Ich saß noch immer gerne in dem Mercedes. Gar nicht mal deswegen, weil es ein durchweg bequemes und zweifelsfrei auch edles Auto war, sondern viel mehr deswegen, weil es mich daran erinnerte, wie naiv und unbeschwert - gut, letzteres nicht immer - ich noch vor ein paar Monaten auf dem Beifahrersitz gesessen hatte. Irgendwie war doch alles einfacher gewesen, als ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht gewusst hatte, wie all das ausgehen und weitergehen würde. Nicht, als würde ich die Entscheidung für Iljah rückgängig machen wollen. Es lebte sich nur irgendwie leichter in der Schwebe, wenn man sich für nichts so richtig entscheiden musste. Ich wusste, dass das eine meiner blödesten Eigenschaften war, aber ich hatte leider ein Faible dafür nur ungerne wichtige Entscheidungen treffen zu wollen. Vielleicht lag das auch ein bisschen daran, dass ich noch so jung war und oft nicht wirklich wusste, was ich eigentlich wollte - außer dem jungen Mann eben, der neben mir hinter dem Steuer saß. Inzwischen fragte ich mich wirklich, warum ich überhaupt so lange ein Drama um uns gemacht hatte. Die Anziehung war von Anfang an da gewesen und es hätte uns wahnsinnig viel erspart, wenn ich einfach reinen Tisch gemacht hätte. Jetzt war es aber nun mal anders gelaufen und wir mussten es beide so nehmen, wie es war. Iljah fuhr los und es dauerte wider Erwarten gar nicht so lange, bis er mit seiner Idee rausrückte. Seiner Tonlage nach war es allerdings eher schon ein komplett fertiger Plan, den er mir mehr nur mitteilte, als dass er nach meiner Meinung dazu fragte. Kuba? Ich drehte mein Gesicht in seine Richtung blinzelte ein paar Mal ungläubig. Er sah nicht so aus, als würde er Witze machen wollen und unterstrich das auch schon bald mit ein paar unmissverständlichen Worten. Er würde mich also einfach irgendwo ins nirgendwo, endlos viele Kilometer von ihm entfernt abschieben? War das echt die beste Möglichkeit, die er sah? Mal ganz davon abgesehen, dass es auf Kuba durchaus auch Leute gab, die mich nicht leiden konnten. Die würden mich zwar eher nicht umlegen, weil sie wussten, dass das wegen meiner Beziehung zu dem Schwarzhaarigen Konsequenzen haben würde... aber wer garantierte mir denn, dass Hunter nicht nochmal am Rad drehte? Mal ganz davon abgesehen, dass ich schlicht und ergreifend nicht von Iljah getrennt sein wollte. Nicht auf so unerreichbare Distanz. Ich erinnerte mich noch bestens daran, wie viele Stunden ich auf das Eintreffen von seiner Schwester und dem Amerikaner hatte warten müssen, als er im Keller der Sorokins festgesessen hatte. Ich sank mit einem überforderten, leisen Schnauben tiefer in den Beifahrersitz, als ich den Blick wieder nach vorne richtete. Nach ein paar schweigsamen Sekunden schüttelte ich dann schließlich den Kopf. "Du... hast echt Nerven. Du hättest mich wenigstens fragen können. Ich kann das nicht leiden und das weißt du ganz genau.", grummelte ich unzufrieden und doch auch beleidigt vor mich hin. Ich mochte es ganz einfach nicht, wenn er etwas über meinen Kopf hinweg entschied. Ich zweifelte gar nicht daran, dass er es für die beste und sicherste Entscheidung hielt und dass er das nicht böse meinte, aber das änderte nichts daran, dass er mich einfach hin und her schieben wollte wie ein Gepäckstück. Als dürfte ich gar keine eigene Meinung dazu haben. Das war wie mit den Getränken in der Bar damals, nur mit dem Unterschied, dass das immerhin eine deutlich weniger relevante Lebensentscheidung als diese hier gewesen war. "Wo soll ich da denn bitte wohnen? Ich kann mir ein Hotel nicht ewig leisten... schon gar nicht mit dem bisschen Bargeld, das ich noch im Geldbeutel habe. Von Hunter und deiner Schwester mal ganz abgesehen, die sind bestimmt restlos begeistert...", redete ich doch zunehmend aufgewühlter - und gegen Ende ziemlich ironisch - vor mich hin, während endgültig in meinem Kopf ankam, dass ich wohl zwangsweise schon sehr bald in ein Flugzeug steigen würde. Oder eben reingesteckt werden würde, wenn ich mich weigerte. Gott, ich wollte hier nicht weg! "Und wann kommst du nach?" Das war wohl die mit Abstand entscheidenste Frage. Ich wusste, dass es wahrscheinlich nur wenig bis gar nichts bringen würde, ihm zu sagen, dass ich einfach nicht nach Kuba gehen wollte und würde. Das hatte der junge Mann selbst schon deutlich genug gemacht. Aber wenn er mir jetzt auch noch sagen würde, dass er das nicht wusste oder es unter Umständen vielleicht ein Jahr oder gar noch länger dauern würde, er vielleicht auch gar nicht nachkommen würde... ja, dann würde wohl wieder mal meine kleine, ohnehin schon so kaputte Welt zusammenbrechen. Ich hatte mich nicht für ihn entschieden, um dann noch ewig auf ihn zu warten - auch, wenn ich das vermutlich trotzdem tun würde - und ich hatte dort doch sonst absolut Niemanden. Dann war ich schon wieder allein, dabei potenziell auch noch umringt von Vahagn und dem Amerikaner. Klang nach nicht weniger als nur der nächsten Hölle, die mich erwartete.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es dauerte nicht besonders lange, bis Irina sich zu meinem Vorhaben äußerte und als hätte ich es geahnt, musste sie natürlich anfangen, mit mir zu diskutieren. Es wäre ja auch zu schön und viel zu einfach gewesen, wenn sie es einfach hingenommen hätte und widerstandslos in den Flieger gestiegen wäre, aber nein, Madame musste ihren Senf ganz dringend noch dazugeben und veranlasste damit, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde genervt die Augen schloss. Logischerweise schlug ich sie aber auch schon bald wieder auf, schließlich musste ich mich ja aufs Fahren konzentrieren und hatte eher wenig Lust darauf, die Karre auf dem Weg zum Flughafen noch gegen die Wand zu fahren. Mein Gesichtsausdruck sprach sicherlich Bände, als ich meinen Kopf in Richtung der Schwarzhaarigen drehte und mein funkelnder Blick sich in den ihren legte. "Und ich kann es nicht leiden, wenn ich sage, dass ich darüber nicht diskutiere und du es dennoch versuchst.", stellte ich trocken fest, ohne weiter auf ihre Aussage einzugehen. Wozu auch? Ich sollte sie vorher fragen? Damit sie sich im Zuge der Diskussion dann einfach hätte weigern können, in das gottverdammte Auto zu steigen und wir damit wertvolle Zeit einfach so in den Wind schossen? Ganz bestimmt nicht! So diskutierten wir jetzt zwar trotzdem, saßen aber immerhin schon mal auf dem Weg zum Flugzeug im Auto. "Du scheinst den Ernst der Lage gerade nicht zu begreifen, Irina", inzwischen klang ich deutlich eindringlicher, nur wenige Widerworte zulassend, "aber ich kann nicht jeden Tag non-stop an deiner Seite sein und ständig Pakete mit Leichenteilen verschwinden lassen. Ich hab noch genug anderen Scheiß um die Ohren und bin definitiv nicht scharf darauf, eines Tages deine Gliedmaßen in so einem Päckchen vorfinden zu müssen. Du fliegst nach Kuba und wenn ich dich eigenhändig in den Flieger tragen und dich an den Platz ketten muss. Also hör' bitte auf zu Jammern oder sag mir klipp und klar, dass du in ständiger Angst und ohne mich und meine Hilfe leben möchtest. Dann halte ich an und unsere Wege trennen sich hier. Ist das deutlich genug?" Vielleicht übertrieb ich mit den harschen Worten ein bisschen, gerade weil ich auch etwas lauter dabei wurde, aber meiner Meinung nach brauchte es die junge Frau übertrieben deutlich, damit sie mich nicht weiter nervte. Zwar hätte ich das Ganze natürlich auch meiner normalerweise recht freundlichen Natur entsprechend schöner verpacken können, aber mir platzte aus Sorge um das Leben meiner Freundin gerade einfach der Kragen. In der Hoffnung, Irina damit vorerst zum denken - und im Umkehrschluss zum Klappe halten - animiert zu haben, sah ich schließlich mit dem Kiefer mahlend wieder nach vorne auf die Straße. Es folgte ein kurzes Stück durch die Innenstadt. Entsprechend viele Ampeln und Kurven verlangten nach meiner Aufmerksamkeit und erst, als ich das Auto wieder auf eine Gerade lenkte - und mich mit ein, zwei tiefen Atemzügen zumindest ein kleines bisschen beruhigt hatte -, setzte ich zur Beantwortung von Irinas Fragen an, was mir zugegebenermaßen ohne die kurze Schweigeminute ziemlich schwer gefallen wäre. Darüber hatte ich mir schließlich noch keine großen Gedanken gemacht und erst recht noch nicht mit Vahagn darüber gesprochen. Das würde ich allerdings noch tun, sobald die Schwarzhaarige im Flugzeug saß und es kein Zurück mehr gab. Dann konnte mir meine kleine, mich über alles liebende Schwester den Gefallen, sich zumindest um eine Bleibe für Irina zu kümmern, nicht mehr abschlagen. Und genau so gab ich es letztlich auch an die besorgte Schwarzhaarige weiter. Ferner nicht viel weniger genervt, als meine vorangegangenen Worte, aber mir war klar, dass es absolut egal war, was ich jetzt noch sagte oder wie ich es tat - es würde Irina nicht passen und sie würde weiter quengeln. Also machte ich aus meinem Unmut über ihr Verhalten keinen großen Hehl. "Es interessiert mich nur mäßig bis eigentlich gar nicht, was Vahagn oder Hunter von deinem Auftauchen halten. Meine Schwester wird dir eine Bleibe organisieren, mach' dir darum mal keinen Kopf." Ein Vorteil war ja natürlich, dass die junge Frau problemlos mit einem Touristenvisa einreisen konnte. Der Papierkram wäre also schnell erledigt, sie brauchte keine gefälschten Dokumente. Alles, was ich von meiner besseren Hälfte also wollte war, dass sie sich um ein Dach über dem Kopf für Irina kümmerte. Vorerst würde ihr ein einzelnes Zimmer mit einem Zugang zur Küche und einem Bad vollkommen ausreichen und das mit dem Geld sollte sie mal meine Sorge sein lassen. Auch, wenn ich mir bei ihrem jetzigen Verhalten mal wieder die Frage stellte, wofür ich das Alles eigentlich in Kauf nahm. Für Widerworte und unzufriedene Aussagen? Eigentlich eher weniger, aber gut. In meiner jetzigen Verfassung sah ich wohl überwiegend sowieso nur Negatives an unserer Beziehung, aber wenn ich erst einmal wieder bei Sinnen war, dann würde ich mich auch wieder an die vielen schönen Momente, die wir bis jetzt gemeinsam gehabt hatten, erinnern. Und dann wäre Alles nur noch halb so scheiße. Apropos Scheiße... auch ich war nur mäßig begeistert davon, Irina so weit weg von mir in Sicherheit zu bringen - musste ich sicher nicht erwähnen, oder? - und ich würde mir schnellstmöglich Gedanken über das weitere Vorgehen machen, aber aktuell konnte ich ihr wohl nur eine wenig zufriedenstellende Antwort auf ihre letzte, in meinen Ohren fast schon schnippische Frage geben. Sie meinte es vermutlich gar nicht so, aber nach all dem mimimi plötzlich danach zu fragen, wann ich denn nun eigentlich folgte, war in meinen Augen nur ein kläglicher Versuch - das Wasser auf dem heißen Stein sozusagen -, meine beschissene Laune noch irgendwie ansatzweise zu retten. Blieb zu Ungunsten der jungen Frau jedoch vergebens. "Keine Ahnung, kann ich dir noch nicht sagen. Ich hab hier noch Einiges zutun.", ließ ich Irina wissen, dass zwischen ein paar Tagen und mehreren Monaten so ziemlich alles drin war. Natürlich wäre ich bemüht darum, sie bald schon wiederzusehen, aber für mich war es nun mal nicht ganz so leicht, meine Zelte hier einfach abzubrechen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich wusste, dass ich manchmal wirklich nervtötend und anstrengend sein konnte. Das war auch so eine der Eigenschaften an mir, auf die meine Mitmenschen nicht selten gerne verzichten würden. Aber war es wirklich nötig gewesen, dass Iljah mich deswegen jetzt derartig zusammenstauchte? Dabei so gar keine Rücksicht darauf nahm, dass ich schlichtweg nicht von ihm wegwollte und einfach ein Stück weit Angst davor hatte vollkommen allein in ein wildfremdes Land abzutauchen, in dem noch dazu Menschen wohnten, über deren Abreise ich vor nicht allzu langer Zeit erst ziemlich froh gewesen war. Konnte er wirklich so absolut gar nicht nachvollziehen, wie ich mich fühlte? Scheinbar nicht. Wenn doch, dann versteckte er das ausgezeichnet hinter seinen Worten, die in meinen Augen wirklich gemein waren. "Behandel' mich nicht wie ein dummes Kind. Ich versteh' das sehr wohl, schließlich wollen sie meinen Kopf und nicht deinen. Was ich aber nicht verstehe, ist warum du das hier echt für besser hältst als eine Konversation davor.", äußerte ich mich nun doch hörbar bissiger zu Alledem und drehte den Kopf mit einem tonlosen Schlucken der Fensterscheibe neben mir zu. War schon möglich, dass er diese Idee wirklich jetzt erst gehabt hatte und deswegen alles hatte schnell gehen müssen. Trotzdem war Iljah immer noch sein eigener Chef und schob sich das Ganze meiner Meinung nach so zurecht, wie es ihm eben passte. Es interessierte im Büro keinen Arsch, ob er nun fünf oder zehn Minuten später kam. Wenn er mich unbedingt jetzt ins Flugzeug stecken wollte, das ganz bestimmt kein öffentliches war, dann konnte das auch noch fünf Minuten mehr warten. Er schien sich nicht einmal die Zeit dafür nehmen zu wollen mir die Sache ruhig zu erklären und drohte mir stattdessen damit, dass er mich eigenhändig da reinzerren würde, wenn ich nicht einfach spurte. Mit seiner denkbar ungünstigen Herangehensweise hatte er sich selbst definitiv keinen Gefallen getan. Mir selbstredend noch weniger. Ich ließ die schon wieder leicht glasigen Augen stur aus dem Beifahrerfenster auf die Häuserfassaden gereichtet, während ich mit den Fingern am Deckel des Kaffeebechers herumnestelte. Dass es dem jungen Mann offenbar vollkommen am Arsch vorbeiging, dass ich mich mit den beiden rachsüchtigen Arschlöchern auseinandersetzen musste, machte es nicht gerade besser. Klar - war dann ja auch nicht er, der darunter litt. War quasi nicht sein Problem oder zumindest war es wohl weit genug weg, um sich nicht verpflichtet fühlen zu müssen was dagegen zu tun. Mir schwante auch schon Böses vor, als er anhängte, dass Vahagn sich um ein Dach über meinem Kopf kümmern würde. Ich traute es ihr absolut zu, dass sie mich in irgendeiner wirklich ekligen Absteige parkte, nur um mir noch eins reinzuwürgen. Ich schüttelte was all das anging nur noch den Kopf und schnaubte kaum hörbar in mich hinein. Wusste ehrlich nicht, was ich dazu noch sagen sollte, außer dass er sich gerade wahnsinnig ignorant aufführte. Aber was erwartete ich auch mehr Mitgefühl oder zumindest Ruhe von einem Mann wie ihm... er war es ja nicht anders gewohnt, als dass alle nach seiner Pfeife tanzten. Dann konnte man's mit mir wohl auch machen. Das beste kam aber natürlich zum Schluss. Denn der Schwarzhaarige hatte sich bis jetzt natürlich noch so gar keine Gedanken dazu gemacht, wie und wann er nachkommen würde. Ich hatte mit Sicherheit für heute gar keine Tränen mehr übrig oder war schlichtweg zu müde, weil der Kaffee in meiner linken Hand vor lauter Empörung über meine Abschiebung im Augenblick völlig vergessen war. Also schloss ich statt zu weinen lediglich die feuchten Augen, noch während ich den rechten Ellbogen auf der Lehne an der Tür anwinkelte und meinen Kopf in die Hand stützte. "Natürlich, das auch noch.", murmelte ich nur mehr leise vor mich hin, bevor ich die Lippen für einige Sekunden aufeinander presste. Mit nur ein bisschen Pech - wovon ich im Leben für meine Begriffe nicht grade wenig hatte, die Chancen darauf standen also hoch - würde ich also auch noch eine halbe Ewigkeit auf Iljah warten müssen. Vollkommen allein, wenn sich nicht irgendeine Seele dazu erbarmte, mich nicht hassen zu müssen, was ich angesichts meines Umfelds da drüben mal für eher unwahrscheinlich hielt. Ich würde mich wohl an Einheimische wenden müssen, um sowas wie nette Kontakte finden zu können. Ich machte die Augen gar nicht wieder auf. Weder musste ich auf die Straße sehen, noch wollte ich den Gesichtsausdruck des Schwarzhaarigen neben mir sehen. Ich betete darum, dass ich im Flugzeug einfach der Müdigkeit erliegen und so gut wie den gesamten Flug verschlafen würde. Weder ertrug ich die Gedanken an Kuba, noch die Gedanken daran, dass wir beide hier vermutlich gleich noch unangenehm auseinandergehen würden, wenn das so weiterging.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich empfand es an Tagen wie dem heutigen als unfassbar anstrengend, mich mit Irina zu unterhalten. Schlicht und ergreifend einfach deswegen, weil wir in mancherlei Hinsicht vollkommen unterschiedliche Meinungen vertraten und die junge Frau unglaublich nah am Wasser gebaut zu sein schien, sobald ich meine Stimme ihr gegenüber erhob. Dabei meinte ich es weder böse, noch hatte ich vor, im Zuge der etwas ausschweifenden Diskussion direkt handgreiflich zu werden, auch wenn man mir das aufgrund gar nicht solange zurückliegender Ereignisse durchaus unterstellen konnte. Ich brachte meine Sorge nun mal eben ganz anders zum Ausdruck, als das so manch anderer tat, bei Irina kam das dann scheinbar vollkommen falsch an und ta da... schon stand die junge Frau kurz vorm Heulen. Ehrlich gesagt interessierte mich das aber nicht besonders, denn es war in meinen Augen vollkommen ausreichend, wenn ich wusste, dass es die im Augenblick einzige, gangbare Lösung für dieses Problem war. Die junge Frau würde sich auf kurz oder lang schon wieder einkriegen, wenn ihr jetzt also der Sinn nach Schmollen stand, sollte sie das gerne tun. Im Endeffekt würde sie mir sicherlich trotzdem dafür danken, dass ich mich so aufopfernd um ihr Wohlergehen kümmerte. Was die harschen Worte anging... ja, mit denen hätte ich vielleicht tatsächlich etwas umsichtiger umgehen können, aber mein Gott, man konnte es auch wirklich viel zu persönlich nehmen. Für Irina musste ich meinen Standpunkt schließlich immer ganz besonders deutlich machen, weil sie einen Faible dafür hatte, mir ansonsten mit ganz vielen wenns und abers auf der Nase herumzutanzen. Darauf hatte ich heute halt einfach keine Lust, würde deshalb auch nicht noch einmal zurückrudern und mit einer Entschuldigung meine Autorität untergraben. "Wenn du willst, dass ich dich nicht wie in Kind behandle, dann verhalte dich auch nicht wie eines.", antwortete ich der, offenbar durch meine Worte gekränkten, Schwarzhaarigen. Dabei sah ich längst wieder nach vorne und schüttelte nur schwach schnaubend den Kopf. Letzteres nicht zuletzt auch wegen den noch folgenden Worten meiner weinerlichen Beifahrerin, mit denen sie mir unterstellte, dass ich an der Diskussion hier im Auto mehr Spaß hatte, als das Ganze einfach vorab mit ihr zu besprechen. "Wenn es nach mir ginge, dann hätte ich das hier weder jetzt, noch vor unserem Aufbruch gebraucht. Ich hab eigentlich weder Lust, noch die Zeit dazu, dir erklären zu müssen, dass es gar nicht so einfach ist, dich von A nach B zu fliegen. Der ganze Mist kostet Unmengen an Geld und mit dem letzten bisschen Glück in meinem Leben fliegt ein Kunde heute noch nach Kuba und ich habe keine Lust, mich dafür rechtfertigen zu müssen, warum es nicht wie besprochen zur vollen Stunde losgeht, sondern der Flieger noch auf einen Anhang wartet.", fasste ich für die junge Frau also knapp zusammen, warum ich das ganze Vorhaben jetzt derart über das Knie gebrochen hatte. Zeit war bekanntlich Geld und ich konnte es mir in der aktuellen Situation ganz einfach nicht erlauben, dass Kunden absprangen oder Geld zurückverlangten. Das sollte Irina eigentlich mit am besten wissen, wo wir doch während meiner Genesung auf ihr Drängen hin darüber gesprochen hatten, was mich ihr Leben bei Hunter denn eigentlich kostete. Und das Geld kam nicht von ungefähr, genauso wenig wie mein gutes Image bei den Kunden. Sie täte sich also gut daran, das nächste Mal einfach einen Schritt weiter, etwas wirtschaftlicher zu denken, bevor sie sich beschwerte - die Welt drehte sich schließlich nicht ausschließlich um sie. Das leise Murmeln ihrerseits nahm ich nur beiläufig war, weil ich den Wagen kurz vorher auf das Flughafengelände lenkte und unweit des Flugzeugs, in welches die Schwarzhaarige gleich einsteigen würde, zum Stehen kam. Ich schaltete den Motor ab und drehte mich auf dem Sitz dann ein letztes Mal etwas mehr in ihre Richtung. Deutlich weniger eindringlich, weniger genervt, setzte ich zu folgenden Worten an: "Geb' mir bitte einfach ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken. Wenn ich erst einmal weiß, dass du sicher auf Kuba gelandet bist, fällt es mir viel leichter, auf deine Frage eine Antwort zu finden." Zwar klang meine Stimme noch immer nicht wirklich ruhig, aber dafür war ich momentan wohl auch einfach viel zu aufgewühlt. Wirklich zur Ruhe kommen würde ich vermutlich eben auch erst, wenn besagtes Szenario eingetroffen war und ich die junge Frau in Sicherheit wissen konnte. Bis dahin würde sich meine Laune nur sehr unwahrscheinlich bessern, also stieg ich gefolgt von einem leisen Seufzen schließlich aus, weil es meiner Meinung nach nichts mehr zu sagen gab. Ich wollte jetzt weder Widerworte, noch weitere Klagen hören. Deshalb trat ich auch schon bald an den Kofferraum heran, um dort Irinas Gepäck an mich zu nehmen. Bis zur Treppe würde ich sie noch begleiten, dann aber trennten sich unsere Wege vorerst.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das war jetzt nicht sein Ernst, oder? Das hatte er jetzt nicht gesagt. Ich öffnete die Augen wieder und sah einen Moment lang zu ihm rüber, nur um Iljah aus zwar nach wie vor nassen, nun aber doch auch funkelnden Augen heraus von der Seite anzusehen. Seit er mich nach dem großen Eklat im Hotel trotz allem bei sich behalten und mir so weit wie der Situation entsprechend möglich war vertraut hatte, hatte ich nie an seinen Gefühlen für mich gezweifelt. Oder an meinen eigenen für ihn. Tat es auch jetzt nicht. Dennoch begann ich mich unweigerlich zu fragen, an welchem Punkt in seinem Leben genau die Menschlichkeit und Empathie auf der Strecke geblieben waren. Dass wir ein ungleiches Paar waren - auch vollkommen abgesehen von dem relativ großen Altersunterschied - war mir von Anfang an klar gewesen. Das änderte aber nichts daran, dass mich seine Unfähigkeit dazu mich auch nur ansatzweise verstehen zu wollen oder mir überhaupt mal richtig zuzuhören langsam wirklich wütend machte. Natürlich war ich eher Kategorie Lamm als Wolf, gar keine Frage. Ich hatte selten das Gefühl Jemandem wirklich etwas Nennenswertes entgegensetzen zu können und ich war auch nicht der Typ Mensch dafür, ständig auf andere wütend zu sein oder gar über lange Zeit hinweg. Ich vergab wahrscheinlich in vielen Fällen viel zu schnell. Vermutlich sah ich selbst in angesäuertem Zustand nicht so aus, als müsste man mich wirklich ernst nehmen. Zumindest Iljah sollte das aber tun. Er war so ziemlich der einzige Mensch, von dem ich das erwartete. Unsere Beziehung mochte keine aus dem Bilderbuch oder gar vollkommen gesund sein, aber wenn ich jetzt nicht mal ein Mittelmaß von Respekt in einer Konversation wie dieser erwarten konnte... ja, dann stand unweigerlich die Frage im Raum, ob sich das jemals ändern würde. In jedem Fall musste es das, wenn Gespräche wie dieses nicht zum Standard werden sollten. Mir blieb keine Zeit um mich zu sammeln und ihm darauf zu antworten, bevor er aus dem Wagen stieg. Konnte auch so schnell nicht darauf reagieren, dass der junge Mann wohl besser nachdenken können würde, wenn ich hier weg war. Nach allem, was er vorher schon gesagt hatte, stieß er mit der 'Ich mach mir doch nur Sorgen um dich - Tour' allerdings auf taube Ohren. Wahrscheinlich knallte ich auch genau deswegen die Beifahrertür zu, als würde es sich nicht um ein sehr teures Auto handeln, das überhaupt nichts für meine Wut auf Iljah konnte. Ich schloss mit der Handtasche im angewinkelten, linken Arm und dem Kaffeebecher in jener Hand am Kofferraum zu ihm auf. Der Rollkoffer stand zwischen uns auf dem geteerten Boden, als ich zu ihm hoch sah. Wahrscheinlich mehr verletzt als wütend, aber es war doch eine Mischung aus beidem. "Wenn es an dem beschissenen Geld und der blöden Zeit liegt, dass du nicht mal versuchst dich mal in meine Lage zu versetzen oder auch nur einen Hauch Empathie zu zeigen, dann setz' mich einfach in ein gottverdammtes, normales Flugzeug und ich zahl das Ticket selbst. Ich bin offiziell schließlich nicht so kriminell, dass ich das Land nicht verlassen darf und ich habe dich nie darum gebeten, Irgendwen hier aufzuhalten oder sogar deine Kunden für mich zu vernachlässigen.", fauchte ich mit doch etwas dünner Stimme zu ihm hoch. Auch um die Unmengen Kohle, die er Hunter jetzt wegen mir in den Arsch schob, hatte ich nie gebeten. Allerdings war das doch nochmal ein ganz anderes paar Schuhe, das ich in diese Diskussion besser nicht einbinden wollte. Wahrscheinlich würde ein Flugticket nach Kuba mich den gesamten Rest an Kohle auf meinem Konto kosten. War aber nicht so als hätte ich hier noch ein Leben, also hätte ich darauf echt geschissen, wenn Iljah sich dafür mal normal mit mir unterhalten würde. "Ich hab keinen Zweifel daran, dass du es im Grunde gut meinst und mich nur hier weghaben willst, damit mir nichts passiert." Schließlich würde er alles in allem sicher nicht so viel für mich tun, wenn ihm nichts an mir liegen würde. "Aber ich kann wirklich bestens darauf verzichten, dass du mich jetzt genauso behandelst wie es schon so viele andere getan haben.", schloss ich meine inzwischen nur noch enttäuscht klingenden Worte ab. Ich war es einfach so leid. Ist doch nur Irina. Schick sie mal da hin. Lass sie mal das machen. Das hält die schon aus. Ach, steck ich sie halt ganz allein in ein Flugzeug ans andere Ende der Welt. Natürlich war Iljah weder einer der Sorokins, noch einer der Freier. Wenn ich bei ihm aber langfristig ungefähr ganz genauso wenig Mitspracherecht und Mitgefühl erwarten konnte, dann... ja, keine Ahnung was dann. Ich wollte nicht allein sein, nicht schon wieder. Ich wollte auch nicht, dass er so viel Geld eingebüßt hatte für eine Frau, die ihn dann verließ. Was machte ich mir darüber überhaupt Gedanken? Ich würde mich wahrscheinlich noch eher mit Wein ins Koma trinken, als ihn zu verlassen. Beides war unfassbar unwahrscheinlich. Bevor ich sowas wie eine lebensbedrohliche Alkoholvergiftung bekam, fing ich längst an zu kotzen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Gott bewahre, dieses Gespräch ließ mich sicher um einige Jahre altern. Vielleicht nicht optisch, aber nervlich ganz bestimmt. Irina konnte auch nach dem Aussteigen ihre Klappe einfach nicht halten und versuchte mich mit der für sie nur allzu typischen 'Ich habe nie darum Gebeten-Karte' aus dem Konzept zu bringen. Inzwischen sollte die junge Frau jedoch wissen, dass sie mit der Masche bei mir nur auf taube Ohren stieß. Mir war schließlich klar, dass sie nach Alldem hier nicht oder nur indirekt gefragt hatte, aber das änderte für mich persönlich absolut gar nichts an meinem Entschluss. Ob sie mir nun dankte oder nicht, spielte keine große Rolle, wenn ich sie dafür einfach nur in Sicherheit wusste. Würde ich jetzt sehr viel mehr von ihr im Gegenzug erwarten, als dass sie einfach in den Flieger stieg und nach Kuba flog, hätte mich Irina schon längst enttäuscht und ich sie im Umkehrschluss einfach sich selbst überlassen. Wie mir schien, würde die junge Frau aber meiner Bitte trotz der harschen Worte nachkommen, also war in meinen Augen fast alles in bester Ordnung. Ein Lächeln auf Irinas Lippen wäre mir zum Abschluss zwar lieber gewesen, um mir für die kommenden Tage etwas Kraft zu schenken, aber ich war wohl inzwischen zum Teil selbst Schuld daran, dass sich ihre Mundwinkel partout nicht mehr anheben wollten. Es dauerte nicht lange, bis die zierliche Schwarzhaarige neben mir zum Stehen kam und mich aus weinerlichen Augen heraus ansah. Ich schlug den Kofferraumdeckel zu, nachdem ich das Gepäck neben mir auf dem Boden abgestellt hatte, verriegelte das Auto und suchte erst dann wieder den Blick der jungen Frau. Mit einem leisen Seufzen zwang ich mich dazu, zumindest die ins Gesicht gezogenen Augenbrauen ein klein wenig zu entspannen, Irina nicht mehr ganz so genervt, sondern stattdessen fast schon hilflos anzusehen, denn auch wenn sie es vielleicht nicht für möglich hielt, aber ich verstand sie schon. Ich wurde schließlich auch nicht gerne übergangen, Entscheidungen über meinen Kopf hinweg zu treffen resultierten zumeist in mieser Laune meinerseits, aber was hätte ich denn ihrer Meinung nach machen sollen, um das Ganze hier so zeitsparend wie möglich, aber mit Rücksicht auf ihre Einwände zu organisieren? Mochte sein, dass es da vielleicht Möglichkeiten gegeben hätte, aber auch über die hätte ich im Vorfeld nachdenken müssen und intuitiv zu handeln war da einfach entspannter gewesen. Man möge mir den Elefant im Porzellanladen wenigstens heute verzeihen. Als ich zu der jungen Frau hinunter sah, veranlasste sie mich mit ihrem Anblick außerdem dazu, mir mit der Hand einmal von oben bis unten über das müde Gesicht zu reiben. Dann machte ich noch einen halben Schritt auf Irina zu, um direkt vor ihr zum Stehen zu kommen. Ich hob die Hand, mit der ich mir gerade über das Gesicht gewischt hatte, an ihr Kinn, damit sie meinem Blick nicht gleich wieder auswich, wenn ich zu ihr sprach. "Du wirst vielleicht nicht von irgendwelchen Behörden gesucht, aber von Menschen, die dir auf deutlich unbequemere Art und Weise an den Kragen möchten und ich will nicht, dass dir auf dem Flug etwas passiert." Gut, so konnte man natürlich den Gedanken, dass ich dann keine Kontrolle mehr über sie hatte, auch nett in Worte verpacken, aber im Grunde genommen trafen auch die wohlwollenden Worte den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Ich machte mir ganz einfach Sorgen, wer wusste schon, was für Gestalten sich auf dem öffentlichen Flughafengelände und nicht zuletzt in ihrem Airbus tummelten. "Hör zu', es tut mir leid, dass ich eine so wichtige Lebensentscheidung über deinen Kopf hinweg treffe, aber tu mir trotzdem einen Gefallen und steig jetzt bitte einfach ins Flugzeug. Meld' dich bei mir, wenn du gelandet bist - egal, wie spät es dann ist. Und sobald wir uns wiedersehen, mach ich es wieder gut, dass ich dich gerade so angegangen bin, in Ordnung?", fragte ich zum Ende hin für meine Angespanntheit relativ ruhig, ob sie mit dem Vorgehen einverstanden war. Das wollte sie doch, oder? Kommunikation. Ihre Meinung dazu abgehen, wörtlich zustimmen. Letztlich entschuldigte ich mich doch auch noch mal bei ihr, auch wenn es mehr nur eine pro forma Entschuldigung war, ich sie ziemlich schnell aussprach und im Gegensatz dazu dann mehr Wert auf die nachfolgenden Worte legte. Was ihre Verallgemeinerung meiner Wenigkeit mit den Vollidioten vor mir anging, konnte ich nur leise schnaubend, aber mit einem ausdruckslosen Lächeln auf den Lippen den Kopf schütteln. Dann aber beugte ich mich zu ihren hinunter, hielt kurz vor ihren Lippen noch mal inne. "Ich bin nicht so viele andere, Irina. Das habe ich dir schonmal gesagt." Fair enough, dass die Schwarzhaarige diese Karte zog, wo sie mir umgekehrt dazu auch schon einmal gesagt hatte, dass ich sie nicht bevormunden sollte. Nichtsdestotrotz drängte jetzt leider die Zeit und ein wildes Winken meiner Crew signalisierte mir, dass es Zeit für den Abschied wurde. Also drückte ich meine Lippen für den vorerst letzten Kuss auf die ihren. Versuchte vollkommen gegensätzlich zu meinem Verhalten von gerade eben noch möglichst viel Gefühl und Zärtlichkeit in den Kuss mit einfließen zu lassen. Ja, ich war ein ignorantes, herrisches Arschloch und trotz ihrer Vergangenheit hatte Irina es nicht verdient, derart grob und uneinsichtig von mir behandelt zu werden, ohne wenn und aber. Ich hoffte trotzdem, dass sie es mir nicht lange übel nahm, schließlich war es eigentlich nicht meine Intention gewesen, jetzt im Streit mit ihr auseinander zu gehen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Irgendwie glaubte ich nicht daran, dass mir tatsächlich Irgendwer in einem Flugzeug an den Kragen wollen würde. Ich meine, aus der Sache konnte man ja wirklich nicht ohne Strafe rauskommen. Sobald der Flieger wieder gelandet war, würde derjenige eingesammelt werden. Aber gut, was wusste ich schon und was kümmerte es mich überhaupt, wo ein normaler Flug für mich ohnehin nicht zur Debatte stand. Der werte Herr wollte das schließlich nicht, also würde es auch nicht passieren. So wie immer eben. Ich seufzte leise, hielt den Blickkontakt aber ungeniert aufrecht. Iljah ließ mir auch nicht wirklich eine andere Wahl, während er mein Kinn anhob. Sagen tat ich zu dieser Sache nichts mehr, weil es mir schlichtweg überflüssig erschien. Immerhin musste ich dann nicht instant wieder mit dem Klauen anfangen, sondern konnte erstmal noch ein bisschen aus meiner Tasche leben. Trotzdem würde ich mir wohl Gedanken dazu machen müssen, wie ich im besten Fall regelmäßig an Geld kam. Ewig würden die Kröten auf meinem Konto nicht reichen und ich wollte auch nicht, dass der Schwarzhaarige was das anging schon wieder für mich in seine Taschen griff. Ich fühlte mich wegen der immensen Summe zwecks Hunter ohnehin schon mies genug. Seine Entschuldigung - und sei sie noch so flüchtig - fand schon eher Anklang bei mir. Warum hatte ich dafür jetzt erst wieder so aus der Haut fahren müssen? Warum nicht einfach gleich so? Er hätte uns beiden damit zumindest einen Teil dieses Gesprächs erspart. Aber war wohl eher seine, als meine kostbare Zeit, die dafür draufgegangen war. "Musik in meinen Ohren.", ließ ich ihn mit leicht übertriebener Betonung wissen, dass ich Worte wie diese eindeutig lieber hörte. Zwar hatte ich jetzt noch keine Ahnung davon, was genau er mit mit vorhatte, wenn er - hoffentlich nicht erst in etlichen Monaten - zu mir nach Kuba kam, aber ich ließ mich gerne überraschen. Solange es schöne Überraschungen waren jedenfalls. Blieb eben nur zu hoffen, dass ich auf jene Wiedergutmachung nicht zu lange warten müssen würde. Allerdings viel mehr wegen Iljah an sich. Bis er bei mir sein würde, war ich sehr sicher längst nicht mehr sauer und würde mich einfach nur darüber freuen, ihn endlich wieder bei mir zu haben. Ihn wieder anfassen und küssen zu können. Apropos: der junge Mann drückte seine Lippen auf meine, noch bevor ich auf die Worte unmittelbar davor hatte antworten können. Ich war zwar nach wie vor ein bisschen sauer auf den Schwarzhaarigen, aber ich wusste genauso gut wie er, dass das unser vorerst letzter Kuss für eine womöglich unschön lange Zeit sein würde. Deshalb erwiderte ich den Kuss ebenso liebevoll und innig, hob dabei auch die freie rechte Hand in seinen Nacken und strich dort über seine Haut, zog ihn damit noch etwas mehr zu mir hin. Es war nicht zu übersehen gewesen, dass seitens des Flugzeugpersonals Eile geboten war, aber ich zog den Kuss trotzdem noch ein kleines bisschen in die Länge, bis ich mich schweren Herzens schließlich zurückzog. Eine seiner längeren Haarsträhnen war ihm nach vorne auf die Stirn gerutscht, weshalb ich die zierlichen Finger danach ausstreckte und sie behutsam zurück an ihren rechtmäßigen Platz schob. "Dann verhalte dich nicht so.", konnte ich es dann aber doch nicht lassen, ihm mit einem scheinheiligen Lächeln und übertriebenem Blinzeln noch ein bisschen was von seiner eigenen Medizin zu geben. Wer dumme Antworten gab, bekam halt auch wieder eine blöde zurück. Schließlich hatte ich ihm auch schonmal gesagt, dass ich es nicht leiden konnte, wenn er mich bevormundete, also waren wir was das anging wohl auf dem gleichen Level und er brauchte mir nicht damit ankommen. "Ich ruf dich an... und ich liebe dich trotzdem. Also lass mich bitte nicht zu lang mit diesen Wahnsinnigen allein, ja?", seufzte ich noch ein paar leisere Worte zum Abschied, wobei sicher auch rauszuhören war, wie unwohl ich mich damit fühlte jetzt alleine das Land verlassen zu müssen. Dann streckte ich mich ein letztes Mal zu ihm hoch und hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor ich die rechte Hand nach dem Griff des Koffers ausstreckte und ihn auszog. Mich nach einem letzten Blick in seine Augen schließlich abwendete, um final das dämliche Flugzeug anzusteuern. Ich hatte dazu nach wie vor ungefähr gar keine Lust, aber es war ja auch nicht so als hätte ich wirklich sowas wie eine Wahl. Also zog ich den Koffer hinter mir her zum Flieger, warf an der Treppe angekommen aber doch noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick über meine Schulter. Allerdings nur kurz, weil ich dann gleich vom oberen Ende der Stufen angefaucht wurde, dass ich mal in die Gänge kommen und gefälligst nicht stehenbleiben sollte. Hoffentlich ging mir wenigstens während des Flugs dann Niemand auf die Nerven.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Weder wollte ich mich von diesen verboten sinnlichen Lippen lösen, noch die junge Frau ganz allgemein alleine in den Flieger steigen lassen. Am liebsten hätte ich Irina weiterhin einfach nur in meinen Armen gehalten oder wäre zumindest gemeinsam mit ihr nach Kuba geflogen. Weil aber weder das eine, noch das andere möglich war, ließ ich schließlich widerwillig von ihr ab. Es gefiel mir nicht, nur leider sah ich weiterhin keine Alternative und musste daher an dem Plan festhalten, der meiner Meinung nach momentan die einzige Lösung war, um die Schwarzhaarige aus dem Fadenkreuz des Sorokin-Abschaums zu bekommen. Ich ließ mich nur allzu gerne auf das in die Länge ziehen des Kusses ein, genoss auch die darauffolgende, sanfte Berührung der jungen Frau, als sie mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischte, kurz bevor ich den halben Schritt wieder zurück machte. Natürlich hatte ich bereits damit gerechnet, dass Irina auf meine Aussage hin etwa genauso reagierte, wie ich es vorhin bei ihr getan hatte und meine Mundwinkel formten von selbst ein belustigtes Schmunzeln. Jenes wurde recht schnell allerdings durch ein aufrichtiges Lächeln abgelöst, welches aus den nachfolgenden Worten der jungen Frau resultierte. Wie ich es bereits vermutet hatte, konnte Irina mir nicht allzu lange böse sein und es mir kaum übel nehmen, dass ich mir einfach nur große - vielleicht ein bisschen zu große - Sorgen um sie machte, denn mein Verhalten schien ihrer Liebe zu mir keinen Abbruch getan zu haben. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass mich das nicht erleichterte, weil es unterbewusst doch etwas an meinen Nerven zehrte, wenn wir uns stritten. Da tat es gut, zu hören, dass sie sich trotzdem weiterhin auf mich freute und nicht froh darum war, mich vorerst nicht mehr sehen zu müssen. "Ich... liebe dich auch und geb' mein Bestes.", erwiderte ich lächelnd, aber doch etwas zögerlich. Nicht etwa, weil ich es nicht ernst meinte. Offenbar liebte ich Irina genau so, wie sie mich, weil ich sonst kaum derart viel in unsere Beziehung investieren würde, aber es war für mich nach wie vor einfach komisch, es auszusprechen. Es fühlte sich nicht unbedingt falsch an, aber schon irgendwie... seltsam einfach. Tja und dann... dann schnappte sich die Schwarzhaarige ihren Koffer und stiefelte los in Richtung Aufstieg, nur um kurz darauf im Inneren des Fliegers zu verschwinden und mich auf dem Flugplatz unweit meines Autos alleine stehenzulassen. Ich seufzte leise, als die zierliche Gestalt nicht mehr zu sehen war und auch wenn sich durch die hochgelegenen Fenster zum Abschied nicht mehr winken ließ - man sah schlichtweg von unten einfach nichts - stieg ich ins Auto ein, um dort darauf zu warten, dass das Flugzeug vom Boden abhob. Draußen in der Nähe eines startenden Fliegers zu stehen ließ einen fast taub werden, im Wagen konnte man es dahingegen aber gut aushalten und so verbrachte ich sicherlich noch weitere fünfzehn Minuten, bis der Flugplatz leer war, ehe ich die Karre anschmiss, um mich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Ich war nicht gerade motiviert, jetzt noch ins Autohaus zu fahren, aber Hunter würde mir den Hals umdrehen, wenn ich seine Zahlen warten ließ und somit hatte ich nicht wirklich eine Wahl. Auf dem Weg wählte ich via Freisprecheinrichtung des Mercedes die Nummer meiner kleinen Schwester. Vergaß dabei wie so oft, dass es drüben auf Kuba momentan kurz vor Mitternacht war, aber da sie jetzt ohnehin wach war - warum schlief sie eigentlich so früh? -, sah ich es ehrlich gesagt nicht ein, sie zu einem späteren Zeitpunkt mit meinem Anliegen zu behelligen. Es machte ohnehin keinen großen Unterschied, denn das Gezeter, welches durch die Boxen in den Innenraum des Autos hallte, hätte mich auch am Nachmittag erwartet. Vollkommen unabhängig, wie spät es also gewesen wäre, zeigte sich Vahagn nur äußerst wenig kooperativ, aber am Ende der bestimmt dreißig minütigen Diskussion wollte sie mich scheinbar nur noch loswerden und stimmte zu, sich der jungen Frau anzunehmen, sobald sie gelandet war. Ich ermahnte die Brünette dazu, mich besser nicht angelogen zu haben, weil ich ihr sonst die Hölle heiß machte und mit einem lautstarken Fluchen legte sie schließlich auf. Ich seufzte gleich ein weiteres Mal, war aber einfach froh, dass das Thema jetzt vom Tisch war. Sich meine Schwester um eine Bleibe kümmern würde, wenn auch nur zähneknirschend. Es war mir allerdings herzlich egal, wie motiviert sie bei der Suche war, solange am Ende etwas Anständiges dabei heraussprang. Also konnte ich das Telefonat abhaken und mich langsam damit anfreunden, dass es wieder bergauf gehen würde. Langsam, aber dafür stetig und das nahm mir ungemein viel Last von den Schultern. Zwar motivierte mich das jetzt nicht unbedingt zum Arbeiten, aber die Chancen standen gut, dass ich heute Nacht zumindest einigermaßen zur Ruhe kommen würde. Vorausgesetzt natürlich, Irina meldete sich, um mir mitzuteilen, dass sie gut angekommen war.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das letzte Mal, dass ich irgendwo hingeflogen war, war wirklich schon ewig her. Es musste irgendwann in meiner frühen Jugend gewesen sein, als mein Vater noch gelebt hatte. Ich erinnerte mich noch an den letzten gemeinsamen Familienurlaub in Spanien, konnte ihn zeitlich aber nicht wirklich zuordnen. Allgemein schien mein Leben vor meiner indirekten Entführung in die Sorokin-Villa schrecklich schwammig. Fast so, als wäre sie nie da gewesen oder nur in einer anderen Dimension existent. Jedenfalls war mir beim Abflug doch noch etwas mulmig und ich sah so lange wie mir möglich noch zu dem Mercedes und damit zu Iljah - keinen von beiden würde ich schnell wiedersehen. Wenn ich nur daran dachte, dass ich auf Kuba als erstes seine Schwester zu Gesicht kriegen würde, vermisste ich ihn sofort. Wenn er nicht da war würde sie sicherlich erst recht nur wenig nett zu mir sein, was ich nach der ganzen Scheiße hier in Russland echt nicht auch noch brauchen konnte. Zwar was das alles nach wie vor meine Schuld, aber ich hatte doch längst eingesehen, dass ich Mist gebaut hatte. Irgendwann war auch mal gut und die Strafen für meine Vergehen hatten gesessen. Sowohl seitens des russischen Kartells, als auch die von Vahagn und Hunter. Ich trank den Kaffee innerhalb der ersten halben Stunde im Flugzeug aus. Mehr zur Beruhigung, als zum Antrieb. Wahrscheinlich wirkte eine einzelne Tasse bei mir ohnehin kaum mehr, so bei all den Schlafstörungen und dem regelmäßigen Konsum. Allerdings schlief ich doch etwas besser, seit ich dabei immer den Schwarzhaarigen an meiner Seite hatte. Seine Anwesenheit hatte dabei einfach immer eine beruhigende Wirkung auf mich gehabt. Jetzt wieder allein in einem Bett liegen zu müssen wirkte sich ganz bestimmt nicht positiv auf meine Schlafqualität aus. Vielleicht hatte ich ja Glück und der zweifellos einsetzende Jetlag würde mich später einfach komplett ausknocken. Nach etwa einer Stunde im Flugzeug fielen mir dann trotz des regen Gedankenflusses die Augen zu und ich schlief sicher an die zehn Stunden. Dabei wachte ich ungefähr tausend Mal auf, nicht selten vermeintlich ohne Grund. Auch war aber hier und da ein kurzer Alptraum vertreten oder kurzzeitig erhöhter Lärmpegel im Flugzeug der Auslöser. Ich fühlte mich dementsprechend auch nach auf den ersten Blick genug Schlaf noch in etwa genauso kaputt wie vorher. Zumindest genauso gerädert. Die letzten paar Stunden verbrachte ich mit einem kleinen Snack und hauptsächlich natürlich damit mir auszumalen, in was für einer Art Unterkunft ich enden und wie unangenehm das Wiedersehen mit der Russin werden würde. Das würde es so oder so, die Frage war eben nur wie sehr letztendlich. Vielleicht hatte ich ja Glück und sie verzichtete auf unnötige Kommentare und Zickereien, damit sie mich schnell wieder los war. Das wäre sicher für uns beide wünschenswert, wo ich doch genauso wenig Zeit mit Vahagn verbringen wollte, wie das umgekehrt sehr sicher auch der Fall war. So, wie ich die junge Frau allerdings bisher kennen gelernt hatte, standen die Chancen auf ein reibungsloses Miteinander ziemlich beschissen. Dementsprechend steigerte sich das unangenehm drückende Gefühl in meinem Magen auch noch einmal merklich, als wir schließlich zur Landung auf der kubanischen Insel ansetzten. Ich war zwar froh, als der Flieger endlich anhielt und keinen Zentimeter mehr weiterrollte, ich gleich endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben würde... aber das war dann eben auch schon alles. Insgesamt doch recht nervös zog ich das Handy aus meiner Handtasche, um Iljah schonmal mit einer kurzen Nachricht wissen zu lassen, dass wir gelandet waren und ich ihn dann nachher anrufen würde, wenn ich endlich da angekommen war, wo ich von Vahagn abgeladen werden würde. Gerade im Moment hatte ich weder die Nerven, noch wirklich die Zeit dazu mit ihm zu reden. Ich fühlte mich wahnsinnig versteift, als ich aus dem Sitz aufstand und meinen Koffer hervorzog. Ich versuchte mich durch flüchtige Dehnübungen aufzulockern, was aber nicht wirklich funktionierte. Also schlurfte ich den Gang entlang zur Treppe. Dort angekommen war ich im ersten Moment nicht sicher, was ich von der frischen Luft halten sollte. Die war nämlich eher ziemlich schwül und vor allem heiß, da lief man aus dem klimatisierten Flugzeug heraus förmlich gegen eine Wand. Die Jacke hatte ich in weiser Voraussicht zwar schon ausgezogen, aber ich war Russland gewöhnt. Kein tropisches, heißes Klima. Überflüssig zu erwähnen, dass die lange schwarze Jeans und das Tshirt trotzdem viel zu warm waren. Nur einen Bikini zu tragen wäre angebrachter gewesen. Oder einfach gar nichts. Ich brauchte ein paar Atemzüge bis ich mich an die fast schon richtig stickige Luft gewöhnte und dann die Stufen nach unten ging. Dabei lagen meine Augen bereits auf der Brünetten, die wie zu erwarten schon von weitem nur minder begeistert über mein Auftauchen wirkte. Mal gut, dass es mir ungefähr genauso wenig gefiel wie Vahagn jetzt hier bei ihr, statt bei Iljah sein zu müssen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Musste ich noch irgendwas sagen? Noch im Ansatz darauf eingehen, wie wütend ich auf Iljah war und wie unzufrieden mich die Tatsache stimmte, dass er es trotz allem, was passiert war, immer wieder schaffte, dass ich ihm zu Kreuze kroch und seinen Bitten nachkam? Ich war wohl selber Schuld daran, ließ es ja offensichtlich gerne mit mir machen und so langsam ging mir echt die Puste aus. Mit Iljah zu streiten machte schon lange keinen Spaß mehr, was letztlich auch der Grund dafür war, dass ich kurz vor Mitternacht einfach eingelenkt und zugestimmt hatte, für seine so verhasste Freundin eine Bleibe zu organisieren. Ich fragte schon gar nicht mehr, warum und wieso überhaupt, wollte es gar nicht wissen, weil ich mich nur unnötig ärgern würde und dafür fehlte mir schlicht und ergreifend im Moment ganz einfach noch die Kraft. Die Bisswunden waren zwar inzwischen auf dem besten Weg der Besserung, aber bei zu hohem Blutdruck machten sich die Wundnähte weiterhin bemerkbar und das war auf eine ganz andere Art und Weise unangenehm. Ich hatte heute Nacht, nachdem das Telefonat sein Ende gefunden hatte, logischerweise noch eine ganze Weile wach gelegen. So lange, bis Tauren nach Hause gekommen war und ich mich bei ihm über das vorangegangene Telefonat mit meinem Bruder hatte auskotzen können. Erst dann konnte ich wieder einschlafen und es war wohl unnötig zu erwähnen, dass ich hundemüde war, als ich die Lider wenige Stunden später wieder aufschlug, weil der Wecker klingelte. Iljah konnte wohl von Glück reden, das ganze Vorhaben geschickt organisiert bekommen zu haben, sodass ich sowieso hätte aufstehen müssen, weil ich mit Sabin und Sydney am Flugplatz verabredet war. Sie würden sich mit Irina quasi die Hand geben und im gleichen Flugzeug dann weiter nach Kanada fliegen. Andernfalls wäre meine Laune noch schlechter, als sie das ohnehin schon war. War schon vollkommen ausreichend, dass ich mich umhören musste, wer das Miststück bei sich aufnehmen könnte, weil eine Mietwohnung aktuell wohl eher nicht in Betracht kam. Hätte ich zusätzlich dazu noch ihre Abholung und das Treffen mit den waghalsigen Turteltäubchen unter Zeitdruck unter einen Hut bringen müssen, wäre ich vermutlich Amok gelaufen. Nachdem ich früh morgens also schon mit entsprechend guter Laune aufgestanden und duschen gegangen war, tat ich also widerwillig, wie mir geheißen und klapperte mögliche Übernachtungsmöglichkeiten für Irina ab. Sabin und Sydney fielen schon mal weg, zum einen wegen der Abwesenheit der beiden, zum anderen wegen der Tatsache, dass die Gemeinschaftsunterkunft durch niemand geringeren als Hunter selbst unterhalten wurde und bei ihm anzufragen, ob Irina vorerst dort einziehen dürfte, war nichts als Selbstmord. Ich verzichtete gut und gerne darauf, dem Amerikaner beizubringen, dass das Miststück hier auf Kuba ihr Unwesen trieb, denn das war wieder so eine Sache, die er lieber mit Iljah persönlich ausdiskutierte. Ich wollte einfach nur meine Ruhe und war dementsprechend frustriert darüber, dass sich das mit der Schlafplatzsuche als gar nicht so einfach herausstellen sollte. Faktisch gab es nämlich kaum Jemanden, den ich kannte, bei dem ich überhaupt hätte anfragen können. Freunde und Bekannte hatte ich auf der Insel keine, Sabin und Syd waren raus, Hunter sowieso und bevor ich Irina bei Tauren einquartierte, brachte ich zuerst die Schwarzhaarige und dann meinen Bruder eigenhändig um. Tja und wer blieb jetzt noch groß übrig? Am Ende stand ich auf der Matte unseres weinerlichen Italieners, aber auch der schlug mir - verständlicherweise, wohlgemerkt - die Tür förmlich vor der Nase zu und verwies mich als so ziemlich meine letzte mögliche Hoffnung an Richard, der inzwischen mit Cosma - warum auch immer, ich wollt's vermutlich gar nicht wissen - in seinen eigenen Bungalow außerhalb der Stadt gezogen war. Ich hatte es innerlich schon aufgegeben und stand kurz davor, Iljah anzurufen, um ihm Bericht zu erstattet, aber glücklicherweise ließ sich der Engländer tatsächlich dazu überreden, die Schwarzhaarige bei sich aufzunehmen. Er fühle sich verpflichtet, nachdem er Tauren Unrecht getan hatte, sich zumindest irgendwie erkenntlich zu zeigen. Warum auch immer er deswegen ausgerechnet mir den Gefallen tun wollte, hinterfragte ich einfach gar nicht. Ich war froh, dass er sich erbarmte, alles andere war für den Moment unwichtig. Ich versicherte dem jungen Mann, dass ich die junge Frau bei ihm absetzen würde, bevor ich auch schon wieder aufbrach. Glücklicherweise war Tauren recht zeitnah nach mir aufgestanden, weil ich in Hinsicht auf die Mobilität wohl ziemlich eingeschränkt gewesen wäre. Wurde Zeit, dass ich mir zumindest mal irgendeine Schrottschüssel zulegte, die mich von A nach B brachte. Ich hätte meinem Freund nämlich gerne noch ein paar Stunden Schlaf gegönnt, anstatt mich für meinen Bruder durch die Weltgeschichte gurken zu lassen. Zwar wusste ich, dass er es gerne tat, solange er mit mir Zeit verbringen konnte, aber ich fands trotzdem einfach zum Kotzen. Jetzt wurde auch er noch in die ganze Sache mit hineingezogen und das nervte mich. Aber gut, mich darüber weiter aufzuregen würde zu nichts führen und so versuchte ich die Zeit bis zur Landung des Flugzeugs noch einigermaßen entspannt mit dem Norweger zu verbringen. In der Zeit besserte sich meine Laune auch wieder ein kleines bisschen, aber sobald mich das Klingeln eines weiteren Wecker daran erinnerte, dass es langsam an der Zeit war, zum Flugplatz aufzubrechen, war von der guten Laune keine Spur mehr. Ich trug meine Unzufriedenheit wieder gut sichtbar für meine Mitmenschen nach außen, als ich mich in den Beifahrersitz von Taurens Auto sinken ließ. Wenig später rollte besagter Wagen auf die Landebahn und es dauerte von da an dann nicht mehr lange, bis das Flugzeug in Sichtweite war und binnen der nächsten fünfzehn Minuten unweit von uns zum Stehen kam. Bis die Türen des Flieger sich öffneten und die Treppe ausgefahren wurde, unterhielt ich mich mit Sabin und Syd, die ebenfalls anwesend waren, um noch abschließend ein paar Details für ihren Trip nach Kanada zu besprechen. Etwa, wann es für sie zurückgehen würde und auch die erste Anzahlung nahm ich bereits an mich. Weitere Worte wurden allerdings kaum gewechselt. Wahrscheinlich sprach niemand zu mir, weil mir förmlich ins Gesicht geschrieben stand, dass ich absolut keinen Nerv dazu hatte, gerade zu smalltalken und demnach stand ich lediglich mit vor der Brust verschränkten Armen an das Auto gelehnt da und wartete darauf, bis das kleine Drecksstück ihren Arsch aus dem Flieger bewegte. Damit ließ sie sich allerdings eine ganze Weile Zeit, was mir unwillkürlich schon wieder ziemlich sauer aufstieß. Dass die vor ihr aussteigenden Passagiere - der ursprüngliche Auftrag der Fluglinie - die Schuld daran trugen, wollte ich gar nicht sehen. Nachdem Irina die Treppe hinter sich gelassen hatte, dauerte es glücklicherweise nicht ansatzweise so lange, bis sie ins Auto stieg und ich tat es ihr gleich. Den Koffer zu verladen überließ ich in dem Fall Tauren, weil ich nach wie vor nur bedingt schwere Last tragen konnte und ich nicht wollte, dass Irina mit ihrer Dummheit den Lack der Karre ruinierte. Man, was war ich unzufrieden mit der Situation gerade. Jemanden förmlich in den Arsch zu kriechen, den man eigentlich lieber tot sehen wollte... ekelhaft.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Vahagn schien gar nicht allein zu sein. Meine Aufmerksamkeit fokussierte sich zuerst ausschließlich auf die Russin, bis meine Augen kurz darauf zu einem mir bekannten Gesicht abschweiften. Er stand da absolut unbeteiligt ans Auto gelehnt und zog die Ruhe selbst an seiner Kippe, aber ich erinnerte mich noch gut an Tauren. Er war einer der wenigen von Hunters Männern gewesen, die nicht von vornherein die absolute Pest gewesen waren. Wenn ich an all die schaurigen Gestalten zurückdachte, die eine zu lange Weile im Haus der Gniweks kampiert hatten, war er damit verglichen quasi ein Einhorn. Nicht, weil er wesentlich besser aussah als der Durchschnitt der Meute, sondern vor allem seines Charakters wegen. Allerdings sollte er kurz nachdem er mich bei dem Schönen der Zahlen unter die Lupe genommen hatte, den Mitbewohner und besten Freund Iljahs in den Rücken gestochen haben. Daran ließ sich nichts rütteln, hatte ich mich seitdem doch auch einmal kurz mit Michail unterhalten. Nur flüchtig, weil auch er irgendwie nicht so ganz mein Fall von Mensch war, aber wir hatten auch darüber kurz ein paar Worte gewechselt. Die Stichwunde war bis zu unserem Gespräch schon gut verheilt, aber sie zwickte wohl noch öfter mal sehr unschön. Man konnte den Leuten - in diesem Fall Tauren - wohl immer nur vor den Kopf sehen und deshalb war er vermutlich genauso mit Vorsicht zu genießen wie der Rest auch. Als ich auf die beiden zuging kreuzte mein Weg sich mit dem eines anderen Paares. Sie musterten mich nur beiläufig auf ihrem Weg zum Flugzeug und so tat ich es ihnen gleich. Kaum waren sie an mir vorbei, sah ich zurück zu Vahagn und Tauren. Es kam nicht mal sowas wie eine wörtliche Begrüßung. Der junge Mann nahm sich meinem Gepäck mit einem vollkommen neutralen Nicken an, ohne dass ich danach fragen musste und verlud es hinten auf die Ladefläche. Ich konnte wohl nur hoffen, dass die Schwerkraft ausreichen würde, damit es nicht auf dem Weg verloren ging und über die Brüstung hüpfte. Es war mir im Folgenden dann schrecklich unangenehm, dass ich quasi keine andere Wahl hatte, als mit den beiden vorne zu sitzen. Die Karre hatte nur eine einzige, vordere Sitzreihe und der Rest der Karosse bestand gefühlt nur aus der Ladefläche. Ehrlich gesagt war ich mir auch nicht sicher damit, ob es besser wäre, wenn ich nicht zwischen ihnen, sondern nur außen an Vahagns Seite gesessen hätte. So hätte ich immerhin das Gefühl nur von einer Seite gehasst zu werden, wobei Tauren an und für sich wirklich entspannt wirkte. Ein kurzer Blick auf ihn verriet mir, dass er vielleicht einfach noch ein bisschen müde, oder zumindest noch nicht so ganz wach war. Wahrscheinlich musste ich mir was ihn anging also wirklich keine Sorgen machen. So zwischen den beiden zu sitzen bot mir nur leider keine Möglichkeit mich im Notfall aus der Tür zu schmeißen und einer Mordattacke zu entgehen - nicht, dass ich glaubte, dass Iljahs jüngere Schwester mir hier gleich wirklich an den Kragen springen und mich umlegen wollen würde, weil sie das dann doch sehr sicher in Moskau schon getan hatte. Dennoch war die Angst aber da, weil ich nun mal am besten wusste wie sehr sie mich hasste. Nach etwa zehn Minuten voll absolut unangenehmem Schweigen räusperte ich mich schließlich leise, um zu ein paar Worten anzusetzen, die ich mir wahrscheinlich genauso gut hätte sparen können, weil sie sowieso Niemand hören wollte. Aber wir mussten hier ja nicht alles absolut unausstehliche Schwerverbrecher sein - mir waren durchaus Manieren beigebracht worden, bevor ich so böse in die falsche Schiene abgerutscht war. Auch, wenn das nicht hieß, dass ich ausnahmslos immer auf meine Erziehung zurückgriff. "Ich... ich weiß, dass ich schon wieder nur Umstände mache und ich eigentlich nicht erwarten kann, dass du mir hilfst...", setzte ich etwas stockend und recht leise an, sah gegen Ende hin flüchtig zu Vahagn rüber. "Also... danke. Ganz ehrlich. Ich... werde euch danach auch nicht mehr zur Last fallen.", vollendete ich meine kleine Ansprache. Sah kurzzeitig zwischen den beiden hin und her, was der junge Mann links neben mir nur mit einem schwachen Lächeln und einem Nicken quittierte. Zwar konnte ich nicht wissen, ob Iljah hingegen noch einmal versuchen würde seine Schwester hinsichtlich meiner Wenigkeit zu irgendwas zu überreden, aber ich würde von mir aus ganz sicher nicht nach ihrer Hilfe fragen. Niemals. Es reichte mir ja jetzt schon wieder, mit was für einem Gesicht sie hier neben mir hockte und das brauchte ich gewiss nicht noch öfter. Allerdings hatte ich bis dato noch keine Ahnung, wie lang wir eigentlich fahren würden und wo es überhaupt hinging. "Wo geht's für mich eigentlich hin?", hakte ich dann einige Sekunden später noch fast genauso leise, aber interessiert nach. Anders als durch Nachfragen würde ich es vor der Ankunft dort kaum rausfinden können und zugegeben war ich doch neugierig was das anging. Wenn ich in irgendeiner Bruchbude enden würde, dann würde ich mich zumindest gerne kurz mental darauf vorbereiten können.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich hätte Tauren am liebsten angeschrien, dass er gefälligst aufs Gas drücken sollte, damit wir Irina schnellstmöglich bei Richard vor der Tür absetzen konnten, aber letztlich entschied ich mich ja doch dagegen. Hatte ganz einfach keine Lust und noch viel weniger die Kraft dazu, mich jetzt zu streiten und deshalb schwieg ich die Fahrt über einfach. Sah stur geradeaus auf die Straße, aber immerhin die Arme hatte ich inzwischen wieder locker auf dem Schoß liegen. Die Wunde spannte nach ein paar Minuten dann doch ziemlich unangenehm und bis zum Haus des Engländers hätte mich das Zwicken sicher wahnsinnig gemacht. Ich schloss, kurz nachdem Tauren den Wagen vom Flugplatzgelände gelenkt hatte, kurzzeitig die Augen, weil ich einfach so unfassbar müde war, dass ich beinahe einschlief, als die nervige Stimme der Schwarzhaarigen mir ans Ohr drang. Am liebsten hätte ich meinen Lidschlag mit einem unzufriedenen Seufzen untermalt, aber nicht einmal dazu hatte ich gerade wirklich die Kraft und so drehte ich schweigend meinen Kopf in Irinas Richtung, um für den Bruchteil einer Sekunde ihre Gesichtszüge zu mustern. Mir war allerdings schleierhaft, wonach ich genau suchte und so sah ich nach einem schwachen Schulterzucken wieder nach vorne. "Sieh es als Gegenleistung dafür, dass du mir beim Sturm auf die Villa geholfen hast.", antwortete ich in einem für meine Verhältnisse relativ neutralem Tonfall. Zwar war ich der Meinung, dass ich Niemandem etwas schuldig war, aber was hätte ich denn sonst antworten können, das nicht bissig oder offensichtlich genervt klang? Was ihr Versprechen anging, konnte ich das leise Schnauben allerdings nicht unterdrücken. Das hatte sie nämlich schon einmal gesagt, als wir noch drüben in Russland gewesen waren. Vielleicht nicht in genau demselben Wortlaut und eventuell hatte ihre Stimme dabei auch gezittert, kurz bevor Hunter das Messer gezückt hatte, aber ja. Irgendwie hatte ich so etwas schon einmal aus Irinas Mund gehört - gehalten hatte sie sich an das Versprechen von damals also nicht. Ich bezweifelte daher - vermutlich zurecht -, dass es dieses Mal anders sein würde. Aber wie auch immer. Ich ging gar nicht weiter darauf ein und setzte stattdessen zu einer Antwort auf die nachfolgende Frage der jungen Frau an, mit der sie sich danach erkundigte, wer eigentlich blöd genug gewesen war, sie freiwillig bei sich aufnehmen zu wollen. "Taurens Freund...", ich würde Richard für mich maximal als einen Bekannten titulieren, für den Norweger schien er jedoch mehr zu sein, "...Richard. Er wohnt in einem Bungalow am Rande der Stadt. Wie lange du bleiben kannst, musst du allerdings mit ihm klären.", klärte ich Irina darüber auf, dass ich mich mit dem Engländer auf keine feste Zeitspanne geeinigt hatte. In weiser Voraussicht hatte ich nämlich darauf verzichtet, nur für eine Nacht oder ein paar Tage anzufragen, um die Verantwortung in dem Punkt gänzlich von mir zu schieben. Ich hatte Irina damit mindestens einen Tag als Sprungbrett organisieren können. Wie hoch sie damit letztlich sprang, würde sich zeigen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Richard auch gegen mehrere Nächte nichts einzuwenden hatte, aber wie gesagt - das mussten die beiden unter sich ausmachen. Ich hatte meinen Soll erfüllt und wenn es Unstimmigkeiten gab, sollte sich bloß keiner der beiden bei mir melden, sondern direkt bei Iljah anrufen. Von mir aus auch bei Hunter, das war mir vollkommen egal... nur eben nicht bei mir. Bis wir am Haus des Engländers angekommen waren, vergingen bestimmt an die zwanzig Minuten, in denen ich immer mal wieder kurz die Augen schloss, sie aber schon Sekunden später wieder aufschlug. Ich wollte mir nicht die Blöße geben, hier gleich einzuschlafen und dann sabbernd an Irinas Schulter zu lehnen, weil das meine Autorität ziemlich sicher untergraben würde. Erholter war ich allerdings nicht, als Tauren den Wagen schließlich in der Auffahrt parkte und den Motor abstellte. Weil Irina bedauerlicherweise zwischen uns gesessen hatte, musste ich vor ihr aussteigen und konnte sie nicht einfach vom Beifahrersitz treten, wie ich es eigentlich gerne getan hätte. Ich wartete noch darauf, bis die zierliche Gestalt den Kies unter ihren Füßen zum Knirschen brachte, ehe ich bereits wieder mit einem Fuß im Auto stand. "Bis zur Tür schaffst du es aber alleine, oder?", stellte ich eine eigentlich rein rhetorische Frage. Ich würde schließlich ganz bestimmt nicht mit ihr an der Hand nun auch noch bei dem jungen Mann klingeln. Mein Auftrag war hier nämlich beendet und ich wollte ganz gerne nach Hause. Irina wusste meinen sarkastischen Unterton also besser zu schätzen, schnappte sich ihren Koffer und zog Leine.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wahrscheinlich war es sowas wie Gewohnheit, dass ich weit mehr als die paar mehr oder weniger ruhigen Worte der Brünetten erwartete. Ich hatte schon gedacht, dass mindestens eine einzige, dafür umso giftigere Bemerkung mit dabei war. Zumindest so als vermeintlich unauffälliger Anhang. Allerdings kam nichts in dieser Richtung, was ich ganz freiwillig als ein gutes Omen für den Rest des heutigen Tages hinnahm. Zwar war ich nicht abergläubisch oder irgendwas anderes in dieser Richtung, aber ich klammerte mich so ganz allein in einem fremden Land wohl einfach an jeden Zipfel voll Hoffnung, den ich in die Finger bekommen konnte. Außerdem erleichterte es mich zugegeben auch ein Stück weit, dass es scheinbar ein Freund von Tauren war, der mich eine Weile bei sich wohnen lassen würde. Wie lange genau stand wohl noch in den Sternen, aber das war in Ordnung. Ich wollte ja selbst nicht für immer dort wohnen bleiben, sondern gerne wieder unabhängig sein. Bis dahin würde ich mich zweifelsfrei auch gerne am Haushalt und am Kochen beteiligen, sofern das gewünscht war. Mit sowas hatte ich noch nie ein Problem gehabt und ich tat es gerne, eben so als Gegenleistung. Auch eine richtige, finanzielle Miete wäre bestimmt irgendwie machbar, solange sie nicht zu hoch ausfiel. Dafür musste man hier und da leider damit leben, dass ich ein bisschen chaotisch veranlagt war. Allerdings war mir schon früher aufgefallen, dass ich das in den vier Wänden anderer Leute grundsätzlich besser im Griff hatte, als bei mir Zuhause. Richard könnte also durchaus Glück haben was das anging. "Okay, ist gut.", ließ ich die junge Russin neben mir mit einem leichten Nicken wissen, dass ich verstanden hatte und dass das Alles so für mich in Ordnung ging. Als hätte ich wirklich sowas wie eine Wahl oder gar das Recht dazu, hier jetzt weitere Ansprüche zu stellen. Ich nahm es jetzt einfach so hin, wie es eben kam. Es dauerte noch eine kleine Weile, bis wir dann endlich angekommen zu sein schienen. Das kleine Haus lag etwas außerhalb der Stadt, aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. In Moskau war es immer so laut und wirklich schlafen tat die Stadt nie. Havanna wirkte schon auf den ersten Blick wesentlich verträumter und viel weniger hektisch. Dennoch kam es mir ganz gelegen, dass ich mich erst einmal hier draußen etwas ab vom Trubel der Großstadt in aller Ruhe akklimatisieren konnte - vorausgesetzt eben ich bekam mehr als ein oder zwei Tage Zeit in dieser Bleibe. Ich atmete noch etwas tiefer durch, bevor ich hinter Vahagn vom Sitz rutschte und der Einzug in mein vorübergehendes Heim unmittelbar bevorstand. Die Brünette saß quasi schon fast wieder im Wagen, kaum hatte ich den ersten Eindruck der Hausfassade gewonnen. Bei ihren Worten hörte ich Tauren durch die noch offene Autotür das erste Mal schwer seufzen und zwei Sekunden später stieg er selbst noch einmal aus, um mir den Koffer wieder von der Ladefläche zu holen. Ich war mir nicht sicher, ob es einfach daher kam, dass er mir das nicht zutraute ohne ihm die Karre zu demolieren, oder aus reinem Mitleid. Vielleicht auch beides, aber war im Grunde nicht wichtig. Ich ließ ihm mit einem aufrichtigen Lächeln und einem leisen "Danke" wissen, dass ich diese Geste zu schätzen wusste. Er sagte nur noch beiläufig, dass ich bei Richard sicher gut aufgehoben wäre und mich von der Narbe nicht täuschen lassen sollte, bevor er sich verabschiedete. Daraufhin schloss er die Heckklappe wieder und stieg ohne Umschweife zurück in den Wagen, um mit Vahagn das Weite zu suchen. Ich dachte nur flüchtige drei Sekunden darüber nach, was die beiden nun eigentlich miteinander am Hut hatten, verwarf den Gedanken daran aber mit einem Kopfschütteln. Wahrscheinlich würde ich früher als mir lieb war noch mehr als genug über jeden einzelnen, in diese merkwürdige Truppe verstrickten Menschen erfahren. Also griff ich nach dem Koffer und zog ihn hinter mir her zur Tür, um dort ein weiteres Mal kurz innezuhalten, durchzuatmen und schließlich die Hand mit der Handtasche über dem angewinkelten Ellbogen nach der Klingel auszustrecken. Erst danach fragte ich mich, was Tauren eben eigentlich mit der Narbe gemeint hatte. Musste ja eine ziemlich offensichtliche sein, wenn er sie gleich mit ansprach. Logischerweise kam ich mit meinen Gedanken nur zu reiner Spekulation und die löste sich erst in Luft auf, als die Haustür schließlich aufging.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Auch wenn ich grundsätzlich nicht besonders erpicht auf einen komplett fremden, neuen Mitbewohner - oder in dem Fall eben Mitbewohnerin - war, müsste ich lügen, würde ich behaupten, dass ich mich nicht trotzdem ein bisschen auf den Neuankömmling freute. Inzwischen genoss ich die Vorzüge eines WG-Lebens doch sehr und wenn ich Tauren oder seiner komischen Freundin damit noch einen Gefallen tun konnte, ließen sich an der Stelle doch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Cosma und ich waren noch am Tag ihrer Ankunft bei Samuele ausgezogen, weil ich, wie bereits erwartet, einfach zu stolz gewesen war, die Nacht, welche er Cosma bei sich eingeräumt hatte, auch wirklich noch mit ihr dazubleiben. Nachdem sich die Rothaarige für einen Mittagsschlaf hingelegt hatte, war ich damit beschäftigt gewesen, meinen Koffer zu packen und hatte es dabei tunlichst vermieden, mit dem Italiener auch nur ein Wort zu wechseln, geschweige denn ihn länger anzusehen, als das wirklich nötig war. So fiel mir der Abschied am Abend dann deutlich leichter, auch wenn es mir trotzdem ziemlich nahe ging. Die Nacht schlief ich dementsprechend beschissen, nachdem es mich mehrere Stunden gebraucht hatte, in meiner Bruchbude überhaupt in den Schlaf zu finden. Das lag sicherlich aber auch an dem ziemlich kaputten Bett, welches bei jeder Bewegung den Eindruck machte, gleich zusammenzubrechen. Am Tag darauf war Cosma schließlich fit genug, mir endlich alles zu berichten. Was sie und Hunter so gemacht hatten, während ich mich durch den Entzug gequält hatte, was es allgemein so Neues gab und natürlich auch, was in der letzten Woche eigentlich konkret passiert war. Dass ich dabei nicht selten über den Amerikaner geschimpft hatte, war wohl unnötig zu erwähnen, oder? Letzten Endes war es jedenfalls so, dass Cosma mich bat, ihr noch ein paar Tage Obdach zu bieten und ich willigte selbstverständlich ein. Es war mir ganz recht, wenn ich nicht alleine war und die Rothaarige hielt einen definitiv auf Trab. Es konnte einem quasi gar nicht langweilig werden. Nicht zuletzt lag das aber auch daran, dass es in meiner Wohnung Einiges aufzuräumen gab und das entsprechend viel Zeit kostete. Mit der jungen Frau an meiner Seite ging das zwar alles deutlich schneller, aber das Resultat meiner Tobsuchtsanfälle war auch mit der Vorarbeit von Samuele und mir nicht innerhalb eines Tages beseitigt. Zumal das ein oder andere Möbelstück komplett erneuert werden musste, nachdem ich im Rausch meinen Zerstörungswahn ausgelebt hatte. Long story short war das Haus inzwischen wieder in einem einigermaßen passablen Zustand, sodass ich mich nicht mehr dafür schämen musste, Besuchern meine Tür zu öffnen. Ich war entsprechend relativ gut gelaunt, als es am Nachmittag an der Tür klingelte. Den Vormittag hatte ich gemeinsam mit meiner Freundin auf der Terrasse des Hauses verbracht, einen Kaffee getrunken und reichhaltig gefrühstückt. Seitdem hatten wir uns die Sonne auf die Haut scheinen lassen und als ich einen Wagen über den Kies meiner Auffahrt rollen hörte, spitzte ich bereits die Ohren. Keine fünf Minuten später schien Irina es bis an die Tür geschafft zu haben und eine Melodie pfeifend stolperte ich ins Innere des Hauses, um die gegenüber der Terrasse liegende Haustür anzusteuern. Als ich die Hand auf die Klinke legte, hielt ich noch kurz inne, drückte sie aber nach unten, noch sich überhaupt Zweifel an der Entscheidung in meinem Oberstübchen einnisteten. Ich hatte mir bis zur Ankunft der jungen Frau noch überhaupt gar keine Gedanken gemacht, was für eine Art Mensch ich mir eigentlich ins Haus holte, weil ich einfach der Meinung gewesen war, Tauren - oder eben Vahagn, über die ich bei dem Norweger sicher Pluspunkte sammeln konnte - das ganz einfach schuldig zu sein. Dass die Schwarzhaarige aber in etwa vom gleichen Schlag sein konnte, wie die anstrengende Brünette, daran hatte ich zu keiner Sekunde gedacht. Und inzwischen war es definitiv zu spät dafür, denn die Tür war bereits auf und ich schenkte Irina direkt freundliches Lächeln. Dicht gefolgt von einem "Hey" und einer einladenden Armbewegung ins Innere des Hauses. Von Tauren und Vahagn sah nur noch die Rückleuchten und gedanklich entlockte mir das ein leises Seufzen, aber ich nahm das jetzt einfach mal nicht persönlich. Nach Erzählungen der Russin schien die Frau vor mir nicht gerade beliebt zu sein und auf den ersten Blick verstand ich überhaupt nicht warum. Sie machte einen netten, vielleicht etwas unsicheren, aber bestimmt keinen unsympathischen Eindruck auf mich, aber ich wusste aus erster Hand, dass das definitiv nichts zu heißen hatte. Cosma war inzwischen auch von draußen ins Wohnzimmer zurückgekehrt, schenkte Irina ebenfalls ein schmales Lächeln inklusive Begrüßung. "Komm' rein... ich bin Richard. Das...", ich deutete während ich redete in Richtung der Rothaarigen "...ist Cosma. Wie war der Flug? Willst du was trinken?", stellte ich ihr gleich zwei Fragen, noch bevor sie das Haus überhaupt betreten hatte. Hoffte insgeheim, dass sie ein umgänglicher Typ Mensch war und es keine Qual werden würde, sie hier bei mir zu haben. Andernfalls... müsste sie sich vermutlich einen anderen Deppen suchen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte wohl nicht mehr als nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich wusste, wovon Tauren gerade noch geredet hatte. Ich wollte wirklich nicht, dass ich meinem Gastgeber gleich von vornherein absolut unsympathisch war, weil ich ihn anstarrte, aber ich konnte es nicht verhindern, dass ich die Narbe zwei, drei Sekunden musterte. Sie war einfach ungewöhnlich und nicht gerade unauffällig. Danach lagen meine Augen jedoch sofort in seinen und ich versuchte mich an einem unvoreingenommenen Lächeln, das in sich aber vermutlich nicht so stabil war, wie ich es gerne gehabt hätte. Einfach der Tatsache wegen, dass ich nicht wusste, was hier nun genau auf mich zukam und das bis zu einem gewissen Grad beängstigend war. Nicht im selben Grad wie ein Kerl, der mir mit einem Messer hinterher rannte oder denen, die meine Familie in die Mangel nahmen, aber... eben ein Stück weit beunruhigend und verunsichernd. "Hi... ich bin Irina.", kam dann auch seitens mir eine kurze, wörtliche Begrüßung mitsamt Vorstellung, weil ich schlichtweg nicht wusste, ob sie einen Schimmer davon hatten, wer ich war. Dicht gefolgt von einem "Danke.", als er mich hineinbat und ich seiner Einladung nachkam. Ich zog den Koffer hinter mir her ins Innere des Hauses und schenkte auch der rothaarigen, jungen Frau ein zartes Lächeln mit einem Nicken zur Begrüßung. Ich hatte nicht gewusst, dass Richard hier nicht alleine wohnte, aber das war mir eigentlich auch ziemlich egal, solange es sich mit beiden recht angenehm zusammenwohnen ließ. Gedanklich war ich noch gar nicht wirklich im Bungalow angekommen, als der Engländer mich gleich im Anschluss noch mit zwei Fragen löcherte, kaum hatte er mir Cosma vorgestellt. Ich brauchte deshalb noch ein paar ruhige Sekunden, in denen ich mich flüchtig umsah, bevor ich darauf zurückkam. "Der Flug war okay, denke ich... ziemlich lang eben, Moskau ist ja nicht grade um die Ecke.", beantwortete ich die ersten der beiden Fragen mit einem kaum hörbaren Seufzen und zuckte dabei mit den Schultern. Meine Reise hierher hätte natürlich schlimmer verlaufen können, aber sie war eben doch sehr lang und ermüdend gewesen - dank des miesen Schlafs, den ich mir währenddessen gegönnt hatte. War zwar bestimmt besser gewesen, als die Augen gar nicht zuzumachen, aber fit war ich eben trotzdem nicht. Wartete quasi nur auf den früher oder später einsetzenden Jetlag, damit der mich endgültig ausknocken und vielleicht besser schlafen lassen würde. Erst danach wendete ich mich schwach lächelnd wieder dem jungen Mann zu und hob die Mundwinkel erneut etwas an. "Ein Wasser wär lieb, danke.", ließ ich Richard wissen, dass ich das Getränkeangebot annehmen wollte. Ich hatte während der letzten Stunden eindeutig nicht genug getrunken und jetzt, wo ich darüber redete, fiel mir auf, dass meine Kehle auch etwas trocken war. Da war Wasser sicher die beste Wahl, auch wenn mir eher nach meinem geliebten Wein gewesen wäre. Ich mochte Stresssituationen wie diese hier schlichtweg nicht gerne und ging ihnen normalerweise aus dem Weg, so weit es eben möglich war. Oder teilte... hatte mir kurz vorher einen Joint mit Ksenia geteilt. Ich vermisste sie. Jedenfalls machte der Dunkelhaarige sich auf den Weg, um meiner Bitte nachzukommen, weshalb meine Augen vorerst zu Cosma wanderten. Ich hatte den Koffer noch immer in der Hand und umklammerte ihn wegen der Nervosität etwas zu fest, weshalb ich mit den Fingern dann bewusst etwas lockerer ließ und mich an die junge Frau wandte. "Wo... soll ich denn mein Zeug abladen? Wo schlafe ich?", hakte ich nach, ohne das Lächeln fallen zu lassen. Ich wollte einfach nicht noch ewig mit dem Koffer hier herumstehen oder ihn einfach hier mittendrin stehen lassen. Das zerstörte einfach die Gemütlichkeit eines Raumes, wobei... es hier und da ohnehin wohl noch ein bisschen Nachbesserungsbedarf gab, was das anging. Nicht, dass ich die Bude hier übermäßig kritisieren wollte - wirklich nicht. Ich hatte wegen der Vermittlung durch Vahagn schon mit Schlimmem gerechnet und war eindeutig eines besseren belehrt worden. Es war schön hier, es fehlte meiner Meinung nach nur noch ein bisschen die Liebe zum Detail. Es hatte einfach nicht jeder so einen Fimmel für dekorative Kleinigkeiten, wie das bei mir der Fall war und das war völlig in Ordnung, einfach reine Geschmackssache. Da war die wichtigere Frage eindeutig, wo ich schlafen würde. Gab es hier überhaupt genug Gästezimmer? Schlief ich auf dem Sofa? Oder waren die beiden etwa ein Paar? Ich hatte ja keine Ahnung davon, hoffte aber doch ein bisschen darauf, dass es nicht so war. Es wäre einfach nicht besonders toll mir ständig das Gevögel zweier Verliebter anhören, beziehungsweise es zwangsweise mit Kopfhörern übertönen zu müssen. Aber gut - ich wollte ja wie gesagt nicht ewig hierbleiben, also wäre auch ein Problem dieser Art vorübergehend auszuhalten. Die beiden wirkten ohnehin nicht wirklich so, aber ich würde wohl einfach sehen, was ich hier gleich noch so nebenbei herausfand. Zu direkte Fragen stießen manchen Leuten ziemlich sauer auf und ich wollte es mir nicht von Anfang an gleich mit einem meiner Mitbewohner - oder gar mit beiden -verkacken.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es war irgendwie merkwürdig, wieder so viel Zeit bei, beziehungsweise mit Richard zu verbringen. Früher war das öfter mal der Fall gewesen, weil er als treuer Stammgast doch stets jeden Abend in der Smith and Wesson an der Theke verbracht hatte. Da hatten wir immer über Gott und die Welt geredet, waren uns so auf freundschaftlicher Basis immer näher gekommen und letztlich hatte Richie mich auch privat ab und an mal besucht. Es hatte schon einen guten Grund gehabt, warum er eine lange Zeit mein bester Freund gewesen war. Na ja, bis Hunter in mein Leben trat und sich das Blatt nach unserer gemeinsamen Entführung gewendet hatte. Ich konnte immer noch nicht wirklich nachvollziehen, was es war, das uns ab dem Zeitpunkt hatte zusammenschweißen lassen, aber es hatte in jedem Fall zur Folge, dass ich den Engländer ein Stück weit aus meinem Leben gestrichen habe. Dann hatten sich Vorfälle über Vorfälle gehäuft und letztlich war Richie mehr nur ein guter Bekannter gewesen. Niemand mehr, dem ich meine Geheimnisse anvertrauen würde und seitdem er es sich mit dem Amerikaner verscherzt hatte, war der Kontakt nahezu abgebrochen. Ehrlich gesagt hätte ich mir nicht träumen lassen, dass dieser abrupte Cut von damals irgendwie zu flicken war und doch fühlte ich mich bereits wenige Tage nach meiner Flucht aus der Villa so, als wären der junge Mann und ich nie getrennte Wege gegangen. Wir redeten über ziemlich viele verschiedene Themen - unter anderem über seine Homosexualität - und das brachte uns wieder ein ganzes Stück zusammen. Zwar wollte er mir die Frage, was damals im Hotel vorgefallen war, nicht beantworten, aber ich bohrte in dem Fall dann auch gar nicht weiter nach. Wollte ihn nur ungern drängen, wo er momentan doch der klägliche Rest von dem war, was ich in meinem Leben aktuell noch hatte. Die Bar hatte ich, seitdem Hunter mich weggesperrt hatte, nicht mehr aufgesucht. Wollte einfach nicht riskieren, dass er mich dort auflesen würde und allgemein hatte ich nicht wirklich den Kopf, mich groß um die Organisation zu kümmern. Ob die Männer des Amerikaners die letzten paar Tage den Laden geschmissen hatten, wusste ich auch nicht, es war mir vorerst aber auch echt egal. Ich hatte gerade weitaus größere Sorgen, als das Geschäft. Früher hätte ich vermutlich nicht so geredet, aber inzwischen hatten sich die Prioritäten in meinem Leben ganz einfach verschoben. Ein paar Tage bei meinem alten neuen besten Freund reichten vollkommen aus, um wieder zu Kräften zu kommen und ich hatte mir vorgenommen, mir in den kommenden Tagen Gedanken darüber zu machen, wie es für mich weitergehen würde. Bevor ich dort allerdings ansetzen konnte, stand Vahagn plötzlich vor der Tür und forderte einen Gefallen von Richard, der mir ehrlich gesagt nicht besonders schmeckte. Allein schon, weil es Vahagn war - lag nahe, oder? Sie wollte, dass wir weiß Gott was für eine arme Seele von ihrem Bruder aufnahmen und ab liebsten hätte ich ihr die Tür einfach vor der Nase zugeschlagen. Sollte sie doch zusehen, wer ihr aus der Scheiße half, aber leider war das hier nicht mein Haus und Richie schien der ganzen Sache grundsätzlich aufgeschlossener gegenüberzustehen, als ich das tat. Also blieb mir nichts anderes übrig, als das so hinzunehmen und abzuwarten, was daraus wurde. Ich hatte auf der Terrasse sitzend meine Bedenken bezüglich Irina geäußert, aber der junge Mann wollte sich nicht davon abbringen lassen, es trotzdem mit ihr zu versuchen. Berief sich darauf, dass er Tauren damals ziemlichen Kummer bereitet hatte und das mehr oder weniger eine Art Friedensangebot war. Er jetzt die Hand war, die Hilfe versprach. Die Tatsache, dass es aber eigentlich die Russin war, die etwas von ihm wollte, schien ihn nicht zu stören und er forderte mich dazu auf, ihr Bettwäsche zu beziehen und das Sofa herzurichten. Das Gästezimmer gehörte schließlich mehr oder weniger mir und ich würde es nur ungerne abgeben. Ein paar Stunden später war es dann so weit und als es an der Tür klingelte, blieb ich erst nochmal einen kurzen Augenblick draußen sitzen. Stieß erst bei der Begrüßung zu den beiden und war... überrascht. Ich wusste nicht so recht, was ich optisch jetzt von der Schwarzhaarigen erwartet hatte - hatte ich überhaupt etwas erwartet? -, aber sie wirkte mir jetzt nicht unbedingt wie Jemand, der viel Stress machte, was mich augenblicklich ein wenig durchatmen ließ. Richard und ich befanden uns momentan in einer Art Selbstfindungsphase, einen aufmüpfigen Mitbewohner könnten wir vermutlich nicht ertragen und so hoffte ich, dass Irina genau so umgänglich war, wie sie den Anschein erweckte. Binnen der ersten fünf Minuten war Richard auch schon wieder verschwunden, besorgte das Glas Wasser für Irina und ließ mich mit ihr im Wohnbereich zurück. Ich sah dem Brünetten noch kurz nach, ehe ich mich zögerlich wieder der Schwarzhaarigen zuwandte, als sie ein paar Worte an mich richtete. Fragte, wo sie ihren Koffer abstellen könnte und wo sie nächtigen würde. Ich brauchte einen Augenblick, um aus einem sinnlosen Gedankenstrudel auszubrechen, ehe ich zu einer Antwort ansetzte: "Du bist aus Russland hierher geflogen?", stellte ich erst einmal eine vollkommen unnötige Frage. "Wow, dann scheint ja irgendwas schrecklich verkehrt gelaufen zu sein, wenn du ans andere Ende der Welt flüchten musstest.", murmelte ich weiter und glänzte dabei direkt wieder mit meinem absolut beschissenen Taktgefühl. Nichtsdestotrotz sollte sie von mir natürlich auch brauchbare Informationen bekommen. "Dein Schlafplatz wäre jedenfalls das Sofa... das Gästezimmer ist aktuell durch mich belegt, aber... da ist noch Platz im Schrank, wenn du deine Sachen da einräumen möchtest.", erklärte ich kurz und knapp, was Sachen war. Bot mit einem schmalen Lächeln an, meinen Kleiderschrank mit ihr zu teilen, wenn sie den Koffer aus den Füßen haben wollte. Ansonsten stand es ihr natürlich frei, das Teil auch einfach irgendwo hier im Wohnzimmer zu parken, das wäre mir persönlich grundsätzlich egal und Richard, der wenig später mit einem Glas Wasser in der Hand zurückkehrte, sicher auch.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Allzu lange ließ auch die Rothaarige nicht mit Fragen auf sich warten. Das war wohl kein Wunder angesichts der Tatsache, dass ich nun mal eine vollkommen Fremde war und quasi aus dem Nichts auftauchte. Fragen waren im Grunde nicht weniger als absolut vorprogrammiert und für die, die Cosma mir eben gestellt hatte, hatte ich ja auch selbst die Grundlage geliefert. Die Frage an sich schien mir eher rhetorischer Natur zu sein und es waren mehr die darauffolgenden Worte, die mir ein bisschen unangenehm waren und ich hatte eher nicht vor, darauf in irgendeiner Art und Weise mehr einzugehen, als höflich war. Ehrlich gesagt konnte ich nämlich äußerst gut darauf verzichten, gleich meine halbe Lebensgeschichte auszupacken, die nicht grade vor Glanz und Glorie strahlte. Ich glaubte nicht, dass ich mir damit hier Freunde machen würde, weil Verrat eigentlich nirgends wirklich gerne gesehen wurde und ich eben auch nicht wusste, wie sehr die beiden hier mit Hunter Kontakt hatten, wenn sie auch Vahagn und Tauren kannten. Da ging ich lieber nicht das Risiko ein zu viel zu erzählen, wenn ich doch das Glück zu haben schien, dass keiner der beiden wusste, dass ich hier und da nicht weniger als ein hinterlistiges Miststück gewesen war. Es war gewiss nicht so, als würde ich das nicht wissen. Dennoch war ich nicht gerade erpicht darauf, es mir hier von vornherein unschön zu gestalten, indem ich zu viel über mich erzählte. Also war das erledigt klingende, stoßartige Ausatmen der Luft in meinen Lungen das erste, was ich daraufhin kommentierte, kurz bevor auch noch ein paar Worte dazu folgten. "Mild ausgedrückt, ja. Ich bin irgendwie wahnsinnig gut darin die falschen Leute wütend zu machen.", stellte ich ironisch fest. Wenn nicht einmal Leute wie die Sorokins mich daran hindern konnten ihnen eins auswischen zu wollen, wo sie mir doch ständig irgendwie Druck gemacht hatten, mir mehr als einmal mit dem Tod gedroht hatten, dann sollte ich mich wahrscheinlich langsam zu fragen anfangen, ob es überhaupt irgendeine wirksame Drohung mir gegenüber gab. An meinem eigenen Leben lag mir offensichtlich ja nicht genug, um keine Dummheiten zu begehen. Wenn ich so darüber nachdachte, würde ich aber wohl jedes Mal aufs Neue Berge versetzen, wenn Jemand Iljah mit dem Tod drohte - was wiederum eine Sache war, über die ich nicht nachdenken wollte. Es reichte mir ihn aus der Villa befreit zu haben, nochmal musste ich Irgendwas in dieser Richtung wirklich nicht haben. Erst recht nicht mit so einem netten Abschiedsgeschenk von Hunter. "Ist nicht so als wär ich freiwillig hierher geflogen, aber naja... ich mach jetzt einfach das beste draus, schätze ich.", meinte ich und zuckte schwach mit den müden Schultern. Mir blieb ja sowieso nichts anderes übrig, als mich mit der Situation anzufreunden, also würde ich einfach versuchen mir hier nicht gleich wieder nur Feinde zu machen, sondern einen halbwegs guten Neustart hinzulegen. Außerdem war ich ja eigentlich auch eine sehr umgängliche Person. Allerdings wendete sich das Blatt dahingehend wohl sehr schnell, wenn ich mich zu unrecht bestraft oder anderweitig falsch behandelt sah. Jedenfalls war ich doch ein wenig erleichtert darüber, dass ich auf dem Sofa schlafen musste, weil die beiden kein Paar waren. Zwar wäre eine Matratze ganz sicher bequemer, aber es gab in meinen Augen wirklich schlimmeres. In jungen Jahren ließ sich sowas noch gut verkraften, im Notfall eben mit einem Glas Wein ab und zu. Der half grundsätzlich gut beim Einschlafen und ich würde mir wohl bei Gelegenheit einfach einen billigen organisieren. Jedenfalls rollte ich den Koffer seitlich an die Couch, ließ ihn los und mich selbst schließlich auf das Sitzpolster sinken, als feststand, dass ich hier nächtigen würde. Man sollte meinen nach der langen Sitzerei im Flugzeug und danach auch im Auto müsste mir der Arsch eigentlich längst zu weh tun, um mich schon wieder hinzusetzen. Normalerweise wäre ich auch sicher lieber noch ein bisschen gestanden oder gelaufen, aber ich war körperlich einfach am Ende. "Mit dem Sofa kann ich gut leben.", zeigte ich mich genügsam, zog kurz darauf seitlich die Beine aufs Polster und machte es mir auf diese Weise etwas bequemer. "Aber wenn dich das mit dem Schrank wirklich nicht stört, würde ich das nachher... oder eher morgen irgendwann machen.", hängte ich noch ein paar Worte bezüglich Cosmaas Angebot hintenan. Ich wollte sie wirklich nicht in ihrer Klamottenordnung irritieren - weil ich das bei mir selbst nämlich hasste -, aber wenn das wirklich in Ordnung ging, war das eben doch angenehmer als nur aus dem Koffer zu leben und den Kram ständig hin und her schieben zu müssen, um irgendwo ranzukommen. Außerdem sank damit ziemlich sicher die Chance auf Klamottenchaos hier im Wohnzimmer, wovon wir alle drei etwas hatten. Kaum hatte ich meine Worte vollendet tauchte auch Richard mit dem Wasser wieder auf, das ich mit einem aufrichtig dankbaren Lächeln und einem kurzen Blick nach oben in seine Augen an mich nahm. Dann hob ich das Glas, um ein paar kleine Schlucke zu nehmen und mir die raue Kehle damit zu ölen, was auch augenblicklich Besserung versprach. Allerdings fragte ich mich nun doch, warum Cosma dann hier wohnte, wenn sie nicht mit Richard zusammen war. Immerhin hatte sie aktuell gesagt, es schien also nicht der Regelfall zu sein. Vorerst blieb ich mit Fragen aber doch lieber vorsichtig.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Etwas anderes wäre Irina wohl auch kaum übrig geblieben, es sei denn, sie hatte sich binnen Minuten in Richard verschossen und wollte lieber zu ihm ins Bett steigen. Das Gästezimmer würde ich für das Sofa nämlich ganz bestimmt nicht räumen, aber da ich heute einen meiner mehr oder weniger guten Tage hatte, ließ ich ihre Aussage bis auf ein schmales Lächeln gänzlich unkommentiert. Was die Sache mit dem Schrank anging, nickte ich hingegen kurz und bestätigte mit einem "Klar, so viele Sachen habe ich nicht hier. Da kriegen wir deinen Scheiß sicher unter.", noch mal, dass mein Angebot stand und sie gerne heute oder morgen darauf zurückkommen konnte, wenn sie wollte. Statt sinnlos in der Gegend herumzustehen, entschloss ich mich kurzerhand dazu, unweit von Irina ebenfalls auf dem Sofa Platz zu nehmen. Ich tat es ihr gleich, indem ich ein Bein auf das Polster zog, dann ließ ich sie erst einmal einen Schluck trinken, bevor ich zu weiteren Fragen ansetzte. Scheinbar schien sie nämlich in ihrer Heimat tatsächlich den Ärger förmlich angezogen zu haben und das wiederum ließ mich nachdenklich ihre Gesichtszüge mustern. Irina sah mir jetzt nicht unbedingt nach Jemand aus, den man mit Streit und Stress in Verbindung brachte, aber gut, ich kannte die junge Frau ja nun auch noch keine zehn Minuten. Je nach dem, wie lange sie hierbleiben würde und wie lange wir gemeinsam unter einem Dach wohnten, desto mehr lernten wir einander kennen. Vielleicht machte es in einer oder zwei Wochen mehr Sinn für mich, warum die falschen Leute wütend auf sie waren. Ich hoffte jedoch, dass das anfänglich eher ruhige Erscheinungsbild nicht nur Fassade war und sie allgemein eher ruhiger Natur waren - eine weitere tickende Zeitbombe vertrug dieses seltsame Gespann nicht. Nachdem die Schwarzhaarige ihren Durst gestillt und ich mich seitlich gegen die Rückenlehne gelehnt hatte, sah ich erst kurz an ihr vorbei zu Richard, der ein stets freundliches Lächeln auf den Lippen trug, dann aber wanderte mein Blick schnell wieder zu Irina. "Wie kann man denn unfreiwillig in ein anderes Land fliegen?", fragte ich und zog dabei eine Augenbraue nach oben. Gut, klar, damals hatte ich auch nicht unbedingt aus Norwegen abhauen wollen. Mittlerweile hatte ich mich mit Kuba allerdings arrangiert und würde gar nicht mehr zurück wollen. Nichtsdestotrotz waren wir damals alle freiwillig in den Flieger eingestiegen, maximal mit der imaginären Waffe der Italiener an der Schläfe, aber es hatte uns niemand gezwungen, ein neues Leben hier auf der Insel in der Nähe von Amerika anzufangen. Ich merkte jedoch schnell, dass ich mit meinen Fragen ein Stück weit zu weit ging. Erinnerte mich daran, dass ich selbst kein großer Fan davon war, von mir fremden Menschen mit Fragen durchlöchert zu werden, deren Antworten eigentlich Niemanden etwas angingen. Ich seufzte also leise, spürte auch schon Richies Blick auf mir, als ich kurzerhand zurückruderte. "Sorry... ich... bin zu neugierig manchmal.", stellte ich erschrocken einsichtig fest, dass ich meine Nase des Öfteren in Angelegenheiten steckte, in denen sie schlichtweg nichts zu suchen hatte. Wenn Irina wirklich nicht scharf darauf gewesen war, hierher zu fliegen, dann waren die Gründe dafür, warum sie hergekommen war, sicher nicht besonders angenehm. Im Umkehrschluss wollte sie vielleicht gar nicht darüber reden und auch wenn es mich misstrauisch werden ließ, brachte es wohl Niemandem etwas, wenn ich sie jetzt zu Antworten drängte. Sie sollte ruhig erst einmal ankommen, eine Mütze voll Schlaf tanken und dann, wenn die Chemie stimmte, würden wir voneinander ohnehin mehr und mehr erfahren. "Ist ja auch egal, warum du hier bist. Kuba ist jedenfalls ziemlich schön, du wirst dich schnell dran gewöhnen." Das war natürlich nur eine Vermutung, aber wer mochte es denn nicht gerne sonnig? Gut, klar, Irina kam aus Russland, wo es um ein Vielfaches kälter war und vielleicht war ihr die Sonne hier einfach zu viel, aber Vahagn hatte sich doch auch daran gewöhnt, oder? Wenn Irina das Beste aus der Situation machen wollte, wäre das Wetter zu akzeptieren und die Stadt lieben zu lernen in jedem Fall der erste Schritt in die richtige Richtung.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Doch, die Sache mit dem Schrank erleichterte mich ein wenig. Es machte das Leben hier eben einfacher, wobei ich andererseits dann immer in das Gästezimmer musste, um mich an- oder umzuziehen. Wenn Cosma da drin war, dann hielt das zumindest zu Beginn vielleicht den einen oder anderen merkwürdigen Moment bereit, wobei ich selbst ja absolut keine Probleme damit hatte, mich vor anderen Frauen umzuziehen. Männer waren ein anderes Paar Schuhe, aber ich hatte mich damals in der Villa ja auch ständig mit den anderen Mädchen umgezogen. Im Grunde war das für mich also zwangsweise zur normalsten Sache der Welt geworden und Nacktheit war für meine Begriffe eben einfach auch nichts schlimmes, solange man dabei nicht absolut penetrant angestarrt wurde, ohne dafür ein Okay gegeben zu haben. Selbst wenn die Rothaarige irgendwie ein Faible fürs Starren haben sollte, dann wäre sie eben noch immer kein Mann und es konnte mir ziemlich am Allerwertesten vorbeigehen. "Super.", war also mein abschließender, doch recht zufriedener Kommentar diesbezüglich. Danach ging es ans Eingemachte. Neugierige Leute waren in meinem Umfeld nicht unbedingt etwas Neues. Zwar hatte ich keinen Schimmer davon, inwiefern Cosma überhaupt kriminell war, aber die meisten zwielichtigen Gestalten in diesem Metier wollten grundsätzlich immer gerne mehr über Andere wissen, als es sie eigentlich etwas anging. Im Grunde war ich es also nicht anders gewohnt, aber es war mir trotzdem wahnsinnig unangenehm. Ich meine, es hatte ja schon triftige Gründe, warum die übrigen Sorokins mir den Kopf abschlagen wollten. Ich hatte sehr viel in Moskau getan, aber mit Ruhm und Ehre bekleckert hatte ich mich absolut nicht. Auch gegenüber Iljah nicht, von dem ich mich immer noch fragte, warum er überhaupt noch etwas von mir hielt - andererseits nahm ich das dann ja doch kontinuierlich einfach so hin, weil ich ja gar nicht wollte, dass es anders war. Ich senkte den Blick auf das Wasserglas in meiner rechten Hand, als ich darüber nachdachte, was ich darauf nun antworten wollte. Eigentlich gar nichts, aber das schien mir eben auch unhöflich oder gar zu geheimnisvoll. Mit Schweigen weckte man nicht selten mehr Misstrauen als mit der eigentlichen, unschönen Wahrheit. Cosma ruderte schließlich mit ihrer Frage zurück, was mich erneut leicht mit den Schultern zucken ließ. Ich beantwortete doch lieber diese Frage, als die nach der eigentlichen Hauptursache des ganzen Dilemmas. "Ist schon okay... ist normal, dass man schon gerne wüsste, wen man sich mit einer Fremden ins Haus geholt hat.", stellte ich erst einmal murmelnd fest. War eben so. Ich für meinen Teil würde nur absolut ungern Jemanden bei mir einziehen lassen - und sei es nur vorübergehend -, den ich kein Stück kannte. Meine Paranoia und ich würden in der Nacht kein Auge zukriegen. "Ich bin mit Vahagns Bruder zusammen. Die beiden sind sich schon ähnlich, aber... irgendwie auch überhaupt nicht.", machte ich mir selbst erstmals klar, dass es bei den Charakteren der beiden durchaus hier und da eine Parallele gab, Iljah für meine Begriffe aber trotzdem ein ganz anderer Mensch war. Andernfalls wäre ich kaum mit ihm zusammen, konnte ich seine Schwester bisher doch nicht ausstehen, was wiederum auf Gegenseitigkeit beruhte. "Jedenfalls ignoriert er ab und zu ganz gerne, dass ich auch gerne sowas wie ein Mitspracherecht hätte, wenn es um sowas wie eine Weltreise geht. Es ist zwar nur zu meinem Schutz, weil es in Russland nicht mehr sicher für mich ist und er meint es nur gut... aber ich mag's einfach nicht, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.", redete ich doch etwas nachdenklich vor mich hin, schloss das Ganze mit einem doch etwas genervten Seufzen ab. Es stieß mir eben noch immer sauer auf und es würde eine Weile dauern, bis ich das anders sah. Vermutlich so lange, bis ich an einem Punkt angelangt war, wo das Gefühl den Schwarzhaarigen zu vermissen absolut unerträglich wurde. Ich widmete mich aber doch lieber den Gedanken an die sonnige Insel, die laut Cosma durchaus einer Reise wert war. Erst jetzt hob ich den Kopf und damit auch den Blick wieder an, um sie anzusehen. "Ist es hier immer so heiß? Ich hab wirklich nichts gegen Sonne, aber ich hab langfristig dann wirklich zu wenig angemessen kurze Klamotten dabei... nachdem ich beim Packen nicht wusste, wo ich hinfliege, ist das sonnige Extrem hier ein bisschen ungünstig.", meinte ich mit einer Prise Ironie. Ich war zum Teil Serbin und im Sommer konnte es dort drüben auch sehr warm werden. Ein paar Mal war ich mit meinen Eltern und Geschwistern dort gewesen, um die Familie meiner Mutter zu besuchen. Mein an und für sich für eine Russin - die auch wirklich in Russland lebte - schon recht dunkler Teint würde hier in der Sonne sicher gleich noch ein, zwei Nuancen dunkler werden. Das war während der wenigen Urlaubswochen im serbischen Sommer auch nicht anders gewesen, lag eben an meinen Genen. Meine Haut saugte jeden Sonnenstrahl förmlich auf, als hätte ich sie jahrelang auf Entzug gesetzt und das ohne, dass ich dabei schnell einen Sonnenbrand bekam. Wenn die Sonne hier allerdings immer so vom Himmel knallte, würde ich zur Sicherheit vielleicht doch auf ein kleines bisschen Sonnencreme zurückgreifen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Irina entschied sich kurzerhand dazu, mir meine Frage, obwohl ich sie eigentlich zurückgenommen hatte, trotzdem beantworten zu wollen und dazu sagte ich natürlich nicht nein. Würde sie kaum davon abhalten, denn schließlich war meine Neugier nicht weniger geworden, nur weil ich der Meinung gewesen war, die Frage sei im Augenblick nicht angemessen. Ich lauschte Irinas Worten also sehr gespannt und schwieg erst einmal einen Moment, als sie schließlich zum Ende gekommen war. Musste gedanklich kurz die ganzen Verbindungen sortieren. Vahagn hatte also einen Bruder, der wiederum mit Irina zusammen war. Wenn ich jetzt nicht völlig falsch lag, dann hatte Hunter mal erwähnt, Geschäfte mit ihm zu machen. Hatte mir stolz davon erzählt, jetzt auch nach Russland zu expandieren, aber ich hatte ihm damals logischerweise nur bedingt zugehört, weil es mich schlichtweg einfach nicht interessiert hatte. Auch der Name des Russen war dabei gefallen, aber an den konnte ich mich nicht wirklich erinnern. Irgendwas mit I... Iljas, Iljie...? Keine Ahnung, war aber vermutlich auch gar nicht weiter wichtig. Scheinbar schien der junge Mann ebenso wie seine Schwester einen ziemlich schwierigen Charakter zu besitzen und war nicht zuletzt der Grund dafür, warum die Schwarzhaarige schließlich in den Flieger gestiegen und nach Kuba gekommen war. "Verstehe...", murmelte ich nachdenklich, während ich den Blick ebenfalls auf Irinas Tasse richtete. Mehr nur aus Zufall, weil es das erste war, das ich sah, wenn ich nach unten schaute. Allerdings hob ich den Kopf schon ein bisschen früher wieder an, um stattdessen wieder nach dem Blick der Schwarzhaarigen zu suchen. Bis sie mich ebenfalls ansah, dauerte es jedoch noch ein paar wenige Augenblicke. In der Zeit formte sich ein schiefes Grinsen auf meinen Lippen und ich schüttelte schwach den Kopf, als Irina erklärte, dass der Russe sie einfach übergangen und vor vollendete Tatsache gestellt hatte. Das erklärte natürlich auch, warum sie unfreiwillig hierher gekommen war, jedoch nicht, warum sie es einfach so mit sich hatte machen lassen. Ich hatte jetzt natürlich kein Bild zu dem jungen Mann an ihrer Seite, aber ich schätzte jetzt einfach mal, dass er nicht weniger kriminell war, als Hunter. Ob sie aus Angst vor ihm einfach den Mund nicht aufgemacht hatte? Aus Liebe zu ihm? Im Grunde konnte ich diesbezüglich nur spekulieren, fragen würde ich sie danach allerdings nicht. Ich kommentierte das Ganze lediglich mit einem belustigten Schnauben und der Aussage "Das würde er sich bei mir nur einmal trauen." Die Rede war selbstverständlich von Hunter und ich glaubte inzwischen zu wissen, dass ihm das langsam aber sicher bewusst geworden war. Dass er mit mir ganz einfach nicht so umspringen konnte, wie mit allen anderen Frauen, die es vor mir - und wenn auch nur für Sex - gegeben hatte. Ich schlichtweg meinen eigenen Kopf hatte und genau wie er ein Stück weit meine Freiheit brauchte, trotz unserer Beziehung zueinander. Wollte er mit der Kelleraktion vielleicht einfach die Grenzen neu abstecken? Mir damit klarmachen, dass ich mich sehr wohl nach seinem Willen zu fügen hatte? Das machte zwar nicht wirklich Sinn, weil er es sonst doch ganz bestimmt schon zu Anfang unseres merkwürdigen Miteinanders getan hätte und zum anderen hatte er auf mich nie den Eindruck gemacht, als würde ihn das wirklich stören. Ganz im Gegenteil. Ihm schien Konter hier und da mal ganz gut zu tun, woher also der plötzliche Sinneswandel? Zumal er bei meiner Flucht ja auch wieder Züge des alten Hunters gezeigt hatte. Es war einfach absolut merkwürdig und ich beschloss, den Gedanken an den Amerikaner vorerst ruhen zu lassen. Ihn mit einem leisen seufzen abzuschütteln, aber alleine die Tatsache, dass ich für wenige Sekunden über ihn nachgedacht hatte, weckte die Sehnsucht nach ihm in mir. Ich vermisste ihn, auch wenn ich das natürlich niemals zugeben würde und es tat einfach weh, von ihm wie Dreck behandelt worden zu sein. Richard hatte meine Gefühle für ihn leider noch nie verstanden und tat es auch jetzt nicht, weshalb ich von dem Engländer nur wenig Mitgefühl erwarten konnte, obwohl ich einen mahnenden Zeigefinger, dass Hunter mich vielleicht gerade jetzt am meisten brauchte, gerne gehabt hätte. Jemand, der mir gut zusprach und mich den Vorfall nicht ganz so eng sehen ließ, ihn sozusagen als Hilferuf des Amerikaners auffasste, aber da konnte ich bei Richie vergebens drauf warten. Zu der Erkenntnis musste ich leider alleine kommen, nur war dafür gerade ein absolut beschissener Zeitpunkt. Ich beschloss, meinen Gedankengang vorerst so stehenzulassen und mich stattdessen wieder der Schwarzhaarigen zu widmen, die mein belustigtes Grinsen - welches irgendwie nicht aus meinem Gesicht hatte weichen wollen - mit der nächsten Frage in ein aufrichtiges Lächeln verwandelte. Ob die Sonne immer so heiß war? Scheiße, ja! Ich nickte deshalb auch recht bald im Anschluss an ihre Frage und untermauerte das Ganze auch noch mit ein paar Worten verbal. "Ja, es soll das ganze Jahr um die 20 Grad Minimum haben, aber ob das wirklich so ist, wissen wir noch nicht, weil wir selbst noch gar nicht so lange hier wohnen.", erklärte ich kurzerhand, dass Kuba mit eines der wärmsten Länder war, die ich bis jetzt hatte kennenlernen dürfen. Gut, bis auf Frankreich und Norwegen - die im Verhältnis zu Kuba wirklich eisig waren -, hatte ich jetzt auch noch nicht viele andere Länder gesehen. Aber ich glaubte trotzdem zu wissen, dass die karibischen Inseln im Allgemeinen mit einer der wärmsten Inseln auf der Welt waren. Was das Kleiderproblem der jungen Frau anging, konnte ich mir ein leises Lachen dann aber doch nicht verkneifen. Das war natürlich wirklich ärgerlich, wenn sie vorher überhaupt nicht gewusst hatte, wohin die Reise eigentlich ging. "Das ist nicht weiter schlimm, denke ich. Hast du noch eine andere Hose dabei, als die, die du gerade trägst?", fragte ich und deutete zeitgleich mit dem Finger auf besagtes Kleidungsstück an ihrem Körper. "Dann kannst du einfach die Beine abschneiden und hast zumindest erst mal eine angenehmere Hose für die Temperaturen. In der Stadt kannst du dann ordentlich shoppen.", schlug ich mit einem schwachen Schulterzucken vor, wie Irina fürs Erste recht günstig an Klamotten für die hohen Temperaturen kam. Schließlich sah es aktuell nicht danach aus, als würde sie bald nach Russland zurückkehren, also brauchte sie weder lange Hosen, noch lange Shirts.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #