Huch, ich hatte die Rothaarige nicht erschrecken wollen. Es schlich sich dennoch ein schmales Grinsen auf meine Lippen, als ein Zucken durch ihren Körper fuhr und damit die sonst so vollkommen routinierte Bewegung ins Stocken brachte. “Sorry, wollt’ ich nicht.” Meine Mundwinkel wollten trotzdem noch nicht wieder sinken. Auf Cosmas berechtigte Frage hin zuckte ich leicht mit den Schultern und verlagerte den Kopf auf meinen Händen in leichte Schräglage. “Fast richtig.”, grinste ich weiter unfassbar scheinheilig vor mich hin, beflügelt vom Gefühl an alte Zeiten. Eine Taschendiebin war ich nie gewesen, dafür hielt ich zu fremden Menschen viel zu gerne Abstand. Trotzdem hatte ich gerade das Taxiunternehmen bestohlen und den Fahrer zumindest im übertragenen Sinn überfallen. Er würde drüber wegkommen und in Zukunft bestimmt vorsichtiger sein – Lifelessons, made by Irina Kuzmin. Meine Atmung beruhigte sich nur langsam, weil die Wärme in der Bar absolut nicht hilfreich dabei war. Ich konnte die Hitze in meinen Wangen spüren. “Sì, Amiga… zu einem Gläschen Weißwein sag ich selten nein.” Vermutlich sollte ich im allerbesten Fall gar keinen Alkohol trinken. Nicht, solange ich psychisch so instabil war. Vielleicht auch ganz allgemein nicht, weil ich schlicht nicht viel davon vertrug und immer leichtsinnig wurde. Ein Glas würde mich aber kaum ins Nirvana schubsen, also sprach da im Moment nichts dagegen. Mut antrinken war gerade gar nicht so verkehrt. "Hast du vielleicht noch 'nen Eiswürfel für mich? Ich fühl' mich wie eine Ampel." Ich beobachtete Cosma abwartend dabei, wie sie mir den gewünschten Wein einschenkte und sich selbst ebenfalls etwas Nervengift in ein Glas kippte. Konnte ihr vielleicht auch nicht schaden. “Danke.”, sprach ich ihr lächelnd zu, als ich mit der linken Hand den Eiswürfel nahm und mit der rechten den Stiel des Glases mit zwei Fingern umschloss, um zwei Schlucke zu trinken. War ein guter Wein. “Warst du schonmal in dem Einkaufscenter ein paar Straßen weiter? Ist nicht direkt in der Fußgängerzone, aber fußläufig ganz gut von hier erreichbar.”, fragte ich sie gerade heraus nach der Örtlichkeit, die ich heute Nacht noch unsicher machen wollte. Gleichzeitig besänftigte ich meine kochenden Wangen mit dem Eiswürfel, der mir im Gegenzug die Finger gleich mit abfror. “Im Vergleich zu den Malls in Moskau ist die Auswahl zwar eher gering, aber ich hab’ da neulich ein paar schöne Sachen gesehen.”, sprach ich weiter darüber, bevor sie überhaupt auf meine vorherige Frage antworten konnte. Dann aber nippte ich nochmal am Glas und wartete erstmal ab, gab ihr die nötige Zeit. Ich zögerte kurz, beschloss als sie verstummt war aber, einfach direkt mit der Sprache rausrücken und schob das Glas ein wenig beiseite. So konnte ich ungehindert die Beine mit der Fußleiste des Hockers als Hilfe durchstrecken und mich mit aufgestützten Unterarmen weit genug nach vorne über die Theke lehnen, um bis an Cosmas Ohr zu kommen. “Lust auf Midnight-Shopping?” Ok, ja, das war definitiv ein vorsätzlicher Überfall. Auch wieder nicht auf eine Person, aber auf die Kleider, die ich mir nicht mehr wirklich leisten konnte und trotzdem haben wollte. Es war noch ein bisschen Zeit bis Mitternacht, wo uns das Feuerwerk schützenden Lärm frei Haus spendieren würde und wir mussten auch gar nicht wirklich einbrechen. An der Ostseite des Gebäudes wurden aktuell einige Fenster im Erdgeschoss ausgetauscht und der Bereich war nur mit einem hohen Zaun abgesichert. Ich war mir sicher, dass man da drüber kam, wenn man nur genug Anlauf nahm. Der kleine Ladendieb in mir hatte beim Spaziergang durchs Innere des Centers auch schon wieder fleißig nach elektronischen Sicherheitsvorkehrungen Ausschau gehalten. Sehr zu meinem Glück war Kuba damit genauso im Rückstand wie mit so vielen anderen Dingen und ich würde nicht lügen, hätte mich jetzt Jemand gerade heraus danach gefragt, ob es mir Spaß machen würde, ein paar Fenster einzuschlagen. Wenn die Fensterfirma sowieso schon dabei war, konnte sie ja bei ein oder zwei Geschäften damit weitermachen.
Irinas hibbelige Art verriet mir, dass sie irgendeine Dummheit geplant hatte. Ich kannte die junge Frau zwar noch nicht besonders lange, aber sie hatte sich bisher immer nur dann so verhalten, wenn sie kurz davor stand, jemanden - in aller Regel natürlich Iljah - richtig auf die Nerven zu gehen oder plante, gewisse Regeln und Grenzen zu überschreiten, die sie auf kurz oder lang vermutlich noch in den Knast bringen würden. Wie das halt so ziemlich beim Rest der Kaputten, mit denen wir beinahe tagtäglich zutun hatten, eben auch der Fall war. Ich würde nicht behaupten, dass es mich beunruhigte, viel mehr fand ich es sehr amüsant. Entsprechend gespannt war ich also, was die Russin zu sagen hatte, nachdem ich ihr den gewünschten Wein und mir einen Whiskey eingeschenkt hatte. Seit Hunters regelmäßigen Besuchen - die vor unserer Versöhnung -, hatte ich mich eingehend mit den verschiedensten Whiskeys beschäftigt und vor kurzem erst den Hibiki aus Japan einfliegen lassen. War ein guter Tropfen und genauso wie der Wein hatte er damit eine absolute Daseinsberechtigung im Portfolio meiner Bar. Kaum hatten wir unseren ersten Schluck genommen, sprudelten die Worte förmlich aus Irina raus und noch bevor ich überhaupt zu einer Antwort auf... na ja, irgendetwas ansetzen konnte, war sie schon einen Satz weiter. Ich schwieg also, bis sie schließlich auf den Punkt kam. Midnight-Shopping also, dachte ich mir und schüttelte grinsend den Kopf. Als hätte ich es geahnt. Aber wie kam sie so plötzlich darauf? Eigentlich war mir die Antwort auf die unausgesprochene Frage relativ egal, die Idee gefiel mir nämlich. Wenn wir mal ehrlich waren, dann hatte ich es keinesfalls nötig, einen Einbruchdiebstahl zu begehen. Ich nagte durch die Bar und natürlich auch wegen Hunters Großzügigkeit keinesfalls am Hungertuch, aber genau diese Situation beschrieb ziemlich gut einen Punkt, welchen ich dem Amerikaner gegenüber kurz vor dem wilden Sex vor ein paar Wochen beschrieben hatte. Geld konnte einem viele Dinge kaufen - die schicken Schuhe, ein hübsches Kleid, teuren Schmuck. Aber einfach nur in den Laden zu spazieren und die Kreditkarte oder den Geldbeutel glühen zu lassen, brachte einem keinen... Kick. Es ließ nicht das Adrenalin durch den Körper schießen und dich beleben, wie es das Midnight-Shopping tun würde und wenn ich so darüber nachdachte, dann war die letzte Action schon eine ganze Weile her. Also warum denn nicht? Als ich feststellte, dass ich Irina schon eine ganze Weile anstarrte, ohne bisher ein einziges Wort zu ihrer Idee gesagt zu haben, beschloss ich, die kurzzeitig eingekehrte Stille zwischen uns für einen kleinen Spaß zu nutzen und sie damit indirekt wissen zu lassen, dass sie mich ohne große Anstrengungen überzeugt hatte. "Sorry, ich hab mir gerade vorgestellt, wie das schwarze Paillettenkleid wohl an mir aussehen würde. Ich glaube, mit ein paar hohen High Heels könnte das doch einen super Look ergeben oder was meinst du?" Sowohl das schwarze Kleid als auch die Schuhe über die ich sprach, waren nicht in meinem Besitz. Noch nicht zumindest. Mit einem vielsagenden Grinsen kippte ich noch das letzte bisschen Whiskey meine Kehle runter, stellte das Glas beiseite und war jetzt mindestens genau so aufgekratzt wie die Russin. Freute mich fast schon wie ein kleines Kind, was es nicht abwarten konnte, endlich mit einem erst kürzlich erhaltenen Spielzeug zu spielen. Dass wir uns damit richtig in die Scheiße reiten könnten, war mir zu dem Zeitpunkt entweder nicht bewusst oder schlichtweg egal. Ich verlor jedenfalls keinen weiteren Gedanken daran, als ich mich mit den Worten "Ich hole nur kurz meine Jacke." für kurze Zeit von der Schwarzhaarigen verabschiedete und im Hinterzimmer, welches sich direkt hinter dem Tresen befand, verschwand. Keine fünf Minuten später kam ich mit der Lederjacke unter meinen Arm geklemmt wieder raus. Ich informierte Anita darüber, dass ich vermutlich doch etwas länger weg sein würde und weil ich nicht plante, nach dem Raubzug noch einmal zurückzukommen - sofern wir unbeschadet aus der Sache rauskamen -, sollte sie die Bar ruhig abschließen, wenn sie Feierabend machte. Ich schob mich wenig später am Ende des Tresens zwischen den mittelhohen Schwingtüren durch und an einigen tanzenden Gästen vorbei, um mich schließlich bei Irina einzuhaken und sie somit energisch vom Stuhl zu ziehen. Man konnte also sagen, ich war startklar.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Um die Reaktion der jungen Frau auf der anderen Seite des Tresens besser beobachten zu können, setzte ich mich zurück auf den Hintern und angelte mir das Weinglas zurück. Ich konnte wunderbar beobachten, wie die Rädchen sich in Cosmas hübschem Köpfchen zu drehen anfingen. Allein deshalb, weil sie nicht sofort entschieden verneinte und mich fragte, ob ich jetzt von allen guten Geistern verlassen war, rechnete ich mir schnell gute Chancen aus. Zugegeben hatte ich aber trotzdem nicht damit gerechnet, dass sie mir sofort im übertragenen Sinne die Hand reichen und mit mir in die Kreissäge spazieren wollte. Das Bild, dass sie mit der Umschreibung eines Outfits als indirektes Ja in meinem Geist heraufbeschwörte, ließ mein Grinsen immer breiter werden. „Hervorragende Wahl… Schwarz lässt deine Haare noch besser aussehen.“, bestärkte ich ihre Vorab-Auswahl für den nun offenbar fest geplanten Trip durch die halbdunkle Mall und hob dabei leicht das Weinglas an. Ich wäre vielleicht auch ohne Cosma gegangen, weil ich mir bald die Haare vom Kopf reißen würde, wenn ich mir jeden Tag aufs Neue denselben Alltag geben musste. Trotzdem war meine Hemmschwelle allein schon immer höher. Ich fühlte mich sicherer, wenn Jemand dabei war, den ich gut kannte, wenn ich Mist baute. Es könnte auch sein, dass es dumm oder zumindest naiv war, Cosma so zu vertrauen. Schließlich war es immer noch Hunter, der hinter ihr stand, wenn es drauf ankam. Fakt war jedoch, dass ich inzwischen wusste, dass sie ihrem Mann jederzeit die Stirn bot, wenn sie es für richtig hielt. Das war kein Garant, aber es war ein guter Grund, um zu glauben, dass ich ihr vertrauen konnte. Sie redete nicht von den Dingen, die Hunter trieb und ich erzählte ihr nichts über Iljah… wobei es da nüchtern betrachtet ohnehin nicht viel gab. Er weihte mich nach wie vor maximal oberflächlich ein, was wahrscheinlich besser so war. Jedenfalls fragten wir Frauen uns niemals gegenseitig danach, weil das einfach nicht unsere Angelegenheit war. So oder so war meine Devise für die heutige Nacht: Einfach nicht erwischen lassen. Cosma exte den restlichen Inhalt aus ihrem Glas und war damit schon so gut wie bereit. „Musik in meinen Ohren!“, rief ich ihr hinterher, als sie sich in den hinteren Bereich ihrer Bar verkrümelte. Die kurze Zeit, die sie weg war, nutzte ich dazu, mein eigenes Glas mit gezielten Schlucken stetig leer zu machen. Auch der Eiswürfel schmolz zwischenzeitlich endgültig zwischen meinen Fingern und mein Pullover wurde spontan zum Handtuch für die nasse Hand - war schließlich bloß Wasser. Nicht nur die frisch gekühlten Wangen, sondern auch der Rest meines Körpers kam allmählich etwas runter. Trotzdem konnte ich nicht aufhören zu grinsen, während das Adrenalin weiter durch mein Blut rauschte. Als Cosma zurückkam unterhielt sie sich nur noch kurz mit einer ihrer Angestellten, bevor sie zu mir aufschloss. Ich kippte noch schnell den letzten Schluck Wein runter und ließ mich dann allzu bereitwillig vom Stuhl holen. Meine Schritte waren nicht weniger motiviert als Cosmas, während wir Arm in Arm aus der Bar marschierten. “Ich dachte, ich müsste dich erst überreden… viel vernünftiger als ich bist du zwar offensichtlich nicht, aber älter.”, sinnierte ich beschwingt und dezent sarkastisch vor mich hin, warf ihr dabei einen kurzen Seitenblick zu, während wir in Richtung der Mall marschierten. Man wurde, so glaubte ich zumindest, nicht plötzlich vollkommen anständig, nur weil man alterte. Ich hatte offenbar selbst auch nicht vor, mich zukünftig aus ausnahmslos allen Schwierigkeiten fernzuhalten. Eher vermisste ich sie, weil sie lange Zeit mein tägliches Dasein geprägt hatten. Es gab genug andere Fehler, aus denen ich schon gelernt hatte und offenbar auch welche, die ich gerne behalten wollte. Sollte mich doch von mir aus der Teufel holen... oder Iljah – kam schlussendlich wahrscheinlich fast aufs gleiche raus und dann nahm ich doch lieber den attraktiven Russen als Richter. “Hattest du hier schon mal Probleme mit den Cops? Nur, damit ich weiß, was im Worst Case auf mich zukommt… aber es ist eigentlich eine ziemlich sichere Sache, da sind offene Fenster im Untergeschoss. Wann bist du zuletzt über einen ’Betreten-Verboten-Zaun’ geklettert?”, bereitete ich Cosma mental auf das vor, was sie gleich erwarten würde und holte mir im Gegenzug Informationen ein. Ich konnte gar nicht anders, als weiterhin Wasserfälle zu faseln. Das war die positive Aufregung. Mit der freien Hand zog ich mein Handy aus der Hosentasche und sah auf die Uhr, aber wir hatten noch keinen Stress. “Drinnen müssen wir wohl ein bis zwei oder drei Schaufenster einschlagen… wenn die Kubaner das nicht zufällig so wie mit ihren Autos machen und vertrauensselig die Schlüssel stecken lassen.” Ich schüttelte schnaubend über die schier grenzenlos herzliche, kubanische Gesellschaft den Kopf. Als Großstadtkind verstand ich sowas einfach nicht. Die Leute hier hatten sowieso schon nicht viel und dann riskierten sie trotzdem noch das Bisschen, was sie hatten? Total verrückt.
Kaum hatten wir die Bar verlassen, gab Irina etwas von sich, worüber ich vermutlich lauter lachte, als ich es eigentlich sollte. Ja, ich war vielleicht älter als die Schwarzhaarige, aber das bedeutete nicht gleich, dass ich vernünftiger oder weniger empfänglich für ein bisschen Spaß und Schandtaten war. Andererseits war das wohl auch stark tagesformabhängig. Wäre meine Laune heute eher beschissen gewesen, hätte sich meine Lust, einen Diebstahl zu begehen, vermutlich in Grenzen gehalten und Irina wäre mit ihrem ursprünglichen Plan, mich erst noch überreden zu müssen, gegen eine Wand gelaufen. Zwar konnte ich mittlerweile von mir behaupten, bei gewissen Dingen etwas kompromissbereiter geworden zu sein, aber das war ich ganz sicher nicht, wenn es um etwas ging, was mich im schlimmsten Fall einsitzen ließe, weil ich nicht ganz bei der Sache war. "Sag' das doch gleich. Ich hätte gerne gesehen, wie du es zumindest versuchst, mich zu überreden.", erwiderte ich grinsend und sprach dabei nichts als die Wahrheit. Es war hin und wieder recht amüsant, auf welch unterschiedliche Art und Weise die Menschen versuchten, einen zu überreden, um am Ende doch kläglich zu scheitern. "Aber nur weil ich älter bin, heißt das nicht gleich, dass ich einen Stock im Arsch stecken habe. Was spricht denn gegen ein bisschen Adrenalin und Zeit mit Freunden verbringen? Ich hab da einiges nachzuholen.", stellte ich ferner fest, dass meine Zeit in Norwegen überwiegend von Einsamkeit und Arbeit geprägt gewesen war. Natürlich war ich nie gänzlich alleine gewesen, aber die Freunde, mit denen ich hin und wieder mal etwas nach der Arbeit unternommen hatte, ließen sich leicht an einer Hand abzählen. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass Irina mir nicht gezeigt hätte, wie sich eine richtige Freundschaft anfühlen konnte. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl gehabt, irgendwie eingeengt zu werden und in meine Geschäfte oder die von Hunter reinreden tat sie auch nicht. Wir unterhielten uns ganz zwanglos, gingen in die Stadt oder verbrachten gemeinsame Abende bei der Russin Zuhause. Und zwar so richtig mit Wein und Filmen und dem ganzen Schnack. In der Villa, die ich mir seit geraumer Zeit wieder mit dem Amerikaner teilte, hätten wir zwar noch ein paar Annehmlichkeiten mehr gehabt - wie beispielsweise den Whirlpool -, aber ich verstand, wenn Irina die Nähe zu meinem Freund eher meiden und ihm nicht versehentlich bei einer Übernachtungsparty über den Weg laufen wollte. Auch wenn wir uns sonst eher weniger über die Geschäfte zwischen ihrem und meinem Freund unterhielten, war mir durchaus bewusst, woher der Wind wehte und ich akzeptierte das. Fand es sogar ganz vernünftig, dass sie sich Hunter nicht mehr präsentierte, als unbedingt notwendig war. Natürlich hätte ich ein Machtwort gesprochen, wäre mir aufgefallen, dass der Choleriker sie blöd anging, aber wir würden bei mir Zuhause nicht ständig Händchen halten und es war Hunter durchaus zuzutrauen, dass er einen Moment abpasste, um sie sich unbemerkt zur Brust zu nehmen. Um dahingehend also kein Risiko einzugehen, trafen wir uns überwiegend daher in ihrer von Iljah spendierten Bleibe. Ich war schon wieder ein wenig zu sehr in Gedanken abgedriftet, als die Schwarzhaarige erneut ihr Wort an mich richtete und mir ein paar Fragen stelle, über deren Antworten ich kurz intensiver nachdachte. "Ich persönlich hatte bisher nur einmal mit den Cops hier zutun..." Und meinen Denkzettel noch am gleichen Abend von dem Amerikaner verpasst bekommen. Es schüttelte mich innerlich, als sich der angesprochene Abend wie von selbst noch einmal vor meinem inneren Auge abspielte. "Aber ich habe von Hunter gehört, dass die Patrouillen wohl zugenommen haben.", ergänzte ich noch meine jüngsten Informationen hinsichtlich der Polizeibereitschaft hier auf Kuba. "Wir sollten also auf jeden Fall vorsichtig sein. Heute haben die aber sicher genug mit anderen Problemen zu kämpfen.", mutmaßte ich mit einem schwachen Schulterzucken und einem Seitenblick auf meine Begleitung. Feiertage bedeuteten für alle Einsatzkräfte immer enormen Stress und weil an Silvester ein Großteil der Bevölkerung im Besitz von Böllern oder Raketen war, würde es ab von unserem Einbruch sicher noch unzählige weitere Sachbeschädigungs- und Körperverletzungsdelikte geben. Wenn wir Glück hatten, befand sich der Großteil der Polizisten im Stadtkern, wo die größte Menschenmasse zu erwarten war. Was Irinas zweite Frage anging, konnte ich mich ehrlich gesagt nicht mehr genau erinnern. "Puh... und keine Ahnung, das letzte Mal ist bestimmt schon etwas her.", gab ich ihr deshalb eine ehrliche Antwort und sah sie dabei schief grinsend an. Zweifelsfrei würde ein solchen Schild uns nicht von unserem Vorhaben abbringen, da war ich mir sicher.
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Cosmas Lachen war wirklich angenehm und Balsam für meine heute ganz besonders aufgekratzte Seele. Es tat wahnsinnig gut, zu spüren, wieder eine Freundin an der Seite zu haben. Ich mochte auch Sam und Richard sehr gerne, aber das war einfach nicht dasselbe. Die hatten keine Lust, sich mit mir die Nägel zu machen und Männer dachten nun mal per se etwas anders, als Frauen das taten. Ihre Probleme waren andere als meine. “Kommt bestimmt bald die nächste Gelegenheit, da bin ich mir sicher. Dann kann ich dich höchstpersönlich von meinem Talent als Verkäuferin überzeugen.”, zwinkerte ich ihr grinsend zu und verlagerte mein Gewicht kurzzeitig mehr in ihre Richtung, was uns einen gemeinsamen Schlenker laufen ließ. “Natürlich nicht.” Ich tätschelte leicht ihren Unterarm, als ich weitersprach: “Ich glaube aber, das kommt ganz drauf an, wen du das fragst… meiner Meinung nach rein gar nichts.” Ich spielte damit etwas ironisch auf den offensichtlichen Kontrollzwang hin, den so ziemlich jeder Mann in diesem Metier zu bekommen schien, wenn er erstmal hoch genug auf seinem Ross saß. Deswegen fragte ich Iljah auch nicht, was er davon hielt. Vielleicht wieder ein Spiel mit dem Feuer, falls wir doch verhaftet wurden. Jedoch stand das, wie schon erwähnt, ganz und gar nicht auf meiner Tagesordnung und wie schnell ich inzwischen wieder laufen konnte, hatte ich mir erst vor ein paar Minuten bewiesen. Würde schon schiefgehen. Als Cosma berichtete, hier auf der Insel sogar schon mal an die Cops geraten zu sein, sah ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen schief von der Seite an. Wir bogen gerade um eine Ecke und mussten uns dabei den Weg durch eine betrunkene Gruppe bahnen. Deshalb hakte ich in dem Moment auch nicht weiter nach, was es damit am Hut hatte. Dass die Polizei aktuell scheinbar präsenter war als gewöhnlich, war angesichts der zurückliegenden Zeitungsmeldungen nicht verwunderlich. “Hmmm, wahrscheinlich.”, stimmte ich Cosma nickend zu und dachte kurz darüber nach. Vorsicht war besser als Nachsicht, aber solange ich keine Cops zu Gesicht bekam, fürchtete ich mich noch nicht akut vor ihnen. Die hatten heute noch weit mehr als eine andere Anlaufstelle zu bedienen, was waren da schon ein paar Mädels beim nicht ganz legal Shoppen. Peanuts. “Na dann wird’s wohl Zeit… nicht, dass du aus der Übung kommst. Das ist gefährlich in unseren Kreisen.”, grinste ich, weil Cosmas letzter Hausfriedensbruch – auf welcher Basis auch immer – schon länger her zu sein schien. Einbrüche und anschließendes oder davon unabhängiges Weglaufen waren zuweilen überlebensnotwendig. Zumindest, wenn man so wie ich nicht grundsätzlich eine Waffe mit sich herumschleppte und mit wenig Kraft gesegnet worden war. Vielleicht hätte ich das Pfefferspray mitnehmen sollen, wäre besser als gar nichts gewesen. Auch diese Angewohnheit hatte ich jedoch mehr und mehr vernachlässigt, weil auf Kuba gefühlt nie irgendwas passierte. Außer natürlich, wenn irgendwo Leichen gefunden oder Schießereien angezettelt wurden. Weil das ziemlich sicher aber zu 99% auf Hunters Kappe ging, scherte ich mich darum wenig. Es betraf mich nicht, solange ich dabei nicht wortwörtlich im Weg stand und das würde kaum zufällig passieren. Es war nicht mehr weit, wir bogen nur noch drei Mal ab und mit der Zeit wurden die Straßen, die wir entlang gingen, immer leerer, weil wir uns mehr und mehr vom Zentrum der Feierlichkeiten entfernten. Die beleuchtete Front der Mall kam schließlich in Sicht und ich dirigierte Cosma daran vorbei weiter gen Osten, wobei wir uns unauffällig an den Wänden der umstehenden Gebäude entlang fortbewegten. Wir sahen uns beide instinktiv um, aber die Straßen waren leer und die Baustelle lag nahe einer Sackgasse. Da verirrte sich so oder so fast keiner hin. Der Zaun war allerdings doch gefühlt höher, als ich in Erinnerung hatte, als er in Sicht kam. Bisher hatte ich noch keine Sicherheitsleute oder Ähnliches gesehen. Ich warf nochmal einen Blick auf die Uhr – 23.47 Uhr. Der Maschendrahtzaun mit dem Werbebanner des stellenden Unternehmens würde möglicherweise ein wenig Krach machen, wenn wir darüber kletterten, weshalb ich mich nochmal umsah, bevor mein Blick zurück zu der Rothaarigen neben mir glitt. “Auf drei?”, fragte ich sie. Das aufgeregte Funkeln, das ich kurz wegen des Umsehens verloren hatte, kehrte dabei vollumfänglich zurück und ich konnte spüren, dass mein Herz schon jetzt ein wenig höher schlug. Ich wartete nur darauf, dass es mir gefühlt bis durch die Brust klopfte.
Absolut richtig. Würden wir Sammy - selbst in meinen Gedanken schwang dieser unfassbar nervige Unterton mit, welchen Richard an den Tag legte, wenn er seinen Freund bei dessen Spitznamen nannte - fragen, was er gegen ein bisschen Action einzuwenden hatte, würde er uns wahrscheinlich eine ziemlich lange Liste zukommen lassen, die in etlichen Stichworten beschrieb, was alles schiefgehen könnte und mit welchen Konsequenzen wir für unsere jeweiligen Taten rechnen müssten. Und genau an diesem Punkt unterschieden sich Irina und ich von Menschen wie Samuele: Manchmal dachten wir nicht zu viel nach, sondern machten einfach. Davon mal ganz abgesehen, waren wir uns sehr wohl darüber im Klaren, dass man sich besser nicht von der Polizei erwischen lassen sollte, wenn man gerade gegen das Gesetz verstieß. Hatten wir ja aber auch nicht vor. Das Einzige, worüber ich mir in Verbindung mit der bevorstehenden Straftat im Endeffekt Gedanken machte, war der Streit, den Hunter vom Zaun brechen würde, sobald er erfuhr - und das würde er zwangsläufig irgendwann - woher ich die Klamotten hatte, die ich plante, heute aus der Mall mitgehen zu lassen. Und ja, ich könnte es irgendwie auch verstehen, seinen Ärger, meine ich. Wir sollten uns schließlich wirklich bedeckt halten, nicht auffallen und schon gar nicht der Polizei unsere Gesichter oder im schlimmsten Fall sogar unsere Adressen auf einem Silbertablett servieren, falls wir verfolgt wurden. Inzwischen hatten wir uns gut auf der Insel eingelebt, der Rubel rollte und das Leben könnte eigentlich nicht entspannter sein. Es war also tatsächlich etwas leichtsinnig, das Ganze für einen schnellen Kick aufs Spiel zu setzen, aber um einen Rückzieher zu machen, war es jetzt zu spät. Wir befanden uns inzwischen einige hundert Meter von der Bar und damit auch von regen den Menschenmassen entfernt. Nur hin und wieder kamen uns noch eine Handvoll Leute entgegen, bevor die Straße, an dessen Ende sich die Mall befand, wie leer gefegt war. Zur Sicherheit sahen wir uns beide aber trotzdem kontinuierlich um, als wir uns dem Zaun näherten, der Unbefugte eigentlich von der dahinterliegenden Baustelle abgrenzen sollte. Mit wenigen aber gezielten Blicken scannte ich das Bild, welches sich mir bot auf mögliche Hürden und Kameras, die uns auf dem Weg ins Innere möglicherweise Probleme bereiten könnten. Als Irinas Worte an mein Ohr drangen, hatte ich bereits die Arme ausgestreckt und meine Finger in einige Maschen gesteckt, wartete eigentlich nur noch auf den Countdown. Dann, kurz bevor die Schwarzhaarige die letzte Zahl ausgesprochen hatte, löste ich mich noch einmal von dem Zaun. "Scheiße, warte... Meine Haare.", murmelte ich zu ihr rüber. Wieder warf ich einen kurzen Blick über meine Schulter, aber es war immer noch niemand zu sehen. Mit dem Haargummi, welches ich den Tag über am Handgelenk getragen hatte, band ich die feuerrote Mähne zu einem fest sitzenden Dutt zusammen. Es wäre wirklich erbärmlich, würde das Vorhaben schon an dem Zaun wenige Zentimeter neben uns scheitern, weil sich eine widerspenstige Strähne in den verzinkten Drähten verheddert hatte. Man, hätte ich gewusst, dass Irina mich heute noch zu einer Straftat anstiften wollte, hätte ich heute früh einen Kapuzenpullover angezogen oder zumindest einen mit in die Bar genommen. Immerhin trug ich zur Arbeit grundsätzlich ein komplett schwarzes Outfit und selten etwas anderes als Sneaker. Ich konnte mich also auch mit den roten Haaren überwiegend in den Schatten der Gebäude tarnen. "Okay, okay. Bin bereit. Auf drei.", ließ ich meine Freundin wissen, dass es nun wirklich losgehen konnte. Ein letzter Blick noch nach rechts und links, dann zählte Irina runter. Das Adrenalin begann jetzt schon durch meinen Körper zu pumpen und verlieh mir wenig später beim Überwinden des ersten Hindernisses schon zusätzlichen Schwung. Die junge Frau und ich landeten mit einem monotonen und dumpfen Stampfen auf der anderen Seite. Breit grinsend sah ich zu ihr rüber und nickte, beflügelt von dem ersten kleinen Erfolg anschließend in Richtung der von Irina angesprochenen Fensterfront, welche sich aktuell im Austausch befand. Vorsichtigen Schrittes näherten wir uns gemeinsam dem Gebäude, stets bedacht darauf, nicht aus Versehen über den Schutt und einige Scherben zu stolpern, der sich auf der gesamten Baustelle verteilt in kleinen Häufchen türmte. Mein Ziel war es, wie auf dem Weg hierher, dass wir uns im Schatten des Hauses fortbewegten, wo uns keiner der Baustellenleuchten erfassen konnte. Als wir uns den klaffenden Löchern in der Fassade näherten, wo früher oder später neue Fenster eingelassen werden sollten, bedeutete ich Irina mit einem sanften Griff um ihr Handgelenk stehen zu bleiben. "Du sagtest, wir müssen drinnen wahrscheinlich die ein oder anderen Schaufenster einschlagen. Lass' uns hier dafür etwas Geröll mitnehmen. Ich weiß nicht, wie es bei dir aussieht, aber mit bloßer Hand kriege ich keine Scheibe eingeschlagen.", schlug ich grinsend vor, uns auf dem Weg nach drinnen gleich ein Werkzeug mitzunehmen, welches uns das Einsteigen erleichtern würde. Einen Schlagstock oder Ähnliches besaß ich nämlich nicht und unser bloßer Wille würde wohl kaum ausreichen, Glas zu zertrümmern. Wobei... qualitativ hochwertig war hier auf Kuba selten etwas. Im Endeffekt reichte vielleicht ein kräftiger Tritt schon aus, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen und nicht als Blamage in die nächste Ausgabe der Tageszeitung eingehen. Einbruch gescheitert! Zwei Frauen wollten eine Boutique überfallen - Täterinnen gefasst, eine von ihnen wird wegen eines gebrochenen Fußes im Krankhaus behandelt. Nein... danke.
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Ich zog mir die Kapuze des Pullis wieder über die schwarze, zum Zopf gewordene Mähne, ließ gerade noch die Schultern kreisen und wollte dann die Hände nach dem Zaun ausstrecken, weil ich fast bei Drei angekommen war – da bremste die Rothaarige mich doch nochmal aus, mit einem legitimen Grund. “Immer bin ich mit den Amateuren unterwegs.” Mein Tonfall klang so übertrieben enttäuscht, dass sie unmöglich missverstehen konnte, wie wenig ich ihr das übel nahm und dass ich mich in diesem Belangen definitiv nicht für etwas Besseres hielt als sie. Ungeduldig, wie ich es nun einmal war, stemmte ich mit einem leisen Schnaufen trotzdem abwartend die Hände in die Hüften und übernahm in der Zwischenzeit mit Blicken die Wache, bis Cosma mit ihren Haaren fertig war. Dann gings aber wirklich bei Drei mit etwas Schwung über den Zaun und mein Herz schaltete noch einen Gang höher, als wir auf der anderen Seite ankamen. Ich entfernte mich nie weit von meiner Freundin, während wir uns bedacht weiter dem Gebäude näherten. Zwar machte ich mir dank meiner Stiefel wenig Sorgen um den Schutt, der auf dem Boden verstreut lag, aber hinter dem Zaun war ich schließlich noch nicht gewesen – lieber einmal mehr umgesehen, als einmal zu wenig. Dabei konnte man dann wohl auch leicht vergessen, dass man noch Werkzeug brauchte, um das Ziel des Ausflugs vollständig zu erreichen. Ich war bei der Berührung am Handgelenk automatisch stehen geblieben und sah mich draußen um, aber zwischen den großen Geräten und den neuen, schon bereitgestellten Fenstern etwas weiter entfernt, sah ich nichts, das sich von Cosma oder mir mit bloßen Händen bewegen ließ. “Hmmm…”, dachte ich laut nach, als ich mich doch wieder in Bewegung setzte und auf das Loch in Form einer bodentiefen, fehlenden Fensterscheibe in der Wand vor uns zuging. Vorsichtig warf ich einen Blick nach drinnen: Beleuchtung war kaum vorhanden, es brannte scheinbar nur draußen auf den Fluren Licht und das hier war ein kleines, aktuell sicher geschlossenes Restaurant. Das Licht einer Überwachungskamera konnte ich aber nirgends an der Decke oder in den Ecken sehen, weshalb ich mit gesenktem Kopf das Handy zückte und mit Unterstützung der Taschenlampe nach einem passenden Gegenstand Ausschau hielt. Viel zur Auswahl gab es da nicht: die Werkzeugkästen waren alle mit Schlössern versehen, es blieb also nur eine Schaufel übrig, die an einer tragenden, dicken Säule tiefer im Raum lehnte. Ich griff danach und zuckte mit den Schultern. “Die wird’s wohl tun müssen.” Ich warf Cosma mit tief gehaltenem Handy einen kurzen Blick zu, bevor ich die Taschenlampe wieder abschaltete. Wir näherten uns der Eingangstür des Restaurants und ich wusste, dass es auf den Fluren definitiv Kameras gab. Voll beleuchtet waren die zwar auch nicht – wohl aus Gründen des Stromsparens – aber wir durften nicht mehr Aufmerksamkeit auf uns lenken als nötig. Die Tür des Restaurants war zu und weil ich das bei meinem letzten Trip hierher nicht getan hatte, hielt ich auch da wieder Ausschau nach elektronischen Sicherungen am Rahmen: Gabs nicht, Kinderspiel. Als ich plötzlich die erste Rakete draußen knallen hörte, zuckte ich trotzdem reflexartig zusammen und hätte beinahe unsere Tatwaffe fallen lassen. Mein Herz stolperte und ich konnte den Puls in den Ohren hören. Mit der linken Hand fasste ich mir kurz ans Herz, so als würde das irgendwas an dem gefühlten Herzinfarkt ändern. Ich fluchte unbewusst in meiner Heimatsprache, bevor ich tief durchatmend zu Cosma sah. “Das war unser etwas zu deutliches Zeichen.”, versuchte ich trocken und augenrollend meine eigene Schreckhaftigkeit herunterzuspielen, bevor ich wieder beide Hände um die Schaufel legte und mich dann in Position brachte. Ich ging sicher, dass Cosma aus dem Gefahrenradius war, holte aus und duckte mich mit dem Gesicht dabei bewusst zur Seite weg, um keinesfalls fliegende Splitter in dieser Region zu riskieren. Das Geräusch der unter dem oberen Ende der Schaufel nachgebenden, scheinbar nicht besonders dicken Fensterscheibe, ging ziemlich in den knallenden Raketen unter. Es schien weit mehr als nur eine große Sammelstelle für das städtische Feuerwerk zu geben und wir befanden uns praktischerweise irgendwo in der Mitte davon, wie's schien. Glück durfte auch mal sein. Als Cosma zu mir kam, lehnte ich mich an ihr Ohr, um nicht zu laut reden zu müssen. “Die nächste ist deine.”, grinste ich, bevor ich ihr die Schaufel überreichte. Als meine Hände frei waren, beseitigte ich ein paar kleinere Scherben auf den Ärmeln meines Pullovers. Den Stoff zog ich dabei nochmal tief über die Hände, um Verletzungen zu vermeiden. Auch die Schuhe schüttelte ich kurz, um die auf den Schuhspitzen liegenden Scherben direkt hier abzuladen.
Während Irina dabei war, sich nach einem geeigneten Werkzeug für das Voranschreiten durch geschlossene Glastüren umzusehen, behielt ich die bisweilen immer noch leere Straße im Blick. Erst als die Schwarzhaarige erneut zu sprechen begann, wandte ich mich ihr wieder zu. Naja, ich hatte es zumindest vor, aber Irina war schon halb im Inneren des Kaufhauses verschwunden und so schloss ich mit zügigen Schritten zu ihr auf. Schlüpfte durch das Loch in das vorübergehend geschlossene Restaurant, wo die junge Frau mit einer Schaufel bewaffnet auf mich wartete. "Ist besser als nichts.", stimmte ich ihr zu und zuckte schwach mit den schmalen Schultern. Mein Blick wanderte ebenfalls noch einmal durch den Raum, da Irina das Licht an ihrem Handy aber bereits ausgeschaltet hatte, konnte ich nur noch schemenhafte Umrisse erkennen. Nichts von dem, was ich sah, ähnelte auch nur im Ansatz einem weiteren brauchbaren Werkzeug. Die Schaufel blieb damit unsere einzige Lösung. Ich folgte der jungen Frau gerade zur Restauranttür, als das Feuerwerk begann und ich reflexartig den Kopf nach unten zog, dabei den Arm schützend über meine Augen warf. In unseren Kreisen stand ein so lauter Knall zumeist in Verbindung mit einer Kugel, die bei einem entsprechend guten Schützen wenig später irgendwem das Leben aushauchte, da hatte ich diese Reaktion irgendwann einfach verinnerlicht. Im Ernstfall würde mir die Haltung zwar nicht ansatzweise den gewünschten Schutz bieten, aber Reflexe konnte man halt nicht einfach ablegen. Als ich mich wieder zu voller Größe aufrichtete, sah ich etwas irritiert zu Irina rüber, die sich nicht weniger erschrocken zu haben schien und als Resultat leise auf Russisch fluchte. Ich presste mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszulachen, als ich sah, wie sich die junge Frau ihre eigene Hand aufs Herz gelegt hatte. Keiner von uns hatte minutiös auf die Uhr geschaut, ergo waren wir beide ähnlich überrascht über das plötzlich einsetzende Feuerwerk gewesen. "Sieht so aus.", bestätigte ich sie wenig später mit einem amüsanten Unterton in ihrer Annahme und trat dann einen Schritt zur Seite. Es zählt jetzt jede Minute. Die Wellen der krachenden Feuerwerkskörper würden genauso schnell abreißen, wie sie über uns hereingebrochen waren und wenn wir noch ein paar Scheiben einschlagen mussten, taten wir das besser, während es draußen ohnehin noch krachte. Als Irina mit der Schaufel ausholte, drehte ich der Tür meinen Rücken zu und zog die Lederjacke mit beiden Händen über meinen Nacken, damit sich keine Glassplitter dorthin verirren konnten. Aufgrund der glatten Oberfläche perlten das meiste einfach ab, nur in meinem Dutt und an meiner Hose musste ich wenig später ein paar Überreste der Restauranttür entfernen. Mit einem breiten, abenteuerlustigen Grinsen nahm ich meiner Freundin die Schaufel ab, als sie mir diese bereitwillig entgegenstreckte. Dann schob ich mich an ihr vorbei und pirschte mich langsam in Richtung Hauptrue vor. Ich streckte meinen Kopf vorsichtig durch die in Scherben liegende Tür und analysierte den breit gefächerten Gang des Kaufhauses. Von unserer Position aus blickten wir auf zwei verschiedene Klamottenläden direkt auf der gegenüberliegenden Seite. Ich trat einen Schritt zurück und versicherte mich mit flüsternder Stimme, in welchen Laden wir zuerst einbrechen wollten. Die Geschäfte lagen nebeneinander und waren am vorderen Punkt im Inneren mit einer schmalen Glasscheibe verbunden, die circa einen halben Meter breit war und dann durch eine massive Wand abgelöst wurde. Wir konnten also in aller Ruhe erst durch den einen und anschließend durch den anderen Laden stöbern, wenn wir vorher noch während der lauten Geräuschkulisse das Trennglas zertrümmerten. Als Irina mir meine Frage beantwortet hatte, verließ ich geduckt das Restaurant. Schob mich so nah es ging an der Wand entlang, um mich von keiner Kamera ablichten zu lassen. Um auf Nummer sicher zu gehen, hielt ich mir sogar die linke Hand vor das Gesicht, für den Fall, doch einen Schritt im falschen Winkel gemacht zu haben. Was würde ich jetzt für einen Kapuzenpullover tun. Für die Flucht konnte ich ja gleich einen mitgehen lassen - ha ha. Wir waren relativ zügig auf der anderen Seite angekommen und ich zögerte nicht lange, um mit Schwung direkt die nächste Glastür zu Bruch gehen zu lassen. Dieses Mal blieben deutlich mehr Splitter in meiner Kleidung hängen, weil ich mich logischerweise nicht komplett abwenden konnte, aber ich beschloss, diese erst abzuschütteln, wenn auch die Trennscheibe in Trümmern lag, sonst kostete das die doppelte Zeit und war einfach unnötig. "Wir gehen durch das Restaurant auch wieder raus, oder?", drehte ich mich mit einer eigentlich überflüssigen Frage zu Irina um, als wir uns vollständig vom schwach beleuchteten Gang in den dunklen Laden zurückgezogen hatten. "Dann sind wir, glaube ich, fertig und können losshoppen." Das Grinsen von vor wenigen Augenblicken zierte noch immer meine Lippen, als ich die Schaufel im Inneren der Boutique an die Wand lehnte und mit dem Ausklopfen der Scherben begann. Das gedimmte Licht vom Kaufhausgang beleuchtete schwach die Klamotten in der ersten Reihe und bestätigten die unausgesprochene Frage meinerseits, ob wir überhaupt einen Laden erwischt hatten, der unserem Stil entsprach.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
Cosma zögerte nicht, von jetzt an vorauszugehen. Solange sie noch den Gang abcheckte, zupfte ich die Kapuze des Pullis nochmal zurecht, weil ich sie zweifelsfrei wieder brauchen würde. Ich schob gerade ein paar lose gewordene Haarsträhnen unter den Stoff, damit sie mir nicht ins Gesicht hingen, da fragte die Rothaarige mich nach meiner bevorzugten Reihenfolge. Vorsichtig spähte ich an ihr vorbei und versuchte die Läden wiederzuerkennen, bevor ich mich für den linken entschied. Am Ende wars eigentlich auch egal, solange uns nicht zwischendurch Jemand störte. Ich wusste mit Sicherheit, dass ich ein Kleid aus dem linken haben wollte und alles andere ließ ich auf mich zukommen, da wollte ich mal nicht so sein. Ich wollte am Ende sowieso wieder mehr mitnehmen, als ich hätte tragen können. War immer so. Cosma ging als erstes auf den Flur hinaus und ich wartete noch kurz, bis ich mir sicher war, dass sie gleich zum ersten Einschlag ausholen würde. Ich brauchte mich den Scherben nicht unnötig auszusetzen, wollte keine Glaskrümel unter meinen Klamotten suchen müssen. Zügig holte ich meine Komplizin ein und flüchtete mich hinter ihr in die sonderbar angenehme Dunkelheit des Ladens, dessen Tür gerade der Schaufel zum Opfer gefallen war. Die durchsichtige Glaswand nahe des geschaffenen Eingangs war direkt als nächstes dran und irgendwie ließ mich dieses Geräusch von Mal zu Mal breiter grinsen. Wie eine Katze, die zu Weihnachten die Kugeln vom Baum rupfte. Eine nach der anderen, weil es nach der ersten scheinbar noch nicht laut genug geknallt hatte. Total bescheuert. Ich rieb vorfreudig die Hände aneinander, als Cosma die Schaufel loswurde und den offiziellen Freischuss fürs Klamotten einsammeln lieferte. “Ich hab’ viel zu lange drauf gewartet, dass das mal wieder Jemand zu mir sagt.” Mit diesen Worten drehte ich schon ab und schob an einem nahen Ständer die ersten Bügel hin und her. “Also das mit dem Größen lesen ist… tricky.”, stellte ich schnell fest, kicherte dabei jedoch amüsiert. Es verzögerte die Sache etwas, zumindest vorne nahe des Flurs. Hier die Taschenlampe zu nutzen war mir trotz der Kapuze etwas zu riskant. Wahrscheinlich hatten wir dieselbe Größe, oder? Wir waren beide mit nicht zu kleiner Brust gesegnet und unser genereller Größenunterschied war gefühlt nonexistent – wir bewegten uns gemeinsam unterhalb der Augenhöhe der meisten anderen Menschen, wobei die Kubaner allgemein tatsächlich im Durchschnitt kleiner waren als Russen. Zumindest meinem Gefühl nach. Es sammelte sich schnell mehr als ein Bügel über meinem linken Arm an und summte nebenbei vor mich hin, ganz in meinem Element. Ich vergaß beinahe, dass das Einbruch mit Diebstahl war, so geschmeidig wie ich ein um das andere Teil an mich nahm. “Dich hab ich gesucht…”, grinste ich das lange, elfenbeinfarbene Kleid mit satinartiger Oberfläche und tiefem Beinschlitz an. Es würde einen schönen Kontrast zu meiner inzwischen etwas dunkler gewordenen Haut bieten und war für mich außerdem absolut unbezahlbar. So wie wahrscheinlich alles hier drin, weil es eine der wenigen gehobeneren Boutiquen der Mall war. Wahrscheinlich eher in der ganzen Stadt. Das Kleid wanderte auf den Klamottenhaufen über meinem Arm, wobei letzterer sich inzwischen schon sehr schwer anfühlte. Cosma bewegte sich allmählich zurück in meine Nähe, nachdem sich unsere Wege vorübergehend getrennt hatten und ich hielt nach den Umkleidekabinen Ausschau, die sich unweit an der hinteren Wand des Geschäfts befanden. “Ich muss dich leider in ein moralisch verwerfliches Dilemma bringen und dich darum bitten, dir die Behinderten-Kabine mit mir zu teilen. Ich brauche Jemanden, der mir ehrlich sagt, was von dem Zeug hier”, ich hob symbolisch meinen bald abfallenden Arm mitsamt Ladung an, “mir steht und was nicht. Todsicher bist du dafür zufällig genau die richtige Person.”, grinste ich ihr mit nach oben zuckenden Augenbrauen zu, bevor ich an ihr vorbei zu den Kabinen ging. Ich schätzte Cosma sehr dafür, dass sie mir gerade heraus beinahe alles ins Gesicht sagte, was sie dachte. Da wusste man immer, woran man war und das war herrlich erfrischend, ziemlich selten heutzutage. Nur eine der Kabinen war beinahe doppelt so groß wie die anderen. Ich versuchte die Klamotten systematisch an die Haken zu hängen, damit auch noch welche für die Rothaarige übrig blieben, wenn sie soweit war und zu mir aufschloss. Als ich alle Bügel losgeworden war, stellte ich mich auf den einzigen Hocker und versuchte mein Handy in der Ecke des oberen Randes der Kabine zu platzieren, dass genug Licht für fachfräuliche Beurteilung gegeben war. Ich stieg wieder vom Hocker und sah mich kurz in den beiden Spiegeln an, wobei das Grinsen sofort zurückkam. Es erlosch auch nicht, als ich mir den Pullover über den Kopf zog. Knallende Raketen waren noch immer zu hören, aber die Geräuschkulisse war schon weniger dicht als vorher.
Wieder musste ich ein zu lautes Lachen im Keim ersticken und stattdessen leise kichernd den Kopf schütteln, weil der Clown, den Irina heute morgen scheinbar gefrühstückt hatte, aus der jungen Frau sprach. "Wie kann man eigentlich so eine Frohnatur sein, wie du es bist?", stellte ich meiner Freundin durchweg amüsiert eine Frage, ohne sie mit dem Inhalt in irgendeiner Weise beleidigen zu wollen. Ihre Augen strahlten vor ehrlicher Freude und ich genoss das. Ließ mich richtig davon anstecken und es war ganz allgemein einfach eine nette Abwechslung zu der sonst eher angespannten Stimmung in unserem Metier. Von den Männern konnte man kaum ehrliche Emotionen erwarten - bis auf ein paar Ausnahmen wohlgemerkt -, aber genau diese ließen mein Herz zwischen all dem Stress und der Gewalt wegen geschäftlichem Schnickschnack ganz warm werden. Und irgendwie heilte das etwas in mir. Etwas, das nicht einmal Hunter mit seiner aufrichtigen Liebe und all den kleinen Aufmerksamkeiten, die er mir zuteil werden ließ, zu heilen vermochte. Es ließ sich nicht in Worte fassen, was genau es war, aber es fühlte sich gut an. Richtig gut sogar. Eine Zeit lang sah ich meine Begleitung etwas gedankenverloren an, bis diese sich von mir abwendete, um die ersten Kleiderständer in Angriff zu nehmen. Mittlerweile lächelte ich nur noch, grinste nicht mehr, als ich es Irina gleichtat und von der entgegengesetzten Richtung anfing, durch die schier unzähligen Klamotten zu stöbern. Ich liebäugelte gerade mit einem blauen... vielleicht auch dunkelgrünen oder sogar schwarzen Minikleid - die Farbe ließ sich aufgrund der eingeschränkten Lichtverhältnisse nur schwer feststellen -, als die Russin sich bezüglich der Lesbarkeit der Kleidergrößen zu Wort meldete. Etwas verwirrt sah ich über den Aufsteller hinweg in Richtung von Irinas Silhouette, dann legte ich den Kopf schief. "Du weißt schon, dass die Kleiderständer mit der Größe gekennzeichnet sind, oder?" Um meine Worte zu untermauern, schnippte ich mit dem Zeigefinger gegen das in der Mitte eines jeden Aufstellers befindliche Glaspaneel, in dem ein Blatt Papier mit den jeweiligen Größen eingeschlossen war. Nachdem ich diesen Hinweis ausgesprochen hatte, senkte ich den Kopf auch schon wieder und warf mir das eben noch begutachtete Kleid über den Arm. Ich tigerte noch eine ganze Weile durch die verschiedenen Reihen voller unfassbar schönen, aber auch verdammt teuren Klamotten, sammelte hier mal ein Oberteil ein, da eine Hose, ich fand auch eine echt schicke Handtasche an einer Seitenwand des Ladens. Als ich dann allmählich keinen Platz mehr auf meinen Armen hatte und es mir zunehmend schwerer viel, diese eng an meinen Körper gepresst zu halten, machte ich mich im Halbdunkeln auf die Suche nach Irina, die, wie ich feststellen musste, als ich sie kurze Zeit später ausfindig gemacht hatte, nicht weniger Klamotten auf ihrem Arm bunkerte als ich. Gemäß ihren Worten war es dann auch langsam an der Zeit, die Teile anzuprobieren und dazu die nahegelegene Umkleidekabine aufzusuchen. "Warum denn moralisch verwerflich? Machen das Freundinnen nicht in aller Regelmäßigkeit?", fragte ich grinsend, als ich Irina hinterherschlich. War ja auch nicht so, als würden wir einander irgendwas weggucken. Sie sah toll aus und ich sah toll aus, niemand musste neidisch auf den jeweils anderen sein und das Selbstbewusstsein mit schnippischen und absolut ungerechtfertigten Negativkommentaren schmälern. Und wenn Irina mit einer Sache Recht hatte, dann war es damit, dass sie von mir nichts als die ungeschönte Wahrheit hören würde. Wenn ihr ein Teil nicht schmeichelte, dann würde ich ihr das zu verstehen geben. Betonte ein Kleid aber ihre Kurven ganz besonders oder harmonierte mit ihren dunkelbraunen Augen, dann würde sie auch das von mir hören. Bevor ich die Umkleidekabine betrat, wartete ich noch kurz, bis Irina ihr Handy entsprechend so platziert hatte, dass wir da drin gleich etwas Licht hatten. Erst als das erledigt war, tauchte mein eigenes Abbild neben ihr im Spiegel auf. Ich hing meine Errungenschaften an den von der Russin extra für meine Klamotten freigelassenen Haken auf und zog anschließend den Vorhang hinter uns zu. Nicht, dass das irgendein Unterschied gemacht hätte, war doch ohnehin kein Arsch hier. "Na dann zeig mal her, was du dir da schönes ausgesucht hast.", motivierte ich die junge Frau dazu, mit der Modenschau zu beginnen und ließ mich auf den Hocker, den Irina kurz zuvor für die Installation des Lichts zweckentfremdet hatte, fallen. Meine Augen ruhten nun gänzlich auf ihr.
# You son of a bitch, I'm in. I'm in, what's the job? I'm in. I'm out - I quit! Whos kidneys are these? #
“Also erstens… macht Wein da bei mir immer einen hervorragenden Job.”, war der erste, sarkastische Teil meiner Antwort auf die Frage nach meiner unverhältnismäßig guten Laune. “Und zweitens bin ich mit echt mieser Laune aus dem Haus gegangen. Muss also an dem Adrenalin und meinem Partner in Crime liegen.”, vollendete ich meine Begründung dafür, warum ich gerade hätte Bäume ausreißen können, und warf der jungen Frau dabei einen vielsagenden Blick zu. Ich wünschte wirklich, ich wäre jeden Tag so gut gelaunt und zu Späßen aufgelegt. War leider nicht so, obwohl ich generell – zumindest Frauen und Freunden gegenüber – ein kommunikativer Mensch war und auch bei beinahe jeder dummen Aktion sofort dabei war. Mir war nur nicht danach, mit Jedem zu reden und an manchen Tagen, da hielt ich lieber gleich ganz den Mund. Ich brauchte eine Weile, bis ich auftaute und mich tatsächlich öffnete. Bei Männern deutlich länger als bei Frauen, aus sehr vielen guten Gründen. Nüchtern betrachtet hatte mich mein mulmiges Bauchgefühl damals bei Iljah auch nicht getäuscht, aber da war ich drüber weg. Mehr oder weniger. Was die Größen anging, zog ich den Hals zurück und warf einen verwirrten Blick auf die von Cosma angeprangerten Schilder. Das war ein definitiv anderes Größensystem, als ich es gewohnt war und so konnte ich nur mit hochgezogener Augenbraue den Kopf schütteln. “Dann nehmen wir besser gleich noch eine Brille für mich mit, wenn wir schon hier sind.”, nahm ich mich schnaubend selbst aufs Korn, bevor ich den Kopf zurück in die Klamotten steckte. Es dauerte kurz, bis mein Hirn schaltete und ich verstand, dass wir hinsichtlich der Umzugskabinen gerade aneinander vorbei redeten. Sowohl mein Englisch, als auch mein Spanisch wurden auf dieser Insel zwangsläufig besser – an dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an den Engländer und den kubanisch-spanischen Italiener – aber je nach Satzbau dauerte es manchmal trotzdem noch ein bisschen, bis ichs kapierte. “Oooh, nein, das meinte ich nicht… das hab ich schon in Russland mit den Mädels so gemacht. Damals, als ich noch regelmäßiges Gehalt bezogen und immer noch mehr in meinen Schrank gestopft habe, weil ich einfach nicht aussortieren kann.” Ein kurzer Flashback in die Vergangenheit und ein ebenso flüchtiger Gedanke an den Abend, an dem Iljah zum ersten Mal bei mir geschlafen hatte. Hach ja, fast unbeschwerte Zeiten. “Ich meine wegen den offensichtlich nicht anwesenden… Rollstuhlfahrern. Ich glaube, das mit der Ironie bring’ ich manchmal noch nicht so ganz rüber. Der russische Akzent…” Unbekümmert zuckte ich mit den Schultern und machte eine wegwerfende Bewegung mit der rechten Hand. Ich würde sicher noch ein paar Tage länger auf der Insel festsitzen, also war noch genug Zeit, mich in flüssigerer Aussprache und entsprechender Betonung zu verbessern. Jetzt erstmal machte ich mir weder um die Vergangenheit, noch um die Zukunft auch nur einen Hauch von Sorgen. Denn Cosma forderte mich dazu auf, die Stoffe an meinem Körper zu präsentieren und ich zögerte nicht, ein um das andere Teil anzuziehen und mir für alles davon ihre Meinung einzuholen. Weil es hier heute keine Regeln gab, ließ ich alles, was im Laufe der folgenden Minuten nach Cosmas Beurteilung aussortiert wurde, einfach in die Ecke auf den Boden fallen. Das war ein an den Schultern viel zu weites Tshirt, ein an der Brust schlecht sitzendes Minikleid und ein Paar am Hintern komisch geschnittene Shorts. Bestenfalls mitnehmen würde ich – sofern wir Taschen oder Rucksäcke fanden, wo der ganze Mist reinpasste – ein bauchfreies Top; einen eleganten, nicht zu kurzen Rock und einen dazu passenden Blazer; sowie einen Bikini. Nein, mit nackter Haut hatte ich schon lange keine Probleme mehr. Als ehemalige Prostituierte hatte ich irgendwann sämtliche Hemmungen bezüglich meines Körpers über Board geworfen. Ich zog auch nur meinen Slip wieder an und ließ den BH erstmal weg, weil der unter dem Kleid, das ich mir bis ganz zum Schluss aufgehoben hatte, nicht passen würde. Als letztes nahm ich also das im Licht leicht schimmernde Kleid vom Bügel und zog es mir etwas vorsichtig über den Kopf, weil ich es nicht beschädigen wollte. Trotzdem brauchte ich einmal kurz Cosmas vollen Einsatz und drehte mich ihr deshalb mit dem Rücken zu, sah sie über meine Schulter hinweg an. “Würdest du..?”, bat ich sie darum, die Schnürung am Rücken zu übernehmen, löste dabei den ohnehin schon super locker sitzenden Zopfgummi und legte die langen Haare dann über die Schulter nach vorne. Über die schmalen, langen Narben, die meinen Rücken dank der Sorokin-Hurensöhne zierten, machte ich mir dabei keinerlei Gedanken. Konnte ich nichts mehr dran ändern, war eben so. Dank Cosmas Hilfe floss der glatte, stellenweise geraffte Stoff des Kleides letztlich um meine Kurven und meine Mundwinkel hoben sich stetig weiter an. Noch breiter grinsen ging nicht, während ich mich selbst in dem teuren Kleid mit relativ tiefem Ausschnitt und schmalen Trägern begutachtete, mich mehrfach ein wenig drehte, um auch wirklich alle Winkel zu sehen. Schließlich streckte ich das rechte Bein nach vorn und der Beinschlitz folgte seiner Berufung, meine Haut dabei zu entblößen. Es saß im Grunde nicht weniger als perfekt. “Hmmm, was meinst du…”, sinnierte ich laut und klemmte zwischenzeitlich kurz das Zungenpiercing zwischen die Zähne, bevor ich weitersprach, “...kann er lange genug konstant daran denken, mich hierfür umbringen zu wollen, um’s noch in die Tat umzusetzen… wenn ich gar keine Unterwäsche trage?”, vollendete ich meine Frage stückweise und mit den letzten Worten rutschte mein Blick zurück in Cosmas Augen. Die Rothaarige stand noch hinter mir und ich konnte sie über den Spiegel ansehen. Wenn ich das Kleid hier erstmal wieder ausgezogen hatte – was ich am liebsten eigentlich gar nicht mehr tun würde – dann war ohnehin meine Komplizin mit der Präsentation ihrer Auswahl dran. Ob ich meinen Arsch mit oder ohne Kleid auf den Hocker pflanzen würde, hatte ich jetzt noch nicht abschließend entschieden.
Dass wir bezüglich der Umkleidekabinen gnadenlos aneinander vorbeigeredet hatten, ließ mich wie so oft an diesem Abend amüsiert den Kopf schütteln. Sie hatte zwar Recht damit, dass keiner von uns beiden ihr Dasein in einem Rollstuhl fristen musste, aber psychisch waren wir mindestens genau so weit weg vom normalen Standard. Nach meiner verdrehten Ansicht hatten wir damit quasi das gleiche Recht, wie körperlich eingeschränkte Personen. Mal ganz abgesehen davon, war momentan ohnehin niemand da, den es interessierte, welche Art von Kabine denn jetzt genau belegt war. Es war trotzdem gut, dass Irina das Missverständnis kurzerhand aus der Welt räumte und mich damit erneut zum Lachen brachte. Die junge Frau ließ sich kein zweites Mal bitten, meiner Aufforderung, ihre Errungenschaften zu präsentieren, nachzukommen. Kaum hatte ich mich entspannt mit dem Rücken an die Innenseite der Umkleidekabine gelehnt, ließ Irina auch schon sämtliche Hüllen fallen. Zugegebenermaßen überraschte es mich, dass sie damit so gar keine Probleme zu haben schien, vermutete ich doch eine gewisse Unsicherheit der unzähligen Narben an ihrem Körper wegen. Ich machte mir darüber aber nicht mehr Gedanken, als wirklich nötig waren und konzentrierte mich viel mehr auf qualifizierten Zuspruch oder Kritik. Das dachte ich zumindest, aber beschäftigen taten sie mich unterbewusst trotzdem, je häufiger ist sie sah. Man mochte meinen, dass ich aufgrund von Hunters deutlich schlimmer vernarbtem Körper bereits an den Anblick gewohnt war, aber Irinas Haut war noch lange nicht von so viel schwarzer Tinte geschmückt, dass sich die im schwachen Licht der Taschenlampe gläsern schimmernden Blessuren mal eben übersehen ließen. Ich schüttelte das Bedürfnis, die Umrisse der Vernarbungen mit meinen Fingerspitzen nachzuzeichnen, wie ich das bei meinem Freund immer tat, ab und zwang mich stattdessen dazu, die junge Frau wieder als großes Ganzes zu sehen. Es dauerte gar nicht lange, bis sich die Klamotten am Haken schmälerten und sich stattdessen in einer Ecke zu unseren Füßen ein Häufchen türmte, der aller Wahrscheinlichkeit nach dort verbleiben würde, sobald wir die Kabine wieder verließen. Dass Irina mit dem Größensystem hier auf Kuba noch nicht ganz zurecht kam, ließ sich sehr gut daran erkennen, dass viele Teile, welche sie sich über den Arm geworfen hatte und mir nun präsentierte, entweder zu weit oder ganz allgemein einfach nicht gut saßen. Rein von der Optik her gab es bis auf ein einzige Shorts allerdings nichts, was ihr in der passenden Größe nicht ebenfalls unfassbar gut gestanden hätte. Ich würde ihr vorschlagen, von meinen Favoriten, die nicht ganz gepasst hatten, auf Verdacht einfach noch einmal eine andere Größe mitgehen zu lassen. Sie musste es dann auch nicht noch mal anprobieren. Wenn es Zuhause immer noch Scheiße aussah, hatte sie nichts verloren, die entsprechenden Teile einfach zu entsorgen oder anderweitig wegzugeben. Das Highlight des Abends hatte sich Irina offensichtlich jedoch für den Schluss aufgehoben. Um ihr beim Reinschlüpfen in das elfenbeinfarbene Kleid, was gemessen an ihrer Aussage der eigentliche Grund für das Midnight-Shopping war zu helfen, war ich bereits aufgestanden, als sie den entsprechenden Bügel vom Haken genommen hatte. Ein geschickter Handgriff hier und ein bisschen unterstützender Halt da, dann war das gute Stück auch schon angezogen. Noch bevor die Schwarzhaarige mich indirekt fragte, ob ich ihr bei der Schnürung helfen konnte, hatte ich wie selbstverständlich bereits meine Hände nach den Bändern ausgestreckt, um das zum Teil rückenfreie Kleid im vorgesehenen Rahmen zu schließen. Als ich damit fertig war, sah ich über Irinas Schulter hinweg in den Spiegel, der einen unfassbare schönen Anblick reflektierte. "Mon dieu!", flüsterte ich fasziniert in meiner Muttersprache. "Das sieht toll aus.", fügte ich, jetzt wieder in Englisch, hinzu und es fiel mir wirklich schwer, den Blick von der Reflektion der Schwarzhaarigen zu lösen. Erst als Irina sich etwas drehte, um mir alle Seiten des Kleides zu präsentieren, trat ich einen Schritt zurück. Nichts, was sie bis hierhin anprobiert hatte, schmeichelte ihrer Statur, ihrem Gesicht und ihrem Auftreten mehr, als dieses Kleid. "Also ich bin ehrlich mit dir... ich könnte es nicht.", ließ ich sie mit einem schiefen Grinsen wissen, dass ich an Iljahs Stelle zweifelsohne versagen würde, nur noch eine Sekunde länger über Mord nachzudenken. Vor allem, nachdem ich im Zuge der Modenschau bereits gesehen hatte, was ihn unter dem Stoff erwartete.
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Mon Dieu!, hallte es in meinem Kopf noch nach, während mir das nächste Kichern über die Lippen huschte. Bevor ich Cosma kennengelernt hatte, war ich nie Jemandem begegnet, der mir gegenüber auf Französisch kommunizierte. Würde man versuchen, in Russland einen gebürtigen Franzosen ausfindig zu machen, würde man aller Wahrscheinlichkeit nach lange brauchen. Als ausschließlich private Prostituierte war ich auch in keinem der Freudenhäuser des Kartells mit Touristen in Berührung gekommen und im Autohaus hatten die natürlich auch nicht geshoppt. Bis jetzt wusste ich noch nicht, was ich vom Klang französischer Worte halten sollte. Auf Grundlage zweier Worte würde ich da heute sicher noch keine Entscheidung treffen. “Französisch klingt so…” Ich machte eine kurze Pause, musste die passenden Worte in meinem Kopf zusammensuchen. “...auf süße Art hochnäsig. Zumindest, wenn du es sprichst.”, grinste ich kopfschüttelnd vor mich hin. Wahrscheinlich ginge es Cosma mit meinem Russisch ähnlich. Wenn ich da mit Freundinnen ins Lästern gekommen war, klang ich wie das entzückendste Biest auf dem Globus. Keine gute Eigenschaft, aber ich hatte nie versucht, sie abzulegen. Iljah hatte sich von meiner Kratzbürstigkeit sowieso nie abschrecken lassen. “Danke… find ich auch.”, ließ ich der Rothaarigen leicht gemurmelt im Bann des Kleids noch meinen Dank für ihr Kompliment zukommen. Mir fiel nicht erst da auf, dass wir mich eigentlich beide schon die ganze Zeit anstarrten. Ich müsste auch lügen, um zu sagen, dass ich es nicht irgendwie genoss. Es war nicht dasselbe, oft unangenehme Gefühl, als wenn ein Mann mich mit den Augen auszog. Wenn das bei Fremden passierte, bekam ich früher oder später aufgrund der vielen schlechten Erfahrungen unterschwellig Panik, sofern ich nicht betrunken durch eine Bar stolperte. Bei Frauen war das nicht so. Da musste ich nie Angst haben, dass sie mich jeden Moment ungefragt oder gar gewalttätig in ihr Bett zerren wollten. Es war einfach viel ungezwungener und ich bekam nie das Gefühl, ihnen gefallen zu müssen. Als Cosma mir auf meine Frage bezüglich auf mich zukommenden Tadels beantwortete, schilderte sie dabei eher unerwartet ihre ganz eigene Sicht. Deshalb drehte ich mich schließlich vollständig zu ihr um und fing dabei an, meine langen Haare ohne Mithilfe eines Spiegels so vorteilhaft wie möglich um mein Gesicht und das Dekolleté zu drapieren. “Ach, ist das so?”, stellte ich ihr eine rein rhetorische Gegenfrage und biss mir dabei kurz auf die Unterlippe. Ich kam den einen Schritt, der zwischen uns Platz war, wieder auf sie zu und kam ihrem Gesicht mit meinem recht nahe. Dabei streckte ich eine Hand nach einer kleinen losen Strähne an Cosmas Gesicht aus, um sie vorsichtig hinter ihr Ohr zu streichen. “Na dann weiß ich ja, was ich anziehen muss, wenn ich dich zum nächsten Verbrechen überrede.”, flüsterte ich ihr breit grinsend zu, bevor ich einen flüchtigen Kuss an ihre linke Wange hauchte und dann dicht an ihr vorbeiging, um nun meinen rechtmäßigen Platz als Jurorin auf dem kleinen Hocker einzunehmen. Mit einem Glas Champagner und hohen Absätzen statt den kurzen Socken hätte ich mich dabei sicherlich eleganter gefühlt, aber ich wollte den glatten Stoff noch etwas länger auf der Haut spüren. Ziemlich leichtsinnig, nur für den Fall, dass wir doch plötzlich Jemanden auf den Fluren hörten – mit dem Kleid hier ließe es sich zwar auch rennen, sicher jedoch nicht so gut wie mit der Leggings. Bekanntlich war Leichtsinn aber ohnehin schon mindestens mein halbes Leben, machte den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. Die Rothaarige wendete sich schließlich ihren eigenen Ladenfundstücken zu, also überschlug ich die Beine und verschränkte locker die Arme vor der Brust, spielte mit der linken Hand an einer meiner Haarsträhnen herum. Irgendwohin musste ich mit der Energie, die trotz des aktuell etwas abflachenden Adrenalins noch vorhanden war. Dabei kamen irgendwann Gedanken zurück, die ich vorhin nicht ausgesprochen hatte. “Wenn du irgendwelche Fragen hast… wegen den Narben, oder so… dann musst du dich auch nicht zurückhalten, ja?” Ich machte eine kurze Pause, bevor ich noch ein paar Worte anhängte, ohne die Augen von ihr abzuwenden. “Seit ich mich mit Hunters Narbe abgefunden habe, ist der Rest irgendwie weniger schlimm als vorher.”, stellte ich etwas leiser werdend, aber recht neutral fest. Ich musste trotzdem irgendwie das Geld dafür zusammen bekommen, dieses hässliche Wort über meinen Brüsten mit Tinte kaschieren zu lassen. Solange meine Spanischkenntnisse nicht gut genug waren, blieben meine Möglichkeiten dafür leider jedoch sehr begrenzt. Vorausgesetzt, wir fingen nicht damit an, Juweliere auszurauben... was ziemlich sicher sowieso eine Nummer zu groß für mich war.
Ja, das hörte ich nicht zum ersten Mal. Über kaum eine andere Sprache wurde wohl weltweit derart kontrovers diskutiert, wie über Französisch. Die einen liebten den Klang, verglichen die Sprache mit einem melodischen Singsang, wieder andere hassten die viel zu komplizierte Grammatik und den von Irina angesprochenen hochnäsigen Touch. Und ich konnte es verstehen, was nicht zuletzt daran lag, dass ich als Muttersprachlerin durchaus wusste, wie egozentrisch Franzosen sein konnten. Das übertrug sich gewissermaßen natürlich auch auf die ausgesprochenen Worte. Kein Wunder also, dass eine breite Masse dieses Volk nicht ausstehen konnte. Ich selbst hatte deshalb früh angefangen, Englisch zu lernen mit dem klaren Ziel vor Augen, Frankreich besser früher als später zu verlassen. Dennoch überkam mich in Situationen wie diesen meine Herkunft. Wenn die Synapsen aus ihren Verbindungsstücken geflogen waren und mein Gehirn nicht mehr auf Erlerntes zurückgreifen konnte, musste es eben damit arbeiten, was mir als Kind förmlich in den Schädel gebrannt worden war. "Wenn du mir eine Kostprobe von deinem Russisch gibst, lese ich dir vielleicht mal eine französisches Gutenachtgeschichte vor.", witzelte ich und verdrehte daraufhin grinsend die Augen. Irina war nicht die Erste, die mich wegen meiner Muttersprache aufzog. Oder generell wegen meinem französischen Akzent, den ich nie vollständig hatte ablegen können, egal, wie sehr ich es versucht hatte. Sobald ich den Mund aufmachte, stand mir meine Herkunft förmlich auf die Stirn geschrieben. Die nachfolgende Situation in der Umkleidekabine würde mir wohl ewig im Gedächtnis bleiben. Einerseits hätte sie skurriler nicht sein können, andererseits versetzte sie meinem Herzen auf überraschende Art und Weise einen kräftigen Schubs. Ich wusste nicht, was ich als Reaktion auf meine Aussage seitens der Schwarzhaarigen erwartet hatte, aber das war es definitiv nicht. Es kostete mich untypisch viel Anstrengung, meine Gesichtszüge nicht vollkommen entgleisen zu lassen, als die junge Frau einen Schritt auf mich zumachte und mit dem Gesicht so nahekam, dass ich ihren warmen Atmen auf meiner Haut spüren konnte. Wenn ich in der Vergangenheit mal in eine solche Situation hineingeraten war, hatte ich instinktiv einen Schritt nach hinten gemacht, um die Distanz zu wahren. Meine Komfortzone war mir heilig und nur wenige waren in ihr willkommen. Erstaunlicherweise wohl auch die schwarzhaarige Schönheit. Ich hätte in der Umkleidekabine zwar ohnehin keinen Platz mehr für einen Schritt nach hinten gehabt, aber mein Körper machte auch keinerlei Anstalten, zu diesem überhaupt ansetzen zu wollen. Stattdessen blieb ich vollkommen entspannt stehen und ließ mir von Irina eine widerspenstige Strähne, die es aus dem Dutt geschafft hatte, aus dem Gesicht streichen, sowie ein paar süffisante Worte ins Ohr säuseln. Auch der gehauchte Kuss auf die Wange ließ mich nicht zurückschrecken. Ohne überhaupt über die nachfolgende Antwort meinerseits nachzudenken und damit eventuell einhergehende Interessenskonflikte zu eruieren, sagte ich: "Wenn du dann auch die Konsequenzen deines Handelns trägst, kannst du das gerne tun." Mein vor Herausforderung funkelnder Blick lag ruhig auf ihrem hübschen Gesicht. Was sie da jetzt genau hineininterpretieren wollte, oblag einzig und allein Irina selbst. Wir hatten bisher zwar nie darüber gesprochen, aber ich war Frauen gegenüber definitiv nicht abgeneigt. Vermutlich bräuchte es zwar noch einmal eine solche Eskalation mit Hunter wie vor ein paar Monaten, damit ich ernsthaft in Erwägung zog, die Liebe und Treue zu dem Amerikaner final in eine Box zu stecken und diese in der hintersten Ecke meines verkorksten Gehirns einzumotten, aber Spiele spielen tat ich immer noch liebend gerne. Das letzte Mal war schon viel zu lange her und die Russin bot sich hier gerade viel zu gut an, als die Chance nicht direkt zu nutzen. Ich mochte Aufmerksamkeit und mir war das Geschlecht desjenigen, der sie mir gab, ziemlich schnuppe. Allerdings war es nun an der Zeit, dass auch ich die Klamotten anprobierte, dessen Bügel ich ein um den anderen über meinen Arm geworfen hatte. Bevor ich jedoch dazu kam, die Mischung aus verschiedenen Blusen, kurzen Shorts, engen, kurzen Kleidern und Pullovern anzuziehen, richtete meine Freundin noch einmal ihr Wort an mich. Mist. Scheinbar war ihr aufgefallen, dass ich meinen Blick nicht von ihren Narben hatte abwenden können, obwohl ich es wirklich versucht hatte. Ich lächelte schwach, entschuldigend, weil ich so so angestarrt haben musste und nickte ihre Aussage dann dankend ab. "Ich werde sicher noch einmal darauf zurückkommen, danke.", ließ ich sie wissen, dass ich sie in jedem Fall noch einmal auf die Herkunft der einzelnen Narben ansprechen würde. Zeitgleich wollte ich ihr mit meiner Antwort aber auch zu verstehen geben, dass ich diesen entspannten Abend jetzt nicht mit Traurigkeit und schlechten Erinnerungen kaputt machen wollte. Kurze Zeit später wandte ich mich daher wieder von ihr ab und ließ stattdessen nun meine eigenen Klamotten gen Boden wandern.
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Puh, ob Französisch als Einschlafhilfe was nützen würde? Ich stellte mir das gerade eher so vor, dass ich Cosma die ganze Zeit über beobachten und immer wieder grinsen würde. Klang nicht allzu hilfreich, um müde zu werden. “Ich bin mir echt nicht sicher, ob das bei meinem sowieso schon kaputten Schlaf hilfreich wäre.” Ich sprach diese Worte zuerst auf Russisch, bevor ich sie der jungen Frau ins Englische übersetzte. Obwohl ich ihre Gutenachtgeschichte auf diese Weise amüsiert ablehnte, wollte ich ihr meinen russischen Slang nicht verweigern. Dann hatte sie wenigstens auch was, womit sie mich aufziehen konnte – von meinem recht stark zu hörenden Akzent in sämtlichen Fremdsprachen mal ganz zu schweigen. Ich fing an zu glauben, dass wir beide nicht so ganz wussten, womit wir in der Kabine pokerten. Die meisten Frauen reagierten tendenziell schüchtern, wenn sie selbst noch keine engen Beziehungen zum selben Geschlecht gehabt hatten. Das passierte bei Cosma jedoch nicht, was mich stark darauf schließen ließ, dass sie entweder schon versiert auf dem Gebiet war oder zumindest risikofreudig bis möglicherweise bisexuell. “Weißt du… Konsequenzen und ich, das ist so’n Ding…”, grinste ich absolut scheinheilig vor mich hin und sah kurz hoch Richtung Decke. Ich rannte allzu gerne vor jeglicher Verantwortung weg, bis sie mich dann irgendwann doch einholte. Das sollte die Rothaarige vielleicht wissen, so ganz generell… wobei ich ihr dafür heute ohnehin schon ein bis zwei sehr gute Indizien geliefert hatte. Jetzt saß ich hier trotzdem blöd in der Zwickmühle. Ich flirtete gerne zum Spaß mit meinem Geschlecht. Auf die süße, meistens unterschwellige, nicht so ganz ernst gemeinte Art – ich machte gerne viele Komplimente und suchte auch nicht selten körperliche Nähe. Damals in Russland hatte ich genauso wie hier auch nur selten Jemanden in meinem Bett gehabt, der mich freiwillig in den Schlaf kuschelte, bis Iljah auf den Plan getreten war. Deswegen hatten Anastasia, Ksenia und ich uns sehr oft zu dritt in eins der Betten oder aufs Sofa verkrümelt, um uns gegenseitig das zu geben, was uns sonst fehlte. Zugegeben – auch da war ich aber die Anhänglichste gewesen. Natürlich hatte ich jetzt Iljah und ich liebte ihn, aber wie oft war er hier? Alle paar Wochen bis eher Monate, je nachdem, wann er es gerade einrichten konnte. Wer nahm mich in den Arm, wenn er nicht hier war? Ich brauchte das. “Also… ich hasse es ja, das so direkt zu fragen, aber stehst du auf Frauen?” Ich verpackte solche potenziell heiklen Dinge eigentlich gerne subtiler, aber mir fiel beim besten Willen keine sanfte Überleitung ein, wenn sie sich hier schon auszog und die ersten Teile anprobierte. Eine total schräge Situation, die mir ein angenehmes Kribbeln über die Unterarme wandern ließ. “Weil dann… muss ich mein touchiges Verhalten möglicherweise zu kontrollieren lernen. Ich neige stark dazu, alles anzufassen, was ich mag.”, seufzte ich. Abwartend legte ich den Kopf schief, sah Cosma ruhig lächelnd und ohne jegliche Vorbehalte an. Dass ich nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe hatte, wusste sie. Schließlich hing ich regelmäßig bei Sam und Richard rum. Wenn wir irgendwo zu dritt waren, achtete ich jedoch grundsätzlich darauf, neben dem Engländer zu gehen oder zu sitzen. Zwar wusste ich aus Samueles Erzählungen unter vier Augen heraus allzu gut, wie gerne er sich an Richard und dem nicht vorhandenen Sex die Zähne ausbiss, aber bei Beziehungen hielt ich gerne Sicherheitsabstand. Als dumme, dezent hoffnungslose Romantikerin wollte ich kein Grund für zerbrochene Herzen werden. Zwar hätte ich ehrlich nichts dagegen, Hunter dabei zuzusehen, wie er elendig in Liebeskummer ersoff, aber er gehörte zu Cosma und ich respektierte das. Ich wäre verdammt lebensmüde, da meine Finger dazwischenlegen zu wollen. Bisher empfand ich Iljah zwar als nicht besonders eifersüchtig, aber er war das Musterbeispiel schlechthin, wenn es um territoriales Verhalten ging. Außerdem war ich mir sicher damit, dass er es mir sowieso gar nicht zutraute, ihm fremdzugehen, womit er auch völlig richtig lag. Die Frage war dann halt jetzt nur… zählte es in seinen Augen schon als Fremdgehen, wenn ich viel – nicht sexuellen – Körperkontakt zu einer bisexuellen Frau hatte, von der ich todsicher wusste, dass ich mich niemals so in sie verlieben könnte, wie ich ihn liebte? Wo zog er da Grenzen, und – genauso wichtig – wo zog Hunter da Grenzen? Wo zog ich da die Grenze? Und wo zog Cosma sie? Ich biss mir wieder auf der Unterlippe herum, ohne es zu merken.
Im ersten Augenblick erging es mir wohl ähnlich wie Irina, denn ich verstand kurzzeitig nicht ein einziges Wort. Entsprechend dankbar war ich für die noch folgende Übersetzung ins Englische gewesen, weil ich die junge Frau ansonsten wohl noch eine ganze Weile lang irritiert angesehen hätte. Ich wusste nicht ganz, woran es lag, ob es die ständigen Zischlaute waren oder die Intonation einzelner Worte, aber Russisch wirkte auf mich ziemlich... schroff. Als ließe die Sprache keinen Raum für eine zwanglose oder gar romantische Unterhaltung. Es hörte sich durchweg hart gesprochen an und einem alteigesessenen Franzosen würden wohl die Haare zu Berge stehen, müsste er mehr als einen Satz über sich ergehen lassen. Französisch war in seinen Ohren die Euphonie und Russisch die Kakophonie. So schlimm fühlte es sich für mich aber noch lange nicht an. Es war interessant, Irinas russische Stimme zu hören, die sich klar von ihrer englischen oder spanischen Stimme abgrenzte. Es schien, als hätte sie plötzlich eine ganz andere Persönlichkeit angenommen und kaum hatte sie wieder für mich verständlich gesprochen, war sie wieder ganz die Alte. Ob mich Menschen auch mit anderen Augen sahen, wenn ich zwischen den verschiedenen Sprachen, die ich sprach, hin- und herwechselte? Eine sehr interessante Frage, die ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ergründen würde. "Das nächste Mal nehme ich die Beine in die Hand und laufe, so schnell ich kann, wenn du noch einmal auf Russisch mit mir sprichst.", witzelte ich, verpasste dem Satz aber eine derart große Menge an Sarkasmus, dass man es in keiner weise als eine ernsthafte Intention meinerseits auffassen konnte. Trotzdem untermauerte ich die Worte noch mit einem kurzen Lachen, um auf Nummer sicher zu gehen, nicht missverstanden zu werden. Was Irinas Kommentar bezüglich möglicher Konsequenzen anging... meinte ich nach kurzer Überlegung zu wissen, worauf sie anspielte. Woher der Wind wehte. Wir hatten uns während unserer Kennenlernphase des Öfteren schon über unsere Beziehungen unterhalten und auch wenn wir manche Punkte nie vertieft hatten, ahnte ich bereits seit Tag eins, dass sie sich mit ihrer Art an Iljah bereits ein, zwei Mal die Finger verbrannt haben dürfte. Sie war da in etwa genau so talentiert drin wie ich, wenn ich mal wieder Hunters ohnehin kaum vorhandenen Geduldsfaden auf die Probe gestellt und mir postwendend eine Retourkutsche eingeheimst hatte. Ich wollte gerade dazu ansetzen, etwas auf ihre Worte zu erwidern, als Irina sich erneut zu Wort meldete. Dieses Mal mit einer ziemlich direkten und zudem persönlichen Frage, die mich breiter denn je grinsen ließ. Ich wandte mich von dem Spiegel ab und drehte mich stattdessen zu Irina um. Noch in der Bewegung streifte ich die Träger meines BHs von den Schultern, weil dieser unter dem nächsten Oberteil, welches auf der Agenda stand, schlichtweg nicht gut aussehen würde. Ich stand somit fast nackt vor der Russin, als ich meine Arme in die Hüfte stemmte. "Muss ich mir dann etwa Sorgen machen, dass du mich heute noch nicht allzu oft angefasst hast?", zog ich sie feixend auf. Dann aber entspannte sich mein Blick und auch das Grinsen nahm ab, bis nur noch ein schwaches Lächeln meine vollen Lippen umspielte. "Ich mach nur Spaß... um deine Frage zu beantworten: Ja, ich stehe durchaus auch auf Frauen. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass ich mich wegen einer Dame nicht mehr von Hunter lossagen werde. Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich mit oder durch diesen Mann sterben.", sinnierte ich zum Ende vor mich hin und zuckte schließlich mit den schmalen Schultern. Ich wusste nicht genau, worauf die Russin mit ihrer Aussage hinauswollte, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie befürchtete, ich könnte mich wegen einer falschen Berührung direkt in sie verlieben, durfte meine Erklärung sie wohl ausreichend beruhigen. Weil ich ohnehin nicht auf den Mund gefallen war und gerne aussprach, was mir durch den Kopf ging, fügte ich wenig später noch etwas hinzu: "Weißt du, ich flirte gerne. Hab ich damals schon und das hat sich bis heute auch nicht geändert. Früher war es eher Mittel zum Zweck, um für die Bar und das Nebengewerbe" - mein Bordell im Hinterzimmer - "den Profit zu erhöhen. Mittlerweile habe ich einfach Spaß daran." Wieder zuckte ich mit den Schultern. "Also mach dir keine Sorgen, mit deinem touchigen Verhalten bist du bei mir an der richtige Adresse, zumindest solange Hunter nicht in der Nähe ist." Der würde es ganz sicher nicht so lustig finden, wenn ich mich von anderen Menschen anfassen ließ. Das Geschlecht wäre ihm in dem Punkt ganz sicher egal. Er hatte mir ja auch schon einmal ausdrucksstark bewiesen, wie wenig er davon hielt, als ich es für eine gute Idee gehalten hatte, mich während seiner Geburtstagsparty nur im Bikini seinen Freunden zur Schau zu stellen. Und mit diesen Worten wandte ich mich dann auch schon wieder von Irina ab. Ließ sie in Ruhe verarbeiten, was ich gerade gesagt hatte und angelte mir das nächste Kleidungsstück vom Haken.
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Auf die Bemerkung zu meiner Muttersprache hin rollte ich nur grinsend mit den Augen. Es war in diesem Fall wohl gut, dass sich Französisch und Russisch kein bisschen ähnlich waren und es folglich nie dazu kommen würde, dass wir uns damit zu verständigen versuchten. Viel interessanter war ohnehin alles, was danach noch von der Rothaarigen kam. Angefangen damit, dass sie es mir gleich tat und ihren Körper weiter entblößte. Mein Blick rutschte flüchtig an ihrem Körper ab, bevor ich ihr lächelnd wieder ins Gesicht sah und die Augen leicht zusammen kniff, begleitet von einem überzogenen Räuspern, damit sie es auch ja nicht überhörte. “Ich wurde zumindest ein bisschen erzogen und taste mich erstmal ran, ja? Ein paar Grenzen kenn’ ich schon, Ausnahmen bestätigen die Regel…” Ich löste eine Hand von meinen verschränkten Armen und winkte schnaubend ab. Nicht, weil ich beleidigt war, wie mein weiterhin beschwingter Tonfall deutlich zu verstehen gab, sondern weil ich es genauso grotesk wie schön fand, wie schnell wir von ganz guten Freunden zu… naja, dem hier gekommen waren. Wie auch immer man das genau bezeichnen wollte. Dass Cosma nicht davor zurück scheute, mir ihre Sicht der Dinge genauer zu erläutern, machte es nur insofern weniger kompliziert, dass ich jetzt zumindest wusste, wie sie selbst zu den Dingen stand: Ziemlich offen. Das ging sogar so weit, dass sie zum Ende hin explizit betonte, dass ich sie ruhig anfassen konnte, solange ihr Mann das nicht sah. Ich blinzelte ein paar Mal recht schnell hintereinander, so als hätte ich mich gerade verhört. Vielleicht auch deswegen, weil ich nicht so recht wusste, was ich jetzt damit anfangen sollte. Oder wollte. “Wenn ich das jetzt nochmal zusammenfasse… dann hast du mir gerade durch die Blume gesagt, dass es Hunter nicht in den Kram passen würde, wenn ich dich anfasse… und mir aber gleichzeitig gesagt, dass ich das trotzdem darf.” Eben nur dann, wenn er es nicht sah. Wenigstens eliminierte sie meine Sorge darum, dass sie gefühlstechnisch dabei ins Wanken geraten konnte. Ein Problem weniger. “Ich sag’s ungern, aber Girl, du bist definitiv genauso kaputt wie ich.” Leises Lachen mischte sich in diese Worte, weil ich das keinesfalls böse meinte. Unser beidseitig vorhandener Dachschaden mit Hang zur Selbstzerstörung war leider absolut offensichtlich. Wenige Sekunden später beurteilte ich das Oberteil, das die Rothaarige sich anzog. Es schmeichelte ihren Kurven und ihrem Dekolleté. “Ich mags, wenn deine Schlüsselbeine zu sehen sind… die sind wirklich schön.”, sinnierte ich angetan und nickte kurz darauf auch noch eine zum Top passende Hose ab, die sie anzog. Aber um nochmal auf unsere temperamentvollen Partner mit Kontrollzwang zurückzukommen, die unweigerlich weiter in meinem Oberstübchen herumspukten: Noch ungesünder – und dümmer! – als nur mit der Toleranz unserer Männer zu spielen, war es, riskieren zu wollen, unsere Annäherung unter Frauen geheim zu halten, nur, damit sie dann doch irgendwann rauskam. Das passierte echt immer. Meistens in den unpassendsten Momenten. Dann, wenn man am allerwenigsten damit rechnete. Trotzdem klang es verflucht verlockend. Ich war einsam und die von Cosma aufgestellte Aussicht klang nicht nur nach unheimlich viel freundschaftlichem Spaß, weil wir beide einen fetten Sprung in der Schüssel hatten, sondern auch nach der Nähe, die ich mir wünschte. Ich löste meine Arme mit einem leisen, frustrierten Stöhnen voneinander und rieb mir von oben nach unten übers Gesicht, was am Ende eine ziemliche Grimasse ergab. Sah so aus, als würde ich mir die Haut mit den Fingern abziehen wollen. “Ich sollte echt keine Geheimnisse mehr vor Iljah haben…”, stellte ich grummelnd fest, weil ich mich hier schon wieder selbst in einen echt blöden Zwiespalt bugsiert hatte. Ich hatte den Russen wirklich übel geprägt, was das anging und ich wollte echt kein Salz in die gerade erst verheilten Wunden streuen. Da würden wir beide nicht gut bei wegkommen. “...warum ist es dann trotzdem so verlockend, hm?” Es war eine sehr trockene, eher an mich selbst gerichtete, rhetorische Frage, bei der ich die Hände wieder sinken ließ und von dem Hocker aufstand. Wahrscheinlich, weil es das einzige bisschen Kontrolle ist, dass du noch über dein eigenes Leben hast, Herzchen. Der Teufel auf meiner Schulter gehörte verdammt nochmal gefeuert. Ich streckte den rechten Arm nach hinten aus, um nach den Bändern an meinem Rücken zu greifen. Die Schleife löste sich relativ leicht und der Stoff saß wieder locker genug, um ihn vorsichtig auszuziehen und zurück in die Klamotten zu schlüpfen, die ich mitgebracht hatte. Die, in denen man flüchten konnte. Auch in Sachen Polizei galt, dass ich Iljah als Richter vorzog, also lieber schon mal zurück in die Klamotten werfen, in denen ich auch weglaufen konnte. Ich angelte nach meinem BH, um ihn wieder anzuziehen.
Wohl erzogen, dass ich nicht lache, dachte ich und gab ein belustigtes Schnauben von mir. Irina mochte vielleicht mehr Manieren und bessere Werte besitzen als manch anderer, aber mir verklickern zu wollen, dass sie anständig erzogen worden war, während sie sich im Zuge eines Einbruchs an Klamotten bediente, die sie nicht bezahlen würde, war fast schon eine Frechheit. Ich nahm es ihr jedoch nicht krumm, wusste ganz genau, worauf sie mit dieser Aussage anspielte. "Dass du ein paar Grenzen kennst, scheint dich aber nicht daran zu hindern, sie trotzdem zu überschreiten, oder?", stellte ich ihr eine belustigte Frage und musste feststellen, dass wir uns in diesem Punkt gar nicht mal unähnlich waren. Ich wusste in aller Regel auch, wann ich besser meinen Mund hielt und keinen Schritt weiter ging. Nur um es kurze Zeit später dann trotzdem zu tun. Immerhin wunderte ich mich schon lange nicht mehr über etwaige Konsequenzen, die ich deswegen zu tragen hatte. Früher hatte ich mich noch regelmäßig beschwert, wie unfair die Welt doch war und das sich alle nur gegen mich verschworen hatten. Mittlerweile wusste ich es besser, einige - zum Teil traumatische - Erlebnisse hätte ich mir ersparen können, wenn ich einfach mal die Erwachsenere gewesen wäre. Aber naja. Irinas nachfolgenden Zusammenfassung folgte ich mit gespielt überspitzter Aufmerksamkeit, ließ es für einige Sekunden, in der ich sie aus großen Kulleraugen ansah - ähnlich die eines Kindes, welches überhaupt nicht verstand, was zwei Erwachsene miteinander redeten -, still zwischen uns werden, bevor ich langsam nickte. Dabei so tat, als müsste ich noch länger darüber nachdenken, was sie gerade gesagt hatte, weil ich schwer von Begriff war, obwohl es längst bei mir angekommen war, nur um sie schließlich mit einem knappen "Jap!" in ihrer Aussage zu bestätigen. Dann lachte ich und verhielt mich wieder meines Alters entsprechend halbwegs normal. "Ich meine... machen gerade Frauen das nicht ohnehin schon oft? Freundschaftlich kuscheln, gemeinsam aufs Klo gehen. Scheiße, eine ehemalige Stammkundin hat mir sogar mal erzählt, dass sie mit ihrer besten Freundin zusammen duschen geht. Ist doch nichts dabei, zumindest, wenn du mich fragst." Mit einem Schulterzucken schlüpfte ich nun endlich in das Oberteil, was ich schon eine ganze Weile in den Händen gehalten hatte. In manchen Belangen war ich einfach nicht multitaskingfähig, wie mir schien. Kaum saß das Top da, wo es sitzen sollte, kassierte ich auch schon das erste Kompliment seitens der Schwarzhaarigen, was mich in dem Beschluss, dieses Teil definitiv mitgehen zu lassen, zusätzlich bestätigte. Ich fand es nämlich auch ganz schick, vor allem in Kombination mit der Hose, die ich mir rausgesucht hatte. Ich würde jetzt noch das dunkelgrüne - im Licht der Taschenlampe ließ sich die Farbe nun eindeutig zuordnen - Minikleid anprobieren und den Rest der ausgesuchten Kleidung sowie die Handtasche einfach auf Verdacht mitgehen lassen. Wir waren schon eine ganze Weile hier, von dem Feuerwerk um Mitternacht war fast nichts mehr zu hören. Hier und da krachte bloß noch eine vereinzelte Rakete. Entsprechend wurde es langsam Zeit, dass wir die Biege machten. Ich wollte meine Begleitung gerade über meinen Plan unterrichten, da fiel mir auf, dass die Schwarzhaarige sehr unzufrieden wirkte. Fragend sah ich sie an, während ich in das Kleid schlüpfte, musste auf eine Erklärung aber gar nicht lange warten. Ich seufzte leise und griff mir mit der rechten Hand nachdenklich in den Nacken. "Es gibt Fragen, auf die weiß niemand so wirklich eine Antworte...", stellte ich gemurmelt fest und sah sie wehleidig an. Ich konnte verstehen, dass sie sich solche Fragen stellte, stand ich doch nicht selten selbst vor diesem Dilemma, aber in den meisten Fällen verfolgte ich stets die Devise, mir nicht unnötig viele Gedanken zu machen. "Versteh' mich nicht falsch, ich will dir jetzt nicht weiß machen, dass es gut oder gar ratsam ist, Iljah anzulügen. Es ist nur... na ja, du solltest dir überlegen, was du für dich selbst willst, weißt du? Sind deine Bedürfnisse dir weniger wert, als die von deinem Freund? Und denkst du, er würde es nicht verstehen, wenn du dich ein bisschen um dich selbst kümmerst, wenn er nicht da ist?" Gewagte Worte, das wusste ich. Hunter stünde selbst vermutlich kurz vor einem Tobsuchtsanfall, würde er herausfinden, dass ich hinter seinem Rücken noch mit Frauen schäkerte. Der Unterschied zwischen mir und Irina war jedoch, dass ich mich gegen den Amerikaner auflehnen und ihm zu verstehen geben würde, dass er sich in etwas verrannte, das überhaupt nicht der Rede wert war. Auch in dem Punkt war das aber natürlich nur meine Meinung. Außerdem wusste Irina doch gar nicht, ob der Russe sich in Moskau nicht vielleicht auch mit einer anderen Frau oder einem anderen Mann die Zeit vertrieb. Hatte sie darüber schon einmal nachgedacht?
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“Ja, genau deswegen schlittere ich wohl auch immer wieder in diese Life-And-Death-Situations.”, seufzte ich, klang aber gleichzeitig nicht wirklich besorgt darüber. Vor einer Weile hatte ich – natürlich aus quälender Langeweile – mal versucht, zu rekonstruieren, wie oft ich in meinem Leben bis zum aktuellen Tag in Situationen begeben hatte, die mittelmäßig bis sehr gefährlich waren. Da kam schon ein bisschen was zusammen und viele davon hatte ich durch meine Entscheidungen beeinflusst. Sich darüber klar zu werden, hatte allerdings nicht unbedingt dabei geholfen, vernünftiger zu werden. Grund dafür war, dass ich es ja auch jedes Mal wieder da raus geschafft hatte, richtig? Das war nicht nur Glück gewesen. Ein bisschen schon, natürlich, aber das war nicht die Quintessenz der Sache. Ich war gut darin, Leute zu durchschauen und bis zu einem gewissen Grad zu manipulieren, wenn ich es musste. Danach fühlte ich mich dann trotzdem schuldig, aber das hielt nicht ewig an – das Leben musste ja schließlich irgendwie weitergehen. Man wusste nie, wann es zu Ende war und ich hatte von meinem noch überhaupt gar nichts gehabt. Cosma gab mir hier auch nicht unbedingt das Gefühl, mein Verhalten ändern zu müssen. “Oh, das mit den gemeinschaftlichen Duschen hab ich auch längst hinter mir…”, grinste ich fast schon beiläufig vor mich hin und warf mir dabei die schwarze Mähne zurück über die Schultern, weil sie mir beim Anziehen des BHs im Weg war. Das hatte ich zwar mit meinen WG-Mitbewohnerinnen nie gemacht, aber in der Villa der Sorokins war das irgendwann fast normal gewesen. Das Badezimmer war einer der sehr wenigen Orte gewesen, an dem man sich in falscher Sicherheit wiegen konnte. Geschlossene Türen hatte man dabei trotzdem vergebens gesucht. Also ja, ich wusste bestens, dass Frauen grundsätzlich dazu neigten, sich auf gewisser Ebene sehr nahe zu stehen. Als ich zurück in meine Leggings schlüpfte, zog die Rothaarige sich gerade ein Kleid an. Bevor ich sie mir richtig ansehen konnte, folgte jedoch noch ein weiterer Schwall an Worten, dem ich meine Aufmerksamkeit schenken musste. Ich musterte ihr Gesicht und wusste, dass sie mich verstand. Nur hatte Cosma sicher schon vor längerer Zeit gelernt, für sich einzustehen. Der Wendepunkt war da vermutlich die Trennung von ihrem Ex in Norwegen gewesen. Sowas hatte ich nicht gehabt und eigentlich sträubte sich alles in mir dagegen, Iljahs Gefühle zu verletzen. Das einzige, was zu seinem Leidwesen noch lauter in meiner Brust schrie, war das Verlangen danach, wieder Dinge für mich selbst zu entscheiden. Seit ich dem Kartell in die Arme gelaufen war, hatten Männer mir diktiert, was ich zu tun und zu lassen hatte und der Mann, in den ich mich verliebt hatte, tat nun mit großer Vorliebe exakt dasselbe. Ironisch, aber trotzdem nicht absurd – fast jeder Mensch ließ sich wieder lieber mit dem Teufel ein, den er schon kannte. “Ich weiß, dass du Recht hast.”, stellte ich erstmal fest und begann dabei, mir das Kleid an ihrem Körper anzusehen. So als könnte es mir bestätigen, dass es schon okay war, wenn ich wieder Mist baute, weil Cosma ein schöner Mensch war. Innen wie außen. Ich trat erneut an die junge Frau heran, damit sie mir unweigerlich in die Augen sehen musste. Das war mir wichtig für die folgende Frage, denn damit fiel oder stand die Sache wohl irgendwie. Ich wollte wissen, wie sicher sie sich war und welches Risiko ich einging. “Ich hatte bisher gar keine richtige Gelegenheit, mich selbst an erste Stelle zu stellen… aber wenn ich es jetzt tue, will ich dabei nicht unbedingt wieder riskieren, draufzugehen.” Meine Stimme war etwas leiser als vorher, ich klang jedoch nicht verunsichert. “Irgendwann kommt sowas immer raus. Ist nur eine Frage der Zeit… also muss ich von dir wissen, ob du dich zwischen Hunter und mich stellen würdest, wenn es drauf ankommt. Lange genug, dass ich mich in Sicherheit bringen kann. Du weißt, dass er mich sowieso schon nicht leiden kann und Iljah ist wegen des 14-Stunden-Flugs ein eher… sekundäres Problem.”, fragte ich Cosma gerade heraus, ob ich im schlimmsten Fall der Fälle auf sie bauen konnte und hob dabei die rechte Hand, streichelte ihr mit dem Daumen einmal vorne über das schmale Kinn. Das Lächeln umspielte noch immer meine Mundwinkel. Iljahs Zorn würde sich sowieso primär gegen mich richten, da war ich mir sehr sicher. Inwiefern das bei Hunter im Bezug auf Cosma auch galt, konnte ich auch nicht einschätzen. Was ich jedoch mit Sicherheit wusste, war, dass er sich bestimmt gerne neue Gründe suchte, die gut genug waren, um mich doch noch abzumurksen. Es reichte, wenn ich mein Leben zuweilen für meinen Freund riskierte. Dieses Recht war ihm vorbehalten und ich würde es nicht auf Cosma ausweiten, wenn sie nicht bereit war, das für mich zu tun.
"Ich glaube viel mehr, es liegt daran, dass du immer wieder den Schwanz einziehst, wenn es darum geht, deine Ansichten zu verteidigen.", mutmaßte ich, nahm dabei natürlich kein Blatt vor den Mund und stellte mir dabei die Frage, warum es sich plötzlich so anfühlte, als würde ich Irina therapieren. "Dass du lieber die Klappe hältst, weil du einem Streit aus dem Weg gehen oder deinen Gegenüber nicht verletzen willst und hey, im gewissen Rahmen ist das auch eine gute Einstellung. Aber immer nur zurückzustecken, um das Wohl anderer nicht zu gefährden, wird dich schneller kaputt machen, als du bis drei zählen kannst.", fügte ich hinzu und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich der Russin nichts ins Gewissen redete, sondern lediglich versuchte sie zu animieren, ihre Einstellung in manchen Situationen zu überdenken. Ich meinte es ja auch keinesfalls böse, ganz im Gegenteil. Ich mochte Irina und ich wollte, dass sie sich wohl in ihrer Haut und als Person fühlte. Dazu gehörte aber nun mal eben auch ein gewisses Maß an Mitwirkungsbereitschaft. Ich könnte ihr noch stundenlang einen Vortrag halten, wenn sie daraus nichts mitnehmen wollte, dann war das vergebene Liebesmüh. Dann hatte ich ihr mit meinen Worten ganz umsonst einen so tiefen Einblick in meine Seele gewährt, ihr indirekt so viel mehr von mir gezeigt - wie ich zum Teil die Welt gesehen hatte, wie oft ich selbst auf die Schnauze geflogen weil, weil ich mich ähnlich verhalten hatte wie sie -, als ich es bisher nur drei Menschen zugestanden hatte. Einer davon lebte tausende Kilometer weit entfernt, der zweite im Bunde war Richie und das Schlusslicht bildete ganz offensichtlich der Amerikaner. Das war zwar ein Risiko, welches ich seit langer Zeit mal wieder bereit war einzugehen, aber ich würde mich nur selbst belügen, wenn ich behauptete, dass es mich nicht trotzdem kränken würde. Ich gab mir ungern die Blöße, meine Erfahrungen zu teilen, wenn auch nur indirekt, wenn andere dann nicht daraus lernen und es besser machen wollten. Irgendwie hatten mich meine eigenen Worte gerade ziemlich nachdenklich gestimmt und ich konnte das Grinsen, welches Irina mir schenkte, als sie über das gemeinsame Duschen sprach, nicht erwidern. Zu groß war gerade die Sorge, ich hätte mir mit den belehrenden Worten der Schwarzhaarigen gegenüber mehr Rechte rausgenommen, als mir zustanden. Lächerlich, wie ich gerade predigte, für seine Taten einzustehen, nur um kurz darauf meine eigenen Worte infrage zu stellen. Man, wann war das Leben eigentlich so scheiße kompliziert geworden? Warum machte man sich zwischenzeitig so unnötige Sorgen? Ich war mir sicher, Irina verstand, welche Message ich ihr vermitteln wollte, es gab keinen Grund, das Ganze noch unnötig lange zu zerdenken. Die junge Frau zwang mich schließlich dazu, ihr wieder in die Augen zu sehen. Wann genau hatte ich meinen Blick eigentlich so scheu auf mein Kleid gerichtet? Etwas wehleidig sah ich sie an, rang mir mit Müh und Not ein schwaches Lächeln ab, als sie mir eine Frage stellte, die ich ohne zu Zögern beantwortet hätte, wäre da nicht ihre Hand an meinem Kinn gewesen, die mich mit einem angenehm elektrisierenden Gefühl lähmte. "Jederzeit.", flüsterte ich. Es war nur ein Wort, aber zeitgleich auch ein Versprechen. Wenn es nur das war, was die junge Frau zögern ließ, sich selbst einmal zu priorisieren, dann konnte ich ihr diese Angst guten Gewissens nehmen. Ich hatte keine Angst vor Hunter. Vor allem jetzt nicht mehr, wo ihn die Pillen doch ein gutes Stück ruhiger hatten werden lassen. Und ich riskierte gerne einen Streit, wenn Irina dafür einmal in ihrem Leben über ihren Schatten springen und für ihre Werte einstehen würde. "Aber dann musst du mir versprechen, dass du, sollte es irgendwann rauskommen, den Mund aufmachst. Egal, ob du Hunter oder Iljah gegenüber stehst. Du sagst diesen Spinnern klipp und klar, dass du das getan hast, weil es dir Spaß gemacht hat und weil du es wolltest. Weil du es einfach für richtig gehalten hast, okay? Und du stehst zu deinem Wort. Ich im Gegenzug bin da, wenn das Gespräch eskaliert.", koppelte ich mein Versprechen an eine Bedingung, die sich vielleicht ziemlich hart anhörte, aber absolut notwendig war, damit Irina einsah, dass ich ihr nur den Weg ebnen und beim Verlegen der richtigen Steine helfen würde. Gehen musste sie schlussendlich alleine. In Richtung eines von anderen Menschen unabhängigen Lebens, welches sie erfüllte und auf lange Sicht noch heller strahlen ließ, als sie das ohnehin schon tat. Mit einem schwachen Lächeln hob ich meine Hand an ihre, verschränkte meine Finger mit ihren und übte einen sanften Druck aus, mit dem ich meine vorangegangen Worte untermauerte.
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