Ich begann die junge Frau noch während sie sprach langsam zu mustern. Zwar wusste ich, dass die beiden Geschwister nicht immer unbedingt sanft miteinander umgingen, aber allein Vahagns Stimmlage reichte schon dazu aus, mich die ganze Situation vermehrt hinterfragen zu lassen. Ihr ganzer Körper bebte förmlich vor Anspannung, obwohl sie nur ein paar Tage nach Mexiko musste. Was war denn daran so schlimm? Ich meine, ja, scheinbar hatte ihr Bruder sie darüber jetzt sehr kurzfristig informiert und spontan irgendwo aus Geschäftsgründen hinzumüssen war immer nervtötend. Das ging mir selbst ja nicht anders, wenn Hunter spontan irgendwas umwarf und dabei natürlich Niemanden nach seiner Meinung oder nach seinen Plänen fragte... und doch fand ich es merkwürdig, dass die Russin darauf so extrem aufgebracht reagierte. Ich ließ sie natürlich nicht gerne gehen, grundsätzlich nie - ich hatte sie trotz etwaiger Reibereien gerne um mich, ich liebte sie. Hatte mich daran gewöhnt, akzeptierte das meistens einfach und blieb ruhig, bis sich der Sturm wieder auflöste. Aber so durch den Wind wie jetzt gerade hatte ich sie lange nicht gesehen. Wütend oder genervt, das schon, aber das hier war anders. Da war nicht nur Wut, ich konnte des Rest nur nicht definieren. Das lag mitunter sicher auch daran, dass Vahagn meinen Blick sehr konsequent mied. Natürlich wollte sie aber wieder nicht darüber reden. Es war nicht das erste Mal, dass sie das sagte, seit ich damals in Russland so fatal etwas ausgeplaudert hatte, das ich ihrer Meinung nach nicht hätte sagen dürfen. Seitdem merkte ich öfter mal, dass sie mir etwas verschwieg oder bei manchen Dingen nur oberflächlich an der Wahrheit kratzte. Ich war ein geduldiger Mensch und wollte ihr was das anging wirklich gerne genug Zeit geben, um mir wieder ihr Vertrauen schenken zu können. Was das anbelangte schien sie ebenso so zäh wie Hunter zu sein, also versuchte ich auch das entspannt anzugehen. Je öfter ich aber merkte, dass sie mir hier und da wahrscheinlich nicht ganz die Wahrheit sagte oder mir etwas verschwieg - ich kannte Vahagn nun wirklich lang und gut genug, um ihre Körpersprache in dieser Hinsicht recht klar deuten zu können, selbst wenn sie mir keinen Wink mit dem Zaunpfahl gab - desto schwerer wurde es. Eine Beziehung funktionierte ohne Vertrauen langfristig nicht... und ich hasste es, wenn sie mich immer einfach vor vollendete Tatsachen stellte. Mir am liebsten einfach jeglichen Wind mit Worten aus den Segeln schmettern und mich mundtot machen wollte, nur weil sie über irgendwas nicht reden konnte oder wollte. Dafür war ich nicht hier. Dafür führte man keine Beziehung. Ich wollte für sie da sein, ihr wenig nötig meine Schulter leihen. Gemeinsame Lösungen finden. Nicht immer wieder nur mit dem imaginären Auto an die nächste Wand fahren. Es war wahnsinnig frustrierend. Also ja, unsere Beziehung verlief sehr ruhig - jedoch überwiegend nur deshalb, weil ich mich zurückzunehmen wusste. Immer und immer wieder. Ich seufzte leise, versuchte im Anschluss daran tief durchzuatmen und senkte den Kopf leicht nach vorne, um eine Hand von meinem Arm zu lösen und mir stattdessen kurz die Schläfen zu massieren. Schon bevor ich den Mund aufmachte, wusste ich, dass ich den nächsten Gefühlstornado mit meinen Worten heraufbeschwören würde, aber ich hatte jetzt schon oft genug den Mund gehalten. Irgendwann war dann einfach mal gut. "In letzter Zeit hast du... irgendwie nie Nerven für Irgendwas.", stellte ich also langsam fest, als ich den Kopf gerade wieder anhob und erneut in ihre Richtung sah, ohne mich aus dem Türrahmen zu bewegen. "Und ehrlich gesagt fällt es mir etwas schwer zu glauben, dass Mexiko ein ausreichender Grund dafür sein soll, dass du... so drauf bist. Was ist mit deinem Handgelenk?", fragte ich weiter, weil mir die offensichtliche Rötung nahe ihrer Hand bei meiner Musterung nicht entgangen war. Ich klang wie sonst auch immer sehr ruhig, obwohl mir diese Frau gerade schon wieder wirklich unangenehme Kopfschmerzen bereitete und mir eher danach war die Stirn mal mit Schmackes an den Türrahmen zu knallen. Das hätte zwar keine Probleme gelöst, aber den emotionalen Schmerz in meiner Brust mit dem physischen Schmerz am Schädel überdeckt.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
In Situationen wie diesen fragte ich mich selbst immer wieder, warum ich nach all den vorherigen Malen eigentlich immer noch naiv genug war, daran zu glauben, dass Tauren mich jemals in Ruhe lassen würde, wenn ich ganz offensichtlich gerade nicht mit ihm reden wollte. Wenn ich mehr als nur deutlich machte, dass es mir nicht gut ging - egal, ob es war, weil ich ihn anschrie, meine Körperhaltung es ausdrückte oder ich ihm anderweitig das Gefühl gab, dass da etwas war, über das es sich, so als normaler Mensch, ganz vielleicht zu reden lohnte - und ich einfach nur meine Ruhe haben wollte. Bis jetzt war ich selten damit durchgekommen, ihm an den Kopf zu schmeißen, dass ich für etwas gerade keine Zeit, keine Nerven oder keine Geduld hatte und ausnahmslos jedes Mal endete das darauffolgende, offensichtlich mehr oder weniger erzwungene Gespräch in einem Streit. Dass das nichts war, worauf ich gerade sonderlich Lust hatte, musste ich nicht noch einmal erwähnen, oder? Ohnehin war nur selten mal das Gegenteil der Fall... Jedenfalls hätte es mir klar sein müssen, dass der Norweger mich auch dieses Mal nicht einfach in Ruhe lassen und weiter nachhaken würde. Heute oder allgemein in den letzten zwei bis drei Wochen war das nur einfach eine noch schlechtere Idee, als sie das sonst schon war. "Was willst du jetzt von mir hören, Tauren? Was los ist?" Offensichtlich wollte er das, so wie immer. Immer wollte er wissen, was war, aber es gab einfach Dinge, die brauchte er nicht zu wissen, verdammt nochmal! "Mein Bruder ist los, aber ansonsten geht es mir blendend. Es ging mir nie besser. Jedes Mal, wenn Iljah hier war, geht es mir absolut ausgezeichnet, weil er mir immer irgendwelche tollen Neuigkeiten überbringt, für die ich diesen Mann einfach nur wahnsinnig liebe..." Meine Stimme klang inzwischen so wie eine Harpyie, die hysterisch das Lachen angefangen hatte, weil ich gerade weniger als gar keine Kontrolle über meinen Körper hatte. Auf der Straße hätten sicherlich schon ein paar Leute ihr Handy gezückt - hier auf Kuba deswegen wohl überwiegend nur der recht junge Teil der Bevölkerung -, um ärztliche Hilfe zu organisieren. Es fehlten eigentlich nur noch die zerzausten Haare und die blutunterlaufenden Augen, dann hätte man mich ausgezeichnet für die Rolle eines durchgedrehten Drogenjunkies casten können. Ungefähr so hatte Richard nämlich auch mal ausgesehen. Vermutlich taten das alle, die seit Tagen nur unzureichend Schlaf bekommen hatten und dann auch noch emotionalem Stress ausgesetzt waren - im Falle der Junkies war der Grund dafür wohl, dass der Stoff langsam knapp wurde und in meinem Fall... na ja, der Schwangerschaftsabbruch. Ich stopfte meine Klamotten inzwischen schon nicht mehr in die Tasche, sondern prügelte sie beinahe dort rein, sodass eines der Shirts höchstwahrscheinlich in Fetzen gerissen werden würde, sollte ich damit irgendwo hängenbleiben. Mit den Worten schwang logischerweise auch ein durchweg ironischer und hörbar bissiger Unterton mit, weil ich dieses Gespräch nach wie vor einfach nicht führen wollte. Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden und mich nicht erklären müssen. Denn nein, logischerweise war nicht nur Iljahs Besuch daran Schuld, dass ich mental momentan derart am Boden des Brunnens herum kroch, aber über das, was geschehen war, wollte ich bis dato auch einfach noch nicht sprechen. Weder mit dem Norweger, noch mit irgendjemand anderem. Ich versuchte allerdings, eben jenen Besuch als Grund meiner schlechten Laune anzuführen, aber Tauren war gut. Zu gut, wenn es darum ging, aus mir zu lesen, wie aus einem beschissenen Buch. Denn nicht einmal, wenn ich ihm auf diese gehässige Art und Weise versuchte, einen Bären aufzubinden, kaufte er mir die Story ab und so stürzte er mich mit seinem nächsten Satz sinngemäß die Böschung hinab. Ich hielt in meiner Bewegung, die bis hierhin noch überaus energisch war, plötzlich inne, presste die Klamotten unter meinen zu Fäusten geballten Händen in die Tasche und... schluchzte. Die Tränen, die ich mir so mühsam verkniffen hatte, kullerten bei seiner Frage, was passiert war, über meine Wangen und all die Emotionen in mir mit ihnen. Weil ich die Hände dermaßen nach unten drückte und entsprechend mein Handgelenk belastete, wurde auch der Schmerz der Verletzung, die Tauren ansprach, wieder präsenter und machte die aktuelle Situation damit kein Stück besser. Ein paar Sekunden hielt ich in dieser, einer Schockstarre sehr ähnlichen, Position inne, bis die Wut einen Ruck durch meinen Körper fahren ließ. Ich griff mir die Reisetasche an den beiden Enden, drehte mich um und schleuderte sie meinem Freund als warnendes Zeichen vor die Füße. Natürlich hätte ich ihn, gerade durch das Überraschungsmoment, damit auch ernsthaft verletzen können, wenn ich mit ausreichend Schwung seinen Oberkörper oder sogar sein Gesicht getroffen hätte, aber das war ja nun nicht wirklich meine Intention gewesen. Ich wollte einfach nur, dass er aufhörte, seine verdammten Fragen zu stellen, mit denen er immer so verdammt effektiv an meinen verdammten Wunden kratzte. Verdammt nochmal - ich hasste es! Ich hasste es, wie sehr er immer auf mein Wohl aus war, wie er immer alles wissen und über alles reden wollte. Er sollte mich manchmal - so auch heute - einfach leiden lassen. Es einfach gut sein und mich meine Kämpfe selbst austragen lassen. "Es geht dich einen Scheißdreck an, was passiert ist. Lass mich einfach in Ruhe, verflucht noch mal!", schrie ich ihn an und zum ersten Mal, seit er das Schlafzimmer betreten hatte sah ich ihn direkt an. Wütend und durch einen Tränenschleier hindurch, aber ich sah ihn an. Kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehend realisierte ich, dass mein atypisches Verhalten nicht unbedingt dazu beitrug, die Sache hier ruhig zu klären, wobei der Zug sicher ohnehin abgefahren war. Es schien mehr als offensichtlich, dass ich momentan weitaus größere Probleme zu haben schien, als das normal der Fall war.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Was zur Hölle..? Diese drei kurzen Worte beschrieben ziemlich gut, was in meinem Kopf vorging, während Vahagn mal eben den Verstand zu verlieren schien. Ich wusste gar nicht, was ich im ersten Moment dazu sagen oder auch nur darüber denken sollte. Es wäre ja nichts Neues gewesen, wenn sie mich wieder einfach nur angefaucht hätte. Das wäre nicht grade das erste und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal gewesen, weil die Russin manchmal einfach sehr leicht auf die Palme zu bringen war. Aber das? Dass es nur an Iljahs Besuch und der ihr gestellten Aufgabe liegen sollte, dass sie hier gerade völlig am Rad drehte, konnte sie vielleicht noch irgendjemandem erzählen, der sie nicht gut kannte. Allerdings war ich mir ehrlich gesagt angesichts ihrer verflucht schrägen Reaktion nicht sicher damit, ob sie diese Antwort überhaupt wirklich ernst meinte oder einfach nur irgendwas sagte, damit ich aufhörte ihr auf die Nerven zu gehen. Oder mich gar gänzlich damit zu verschrecken, was sie sich abschminken konnte. Zugegeben - ich wurde auch wirklich etwas hibbelig unter der muskulösen Brust, weil ich die junge Frau so schlichtweg noch nie gesehen hatte. Auf so absolut gruselige Art und Weise hysterisch, dass mir ein kurzer, unangenehm kalter Schauer den Rücken runterlief und sich mir für einen Moment lang die Haare im Nacken aufstellen. Jedoch hatte ich in den letzten Jahren unter Hunters Fittichen die absurdesten Gestalten in den verschiedensten Spelunken gesehen und es brauchte wohl etwas mehr, um mich gänzlich zurückschrecken zu lassen. Ich meine, ja - sie machte mir schon Angst. Aber das hatte nicht den Effekt, dass ich gehen und mich verkriechen wollte. Nein, es machte mir Angst, weil sie mir nur noch mehr Sorgen bereitete. Das, was ich hier vor mir hatte, war nicht wirklich dieselbe Vahagn wie die, die ich damals oben in Norwegen kennengelernt hatte. Das war es, was mir Angst machte. Ich musste den Gedankengang unweigerlich unterbrechen, um mich aus dem Türrahmen zu lösen und einen instinktiven Schritt rückwärts zu machen, weil mir plötzlich die Tasche entgegen geflogen kam. Ich kam nicht umher einen Moment lang fassungslos auf den gepackten Kram unweit meiner Füße zu starren. Anscheinend waren wir jetzt an einem Punkt in unserer Beziehung angekommen, an dem mit Sachen geworfen wurde. Gott, war es wirklich so falsch mich um sie zu sorgen?! Als ich den Blick wieder anhob und Vahagn nicht lang damit fackelte mich anzuschreien, versuchte ich schnellstmöglich den Fokus davon ab und stattdessen auf die glitzernden Tränen an ihren Wangen zu richten. Sie meint das nicht so, das weißt du. Wahrscheinlich ging ich ihr zwar ganz schrecklich damit auf die Nerven, dass ich mich mal wieder weigerte sie mit ihren Problemen alleine zu lassen, aber ich war nicht das primäre Problem. Oder? Ich wusste langsam nicht mehr, was ich glauben sollte. Also atmete ich tief durch und schloss einen Moment lang die Augen - wollte ihr gerne näher kommen, sie in die Arme nehmen, wusste jedoch im gleichen Moment auch, dass sie das kaum wollen würde. Sie schrie mir hier ins Gesicht, dass ich sie in Ruhe lassen sollte und nicht, dass ihr danach war sich bei mir auszuheulen. Es war nur leider genau das, was ich mir wünschte. Dass sie sich endlich mal ein winziges, kleines bisschen wieder öffnete. Mich nicht immer aussperrte, als würde ich ihr etwas Böses wollen. Es war mir ein Rätsel, warum sie nicht verstehen wollte, dass sie sich selbst früher oder später völlig zugrunde richten würde, wenn sie immer nur alles in sich hinein fraß. Also schob ich nach dem tiefen Atemzug die gepackte Tasche, bei der man nicht unbedingt von Ordnung reden konnte, mit dem rechten Fuß genau mittig in den Türrahmen. Dann stieg ich darüber, bevor ich in die Knie ging und mich stumpf auf die Tasche setzte. "Nein.", kommentierte ich das Ganze nur knapp und mit bemüht ruhigem Tonfall, auch wenn mein Herz längst höher geschaltet hatte. Sah entschlossen von unten zu ihr hoch, sah es nicht ein die Sache jetzt so unschön auf sich beruhen zu lassen. Sie wollte mich anschreien? Bitteschön, freie Fahrt. Sie wollte noch ein paar Tshirts oder im Worst Case ein paar Schuhe nach mir werfen? Ungern, aber auch das würde ich aushalten. Die paar blauen Flecken waren nicht der Rede wert, wenn sie all die negativen Emotionen dafür endlich mal rausließ. Nur hier weg kam sie jetzt nicht, sollte sie das im Falle eines Neins meinerseits im Sinn gehabt haben. Natürlich füllte ich den Türrahmen nicht voll aus, aber ich hatte zwei sehr nützliche Arme, die sie festhalten würden. Ich würde sie nicht gehen lassen, bis sie sich zumindest ansatzweise beruhigt hatte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Heute war ein schräger Tag und das in absolut jeder Hinsicht. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich so unkontrolliert wie noch nie zeigte, schien auch Tauren sein Repertoire an Aktionen, die mich geradewegs bis auf die Palmkrone klettern ließen, erweitern zu wollen. Ungläubig sah ich dem jungen Mann dabei zu, wie er in aller Seelenruhe meine Reisetasche zurechtschob, nur um sich anschließend absolut unbeirrt von all meinen lauten Worten auf dieser inmitten des Türrahmens zu platzieren. Für einen Augenblick lang dachte ich, er wollte mich einfach nur ärgern. Mir noch einmal so richtig auf die Nerven gehen, bevor er sich schließlich aus dem Staub machte, aber da passierte nichts mehr. Gut zwei Minuten zogen ins Land und der Norweger rührte sich kein bisschen von der Stelle. Mein Körper bebte immer noch, aber es fiel mir zunehmend schwerer, mich auf meine Wut zu konzentrieren, wenn er mich parallel dazu derart irritierte. Sein Nein war da momentan wohl mein kleinstes Problem, war mir eigentlich klar gewesen, dass er nicht einfach so klein bei geben würde. Tauren eben - sein zweiter Vorname war schließlich hartnäckig. Jedenfalls wusste ich die Situation primär überhaupt nicht in Worte zu fassen, obwohl das Bild nicht hätte klarer sein können. Er saß da eben und... wollte mich augenscheinlich nicht gehen lassen - was definitiv mein nächster Schritt gewesen wäre, wenn ich ehrlich zu mir selbst war. Zwar ließ ich mich nur ungern aus meiner eigenen Wohnung vergraulen, aber heute hätte ich lieber den Weg des geringsten Widerstandes gewählt, anstatt meine Nerven noch weiter zu strapazieren. Da das aber fürs Erste ein Ausweg war, der mir verwehrt blieb, stand ich nunmehr ein wenig hilflos meinem Freund gegenüber. Sah aus großen, verwirrten Augen zu ihm nach unten und jetzt wo ich so darüber nachdachte, wusste ich auch, was genau mich an diesem Bild so irritierte. Tauren war niemand, der sich vor anderen Leuten kleinmachte - ausgenommen vor Hunter und dessen rechte, sowie linke Hand -, der seinen Kopf senkte und seinen körperlichen Vorteil anderen gegenüber nicht ausnutzte und jetzt tat er genau das. Er ließ mich von oben auf ihn herabschauen und irgendwie... war das kein schönes Gefühl. "Steh' wieder auf!", forderte ich ihn nach einer halben Ewigkeit deshalb dazu auf, sich mir gegenüber gefälligst nichts so zu zeigen. So... hinnehmend, abwartend, aussitzend. Es machte mir den Anschein, als könnte ich ihm jetzt alles an den Kopf knallen und er würde es wort- und regungslos hinnehmen. Nicht, dass das jetzt einen großen Unterschied dazu machte, wie er sich in Streitsituationen mir gegenüber normalerweise verhielt, aber wenn ich ihn so sah, fiel es mir einfach deutlich schwerer, ihn anzuschreien oder ihm böse zu sein. Sichtlich überfordert mit der Situation machte ich ein paar Schritte nach links, dann wieder nach rechts, als würde es mir dabei helfen, meine Gedanken zu sortieren, aber je länger der Norweger unweit von mir im Türrahmen saß und sich um mich sorgte, desto schwieriger fiel mir das. Und umso mehr fehlte mir die Kraft, meine innere Anspannung - die ich in Form von angespannten Schultern und den verkrampften Handballen auch sichtbar nach außen trug - und die Wut aufrechtzuerhalten. Ich wollte ihn gerade einfach nicht sehen, nicht so. Es tat mir nämlich ganz offensichtlich weh. "Warum machst du das, Tauren?", fragte ich und meine Stimme klang inzwischen hörbar verzweifelt, flehend, auch wenn mein Puls weiterhin raste. Ich im übrigen auch wahnsinnig gerne noch etwas nach ihm geworfen hätte, aber es ging nicht. Jeder noch so beiläufige Gedanke daran, wurde mit einem unangenehmen Stechen in der Brust gestraft, weil ich wusste, dass ich nicht noch weiter auf ihm rumhacken können würde. Er vermutlich schon genug Schmerzen verspüren würde, wenn er wüsste, warum ich gerade derart durch den Wind war. Und eigentlich war es sein gutes Recht, zu erfahren, was ich getan hatte, aber ich konnte es ihm nicht sagen. Noch nicht. Ich selbst hatte für mich damit noch nicht abgeschlossen, die Wunde war noch frisch und sie tat verdammt weh. Zwar gab es keine Narben zu sehen, aber der Schmerz wütete noch in mir - wortwörtlich und das gerötete Handgelenk war ein Scheißdreck dagegen. Nach einer Weile sinnlosem Herumtigerns kam ich schließlich vor dem jungen Mann zum stehen, sah ihn aus erschöpften Augen an. All die Wut und der Zorn forderten langsam ihren Tribut. Das Adrenalin hielt mich nicht mehr lange auf den Beinen und so war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich einfach zusammensacken und mich mit dem letzten bisschen Rest an Energie in den Schlaf weinen würde. Entweder alleine auf dem Bett oder in den Armen meines Freundes, wenn ich die Schuldgefühle einen Augenblick lang hintenanstellen können würde. Die waren nämlich der ausschlaggebende Grund dafür, warum ich mich Tauren gegenüber momentan noch ätzender verhielt, als er das von mir gewohnt war.
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Wenigstens schien es gleich auf Anhieb sehr gut funktioniert zu haben die junge Frau mit meinem Verhalten in ihrer absolut blinden Wut zu irritieren. Sie wusste zu Beginn scheinbar nicht ganz, was sie davon nun halten sollte. Ich eigentlich auch nicht - diesen Weg einzuschlagen war so ziemlich mein letzter Ausweg. Seit ich meinen Prügelvater hinter mir gelassen hatte vermied ich es tunlichst gegenüber Irgendjemandem den Kopf zu senken, solange es nicht notwendig war. Es machte verletzlicher, als ich es sein wollte, nur war das gerade die einzige wirklich gute Option, die ich hatte. Ich brauchte Vahagn nicht zum tausendsten Mal darum bitten mir zu sagen, womit sie sich selbst so sehr plagte. Sie würde es mir sowieso nicht sagen, das war grundsätzlich eine Sackgasse. Ich war auch kein Mensch, der einfach zurück schrie. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um eine - oder gar meine - Frau handelte. In der Suite in Russland damals war ich der Russin gegenüber laut geworden, ja, aber das hatte ohne jeden Zweifel einzig am Alkohol gelegen. Nur ein Grund mehr für mich von diesem blöden Gift wieder die Finger zu lassen, genauso wie von allen anderen Drogen. Jedenfalls blieb meine letzte Option jetzt diesen einen Schritt rückwärts zu gehen, mich gänzlich von einer ebenbürtigen Position loszusagen und Vahagn dadurch zu signalisieren, dass ich nicht der Feind war. Anders schien sie es ganz einfach nicht zu verstehen, was traurig war. Schließlich waren wir schon monatelang zusammen, da sollte sie mich besser kennen... ich war die letzte Person auf Erden, die noch einmal nachtrat, wenn Jemand schon am Boden lag. Auf ihre Aufforderung gefälligst wieder vom Boden hochzukommen schüttelte ich nur mild den Kopf und zuckte im gleichen Moment mit den Schultern. Ich hatte schließlich noch keinen guten Grund meinen Arsch wieder von der gar nicht mal so bequemen Reisetasche zu lösen. Zwar schrie die Schwarzhaarige mich inzwischen nicht mehr an, aber ihre Nerven lagen noch immer sehr gut sichtbar absolut blank. Sie war nicht ansatzweise ruhiger, also würde ich sie nicht gehen lassen, ergo ich blieb sitzen. War zumindest nicht ganz so hart der Laminatboden. Ihre Frage danach, warum ich mich so verhielt, war ziemlich leicht zu beantworten. Eigentlich könnte sie sich das auch selbst denken, würde sie mal einen Moment stehenbleiben und darüber nachdenken. Ich wartete mit der Antwort auch noch, bis sie tatsächlich zum Stehen kam und mich wieder ansah. "Weil ich mit meinem Latein am Ende bin, Vahagn. Es bringt nichts dich zu fragen, was los ist. Genauso wenig wie es was bringt, wenn ich dir Freiraum gebe. Das hier ist der letzte Ausweg.", erklärte ich und seufzte leise, ohne ihre glasigen Augen dabei aus meinem Blick zu lassen. Ich hatte die ersten beiden Optionen jetzt oft und lange genug ausprobiert und es funktionierte ganz einfach nicht. Dass sie immer und immer wieder Dinge vor mir geheim hielt, weil sie glaubte, dass sie mir jene nicht anvertrauen konnte, erschöpfte auch nicht nur sie. Ich hob langsam die rechte Hand und rieb mir damit einmal von oben nach unten über das angespannte Gesicht, ehe ich meine Augen erneut in die meiner Freundin legte. "Du musst nicht mit mir darüber reden, wenn du das nicht kannst oder willst. Aber du schnauzt mich jetzt schon seit Tagen gefühlt nur noch an und ich kann mich nicht daran erinnern irgendwas falsch gemacht zu haben..." Und eigentlich war ich mir auch sehr sicher damit, dass ich nicht die Ursache für ihren Ärger war. Das hätte ich im Moment des Vergehens nämlich sicherlich zu spüren und auch gesagt gekriegt. Schließlich hatte Vahagn was meine Fehler anging noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, wieso hätte sie es jetzt tun sollen? "Wenn es doch so ist, dann korrigier mich da bitte wenigstens und wenn es nicht so ist... warum... warum kannst du dich nicht wenigstens von mir in den Arm nehmen lassen? Eine Umarmung hat echt noch Niemandem geschadet...", redete ich vor mich her und klang dabei inzwischen wohl nicht minder verzweifelt, als es die Russin bei ihren letzten Worten getan hatte. Sie stieß mich immer wieder weg und ich verstand einfach nicht, warum sie das tat. Sie brauchte sich vor mir nicht zu schützen.
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Tauren ließ mich erneut den ziemlich bitteren Geschmack meiner eigenen Medizin kosten, indem er sich ebenso konsequent über diese vermeintlich einfache Bitte hinwegsetzte, wie ich es immer bei den seinen tat. Ihm einfach mitzuteilen, wo mein aktuelles Problem lag - von denen ich ziemlich viele hatte - war in der Theorie ja auch ziemlich einfach. In der Praxis nur leider nicht und so war ich vermutlich genau so bockig, wie er in diesem Augenblick. Eher noch schlimmer, dessen war ich mir durchaus bewusst und doch war es nicht schön, so direkt den Spiegel vor das Gesicht gehalten zu bekommen. Stören tat mich das tatsächlich auch nur, weil es eben Tauren war, der zu solchen Mitteln griff. Der das sonst nie tat und der mir, anders als manch anderer, nicht mal eben egal war. Ich wollte mich ihm gegenüber nicht so verhalten, wie ich es bei anderen, unbedeutsameren Menschen tat. So gleichgültig und... ekelig. Aber es fiel mir unglaublich schwer - man legte seine Marotten halt nicht mal eben so ab. Dass der Norweger mir in Russland derart in den Rücken gefallen war, machte die Sache auch nicht unbedingt einfacher, auch wenn ich genau wusste, dass er es keineswegs böse gemeint hatte. Das schien mein verkorkstes Hirn nur leider nicht zu interessieren. Ich rang nämlich immer noch mit mir, mich dem jungen Mann gegenüber wieder einigermaßen zu öffnen, aber eigentlich versuchte ich es - wirklich. Nur was die aktuelle Situation anging, wusste ich mir einfach nicht zu helfen. Im Grunde hatte ich jedes Szenario schon einmal mit einem anderen Menschen durchgemacht. Wusste entsprechend, wie jemand auf die ein oder andere Beichte reagierte, womit ich rechnen musste und was als mögliche Konsequenz in etwa auf mich zukam, wenn ich die Klappe aufriss, aber das? Das war einfach ein ganz neues Kaliber und obwohl ich sonst kein Blatt vor den Mund nahm, bekam ich in der Situation den Mund nicht auf. Da konnte sich Tauren drehen und wenden, in welche Richtung auch immer er wollte, ich konnte einfach noch nicht mit ihm darüber reden. Ob ich es je können würde, war ich mir zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht so recht sicher. Umso mehr schmerzten mich seine Worte und ja, jetzt wo er mich ganz offensichtlich auf meine ekelhafte Art in den letzten Tagen ansprach, umso mehr konnte ich mein Verhalten reflektieren und mich schlecht fühlen. Denn es tat mir tatsächlich wahnsinnig leid, dass ich ihn so auf Distanz hielt. Dass er sich, wie ganz zu Anfang unserer Beziehung, als Außenstehender fühlte, der von mir nicht mehr als die kalte Schulter gezeigt bekam, obwohl wir inzwischen schon verhältnismäßig lange unter einem Dach lebten. So lange hatte ich vorher jedenfalls noch nie mit jemanden zusammengewohnt. Vor einer Weile hatte mich das nicht wirklich interessiert, wie sich der Norweger gefühlt haben musste, nachdem ich ihm immer und immer wieder auf den Fuß getreten war, aber inzwischen sah ich das etwas anders. Es lag mir schon am Herzen, dass er sich auch irgendwie ein bisschen Wohl mit mir fühlte. Klar, gänzlich umkrempeln können würde mich Tauren wohl nicht, ich war einfach als Zicke geboren worden, als solche herangewachsen und würde diese blöde Charaktereigenschaft auch in hundert Jahren noch nicht abgelegt haben, aber in einem gewissen Maß ihm gegenüber war das ja auch okay. Er wusste schließlich von Anfang an, worauf er sich eingelassen hatte, aber die letzten Tage waren eine andere Hausnummer. Ratlos sah ich zu dem jungen Mann hinab und wenn er nicht aufstehen wollte, damit ich mich besser fühlte, machte ich mich eben kurzerhand noch kleiner als er. Das hörte sich zumindest schöner an, als die Tatsache, dass meine Beine mich einfach nicht mehr halten wollten, weil meine ganze Konzentration anderswo lag. Und so glitt ich schließlich auch gen Boden, zog die Beine nach einem kurzen Moment des Schocks hastig an meinen Oberkörper und schlang dann die Arme um meine Knie. Ich sah erst Tauren noch einen kleinen Moment lang an, musterte sein von Sorgen gezeichnetes Gesicht, ehe ich meine Stirn gegen die Knie presste, in der Hoffnung, dass aus den paar Tränen und dem leisen Schluchzen nicht mehr werden würde. Aber der Damm brach, als mein Freund mich fragte, warum ich mich denn nicht wenigstens von ihm in den Arm nehmen ließ. Schließlich hat es noch Niemanden geschadet. Es schien, als hätte ich die taffe, sonst immer so selbstbewusste Vahagn kurzerhand in eine Kiste gesteckt und diese für einen Moment mit Nieten und Nägeln weggesperrt. Ich saß da wie ein Häufchen Elend, heulend und vollkommen aufgelöst, weder der englischen, noch italienischen oder russischen Sprache mächtig. Alles, was mir jetzt über die Lippen gekommen wäre, war unverständliches Gestammel, maximal ein paar zittrige Worte, aber kein ansatzweise sinnvoller Satz. Offensichtlich übermannten mich Emotionen von vor mehreren Jahren oder waren spontane Nervenzusammenbrüche auch bei normalen Menschen derart heftig?
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Normalerweise hatte Vahagn immer irgendwelche Worte auf Lager, ganz gleich worum es ging. So wie ich sie hier jetzt sah, hatte ich sie noch nie gesehen. Dementsprechend graute es mir im Moment auch davor sie überhaupt nach Mexiko aufbrechen zu lassen. Es könnte wahnsinnig viel schiefgehen, wenn sie sich bis dahin nicht vollends beruhigt haben... wenn sie den Kopf nicht frei bekam, dann war das gefährlich. Man durfte in unserem Metier schlichtweg keine Gefühle mit zur Arbeit nehmen, das hatte Hunter jetzt schon oft genug gepredigt. Herz aus, Kopf an. Im Normalfall konnte die Russin das wirklich gut. Jetzt in diesem Moment war ich mir zum ersten Mal aber wirklich so absolut gar nicht sicher damit, dass sie das in naher Zukunft hinbekam. Sie sagte überhaupt nichts, schluchzte und weinte stattdessen. Auf dem Boden sitzend. Verkroch sich bei sich selbst, als hätte sich die ganze Welt gegen sie verschworen... und erinnerte mich damit stark an mich selbst. Nicht an mein heutiges Ich, aber früher als Kind hatte ich das manchmal gemacht. Mal hinter dem Sofa, mal im Kleiderschrank, mal im Badezimmer. Einfach grundsätzlich da, wo sich meine Eltern gerade nicht gestritten hatten. Der Streit mit Iljah konnte in diesem Fall aber schlichtweg nicht der alleinige Auslöser sein. Die beiden hatten sich schon öfter gestritten und sie hatte danach niemals so ausgesehen. Da musste mehr sein - es brachte nur nichts mir darüber weiter den Kopf zu zerbrechen, weil sie es mir nicht sagen würde. Ich konnte die junge Frau aber auch nicht einfach so dort sitzen lassen. Das widersprach einfach meinem Charakter, meinem ganzen Wesen. Etwa eine halbe Minute lang saß ich einfach nur da und wusste nicht, ob ich den Versuch nun wagen sollte oder doch lieber nicht. Konnte nicht abschätzen, wie Vahagn letztendlich darauf reagieren würde oder nicht, aber am Ende kam ich ja doch nicht dagegen an, es zu wagen. Schlimmer als das hier konnte es schließlich kaum werden. Die junge Frau war schon jetzt gefühlt unerreichbar für mich und kein Stück sie selbst. Das einzige, das schlimmer wäre, wäre eine Trennung. Meine Intuition sagte mir jedoch, dass das nicht passieren würde. Vahagn war nicht wegen mir so furchtbar schräg drauf. Andernfalls hätte sie mir das längst ins Gesicht geknallt. Viel eher schien sie zu merken, dass sie mir hier und da in den letzten Tagen vielleicht ein bisschen zu viel zugemutet hatte - oder zumindest war es das, was ich in ihr Verhalten hineininterpretierte. Also schluckte ich leise, aber mit klopfendem Herzen und setzte mich dann noch etwas zögerlich in Bewegung. Weit weg war die Schwarzhaarige nicht, also schwang ich mich für die kurze Distanz nicht extra auf die Füße. Stattdessen nahm ich nur den Hintern von der Tasche, drehte mich mit dem Rücken zu ihr und schob mich mit den Füßen - die noch immer in den 0815-Vans steckten, die ich im Alltag meistens lieber trug als sportlichere Sneaker - die zwei Meter auf auf dem Arsch zu ihr rüber. Saß so direkt neben ihr, um ohne eine weitere Sekunde zu zögern meinen Arm nach ihren schmalen Schultern auszustrecken und sie zu mir rüber zu ziehen. Nicht mit Gewalt, aber doch sehr bestimmt, damit sie sich aus der zusammengekauerten Position lösen und den Kopf an meiner Brust parken musste. Auch hier galt jetzt wieder das Null-Toleranz-Prinzip. Würde sie sich wehren, würde ich sie einfach weiter festhalten und zur Not auch mit der zweiten Hand nachhelfen. Sollte sie von mir aus gegen meine Brust schlagen oder mir in den Bauch boxen, wie man das ab und an mal in gefühlslastigen Filmen sah, wo Jemand sehr verzweifelt war. Ich hatte Schlimmeres überlebt. Außerdem wirkte Vahagn in diesem Augenblick nur noch kaputt, nicht mehr so geladen wie vorhin. Also vielleicht blieb ich sogar verschont. Gegenstände oder Klamotten hatte sie schließlich auch keine mehr geworfen.
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Es machte den Anschein, als wollten die Tränen gar nicht mehr aufhören zu laufen und ich mich im Umkehrschluss auch überhaupt nicht mehr beruhigen. All die unzähligen Versuche, die Heulerei einzustellen, verliefen sich ergebnislos im Sand und so saß ich eine schier unendlich lange Zeit einfach nur da und ließ alles raus, was ganz offensichtlich dringend mal rausgelassen werden musste. War wohl lange überfällig. Dass Tauren in der Zwischenzeit zu mir aufgeschlossen hatte und nicht mehr im Türrahmen saß, bekam ich noch nicht einmal mit, weshalb ich wohl auch ein wenig erschrocken zusammenzuckte, als er seinen Arm um meine Schultern legte. Regungslos ließ ich das einfach zu, weil es mir inzwischen wohl mehr als scheißegal war. Das änderte zwar nichts an der Tatsache, dass ich mich einfach schrecklich fühlte, ihm jetzt mit einem solchen - ihn betreffenden - Geheimnis in den Armen zu liegen, wiederum hatte mir seine Nähe die letzten Tage aber auch furchtbar gefehlt. Ich sollte mich darüber aber vermutlich nicht beschweren, schließlich hatte es an mir gelegen. Ich war diejenige gewesen, die den jungen Mann auf Distanz gehalten hatte und es tat mir furchtbar leid. Vielleicht hatte Tauren Recht und es würde mir besser gehen, wenn ich mich ihm gegenüber zumindest mit dem ein oder anderen Problem öffnen würde. Nur bei dem jetzigen zweifelte ich das stark an. Also nein, der Norweger würde heute vermutlich keinen Mucks mehr aus mir herauskriegen, wodurch sich meine überaus ekelhafte Art in den letzten Tagen erklärte, aber er hatte ja selbst gesagt, dass er das fürs Erste auch gar nicht mehr wissen wollte. Ich sollte mich bloß ein bisschen beruhigen und ihn am besten auch nicht mehr so anschnauzen. Für den Moment konnte ich ihn, zumindest was letzteres anging, ein wenig beruhigen. Nachdem ich sicher noch zehn Minuten lang unentwegt geweint hatte, setzten langsam die Kopfschmerzen ein und zwangen mich förmlich dazu, mal einen Gang zurückzuschalten. So gefühlsmäßig war noch lange nicht alles raus, aber mir würde vermutlich der Schädel explodieren, würde ich jetzt einfach weiter heulen. Das anfangs noch gut hörbare, zittrige Schluchzen wurde immer leiser, bis es schließlich gänzlich verklang. Ab diesem Moment dauerte es aber sicher noch einmal genau so lange, bis ich es wagte, meinen Kopf langsam wieder anzuheben und mein Antlitz war aktuell wohl alles andere als schön anzusehen. Ich brauchte mich nicht einmal im Spiegel zu sehen, um zu wissen, dass meine Augen ziemlich aufgequollen sein mussten und meine Wangen die Farbe einer Tomate angenommen hatten. Langsam drehte ich den Kopf in Taurens Richtung, lehnte mich nun auch das erste mal von mir aus ein wenig gegen ihn, weil dieses krampfhafte Gegenhalten gegen seinen Arm auf Dauer einfach unangenehm wurde. "Es... tut mir leid...", murmelte ich nach einer Weile leise und wie immer kam mir diese Art von Worten nicht besonders leicht über die Lippen, waren an der Stelle aber ganz klar notwendig. Und auch die nachfolgende Bitte fiel mir schwer zu formulieren, war aber mindestens genau so wichtig wie die vorangegangene Entschuldigung. "Bitte geh' nicht... ich wollte dir nicht das Gefühl geben, dass... ach, ich weiß nicht...", setzte ich an, brach aber schließlich ab, weil ich meine Gedanken auf die Schnelle nicht sortiert bekam. Tauren würde ohnehin schon wissen, was ich ihm hatte mitteilen wollen, er kannte mich schließlich nicht erst seit gestern. Wusste deshalb auch ganz genau, dass es mir so schon schwer genug fiel, so sentimentale Worte zu finden, also konnte er mir mein Gestammel sicherlich verzeihen. Viel mehr würde er von mir außerdem weder heute, noch in der Zukunft zu hören bekommen, denn wenn ich mit diesem ganzen Gefühlsscheiß erst einmal über den Berg war, würde ich bezüglich diesen Zusammenbruchs nie wieder auch nur ein Wort verlieren. Und der jungen Mann täte gut daran, wenn er das hier auch ja für sich behielt. Es war schließlich, obwohl es in den letzten Tagen wohl eher nicht den Anschein machte, ein Zeichen des Vertrauens, dass ich mich ihm hier so verletzlich zeigte. Noch einmal so eine Aktion wie in Russland würde ich ihm kein zweites Mal verzeihen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es kam mir offensichtlich sehr zugute, dass Vahagn nervlich so am Ende war. Das schlug schlichtweg auch auf ihren Körper um, was mir heftige Gegenwehr ersparte. Das hätte mir jetzt wahrscheinlich aber auch den Rest gegeben. Ich mochte nicht derjenige von uns beiden sein, der die Tränen fließen ließ, aber das hieß nicht, dass mir der Moment deswegen nicht sehr nahe ging. Allein deswegen schon, weil er mir noch einmal sehr unmissverständlich vor Augen führte, dass wir beide vielleicht nach wie vor meistens im selben Bett schliefen - zumindest wenn meine Arbeitszeiten nicht völlig beschissen ausfielen und es für mich einfacher war bei mir Zuhause zu schlafen - und trotzdem unheimlich weit voneinander entfernt waren. Ich wusste, dass das zum Teil meine eigene Schuld war... trotzdem würde ich mir diesen Schuh aber nicht alleine anziehen. Ich versuchte jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit lang die Wogen wieder zu glätten und trotzdem kam nichts dabei rum. Ich mochte ja zeitweise ein wirklich unrealistisch veranlagter Optimist sein, aber wenn das noch lange so weiterging, dann würde irgendwann selbst meine ewige Hoffnung zu schwinden beginnen. Ich glaubte gerne daran, dass wir aus diesem Loch wieder rauskamen. Das würde aber nicht passieren, wenn Vahagn mich nicht mehr an sich heranließ. Ja, dass sie die Umarmung irgendwann schließlich akzeptierte und meine Nähe ebenfalls ein bisschen suchte, das war ein winziger Fortschritt. Das machte aber am Ende keinen Unterschied, wenn sie sich nicht mehr öffnen würde. Vielleicht gab es andere Menschen, die gut damit klarkommen würde, aber ich gehörte zweifelsohne nicht dazu. Ich konnte nicht für immer neben Jemandem her leben und so tun als wären die offensichtlichen Probleme nicht existent. Als die junge Frau schließlich langsam aufhörte zu weinen und wider Erwarten sogar zu reden begann, streckte ich auch die zweite Hand noch nach ihr aus und schob sie vorsichtig an ihren Nacken unter die schwarzen Haare. Streichelte mit dem Daumen sanft über ihre ziemlich warme Haut und lauschte ihren Worten. Es tat gut zu hören, dass sie den Fehler nicht bei mir suchte, sondern ihn sich - ausnahmsweise - selbst eingestand. "Ist schon gut... ich weiß ja, dass du's nicht so meinst...", murmelte ich doch etwas nachdenklich zu ihr runter und sah einen Moment lang in ihre geröteten Augen. Allerdings nicht besonders lange, weil ich nicht wollte, dass sie die Unsicherheit aus den meinen las. Also lehnte ich mich stattdessen zu ihr nach unten und drückte einen zärtlichen Kuss auf die ebenfalls ziemlich aufgeheizte Stirn. Ließ meine Lippen auch noch eine kleine Weile an ihre Haut gelehnt, während ich mit leerem Blick auf die Tasche starrte, die noch immer im Türrahmen lag. Konnte dabei mein Herz förmlich schreien hören, dass es eben eigentlich überhaupt nicht schon gut war. Im Grunde war grade gar nichts gut. Würde wohl nicht das erste und auch nicht das letzte Mal bleiben, dass mein Kopf meinem Herzen etwas vorzulügen versuchte. Der Schmerz war durch Leugnung leichter zu ertragen. Leugnung und Ablenkung. "Brauchst du noch irgendwas? Kann ich dir noch was Gutes tun, bevor du gehen musst?", läutete ich Phase 2 ein, indem ich ihr diese Frage an die Haut murmelte und im Anschluss daran einen Kuss auf ihren Haaransatz hauchte. War mir nicht sicher damit, ob die Russin das unruhig in meiner Brust schlagende Herz mit Pech sogar hören würde, aber eigentlich spielte es wiederum auch gar keine Rolle. Vahagn wusste so oder so, dass diese Unterhaltung nicht spurenlos an mir vorbeiging. Das taten unsere Streits nie.
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Zwar hatte ich ganz grundsätzlich durch das viele Weinen mental tief Luft geholt, aber nennenswert besser ging es mir nach dem Konflikt ja trotzdem nicht. Vermutlich würde dieses beklemmende Gefühl sich auch erst lösen, wenn ich endlich mit der Sprache herausrücken konnte. Ganz gleich, ob nun Tauren oder jemand anderem gegenüber, aber es musste definitiv irgendwann raus. Wenn es mich jetzt schon zu erdrücken drohte, wollte ich ehrlich gesagt nicht wissen, wie es mir in ein paar Tagen, Wochen oder gar Monaten gehen würde. Auf kurz oder lang brach ich mit all dem zusätzlichen Scheiß, der mein Leben bis zur ungewollten Schwangerschaft nur mäßig belastet hatte, plötzlich unter dem Druck zusammen. Ich war zwar keine Psychologin, sah das aber definitiv als ein Fakt an. Ich täte mir also gut daran, möglichst bald über meinen Schatten zu springen und meinen Mund aufzukriegen. Für den Moment wollte ich aber eigentlich gar nicht weiter darüber nachdenken. Es führte in diesem Augenblick zu nichts und ich wollte nicht schon wieder zu weinen anfangen. Ich hatte die Augen geschlossen und lauschte einfach nur dem Atem und den wenigen Worten meines Freundes, der mich zusätzlich noch ein wenig zu beruhigen versuchte, indem er mir hier und da einen Kuss auf die Haut hauchte und... einfach da war. Trotz all den fiesen Worten und den allgemein nicht besonders netten Aktionen von mir, schien er meiner Bitte zu folgen und blieb einfach neben mir sitzen, stand nicht plötzlich auf, um sich aus dem Staub zu machen. Allerdings erinnerte Tauren mich mit seinem letzten Satz daran, dass ich letzteres im Gegenzug bald müsste - mich aus dem Staub machen, meine ich. Dank meines Nervenzusammenbruchs hatte ich glatt vergessen, dass ich meine Tasche gepackt hatte, um mich Iljahs Aufforderung zu fügen und in mir kroch eine leise Panik nach oben, als ich kurzzeitig überlegte, wie lange ich hier eigentlich schon mit mir selbst kämpfte. Wie viel Zeit ich vergeudet hatte. Der Russe meinte, es gäbe einen strengen Zeitplan, an den ich mich halten musste, weil das Schiff ansonsten gnadenlos ohne mich ablegen würde. Erschrocken, wenn auch nicht besonders kraftvoll riss ich mich aus der beruhigenden Umarmung meines Freundes, nachdem ich in Folge meines Gedankenblitzes kurzzeitig den Schlafzimmerboden gemustert hatte. Als ich dem Norweger die Reisetasche vor die Füße geschmissen hatte, war auch mein Handy, welches auf dem Bett gelegen hatte, gen Boden gewandert. Ich robbte also etwas unbeholfen etwa einen Meter von Tauren ab, um mit ausgestrecktem Arm schließlich nach dem Handy greifen zu können. Ein kurzer Blick auf die Uhr ließ mich allerdings erleichtert aufatmen. Ich hatte noch ausreichend Zeit, um mich nicht akut stressen zu müssen, aber trotzdem sollte ich mich wohl langsam fertig machen. Unnötig zu erwähnen, dass ich nach wie vor nicht besonders viel Lust dazu hatte, oder? Was die Frage des jungen Mannes anbelangte, schüttelte ich jedenfalls nur schwach mit dem Kopf, als ich langsam wieder zu ihm rüber rutschte. "Ich... denke nicht...", murmelte ich nachdenklich, aber im Prinzip hätte er mich alles fragen können, eine anständige Antwort hätte er ad hoc auf keine Frage bekommen, da war ich mir ziemlich sicher. Ich zog erneut meine Beine an den Oberkörper, allerdings legte ich die Arme nun auf meinen Knien ab, anstatt diese um meine Beine zu schlingen. Dann ließ ich meinen Oberkörper müde nach vorne kippen und rieb mir mit den Händen über das sichtlich erschöpfte Gesicht. So viel Wasser und Cremes konnte ich mir heute gar nicht ins Gesicht klatschen, damit man mir all die Gedanken in meinem Kopf nicht mehr ansah. Und vor allem auch nicht den Verdacht schöpfte, ich hätte geweint... Also noch ein Grund mehr, mich jetzt langsam mal am Riemen zu reißen, auch wenn das leichter gesagt als getan war. Die Worte meines Freundes saßen nämlich ziemlich tief und auch wenn er mich fürs Erste damit beschwichtigte, dass ja alles gut wäre, machte ich mir logischerweise trotzdem noch so meine Gedanken. Schließlich wusste ich, dass Tauren als einer der wenigen in unserem Metier noch ein verdammt einfühlsamer Mensch sein konnte und ich war mir sicher, dass mein Aufriss von eben nun mal nicht schon gut war. Aber es brachte jetzt auch nichts mehr, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich hatte schon Kopfschmerzen und würde das Vergangene nicht ändern können. Also sollte ich mich langsam damit abfinden, dass ich mich heute nicht mehr besser fühlen würde und mich zusammenreißen. Und gerade als ich genau das versuchte, kam mir doch ein Gefallen in den Sinn, den mein Freund mir noch tun könnte. "Eine Sache vielleicht...", meldete ich mich also erneut nur sehr leise zu Wort. Dabei drehte ich auch den Kopf langsam in seine Richtung, um ihn aus müden Augen anzusehen. "Würdest du mich zum Hafen fahren..?", formulierte ich meine Frage und rang mir dabei sogar ein schwaches Lächeln ab. Es war für mich einfach absolut sinnfrei, alleine mit meinem Auto zu fahren, weil ich dieses schließlich irgendwo in der Nähe parken müsste, wo es dann ein paar Tage einfach nur rumstehen würde, bis ich aus Mexiko zurück war. Erschien mir nicht besonders klug und deshalb wäre es von Vorteil, der jungen Mann würde mich einfach dort rausschmeißen. Wenn im Katalog der Wünsche allerdings nur noch ein paar Streicheleinheiten und ein paar Küsse im Angebot waren, musste ich wohl oder übel doch selbst fahren.
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Bevor ich eine Antwort auf meine relativ simple Frage bekam rückte Vahagn erstmal von mir ab und ich lockerte automatisch meine Umarmung, um sie dabei nicht zu behindern. Ich ließ sie zwar nur sehr ungerne schon wieder von mir weg, aber sie hatte sich inzwischen zumindest oberflächlich etwas beruhigt. Bis der Tornado im Inneren sich bei ihr legen würde, dauerte es mit Sicherheit auch noch eine ganze Weile. Schließlich kam die junge Frau nur selten mal schnell wieder runter, hatte sie sich erst einmal so richtig hochgeschaukelt. Was das anging konnte man meistens nur abwarten, bis sie sich nach einer Weile selbst beruhigt hatte. Ihr schien so spontan auch nichts einzufallen, das ich tun konnte, damit sie sich etwas besser fühlte. Im ersten Moment jedenfalls nicht, denn nachdem sie sich in eine ähnliche Position wie vorhin gehockt hatte, kam ihr da plötzlich doch eine Idee... die ich wiederum nicht unbedingt gutheißen konnte. Also ja, ich konnte sie natürlich fahren und an sich tat ich das normalerweise auch immer gerne, war kaum der Rede wert. Nur klang das gerade eben so, als müsste sie sehr zeitnah los. Ziemlich genau am besten jetzt, so ungefähr. Ich kam nicht um den besorgten Ausdruck in meinen Augen herum, als ich ihren Blick suchte und nachhakte. "Jetzt gleich..?" Es war aus ihrer Formulierung nicht wirklich klar hervorgegangen, wann sie denn nun am Hafen sein musste. Aber ich befürchtete fast, dass es sehr zeitnah war. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei sie nach Mexiko gehen zu lassen - wohl weder heute, noch morgen. Wahrscheinlicht so lange nicht, bis ich wusste, was sie gerade für ein Problem hatte, das sie nicht mit mir teilen wollte. "Also ich meine, ja... kann ich natürlich machen, ist kein Problem.", ließ ich Vahagn wenige Sekunden später wissen, dass ich sie so oder so fahren würde. Egal wann - solange es nicht zu sehr mit der Arbeit kollidierte, versteht sich. Sollte ich irgendwo zu spät kommen, nur weil ich meine Freundin mit Umweg irgendwo abgesetzt hatte, dann wäre sehr wahrscheinlich der Teufel los. Ich raufte mir ein bisschen unruhig mit der rechten Hand die inzwischen etwas länger gewordenen Haare, musterte die Maserung des künstlichen Laminats nahe meiner Füße. "Ich... fühl mich nur nicht so wohl damit, dich so gehen zu lassen.", stellte ich ein paar stumme Sekunden später leise nuschelnd fest und blickte erst danach wieder ins Gesicht der Russin. Sie würde mir während der Fahrt ungefähr tausend mal hoch und heilig versprechen müssen, dass sie auf sich aufpassen würde. Ich wusste zwar nicht worum es bei dem Job ging, aber Mexiko war im Vergleich zu Kuba eben alles andere als ruhig. Da drüben wehrte sich das Verbrechen immer wieder sehr heftig und dabei auch erfolgreich gegen die Polizei, die das Kiminalitätsproblem des Landes längst nicht mehr im Griff hatte.
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Die letzten Tage, gerade an Bord des Schiffes, waren der absolute Horror gewesen, denn im Grunde genommen war in Mexiko nämlich alles schiefgelaufen, was hätte schiefgehen können. Nachdem wir in Cancún die ganze Scheiße, die dort rund um die Drogen und die Hehlerware passiert war, auf Biegen und Brechen wieder einigermaßen geradegebogen hatten, konnten wir ein paar Tage nach dem ganzen Vorfall endlich aufs Boot flüchten und den Heimweg antreten. Und der war, milde gesagt, eine Zerreißprobe für meine ohnehin schon überstrapazierten Nerven. Ich konnte wohl von Glück reden, dass ein Großteil von Hunters und auch meinen Männern bei der Schießerei in Mexiko Verletzungen davon getragen hatten, die sie hier und da in ein paar bestimmten Bewegungen einschränkten. Andernfalls hätten sie sich mangels verständlicher Kommunikation sicher die Köpfe eingeschlagen und das wortwörtlich. Trotzdem war das ganze Gebrüll und das Platzhirschgehabe auf beiden Seiten einfach nur anstrengend. Ich wünschte mir nach den letzten Tagen nichts sehnlicher, als ein bisschen Ruhe, aber selbst auf der Heimfahrt war mir diese lange Zeit nicht vergönnt. Auf der einen Seite brüllten meine Männer auf Russisch Beleidigungen und Drohungen durch den Container, in dem wir uns versteckt hielten, auf der anderen Seite taten dies auch Hunters Männer auf Englisch oder Norwegisch. Dass wir möglichst unentdeckt bleiben sollten, schien hier niemanden so wirklich zu interessieren und es brauchte eine schier unendlich lange Zeit, bis beide Parteien mit ihren Kräften halbwegs am Ende waren und etwas Ruhe einkehrte. Ich selbst hatte neben zahlreichen blauen Flecken glücklicherweise nur einen Streifschuss am Unterarm, sowie eine aufgeplatzte Lippe kassiert, was allerdings gleichermaßen schmerzte. Zwar war das im Verhältnis zu dem, was ich bereits über mich hatte ergehen lassen müssen, ein Witz, aber absolut ausreichend, um mich erschöpft auf dem halben Weg nach Hause einnicken zu lassen. Volodymyr weckte mich schließlich, als das Schiff in den Hafen einlief und es für uns an der Zeit war, uns möglichst unauffällig von Bord zu schleichen. Dass war mit der Masse an Menschen, die allesamt dazu noch ziemlich gereizt zu sein schienen, gar nicht mal so leicht und hätte uns eines der wenigen Besatzungsmitglieder entdeckt, hätte dieser höchstwahrscheinlich mit seinem Leben bezahlen müssen. Glücklicherweise musste aber keiner spontan ermordet werden und wir verließen in geschlossener Gruppe das Schiff. Ich war wohl noch nie so froh, wieder auf dem Festland zu stehen, wie in diesem Augenblick. Besagte Freude sollte aber gar nicht allzu lange anhalten, denn je näher wir dem betonierten Hafen kamen, auf dem zahlreiche Container verteilt über das ganze Gelände standen, desto klarer bildete sich in der Dunkelheit die Silhouette von Hunter und einer Begleitperson ab, die ich, als wir deutlich näher kamen, als Sabin identifizieren konnte. Die Freude über die Rückkehr mit nur mäßig Schwund an Leuten und übersichtlichen Verletzungen, wich schnell der Verwirrung. Dass der cholerische Amerikaner nach dem Rechten und dem Wohlergehen seiner Männer sehen wollte, leuchtete mir ja noch ein, aber was zur Hölle machte denn bitte der Italiener an seiner Seite hier? Sabin war, soweit ich im Bilde war, lediglich für die Herstellung der Drogen zuständig. Das ganze Organisatorische hingegen übernahm Hunter persönlich und so sah ich ehrlich gesagt nur wenig Sinn hinter seiner Anwesenheit. Eigentlich hatte ich schon gar keine große Lust, mich dem Duo zu nähern, weil ich vermutete, dass mich Hunters Zorn treffen würde, obwohl ich mit dem ganzen Mist an sich ja überhaupt nichts zu tun hatte. Schließlich hatte ich die Ware lediglich auf Geheiß meines Bruders begleitet und bis zu einem gewissen Zeitpunkt - wo wir bereits auf dem Schiff gewesen waren - ja noch nicht einmal gewusst, dass das Zeug, welches in Cancún separiert werden musste, eben auch Hunters Drogen inkludierte. Nichtsdestotrotz ging ich mit möglichst aufrechten Gang auf die beiden Männer zu. So aufrecht, wie mir die schwingende Energie und das Fieber, welches auf eine Infektion der offenen Wunde hindeutete, das eben ermöglichten. Wurde Zeit, dass ich schnellstmöglich Zugang zu brauchbaren Arzneimitteln und Verbänden bekam, damit ich den Streifschuss anständig desinfizieren und verbinden konnte. Eine Mütze voll Schlaf würde das Ganze abrunden, aber mit dem Stand von jetzt würde das sicher noch eine Weile dauern und wenn ich Pech hatte, war ich später gar nicht mehr in der Lage dazu, mich eigenständig um meine Verletzungen zu kümmern. Blieb abzuwarten und so oder so kam ich um den aufgebrachten Berg von Mann nicht drumherum, weil er direkt am Ende des Piers stand. Normalerweise hätte ich meinen Männern nun grünes Licht gegeben, vom Hafengelände zu verschwinden und sich im umgebauten Flieger die eigenen Wunden zu lecken, aber für den Moment war es mir ganz recht, dass sie noch um mich herum standen, als ich unweit des Amerikaners zum stehen kam. Im Fall der Fälle waren sie nämlich sicherlich bereit dazu, mich zu verteidigen. Vorausgesetzt natürlich, dass dies nötig war. "Hi...", begrüßte ich, wohlerzogen, wie ich war, die beiden Männer, von denen einer einen angespannteren Eindruck machte, als der andere. "Was verschafft mir die Ehre..?", hängte ich müde noch ein paar Worte an den Amerikaner gerichtet hintendran. So als bedurfte es tatsächlich noch einer Erklärung des Offensichtlichen.
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Hatte ich mich zu sehr damit in Sicherheit gewiegt, dass Sabin so lange Zeit schon so brav mitgespielt hatte? Anscheinend schon. Anders konnte ich es mir nämlich nur schwer erklären, dass er es doch tatsächlich gewagt hatte, ein eigenes Ding zu drehen. Das wäre an und für sich nicht ganz so schlimm - würde mir auch nicht schmecken, aber es wäre etwas weniger der Weltuntergang gewesen - wenn er dabei nicht ernsthaft die Dreistigkeit besessen hätte, eine Route zu benutzen, die schlicht und ergreifend meine war. Er hatte seine dreckige Schmuggelware nicht in meinem verdammten Kaffee zu bunkern. Dabei spielte es auch überhaupt gar keine Rolle, dass wir nicht deswegen aufgeflogen waren, sondern weil eines der Drogenpäckchen offenbar ein klein wenig aufgerissen war und den Geruch nach draußen gelassen hatte. Es ging ganz einfach ums Prinzip - ganz unabhängig davon, dass ich es sowieso nicht geduldet hätte, hatte der Italiener mich zu fragen, ob das in Ordnung ging. Ich war mir auch sehr sicher damit, dass er das wusste. Denn es dauerte nicht lange, bis sich Sabin von selbst zu erkennen gab, nachdem einer meiner Männer mich über die Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt hatte. Gestorben war Niemand, aber trotzdem würden ein paar der Jungs ausfallen. Das kostete mich Zeit und Geld, erstere hatte ich nicht übrig und zweiteres wollte ich nicht opfern. Es war sicher überflüssig zu erwähnen, dass mich das stinksauer machte. Da halfen auch betäubende Psychopharmaka nichts. Ich brauchte meine offensichtlich vorhandene, zweite Persönlichkeit nicht, um Sabin einen Denkzettel verpassen zu wollen. Schließlich hatte er mich schon bis zu meiner heutigen Ankunft am Hafen mehr als genug Nerven gekostet. Ich hatte mich um den Inhaber der Café-Kette kümmern müssen, noch bevor er von der Polizei zum Verhör geladen worden war. Um die Beseitigung des Fettsacks hatte ich mich zwar selbstredend nicht gekümmert, aber die Hände hatte ich mir zumindest für den Mord selbst gerne schmutzig gemacht. Danach ging es wiederum zu Sam, damit er mir wenige, gehetzte Minuten später sämtliche Unterlagen der Kaffee-Transporte aus den letzten Monaten aushändigte. Er zitterte die ganze Zeit über und ich hatte eigentlich nur darauf gewartet, dass er zu heulen anfing. Tat er nicht, dafür konnte ich jedoch die schlotternden Knie förmlich hören. Er fragte mich danach, ob er damit jetzt aus seinem Dienst unter meiner Flagge entlassen war, was ich nur mit einem Schnauben quittierte, während ich den brennenden Papierunterlagen zusah. Ihn seinen Pflichten entbinden, dass ich nicht lachte - er wusste viel zu viel, um ihn seiner Wege gehen zu lassen. Er würde also besser weiterhin tun, was ich noch von ihm verlangte und sich nicht zu weit entfernen. Andernfalls traf ihn die nächste Kugel... Womit wir dann im hier und jetzt im Hafen angekommen waren. Gunnar - einer der mitgekommenen Norweger - hatte das Einpacken der Drogen in den Kaffee verkackt, also würde ich ihn dafür zur Rechenschaft ziehen müssen. Es war schließlich kein Kavaliersdelikt mehr, wenn daraus eine riesige Schießerei mit mächtig Polizeiaufgebot in Cancún entstand. Es war ein großes Problem, weil diese Arschlöcher dann jetzt sicherlich mindestens Havanna weiter durchkämmen würden, um den Ursprung des Crystals zu finden. Das war Aufmerksamkeit, die weiß Gott kein Arsch hier gebrauchen konnte. Der Norweger war allerdings auch mit nach Mexiko gesegelt, also wartete ich an meinen Mustang gelehnt gegen 1:30 Uhr auf das Eintreffen des Schiffs. Mir kribbelten längst die Finger und das nicht zuletzt deshalb, weil Sabin nur etwa zwei Meter von mir entfernt stand. Ich hatte ihn zum Hafen beordert, um ohne jeden Zweifel eruieren zu können, dass Vahagn tatsächlich nichts davon gewusst hatte, dass es der Italiener war, der sie und die Russen geschickt hatte. Dass sie auch nicht gewusst hatte, dass es das selbe Frachtschiff war, das die Drogen rüberschiffte. Zwar war es das, was Sabin mir erzählt hatte und er hatte eigentlich auch nicht so gewirkt, als ob er mich dabei angelogen hätte, aber da war ich lieber doppelt abgesichert. Denn die Schwarzhaarige hatte sich in letzter Zeit schon anderes zu Schulden kommen lassen und sollte sie wider Sabins Worten doch etwas davon gewusst haben, war der Teufel los - also mehr als sowieso schon. Es machte nur den Unterschied, ob Sabin der Einzige sein würde, der in der heutigen Nacht am Hafen eine Abreibung kassierte. Sabin schien nicht weniger angespannt zu sein als ich selbst, während der Dampfer letzten Endes am Hafen ankam und wir dabei von meinem Wagen weg direkt zur Anlegestelle gingen. Es dauerte nicht lange, bis auch die menschliche Ladung das Frachtschiff verlassen hatte und auf uns zukam. Desmond gesellte sich erst aus seinem eigenen Wagen zu uns, als meine Männer das Schiff verließen und schnappte sich ohne große Umschweife Gunnar. Ich hatte nämlich wirklich keine Nerven, den Kerl auch noch quer über den Hafen jagen zu müssen. Der Glückspilz schien nämlich gar nicht verletzt zu sein, also musste ich wohl kurzerhand sein Karma übernehmen, statt ihn nur an seinen Wunden verrecken zu lassen. Erst als ich sicher war, dass Desmond den jungen Mann fest im Griff hatte, drehte ich den Kopf in Vahagns Richtung. Ich musterte sie einen Moment lang, bevor meine Augen die ihren fanden. Ich verdeckte Sabin ganz bewusst durch meinen eigenen Körper, damit sie nicht zu ihm hinsehen konnte, während ich meine Frage an sie richtete. Ich brauchte schließlich die unverfälschte Wahrheit und keinen sich abstimmenden Blickkontakt zwischen zwei Verdächtigen. "Wusstest du davon, dass das Crystal auf dem Schiff war? Und stimmt es, dass du nicht wusstest, dass Sabin dir den Auftrag mit der Schmuggelware gegeben hat?" Meine Stimmlage war noch nicht wirklich laut, der Ton aber knurrig und die tief ins Gesicht gezogenen Augenbrauen sprachen Bände. Mein Blick durchbohrte ihre müden Augen förmlich, wie das eben so für mich üblich war, wenn ich scheiß wütend war. Um Iljah würde ich mich später kümmern - der gehörte schließlich auch in dieses beschissene Konzept rein. Allerdings würde ich dafür wohl den Umweg über Irina bevorzugen - die war ein weniger anstrengendes und unterhaltsameres Ziel, ganz nüchtern betrachtet.
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Es dauerte nicht lange, bis der Amerikaner sich zu Wort meldete. Selbstredend ganz ohne Begrüßung, konnte ich doch förmlich riechen, wie er kurz davor stand, einfach vor Wut zu platzen. Es oblag mir heute aber tatsächlich nicht, ihn unnötig zu reizen, auch wenn die Steilvorlage perfekt war. Nicht, weil ich darauf keine große Lust hatte - die hatte ich in Hinsicht auf Hunter nämlich eigentlich immer -, sondern weil ich ganz einfach furchtbar müde war. Ich wollte mich um meine Verletzungen kümmern und dann ins Bett fallen. Mich eventuell noch ein bisschen an Tauren kuscheln, der hoffentlich bereits bei mir Zuhause war. Ich hatte ihn, bevor wir den Hafen von Cancún verlassen hatten und das Mobilfunknetz abgebrochen war, noch darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich auf dem Heimweg war und mich freuen würde, ihn in meiner Wohnung anzutreffen. War halt viel Mist passiert und nach so einer heftigen Auseinandersetzung für ein paar Tage verschwunden zu sein, um schließlich komplett entnervt zwischen einer Horde unzivilisierter Männer zu hocken... er fehlte mir einfach. Seine Liebe und seine Nähe. Zuvor musste ich mich wohl aber noch um den liebreizenden Amerikaner kümmern, der mir nichtsdestotrotz ein ironisches, wenn auch mehr in mich gemurmeltes "Es freut mich auch sehr, dich zu sehen..." entlockte. Ich rollte auch leicht mit den Augen, kurz bevor ich zu einer ehrlichen Antwort auf seine Frage ansetzte. Ich hatte mich schließlich lange Zeit auf diese Art von Fragen vorbereiten können. "Ich wusste es erst, als wir in Mexiko angekommen sind und uns die Bullen schon überrannt haben.", gab ich zu, letztlich tatsächlich davon gewusst zu haben, dass man Hehlerware in seinen Drogenpaketen geschmuggelt hatte. Allerdings war das auf kurz oder lang auch nicht mehr zu leugnen gewesen, schließlich hatten seine Männer im Hafen von Cancún bereits auf uns gewartet und auch wenn die Mannschaft hinter dem Amerikaner sicherlich groß war, hatte ich das ein oder andere Gesicht sofort erkannt. Schließlich hatten wir schon einmal Seite an Seite gestanden. Aber ab dem Zeitpunkt war es dann auch schon zu spät gewesen, um ihm Bescheid zu geben, weil kurz darauf ja schon die Hölle losgewesen war. Selbst wenn ich also mit dem Gedanken gespielt hätte, Hunter anzurufen und ihn zu fragen, was der Mist hier eigentlich sollte und wer sich seine Verkehrsroute zunutze machte, hätte ich nicht die Zeit dazu gehabt, besagten Anruf zu tätigen. Ich zuckte daraufhin also kurz mit den schmalen Schultern, weil ich der Meinung war, dass das im Prinzip alles war, was ich dazu zu sagen hatte. Ruhig und gelassen sah ich den jungen Mann an, bis er noch eine weitere Frage an mich richtete, die mich wie ein Schlag in die Magengrube traf. Ich brauchte einen Augenblick, bis mir die Schuppen von den Augen fielen und der Streifschuss pulsierte unter dem provisorischen Verband, als mein Blut langsam in Wallung geriet. "Was?!", blaffte ich und meine müden Augen weiteten sich etwas, nur um sich wenig später wieder zu Schlitzen zu verengen, als ich die Augenbrauen tief ins Gesicht zog. Mehr Worte richtete ich dann auch gar nicht mehr an den Amerikaner, als ich zu realisieren begann, wie aus der ganzen Sache ein einziger Schuh wurde. Aus den Drogen, der Hehlerware, Iljah und Sabin... Natürlich. Ich hätte es wissen müssen. Just in dem Moment, als ich davon gehört hatte, dass ich Kaffee überwachen sollte. Ich kam mir so blöd vor, weil ich eins und eins bis dato nicht zusammengezählt hatte und nun stand ich dar, wie der letzte Depp. Wusste gar nicht wirklich, wem ich jetzt eigentlich sauer sein sollte, weil mir für gleichermaßen Wut auf den Italiener und meinen Bruder echt die Kraft fehlte. Trotzdem kam ich nicht drum herum, mich seitlich an dem Amerikaner vorbeizuschieben, weil er sich offenbar ganz bewusst zwischen Sabin und mich gestellt hatte. Klar, jetzt machte es natürlich auch Sinn, dass der Italiener mit von der Partie war. Wegen ihm hatten wir streng genommen in der Patsche gesteckt. "Das kannst du nicht Ernst meinen, Sabin. Jetzt kriechst du schon bei meinem Bruder auf den Knien rum, um mich in so eine Scheiße zu reiten? Weißt du, was in Mexiko los war? Dass sie da drüben nicht alle Latten am Zaun haben, ist dir aber schon bewusst gewesen, als du mich da einfach so mit hin abgeschoben hast, oder?", fauchte ich den jungen Mann an, der bis zu diesem Augenblick noch nicht wirklich ins Bild gepasst hatte. Jetzt tat er das und es machte mich mehr als nur sauer, dass er mich - mal wieder, im Übrigen - von vorne bis hinten verarscht hatte. Sogar mein Leben riskiert hatte, wenn vielleicht auch nicht wissentlich. Selbst wenn alles gutgegangen wäre, hätte es anderswo auf mich zurückfallen können und ich wäre diejenige gewesen, die sich vor Hunter hätte rechtfertigen müssen. Seine Männer hatten mich schließlich gesehen, was also sollte der Scheiß? Hatte er mich nicht schon genug genervt? Musste er wirklich immer noch einen drauf setzen? Manchmal wünschte ich mir echt, den Italiener einfach drüben in Norwegen gelassen zu haben, weil er es jeden Tag aufs Neue zustande brachte, mich auf die Palme zu bringen. Ähnlich wie Hunter.
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Tja, so hatte ich mir das Ganze absolut nicht vorgestellt - mild ausgedrückt. Natürlich war Iljah wenig erfreut darüber, dass nun prompt bei der ersten Überfahrt etwas schief gegangen war und laut den Mexikanern war es das dann jetzt auch schon gewesen. Die zukünftigen Ladungen wollten sie nun nicht mehr haben, was im Umkehrschluss hieß, dass schnellstmöglich eine Alternative für den Verkauf und auch den Weg dorthin hermusste. Wenn ich beim Kopf der Hehler nicht mit einer neuen, extrem guten Idee punkten konnte, dann müsste ich rohe Gewalt anwenden und das wollte ich schlichtweg nicht. Ich würde die Sache also komplett canceln und etwas anderes machen müssen, um an mehr Geld zu kommen. Kurz gesagt - es hätte nicht viel schlechter laufen können. Außer vielleicht Vahagn und Iljahs Männer wären draufgegangen oder von den Bullen geschnappt worden. Ja, das wäre nochmal aufs ganz andere Art richtig beschissen gewesen. Auch wenn das so glücklicherweise nicht eingetreten war, saß ich jetzt gerade aber wirklich in der Scheiße, auch hinsichtlich Hunter. Er wäre so oder so sauer geworden, wenn er davon erfuhr, dass ich den selben Weg nutzte. Dass es ausgerechnet dieses Mal aber zu Problemen gekommen war, spielte mir hinsichtlich seiner Gefühlslage absolut gar nicht in die Karten. Außerdem hatte ich wirklich nicht gewollt, dass die Russin verletzt wurde, jetzt wo ich sie so sah. Wir beide mochten uns nicht immer gut verstehen, aber ich hatte nichts gegen sie und wünschte ihr auch nichts Schlechtes. Auch wenn es eigentlich die Drogen gewesen waren und nicht die Schmuggelware, die ihr die Schießerei eingebracht hatten... wahrscheinlich interessierte sie das in diesem Fall jedoch genauso wenig wie Hunter, der ohne zu zögern mit seinen Fragen zur Tat schritt. Daraufhin nahm auch die Wut der Russin Fahrt auf und es dauerte nicht lange, bis Vahagn vor mir stand und ich zu ihr runtersah. Verhältnismäßig ruhig, aber mir war sicher dennoch anzusehen, wie sehr ich in diesem Augenblick eigentlich unter Strom stand. War schon wieder länger her, dass so viel Adrenalin durch meinen Körper geflossen war. "Ich krieche nicht, ich frage nur.", stellte ich erst einmal stumpf klar, dass ich nicht gebettelt hatte. Mir schien als würden Iljah und ich einfach überwiegend in geschäftlicher Hinsicht auf selber Wellenlänge schwimmen und da willigte man auch in riskantere Geschäfte eher ein. Es machte häufig einen großen Unterschied, ob man in etwa die selben Vorstellungen und Einstellungen pflegte. Das konnte ich hinsichtlich Iljah zwar noch nicht abschließend beurteilen, aber bisher wirkte er deutlich vernünftiger - und erwachsener - als es der Amerikaner jemals sein würde. "Du warst meine einzige Option, Vahagn. Die Kombination aus halbwegs gutem Spanisch und fließendem Russisch ist leider schwer zu finden.", ließ ich sie seufzend um ein Detail mehr wissen. Spielte am Ende aber sicherlich keine große Rolle, würde ihr egal sein. Da war sie wie Hunter, stur und blind. "Ich war mir des Risikos bewusst, ja. Trotzdem war es nicht in meinem Interesse, dass du oder Irgendjemand anders verletzt wird. Ich konnte schlecht ahnen, dass Hunters Handlanger das Drogen versenken ausgerechnet dieses Mal verkackt. Außerdem hast du schon in Norwegen bewiesen, dass du verlässlich bist, wenn es drauf ankommt. Es ging wirklich nicht anders. Zusätzlich habe ich Iljah versprochen selbst dafür einzustehen, sollte etwas schiefgehen. Andernfalls würde ich jetzt nicht hier stehen, mein Name ist schließlich nirgends aufgetaucht.", redete ich weiter und stellte klar, dass ich auch von Anfang an einem Konflikt zwischen dem Amerikaner und ihr bewusst vorgebeugt hatte. Dass ich was das anging auch zu meinem Wort stand, offensichtlich. Trotzdem seufzte ich hörbar genervt und angespannt, als ich mit meinen Worten am Ende war. Hauptsächlich deshalb, weil Hunter sich langsam in Bewegung setzte und in aller Seelenruhe um mich herumschlich, als würde er mir jeden Moment ein Messer in den Rücken stechen wollen. Wortwörtlich, wohlgemerkt. Ich konnte förmlich spüren, wie er trotz seiner leisen Schritte diabolisch lächelnd meinen Hinterkopf mit seinen Augen löcherte. Gott, ich hasste seine Psychospielchen. "Soll ich ihn für dich festhalten, wenn du zuschlägst? Würd' ich ausnahmsweise sogar gerne machen.", stellte er der Russin über meine Schulter hinweg eine Frage, während er seine letzten beiden Schritte tätigte. Letzten Endes blieb er schräg hinter meiner linken Schulter stehen, seine Augen wanderten zwischen Vahagns und meinem Gesicht hin und her. Er schien den aufkommenden Streit in jedem Fall sehr zu genießen.
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Bla, bla, bla. Im Prinzip war das alles, was aus dem Mund des Italieners zu hören war, als er zu einer Erklärung ansetzte, die ich faktisch eigentlich nicht gebraucht hätte. Denn es interessierte mich herzlich wenig, was Sabin zu der ganzen Sache zu sagen hatte, auch wenn ich durchaus ein paar ernstgemeinte Fragen an ihn gerichtet hatte. Grundsätzlich wollte ich hier jetzt nicht mehr Zeit verschwenden, als eigentlich notwendig war und demnach war eine Unterhaltung überhaupt nicht in meinem Sinn. Ich war den überwiegenden Teil meiner Lebenszeit - mit Ausnahme der Tage wie der meiner Abreise - Realist und wusste, dass sich die Vergangenheit nicht ändern lassen würde, selbst wenn man noch so zornig war. In der Regel stritt ich mich trotzdem recht gerne und interessierte mich deshalb nicht wirklich dafür. War oft auf hundertachtzig, wenn ich meinen Standpunkt für alle klar und deutlich zum Ausdruck brachte, aber heute? Heute wollte ich mir weder Sabins Geschwafel, noch Hunters billigen Psychospielchen antun, verdammt. Ich hatte Sabin echt gemocht. Er schien mir von Anfang an eigentlich ein vernünftiger Kerl zu sein, aber mit der Zeit hatte er mir nach und nach immer wieder ein Messer in den Rücken gerammt, wollte zudem einfach nicht akzeptieren, dass ich den Kontakt zu ihm auf ein Minimum zu reduzieren versuchte und das konnten die paar netten Worte, die er ungeachtet meiner negativen Seiten für meine Person fand einfach nicht aufwiegen. Ich fühlte mich verraten - von ihm und meinem Bruder, den ich ganz sicher auch noch darauf ansprechen würde. Deshalb schnaubte ich auch nur verächtlich, schüttelte sichtlich genervt den Kopf und winkte mit der Hand des heilen Arms ab. "Vergiss' es einfach, Sabin. Deine aufmunternden Worte kannst du dir hinschieben, wo die Sonne niemals scheinen wird. Die heilen weder meine Verletzungen" - ich hob zur Veranschaulichungen den bandagierten Arm, dann schwenkte ich mit diesem nach hinten, um meine Crew symbolisch einzufangen - "noch die meiner Männer. Das war Scheiße, von vorne bis hinten. Und du hast weder mir, noch Iljah, aber am aller wenigsten dir selbst einen Gefallen damit getan. Ich hoffe, dass ist dir klar.", führte ich meine Standpauke überraschend ruhig zu Ende, nachdem mir die Energie bereits nach dem ersten Mal Anfauchen ausgegangen war. Trotzdem klang ich hörbar angepisst, hatte einen gewissen Nachdruck in der Stimme und auch meine Mimik unterstrich noch mal, dass ich zwar einen ziemlichen Groll gegen ihn hegte, ihn aber in erster Linie fast schon ein wenig bemitleidete. Vor allem, wenn ich sah, wie der Amerikaner um ihn herumpirschte. Man musste schon blind auf beiden Augen, taub oder schwerwiegend geistig behindert sein, um nicht erkennen zu können, dass Hunter in seinem kranken Schädel bereits einige Szenarien durchging, in denen Sabin für seine Dreistigkeit, einfach - und scheinbar auch ungefragt - die Verkehrsrouten des Cholerikers für eigene Zwecks zu missbrauchen, bezahlen würde und ehrlich gesagt war Hunters Frage, ob er den Italiener für mich festhalten sollte, quasi mein Stichwort, mich von hier zu verpissen. Denn binnen der nächsten Minuten würde es hier noch richtig ungemütlich werden und das lag primär nicht an dem aufziehenden Regenschauer, wenn man mich fragte. Sabin hatte Iljah versichert, dem Amerikaner bei etwaigen Komplikationen direkt die Stirn zu bieten, damit ich fein aus dem Schneider war? Bitteschön, dann war es wohl langsam an der Zeit. Es klang, als sollte ich ihm dafür auch noch dankbar sein - und ja, vielleicht war ich das sogar ein klein wenig, zumindest in meiner aktuellen Verfassung -, aber er sollte sich nicht aufspielen, wie der gutherzige Samariter. Hunter war cholerisch, aber nicht dumm. Wir hatten in der vergangenen Zeit ausreichend Zank miteinander gehabt und auch wenn ich manchmal stark über die Stränge schlug, würde er wissen, dass nicht einmal ich dreist genug war, mich dermaßen akut in seine Geschäfte einzumischen. Das hatte ich ihm ganz zu Anfang unserer durchweg holprigen Beziehung zueinander klar zu verstehen gegeben. Ja, vielleicht hätte ich eine Faust kassiert oder eine gebrochene Nase wegstecken müssen, so im Eifer des ersten Gefechts, aber er wusste, dass ich aktuell keinen Grund dazu hatte, ihm ins Geschäft zu grätschen. Er tolerierte mich hier auf der Insel und das, obwohl ich bereits mehrfach Ärger mit ihm gehabt hatte und das Bestreiten meines Lebens in Hinsicht aufs Arbeiten lief zunehmend immer besser. Warum diese Chance also vertun? Außerdem hatte er mich hinsichtlich Tauren zusätzlich im Griff. Ich würde nicht riskieren, den jungen Mann wegen so einer offensichtlichen Dreistigkeit zu verlieren. Also nein, selbst wenn Sabins Name nirgends aufgetaucht war, früher oder später hätte mir Hunter schon geglaubt, dass ich nicht der Drahtzieher hinter der Sache gewesen war. Aber zurück zum Wesentlichen. "Nicht nötig. Kann meinen Arm eh kaum heben, also was soll's...", antwortete ich auf die wenigen Worte Hunters, von denen ich mir nicht einmal sicher war, ob er sie tatsächlich auch so meinte. Falls das der Fall gewesen wäre, fand ich es ja doch sehr nett, dass er - wenn auch nicht ganz uneigennützig - von sich aus mit mir kooperieren wollte, aber heute war ich eher nicht in der Stimmung oder der Verfassung dafür. Ich sah über Sabins Schulter hinweg in das diabolisch grinsende Gesicht des Amerikaners, ehe ich erneut schnaubte und mich abwand. Ich schien hier nicht weiter gebraucht zu werden und was die Männer unter sich ausmachten, ging mich nichts an. "Abmarsch, Männer...", wandte ich mich in russischer Sprache an meine Gefolgschaft, woraufhin sich die ersten bereits in Bewegung setzten. Ich schloss mich ihnen an und verschwand somit quasi in ihrer Mitte. Rechts, links, vor und hinter mir standen die jungen Russen und gemeinsam steuerten wir den offiziellen Ausgang des Hafengeländes an. Was für eine beschissene Nacht...
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Mal ganz davon abgesehen, dass die letzten Stunden und Tage reichlich beschissen gewesen waren, war es dann wiederum doch ein Bild für die Götter, wie der ältere Italiener mit all seinen ach so weise gewählten Worten auf völlig taube Ohren bei der Russin stieß. Denn nein, mit dieser Aktion hatte Sabin sich wirklich keinen Gefallen getan. Weder bei mir, noch bei sonst Irgendwem, wobei ich dabei natürlich grundsätzlich den Mittelpunkt bildete. Das Drogengeschäft mit den Mexikanern konnte ich künftig erstmal abschreiben, das hatte der Boss des Kartells in Cancún sehr klar und deutlich gesagt. Das Risiko war einfach zu groß und das konnte ich nachvollziehen - allerdings war der Kerl tatsächlich auch ziemlich sauer über das Missgeschick, was langfristig zum Problem werden könnte. Solange die Sache noch heiß war, würde er sicherlich keinen Fuß auf kubanischen Boden setzen. Was aber passieren würde, wenn sich die Sache rund um den Vorfall in der mexikanischen Stadt beruhigt hatte, stand auf einem ganz anderen Blatt. Mexikaner waren fast noch nachtragendender als ich und das wollte was heißen. Ich hatte eigentlich nur wenig Lust dazu, mich jetzt schon wieder durch ein ganzes Kartell schießen zu müssen. Zumindest nicht, solange noch andere, weit privatere Probleme meinen Alltag schmückten. Außerdem war ich nicht mehr so gut aufgestellt wie damals in Norwegen, hatte dort viele Männer verloren. Das Reyes-Kartell war meiner Recherche nach zu urteilen doch deutlich größer als der russische Clan, den ich in Moskau hatte ausmerzen müssen. Dem war ich mit jetziger Besatzung kaum gewachsen, sollten sie bis unter die Zähne bewaffnet auf Kuba auftauchen. Blieb also zu hoffen, dass das nicht passieren würde. Ich hatte weiß Gott keine Lust schon wieder umziehen zu müssen. "Bedauerlich.", war mein einziger Kommentar dazu, dass Vahagn leider verhindert war, was einen Schlag für Sabin anbelangte. Aber was solls, ich kümmerte mich auch liebend gerne ganz allein um den ehemaligen Mafioso. Er schien vorzuhaben sich zu alter Blüte zurück zu arbeiten und von mir aus konnte er das auch tun - nur nicht bevor er mit dem Abzahlen fertig war und vor allem nicht, wenn das ohne Absprache mit meinen eigenen Geschäften kollidierte. Ich wusste nicht, für wen er sich neuerdings hielt, aber er war da auf einer ganz falschen Spur. Also wurde es Zeit, sein Bild zurecht zu rücken. Vahagn zog ihre Männer ab und schloss sich dem Abgang an, also galt meine ganze Aufmerksamkeit schnell wieder dem Italiener. Ich stand günstig dafür ihn einfach am Nacken zu packen und seinen Kopf nach unten zu drücken, ihn dadurch in eine leicht gebückte Haltung zu zwingen. Es folgte zuerst ein Hieb mit dem Knie in den Bauch. "Das war dafür, dass du mir deine Pläne verschwiegen hast." Punkt Eins auf der sehr, sehr langen Liste. Ich ließ seinen Nacken mit Nachdruck los, woraufhin Sabin etwas hustete und sich aufzurichten begann. Kaum war der Weg zu seinem Gesicht frei, folgte der erste Schlag ins Gesicht. Dann noch einer, weshalb sich zu dem Veilchen eine Platzwunde auf der anderen Seite an seiner Stirn gesellte. Danach trat ich ihm mit voller Wucht ans Knie, das mindestens geprellt und damit für die nächsten Tage unbrauchbar sein würde. Der Italiener ging zu Boden und da war das Fass noch lange nicht voll. Ich nahm mich auch mit den Tritten an seine Rippen nicht zurück. Gab hier und da weiterhin Kommentare dazu ab, was ich ihm alles vorhielt und was er alles verbockt hatte. Nicht nur jetzt, sondern auch schon in geraumer Zeit davor. Er wehrte sich zu keinem Zeitpunkt, versuchte auch gar nicht wegzukommen. Ich hörte jedoch erst auf, als ihm der Schmerz quer übers Gesicht geschrieben stand und man zweifelsfrei sehen konnte, dass er sichtbar mit den Schmerzen rang. Ich stand mit den Füßen schließlich direkt vor seinem Gesicht, während er auf der Seite lag, sich vor Schmerzen krümmte und aufstöhnte. "Merk dir das lieber gut, mein italienischer Freund. Wir wissen beide, dass du ein leichtes Ziel mit dir herumschleppst..." Noah, Sydney - es war nicht klug gewesen, den Jungen herzuholen. Ich trat von Sabin weg und bat Desmond darum Gunnar ein paar Schritte nach vorne zu bringen - weg von den anderen, näher zu Sabin. Der Norweger begann sich hektisch zu entschuldigen und versuche noch wörtlich irgendeinen Ausweg für sein Todesurteil zu finden, das ich kurz darauf mit der Pistole fällte, die wie immer ihren Platz in meinem Hosenbund hatte. Schoss ihm mit der Waffe seitlich durch den Kopf, damit Desmond nichts davon abbekam. Meine besagte linke Hand ließ die Leiche los und der Kopf des jungen Mannes knallte zwei, drei Meter von Sabins Gesicht auf den Beton. "Überleg dir zukünftig besser gut, was du tust, Sabin. Sonst sind Noah und Sydney die nächsten, die tot auf dem Beton landen.", vollendete ich meine Drohung an den Italiener, der sich die Rippen hielt und in Gunnars tote Augen blickte. Es dauerte nicht lange, bis ich zwei meiner anderen - unverletzten - Männer dazu anwies, die Leiche vom Beton zu kratzen und sie zu Desmonds Wagen zu bringen. Da schlummerte einer der provisorischen Leichensäcke, um den Kerl möglichst ohne große Blutlache im Wagen von hier wegschaffen zu können. Meine Arbeit war hier und heute jedoch getan und so trat ich über Sabin hinweg, schnurstracks zurück zu meinem Wagen. Jetzt bloß noch ab nach Hause, ich hatte die Schnauze gestrichen voll. Zugegeben ging es mir nach den paar gezielten Schlägen und Tritten aber schon etwas besser als vorher.
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Ich konnte nicht sagen, woran es genau lag, aber es fiel mir wahnsinnig schwer, Sabin und Hunter den Rücken zu kehren, um den Heimweg anzutreten. Versteht mich nicht falsch - ich wollte definitiv nach Hause, war absolut genervt und in keiner Weise gut auf den Italiener zu sprechen. Gönnte ihm dementsprechend auch die Abreibung, die ihm bevor stand, aber wohl war mir irgendwie trotzdem nicht. Es war ein nicht zu beschreibendes Gefühl in meiner Brust, das mit jedem Schritt, den ich mich gemeinsam mit meinen Jungs von den beiden anderen Männern entfernte, stärker wurde und mich zunehmend langsamer werden ließ. Irgendwie schien ich mich nicht ganz damit anfreunden zu können, dass ich nicht wusste, was der tollwütige Amerikaner mit Sabin vorhatte und ich befürchtete scheinbar das Allerschlimmste. Zumindest konnte ich mir anders nicht erklären, warum ich kurze Zeit später - der erste Schlag in Sabins Gesicht war bereits getan und es folgten noch mehrere -, das Schlusslicht meiner Gruppe bildete und letztlich mit meiner rechten und linken Hand zwischen zwei Container schlüpfte. Im Schatten der Nacht lehnte ich mich leise seufzend mit der Schulter des unverletzten Arms gegen den kalten Stahl und begann, das Geschehen aus der Ferne einfach zu verfolgen. Hatte ich vielleicht Angst, dass Hunter Sabin gnadenlos abmurkste? Dass Letzterer dafür in meinen Augen dann doch ein zu großes Herz hatte? Meine Erfahrungen mit dem Italiener waren eher nicht besonders gut gewesen, aber ich wusste um seinen Einsatz, als es seinem besten Freund überhaupt nicht gut ging. Auch wusste ich, dass er eine Freundin hatte, die er offenbar so sehr liebte, dass er ihr dabei half, ein Kind aus den Staaten zu entführen... und offensichtlich war er absolut unzufrieden damit gewesen, unter Hunters Pantoffeln leben zu müssen. Ich wusste nicht, warum ich gerade jetzt darüber nachdachte, warum ich gerade jetzt so etwas wie... Mitleid für den jungen Mann empfand. Es nicht gutheißen konnte, was Hunter mit ihm tat, obwohl er es verdient hatte. Oder vielleicht auch nicht? Keine Ahnung, ich war viel zu müde, um mir über die Komplexität des menschlichen Fühlens jetzt nähere Gedanken zu machen. Fakt war, dass ich nicht wollte, dass Sabin hier und heute auf dem kalten Hafenboden den Tod fand. Also nahm ich mir vor, einzuschreiten, sobald ich das Gefühl hatte, der Amerikaner würde dem Ganzen ein Ende setzen wollen. Alles was davor kam, hatte Sabin einzustecken. Eben als Wiedergutmachung seiner ganzen Bescheißerei und den Problemen, die er mir bis dato beschert hatte. Das Schauspiel war nicht besonders schön anzusehen, dennoch wand ich mich keine Sekunde lang ab und wäre gen Ende beinahe aus meinem Versteck getreten, von wo aus sich das wohl recht einseitige Gespräch leider nicht verfolgen ließ. Zu laut war das Rauschen des Wassers und des Regens, der inzwischen eingesetzt hatte. Jedenfalls zog Hunter nach einer Weile seine Waffe und fuchtelte damit vor dem Gesicht meines Geschäftspartners herum. Ich befürchtete bereits, dass es zu spät sein könnte, um den Italiener zu retten, da zog mich Dmytro gerade noch rechtzeitig am lädierten Handgelenk zurück. Ich zischte leise, reichlich schmerzverzerrt, richtete mein Blick aber gleich wieder auf die beiden Männer, als mir meine rechte Hand mit einem Nicken signalisierte, dass ich die Situation wohl falsch eingeschätzt hatte. Denn was mir entgangen war, war, dass Hunters Schoßhündchen sich nebenher mit einem der Männer beschäftigt hatte, der mich auf der Reise von Cancún zurück nach Kuba so tierisch genervt hatte. Und wider Erwarten traf die Kugel im Lauf nicht Sabin, sondern diesen Gunnar, was mich erleichtert aufatmen ließ. Auch bei dem Schuss, den der Amerikaner löste, zuckte ich nicht zusammen. Ich war Gewalt, Mord und Totschlag wohl einfach schon viel zu gewohnt. Als der leblose Körper des Handlangers von seinem ehemaligen Kollegen losgelassen wurde und neben Sabin auf den Boden prallte, richtete - sofern ich das aus meiner Perspektive beurteilen konnte -, der Amerikaner noch ein paar Worte an den übel zugerichteten jungen Mann zu seinen Füßen, kurz bevor er sich aus dem Staub zu machen schien. Ich wartete noch einen Moment, bis auch Desmond mit der Leiche final das Feld geräumt hatte, bevor ich mir ungläubig mit der Hand über das Gesicht rieb. Was machte ich hier eigentlich? Ich sollte längst Zuhause sein und mich in den Armen meines Freundes in den Schlaf wiegen. Stattdessen klebten mir die klitschnassen Haare im Gesicht, als ich mich etwa zehn Minuten später aus der Deckung wagte. Gemeinsam mit Dmytro und Volodymyr, die wort- und widerstandslos bei mir geblieben waren, ohne, dass ich sie darum gebeten hatte, machte ich ein paar Schritte auf Sabin zu, der noch immer am Boden lag. Ich trat von hinten an ihn heran - was bei Kriminellen eigentlich nie eine besonders gute Idee war, es sei denn, man wollte ein Messer im Bauch riskieren - und beugte mich vorsichtig über den blutüberströmten Körper. Langsam ging ich neben ihm in die Hocke, legte vorsichtig meine Hand auf seine Schulter, um ihn ein wenig in meine Richtung zu drehen, ihn anzusehen. Zum ersten Mal seit einer verdammt langen Zeit, sah ich jemanden, der nicht Tauren war, wehleidig an. Verzeihend, besorgt... es gab gerade viele Adjektive, mit denen sich der weiche Blick beschreiben ließ, mit dem ich auf Sabin hinabblickte. In jedem Fall stand für mich fest, dass ich den jungen Mann nicht ohne Weiteres hier liegen lassen könnte. Entweder würde er hier verbluten oder bei der Masse an Regen irgendwann einfach absaufen, sollte er sich nicht bewegen. "Kannst du aufstehen?", waren meine ersten Worte, die ich leise gemurmelt an ihn richtete. Kurz darauf strich ich mit der Hand vorsichtig ein paar seiner nassen Haare von seiner Stirn, die ihm ansonsten über den Augen geklebt hätten. Ein leises Seufzen quittierte gerade wohl meine Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation.
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Ich hatte fast schon vergessen, wie es war, wenn man verprügelt wurde. Das letzte Mal, dass mir das passiert war, war sehr lange her. Ich hatte mich leider aber auch schon lange nicht mehr an einem so desaströsen Punkt in meinem Leben befunden, wie es aktuell der Fall war. Hatte mich mental auch schon darauf vorbereitet, dass Hunter mir einen physischen Denkzettel verpassen würde, wenn wir uns am Hafen trafen und Vahagn ihm meine Worte bestätigt hatte. Trotzdem hatte mich das nicht wirklich gut auf den Schmerz vorbereitet, der nach all den Schlägen und Tritten förmlich meinen ganzen Körper durchströmte. Ich hörte Hunter auch weiterhin zu, während ich in die leblosen, leeren Augen des jungen Mannes sah, der unweit von mir auf dem Beton aufschlug und in Windeseile eine Pfütze voll Blut verlor. Ja, Noah und Sydney... das war eine Grenze, die der Amerikaner nicht überschreiten sollte. Das war eine Drohung, die er besser nicht aussprechen sollte. Schließlich war ich nicht der einzige von uns beiden, der einen menschlichen Anker besaß. Nicht, dass ich Cosma wirklich etwas tun wollte - aber würde Hunter auf Sydney und Noah losgehen, sie gar umbringen... nein, dann würde ich auch vor Cosma nicht Halt machen. Nochmal ließ ich mir nicht meine Familie und damit mein ganzes Leben nehmen, ohne Rache zu üben. Diese Zeiten waren vorbei. Ich sagte nichts dazu und hätte das angesichts meines Zustands vermutlich auch gar nicht gekonnt, weil es sich so anfühlte, als hätte er mir sämtliche Luft aus den Lungen getreten. Ich tippte dank früherer Erlebnisse auch auf mindestens zwei gebrochene Rippen, bemessen am Schmerz. Aber als am ekligsten empfand ich wohl die von Blut getränkte Luft. Die Blutpfütze, die der arme Kerl hinterlassen hatte, die mir für meinen Geschmack viel zu nahe kam. Auch als der tote Norweger hochgehoben und weggebracht wurde, sich der Hafen allmählich von sämtlichen Leuten befreite, waren meine Augen noch stur auf das im Mondlicht schimmernde Blut gerichtet. Der Regen tränkte den Moment noch zusätzlich mit purer Melancholie. War der Zug für mich vielleicht einfach schon abgefahren? Sollte ich es hinnehmen jetzt unten in der Nahrungskette zu stehen, um Sydney und ihren Sohn zu schützen? Ich hatte den Gedanken noch nicht vollständig durchgekaut, als ich schließlich wieder Schritte hinter mir hörte. Trotzdem regte ich mich nicht. Sollte der Amerikaner es sich anders überlegt haben und mich doch noch hinrichten wollen, dann hatte ich sowieso keine Chance hier noch rechtzeitig wegzukommen. Dazu steckte mir der Schmerz viel zu tief in den alten Knochen und vor allem auch im hämmernden Schädel. Wider Erwarten war es aber gar nicht Hunters Gesicht, in das ich wenig später blicken sollte, als ich mehr oder weniger vollständig auf den Rücken zurück gerollt worden war. Ich hatte ja mit viel gerechnet, aber eher nicht mit Vahagn - oder gar damit, dass sie mich indirekt nach meinem Wohlergehen fragte. Danach, ob ich es hier allein noch wegschaffte, womit ich mir gerade nicht so sicher war. Wahrscheinlich würde ich das schon hinkriegen, aber ich hätte mit großer Sicherheit erstmal noch eine ganze Weile hier auf dem Boden gelegen, um die nötige Kraft dafür zu sammeln. Die hatte mir der Amerikaner nämlich gefühlt gleich mit aus dem Körper geprügelt. Ich war ganz dankbar dafür, dass die Russin mir die Haare von der Stirn nahm. Allein deswegen schon, weil eine davon in der kleinen Platzwunde über der Augenbraue geklebt hatte, die nach wie vor fröhlich vor sich hin blutete. "Weiß nicht...", war meine erste, sehr kratzige Antwort auf die gestellte Frage. Mein Blick wirkte abgeschlagen, erschöpft. Zumal ich förmlich spüren konnte, wie mir das linke Auge anschwoll und ich es aufgrund der Schmerzen höchstens halboffen hielt. Man musste es Hunter ja lassen, dass seine Schläge im Regelfall sehr gezielt ausfielen. Ich hustete ein wenig, als ich tief durchzuatmen versuchte, weil ich das Gefühl hatte schlecht Luft zu kriegen. Erst als der Husten vorüber war und ich einen weiteren, tieferen Atemzug genommen hatte, versuchte ich mich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach hinten auf die Hände zu stützen. Die schmerzenden Rippenbögen auf der rechten Seite führten aber dazu, dass ich mich bald zu jener Seite hin krümmte und vorsichtig meine Rippen abzutasten versuchte. Das ließ ich jedoch ganz schnell wieder bleiben und sog scharf die Luft ein. "Mindestens eine gebrochen...", zog ich angestrengt Bilanz, auch wenn ich eher auf zwei gebrochene Knochen tippte.
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Es dauerte verständlicherweise eine ganze Weile, bis Sabin mir eine wenig zufriedenstellende Antwort auf meine Frage gab. Offenbar musste er sich erst einmal sammeln und wenn man sich kurz die Zeit nahm, all die offensichtlichen Verletzungen zu begutachten, dann war das wenig verwunderlich. Alleine die Platzwunde an seinem Kopf und das langsam zuschwellende Auge waren für mich schon ein Indikator für starke Schmerzen, die einem allein schon die Luft rauben konnten und ich hatte zudem gesehen, wo weitere Schläge und Tritte Hunters ihr Ziel gefunden hatten. Trotz des Regens hatte ich es also eigentlich nicht sonderlich eilig, gab Sabin die Zeit, die er zu brauchen schien, aber viel länger hätte ich trotzdem nicht gewartet und das aus einem ganz einfachen Grund. Hätte der junge Mann mir nämlich nicht bald eine Antwort gegeben, wäre ich wohl vom Schlimmsten ausgegangen und hätte ihn mittels meiner rechten und linken Hand an Armen und Beinen vom Hafengelände schleppen müssen. So schien glücklicherweise eine Stütze hier und da auszureichen, was für die beiden jungen Russen schon mal deutlich weniger anstrengend war. Auch sie waren nicht ohne den ein oder anderen Kratzer aus Mexiko zurückgekehrt und wenn es nicht zwingend notwendig war, wollte ich sie entsprechend wenig zusätzlich belasten. Aber dass der Italiener ansprechbar war und sich wenig später eigenständig aufsetzte, war schon mal ein gutes Zeichen. Ich seufzte leise und quittierte seine Aussage bezüglich der gebrochenen Rippen mit einem gemurmelten "Mhm...", ehe ich die anderen zwei Männer um uns herum dazu anwies, Sabin aufzuhelfen. Mit der nötigen Vorsicht, wohlgemerkt. Er war noch kein toter Körper, an dem man einfach herumzerren konnte. Sabin hatte offensichtliche Schmerzen, aber soweit ich das beurteilen konnte, schienen zumindest die Beine nicht viel abbekommen zu haben. "Wir bringen dich erst mal von hier weg. Wenn es nicht mehr geht, sag Bescheid...", ließ ich ihn wissen, dass er nur einen Laut von sich geben brauchte, wenn die Verletzungen ihn derart stark am Gehen hinderten. Er keinen Schritt mehr machen konnte, weil die Kraft fehlte. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie der Schuss ins Schlüsselbein mich damals belastet hatte. Obwohl der Schmerz an einer ganz anderen Stelle saß, zog es mir jegliche Energie aus dem Körper und meine Beine hatten lange Zeit die Konsistenz von Wackelpudding gehabt. Um das zu vermeiden schob sich Dmytro, der in etwa die gleiche Körpergröße wie Sabin hatte, mit dem Arm unter die Schulter des verletzten Italiener, um ihm wie selbstverständlich beim Aufstehen zu helfen. Als die beiden erst einmal - mehr schlecht als recht - aufrecht standen, nickte ich in Richtung Ausgang. Volodymyr sollte schon einmal den Wagen holen und uns ein Stück entgegen kommen, damit wir nicht unnötig weit laufen mussten. Wären wir direkt abgehauen, wäre das kurze Stück überhaupt kein Problem gewesen, denn an unseren Körpern war ja soweit nicht viel kaputt, aber ich wollte Sabin nicht auch noch den ganzen Weg latschen lassen, auch wenn er das vielleicht verdient hatte. Der hochgewachsene Russe tat, wie ihm geheißen und zog von dannen. Ließ uns drei damit schnell zurück und während ich langsamen Schrittes neben den beiden Männern herlief, atmete ich selbst einmal tief ein und wieder aus. Überlegte indes, wohin ich den jungen Mann bringen würde, denn eines war sicher. Er brauchte dringend medizinische Hilfe. Ein Krankenhaus kam logischerweise nicht in Frage, aber eigentlich wollte ich ihn auch nicht unbedingt mit zu mir nach Hause nehmen. Tauren wartete sicher schon und so stark, wie Sabin neben mir blutete, würde ich noch Ewigkeiten brauchen, die ganze Sauerei wieder zu beseitigen. Also spielte ich mit dem Gedanken, ihn einfach bei sich Zuhause abzusetzen und Sydney die Verantwortung für ihren Freund zu übertragen. Letzteres klang eigentlich nach einer sehr guten Idee, weil ich ihn ja noch nicht einmal hätte hier auflesen müssen und wirklich mehr schulden tat ich ihm nicht. Dann aber kam mir in den Sinn, dass der kleiner Scheißer, dessen Name ich bereits vergessen hatte, sicher auch Zuhause sein würde. Um die Uhrzeit lag er bestenfalls schon im Bett, aber Kinder hatten manchmal einen so leisen Schlaf, das selbst die Türklinke ausreichend war, um sie zu wecken. Und wenn ich kurz daran zurück dachte, wie traumatisch es für mich gewesen war, als ich meinen Vater oder Iljah blutüberströmt zu Gesicht bekommen hatte, wollte ich das Sydneys Sohn eher weniger antun. Keine Ahnung, wie die Beziehung zwischen ihm und Sabin war und ob er überhaupt bei den beiden wohnte, aber ich nahm es jetzt einfach mal stark an. Also richtete ich gleich meine nächste Frage an meinen Begleiter, um die Idee, ihn direkt nach Hause zu chauffieren eventuell gleich ausschließen zu können. "Ist... ehm... das Kind Zuhause?", ich brauchte einen Augenblick, um die passenden Worte zu formulieren. Beim Reden traf mich nämlich selbst ein Schmerz tief im Inneren meines Herzen, den ich aber schnell zur Seite schob, weil er hier und jetzt einfach absolut nichts zu suchen hatte. Aber das Thema Kinder war für mich inzwischen wohl recht sensibel geworden.
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