Es sollte nicht lange dauern, bis der Russe sich in mein Sichtfeld bewegte. Er legte nur noch einen kurzen Zwischenstopp bei einer der Bedienungen ein, bevor er sich zielstrebig in meine Richtung begab und sich schließlich auch an den Tisch fallen ließ. Wäre die ganze Sache mir hier nicht so ernst, dann hätte ich mich wahrscheinlich sogar darüber amüsieren können, dass ihm die Hitze und vor allem die Sonne zu schaffen machten. Es ging wohl Jedem so, der aus einem eher kühleren Land auf die sonnige Insel reiste. Mich selbst ja eingeschlossen, hatte ich es zu Beginn doch kaum draußen ausgehalten und mich vermehrt in meinen klimatisierten Räumlichkeiten aufgehalten, um mich nur eher langsam damit anzufreunden. Inzwischen genoss ich die Sonne jedoch und hatte sicher auch einen ein bis zwei Nuancen dunkleren Teint als noch drüben in Norwegen. Da oben schien die Sonne eben nur eher selten und wenn, dann war sie nicht so heiß und penetrant wie hier auf Kuba. Allerdings war ich nicht hier, um mich über das Wetter zu unterhalten und deswegen kam es Iljah doch auch zu Gute, dass er danach beabsichtigte gleich auf den Punkt zu kommen. Nicht weiter dem Smalltalk zu verfallen, sondern sich zu entschuldigen - wenn auch für meinen Geschmack nicht ausführlich genug. Es war dennoch eine angenehme Abwechslung, wenn ich besiepislweise an das letzte Gespräch mit seiner Schwester zurückdachte. Die beiden hatten in meinen Augen wirklich nicht viel miteinander gemeinsam und wenn ich er wäre, hätte ich auch keinen Bock drauf in ein und derselben Stadt mit dieser Zicke zu wohnen... wobei ich dafür ja gar nicht er sein musste. Auch in meiner Haut machte es sich nicht besser. Trotzdem zog die Ausrede er hätte viel um die Ohren gehabt eher nur wenig bis gar nicht, weshalb ich im Stuhl bisher noch entspannt zurückgelehnt einmal tief durchatmete. "Zu deinem Glück macht sie noch keine.", war das erste, was ich zu Alledem sagte. Mein durchweg kritischer Blick lag während der nächsten paar schweigsamen Sekunden unentwegt auf dem Schwarzhaarigen, ehe ich weitersprach. "Trotzdem kann ich auf ihre Anwesenheit hier bestens verzichten und ich muss dir wohl eher nicht sagen, wie sauer es mich macht, dass du sie einfach hier abgeladen hast ohne mich zu fragen. Du weißt ganz genau, dass ich sie nicht hier haben will. Eigentlich nirgends, wo meine Geschäfte sind. Weder will ich sie bei Jemandem unterm Dach, der mehr oder weniger meine Drogen kocht, noch will ich sie bei meiner Freundin.", tat ich ihm noch einmal kund, dass ich wirklich alles andere als begeistert davon war, dass er sein Anhängsel in meinem direkten Umfeld geparkt hatte. Streng genommen passte es mir nicht mal in den Kram, dass er nach wie vor mit der Verräterin zusammen war und ihr scheinbar nach wie vor liebend gern sein Vertrauen schenkte. Dass ich was solche Dinge anging leider keine Entscheidungsgewalt hatte, war mir bedauerlicherweise nichts Neues. Siehe auch Tauren und Vahagn, aber die machten mir in ihrer Konstellation wenigstens an sich keine Probleme mehr und ich war mir auch sicher damit, dass der Norweger seine Lektion was solche Dinge anging nach seiner Aktion in Russland gelernt hatte. Auch hatte ich selbst ebenfalls eine Beziehung, die kaum auf Verständnis stieß und wusste daher mit am besten, dass man was Gefühle anging einfach auf die Meinung anderer scheißen musste. Ich würde Iljah also kaum sagen, dass er sich von dem Miststück endlich trennen sollte, wünschte es mir aber trotzdem im Stillen. Genauso, wie ich mir still und heimlich wünschte, dass Irina einfach bei der nächstbesten Gelegenheit von einem Auto erfasst wurde. Ich ließ es mir auch nicht nehmen schon anzudeuten, dass die ganze Sache nicht gerade besser dadurch wurde, dass Irina sich in Cosmas Nähe aufhielt. Wahrscheinlich war das sogar das, was mich am auftauchen der Schwarzhaarigen am allermeisten störte. Wenn sie meiner Freundin näherkam, dann kam sie unweigerlich auch mir näher, als mir lieb war. Dass Richard auch in meinen Geschäften mit drin hing, solange er Sabins Drogen - die, solange die Schulden nicht abbezahlt waren, eher meine waren - mitkochte, machte die Umstände auch nicht besser. Der Engländer war an und für sich schon eine Sicherheitslücke, weil er mich nicht ausstehen konnte. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn er sich auch noch mit Irina zusammentat. Das Grauen. "Wieso überhaupt? Gibt's dafür wenigstens sowas wie einen wirklich triftigen Grund?", stellte ich ihm mit angesäuert nach unten gezogenen Augenbrauen und angespannter Stirn zwei weitere, gegrummelte Fragen. Noch dabei streckte ich die Hand nach dem Whiskey auf dem Tisch aus, ohne meine Augen aus Iljahs zu lösen. Wenn es eines gab, das meine Hände grundsätzlich blind fanden, dann war das mit Sicherheit Alkohol... und meine Pistole.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Dass Hunter sich von meiner Entschuldigung nahezu gänzlich unbeeindruckt zeigte und weiterhin ziemlich sauer war, stand ihm förmlich quer über das Gesicht geschrieben. Mehr konnte ich dazu aber vorerst nicht sagen, solange er mir keine konkrete Anhaltspunkte lieferte, auf denen ich aufbauen konnte. Klar, ich hätte sicherlich auch ohne Aufforderung seitens des Amerikaners ausschweifen und ganz von vorne anfangen können, ihm die Geschichte zu erzählen, weshalb ich Irina letztlich nach Kuba geschickt hatte, aber die würde ihn wohl kaum interessieren und so war es an ihm, mir zu signalisieren, was er wissen wollte. Tat er letztlich auch, nachdem er mir erst einmal meine Frage nach dem aktuellen Stand der Dinge beantwortet hatte. Irina schien, für mich weniger überraschend, bislang keine Probleme zu machen und das freute mich. Ich versuchte zwar wirklich tagtäglich, der jungen Frau guten Gewissens zu Vertrauen, weil sie mir wirklich das Gefühl vermittelt hatte, dass ihr all das schrecklich Leid tat und sich künftig nichts mehr zu Schulden kommen lassen würde, aber wer wusste schon, was die junge Frau allein aus Trotz alles anstellen würde, gerade weil wir nicht unbedingt im Guten auseinander gegangen waren. Mal ganz abgesehen davon, dass sich das Wörtchen Schwierigkeiten per Definition auch ziemlich breit fächern ließ, ich wollte also ganz allgemein einfach wissen, ob die Schwarzhaarige irgendwie auffällig geworden war. War sie aber scheinbar nicht und das quittierte ich mit einem zufriedenen Nicken. Ließ mich überhaupt nicht von der miesen Laune des Amerikaners behelligen und bestellte bei der Kellnerin, die mir gerade eben schon über den Weg gelaufen war, beiläufig einen Vodka, den sie mir mit einem mehr als zuckersüßen Lächeln versprach. Ich sah ihr noch einen Augenblick lang nach, dann folgten auch schon weitere Worte meines Geschäftspartners mit denen er noch einmal verbal zum Ausdruck brachte, was ich mir ohnehin schon gedacht hatte - er empfand es, sinngemäß, als eine absolute Frechheit, dass ich über seinen Kopf hinweg entschieden hatte, die Schwarzhaarige hier in seinem Territorium zu parken. Wo Irina allerdings untergebracht wurde und mit wem sie sich hier auf der Insel letztlich anfreundete, darauf hatte ich nur bedingt einen Einfluss gehabt. Aber alles Schritt für Schritt, sollte der junge Mann mir gegenüber erst einmal seinem Ärger Luft machen. Vielleicht konnte er danach ja wieder etwas tiefer durchatmen. Bis es jedoch soweit war, kam erstmal die Bedienung mit meinem Getränk an unseren Tisch und ich bedankte mich freundlich. Nahm den Vodka an mich und trank auch sogleich einen großen Schluck, bis ich Hunter nicht mehr ins Wort fallen würde, dann setzte ich zu einer Antwort an: "Verstehe... puh, da ist ja echt so ziemlich alles schiefgelaufen.", räumte ich erneut meinen Fehler ein, seufzte bedauerlich. "Dass sie bei Jemandem campiert, der irgendwie in deinem Geschäft mit drinsteckt, war definitiv nicht meine Intention. Ich hatte Vahagn gebeten, ihr einen Platz zu suchen, wo sie sich in Ruhe akklimatisieren kann, bis mir eine bessere Lösung eingefallen ist. Dass die Wahl auf O'Lorean fiel, wusste ich erst, nachdem Irina mir geschrieben hatte. Aber ich bin schon dabei, ihre Wohnsituation in Angriff zu nehmen. Lange wird sie sicherlich nicht mehr bei dem Engländer bleiben müssen. Deinem Einverständnis vorausgesetzt würde ich sie am Rande von Havanna einquartieren wollen.", schilderte ich meinem Gegenüber zum Einstieg in das Gespräch grob, dass es mir nicht im Sinn gestanden hatte, Irina auch nur ansatzweise als eine Art Bürde in irgendwelche von Hunters Geschäften zu schubsen. Sie hatte nur ein Dach über dem Kopf gebraucht, aber meinetwegen hätte es vorerst auch ein billiges Hotel getan. Sie brauchte nicht zwangsläufig einen Mitbewohner, denn auch wenn sie nach wie vor oft ein kindliches Verhalten an den Tag legte, war Irina bereits eine Erwachsene, die sich selbst versorgen konnte. Es brauchte niemand für sie kochen oder ihre Wäsche waschen. Jedenfalls ließ ich Hunter im selben Atemzug wissen, dass ich mich bereits nach Alternativen für die Schwarzhaarige umsah. Einer kleinen Wohnung, etwas Bezahlbares am Rande der Stadt. Vorausgesetzt, er würde sein Okay geben, dass ich mir eigentlich schon von Anfang an hätte einholen sollen. Mehr als entschuldigen konnte ich mich für das Versäumen der Informationsweitergabe an ihn allerdings nicht und ich war ja durchaus bemüht, es künftig besser zu machen. Drüben in Russland würde ich vermutlich nicht so kleinlaut vor den Ansagen des Amerikaners kuschen, aber diese Insel war schlichtweg nicht mein Revier und wenn ich wollte, dass Irina hier Schutz bekam, sollte ich den, der für jenen Schutz verantwortlich war, auch um seinen Segen bitten. Gehörte sich einfach so und es tat mir ausnahmsweise wirklich Leid, dem Hitzkopf nicht vorher Bescheid gesagt zu haben. Ganz gleich, wie ich persönlich zu ihm stand, schätze ich Hunter als Geschäftsmann und er leistet in dem was er tat wirklich gute Arbeit. Wäre blöd, wenn die Beziehung auf geschäftlicher Ebene wegen privaten Differenzen ins Taumeln geriet. Zu der Sache mit seiner Freundin anging, konnte ich allerdings nicht wirklich etwas Brauchbares äußern. Ich konnte Irina ja wohl schlecht vorschreiben, mit wem sie sich abzugeben hatte und mit wem nicht - vorausgesetzt, sie suchte sich ihre Freunde nicht bei den Überbleibseln der Sorokins, wo wir auch gleich bei Hunters nächster Frage angekommen wären: dem Warum und Wieso überhaupt. Aber dazu gleich mehr. Fairerweise sollte der Tätowierte in der Sache aber nicht nur die Schuld bei meiner, sondern auch bei seiner eigenen Freundin suchen. Zu einer Freundschaft gehörten schließlich immer zwei und wenn seine Liebste sich gut mit Irina verstand, sollte er was das anging eventuell auch mal bei ihr nachhorchen, ob sie noch alle Latten am Zaun hatte. Ich konnte mir gut vorstellen, dass für ihn schön bequem war, Irina als Sündenbock für alles verantwortlich zu machen, was ihm aktuell nicht ganz in den Kram passte, aber in dem Fall... wie auch immer. "In Russland konnte sie einfach nicht mehr bleiben. Als ihr die Sorokins nahezu ausgelöscht habt, sind ein paar ihrer Anhänger untergetaucht und haben sich kleineren Clans in und um Moskau herum angeschlossen. Die wiederum haben versucht, berechtigterweise, Irina zu schnappen und all den Mist aufzuzählen, der ihr in den Tagen nach eurer Abreise widerfahren ist, würde den zeitlichen Rahmen des Abends sprengen. Grundsätzlich kann ich sagen, dass meine Möglichkeiten drüben einfach gänzlich erschöpft sind. Egal, wo ich sie hingebracht habe, Irina wurde immer wieder gefunden und ich wollte sie nicht unbedingt allein in ein vollkommen fremdes Land schicken. Ich hatte gehofft, sie könnte ein paar Tage hier auf Kuba unter deinem Schutz durchatmen. Keinem aktivem Schutz natürlich, aber ich glaube nicht daran, dass der Rest der Sorokins dumm genug ist, sich in dein Territorium zu verirren. Und ich hab's auch gebraucht, die Ruhe, meine ich, ehrlich. Mir stand der Kopf ganz woanders, ich brauchte einfach mal eine Pause von dem ganzen Stress. Ich weiß, dass das keine wirklich brauchbare Ausrede dafür ist, dass ich dich nicht in meinen Plan eingeweiht habe, aber mehr kann ich dir nicht sagen. Das ist schon die ganze Geschichte.", redete ich weiter so vor mich hin, unterstrich hier und da meine Worte mit entsprechender Gestikulation, zuckte gegen Ende hin mit den breiten Schultern, als ich einen Arm über die Rückenlehne des Stuhls legte. Den ruhigen, sichtlich entspannten Blick stets in den des grimmig dreinblickenden Amerikaners gelegt.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das traf den Nagel auf den Kopf, wenn auch für meinen Geschmack etwas zu mild formuliert. Aber ja - schief gelaufen traf es ziemlich gut. Auf ungefähr allen Ebenen, wie mir immer bewusster wurde, je länger Iljah redete und je mehr ich über den eigentlichen Hergang dieser Sache erfuhr. Warum wunderte es mich eigentlich so gar nicht, dass es trotz ihrer eigenen Worte mal wieder auf Vahagn zurückfiel, dass Irina ausgerechnet bei Richard und Cosma wohnte? Sie würde sich dabei mal wieder genau gar nichts gedacht oder getrost auf die Konsequenzen geschissen haben, so wie ich sie kannte. So viel dann also schonmal dazu, dass sie ihrer Meinung nach für nichts von alledem etwas konnte. Dass sie ja ach so unschuldig daran war, wie die Dinge jetzt waren. Zugegeben malte ich diese Tatsache schon wieder durchweg schwarz an, weil es sicher möglich war, dass die Brünette sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hatte, dass mich der Umstand hinsichtlich Irinas Bleibe nur unnötig zusätzlich reizen konnte, aber es war mir eben ganz einfach egal. Sie hätte es wissen können und vor allem wissen müssen. Sie kannte mich nun wirklich lange genug, um das vorher ahnen und sich selbst zusammenreimen zu können. "Vahagn... natürlich...", kommentierte ich diesen Abschnitt dezent abfällig und mit einem Augenrollen, als hätte ich das schon vorher wissen müssen. Als hätte es mir wie Schuppen von den Augen fallen müssen, dass zumindest dieser Teil noch auf ihre Kappe ging. Es wäre mir in jedem Fall weitaus lieber gewesen, wenn Iljah seine Freundin ins Handgepäck gesteckt und zurück mit nach Hause genommen hätte. Zwar war für mich ungefähr alles besser, als dass sie weiterhin einen auf Friede, Freude, Eierkuchen mit Richard und Cosma machte, aber ich hatte ganz einfach keine Lust mehr, mir darüber Gedanken machen zu müssen. Wollte sie im Idealfall eben wieder von meiner Insel streichen können, um mich Wichtigerem widmen zu können. Leider schien der Russe sie stattdessen erst einmal nur an den äußeren Rand der Stadt versetzen zu wollen, statt sie wieder nach Moskau zu schleppen. Ich atmete deshalb grummelig etwas tiefer durch und war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher damit, was ich dazu sagen wollte. Deshalb ließ ich dem Schwarzhaarigen auch den Vortritt mit weiteren Worten und schenkte mein Gehör seiner Erklärung. An und für sich war der Grund dafür, dass er das Biest nach Kuba abgeschoben hatte, für ihn selbst wohl durchaus triftig genug für eine brauchbare Rechtfertigung. Ich musste die Beziehung der beiden weder gutheißen, noch musste ich sie verstehen, um zu wissen, dass ich wohl auch so ziemlich alle Berge auf diesem Planeten versetzen würde, wenn Irgendjemand Cosma an den Kragen wollen würde. Es war nur logisch, dass der klägliche Rest der russischen Pest versucht hatte Irina doch noch auf Umwegen in die Finger zu kriegen. Offensichtlich war es hier und da dann auch zu gefährlichen Situationen gekommen, ließ sich das aus Iljahs Worten doch recht unmissverständlich heraushören. Der junge Mann schien einfach an seine Grenzen gekommen zu sein was den Schutz für seine Liebste anging und hatte das hier als guten Ausweg dafür gesehen. Keinen dummen, nur so nebenbei. Er dürfte ziemlich sicher Recht damit haben, dass von den Sorokins eher keiner noch genug Eier haben dürfte, hier auf der Insel aufzukreuzen. Es war grundsätzlich also nachvollziehbar, warum der Schwarzhaarige all das in die Wege geleitet hatte und er konnte wirklich von Glück reden, dass er für mich sehr offensichtlich nach außen trug, dass es absolut nicht seine Intention gewesen war mir mit Alledem auf den Schlips zu treten. Das machte die Umstände zwar nicht weniger beschissen, aber es milderte zumindest meinen Ärger. Mir würden auf Anhieb so einige Leute einfallen, die sich daran mal ein Beispiel nehmen könnten. Einige Sekunden lang hielt ich ihn noch schweigend in meinem kritischen Blick gefangen, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Dann hob ich erst noch einmal das Glas für einen Schluck Whiskey und legte danach auch meine zweite Hand ans Glas. Hielt es hauptsächlich deswegen mit beiden auf den Armlehnen abgestützten Armen, weil es einfach angenehm kalt an den Fingern war. "Du hast wirklich Glück, dass du scheinbar besser erzogen wurdest, als deine Schwester.", stellte ich allem voran erst einmal fest, dass er in meinen Augen mit weit mehr Manieren gesegnet war. Er einfach zu wissen schien, wann er am Drücker sein konnte und wann nicht, es nicht grundsätzlich krankhaft versuchte. "Schön, von mir aus. Park sie am Rand er Stadt. Alles ist besser, als sie ständig sehen zu müssen.", gab ich dem jungen Mann ein paar ewig lange Sekunden später schließlich mein Okay dafür, dass seine Freundin weiterhin ihr Dasein in Havanna fristen durfte. Ich klang dabei nach wie vor nicht begeistert davon, aber doch war der genervte Unterton in meiner Stimme schon etwas milder als zuvor. Ich konnte es eben einfach gut leiden, wenn Jemand sich seine Fehler eingestand. Außerdem wurden wir beide eben auch nicht jünger und ich konnte nachvollziehen, dass ihm der ganze Mist zu viel geworden war. Mir reichte es ja schon, wenn Cosma und ich uns stritten und die darauffolgenden Stunden oder auch ganze Tage dann zum Kotzen waren. Da brauchte ich nicht auch noch irgendwelche Penner, die ihr hinterher rannten und ihr mit dem Tod drohten. Allerdings behielt ich diese Gedanken besser für mich. "Sollte sie aber doch Probleme machen, versenke ich sie eigenhändig im Hafen und scheiß auf die Kohle. Wenn sie hierbleiben will, dann hat sie die Füße brav stillzuhalten.", erinnerte ich Iljah besser noch einmal daran, dass ich erwartete, dass Irina sich benahm. Ich war nicht die Wohlfahrt und nur, weil ich sie hier tolerierte, bekam sie keine Narrenfreiheit. "Und mach' das ja nicht nochmal. Ich hasse Überraschungen.", ließ ich ihn mit leicht zusammen gekniffenen Augen auch noch wissen, dass ich es ihm trotzdem nach wie vor übel nahm. Dass ich es einfach nicht leiden konnte, mit so einem Mist aus dem Nichts konfrontiert zu werden. Es kam Iljah Hier und Jetzt aber nicht nur sein Verhalten, sondern auch das gute Geschäft mit ihm zu Gute. Er wusch mir meine Blüten zur Zeit sogar umsonst und auch vorher schon hatte das wirklich guten Profit abgeworfen. Er hatte also von vornherein ein, zwei Rechte mehr als seine bockige Schwester beispielsweise.
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Auch wenn ich es nicht laut aussprach, wunderte es mich nicht, dass Hunter zu Anfang unseres Gesprächs förmlich der Kragen geplatzt war, wenn er vorher bereits bei meiner kleinen Schwester Dampf abgelassen hatte. Vahagn war schließlich niemand, bei dem man auf Verständnis oder Einsicht hoffen konnte und auch wenn ich nicht genau wusste, über welche Punkte der ganzen Misere sie sich jetzt konkret unterhalten hatten, konnte ich mir gut vorstellen, dass es alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen war, mit der Russin über den Vorfall zu sprechen. Dass Vahagn damals schon ein anstrengendes Kind gewesen war, das sich zudem so ziemlich alles hatte erlauben dürfen, machte es da tatsächlich nicht besser und ja, gewissermaßen konnte man schon sagen, dass mir noch deutlich mehr Manieren mit auf meinen Lebensweg gegeben worden waren. Das lag überwiegend wohl auch daran, dass ich eine lange Zeit Helikopterkind meiner Eltern gewesen war und von beiden Seiten gleichermaßen viel Anstand und Respekt vermittelt bekommen hatte. In den ersten vier, fast fünf Jahren hatte ich die alleinige Aufmerksamkeit genossen, während meine kleine Schwester später mit nur noch der Hälfte der Zeit auskommen musste. Ich kam nicht umher, bei dem Gedanken an früher kurzzeitig leise in mich hineinzulachen und Hunter zustimmend zuzunicken. "Man kann Geschwistern nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenken, wie einem Einzelkind.", stellte ich für den Amerikaner hörbar belustigt fest. "Aber irgendwann hat sie dann auch einfach ihr eigenes Ding gemacht, falsche Leute kennengelernt... was weiß ich. Ich hab neben meinen Eltern als großer Bruder mein Bestes versucht, bin dann aber auch schnell an meine Grenzen gekommen. Ich weiß zwar nicht, was an ein bisschen Respekt und höflichen Umgangsformeln so schwer ist, aber sie wird damit schon noch irgendwann gehörig auf die Schnauze fliegen. Vielleicht lernt sie es dann ja mal, dass sie nicht immer um sich treten kann, wie ein Kleinkind.", kommentierte ich das Verhalten meiner Schwester lediglich grinsend und mit einem schwachen Schulterzucken. Sie war zwar inzwischen erwachsen, verhielt sich aber genauso wie Irina oft noch wie ein sturer Teenager, dem man gerade das Handy für eine Woche verboten hatte. Bis dato hatte sie mit der bockigen Schiene offensichtlich immer das erreicht, was sie erreichen wollte, aber das würde nicht für immer so bleiben. Irgendwann flog sie damit mächtig auf die Fresse und dann kam der Punkt, wo sie manche Entscheidungen in ihrem Leben vielleicht zu überdenken begann. Wenn plötzlich niemand mehr da war, der ihr die Hand reichte, beispielsweise. Aber gut, das war in dem Fall nicht mein Problem, hatte ich doch wie gesagt irgendwann einfach aufgegeben, zu versuchen, Vahagn geradezubiegen und zu einer anständigen Geschäftspartnerin zu formen. Wie weit sie mit ihrer Art kam, würde sie ja selbst sehen, ging mich überhaupt nichts an. Ich für meinen Teil hatte bekommen, was ich hatte haben wollen und das durch simples Honig um Hunters Maul schmieren. Der Amerikaner gab mir, nachdem ich ebenfalls den ein oder anderen Schluck aus meinem Glas genommen hatte, schließlich sein Okay, Irina hier in Havanna lassen zu dürfen und dafür war ich ihm aufrichtig dankbar. Das verpackte ich auch sogleich in Worte, mit denen ich ihm zusätzlich versicherte, weiterhin für die Schwarzhaarige zu bürgen, sollte sie sich etwas zu Schulden kommen lassen. "Verstanden. Danke. Wenn sie Probleme macht, lass es mich wissen. Ich glaube zwar nicht daran, aber für den Fall der Fälle werde ich sie mir dann selbst zur Brust nehmen. Vorausgesetzt, sie schwimmt zu dem Zeitpunkt noch nicht mit den Fischen.", versicherte ich Hunter, dass er sich auf mich verlassen konnte und gab ihm parallel dazu auch mein Einverständnis, bei wirklich gravierenden Schwierigkeiten - wie etwa einem erneuten Mordanschlag - selbst Hand an Irina legen zu dürfen, wenn es sich in seinen Augen um kein Kavaliersdelikt mehr handelte. Bei letzterem würde ich vor einer Hinrichtung der Schwarzhaarigen aber bitte informiert werden. Je nach Vergehen würde ich die Sache nämlich entweder anders klären oder selbst den Henker spielen wollen. Ich ging wie gesagt allerdings nicht davon aus, dass die Serbin auffällig werden würde. Nichtsdestotrotz würde ich mit ihr aber noch einmal über das Gespräch mit Hunter reden, um auf die Wichtigkeit ihres tadellosen Verhaltens hinzuweisen. Andernfalls könnte sie das unter Umständen ihr Leben kosten. Der Tätowierte ermahnte aber auch mich selbst noch einmal, ihm künftig besser nicht noch ein weiteres Mal auf der Nase herumzutanzen, weil er sonst das nächste Mal nicht so ruhig und gesittet mit mir am Strand sitzen und einen Drink trinken würde, was ich absolut nachvollziehen konnte. Ich war schließlich auch kein besonders großer Fan von Überraschungen und konnte ihm deshalb nicht nur mit einem Nicken, sondern auch den Worten "Kommt nicht mehr vor, versprochen" versichern, dass ich künftig nicht noch einmal vergessen würde, ihn über so etwas Wichtiges zu informieren. "Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?", stellte ich abschließend noch eine Frage, mit der ich mein Glas schließlich leerte. Ich setzte mich daraufhin wieder gerade hin, legte beide Arme auf dem Tisch vor mir ab und beugte mich Hunter damit etwas entgegen. Vielleicht gab es ja etwas, dass der Amerikaner noch loswerden wollte, bevor ich mich weiter auf den Weg zu Richard machen würde, um Irina einen Besuch abzustatten. Eventuell legte ich mich vorher aber noch mal eine Stunde hin, hatte mich der Flug doch ziemlich geschlaucht und das Gespräch das letzte bisschen Energie aus meinem Körper gesogen. Aber ich wollte jetzt nicht so plump direkt wieder einen Abgang machen, wo das Gespräch doch gen Ende hin noch eine erfreuliche Wendung genommen hatte. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte, aber bei Hunter wusste man ja nie...
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Das war gut möglich. Ich war selbst Einzelkind gewesen und hatte wiederum aber genau gar nichts von meinen Eltern gehabt. Das war jetzt kein Detail meiner Vergangenheit, das ich gerne mit Iljah teilen wollte, aber es war das, was mir diesbezüglich zuerst in den Sinn kam. Es konnte wohl grundsätzlich immer und bei jedem Kind absolut alles schiefgehen, wenn man mich fragte. "Hätten eure Eltern es mal lieber bei einem Kind belassen.", kam ich doch nicht umher zumindest ein bisschen auf den Sarkasmus einzusteigen, auch wenn ich dabei ein wenig den Kopf schüttelte. Ich für meinen Teil betete jedenfalls schon jetzt darum, dass sich das auf die Schnauze fliegen für die vorlaute Russin irgendwann bewahrheiten würde. Auch unabhängig von mir - wer ihr letztendlich den Hals wegen ihrer respektlosen Art umdrehte, war dann für mich auch egal. Wichtig war nur, dass es irgendwann passierte. So oder so zeigte der junge Mann mir gegenüber sich fortwährend durchweg einsichtig. Er schien auch zuversichtlich damit zu sein, dass Irina sich weiterhin von einer guten Seite zeigte und sich bedeckt halten würde. Was das anging konnte er sie mit ziemlicher Sicherheit auch weit besser einschätzen als ich selbst, also hoffte ich doch stark, dass er damit Recht behalten würde. Allerdings ausschließlich um meiner eigenen Nerven Willen und nicht, weil ich der Schwarzhaarigen nicht gerne noch den einen oder anderen Schlag verpasst hätte. "In Ordnung.", zeigte ich mich mit Iljahs Worten bezüglich Tadels einverstanden. Immerhin musste ich es zwangsweise auch ein Stück weit akzeptieren, dass er gerne ein Mitspracherecht dabei hatte, was etwaige Strafen für seine Liebste anging. Zwar hoffte ich inständig, dass Irina nach ihrem Auszug für mich aus den Augen und damit etwas mehr aus dem Sinn war, aber darauf verlassen konnte ich mich wohl kaum. Ich hatte mich ein einziges Mal auf sie verlassen, war dabei jäh enttäuscht worden und deswegen würde das ganz einfach nie wieder vorkommen. Jedenfalls war unser Verbleib was diese Sache anging für mich so im grünen Bereich. Iljah versprach mir auch gleich im Anschluss noch, dass er sich zukünftig davor hüten würde einen Anruf an mich zu vergessen, wenn es etwas gab, das ich wissen musste. Auch wieder so eine Sache, mit der er seiner Schwester meilenweit voraus war, auch wenn nicht beide Angelegenheiten identisch miteinander waren. Ich tat sein Versprechen mit einem gut sichtbaren Nicken ab, kurz bevor ich seiner abschließenden Frage mein Gehör schenkte. Einen Augenblick lang dachte ich darüber nach, schüttelte dann aber schließlich den Kopf. Ich würde mir die Frage danach, was langfristig in dieser Hinsicht eigentlich genau sein Plan war, für etwas später aufheben. Einfach deshalb, weil ich gerade nicht das Gefühl hatte, als wüsste der Russe selbst überhaupt schon genau, wohin diese ganze Sache führen würde. Ob er in Russland bleiben würde, irgendwann hier zu Irina aufschließen und bleiben würde, ob er mit ihr gar ganz woanders hin auszuwandern plante... aber früher oder später würde ich ihm diese Frage stellen müssen. Allein der russischen Blüten wegen, die sich schlecht in einem anderen Land waschen lassen würden. "Nicht, dass ich wüsste. Fühl' dich wie Zuhause.", beließ ich es also dabei die Unterhaltung hier dem Ende zuzuführen. Dabei machte ich auch eine ausschweifende Bewegung mit dem Glas in der rechten Hand, die Iljah bedeuten sollte, dass er gerne seiner Wege gehen und die Insel unsicher machen konnte. Natürlich hatte der Schwarzhaarige hier in Havanna nicht ganz genauso viele Rechte wie bei sich Zuhause in Moskau, aber er wusste schon, wie ich das meinte. Ich für meinen Teil würde noch in aller Ruhe den Whiskey hier am Strand genießen, würde es doch für die nächste Zeit sicher der einzige bleiben.
Seit Hunter das erste Mal ohne jegliche Vorwarnung in der WG aufgekreuzt war, war ich insgesamt irgendwie ein bisschen angespannt. Das lag sicher auch nicht zuletzt daran, dass es nicht der einzige Besuch des Amerikaners geblieben war. Außerdem hatte er mit seiner Reaktion mir gegenüber zwangsläufig in die Wege geleitet, dass Cosma eine Erklärung von mir darüber erwartete, woher wir beide uns eigentlich kannten und warum ihr Macker mich offenbar auf den Tod nicht ausstehen konnte. Wortwörtlich, wohlgemerkt. Es könnte ungefähr alles und Nichts sein, dass den Amerikaner mir gegenüber so boshaft hatte werden lassen, weil es bei ihm bekanntlich nicht so viel brauchte, um an die Decke zu gehen und Jemanden zu hassen. Ich fühlte mich wirklich nicht gut damit vor der Rothaarigen meine Taten gestehen zu müssen - auch wenn ich hier und da lieber ein Detail ausließ, den Lügen blieb ich fern -, aber das war mir am Ende dann doch lieber, als dass sie sich eigene Theorien dazu zusammenwürfelte. Also erzählte ich ihr die Kurzversion von diesem endlos riesigen Drama. Auch, dass ich am Ende vielleicht mehr oder weniger versucht hatte, Iljah mit einer Klinge abzustechen. Dass Hunter mich ganz einfach deswegen hasste, weil ich diesen riesigen Mist angezapft und gleichzeitig in sein Geldwäschegeschäft bezüglich der Buchhaltung verwickelt gewesen war. Und natürlich deswegen, weil ich eine Lügnerin und Verräterin war, deren Mist er auch noch hatte gradebiegen müssen. Das hatte er mit der Kritzelei auf meinem Körper ja unmissverständlich zum Besten gegeben. Ich hatte alles in allem das Gefühl, dass seit meinem netten, kleinen - großen - Geständnis doch dauerhaft das Knistern in der Luft der WG anhielt. Es war absolut nachvollziehbar, dass sie mich jetzt mit anderen Augen sah und alles andere als begeistert von Alledem war. Deshalb hatten wir uns wohl automatisch in den Tagen danach gegenseitig gemieden. Cosma, weil sie diesen Haufen Scheiße wahrscheinlich einfach erstmal verdauen musste und ich selbst, weil ich mich nach wie vor schrecklich mit Alledem fühlte. Ich würde die Schuldgefühle was das anging sicher niemals loswerden. Zwar plagten mich jene am wenigsten Hunter gegenüber, weil ich ehrlich gesagt den Eindruck gehabt hatte, dass es ihm doch auch irgendwie Spaß gemacht hatte in Russland einen Clan niederzumähen, aber das Geständnis an seine Freundin wühlte all das unweigerlich wieder in mir auf. Genau deshalb versuchte ich mich auch vermehrt abzulenken. Die Rothaarige war seit Hunters Besuch zwar ohnehin oft außer Haus, weil sie wohl wieder in ihrer Bar arbeitete oder auch mit dem jungen Mann beschäftigt, wenn er vorbeikam, aber ich ging selbst auch öfter Mal raus. Versuchte mich langsam auch mal allein etwas mehr an die Stadt heranzutasten. Unternahm an einem sonnigen Vormittag eine kleine Tour durch die Innenstadt Havannas und erfreute mich zum Abschluss schließlich der Promenade, an deren hoher Mauer immer wieder kleinere Wellen zerschellten, weil es an jenem Tag recht windig war. Es gesellte sich bald ein Einheimischer zu mir, von dem ich ganz naiv zu Beginn noch glaubte, dass er sich einfach nur ein bisschen mit mir unterhalten wollte. Als er mich dann nach einem weiteren Treffen fragte, suchte ich aber schnell das Weite. Zuhause wieder angekommen zerbrach ich mir dann abermals über Iljah den Kopf, der es nach wie vor irgendwie nicht für nötig zu halten schien hier mal aufzukreuzen. Ich saß sicher eine geschlagene Stunde in den bewölkten Himmel sehend auf Richards Terrasse und versuchte mir zu überlegen, wie ich den Russen dazu bewegen konnte mich endlich mal zu besuchen. Allerdings kam ich dabei zu genau gar keinem Entschluss und von da an war ich dann gefühlt täglich deprimierter. Das einzig Gute war, dass Cosma sich nach ein paar Tagen wieder beruhigt zu haben schien und wir uns inzwischen wieder im selben Raum aufhalten konnten, ohne dass eine allzu merkwürdige Atmosphäre herrschte. Mit Unterhaltungen hielten wir uns auch heute am Vormittag wieder nur knapp, aber es schien besser zu werden. Inzwischen war der Sonnenuntergang schon nicht mehr allzu weit und die junge Frau war längst in ihre Bar ausgeflogen, während ich mich im Wohnzimmer mit einem Buch von Richard auf die Couch verkrümelt hatte. Es war heute extrem heiß draußen und ich versuchte mich inzwischen fast krampfhaft mit allem möglichen von meinen Lebensumständen abzulenken. Richard war ohnehin drauf und dran ebenfalls das Haus zu verlassen - wegen der Drogensache. Kurz vorher klingelte es allerdings an der Haustür, was ich erstmal gar nicht weiter beachtete. Für mich stand da gewöhnlich Niemand an der Türschwelle, also ging der Engländer als Hausherr an die Tür. Allerdings zuckten mir sofort förmlich die Ohren und ich sah von dem Buch über einen berühmten Künstler auf, als ich eine mir nur allzu bekannte Stimme hörte und ich wusste im ersten Moment gar nicht, wie ich reagieren sollte. Einerseits sprang mir das in letzter Zeit immer schwerer werdende Herz gleich förmlich aus der Brust, andererseits war ich doch auch irgendwie immer noch sauer, dass Iljah mich einfach abgeschoben hatte. Außerdem stellte ich mir prompt die Frage, warum zum Teufel er mir nicht gesagt hatte, dass er herkam. Ich war also noch zu keinem Entschluss gekommen, als der hochgewachsene Russe schließlich im Türrahmen auftauchte. Einfach so. Als wäre es irgendwie normal, dass er hier jetzt plötzlich vor mir stand. Als wäre irgendwie alles in bester Ordnung, was ich von mir weiß Gott nicht behaupten konnte. "Was verschafft mir die Ehre?", begrüßte ich ihn also mit einer geseufzten Frage, als ich das Buch zuklappte und auf den Couchtisch abschob. Versteht mich nicht falsch - ich hatte den Schwarzhaarigen wahnsinnig vermisst, was mir der gefühlt sofort alle Maße sprengende Hormonpegel auch ziemlich deutlich machte, aber ich hatte mir unser Wiedersehen nun wirklich ganz anders vorgestellt.
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Es gab vorerst also nichts mehr, das ich unbedingt wissen müsste, was ich erneut mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. Die Sache mit Irina war dann soweit auch vom Tisch und das Gespräch demnach beendet. Ein Blick auf meine Armbanduhr, die grundsätzlich immer mein linkes Handgelenk zierte, verriet, dass uns diese Unterhaltung kaum eine halbe Stunde gekostet hatte und so blieb noch genug Zeit übrig, Irina zu besuchen und mit ihr den Rest des Sonnenuntergangs zu genießen. Von einem Strandspaziergang würde ich wegen der aktuellen Temperaturen allerdings absehen oder diesen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wenn die Sonne nicht mehr so unangenehm auf der Haut brannte. Würde ich wohl spontan entscheiden und mich zudem auch ein Stück weit nach meiner Freundin richten, der ich ganz bewusst nichts von meinem geplanten Besuch erzählt hatte. Gut, vielleicht war ich aber auch bloß noch nicht dazu gekommen, die Schwarzhaarige darüber zu informieren, nachdem ich mir die paar Tage recht kurzfristig freigeräumt und mich im Flieger dann um die Buchung des Hotels und Hunters Buchhaltung gekümmert hatte. Von ganz bewusst nicht informiert konnte unter der Prämisse, dass ich bis kurz vor der Landung gar keine Zeit dafür gehabt hatte, wohl eher keine Rede sein. Aber gut, letzten Endes war das ja auch gar nicht weiter wichtig. Sie würde sich ganz bestimmt so oder so freuen. Hoffte ich zumindest, denn ich tat es, hatte ich sie in den letzten Tagen, wo endlich mal wieder ein bisschen Ruhe in mein Leben eingekehrt war, schrecklich vermisst. Ich konnte es also kaum erwarten aufzubrechen, auch wenn ich mir nach außen hin nichts anmerken ließ. Hunter nach wie vor gelassen und aus ruhigen Augen ansah, kurz bevor ich eine der Bedienungen an unseren Tisch rief, um meinen, wie auch Hunters Drink zu zahlen. Für den Fall der Fälle, dass der Amerikaner noch eine Weile alleine hier sitzenbleiben würde, müsste er allerdings selbst zahlen. Ich ließ für die dunkelhäutige Brünette noch ein nettes Trinkgeld springen, ehe ich mich wieder meinem Geschäftspartner zuwandte. Kurz bevor ich aufstand, kam ich nämlich noch einmal auf Hunters äußerst unangemessenen Kommentar zu sprechen. Man konnte von Vahagn wirklich halten was man wollte, ebenso von der Erziehung meiner Eltern, aber es war in meinen Augen mehr als nur dreist, dass Hunter sich das Recht herausnahm, über die damalige Entscheidung meiner Eltern, noch ein weiteres Kind zu bekommen, zu urteilen. Das gehörte sich einfach nicht. Ich hatte ebenso wie er meine Differenzen mit meiner anderen Hälfte, war aber trotz allem froh darüber, dass sie mein Leben weiterhin bereicherte und über Tote herzuziehen war selbst für Hunters Verhältnisse unterste Schublade. Vor allem, da er weder meine Mutter, noch meinen Vater jemals kennengelernt hatte. "Vahagn und ich hatten ein gutes Verhältnis zu unseren Eltern. In Anbetracht der Tatsache, dass sie beide nicht mehr leben, würde ich dich künftig um ein bisschen mehr Respekt bitten, wenn du solche Aussagen triffst.", ließ ich dem Amerikaner also abschließend noch eine letzte Bitte über den Tisch hinweg zukommen, bevor ich mich von jenem schließlich erhob. Ich schenkte dem Tätowierten noch einen letzten, eindringlichen, aber keineswegs böswilligen Blick, bevor ich ihn auf das Angebot hin, mich in Havanna wie Zuhause zu fühlen, dankend mit dem Kopf nickend verabschiedete. Ich überquerte das kurze Stück der Terrasse, schob mich dann im Inneren der Bar an ein paar Leuten vorbei nach draußen auf die Straße und stiefelte bereits ein paar Meter den Bürgersteig entlang, während ich mein Handy aus der Hosentasche kramte, um mir ein Taxi zu rufen. Rein theoretisch hätte ich mir für die paar Tage auch einen Leihwagen mieten können, aber ich hatte ehrlich gesagt ohnehin nicht vor, Havanna groß zu erkunden. Plante, mich maximal für ein paar Stunden an den Strand zu schmeißen und den Rest der Zeit einfach an Irinas Seite zu sein. Sie hatte bestimmt viel zu erzählen und außerdem galt es den ein oder anderen Kuss nachzuholen, nach dem es mich in den letzten Wochen immer wieder gedürstet hatte. Insgesamt brauchte es mich zu dem Bungalow, dessen Adresse ich mir von Vahagn hatte geben lassen, bestimmt eine geschlagene Stunde. Vermutlich wäre ich schneller dagewesen, wenn ich einfach zu Fuß gegangen wäre, als eine Ewigkeit auf das nicht klimatisierte Taxi zu warten. Im Grunde genommen tat aber der kleine Dämpfer meiner guten Laune keinen Abbruch, als ich an dem am Waldrand gelegenen Häuschen angekommen die Klingel betätigte. Es war allerdings nicht Irina, sondern Richard, der mir auf dem Sprung nach wohin auch immer die Tür öffnete. Er besah mir ein paar Sekunden lang fragenden Blickes und gleiches tat ich umgekehrt auch. Ich musterte den jungen Mann mit der auffälligen Brandnarbe im Gesicht vielleicht etwas zu lange, bis er mich schließlich fragte, wer ich war und was ich um diese Uhrzeit bitteschön bei ihm wollte. Das wiederum riss mich aus dem Gedankenspiel, wie eine solche Verletzung zustande kommen konnte und ließ mich ihm kurzerhand die Eckdaten meiner Person zukommen. Er sicherte sich noch kurz bei der Schwarzhaarigen, die im Wohnzimmer auf der Couch ein Buch las ab, ob das Alles auch so stimmte, dann ließ er Irina und mich nach einer knappen Verabschiedung alleine. Ich hatte bereits das breiteste Lächeln auf den Lippen, als ich die Türschwelle zum Wohnzimmer passierte. War längst bereit dazu, Irina aufzufangen, sollte sie sich kurzerhand dazu entschließen, mir in die Arme zu springen, aber dahingehend wurde ich bereits wenige Sekunden, nachdem die junge Frau mich im Türrahmen vernommen hatte, jäh enttäuscht. Anstatt sich zu freuen, mir alle möglichen Fragen zu stellen, die ihr in dem Moment in den Sinn kamen, war alles, was sie wissen wollte, was ihr die Ehre meines Besuches verschaffte? Im Normalfall hätte ich jetzt mit den Augen gerollt, auf dem Absatz Kehrt gemacht und wäre wieder gegangen, um die junge Frau damit zum Nachdenken über ihre Worte anzuregen, aber gerade in diesem Augenblick amüsierte mich Irinas Verhalten einfach viel zu sehr, als dass es meine gute Laune dämpfen könnte. Ich nahm ihre Frage also ganz gelassen, als ich mich mit der Schulter in den Türrahmen lehnte, ein Bein entlastete, indem ich es mit dem Fuß hinter die Ferse des anderen klemmte, die Arme vor der Brust verschränkt. "Da krame ich extra meine letzten Paar nicht kaputter Shorts und das vermutlich einzige existente Kurzarmshirt aus dem Kleiderschrank, nehme etliche Stunden Flug auf mich, um schließlich in der Sonne zu verkohlen, nur damit ich dich endlich wiedersehe, nachdem ich wochenlang nur deine Stimme hören und ein paar von deinen Texten lesen konnte und das ist deine Begrüßung? Du musst mich ja schrecklich vermisst haben.", übertrieb ich absolut maßlos, was für einen Kampf ich auf mich genommen hatte, um die Schwarzhaarige am anderen Ende der Welt zu besuchen, wobei anhand meiner Stimmlage schon deutlich herauszuhören war, dass ich es definitiv nicht so ernst meinte, wie es sich vielleicht angehört haben mochte. Es amüsierte mich schlichtweg, dass Irina meinen Überraschungsbesuch so auf die Schnelle scheinbar gar nicht richtig einzuordnen wusste und kurz Zeit brauchte, um zu realisieren, wer hier eigentlich gerade vor ihr stand. Ich konnte mir jedenfalls nur schwer vorstellen, dass das alles an Begrüßung sein sollte, weil sie mir doch vor ihrer Abreise noch so schrecklich in den Ohren gelegen hatte, als es darum ging, wann ich sie besuchen kommen und oder letztlich ebenfalls hier auf die Insel ziehen würde. Ich hoffte es zumindest für sie, dass das noch nicht Alles gewesen war, wäre ich andererseits doch wirklich enttäusch, wenn sie es mir weiterhin krumm nahm, dass ich sie einfach so abgeschoben hatte. Mit Irinas manchmal noch sehr kindlichem Geist war nicht auszuschließen, dass sie weiterhin dachte, ich wolle ihr damit etwas Böses, aber dem war nach wie vor definitiv nicht so.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich sah den jungen Mann die ganze Zeit über während er sprach ziemlich ausdruckslos an, was ich ebenfalls meiner inneren Unschlüssigkeit zuschrieb. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, ob ich bei all dem Sarkasmus und seiner guten Laune nun lachen oder doch lieber weinen wollte. Einerseits tat es schon gut, ihn endlich mal wieder etwas besser gelaunt zu sehen, statt gefühlt jeden Tag eine neue Sorgenfalte auf seiner Stirn finden zu müssen, weil er einfach nicht mehr zur Ruhe kam. Das Ganze auch noch wegen mir, weil ich ständig irgendwelche Probleme machte und eigentlich auch nicht viel mehr wollte, als endlich mal meine Ruhe mit ihm zu haben. Entspannung und ein bisschen Spaß, nachdem unsere Beziehung bisher eigentlich keines dieser beiden Dinge so wirklich beinhaltete. Andererseits fand ich es aber auch wahnsinnig dreist, wie er hier seine Witze darüber riss, dass ich offensichtlich nur semi-begeistert von seinem sehr spontanen und vor allem unangekündigten Besuch war. Vielleicht nahm ich das an und für sich schon wieder viel zu ernst, weil ich einfach seit Tagen fast durchgehend verhältnismäßig beschissene Laune hatte, aber konnte man mir das jetzt wirklich verübeln? Ich hatte Iljah von Anfang an prophezeit, dass es früher oder später Probleme geben würde, wenn er mich hier auf Kuba bunkerte. Jene Probleme waren jetzt mehr oder weniger da, auch wenn sie sich gerade wieder etwas zu beruhigen schienen. Trotzdem musste ich dann immer noch alle ein bis zwei Tage Hunters Blicke ertragen, die mich wahrscheinlich einschüchtern sollten oder was auch immer er da schon wieder für Filme schob. Es war nicht so, als hätte er noch irgendwas in dieser Richtung mir gegenüber nötig. Ich wusste längst, dass mein Platz in der Nahrungskette scheinbar irgendwo ganz weit unten am Boden des Brunnens lag. Einem ausgetrockneten Brunnen. "Du machst mich wirklich wahnsinnig, weißt du das?", stellte ich ihm eine weitere Frage, die allerdings rhetorischer Natur war. Die wahrscheinlich in wenigen Minuten auch wieder auf Gegenseitigkeit beruhte, wenn ich ihm dann erstmal geschildert hatte, warum ich es irgendwie nicht so ganz in Ordnung fand, wie er hier aufkreuzte. Erst einmal stand ich jedoch vom Sofa auf und zog noch dabei flüchtig den Zopfgummi aus meinen Haaren, der die fülligen Strähnen in einem ziemlich unordentlichen Dutt oben gehalten hatte. Das hatte allerdings einzig und allein dazu gedient die Haare beim Lesen nicht ständig bei Seite schieben zu müssen, weil sie nach vorne fielen. Die Lesestunde hatte jetzt sehr abrupt geendet, da brauchte ich auch den Dutt nicht mehr. "Ja, ich hab dich vermisst... schon etwas zu lang, wenn du mich fragst. Ohne Aussicht auf Besserung übrigens, weil du dich ja ziemlich vehement geweigert hast mir mal zu sagen, wann du auch nur ganz vielleicht mal vorbeikommst.", ließ ich ihn erst einmal wissen, dass ich nach wie vor nicht davon begeistert war, wie lang er sich Zeit damit gelassen hatte hier aufzuschlagen. "Vielleicht hätte ich bessere Laune, wenn du mir einfach gesagt hättest, dass du kommst. So, wie ich dich eigentlich schon die ganze Zeit mehr oder weniger drum gebeten habe. Ist eine kurze Nachricht echt schon zu viel verlangt?" Ich ging auf nackten Fußsohlen mit nur langsamen und dafür umso gezielteren Schritten auf ihn zu, während ich redete. Ich wirkte wohl eher nicht wie eine vor sich hin kriechende Schnecke, sondern viel mehr wie eine Katze, die sich noch nicht ganz sicher damit war, ob und wie sie ihre Beute in die Pfoten kriegen sollte. Dabei fiel einzig ein sehr lang geschnittenes, dunkelrotes T-Shirt, das mir fast bist zu den Knien ging - das offiziell einfach ein ziemlich bequemes Kleid für mich war, unter dem sich auch die Narbe gut verstecken ließ - an meinem Körper hinunter. Klar, da war noch Unterwäsche drunter, aber ehrlich gesagt interessierte es mich auch nicht mehr besonders, ob ich mal etwas freizügiger herumlief - beispielsweise mal flüchtig nur in Unterwäsche, weil ich aus Schusseligkeit den Rest meiner Klamotten im Schrank vergessen hatte oder Ähnliches - seit ich wusste, dass Richard schwul war und mir ganz bestimmt nichts weggucken würde. Gerade in dieser reichlich miesen Woche hätte Iljah sich jedenfalls selbst einen wahnsinnig großen Gefallen damit getan, mir Bescheid zu geben, dass er herkam. Dann hätte ich mich wenigstens vorher mental drauf vorbereiten und vor allem freuen können. Wahrscheinlich hätte ich am Ende sogar am Küchenfenster darauf gewartet, dass das Taxi vorfuhr. Falls seine Intention also eine ganz bewusste Überraschung hatte sein sollen, hatte er sich damit jetzt ordentlich selbst ins Knie geschossen. Dieses ganze Mangelnde-Kommunikations-Dings zwischen uns ging mir einfach auf die Nerven. Ich hätte mich gerne schon vorher auf ihn gefreut, mich auch schon vorher dazu ermahnt den Rest meines im Moment sehr kläglichen Lebens für seinen Besuch etwas bei Seite zu schieben und ihm vielleicht auch anderweitig noch eine Freude gemacht - und sei es nur mich ein bisschen rauszuputzen und in weniger alltägliche Unterwäsche zu schlüpfen in der Hoffnung, dass ich ihm so ein bisschen selbstbewusster mit der hässlichen Narbe gegenübertreten konnte. Einfach Irgendwas. Kleinigkeiten wie diese fielen nun allesamt ins Wasser und er bekam meine schon den ganzen Tag recht miese bis deprimierte Laune gleich noch im Gesamtpaket mit dazu. Erst vertröstete er mich ständig damit, dass er nicht wusste, wann er endlich mal nach Kuba kommen konnte und dann stand er im Gegenzug aber plötzlich hier auf der Matte? Das war so gar nicht meine Art von Humor.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Wenn ich ehrlich sein sollte, dann verstand ich gerade nicht ganz, wo genau jetzt eigentlich Irinas Problem lag. Vermutlich gab es gar keins und sie formte es sich kurzerhand aus irgendwelchen ihrer komischen Hirngespinsten selbst. Eigentlich hätte mir ja von Anfang an klar sein müssen, dass die junge Frau wieder nur meckern würde, weil ihr irgendetwas an meinem Besuch ganz und gar nicht passte und das, obwohl sie mich die ganze Zeit über angefleht hatte, ihr doch bitte endlich mitzuteilen, wann ich mal nach Kuba kommen und sie besuchen würde. Wenn ich dann aber aus der Not heraus dazu gezwungen war, sie zu überraschen - was meiner Meinung nach in dem Fall jetzt nicht besonders schlimm war -, dann war das auch wieder nicht richtig und aus dem Grund war ich gerade wohl der Einzige hier, der so etwas wie aufrichtige Freude verspürte, meine Liebste zu wiederzusehen. Ich hatte Irina in den letzten Wochen wirklich schrecklich vermisst und die absolut ungerechtfertigte, kühle Abwehrhaltung der jungen Frau war doch ein Stück weit verletzend. Außerdem nervte sie mich. Hätte ich vorher gewusst, dass mich ihre durchweg miese Laune hier erwarten würde, wäre ich einfach in Russland geblieben und hätte das Gespräch mit Hunter über das Telefon geführt. Irina hier einfach weiter schmoren lassen, bis sie sich irgendwann in einem halben Jahr dann vielleicht mal eingekriegt hatte. Was machte das denn jetzt für einen großen Unterschied, ob ich mich vorher ankündigte oder eben nicht? Anstatt sich einfach mit mir zu freuen, kam mir Irina direkt mit ein paar Vorwürfen um die Ecke, als sie letztlich von der Couch aufstand und ein paar Schritte auf mich zumachte. Mein breites Grinsen war, obwohl ich mir geschworen hatte, meine gute Laune nicht in den Keller rasseln zu lassen, inzwischen verblasst, ich sah sie nur noch müde lächelnd an. Folgte ihr mit meinem Blick und kam nicht umher, das Gesicht der jungen Frau kurzzeitig zu mustern. Als sie kurz vor mir zum Stehen kam, wanderte jener Blick an ihrem Körper abwärts und ich streckte bedauerlich seufzend meine Hand nach einer ihrer Haarsträhnen aus, die sich in ihrem Gesicht verirrt hatte, nachdem ihr die langen schwarzen Haare aus dem Zopf über die Schulter gefallen waren. Blind strich ich ihr die Strähne hinter das Ohr zurück, ließ meine Hand dann wieder sinken und suchte daraufhin erneut ihren Blick. „Sorry, ich kam nicht mehr dazu, dir zu schreiben. Ich hab mir spontan ein paar Tage freigeräumt, Hunter wollte mich sprechen… wegen dir… und wenn ich schon mal hier bin, wollte ich dich logischerweise auch sehen. Ich hab nach wie vor einfach immer noch unsagbar viel zu tun und daraus kannst du mir doch jetzt nicht ernsthaft einen Strick drehen, nur weil ich dir nicht Bescheid gesagt habe. Was spielt das denn für eine Rolle? Wenn du mir hier jetzt nur wieder Vorwürfe machen willst, so wie vor deiner Abreise auch schon, dann hau ich wieder ab. Da hab ich nach dem Gespräch mit dem Amerikaner nämlich nur noch bedingt Lust zu.“, schilderte ich Irina den Grund dafür, warum ich plötzlich ganz überraschend vor der Tür ihres Hausherren gestanden hatte. Ließ vielleicht ein wenig taktlos durchsickern, dass sie noch nicht einmal der primäre Grund war, warum ich hergereist war, wobei das so ja auch eigentlich nicht stimmte. Im Prinzip war es aber auch vollkommen egal, wie ich es zu drehen und wenden versuchte, Irina schien aktuell so gar nicht richtig zu wissen, wohin mit sich. Dass sie ihre schlechte Laune dann allerdings an mir ausließ, musste meiner Meinung nach auch nicht sein und dementsprechend bockig klang ich gegen Ende hin wohl auch. Ich hatte ganz einfach keine Lust, mich wegen so einer lapidaren Kleinigkeit jetzt mit ihr zu streiten und auch wenn es mich sehr schmerzen würde, hätte ich keine Probleme damit, unverrichteter Dinge einfach wieder zu gehen. Das lag jetzt ganz allein in den Händen der Schwarzhaarigen, von der ich meinen Blick kaum abzuwenden vermochte. Nach einer so langen Zeit war es einfach schön, wieder ein Gesicht zu ihrer Stimme zu haben. Am liebsten hätte ich sie eigentlich gerne in meine Arme gezogen, aber in Anbetracht ihrer Haltung mir gegenüber ließ ich das erst einmal bleiben. Richtete mich nur wieder zu voller Größe auf und musste demnach dann auch zu Irina runtersehen, weil sie doch ein gutes Stück kleiner war als ich. Allgemein steckte mich ihre miese Laune entgegen meiner Erwartungen leider doch ein bisschen an und die bis eben noch locker runterhängenden Schultern verspannten sich etwas. Die einzige Frage, die ich mir in dem Augenblick dann noch stellte, war die Frage nach dem Warum. Warum tat Irina das? Konnte sie sich ausnahmsweise nicht einfach mal freuen? Wenn sie mich doch so wahnsinnig und ihren eigenen Worten nach zu urteilen viel zulange vermisst hatte? War sie deshalb jetzt ernsthaft schlecht drauf?
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Es löste unweigerlich eine leichte Gänsehaut in meinem Nacken aus, als Iljah mir mit seinen Fingern eine meiner Haarsträhnen hinters Ohr strich. Das war eine dieser Kleinigkeiten, die wohl nie ihre Wirkung auf mich verlieren würde. Wahrscheinlich lag das einfach daran, dass diese im Grunde so simple Berührung immer die eine Sache bleiben würde, die den Stein zwischen uns ursprünglich mal ins Rollen gebracht hatte. Dass es diese eine Sache war, die mich ihm gegenüber das erste Mal aus dem Rahmen fallen lassen hatte. Dennoch vermochte das meinen Ärger darüber, wie die Dinge jetzt schon wieder gelaufen waren, nur bedingt zu lindern. Ich senkte lediglich für einen Moment lang den vorher doch etwas angriffslustigen Blick und sah auf meine nackten Füße runter. Mit der Aussage er wäre einfach nur nicht dazu gekommen mir zu schreiben, entlockte er mir dann aber postwendend ein angestrengtes Seufzen. Ich hatte ja nicht sowas wie einen halben Roman darüber gewollt, in welcher Minute er hier exakt aufschlagen würde. Hatte keinerlei Hintergrundinfos dazu gewollt. Es hätte mir absolut ausgereicht, wenn er mir einfach nur maximal fünf Wörter geschickt hätte, die mir aufgezeigt hätten, an welchem Tag er kam. Dafür brauchte man keine zehn Sekunden, wenn man sich nicht extra dämlich dabei anstellte. Es war für mich also einfach nur eine müde Ausrede, dass er angeblich einfach nicht mehr dazu gekommen war. So ein Schwachsinn. "Oh und wie ich das kann. Eine Nachricht mit den simplen Worten Ich komme morgen hätte dich nicht mal eine einzige Minute deiner kostbaren Zeit gekostet.", beharrte ich trotzig darauf, dass er mir damit jetzt hier nicht anzukommen brauchte. Hob dabei dann auch wieder den ziemlich sturen Blick an, womit ich meine Unzufriedenheit wohl bestens erkennbar nach außen trug. Ehrlich gesagt setzte die Tatsache, dass Iljah scheinbar eher nach Kuba kam, wenn Hunter nach ihm rief, als wenn ich ihn darum bat mir hier mal einen Besuch abzustatten, dem Ganzen auch echt noch die Krone auf. Zumindest klang das, was er sagte, eben so. "Also wenn Hunter schreit kommst du gleich, aber ich darf ewig auf dich warten? Wenn das deine Entschädigung dafür sein soll, dass du mich offenbar auch noch ohne sein Wissen hier abgeladen hast, dann...", anders ließ es sich kaum erklären, dass der Amerikaner im ersten Moment aus allen Wolken gefallen war, als er mich das erste Mal hier gesehen hatte, "...danke, aber nein danke.", schloss ich meinen Satz mit einem durchweg künstlichen Lächeln und mehrfachem Blinzeln ab. In meinen Augen war es schlichtweg nicht weniger als mindestens grob fahrlässig von ihm gewesen, dem Amerikaner nicht einmal zu sagen, dass ich hier war. Ich müsste lügen, um zu sagen, dass ich keine Angst davor hatte nicht doch noch des nachts mal von ihm abgestochen zu werden. Also eben auch mal so ganz davon abgesehen, dass Iljah sich wirklich schon vorher hätte denken können, dass die Idee mich ausgerechnet hier in Sicherheit zu bringen, nicht unbedingt seine allerbeste gewesen war. Er hätte mich wahrscheinlich genauso gut in jedes andere Land verschiffen können und ich hätte mich genauso mies damit gefühlt. "Und meine schlechte Laune braucht dich echt nicht zu wundern. Es ist ja nicht so als hätte ich hier auf Kuba besonders viel Spaß. Die einzige, die mich seit Hunters erstem Besuch hier noch gut leiden kann, ist wahrscheinlich die Sonne.", ließ ich ihn oberflächlich und mit bitterem Humor am Ende wissen, woher meine nicht gerade gute Laune ursprünglich überhaupt kam. Gut, vielleicht ließ ich das Detail, dass ich mich mit Richard und Cosma eigentlich sogar sehr gut verstanden hatte, bis Hunter seinen blöden Arsch hier ins Haus geschoben hatte, ganz gekonnt außen vor. Außerdem hatte ich eigentlich das Gefühl, dass zumindest der Engländer - der die ganze Sache zwangsweise auch grob mitgekriegt hatte, weil das hier nun mal sein Haus war - versuchte mir meine Taten nicht allzu krumm zu nehmen, aber die Rothaarige hatte mich in den letzten Tagen wirklich halb wahnsinnig gemacht. Jedes Mal, wenn sich unsere Wege zwangsweise gekreuzt hatten, hatten mir die Schuldgefühle förmlich die Kehle abgeschnürt. "Wenn du mir vorher Bescheid gesagt hättest, dass du kommst, hätte ich mich ausnahmsweise mal auf irgendwas freuen und an was anderes denken können. Hätte mich... einfach drauf vorbereiten können und hätte jetzt dann ziemlich sicher bessere Laune. Aber nein - dir ist es scheinbar wie immer lieber mich einfach im Dunkeln sitzen und warten zu lassen, um mich dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das kannst du ja am besten.", wetterte ich weiter vor mich hin und verschränkte die Arme vor der Brust. Irgendwann in ein paar Stunden würde mir wahrscheinlich auch selbst mal auffallen, dass ich hier gerade eigentlich recht unnötig die Dramaqueen markierte und stellenweise aus einer Mücke einen riesigen Elefanten machte. Natürlich war nicht alles ganz ideal gelaufen, aber Vieles davon war wahrscheinlich wirklich keine Absicht seitens Iljah gewesen. Nur jetzt gerade wollte ich das eben nicht sehen. War so sehr auf meinen schon seit Tagen anhaltenden, negativen Gedankenstrudel fixiert, dass ich jenem gleich noch mehr Zunder gab, um fröhlich weiter seine Kreise durch mein Hirn zu ziehen. Und dass obwohl ich inzwischen eigentlich wissen müsste, dass man den jungen Mann besser nicht reizen sollte, wenn er einem sagte, dass er dazu gerade wirklich keine Nerven hatte.
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Eigentlich dürfte es mich schon längst nicht mehr wundern, dass Irina die Füße einfach nicht stillhalten konnte, selbst nachdem ich sie eindringlich darauf hingewiesen hatte, hier jetzt bitte keinen Aufstand zu machen. Zwar hatte ich das Ganze bewusst ohne eine unterschwellige Drohung formuliert, weil ich mir erhofft hatte, dass es diese eben nicht brauchte, wo meine mittlerweile insgesamt eher angespannte Körperhaltung doch eigentlich Bände sprach, aber Irina schien das während ihres Trotzanfalls überhaupt nicht zu begreifen. Zickte einfach immer weiter und gab mir an allen Ecken und Kanten die Schuld dafür, dass ihre Laune hier und heute so unglaublich mies war. Erst hatte ich über ihren Kopf hinweg entschieden, dass sie nach Kuba reisen sollte, dann gefiel es ihr hier nicht, weil sie keinen Anschluss fand - was, wie ich selbst aus sicherer Quelle wusste, absoluter Blödsinn war -, Hunter war mir viel wichtiger, als sie und noch eine ganze Menge anderer Scheiße, welche das bis dato gerade mal halbvolle Fass glatt zum Überlaufen brachten. Ich fing unterbewusst immer mehr damit an, mit dem Unterkiefer zu mahlen, je mehr Vorwürfe die junge Frau mir vor die Füße spuckte und als mir Irina schließlich mit einem durchweg scheinheiligen Lächeln auf den Lippen in die Augen sah, setzte in mir irgendetwas aus. Ich wusste nicht ob es der angestauten Wut zugrunde lag oder aber der Tatsache, dass sie mich gerade mit all ihren Worten wirklich verletzt hatte. Aus dem Mund der jungen Frau hörte es sich zunehmend danach an, als würde ich ihr absichtlich etwas Böses, sie irgendwie ärgern wollen. Nur nach meinem eigenen Vorteil bestrebt handeln, obwohl genau das Gegenteil davon der Fall war. Es hatte mich eine Menge Geld und noch viel mehr Nerven gekostet, um ihren gottverdammten Arsch hier auf Kuba in Sicherheit wissen zu können. Ich setzte sowohl geschäftliche Beziehungen - zu Hunter, zu den Herren, dessen Abflug sich vor Wochen um ein paar Minuten verzögert hatte -, als auch die Beziehung zu meiner jüngeren Schwester für sie aufs Spiel, damit es ihr gut ging und wir irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft gemeinsam an uns arbeiten konnten und alles, was ich im Gegenzug von ihr verlangte war etwas Zeit. Noch nicht einmal Dankbarkeit, weil ich sie ja ohnehin nie gefragt hatte, ob sie mit alledem hier einverstanden war - letztere Worte waren so ähnlich im übrigen ihre eigenen gewesen. Den ein oder anderen Kuss und ein bisschen gute Laune, wenn ich spontan mal zu Besuch kam, für den ich auch erst mal wieder ein paar Termine auf Seite schieben musste, war doch genauso wenig zu viel verlangt, wie dieser blöde Text, den ich ihr aus dem Flieger heraus hätte senden können, oder? Ja, vielleicht hätte ich mich bei ihr melden sollen, aber war das jetzt wirklich so schwerwiegend, dass sie mir im Zuge der Unterhaltung alles vor die Füße schmeißen musste, was ich ihrer Ansicht nach falsch gemacht hatte? Das war nicht fair. Und aus genau diesem Grund brannte mir wohl auch kurzzeitig eine meiner sonst so wohl behüteten Sicherungen durch, die mich energisch einen halben Schritt vorschnellen ließ, um mit der rechten Hand nach Irinas Hals zu greifen. Nur wenige Sekunden später stand die junge Frau dann getreu dem Motto Bäumchen wechsle dich an meiner vorherigen Position, von wo aus ich sie neben dem Türrahmen mit dem Rücken an die Wand drückte. Ich war dabei keineswegs zimperlich, aber stets bedacht darauf, ihr nicht ernsthaft wehzutun. Auch meine Finger um ihren Hals drückten nicht wirklich fest zu, weil sie sich im Zuge meiner nächsten Amtshandlung ohnehin nicht mehr so einfach aus meinem Griff winden konnte. Ich bezog meinen Posten nämlich unmittelbar vor der jungen Frau, sodass sie mir definitiv auf die Füße getreten wäre, hätte ich ihren Beinen nicht ein wenig Platz zwischen meinen eingeräumt. Mit dem Oberkörper war ich ihr mindestens genauso nah, wobei ich mich mit der linken Handfläche neben ihrem Gesicht an der Wand abstützte, sodass wenigstens zwischen unseren Köpfen ausreichend Platz war, damit Irina frischen Sauerstoff atmen und nicht an meiner verbrauchten Luft zu ersticken drohte, die ihr um die Nase wehen würde, wenn ich gleich damit anfing, ihr die Leviten zu lesen. Ich hatte auf ein so kindliches Gehabe nämlich keine Lust und sie bereits vorgewarnt. Jetzt war es an ihr, die Konsequenzen dafür zu tragen, mich weiterhin provoziert zu haben. Mit dem Daumen und meinem Zeigefinger fixierte ich den Kiefer der Schwarzhaarigen und zwang sie so dazu, mir bei den nachfolgenden Worten direkt in die Augen zu sehen. "Könntest du für einen Moment bitte damit aufhören, dich in Selbstmitleid zu baden?", war meine erste Frage, auf die ich nicht wirklich eine ehrliche Antwort erwartete. Zu geschockt dürfte die junge Frau von meiner Aktion sein, müsste sich vermutlich erstmal sortieren. "Nichts von alledem hier tue ich, weil es mir Spaß macht, dich zu ärgern oder weil es meine Intention ist, dich unterbuttern zu wollen. Ich weiß nicht, wie oft ich mich noch für alles, was ich in deinen Augen bis dato falsch gemacht habe, noch entschuldigen soll, aber mir reicht es langsam - deine vollkommen egoistische Einstellung. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich weder das Geld, noch sämtliche meiner Beziehungen aufs Spiel setzen muss, weil du ja nie wirklich nach finanzieller Hilfe oder meinem Rückhalt gefragt hast, aber ich wollte dir ganz einfach aus freien Stücken helfen, weil ich gehofft hatte, dass wir dadurch irgendwann gemeinsam an der momentan noch eher holprigen Beziehung arbeiten können würden, nur braucht das einfach Zeit, verdammt nochmal. Zeit, die mir einfach gefehlt hat, weil ich tagtäglich um dein Leben bangen musste. Denkst du etwa, es ist in meinem Interesse, dich mutterseelenallein hier auf der Insel zurückzulassen und jemandem in den Arsch zu kriechen, den ich nicht weniger tot sehen möchte, als du das tust?" Ja, ich schätzte Hunter als Geschäftspartner, aber was ich privat von ihm hielt war etwas ganz, ganz anderes. "Und dafür, dass dich niemand leiden kann, scheinst du dich laut Hunter ein bisschen zu gut mit seiner Freundin und dem lieben Richard zu verstehen, also wenn du schon in Selbstmitleid baden und mir meine nur bedingt eigennützigen Amtshandlungen ankreiden willst, dann sei wenigstens so fair und lüg mich nicht an!", knurrte ich zu ihr runter, unterstrich all die aufbrausenden Worte zusätzlich mit einem wütenden Funkeln in den Augen. Es fiel mir nicht leicht, die Serbin derart zusammenzufalten, aber vielleicht kam sie so endlich mal aus dem Loch heraus, in dem sie momentan nur schwarz zu sehen schien, weil ihr das, was ich tat, um ihr Leben zu schützen, vorne und hinten einfach nicht passte. Ich sprach auch nochmal an, dass es eine ziemlich lasche Lüge von ihr war, als sie mir weiszumachen versuchte, dass die Sonne hier auf der Insel die einzige war, die sie noch irgendwie leiden konnte. Wenn man dem Amerikaner Glauben schenken konnte - und ich sah jetzt keinen triftigen Grund, warum Hunter dahingehend Lügen erzählen sollte, hatte er davon doch nicht wirklich nennenswerte Vorteile -, dann verstand sich Irina mit dem rothaarigen Teufel eigentlich ganz gut. Ebenso wie mit dem Engländer. Ich sah das Häufchen Elend, welches ich förmlich unter mir begrub, mit einer Mischung aus Verzweiflung, Resignation und Wut im Blick an, wusste einfach nicht, auf welchem verdammten Weg ich Irina eigentlich noch versuchen sollte beizubringen, dass ich nichts von alledem hier tat, weil ich das wollte, sondern weil ich mir aktuell ganz einfach keine Alternative aus dem Ärmel schütteln konnte. Ich wäre auch viel lieber bei ihr oder wusste sie in meinen Armen, aber das war momentan schlichtweg zu gefährlich und sie konnte auch nicht von mir verlangen, dass ich von heute auf morgen einfach alle Zelte in Russland abbrechen würde, nur um ihr hier nach Kuba zu folgen. Auf kurz oder lang würde ich das, ganz sicher, aber dafür würde ich zum einen gerne schuldenfrei sein und zum anderen auch meinen Lebensunterhalt hier bestreiten können, um Irina im Nachhinein noch ein angenehmes Leben bieten zu können. Hatte ja auch niemand etwas davon, wenn wir dann zwar zusammen hier auf der Insel lebten, aber kein Dach über dem Kopf hatten. Ich verlangte also nur ein einziges Mal, dass die Schwarzhaarige sich auch mal in meine Lage versetzte. Ich machte mir schreckliche Sorgen um sie, ja, sogar einige Vorwürfe, weil ich hier und da vielleicht wirklich nicht ganz fair mit ihr umgegangen war, aber das änderte rein gar nichts an der Tatsache, dass ich mich mehr denn je darüber freute, sie endlich mal wiederzusehen, ganz egal, unter welchen Umständen nun eigentlich. Und sie würde doch wohl wenigstens für ein paar Tage so tun können, als würde sie sich ebenfalls freuen, oder? Als könnte sie verstehen, warum ich so gehandelt hatte, auch wenn dem vielleicht nicht so war. Ich... wollte doch nicht viel mehr, als ein bisschen Kraft tanken, bis ich mich wieder von der schwarzhaarigen Schönheit verabschieden musste.
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Ups. Ich wusste schon in der Sekunde, als sich der Ausdruck in Iljahs Augen gut sichtbar änderte, dass ich vielleicht einen Gang zu hoch geschalten hatte. Vielleicht eher zwei, bemessen an seiner folgenden Reaktion - ich konnte kaum so schnell gucken, wie er eine Hand nach meinem schmalen Hals ausstreckte und ich reflexartig meine eigene, rechte Hand an seine legte. Zu sagen, dass der junge Mann mir wirklich ernsthaft wehtat, als er mich kurzerhand an die Wand tackerte, wäre doch etwas übertrieben. Unangenehm war es dennoch und ich hielt wohl aus altem Instinkt die Luft an, kaum spürte ich die Finger an meinem Hals und legte auch meine andere Hand an seinen Bauch - als würde mir das wirklich irgendwas bringen. Mein Herz hatte wohl einen Schlag ausgesetzt, als ich mit dem Rücken an der Wand gelandet war und schon kurz darauf spürte ich seine Finger an meinem Kiefer. Kam nicht drum herum zu ihm nach oben und in seine Augen zu sehen, während er mir auch sonst absolut keine Möglichkeit zur Flucht gab. Zwar war ich sicher etwas unempfindlicher seinen kleineren Wutausbrüchen gegenüber geworden, aber er jagte mir damit auch dieses Mal wieder einen Schrecken ein. Wo ich zu Beginn unserer Bekanntschaft bei solch einer Reaktion sicherlich noch angefangen hätte zu zittern oder anderweitig halb zu hyperventilieren, schluckte ich jetzt doch nur einmal und fing danach wieder an gleichmäßig zu atmen. Ich würde zwar kaum darauf wetten, dass er mir mit einhundertprozentiger Sicherheit nie wieder etwas tun würde - einfach deswegen, weil das ja durchaus schon vorgekommen war -, aber ich schätzte die Möglichkeiten was das anging dann doch kleiner ein als früher noch. Trotzdem war mir mein Unbehagen sicherlich anzusehen und ich nahm meine Finger noch immer nicht von seinen, wobei ich dennoch keinen verzweifelten Versuch startete seine Hand an meinem Hals loszuwerden. Einfach weil ich wusste, dass ich damit nicht weit kommen würde. Ich schenkte ihm also zwangsweise mein Gehör, als er mir sagte, dass ich gefälligst nicht in Selbstmitleid baden und mich mal zusammenreißen sollte. Und ja, vielleicht malte ich gerade alles ein bisschen sehr schwarz an, weil ich einfach absolut unzufrieden mit... eigentlich allem war. Ich wusste weder mit mir selbst, noch mit meinem Leben an sich noch wirklich etwas anzufangen. Mit mir selbst nicht, weil ich wohl dezent unter einer Existenzkrise litt, seit ich diesen riesen Berg Schuld und die Narbe mit mir herumtrug und mit meinem Leben nicht, weil es im Grunde aus genau gar nichts bestand. Ich hing hier auf Kuba komplett in der Luft, wusste so langsam auch nicht mehr was ich hier noch anstellen sollte, seit mir die Aufmerksamkeit von Cosma und Richard nur noch bedingt oder auf unangenehme Weise zuteil wurde und... ich fand einfach alles scheiße. Angefangen damit, dass Iljah nicht hier bei mir war und sich damit ohnehin schonmal gefühlt die Hälfte meines Lebensinhalts in Luft auflöste. Was wiederum hieß, dass ich mich wahrscheinlich schon darüber freuen sollte, dass er jetzt endlich mal hier war. Es fiel mir nur leider wahnsinnig schwer das auch nur irgendwie zu genießen, so unter all den anderen beschissenen Umständen. Die besserten schließlich nicht automatisch einfach mal eben so nebenbei, nur weil der werte Herr seinen Arsch jetzt endlich mal hierher geflogen hatte. Es war aber die Sache mit dem nicht anlügen, die mich von all seinen geknurrten Worten mit Abstand am meisten traf und die mich dazu zwang, einen Moment lang die Augen zuzumachen, weil es mir bei jenen Worten in Kombination mit dem wütenden Funkeln in seinen Augen einfach wahnsinnig schwer fiel ihn noch länger anzusehen. "Ich lüge nicht.", hauchte ich drei dünne Worte vor mich hin, bevor ich die Augen leicht flackernd wieder aufmachte und zu ihm hochsah. Vielleicht hatte ich etwas übertrieben, aber eine Lüge war es schlichtweg nicht. "Seit ich ihnen erzählen musste, was in Moskau passiert ist, ist hier dicke Luft. Also vielleicht hat Hunter ja mal wieder Glück und es erledigt sich von selbst...", murmelte ich vor mich hin und ließ danach dann langsam meine Finger von seiner Hand rutschen. "Vielleicht war es nicht fair, dir das", also alles quasi, "vorzuwerfen... aber du kannst auch nicht erwarten, dass ich hier rumspringe wie ein Honigkuchenpferd, wenn ich einfach unglücklich bin." Ich redete nach wie vor lieber eine Tonstufe leiser als vorher, klang inzwischen aber wohl nur noch traurig und kaum mehr verärgert. Er konnte mir ganz einfach nicht sagen, wie ich mich zu fühlen hatte. Das war nicht, wie Gefühle funktionierte. Es war herrlich leicht zu sagen, dass ich mal eben diese ganze Scheiße runterschlucken und ein bisschen lächeln sollte, aber in der Umsetzung funktionierte das so eben nicht. Erst recht nicht, wenn er mich hier einschüchternd mehr oder weniger mit seinem ganzen Körper an die Wand nagelte. "Würdest du bitte loslassen..?" Er hatte mir jetzt erfolgreich den Wind aus den Segeln genommen. Dann konnte er es mit den Handgreiflichkeiten auch wieder gut sein lassen, oder? Es machte mir zwar nicht mehr so Angst wie früher, aber mein Herz schlug weiterhin deutlich schneller als normalerweise und um ehrlich zu sein konnte ich auf solche Dinge nach wie vor gut verzichten. Unter dieser Prämisse war es wahrscheinlich absolut bescheuert, ausgerechnet Iljah an meiner Seite zu wollen, aber was solls - es war ja schon lange nicht mehr so, dass ich mit meinen Entscheidungen wirklich sinnvolle Schachzüge tätigte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Nachdem ich mir also all den Frust und den Zorn endlich von der Seele geredet hatte, ging es mir schon gleich ein bisschen besser. Es kehrte darauffolgend dann erst einmal eine schier unendlich lang anhaltende Stille zwischen Irina und mir ein, aber es war nicht so, als hieße ich diese nicht ernsthaft willkommen. Sie half mir dabei, wieder etwas tiefer durchzuatmen, denn wenn die Schwarzhaarige gar nichts sagte, konnte sie logischerweise auch nichts falsches sagen. Und wenn ich die Klappe hielt, redete ich mich nicht weiter in Rage. Ich versuchte also binnen der kleinen Ewigkeit ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen, in denen ich die junge Frau vor - oder besser an - mir zu keiner Zeit aus den Augen ließ. Es tat unglaublich weh zu sehen, wie sehr sie unter meinen Handgreiflichkeiten litt, aber bei Irina wusste ich mir schon lange nicht mehr anders zu helfen. Mit Vernunft kam man bei der Serbin offensichtlich nicht besonders weit, ebenso wenig mit Ruhe und Geduld und so blieb Gewalt - auch wenn sie das eigentlich nie sein sollte - irgendwie... meine letzte Option. Dennoch bereute ich mein Handeln - spätestens, als Irina merklich aufgelöst die Augen schloss und mich davon überzeugen wollte, dass sie eben nicht gelogen hatte, als sie mir eben weismachen wollte, dass niemand sie hier leiden konnte. Die darauffolgende Erklärung schien ich unterbewusst mit einem schwachen Nicken zu quittieren und zur Kenntnis zu nehmen. Dicke Luft war meiner Meinung nach aber nicht gleich nicht leiden können. Gerade Richard, der mir bei meiner Ankunft förmlich in die Arme gelaufen war, hatte mir nicht den Eindruck erweckt, als fühlte er sich in Irinas Nähe unsicher oder unwohl, hatte er - bis auf die Skepsis mir gegenüber - doch durchweg entspannt gewirkt. Auch glaubte ich nicht daran, dass er ihr die Sache dermaßen krumm nahm, weil er Irina sonst kaum noch unter seinem Dach leben lassen würde. Wenn die zierliche Schönheit also mich fragte, dann bog sie sich hier gerade nur wieder ein Umstand zusammen, der zu ihrer bemitleidenswerten Ansprache passte und diese Masche zog bei mir ganz einfach nicht. Vielleicht, weil ich älter war oder aber allgemein ein ganz anderes Weltbild vertrat als sie, keine Ahnung. Ich sah das Ganze hier deutlich weniger eng und auch wenn sich das vermutlich leichter sagen ließ, als es das letztlich war, glaubte ich nicht daran, dass es ihr hier dermaßen schlecht ging. Dass sie unglücklich war... okay, das konnte ich schwer einschätzen, aber die junge Frau schien immer noch nicht begreifen zu wollen, dass es anders momentan einfach nicht ging. Entweder, sie war unglücklich und gab mir noch ein bisschen mehr Zeit oder... sie ließ es bleiben, aber dann war sie vogelfrei. Wild für den gierigen Rest der Sorokins. Dann konnte ich sie nicht mehr beschützen, aber vielleicht war sie dann ja glücklicher? Ich seufzte leise, alles andere als zufrieden und ließ den Kopf einen Moment lang resigniert hängen. Sah auf meine Füße hinunter, während ich Irinas kläglicher Bitte, sie wieder loszulassen, tatsächlich nachkam. Ich entfernte meine Hand zwar nicht gänzlich von ihrem Hals und blieb auch weiterhin noch eng bei ihr stehen, räumte ihr aber zumindest einen kleinen Teil an Bewegungsfreiheit ein. Ließ meine rechte Hand lediglich seitlich an ihrem Hals nahe der Schulter liegen und begann, dort nachdenklich mit dem Daumen über ihre Haut zu streichen. Überlegte indessen, was ich jetzt noch sagen sollte. Mir ging viel zu viel durch den Kopf, als dass ich jetzt alles genau auf den Punkt hätte bringen können, aber das war wohl auch nicht notwendig. "Ich erwarte nicht, dass du hier permanent gute Laune hast und ich kann verstehen, dass es dir absolut beschissen geht, aber kannst du wenigstens versuchen, dich auch mal in meine Lage zu versetzen? Ich möchte einfach, dass es dir gut geht. Und wenn das heißt, dass du dafür ein paar Wochen unglücklich hier auf Kuba verbringen musst, dann... kann ich das nicht gutheißen, weil ich logischerweise schon möchte, dass du glücklich bist, aber ich kann es zumindest kurzzeitig akzeptieren, weil es nicht für immer ist, verstehst du? Ich kann mein altes Leben in Russland nicht einfach über den Haufen werfen, das wäre absolut naiv und unüberlegt. Ich habe Geschäfte und damit einhergehende Verpflichtungen, an die ich mich halten sollte, wenn ich nicht gleich wieder um mein eigenes Leben bangen möchte. Ich brauche einfach ein bisschen Zeit, um die Sache mit meinem Geschäft zu überdenken und bis dahin möchte ich den ein oder anderen Besuch hier bei dir einfach genießen können. Würdest... du mir also bitte einfach den Gefallen tun und noch ein wenig durchhalten? Ich weiß, es ist schwer und wirklich viel verlangt, aber du hast mir versprochen, bei mir zu bleiben.", der schroffe Unterton verschwand, je länger ich so vor mich hinmurmelte. Den Kopf hatte ich bis jetzt immer noch nicht wieder angehoben, sondern einfach stur auf den Boden gestarrt, weil ich gehofft hatte, dort ein paar Antworten auf meine Fragen zu finden, die mir zwischendurch so durch den Kopf schossen. Ich kam logischerweise nie zu einem schlüssigen Ergebnis und so hob ich den mehrere Tonnen schweren Schädel alsbald an, um mit dem Ausdruck purer Hilflosigkeit in Irinas Augen zu sehen. Ich flehte sie mit meinem Blick förmlich an, dass sie jetzt nicht aufgeben, sondern durchhalten sollte. Nicht ausschließlich für mich, sondern... für uns. "Ich wollte... dich auch nicht so anschnauzen oder dir wehtun. Ich wollte mich gar nicht erst mit dir streiten, aber du machst es mir unglaublich schwer, darauf vertrauen zu können, dass du zu mir stehst, wenn du jedes Mal eine solche Abwehrhaltung annimmst, bei egal jeder Entscheidung, die ich in letzter Zeit getroffen habe. Es ist offensichtlich scheißegal, was ich mache, es ist immer falsch, ständig siehst du nur das Negative.", ergänzte ich noch ein paar im Nachgang nach Verzweiflung klingender Worte, mit denen ich mich schließlich gänzlich von der jungen Frau löste. Ihr damit wieder freistand, sich durch den Raum zu bewegen, wie es ihr beliebte. Ich rechnete schon fest damit, dass sie gleich an die gegenüberliegende Seite des Wohnzimmers flüchten würde, um möglichst viel Distanz zu mir aufzubauen, weil ich mich im Augenblick nicht gerade wie ein Gentleman benahm, aber konnte man mir das wirklich ankreiden? Ich war einfach fertig mit den Nerven, hatte keine Lust mehr und war nach langem hin und her an einem Punkt angekommen, wo ich die Entscheidung, Irina als meine Freundin genommen zu haben, zum ersten Mal wirklich in Frage stellte. Ich drehte mich mit ihr irgendwie nur noch im Kreis, es kam einfach gar nichts seitens der jungen Frau, das mir irgendwie Hoffnung auf eine schöne Zukunft machte. Dass es mir alles andere als leicht fiel, diesen Gedanken zu denken, geschweige denn auszusprechen, dürfte der angestrengte Gesichtsausdruck und das nachdenkliche mit der Hand durch die Haare raufen übers Gesicht wischen ziemlich offensichtlich machen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich fing irgendwann während all den Worten, die Iljah mir als nächstes sagte, einfach damit an gedanklich darum zu beten, dass das mit uns noch irgendwohin führen würde, wo das Gras grüner war. Es würde nicht für ewig so bleiben, oder? Dass wir irgendwie nur fähig dazu waren uns etwas vernünftiger miteinander zu unterhalten, nachdem es auf beiden Seiten ausgeartet war. Was das anging sollte ich mir wahrscheinlich mal schleunigst vermehrt an die eigene Nase fassen, weil ich selbst ja am besten wusste, dass ich gut und gerne mal unnötig kompliziert war, wo das ganz einfach nicht nötig war. Dass ich eben wirklich oft nur das Negative sah, wie der Russe das während seiner Ansprache ziemlich treffend formulierte. Es fiel mir nur einfach wahnsinnig schwer daran etwas zu ändern, wenn das Leben mir nichts anderes als ständig nur blöde Zitronen gab - woran ich wiederum zum Großteil selbst schuld war. Ich hatte mich selbst dafür entschieden diese ganze Misere mit Iljah durchzumachen, statt ihn an die Sorokins auszuliefern, was für mich weit einfacher gewesen wäre. Einfach war halt nur leider nicht grade mein zweiter Vorname. Also ja - wahrscheinlich sollte ich wirklich damit aufhören in Selbstmitleid zu versinken und mir mal öfter selbst predigen, dass man eben so lag, wie man sich vorher bettete. Ich machte einen weiteren tiefen, leicht bebenden Atemzug, als sich endlich der Druck an meinem Hals auflöste und der Schwarzhaarige seine Hand stattdessen nur noch auf meiner Haut liegen ließ. Zugegeben war es irgendwie wirklich komisch den jungen Mann dann so zu sehen. Auch zu hören, dass er mit den ganzen unglücklichen Umständen - mild ausgedrückt - selbst vermutlich fast genauso unzufrieden war, wie das auch bei mir der Fall war. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden war was das anging wahrscheinlich, dass er einfach mehr als genug zu tun hatte, um das einige Stunden am Tag getrost vergessen zu können. Außerdem war es wirklich ungewohnt, dass er seinen Blick lieber einige Zeit lang auf den Boden klebte, statt mich weiter anzusehen. Er scheute Blickkontakt eigentlich nie. Nur das, was danach dann noch kam, war fast noch untypischer für den sonst immer so selbstsicheren Schwarzhaarigen. Er sah wirklich so aus, als hätte er ernsthafte Angst darum, dass ich ihn verlassen könnte, als er mich schließlich erneut ansah. Oder auch davor, dass er es früher oder später selbst beenden musste, weil er das mit uns einfach nicht mehr konnte, weil ich ihm einfach zu viel des Guten war. Dass er sich nach all diesen teilweise wirklich niedergeschlagen klingenden Worten dann auch gänzlich von mir löste, obwohl ich jetzt beinahe langsam wieder damit hätte anfangen können seine Finger auf meiner Haut genießen zu können, unterstrich den Inhalt seiner Sätze nur noch zusätzlich mit einer Geste. Ich hätte mich in diesem Moment wahnsinnig gerne einfach an der Wand runterrutschen lassen, um dann auf dem Boden angekommen den Kopf auf meinen Knien abzulegen und mich einen Moment lang bei mir selbst zu verkriechen. Allerdings schien mir das jetzt nicht der richtige Schritt zu sein, wo Iljah doch so gut sichtbar daran zweifelte, dass ich überhaupt noch Lust dazu hatte mich weiter durch die Beziehung mit ihm zu kämpfen. Ich brauchte noch einen schweigenden Moment dazu mich zu sammeln und löste mich deshalb erst langsam von der Wand, als der Russe damit fertig war seinen nervlichen Stress auch damit zum Ausdruck zu bringen, sich die Haare zu raufen. Streckte die Finger meiner rechten Hand noch etwas ögerlich nach seinen aus, sah einen Augenblick lang noch schweigend auf unsere Hände hinab. Erst danach suchte ich etwas verunsichert erneut nach seinem Blick. "Ich werde doch auch bei dir bleiben, Iljah... ich will dich nicht verlieren.", waren meine ersten, nur eher leise gemurmelten Worte. Das änderte aber nichts daran, dass ich sie ernst meinte - genauso wie das Versprechen, dass ich ihm gegeben hatte. "Es war nicht meine Absicht, dir das Gefühl zu geben, dass mir... das zwischen uns nichts mehr wert ist oder mich alles ausschließlich nur noch nervt. Das... wollte ich nicht.", versuchte ich ihm erst einmal klar zu machen, dass ich kein bisschen wollte, dass sich unser beider Wege hier und jetzt trennten. Auch, wenn es vielleicht irgendwie den Anschein erweckt hatte. "Und eigentlich... ist ganz viel von Alledem ja auch meine eigene Schuld. Ich weiß das, aber das... macht es leider nicht grade besser erträglich." Ich redete inzwischen wieder eher etwas planlos vor mich hin, zuckte schwach mit den schmalen Schultern und senkte dann selbst kurz den Blick. Es schien nicht wirklich so als hätte ich eine andere Wahl, als mich jetzt langsam mal ein bisschen am Riemen zu reißen. Mich mal mehr auf das große Ganze zu fokussieren, statt in Eigenregie weiterhin nur auf den Details herumzureiten, die mich am meisten ankotzten. Weil ich mir aber schwer damit tat ihn wieder anzusehen, nachdem mir nun doch langsam klar wurde, dass ich ein klein wenig überreagiert hatte, machte ich stattdessen auch den letzten Schritt wieder auf ihn zu und lehnte mich vorsichtig ein bisschen an ihm an. Legte meinen Kopf seitlich an seine Brust und hob die freie Hand an seinen Bauch. Lauschte zuerst einen Moment lang seinem Herzschlag, bevor ich noch einmal das Wort ergriff. "Ich stehe immer zu dir. Und ich werd' versuchen, mich... ein bisschen zusammenzureißen, okay?", schloss ich schließlich leise ab und atmete dann erstmals ganz bewusst den Geruch ein, den ich so lange vermisst hatte. Den Geruch, der mich sonst am Abend immer behutsam in den Schlaf gewiegt hatte.
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Das letzte Mal, an dem ich so ratlos und mit einer Situation restlos überfordert gewesen war, dürfte inzwischen sicher ein paar Jahre zurückliegen. Mittlerweile brachte mich so schnell nichts mehr aus der Ruhe und an und für sich war ich ja nun auch wirklich ein sehr geduldiger Mensch. Die Angst um Irina und vor der Tatsache, dass sie sich die ganze Scheiße einfach nicht weiter antun wollte, war jedoch so groß, dass es mir wirklich an den Nerven zehrte. Ich stellte so ziemlich Alles, was ich bis hierhin für die Schwarzhaarige getan hatte in Frage und überlegte parallel dazu, was ich jetzt tun würde, wenn sie mich tatsächlich einfach in den Wind schießen würde, weil er das langsam aber sicher doch zu viel wurde. Vermutlich würde ich mich einfach direkt wieder in den Flieger setzen und mich auf dem Heimflug abermals dafür verfluchen, dieser ganzen Beziehungssache tatsächlich eine Chance gegeben zu haben. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen – wie beispielsweise den Ausflug ans Lagerfeuer damals – hatte mich diese nämlich nur sämtliche meiner Nerven gekostet und mich daran erinnert, dass es nach wie vor sinnvoller war, als Krimineller einfach alleinstehend zu sein und das auch zu bleiben. Sich an niemanden zu binden, aber irgendwie wollte ich das nicht wirklich wahrhaben. Hoffte wohl ganz einfach immer noch darauf, dass mir so eine Beziehung irgendwie irgendwann ganz vielleicht auch mal etwas zurückgeben würde. Die Aussichten standen dahingehend aktuell zwar eher schlecht, aber na ja. Jedenfalls machte es mich fast wahnsinnig, dass Irina mir nicht sofort sämtliche Angst, sie eventuell verloren zu haben, nahm, sondern erst noch ein paar quälend lange Sekunden damit wartete, bevor sie Entwarnung gab. Mir versicherte, dass sie ihr Versprechen einhalten wollen und mich nicht verlassen würde, was mich unterbewusst erleichtert ausatmen ließ. Nach außen hin wirkte ich aber nach wie vor recht aufgewühlt, weil sich so viel Anspannung nicht einfach mal so eben ablegen ließ. Ich wurde wohl erst wieder sichtlich ruhiger, als ich die zierlichen Finger der Schwarzhaarigen an meiner Hand spürte. Wenig später lehnte sie sich außerdem etwas an mich und das… überraschte mich, wenn ich ehrlich sein sollte. Ich war fest davon ausgegangen, Irina mit meiner überzogenen Reaktion einen derart großen Schrecken eingejagt zu haben, dass sie für den Moment lieber auf aufstand gehen wollte. Tat sie aber nicht und so richtete ich den etwas ziellos durch die Gegend irrenden Blick schließlich auf den Schopf meiner deutlich kleineren Freundin, die ihr Gesicht mit ein paar gemurmelten Worten an meiner Brust vergrub. Ich brauchte einen Moment, bis jene Worte gänzlich zu mir durchgedrungen waren, dann aber wandte ich mich der jungen Frau wieder etwas mehr zu, sodass ich problemlos den Arm, dessen Finger sich nicht mit denen von Irina verschränkt hatten, um den zierlichen Körper legen und diesen etwas mehr an mich ziehen konnte. Nun atmete ich auch für die Serbin hörbar erleichtert aus und legte mein Kinn mit geschlossenen Augen auf ihrem Haaransatz ab. War einfach unendlich froh, wörtlich von ihr gesagt bekommen zu haben, dass sie vorerst nicht plante, mich nach all meinen Bemühungen, mit denen ich ihr definitiv nicht hatte schaden wollen, einfach abzuservieren. Auch ihre Entschuldigung, die nach all den unberechtigten Vorwürfen mehr als gerechtfertigt war, wirkte wie Balsam auf meine geschundenen Nerven. „Es geht mir nicht darum, ob du Schuld an alledem hast oder nicht. Das ist mir weder wichtig, noch macht es irgendeinen Unterschied. Ich möchte nur, dass du verstehst, dass ich dir mit meiner manchmal vielleicht etwas zu vorschnellen Art wirklich nichts Böses will. Ich bin ja selbst… unzufrieden.“, murmelte ich, ohne die Augen wieder geöffnet zu haben. „Und bitte…“, setzte ich zu weiteren, nur noch gehauchten Worten an, „…unterstell‘ mir nie wieder, dass Hunter mir wichtiger sei, als du es bist. Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Aber wir können uns ihm gegenüber einfach nicht noch mehr Fehltritte erlauben, okay? Du fehlst mir so schon schrecklich. Ich könnte mir nicht verzeihen, wenn dir etwas passiert, nur weil ihm irgendeine Kleinigkeit nicht passt.“, äußerte ich meine Bedenken in Hinsicht auf Hunters kaum vorhandenen Geduldsfaden. Mir schmeckte es auch nicht, nach seiner Pfeife tanzen zu müssen, aber wenn ich wirklich sichergehen wollte, dass er Irina nicht doch noch irgendwann ein Haar krümmte, weil ich mich nicht gut mit ihm gestellt hatte, dann musste ich da einfach in den sauren Apfel beißen. Und ich war gerne bereit, das auch zu tun, solange mir die junge Frau dabei den Rücken stärkte. Mir hier und da einfach zeigte, dass sie mich trotzdem liebte, auch wenn ich ihr gegenüber in letzter Zeit nicht selten ein Arsch gewesen war. Mehr als ein paar Streicheleinheiten und den ein oder anderen Kuss verlangte ich doch auch gar nicht von ihr. Und nach der langen Zeit könnte ich auch noch anderweitig körperliche Nähe gut gebrauchen, aber… darüber wollte ich im Augenblick lieber nicht zu intensiv nachdenken.
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Es dauerte noch eine kleine Weile, bis ich unter den Fingern an seinem Bauch spüren konnte, dass Iljah sich langsam ein wenig zu entspannen begann. Das reichte aus um mir die noch leise vorhandene Angst zu nehmen, dass ich vielleicht wieder irgendwas Dummes gesagt hatte und er deshalb gleich noch einmal aus der Haut fahren würde. Einmal kurz an die Wand getackert zu werden konnte ich wohl verkraften, aber ich war weder auf eine Wiederholung, noch auf Anderes in dieser Richtung scharf. Meine Dimension von noch okay was Handgreiflichkeiten anging war sicher auch in diesem Ausmaß schon ungesund - ich nahm es ihm nicht mal mehr wirklich übel, seit ich eingesehen hatte, dass ich ihn unnötig provoziert hatte. Das war sicher schon weit entfernt von einem gesunden Verhältnis zu Gewalt, aber wie sollte es nach all den Jahren voll körperlichem Leid jetzt auch anders sein..? Mein Herzschlag konnte sich erstmal wieder ein wenig beruhigen und schließlich kam der junge Mann mir sogar noch etwas mehr entgegen. Legte seinen Arm um mich und bewirkte damit, dass meine Mundwinkel ein ganz gleiches bisschen nach oben zuckten. Ich fühlte mich nirgends anders so geborgen und sicher wie in den Armen des Schwarzhaarigen. Der Effekt verstärkte sich erst recht noch einmal durch sein Kinn auf meinem Kopf, hatte ich so doch immer das Gefühl mich förmlich vor der ganzen Welt bei ihm verkriechen zu können. Ich hörte Iljah aufmerksam zu, als er letztlich erneut das Wort ergriff... und ich wusste das ja eigentlich. Dass er es meistens wirklich nur gut meinte und mir nichts Böses wollte mit den Entscheidungen, die er in letzter Zeit getroffen hatte. Dass er es genauso wenig böse meinte, dass er erst jetzt hergekommen war - es ging halt nur einfach nicht anders. Leider. Er war im Gegensatz zu mir nun mal erfolgreich im Leben und das sollte er ja auch gar nicht alles plötzlich wegwerfen. Dass es selten gute Konsequenzen hatte, wenn man sich plötzlich irgendwo alles andere als koscher rauszuwinden versuchte, wusste ich selbst wohl mit am besten. All das änderte bedauerlicherweise nichts an der beschissenen Situation, die sich nicht leicht ertragen ließ. "Du meinst es nur gut, ich weiß... es hat sich nur so angefühlt, als wüsste ich irgendwie... nie über irgendwas Bescheid. Ich steiger' mich in sowas wohl einfach gerne zu sehr rein.", murmelte ich leise vor mich hin und fing dabei an mit dem Daumen über seinen zu streicheln, zuckte auch kaum merklich mit den Schultern. Schloss selbst dann auch für einen Moment lang die Augen, während ich ihm weiter zuhörte. Und ja, jetzt wo er das so sagte... empfand ich selbst meine vorherigen Worte doch auch als deutlich zu harsch. Ich mochte zwar selbst daran schuld sein, dass Hunter mir die Narbe auf dem Oberkörper verpasst hatte, aber wenn sowas Irgendjemand bei Iljah machen würde - Gott bewahre. Hass wäre gar kein Ausdruck dafür, was ich für jene Person empfinden würde. Siehe Sorokin-Pest. Da lag es also doch sehr nahe, dass der Russe den Amerikaner eher gar nicht leiden konnte, statt ihn mir in irgendeiner Weise vorziehen zu wollen. Ich regte mich das erste Mal seit der Annäherung wieder, um den Kopf von seiner Brust zu lösen. Ihn so zwangsweise dazu zu bringen seinen eigenen Kopf von meinem zu nehmen, damit ich zu ihm nach oben schauen konnte. Ich löste auch die Hand von seinem Bauch und streckte sie stattdessen nach seinem Nacken aus, um ihn ein bisschen zu mir runterzuziehen, als ich mich gleichzeitig auf die Zehenspitze stellte. Ein Kuss war hier und jetzt sicher das beste Mittel dazu ihm zu zeigen, dass das Kriegsbeil begraben war und ich ihn sehr wohl vermisst hatte, obwohl ich heute wohl wirklich schlecht darin war das zu zeigen. Bisher zumindest. Also vereinte ich meine Lippen mit seinen und strich ihm mit den Fingern unterbewusst seinen Nacken auf und ab, während ich all die Gefühle in den Kuss legte, die sich in den letzten Wochen angestaut hatten. Da wir was das anging einiges aufzuholen hatten, löste ich mich auch erst nach einer ganzen Weile wieder von seinen auf verführerische Weise rauen Lippen. "Tut mir leid... kommt nicht wieder vor.", unterstrich ich meine Geste auch noch mit ein paar einlenkenden, geflüsterten Worten. Dabei rutschte meine Hand nach vorne zu seiner Wange und ich strich ihm ein paar Mal am Wangenknochen entlang. Fing dann an darüber nachzudenken, um was genau es bei dem Gespräch mit Hunter überhaupt gegangen war - beziehungsweise was genau dabei nun am Ende rausgekommen war. Deswegen folgte ich meinen Fingern einige Sekunden nachdenklich mit meinem Blick, ehe ich den hochgewachsenen Russen erneut ansah. "Was hat er denn gesagt? Also außer, dass es ihm nicht passt, dass ich hier bin..." Man brauchte ja kein Genie zu sein, um das zu wissen. "Ich versuch schon immer möglichst große Bögen um ihn zu machen... und ich werd' mich natürlich auch weiter so unauffällig wie möglich verhalten.", versuchte ich Iljah zu vermitteln, dass mir wirklich gar nicht im Sinn stand den Hitzkopf noch einmal in welcher Form auch immer zu reizen. Darauf konnte ich genauso gut verzichten wie er, brauchte ich doch wirklich kein weiteres Souvenir von dem Amerikaner. Es war logischerweise absolut in meinem Sinn ihn nicht noch einmal auf die Palme zu bringen, weil es viel mehr als eine zweite - sehr teuer bezahlte - Chance nicht geben würde. Im Idealfall verhielt ich mich also am besten so als wäre ich gar nicht da.
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Oh ja, und wie gerne sich Irina in so etwas reinsteigern konnte. Dass sie mich damit zwischenzeitlich bis hoch oben in die Baumkronen klettern ließ, war wohl unnötig zu erwähnen, wo ich davon doch gerade eine kleine Kostprobe zum Besten gegeben hatte. Es war so schon zeitweise echt anstrengend, sich neutral zu ihren ständigen Nörgeleien zu äußern und irgendwann war das Fass dann auch einfach mal voll. Ich würde mich nicht unbedingt als einen durchweg positiv gestimmten Typ Mensch sehen, aber Realist traf es doch ganz gut. In den meisten Fällen sah ich Herausforderungen weitaus weniger schwarz als die zierliche Schönheit in meinen Armen und ließ mich deshalb vermutlich auch nicht ständig sofort aus der Ruhe bringen. Mitunter lag das sicherlich auch daran, dass ich in den acht Jahren, die ich faktisch nun mal älter als Irina war, bereits die ein oder andere Erfahrung hatte sammeln können, die mich in diesem Denken bestätigte und ganz vielleicht käme die junge Frau irgendwann auch noch mal an den Punkt, an dem sie nicht alles so durchweg negativ sah. Lernte, sich auch selbst zum positiv denken zu animieren, weil man auf kurz oder lang sonst daran kaputtgehen würde. Dass ausgerechnet ich das sagte, wo ich doch gerade noch darüber nachgedacht hatte, was alles schiefgelaufen war und wie wenig Sinn die Beziehung zwischen der Schwarzhaarigen und mir doch eigentlich machte, hätte ironischer auch kaum sein können. Aber es war ja nun wirklich nicht so, als hätte ich unsere Zukunft unter einem schlechten Stern stehen gesehen. Nur wenn man immer und immer wieder die gleichen Dämpfer verpasst bekam, begann wohl auch der geduldigste Mensch langsam zu zweifeln... Darüber jetzt weiter nachdenken wollte ich allerdings nicht, klammerte mich - wie so oft in letzter Zeit - an die kleinen Errungenschaften im Leben und versuchte, möglichst viel neue Kraft aus den vielversprechenden Worten meiner Freundin zu ziehen. Aus der Nähe zu der jungen Frau an sich, die auch hier auf Kuba noch genau so nach Zuhause roch, wie sie es in Russland getan hatte. "Du bist ja noch jung, irgendwann wirst du merken, dass dir die Kraft dafür einfach zu schade ist.", war alles, was ich noch zu ihrer Aussage, sie würde sich hier und da gerne in manche Dinge hineinsteigern, äußerte, dann war das Thema für mich vorerst vom Tisch. Spielte zusätzlich dazu noch indirekt die 'Komm erst mal in mein Alter'-Karte, die Irina künftig wohl noch das ein oder andere Mal von mir um die Ohren bekommen würde. Auf dem Altersunterschied ließ sich meines Erachtens nach aber auch so herrlich schön herumreiten, weil die Serbin in mancherlei Hinsicht noch immer gewisse Ähnlichkeit mit einem Kind hatte. Irgendwann war das aber gar nicht mehr so leicht, die Energie einfach in den Wind zu blasen, weil der Blutdruck einen schnell daran erinnern würde, dass acht Stunden Schlaf für den Körper nicht zwangsläufig acht Stunden Erholung bedeuteten. Ich schlug die Augen wieder auf, als sich die junge Frau in meinen Armen bewegte, sich ein wenig von mir distanzierte, um zu mir nach oben schauen zu können. Ich empfing ihren Blick mit einem schwachen, aber noch recht instabilen Lächeln und der Kuss, den Irina mir nachfolgend auf die Lippen drückte, hatte ich mehr als nur gebraucht. Es war in meinen Augen viel zu lange her, dass ich meine Freundin zuletzt geküsst hatte und umso mehr genoss ich die sinnlich weichen Lippen auf den meinen. Ließ sie mindestens genauso sehr meine Sehnsucht nach ihr spüren, wie das umgekehrt auch der Fall war. Meine Lider fielen wie von selbst wieder zu, als ich meine Finger aus denen von Irinas löste, um meine Hand stattdessen an ihre Wange zu legen und auch wenn wir eine schier unendlich lange Zeit einfach nur dastanden und dem jeweils anderen anhand des Kusses noch einmal unmissverständlich klarmachten, wie sehr wir einander vermisst hatten, fand er meiner Meinung nach viel zu schnell ein Ende. Dass Hunter als Gesprächsthema darauf folgen sollte, machte die Sache jetzt nicht unbedingt besser, aber auch ich versuchte, mich am Riemen zu reißen. Irina nicht gleich wieder abzuwimmeln, damit es am Ende nicht hieß, sie wüsste wieder über nichts Bescheid. Ich seufzte also nur leise, brachte damit eher beiläufig zum Ausdruck, dass ich mich gerade eigentlich lieber nicht über den Amerikaner unterhalten wollte, bevor ich schließlich zu ein paar erklärenden Worten ansetzte. "Ich... hab vergessen, ihn darüber zu informieren, dass ich dich nach Kuba geschickt habe. Hätte ihn vorher auch besser fragen sollen, aber die Sache ist geklärt und das einzig Wissenswerte für dich ist eigentlich nur, dass ich nach einer kleinen Wohnung am Rande von Havanna suchen werde, wo du unterkommen kannst, bis ich weiß, wie das alles hier weitergehen soll. Ihm passt es, wie du schon ganz treffend formuliert hast, nicht, dass du hier bist, aber das ist mir ehrlich gesagt ziemlich egal, solange er dich in Ruhe lässt. Außerdem scheinst du dich für seinen Geschmack wohl ein bisschen zu gut mit Richard und Cosma zu verstehen, aber... keine Ahnung. Dazu habe ich mich nicht weiter geäußert, weil ich denke, dass sowohl seine Freundin, als auch der Engländer beide alt genug sind, selbst zu entscheiden, mit wem sie Kontakt und eine Freundschaft pflegen und mit wem nicht.", fasste ich also das Gespräch mit dem Choleriker von vor Kurzem mit einem schwachen Schulterzucken grob zusammen. Strich Irina indessen die langen Haare nach hinten über die Schulter, während ich schwach lächelnd ihr Gesicht musterte. "Dich so unauffällig wie möglich zu verhalten, sollte auch absolut in deinem Interesse sein. Hunter hat mir nämlich versichert, dich eigenhändig im Hafen zu versenken, wenn du dir einen schwerwiegenden Fehltritt erlaubst.", gab ich auch noch die Bedingung, an die Hunter sein Okay für den Verbleib der Serbin hier auf der Insel gegeben hatte, an besagte junge Frau weiter. Damit wollte ich ihr jetzt nicht unbedingt Angst machen, sie sollte einfach nur wissen, dass ich ihr ein zweites Mal wohl eher nicht aus der Patsche helfen können würde. Sie riss sich also wirklich besser am Riemen, aber genug davon. Ich wollte mich jetzt nicht unbedingt den ganzen Abend nur über so negativen Scheiß unterhalten, weil meine Zeit hier auf der Insel schlicht und ergreifend begrenzt war. Ich hatte nur ein paar Tage mit der Schwarzhaarigen, die ich irgendwie auch gerne noch ein bisschen genießen wollen würde, falls sich das irgendwie einrichten ließe. "Wie... ist es dir denn in den letzten Tagen so ergangen? Dass du unglücklich bist, weiß ich zwar inzwischen, aber gibt es vielleicht auch irgendwie... etwas Schöneres, über das wir uns unterhalten könnten? Wie ist es denn hier auf Kuba so? Also... abgesehen von verdammt heiß, meine ich." Ich war zwar kein besonders großer Fan von Smalltalk, hielt es an der Stelle aber für einen guten Einstieg in ein mehr oder weniger normales, weniger emotionsgeladenes Gespräch, auf dem sich hoffentlich weiter aufbauen ließ. Ich wusste nicht, inwieweit Irina die Stadt bereits unsicher gemacht hatte, aber vielleicht konnte sie ja schon das ein oder andere Örtchen empfehlen, das einen gemeinsamen Besuch wert wäre. Vielleicht nicht mehr unbedingt heute, war ich doch ziemlich müde und innerlich noch immer aufgewühlt, aber dafür vielleicht morgen oder übermorgen eben...
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich musste ein Augenrollen unterdrücken, als Iljah mir mal wieder unter die Nase rieb, dass ich noch viel jünger war als er. Dieses Mal zwar nur indirekt und nicht wortwörtlich, aber ich kam nicht umher ihm zumindest einen 'Du wirst nie damit aufhören, oder?'-Blick zu präsentieren. Ich hatte diesen Neckereien wohl indirekt zugestimmt, als ich beschlossen hatte, ihn an meiner Seite haben zu wollen. Auch wenn mir das natürlich nicht wirklich schmeckte, trugen seine Worte sicherlich etwas Wahrheit in sich. Man wurde mit dem Alter einfach ruhiger und das hörte ich gerade nicht zum ersten Mal. Es war also vermutlich eine unumstößliche Tatsache und es war auch für uns beide - vor allem für den Schwarzhaarigen - zu hoffen, dass ich irgendwann mal fähig dazu sein würde alles etwas weniger eng zu sehen. Manche Dinge vielleicht auch zu ignorieren, wenn sie die Aufmerksamkeit im Grunde gar nicht erst wert waren. Bis dahin würde der junge Mann aber wohl zu seinem Leidwesen mit meinem Gezicke klarkommen müssen. Er schaffte es also hoffentlich in seinem ach so alten Körper noch ein paar starke Nerven zu mobilisieren. Hunter war gewiss auch nicht mein Lieblingsthema für eine Unterhaltung mit Iljah. Dennoch war es für mich ganz einfach gut zu wissen, in welchem Rahmen ich mich in den Augen des Amerikaners bewegte. Einfach um einschätzen zu können, ob an einem schlechten Tag seitens Hunter schon ein zu langer Blick in seine Richtung ausreichen würde, um zu sterben. Auch wenn der Deal mit meinem Freund ihm eigentlich verbot mich umzulegen, würde ich mich was das anging ganz bestimmt nicht unvorsichtig verhalten. Dazu lag mir zu viel an meinem Leben. Es mochte bei Weitem nicht perfekt sein und es lag noch eine ganze Weile lang ein ziemlich steiniger Weg vor mir, aber wenn das bedeutete irgendwann endlich mal eine glückliche Beziehung mit dem Russen führen zu können, würde ich wohl oder übel die Zähne weiter zusammenbeißen. Außerdem war das, was er mir dann über das Gespräch mit dem Choleriker erzählte, für mich ja auch durchaus wissenswert - scheinbar würde ich nämlich hier ausziehen. Noch nicht jetzt sofort, aber über kurz oder lang schien es darauf hinauszulaufen. Das hatte sicher seine Vor- und Nachteile, aber ich wäre um ehrlich zu sein doch ganz froh darüber mal ein bisschen Abstand zu der WG hier zu kriegen. Nicht zuletzt natürlich wegen Hunters Besuchen und weil ich einfach darauf hoffte, dass ich meinen Kopf mal ein bisschen aufzuräumen schaffen würde, wenn ich wirklich so richtig meine Ruhe hatte. Wenn eben nicht ständig Jemand durchs Wohnzimmer wuselte oder mit lauten Rufen nach Hause kam, um dann etwas kochen zu wollen. Außerdem hieß das ja auch nicht, dass ich mich nicht trotzdem noch mit Richard... und Cosma treffen konnte. Wobei ich mit letzterem wohl vorsichtig sein würde, solange sie kein direktes Interesse daran äußerte. Aber wer weiß - vielleicht verstanden wir uns ja schon wieder deutlich besser, wenn ich dann hier auszog. Blieb nur zu hoffen, dass Hunters Meinung hinsichtlich Freundschaften und Privatsphäre sich irgendwann mit der meines Freundes decken würde. "Das klingt eigentlich ganz gut... das mit dem Ausziehen, meine ich.", murmelte ich was das anging lediglich ein bisschen was vor mich hin, das vermutlich auch mehr mir selbst galt. Wenn ich allein wohnte, dann bekam ich sicherlich mehr Struktur in meinen momentan doch recht konfusen bis langweiligen Alltag. Trotzdem war da dann wieder die Sache mit dem Geld. Ich sollte wohl wirklich langsam den Arsch hochkriegen und mal wieder selbst ein bisschen was für meinen Lebensunterhalt tun. Etwas Legales. Ich wollte einfach nicht, dass Iljah mir ständig alles bezahlte, selbst wenn er das weniger eng sah als ich. Das letzte, was ich wollte, war dass er irgendwann dachte ich wäre nur bei ihm, um mich ein bisschen auf seinem Portemonnaie auszuruhen. "Gibt's hier Haie?", versuchte ich den Teil bezüglich meines Ersaufens im Hafen mit einem oberflächlichen Witz etwas aufzulockern. Vermutlich sollte man sich über sowas informieren bevor man mehrfach im Meer baden ging, aber Haie in Strandnähe waren meines Wissens nach sowieso etwas seltenes und ich war nie tief im Wasser gewesen. Was den Hafen anging sah die Sache aber vielleicht anders aus - da war das Wasser nämlich mit Sicherheit tief genug für die Tierchen. Iljah wollte im Folgenden dann etwas mehr darüber wissen, wie es mir bisher hier so ergangen war. Also abgesehen davon, dass mal wieder nicht alles ganz ideal lief. "Ach, magst du die Sonne etwa nicht?", fragte ich ihn ironisch und grinste zu ihm hoch. Ich spielte dabei hauptsächlich darauf an, dass seine Haut von Natur aus eine Stufe heller war als meine eigene, was mich kein bisschen störte. Dennoch hatte selbst mir diese warme Wand im Gesicht am Anfang zu schaffen gemacht, weil ich es ja genauso wenig gewohnt gewesen war wie der Schwarzhaarige. "Kuba an sich ist... ein bisschen gewöhnungsbedürftig, wenn man Moskau gewohnt ist. Aber eigentlich ist es ganz schön... das Meer ist türkis, der Sand ist weiß, die Leute eigentlich alle ziemlich nett... nur muss ich dringend noch besser Spanisch lernen. Ich kann schon ein paar Grundlagen, aber das reicht nicht wirklich. Die wenigsten sprechen Englisch. Ist hier halt alles in allem nicht ganz so Up-To-Date wie bei uns Zuhause. Die ganzen alten Autos.... Kann auch öfter mal passieren, dass ein Eselkarren durch die Stadt fährt, weil ein Bauer sein Gemüse am Markt verkaufen will. Irgendwie total schräg.", stellte ich fest und schüttelte belustigt den Kopf und hatte den Streit von gerade eben quasi schon wieder vollkommen vergessen. Ich streckte mich ein weiteres Mal zu ihm nach oben und legte nun beide Hände an seinen Nacken, um meine Finger dort miteinander zu verschränken. Jedoch küsste ich ihn dieses Mal nicht, sondern hielt recht nahe an seinen Lippen inne. "Wie lang bleibst du denn..?", hakte ich zum Schluss noch nach. Allerdings ganz und gar nicht negativ behaftet, sondern mit einem schmalen Grinsen auf den Lippen. Ich wollte lediglich wissen, worauf ich mich einstellen musste und was wir im vorgegebenen Zeitrahmen überhaupt so alles machen könnten, ohne dass ein paar Minuten ganz allein zu zweit auf der Strecke bleiben würden.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich konnte nicht anders, als auf Irinas vielsagenden Blick hin leise in mich hineinzulachen. Ich wusste schließlich, wie wenig sie es leiden konnte, wenn ich auf dem nicht gerade kleinen Altersunterschied zwischen uns herumritt, aber es bot sich hier und da ganz einfach an. Ich würde wohl, solange wir uns noch so etwas wie ein Paar schimpfen konnten, auch nie damit aufhören können, weil Irinas Reaktionen dafür einfach viel zu kostbar waren. Das hatte ich damals, als ich in Irinas Lieblingsbar zum ersten Mal die Altersunterschied-Karte gespielt hatte schon total amüsant gefunden - diesen mehr oder minder leicht angepissten Blick, den sie mir dann immer zuwarf, aber böse sein konnte sie mir ja langfristig deswegen irgendwie nicht. Es war halt de facto auch einfach eine unumstößliche Tatsache, da ließ sich einfach nichts dran rütteln und sie konnte das ruhig noch so scheiße finden, ein Körnchen Wahrheit steckte in jeder meiner Aussagen, die ich bezüglich unseres Altersunterschieds traf. Jedenfalls war der kurzzeitige Ärger, der vermutlich noch nicht einmal wirklich einer gewesen war, seitens Irina bald wieder Geschichte, als sie sich ausnahmsweise - und wohl auch zum ersten Mal seit langem - positiv zu einer bevorstehenden, sie betreffenden Änderung äußerte. Es überraschte mich ein wenig, dass sie sich meine Worte offenbar so sehr zu Herzen genommen hatte, dass sie direkt damit anfangen wollte, statt schwarz dieses Mal vielleicht nur ein leichtes grau zu nehmen, um ihre Gedanken anzupinseln. Beschweren würde ich mich darüber natürlich keinesfalls und nickte nur mit einem aufrichtigen Lächeln auf den Lippen. Dann legte ich den Arm, mit dessen Hand ich gerade Irinas Haar zur Seite gestrichen hatte, ebenfalls um ihren Körper, um sie wieder ein klein wenig enger an mich zu ziehen. Mit der Frage zur Haipopulation rund um Kuba ließ mich Irina kurze Zeit später dann gehörig auflaufen. Erwischte mich ziemlich kalt, weil ich weder mit einer solchen Frage als Reaktion auf den doch relativ ernsten Umstand einer möglichen Todesursache hier in Hunters näherer Umgebung gerechnet hatte, noch Ahnung davon besaß, wie es um die Raubtiere hier im Meer rund um die Insel so stand. Deswegen sah ich die Schwarzhaarige einen Moment lang mit offensichtlichen Fragezeichen im Gesicht an, bis ich die entglittenen Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte und selber lachen musste. "Da fragst du leider den Falschen. Ich kann dir vielleicht ungefähr sagen, wie viele Bären in Russland leben, aber ob und wenn ja, wie viele Haie es hier vor Kuba gibt..? Keine Ahnung.", gestand ich ehrlich, keine Antwort auf ihre Frage parat zu haben. Google würde in einem solchen Fall aber sicher Abhilfe schaffen, falls sie heute Nacht deswegen nicht schlafen können würde. Ich ging aber schon davon aus, denn da wo es tiefe und vor allem warme Gewässer gab, tummelten sich in der Regel doch so einige, teils wirklich gefährliche Tierchen, denen man eher nicht begegnen wollte. Unter anderem sicherlich auch Haie - also die Hunters der Meereswelt, wenn man so wollte. Die Frage nach meiner persönlichen Einstellung zur Sonne konnte ich hingegen sehr gut beantworten und ich würde nicht unbedingt behaupten, sie nicht zu mögen, denn ich hatte mich mit Vahagn schließlich eine ganze Weile lang ja auch um den Sitz unserer Firma in Italien gestritten. Ich mochte es also durchaus sonnig, es war nur... na ja, einfach eben etwas unangenehm, wenn man aus einem Land, das während seiner heißesten Monate selten mal die 25 Grad knackte plötzlich hier in Kuba landete und förmlich gegen eine Wand bestehend aus Hitze lief. Ich würde mich zweifelsfrei daran gewöhnen, wenn ich erst einmal ein paar Tage hier verbracht und mich mit der Kleidung entsprechend angepasst hatte, aber... "Glaubst du etwa, ich habe dich vorhin angelogen? Ich war froh, dass die Shorts noch irgendwie gepasst haben. Zwickt hier und da vielleicht ein bisschen, aber das ist immer noch besser, als hier eine lange Jeans zu tragen, was, wenn du mich fragst, nicht weniger wie Selbstmord ist...", grummelte ich nur so vor mich und verfluchte das Wetter gedanklich dabei kurz. Die nur bedingt temperierten, ollen Schrottkarren hier auf den Straßen machten es da echt nicht besser, wenn man dann mal über längere Zeit von A nach B gurken musste, so viel konnte ich in jedem Fall sagen. Grundsätzlich schien Havanna aber trotzdem eine schöne Stadt zu sein. Gewöhnungsbedürftig, wenn man plötzlich von einer Eisscholle hier auf die Insel abgeschoben wurde, aber es ließ sich wohl aushalten, so mit dem türkisen Meer, den weißen Sandstränden und den netten Leuten. Die Sprachbarriere machte Irina zwar aktuell noch etwas zu schaffen, gerade weil die Kubaner offensichtlich nicht gerade gutes Englisch sprachen, aber das war meiner Meinung nach erst einmal zweitrangig, solange sie über die Runden kam. Sie würde noch genug Zeit haben, sich mit der Sprache des Landes zu befassen, wenn ich nicht mehr da war. "Es freut mich zu hören, dass es sich in Havanna zumindest optisch schon mal... gut leben lässt. Mir fehlen hier ein bisschen die russischen Kapellen und allgemein die goldenen Kuppeln, aber das, was ich bis jetzt gesehen habe... damit kann ich mich gut anfreunden.", stimmte ich Irina beiläufig zu, dass ich die paar Häuserfassen, die Bar und das Meer, was ich heute eben so gesehen hatte, eigentlich auch ganz ansprechend fand. Moskau war meines Erachtens zwar trotzdem schöner, aber das lag sicherlich auch nur daran, dass ich mein Land im Allgemeinen wirklich liebte. Ich war gerne Russe, lebte gerne in Moskau und auch wenn meine Landsmänner grundsätzlich alle einen Knacks hatten, liebte ich ihre Gesellschaft. Es würde mir nicht leicht fallen, das alles hinter mir zu lassen, aber ich würde wohl irgendwann darüber hinwegkommen. Außerdem war Russland nach meinem Verschwinden ja auch nicht plötzlich von der Landkarte radiert. Der Flug war zwar gut überlegt, weil er doch eine kleine Ewigkeit dauerte, aber wenn man ein oder zwei Mal im Jahr ein paar Tage Urlaub dort machen wollte, ließ sich über die Flugdauer sicher hinwegsehen. Sonne und Sommer hätten wir hier auf Kuba sicher genug, als Auszeit würde ich dann also lieber in ein kälteres Land fliegen und das passte sich natürlich perfekt. Ich verlor mich ein wenig in dem Gedankenstrudel, ob es auch anderen Menschen, die hier lebten, vielleicht so ging, dass sie im Winter statt noch weiter in den Süden viel lieber in den Norden reisten, um sich dort etwas abzukühlen. Verkehrte Welt im Gegensatz zu den Europäern quasi, die ihren Winterurlaub ja gerne in Ländern wie Spanien oder Italien verbrachten, auch wenn es da nicht maßgeblich viel wärmer war. Vier, fünf Grad vielleicht. Irina holte mich mit ihrer Frage und der Tatsache, dass sie mir auch ihre zweite Hand in den Nacken legte, in die Gegenwart zurück und ich sah sie einen Moment lang nur schweigend an, ehe ich schließlich nachdenklich mit den Schultern zuckte. "Drei, vier Tage vielleicht... mehr Termine konnte ich leider nicht verschieben.", stellte ich bedauerlich seufzend fest, dass unsere Zeit wirklich auf ein Minimum begrenzt war. Eben deshalb war es mir ja so wichtig, die rar gesäte Zeit mit der Serbin sinnvoll zu nutzen und zu genießen, weil ich mich in etwas weniger als einer Woche schon der Arbeit widmen müssen würde. "Also kannst du vielleicht verstehen, warum ich nicht so viel Zeit mit... Streit vertun möchte. Wenn du mich fragst, gibt es nämlich Einiges aufzuholen, auf das ich die letzten Wochen bedauerlicherweise verzichten musste.", ließ ich Irina an meinem Gedankengang teilhaben, indem ich laut aussprach, was mir gerade durch den Kopf ging. Gegen Ende hin wurde meine Stimme jedoch etwas leiser, rauer, je näher mir die junge Frau mit ihren Lippen kam. Die Küsse und liebevollen Streicheleinheiten waren schließlich noch lange nicht alles, auf was ich hatte verzichten müssen. Gerade weil sich die Schwarzhaarige mir mit Hunters Verzierung seit der Sache nicht mehr unbedingt hatte nackt zeigen wollen, saß ich dahingehend inzwischen sogar schon etwas länger auf dem Trockenen. Und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich in der kurzen Zeit, die uns hier zur Verfügung stand, nicht auch vorhatte, die junge Frau für eine Nacht mit in mein Hotelzimmer zu entführen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Bären in Russland. Sie könnten mir gerade wohl kaum ferner vorkommen. Ich war allerdings doch sehr froh darüber, dass ich bei den Waldspaziergängen mit meiner Familie früher nie einem dieser stämmigen Tiere in die Arme gelaufen war. Ich war vollkommen glücklich damit mal einen kleineren Schwarzbär aus der Ferne beobachtet zu haben, hatte ich vor solchen Tieren doch einfach ziemlich großen Respekt. Zwar waren sie eigentlich nicht besonders aggressiv, wenn man ihnen nicht auf die Pelle rückte, aber man musste da ja auch nichts riskieren. "Na super. Da hab ich schon so einen allwissenden, alten Freund... und dann brauch ich trotzdem noch das Internet.", seufzte ich gespielt theatralisch, sodass man diese Aussage keinesfalls ernst nehmen konnte. Ich drehte damit einfach kurz den Spieß um und zog den Schwarzhaarigen mit der Jahreszahl auf seiner Geburtsurkunde auf, weil er das bei mir ja auch so gerne tat. Ich war eben noch grün hinter den Ohren und er schon steinalt - wenn es nach unseren Neckereien hier ging jedenfalls. Das leichte Grinsen kehrte nach der schauspielerischen Untermauerung meiner Worte ziemlich bald schon in meine Gesichtszüge zurück. Denn auch Iljahs Worte bezüglich der anhaltenden Hitze hier waren amüsant, ließen mich leise in mich hinein lachen. Aber ja - am ersten Tag waren die Temperaturen hier auch für mich wirklich hart gewesen. War einfach ganz und gar kein Vergleich zur Heimat. "Sei mal lieber froh, dass du überhaupt welche hattest, als du hergekommen bist. Ich durfte mir erstmal eine meiner Jeans abschneiden, um wieder atmen zu können.", erzählte ich ihm belustigt davon, dass ich bei meiner Ankunft hier nicht wirklich eine andere Wahl gehabt hatte, als kurz zur Schere zu greifen. Ich hatte dabei auch ganz bewusst nicht die teuerste unter meinen Hosen ausgewählt, also war es nicht allzu schade darum. Zugegeben war es auch eine ganz witzige Erinnerung. Mal ganz davon abgesehen, dass ich hier ohnehin niemals lange Jeans brauchen würde und ich das Land so schnell wohl nicht wieder verlassen würde. Hier konnte man höchstens luftige, weite Stoffhosen tragen. Mit Beinschlitzen an den äußeren Hosenbeinen, womit man sich die Länge der Hose im Grunde dann auch gleich wieder sparen konnte. Da griff ich doch lieber zu Shorts und Röcken oder Kleidern. Ich war mit meiner Körperstatur ja sehr zufrieden, da hatte ich kein Problem damit meine Haut zu zeigen. Bis auf meinen Oberkörper vielleicht, aber auch das würde ich irgendwann sicher erfolgreich hinter mir lassen können. Was die fehlenden goldenen Verzierungen an den Dächern so mancher Häuser anging, konnte ich dem jungen Mann wohl nur zustimmen. Zwar vermisste ich die Kuppeln bis dato eher weniger, aber Kuba war eben einfach nicht Russland und würde es auch nie sein. Ich fand den landschaftsmäßigen Tapetenwechsel schön, aber früher oder später würde ich mein Heimatland ganz sicher vermissen. Nur das, was alles dort passiert war, konnte mir getrost sehr fein bleiben und wenn ich so darüber nachdachte, gab es eigentlich nichts, das mich langfristig zurück nach Moskau ziehen könnte - außer Iljah. Für mich war es vermutlich wirklich besser, wenn ich einen recht endgültigen Schlussstrich unter meine Heimat zog. "Bisher vermiss' ich Moskau eigentlich... gar nicht. Aber das liegt wohl daran, dass ich mich da nicht mehr wohlfühlen kann.", stellte ich fest und zuckte ein klein wenig mit den Schultern. Wenn man nicht mal mehr spazieren gehen konnte, ohne Gefahr zu laufen gekidnappt oder gleich umgenietet zu werden, machte das Leben eben keinen Spaß mehr. Dennoch ließ ich es nicht zu, dass mein Kopf sich gleich wieder an Gedanken in dieser Richtung klammerte, sondern redete stattdessen lieber weiter. "Aber dein Bett fehlt mir.", hängte ich kurz darauf noch einen kurzen Satz mit einem schiefen Grinsen an, um die Sache weniger ernst klingen zu lassen. Weiter an die Vergangenheit zu denken brachte mir schließlich nichts außer schlechte Laune und es plagten mich in der Nacht oft genug Alpträume in dieser Richtung. Mal mit und mal ohne Hunter. Außerdem gab es gerade Wichtigeres. Dass der junge Mann hier nur drei oder höchstens vier Tage mein sein würde nämlich. Ich kam nicht drum rum die Lippen einmal kurz zu einem Schmollmund zu verziehen, weil mir die paar Tage natürlich nicht genug waren. Allerdings wäre mir gar keine Zahl außer für immer genug mit Iljah, also war eine andere Reaktion wohl kaum zu erwarten gewesen. Denn ja, es gab etwas aufzuholen und dafür würden ein paar Tage schon jetzt kaum reichen. "Einiges ist untertrieben.", hauchte ich noch drei leise Worte an seine Lippen, bevor ich ihn ein weiteres Mal küsste. Dieses Mal jedoch etwas verspielter, knabberte am Ende ganz vorsichtig an seiner Unterlippe. "Heißt das, ich schlafe bei dir?", fragte ich ihn, als ich seine Lippen freigegeben hatte. Offensichtlich schlief er ja nicht hier - weder war zu zweit bequem Platz auf dem Sofa, noch hatte er sein Gepäck hier. Allerdings hieß das nicht zwangsläufig auch, dass ich bei ihm schlafen konnte. So ziemlich jedes Hotel verlangte für eine zweite Person im selben Raum einen Aufpreis. Es wäre nur schon ziemlich unsinnig, wenn ich hier schlafen würde, solang er hier auf der Insel war. Erstens hinsichtlich Schlafqualität - ich schlief allein halt nun mal wieder eher beschissen, Schlafstörungen lösten sich für gewöhnlich nicht einfach in Luft auf - und zweitens natürlich deshalb, weil uns jedes Mal etliche Minuten miteinander flöten gehen würden, wenn wir nicht beieinander schliefen und ständig einer hin und her tingelte. Zwar würde es mich sicher auch jetzt noch etwas Überwindung kosten dem attraktiven Russen den hässlichen Schriftzug auf meinem Körper zu zeigen, aber was das anging sollte ich ihm wohl einfach vertrauen. Er würde es schon hinkriegen, dass ich nicht zu viel darüber nachdachte, wenn die Hüllen fielen. Hoffentlich.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ha ha, wirklich sehr witzig. Nun war es wohl an mir, kurz mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen die Augen zu verdrehen, hätte mir doch eigentlich klar sein müssen, dass Irina den Spieß kurzerhand einfach umdrehen und mich damit aufziehen würde, dass ich der Rente etwa acht Jahre näher war, als sie. Gut, so etwas wie eine finanzielle Absicherung im Alter gab es für Kriminelle zwar nicht, aber wir wussten sicher alle, wie ich das meinte. Irina ließ mich einfach einen Schluck meiner eigenen Medizin probieren und damit hatte ich natürlich nicht ansatzweise ein Problem. Das wäre ja Doppelmoral vom allerfeinsten, wenn ich plötzlich etwas dagegen haben würde, dass sie Späße auf meine Kosten machte, wenn ich selbst keinen Deut besser war. "Ich würde ja sagen, dass mir das schrecklich leid tut, aber dann müsste ich lügen.", war alles, was ich dazu noch mit einem leichten Schulterzucken und inzwischen wieder fast bester Laune sagte, dann setzte ich gedanklich auch hinter das Thema einen kleinen Haken. Darauffolgend war dann erst einmal ein etwas lauteres Lachen meinerseits zu hören, als Irina mir offenbarte, dass sie selbst kurzerhand zur Schneiderin geworden war, weil sie im Gegensatz zu mir eben keinerlei kurzer Hosen eingepackt hatte. Warum auch, schließlich hatte ich kein Wort darüber verloren, wo es hingehen würde, als ich sie vor einiger Zeit dazu aufgefordert hatte, ihre Tasche zu packen. Es ging demnach also auf meine Kappe, dass sie etwas aufgeschmissen und vermutlich schweißgebadet aus dem Flieger gekrochen war. Mir hatte der Kopf zu der Zeit aber auch ganz woanders gestanden, man mochte mir also nochmal verzeihen, dass ich vielleicht nicht unbedingt sehr viel weiter, als von der Wand bis zur Tapete gedacht hatte. Inzwischen schien sich die Serbin aber mit ausreichend und vor allem dem Wetter entsprechenden Klamotten ausgestattet zu haben, zumindest wenn ich davon ausgehen konnte, dass das Kleid, welches sie aktuell am Körper trug, nicht schon älter oder von Cosma geborgt war. "Hm, ob es wirklich einen so großen Unterschied gemacht hätte, wenn ich dir kurz vorm Packen gesagt hätte, wo es für dich hingeht..? In Hinsicht auf Klamotten, die du hättest einpacken können, meine ich... Drüben war es ja nie wirklich warm, hast du überhaupt Kleider und kurze Hosen besessen?", stellte ich der jungen Frau nachdenklich eine Frage, die ich mir vermutlich selbst hätte beantworten können. Aber irgendwie war ich auch jetzt gerade nicht wirklich auf der Höhe, schien vollkommen auszublenden, dass sie damals im Hotel - als sie kurz davor gestanden hatte, mich abstechen zu wollen - auch ein Kleid getragen hatte und für den Urlaub außerhalb von Russland war sie sicher auch ausgestattet gewesen. Außerdem wollte ich gar nicht erst davon anfangen, was für Massen an Klamotten bei Irina im Zimmer gelegen hatten. Das waren sicherlich nicht nur alles Hosen und Langarmshirts gewesen. Aber weder die Erinnerung, noch ihren Kleiderschrank hatte ich gerade vor Augen und konnte mir deshalb im Moment nicht wirklich vorstellen, dass man in einem allgemein sehr kalten Land tatsächlich so etwas wie Sommerklamotten besaß. Ein, zwei Shirts vielleicht für die wenigen Tage, an denen die Sonne schien, aber ansonsten? Ich für meinen Teil besaß ja grundsätzlich nur lange Hosen, Mäntel und Handschuhe. Ein Sommer, der die Temperaturen schlagartig über 30 Grad klettern lassen würde, wäre für mich also eine absolute Katastrophe. Ich sollte mich unter der Prämisse, bald meinen Sitz nach Kuba oder auf eine der angrenzenden Inseln zu verlegen, eventuell schon bald mit angemessenen Klamotten eindecken, bevor mich gleich ein zweites Mal die Hitzekeule ausknockte. Die hohen Plusgrade waren vermutlich auch der Grund dafür, warum es mir aktuell wirklich schwer fiel, einen klaren Gedanken zu fassen. Das und die Tatsache, dass Irina mir mit ihren Lippen und den vielversprechenden Worten, ihrer Nähe allgemein die Sinne raubte, ließ mich über die Frage der jungen Frau erst einmal eine gute Minute lang nachdenken. Dann, als ich schließlich realisiert hatte, was die Serbin eigentlich gerade von mir wissen wollte, war ein leises "Oh." das Erste, was sie von mir zu hören bekam. Vermutlich nicht gerade das, was sie hören wollte, aber gut. Es zogen etwa weitere fünfzehn Sekunden ins Land, in denen ich meinen Blick etwas gedankenverloren über Irinas Kopf hinweg durch den Raum schweifen ließ, dann sah ich ihr wieder direkt in die Augen. Das schiefe Grinsen auf den Lippen war wohl mit das deutlichste Zeichen dafür, dass ich mir darüber überhaupt gar keine Gedanken gemacht hatte. Entsprechend mein Hotelzimmer auch nicht für zwei Personen, sondern für mich alleine gebucht hatte. "Natürlich schläfst du bei mir.", gab ich dann aber bekannt, als hätte für mich nie etwas anderes festgestanden. Es war aber wohl ein absolut kläglicher Versuch, zu übertünchen, dass es das eigentlich nicht gewesen war. Aber logisch... wo sollte ich hier denn sonst schlafen? Außerdem war ein bisschen Zeit zu zweit definitiv notwendig, nicht zuletzt eben auch wegen der letzten Worte vor Irinas Frage. "Wir... müssen nur schauen, wie wir dich möglichst unauffällig an der netten Empfangsdame vorbeischmuggeln.", hängte ich noch etwas leiser ein paar belustigt klingende Worte hintendran, mit denen ich mich allerspätestens verraten hätte. Dass ich das Zimmer nicht gleich für zwei gebucht hatte, war aber auch etwas, dass ich ganz bestimmt nicht böse gemeint hatte. Mir war einfach dermaßen viel durch den Kopf gegangen, dass ich das schlicht und ergreifend einfach vergessen hatte. Lag wohl auch an meinen mittlerweile fast 29 Jahren. Ich ließ meine Hände, die ich hinter dem Rücken der Serbin ineinander verschränkt hatte, etwas tiefer wandern, legte sie ungeniert an Irinas Hintern, als ich ihr kurz vor einem weiteren intensiven Kuss die Worte "Es sei denn, es ist dir lieber, wenn ich gleich hier und jetzt über dich herfalle." an die Lippen raunte. Mir wäre das grundsätzlich ziemlich egal, schien der Engländer und auch Hunters Freundin aktuell ausgeflogen zu sein. Wusste zwar niemand so genau, wann einer der beiden potenziell wiederkommen würde, aber... so abgeschottet in einem Raum fernab von jeder unangenehmen Unterbrechung wäre mir wohl schon lieber und da sprach ich sicherlich nicht nur für mich allein.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #