im wahrsten Sinne des Wortes am Boden zerstört gewesen, hätte ich mir irgendeinen frechen Kommentar zu seiner Aussage nicht verkneifen können, aber vorerst blieb er davon verschont. Als ich wieder einen einigermaßen festen Stand hatte - was auch nur deshalb der Fall war, weil ich das Gewicht auf das weniger verletzte Bein verlagerte und mich mit dem Oberkörper zudem an Hunter anlehnte -, besah ich mir das Chaos, was ich veranstaltet hatte und seufzte. "Sorry... ich... ich hab irgendwie... über reagiert, g-glaub ich. Ich mache das gleich weg.", ließ ich stattdessen leise verlauten. Nicht ohne dabei das Gesicht vor Schmerzen zu verziehen. Ja, auch ich schlug noch einen ungewöhnlich versöhnlichen Ton an, sprach sogar eine sehr direkte Entschuldigung aus, was untypisch für mich war. Wenn wir mal ehrlich waren, dann wäre es zwar vermutlich keine so gute Idee, mich mit den Verletzungen gleich noch um das Aufräumen der Scherben zu kümmern, aber ich wollte auch nicht, dass das Blut sich festsetzte.
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Ich hatte schon damit gerechnet, dass Cosma mich noch einen Moment lang schmoren ließ, bevor sie auf das Hilfsangebot einging. Wenn es um unseren Stolz ging, dann waren wir beide sehr eigen und das war auch der einzige Grund dafür, warum ich mir jegliche bissigen Kommentare verkniffen hatte. Sonst wäre sie am Ende noch aus Protest blutend sitzen geblieben und das war für mich keine Option. Also zog ich meine Freundin schließlich zurück auf die Beine. Ihr Zittern gefiel mir ganz und gar nicht, weshalb ich Cosma am liebsten direkt hoch gehoben und bis zum Bad getragen hätte, aber ich musste ihr nicht auch noch das letzte Bisschen Würde wegnehmen. Außerdem war es nicht verkehrt, wenn sie die Konsequenzen ihrer Taten zu spüren bekam – Schmerz brannte sich immer ins Gedächtnis, hatte den besten Lerneffekt schlechthin. Also legte ich stattdessen bloß einen Arm um ihre Taille, um ihr das Gehen zu erleichtern. Ich sorgte dafür, dass sie sich mit mir in Bewegung setzte. “Das ist es jetzt, worum du dich sorgst? Das bisschen Alkohol und Blut auf dem Boden?”, fragte ich schmunzelnd, während ich Cosmas ungleichmäßigen Schritte beobachtete. Es kam nur noch selten vor, dass ich selbst irgendwo Blut wegwischte. Dafür hatte ich Handlanger. Wenn mir die Fingerknöchel aufgeplatzt waren und ich die Hände abwaschen musste, betraf das nur unser Waschbecken. Ein paar Mal hatte ich unsere Haushälterin leise fluchen hören, wenn sie Flecken aus Blut-Wasser-Gemisch am Rand gefunden hatte, die ich übersehen haben musste. “Du weißt aber, dass ich Alba extrem fürstlich für ihren täglichen Rundgang hier bezahle, oder? Die paar Scherben sind das Geld kaum wert.”, erinnerte ich Cosma daran, dass wir uns in einem gesellschaftlichen Kreis bewegten, wo ihr das alles am Arsch vorbeigehen konnte. Ja, bis morgen war das Blut sicher eingetrocknet. Ja, auch der Alkohol würde bis dahin klebrig werden. Nein, das kümmerte mich alles überhaupt gar nicht, weil das nicht unsere Aufgabe war. Die Haushälterin bekam das hohe Gehalt nicht, damit sie hier ein bisschen Staub wischte, sondern für den voraussichtlichen Mehraufwand – durch meinen Lebensstil, meine in Haushaltsdingen absolut faule Persönlichkeit und unser beider schwankender Gemüter – und ihr Schweigen über alles, was sie hier sah, das vielleicht nicht ganz der Norm entsprach. Sie sollte froh sein, wenn es nur die paar Scherben und sonst nichts war. Ich führte Cosma ins untere Badezimmer, das ich genauso standardmäßig für meine eigenen Verletzungen nutzte, weil der Weg von der Garage aus der kürzeste war. Ohne, dass sie danach fragen musste, stützte ich sie auch, als sie auf der geschlossenen Toilette Platz nahm. Die schwarze Jeans musste sie trotzdem ausziehen. Während sie damit anfing, an ihrem Gürtel rumzufummeln, wendete ich mich dem Spiegelschrank zu und kramte die üblichen Utensilien zur Säuberung heraus. Doch als alles nötige auf dem Waschbeckenrand lag, war die Rothaarige noch nicht mit dem Ausziehen fertig, was zweifelsohne daran lag, dass die Schnitte unter den Berührungen höllisch brannten. Fürsorglich, wie ich es zweifelsohne nur bei ihr und nur wenn ich wollte war, half ich ihr damit, den Stoff in den letzten Zügen möglichst schmerzfrei von den Beinen zu lösen. “Weißt du, woran mich das erinnert?”, stellte ich eine offensichtlich rhetorische Frage, musste aber schon wieder schmunzeln. “Daran, wie das mit uns angefangen hat.” Die Schrot Splitter hatten sie lange gehandicapt und solange hatte sie in einem meiner Bunker gewohnt. Wann immer es möglich war, hatte ich mich selbst um sie gekümmert. Ihr mit dem Verbandswechsel geholfen, sie bei der absolut umständlichen Körperhygiene unterstützt, ihr beim An- und Ausziehen geholfen, sie beim Gehen gestützt… damals wie heute zwei psychische Krüppel unter sich. Cosma legte ihre Hose beiseite und ich richtete mich kurz wieder auf, um nach dem Desinfektionsmittel und einem Tupfer zu greifen. Dann ging ich erneut in die Hocke, um gut an die Schnitte ranzukommen. Nach einem kurzen, warnenden Blick in Cosmas Gesicht, fing ich an, den größten Schnitt an ihrem rechten Knie zu säubern. Der blutete am heftigsten und war gleichzeitig an der mit Abstand ungünstigsten Stelle. “Unsere Flucht damals war schon ziemlich spektakulär.”, stellte ich rückwirkend, aber nicht zum ersten Mal fest. Ich versuchte weiterzusprechen, um die junge Frau von den Schmerzen abzulenken, die mit dem Desinfizieren einhergingen. Während ich im Kopf einige der Bilder unserer Flucht rekonstruierte, tat sich mir eine Frage auf. “Du hast lange nicht mehr geschossen, oder?”, fragte ich Cosma und warf ihr wieder einen kurzen Blick zu, bevor ich zurück auf ihr schmales Knie sah. Ich würde das nähen müssen. Die Blutung ging kaum zurück und außerdem war diese Hautstelle ständig in Bewegung. Deshalb erhob ich mich ein weiteres Mal, um mir Nadel und Faden aus dem Spiegelschrank zu holen, solange ich die Antwort meiner besseren Hälfte abwartete.
Ja, nein, vielleicht... keine Ahnung. Ehrlich gesagt wusste ich gerade überhaupt nicht, worüber ich mir die meisten Sorgen machen sollte. Die letzten paar Minuten würden eine potenziell ziemlich lange Liste ergeben, aber Hunter hatte schon Recht damit, dass ich mir über das Blut-Alkohol-Gemisch wohl eher nicht den Kopf zerbrechen musste. Unsere Putzkraft würde sich dessen im Laufe des morgigen Tages annehmen. Ich nickte schwach als Zeichen der Zustimmung, bevor wir uns schließlich langsam in Bewegung setzten. Und wenn ich langsam sagte, dann meinte ich auch langsam. Jeder Schritt trat nämlich eine neue Welle der Schmerzen los, die unbarmherzig meinen gesamten Körper flutete. Am liebsten hätte ich mich, kaum waren wir im Wohnzimmer angekommen, einfach fallen lassen, um nicht mehr weitergehen zu müssen. Ich wusste jedoch, dass das keine Option war. Die Scherben mussten raus und die Wunden desinfiziert und versorgt werden. Also biss ich die Zähne zusammen und schlurfte mit Hunter an meiner Seite weiter in Richtung des Gästebadezimmers. Dort angekommen half mir der junge Mann noch auf dem geschlossenen Toilettendeckel Platz zu nehmen, bevor er sich der Organisation von Verbandszeug widmete. In der Zwischenzeit kümmerte ich mich um meine Jeans, die ich nach dem Malheur wohl in die Tonne treten konnte. Selbst mit gutem Willen ließen sich die vielen Schnitte im Stoff nicht mehr flicken. Eigentlich hätte ich sie deshalb auch direkt mit einer Schere aufschneiden können, das wäre vermutlich weniger schmerzhaft gewesen, aber gut. Weil ich mich aktuell nicht gut und schon gar nicht schmerzfrei nach vorne beugen konnte, lieh mir Hunter für den letzten Abschnitt der Jeans seine Hände. Als der in Alkohol getränkte Stoff nicht mehr unmittelbar auf meiner lädierten Haut scheuerte, konnte ich zum ersten Mal wieder etwas entspannter aufatmen. Fühlte mich gleich schon etwas besser. Den Fortschritt machte der junge Mann aber gleich wieder zunichte, indem er Tupfer und Desinfektionsmittel in die Hand nahm und damit begann, die einzelnen Schnitte nach und nach zu säubern. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen legte ich meinen Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Versuchte, mich auf die ablenkenden Worte Hunters zu konzentrieren. Stimmt. Wir hatten uns schon einmal in einer ähnlich misslichen Situation befunden, als ich damals die Schrotkugeln für ihn abgefangen hatte, an die inzwischen nur noch eine urige Narbe an meinem Bauch erinnerte. Bei dem Gedanken daran, wie wir uns damals kontinuierlich näher gekommen waren, schlich sich ein schmales Lächeln auf meine Lippen. "Das war eine wilde Zeit, ich erinnere mich.", murmelte ich nachdenklich vor mich hin und sah Hunter kurz darauf wieder direkt an. Zumindest, soweit mir das möglich war. Mein Blick war immer noch glasig und die Tränen ließen die Bilder vor meinen Augen schwammig aussehen. Schon damals hatte ich es gehasst, nicht alleine dazu in der Lage gewesen zu sein, mich um mich selbst kümmern zu können und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Trotzdem war ich dankbar für seine Hilfe, auch wenn ich ihn für jedes Mal, das er den Tupfer ansetzte hätte ohrfeigen können. "War nicht immer schön, zugegebenermaßen... aber ich würde es wieder machen.", fügte ich kurze Zeit später noch ein paar wenige Worte hinzu und meinte jedes davon absolut ernst. Obwohl er mich zwischenzeitlich wie Dreck behandelt hatte, konnte ich mir Stand heute nicht vorstellen, jemals wieder ohne ihn leben zu können. Auch nach dem heutigen Krach nicht. Ergo würde ich mich auch jedes Mal wieder vor ihn werfen, wenn in einer für ihn aussichtslosen Situation der Lauf einer Waffe auf ihn gerichtet wurde. Ich hing den Gedanken noch einen Moment nach, als der Amerikaner mich erneut ansprach. Mir eine Frage stellte, über dessen Antwort ich nicht lange nachdenken musste. Vorsichtig schüttelte ich den Kopf. "Nein, habe ich nicht." Auch wenn es mir ein Leichtes gewesen wäre, mir aus dem Waffenarsenal meines Freundes eine Schusswaffe anzueignen, hatte ich bisher keinen Nutzen darin gesehen. Anders als Hunter bewegte ich mich nun mal nicht tagtäglich in mit Krokodilen verseuchten Gewässern, die das Herumtragen einer Waffe rechtfertigten. In meiner Bar war es normalerweise ruhig, Eskalationen gab es selten und wenn sich ein Spinner doch mal dazu entschied, Stress anzuzetteln, dann wurde dieser von der Security nach draußen befördert. Wenn ich so darüber nachdachte, wäre es vielleicht trotzdem keine schlechte Idee, das Schießen hin und wieder mal zu üben. Nur für den Fall der Fälle eben.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Wilde Zeit war beinahe mild formuliert. Unsere Beziehung zueinander hatte noch holpriger angefangen, als sie bis heute noch lief. Dass Cosma wenig später betonte, nichts davon zu bereuen und sich wieder genauso zu entscheiden, ließ ein kurzes Grinsen über meine Lippen huschen. Bei mir hatte es damals ziemlich sicher länger gedauert, bis ich gemerkt hatte, dass ich etwas für die Rothaarige empfand. Mehr als nur Hass und Verachtung, was beides ab einem gewissen Punkt wohl nur noch unbewusste Tarnung nach außen war. Ich hatte mich nicht in sie vergucken und erst recht nicht in sie verlieben wollen – aber hier war ich nun, allzeit fest mit Cosma an meiner Seite kalkulierend, weil ich ganz genau wusste, dass sie der einzige Mensch war, der mich langfristig ertragen konnte. Der mich lieben konnte, obwohl ich so war, wie ich war. “Die wilden Zeiten haben wir nie wirklich hinter uns gelassen, oder? Ich hab heute zumindest nicht mit fliegenden Vasen gerechnet.”, lächelte ich versöhnlich vor mich hin, während ich den Faden konzentriert durch die Öse führte. Als ich zurück in die Hocke ging, griff ich mit der freien Hand vorsichtig nach Cosmas unverletztem Unterschenkel, um das Knie in einem Winkel zu platzieren, der mir das Nähen erleichterte. Bevor ich auf ihr mangelndes Schusstraining zu sprechen kam, wollte ich jedoch mit dem Nähen anfangen. Ich warf noch einen kurzen Blick mit den ruhigen Worten “Halt’ bitte so still wie’s geht.” zu ihr hoch, bevor ich die Nadel das erste Mal durch ihre Haut stach. Nach den ersten drei Stich rollte ich das noch übrige Gespräch wieder auf. “Dachte ich mir… meine Schuld.”, nahm ich diese Sache auf meine eigene Kappe, weil ich es schlichtweg versäumt hatte, sie mit regelmäßigen Schießeinheiten auf Trab zu halten. Mein Ton war dabei ruhig und konzentriert, weil ich die Naht nicht versauen wollte. Es war schließlich Cosmas Knie, das wieder schön aussehen sollte. Ich war kein Arzt, aber so oft, wie ich mich und meine Jungs schon selbst hatte flicken müssen, zumindest sehr geübt darin. Solange sie einigermaßen still hielt, standen unsere Chancen also ganz gut. “Kommt mit auf die Liste von Dingen, die du eigentlich im Schlaf können solltest, als die Frau an meiner Seite.” Wie genau der Rest der Liste aussah, wusste ich noch nicht. Im Grunde wäre das Maximum, was ich sie an Selbstverteidigung lehren konnte, gerade so gut genug für mich und meine Ansprüche. Das konnte sie aber nicht alles von heute auf morgen lernen. Ich befestigte den Faden abschließend und kümmerte mich dann um den Rest der teilweise noch leicht blutenden Schnitte. Das Desinfizieren war wichtig, aber ich versuchte, die kleineren Verletzungen dabei nicht übermäßig zu reizen. Trotzdem mussten wir anschließend noch kurz hier warten, bis die Wunden oberflächlich geronnen waren, damit ich daraufhin das Blut, das in diesem Prozess noch an Cosmas Bein runtergelaufen war, abwischen konnte. Mit gezielten Handgriffen schmiss ich anschließend die blutverschmierten Tupfer in den kleinen Abfalleimer nahe des Waschbeckens und räumte die verbliebenen Utensilien zurück in den Schrank. Ich schraubte den Deckel einer Pillendose auf und hielt sie der Rothaarigen hin. “Dann schläfst du besser.”, erklärte ich mit einem Schulterzucken. Sie musste die natürlich nicht nehmen, aber mir an ihrer Stelle wäre ein Metamizol-Präparat lieber als lausige Ibuprofen. Zumindest bei mir wirkten letztere gefühlt gar nicht mehr, was vermutlich aber daran lag, dass ich generell erst zu Schmerzmitteln griff, wenn ich wirklich starke Schmerzen hatte. Da reichte ein bisschen Ibuprofen dann einfach nicht. Nachdem Cosma sich entschieden hatte, verstaute ich die Dose hinterm Spiegel und sah sie fragend an, solange ich mir die Hände wusch. “Willst du selbst hochlaufen?” Meine vom Training geschwächten Muskeln würden jammern, aber für eine Eskorte nach oben reichte es sicher noch. So oder so müsste ich noch einen kurzen Umweg in die Küche machen, um eine Flasche Wasser einzusammeln. Den Feierabend hatte ich mir irgendwie entspannter vorgestellt.
Wir waren mittlerweile zwar ein mehr oder weniger eingespieltes Team, aber aus den verschiedensten Gründen noch sehr, sehr weit weg von einer ansatzweise gesunden Beziehung. Also nein, die wilden Zeiten hatten wir definitiv nicht hinter uns gelassen. So wie ich uns beide einschätzte, würden wir das aber auch nie. Dafür waren wir schlichtweg nicht gemacht. Situationen wie die heutige, wo einer von uns zusammenbrach und von jahrelang unterdrückten Emotionen erschlagen wurde, waren eine Seltenheit. Von der meist daraus resultierenden versöhnlichen und sentimentalen Art des jeweiligen Partners ganz zu schweigen. Ein Großteil unserer Beziehung bestand daraus, gemeinsam unsere Mitmenschen zu tyrannisieren und uns darüber hinaus beinahe tagtäglich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Im Prinzip sprach also so ziemlich alles dagegen, dass das mit uns auf irgendeiner Ebene einen Sinn ergab und funktionieren konnte, aber trotzdem hielten wir aneinander fest. Für uns funktionierte dieses ungesunde Konstrukt und heilte bei beiden Parteien gleichermaßen tiefe Wunden. Bei der einen mehr, bei der anderen etwas weniger, was wohl daran lag, dass ich im Gegensatz zu Hunter eine halbwegs vernünftige Kindheit hatte, die mich nicht wirklich traumatisiert hatte. Ich kämpfte lediglich gegen Dämonen, die ich eigenhändig heraufbeschworen hatte. "Nicht wirklich...", stimmte ich Hunter zu und hob erstmalig die Hand an, um mir mit dem halbwegs sauberen Handrücken die Tränen aus den Augen zu wischen. Inzwischen hatte ich aufgehört zu weinen, was zu einem großen Teil sicher daran lag, dass ich höllische Kopfschmerzen bekam und die Blitze mit jedem Schluchzen von Neuem meinen Kopf klingeln ließen. "Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was da gerade in mich gefahren ist. Bin auch nicht davon ausgegangen, dass ich plötzlich so randaliere.", ergänzte ich mit einem schwachen Schulterzucken, dass fliegende Vasen auch nicht unbedingt auf meiner heutigen To-Do-Liste gestanden hatten und ich selbst von dem plötzlichen Tobsuchtsanfall überrascht worden war. Als Hunter mich im Folgenden darum bat, so still wie möglich zu halten, nickte ich. Da wusste ich allerdings auch noch nicht, wie scheiße schmerzhaft es eigentlich sein würde, wenn er den ersten Stich in meine Haut machte. Im ersten Moment konnte ich nicht anders, als reflexartig zu zucken. Und ich dachte, der Sturz in die Scherben war unangenehm gewesen, aber das. Ich konnte nicht anders, als eine jämmerliche Mischung aus Krächzen, einem Schrei und einem gurgelnden Stöhnen von mir zu geben, bevor ich die Hände über meinem Kopf zusammenschlug und mich mit dem Rücken nach hinten an die Wand mit der eingelassenen Klospülung zu lehnen. Wie konnte es denn sein, dass sich die Behandlung der Schnitte sehr viel schmerzintensiver anfühlte als die der Schusswunde damals? Nun, wahrscheinlich war ich beim letzten Mal bis unters Dach mit Schmerzmitteln vollgepumpt, was hier und heute leider nicht der Fall war. Erst als Hunter fertig war, meine Beine zu verarzten und anschließend die Utensilien verstaute, bot er mir im Zuge dessen eine Schmerztablette an, die ich dankend annahm. Ich blieb noch einen Moment lang sitzen, weil mein Kreislauf gerade verrückt zu spielen schien, bevor ich mich mit Hilfe des Amerikaners auf die Beine raffte, um am Waschbecken einen Schluck Wasser zu nehmen, damit die staubtrockene Pille mir nicht im Hals stecken blieb. Schließlich wandte ich mich sichtlich erschöpft meinem Freund zu, der mich gerade indirekt gefragt hatte, ob ich es noch aus eigenen Stücken bis nach oben ins Schlafzimmer schaffte. Für gewöhnlich hätte ich ihm daraufhin jetzt einen blöden Spruch gedrückt und wäre selbstverständlich eigenständig die Treppen hochgelaufen, aber mir viel das Geradeausgehen schon schwer genug. Also würde ich ihn wohl oder übel darum bitten, mich hochzutragen, wenn ich nicht auf der Hälfte der schier unendlich langen Treppe zusammenklappen wollte. "Ich glaube, das schaffe ich nicht... Würdest du mich hochtragen?" Meinen Blick hatte ich bewusst auf seine Brust gesenkt, damit er meinen beschämten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Allerdings war die Unzufriedenheit darüber, dass ich ihm diese Frage gestellt hatte, wohl nicht zu überhören.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Seit meinem Kontrollverlust in der Bar und meinem überaus verwirrten Erwachen in Richards Gästezimmer waren schon ein paar Tage vergangen. Wochen, um genauer zu sein. Ich erinnerte mich trotzdem noch gut daran, mit welchen höllischen Kopfschmerzen ich in Boxershorts zu den beiden jungen Männern in die Küche gestolpert war. Samuele machte da gerade sowas wie Mittagessen und Richard frühstückte. Es war mir auf vielen Ebenen unangenehm, dass sie mich so sehen und aushalten mussten. Deshalb wollte ich nicht allzu lange bleiben und entschuldigte mich mehrfach dafür, sie mit meinem Elend behelligt zu haben. Richard machte sich offenbar Sorgen um meines Geisteszustand – womit er goldrichtig lag – weil mir die Trinkerei nicht ähnlich sah und Samuele war ziemlich ruhig, tat es insgesamt als halb so wild ab. Ich hatte das Gefühl, dass er mir auswich, gleichzeitig aber einen zu vollen Kopf, um mich ernsthaft mit den Gründen dafür zu beschäftigen. Ich trank noch etwas Wasser, zusammen mit einer Kopfschmerztablette, und danach war ich ziemlich bald mit dem Taxi auf dem Nachhauseweg. Der Schmerz in der Brust überkam mich im selben Moment, wie ich meine Wohnung betrat. Später unter der Dusche verschwendete ich dann schon den ersten Gedanken daran, mich bei Vahagn zu melden. Erinnerte mich aber noch dunkel daran, dass ich genau das nicht hatte tun wollen… irgendwann gestern. Oder in der Nacht. Zuordnen war mir unmöglich und alles in diesen vier Wänden erinnerte mich an die schwarzhaarige Schönheit. Egal wo ich hinsah, sie hatte da schon mal gestanden oder gesessen oder gelacht oder geweint. Gefühlt überall in meinen vier Wänden kam mir ihr genervtes Augenrollen entgegen und auch das Grinsen, dass sie sich verkneifen wollte, wenn ich einen Witz gemacht hatte, über den sie eigentlich gar nicht lachen wollte, nur um es dann doch zu tun. Ich übernachtete die ganze erste Woche nach der Trennung entweder bei Ashton oder Desmond, je nachdem, welchem der beiden es spontan besser in den Kram passte. Übernachten war leider nicht gleichbedeutend mit schlafen. Richtig zur Ruhe kam ich auch auswärts nicht. Ich traute mir dementsprechend noch nicht zu, wieder Zuhause zu schlafen, ohne dem Schmerz nachgebend nach der Pistole zu greifen. Ich aß kaum was in den ersten Tagen, hatte konstant überhaupt gar keinen Appetit und fragte mich an die eine Millionen Mal, ob ich nicht doch wieder nachgeben und der Vernünftigere sein sollte – entschied mich jedoch genauso oft dagegen. Ich vermisste Vahagn, liebte sie trotz allem noch genauso wie vorher, blutete tagtäglich weiter aus. Dass sie mich so lange im Dunkeln gelassen hatte, nahm ich ihr trotzdem noch übel. Leider stand heute, ziemlich genau dreieinhalb Wochen nach unserer Trennung, wieder eine Lieferung an den Flughafen am Arsch der Welt an. Der Schlafmangel machte die siebenstündige Fahrt und das Gequatsche der beiden jungen Männer neben mir in dem Kleintransporter nicht gerade leichter erträglich. Es endete also damit, dass ich nach etwas weniger als der Hälfte mit einem von ihnen Plätze tauschte, damit zumindest einer weniger Zeit zum Reden hatte. Die kubanischen Straßen waren beschissen und es gab viele Schlaglöcher, worauf mich die mäßig gute Federung des Fahrzeugs auch in dieser Nacht wieder unzählige Male hinwies. Jedes Mal, wenn ich die Insel bisher für eine der Lieferungen durchqueren musste, nahm ich mir vor, abseits der Arbeit mehr von diesem Land sehen zu wollen… und heute fiel mir dazu nur noch ein, dass ich keinen Bock darauf hatte, das ohne Vahagn zu machen. Von den Pistole-An-Den-Kopf-Gedanken war ich zwar erstmal weit genug weg, um wieder Zuhause zu nächtigen, aber mein ganzes Leben fühlte sich ohne sie so an, als hätte es nicht mal mehr einen einzigen verdammten Funken Sinn. Etwa drei Stunden vor dem vereinbarten Treffen, hielten wir den Transporter abseits des Flughafens gut bedeckt in einem kleinen Wald an und ich ging ein paar Meter zu Fuß aus besagtem Wald wieder heraus. Verschaffte mir alleine einen guten Ausblick auf das Gelände, indem ich erneut die bröckelnde Ruine raufkletterte, die früher mal ein Wohnhaus war. Eines der oberen Fenster hatte sich leicht rausschlagen lassen und nun war es wieder an mir, monoton durch ein bescheuertes Fernglas zu starren. Nur, um auch dieses Mal nichts zu sehen, das irgendwie darauf hindeutete, dass der Russe ein linkes Spiel mit dem paranoiden Amerikaner trieb. Obwohl ich es mir ein bisschen wünschte, gelegentlich. Vielleicht wachten sie dann beide mal auf... nur um Sabins Willen wünschte ich mir, dass es nicht so kam. Erst als der kleine Flughafen in Sicht kam, wurde es fast gespenstisch still im Inneren des Fahrzeugs. Der Wachmann an der Schranke für den Lieferverkehr bremste uns kurz aus, um die Papiere zu kontrollieren, lotste uns dann aber ohne Durchsuchung hinein. Wir fuhren weiter bis zur verhältnismäßig kleinen Lagerhalle und ich konnte Iljah schon nahe unserer Laderampe erkennen. Es war leider grundsätzlich schwer, Menschen zu übersehen, die man nicht mochte. Während Arvid den Transporter rückwärts an die Rampe fuhr, sah ich auf die Uhr an meinem rechten Handgelenk. Das Fahrzeug war noch nicht ganz zum Stehen gekommen, als ich um 02:04 Uhr die Tür auf der Beifahrerseite aufmachte und ausstieg. Ich wollte das wie immer sicher nur kurze Gespräch schnell hinter mich bringen und dann verschwinden. Außerdem waren wir streng genommen sowieso schon 4 Minuten zu spät, was mich kaum weniger hätte kümmern können. Ich bemühte mich, so wie jedes Mal, trotzdem darum einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren, als ich auf den Russen zuging. “Guten Flug gehabt?”, hakte ich in ruhigem Ton nach und kramte gleichzeitig schon die Schachtel Zigaretten aus meiner rechten Hosentasche. Die war schon wieder fast leer, so wie immer in den letzten Wochen, weil ich statt zu essen einfach noch mehr rauchte als sowieso schon. Vielleicht raffte der Lungenkrebs mich ja dann frühzeitig hin. Obwohl ich eigentlich nicht teilen wollte, hielt ich dem Russen anstandshalber die Schachtel mitsamt Feuerzeug hin, während mir meine schon angezündet zwischen den Lippen hing.
Eine Sache, die mich an dem ewigen Hin- und Herreisen zwischen den verschiedensten Ländern wirklich störte, war das ständig wechselnde Klima. Inzwischen war ich zwar insoweit abgehärtet, dass ich nicht automatisch mit einer Erkältung und Kopfschmerzen ausstieg, wie das früher immer der Fall gewesen war, wenn ich aus dem kalten Russland in die Tropen geflogen war, aber die plötzlichen Schweißausbrüche oder der Schüttelfrost hatten sich bis heute nicht eingestellt. Weil es in Moskau um diese Jahreszeit zum Teil zweistellige Minusgrade hatte, während es auf Kuba frühlingshaft warm war, musste ich mich nach meiner Ankunft vor etwa zweieinhalb Stunden erst einmal umziehen. Ich tauschte den dicken Mantel, der in Moskau stets mein treuer Begleiter war, gegen eine deutlich dünnere Lederjacke und wechselte zudem das binnen kürzester Zeit durchgeschwitzte Langarmhemd aus. Eigentlich hätte ich vor der Verladung wirklich noch gerne geduscht, aber das musste wohl warten, bis ich in Havanna war. Ich hatte mir hier im Ödland Kubas kein Hotel genommen - gab es hier in der Nähe überhaupt welche? -, weil ich nicht plante, die nächsten Tage alleine am Arsch der Heide zu verbringen, sondern mit Irina. Sobald das Ding hier durch und der Frachter abgehoben war, würde ich mich auf den Weg zu meiner Freundin machen. Dort hatte ich dann sowohl eine anständige Dusche als auch ein bequemes Bett, in dem die Schwarzhaarige natürlich nicht fehlen durfte. Ich hatte bei unseren fast täglichen Unterhaltungen, wie so oft, nicht verlauten lassen, dass ich sie sehr bald besuchen kommen würde, um das Überraschungsmoment auf meiner Seite zu haben. Es amüsierte mich nämlich immer wieder, wie sie mich ansah, wenn ich plötzlich einfach vor ihrer Haustür auftauchte. Leider würde es noch eine ganze Weile dauern, bis die Verladung abgeschlossen war und ich zu Irina aufbrechen konnte. Aber schon jetzt war ich deutlich entspannter als noch vor einigen Stunden. Zuhause trieb seit geraumer Zeit Vahagn wieder ihr Unwesen, was mich sicherlich gefreut hätte, wenn sie sich dabei nicht so unfassbar unausstehlich verhalten würde. Die junge Frau schien reizbarer als sonst und war zudem an keinerlei Unterhaltungen interessiert, die sich nicht ausschließlich ums Geschäftliche drehten. Ein bisschen gewundert hatte mich das schon, allerdings sah sie mich schon seit Jahren nicht mehr als Autoritätsperson, sondern schlichtweg nur noch als ihren großen Bruder. Nicht mehr und nicht weniger. Sie blockte konsequent alle Versuche meinerseits ab, in Erfahrung zu bringen, warum sie plötzlich wieder in Moskau war. Sie wollte nicht drüber reden und das musste ich wohl akzeptieren. Neugierig war ich trotzdem, weshalb ich mir in Portugal - wie hatten aufgrund von schlechten Wetterverhältnissen zwischenlanden und auftanken müssen - überlegte, ob ich mich bei Tauren erkundigen sollte, warum sich meine Schwester so distanziert verhielt. Die beiden standen sich so nahe, er wüsste sicher, wenn Vahagn was auf der Seele lag. Und weil ich schon fest damit gerechnet hatte, dass Hunter erneut ausgerechnet den Norweger für die Anlieferung der Drogen abstellen würde, war aus der Idee schließlich ein Vorhaben geworden. Es war inzwischen 01:30 Uhr, als ich den Rundgang um die Antonov AN-148 für beendet erklärte und ins angrenzende Lagerhaus des kleinen Privatflughafens stapfte. Die Lederjacke hatte ich schnell wieder ausgezogen und die Ärmel des weißen Hemdes hatte ich hochgekrempelt, weil mir immer noch viel zu warm war, als ich einen Blick durch die Tore der Halle warf. Auf relativ kleinem Raum standen einige Flugzeugbleche verteilt, die darauf warteten, mit den Drogen des launischen Amerikaners bestückt zu werden, bevor sie ins Innere des Fliegers verladen werden konnten. Ich zückte mein Handy und sah las die Uhrzeit vom Display ab. Noch eine halbe Stunde, dachte ich und seufzte. Die Checkliste für den Abflug hatte ich gemeinsam mit meiner Crew bereits abgehakt, das Flugzeug war vollgetankt und die erste Beiladung bereits verladen. Jetzt war warten angesagt. Um die Zeit zumindest einigermaßen sinnvoll zu nutzen, beschloss ich, mir einen Kaffee zu holen. Einen Kaffeeautomaten suchte man hier allerdings vergeblich, was nicht weiter verwunderlich war, weil nur eine Handvoll Menschen hier täglich arbeiteten. Einzig und allein eine verlotterte Filterkaffeemaschine stand auf einem halbhohen Schrank inmitten der Lagerhalle. Ich steuerte zielstrebig auf diese zu, überlegte es mir bei dem Anblick der Schimmelsporen und der abblätternden Farbe des Gehäuses dann doch nochmal anders. Bevor ich mir noch eine Lebensmittelvergiftung oder Schlimmeres einfing, verzichtete ich lieber auf einen Kaffee. Unverrichteter Dinge verließ ich die Halle schließlich um mich stattdessen in den Bereich der Laderampen zu bewegen. Dort lehnte ich mich mit der Hüfte an ein morsches Metallgeländer und tat nichts weiter, als rauf in die Sterne zu blicken und mir ein paar Worte für das spätere Gespräch zurechtzulegen, bis sich ein Transporter näherte, von dessen Beifahrerseite Tauren schließlich ausstieg. Ich grüßte ihn mit einem knappen Nicken und pfiff dann mit den Fingern nach meinen Männern, die keine dreißig Sekunden später eilig durch die Tür wenige Meter von mir entfernt hasteten, um sich gemeinsam mit Hunters Gefolge um das Palettisieren der Ware zu kümmern. "Danke, kann nicht klagen.", antworte ich knapp, als der Norweger zu mir aufgeschlossen hatte und sich nach meiner Anreise erkundigte. Kurz darauf steckte er sich eine Zigarette an, hielt mir die Zigarettenschachtel ebenfalls hin. Eigentlich wollte ich das Rauchen etwas einschränken, weil es in den letzten Tagen wieder Überhand genommen hatte, aber es schien mir eine gute Möglichkeit, mit dem jungen Mann ins Gespräch zu kommen. Ich zog mir also einen Glimmstängel aus der Packung und zündete sie an. "Gut, dass du da bist.", setzte ich nach dem ersten Zug zum Reden an. "Ich wollte dich nämlich was fragen. Hast du eine Ahnung, warum sich Vahagn in letzter Zeit so komisch verhält? Sie ist seit geraumer Zeit wieder in Russland und kratzbürstig ist langsam kein Ausdruck mehr, der ihr gerecht wird. Gab's Streit?", fragte ich also ganz ungeniert und ein schiefes Grinsen umspielte meine Lippen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Schönling zu meiner Rechten gar nicht wusste, dass meine Schwester wieder in heimischen Gefilden agierte. Wäre dem der Fall gewesen, hätte ich das Gespräch nämlich ganz anders begonnen. So aber wartete ich ruhig auf eine Antwort seinerseits, während ich mein Blick nicht von ihm abwendete.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #