Glücklicherweise hatte die Rothaarige ebenso wenig gegen eine erfrischende Dusche einzuwenden, wie ich selbst und so dauerte es nicht lange, bis sie sich ins Badezimmer verzog. Ich stieß ein durchweg unzufriedenes, angestrengtes Seufzen aus und sah daraufhin zu Richard. Ich konnte nicht vermeiden, dass noch immer etwas Anklagendes in meinem Blick lag. Selbst ein Blinder hätte wohl gesehen, dass ich ihm diese Sache übel nahm und wahrscheinlich würde es auch noch eine Weile dauern, bis ich mich langsam mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass Cosma erst einmal hierblieb. Vielleicht würde es mich beruhigen, wenn ein paar Stunden ins Land gezogen waren, ohne dass der cholerische Amerikaner meine Wohnung stürmte. Mich quasi die Tatsache beruhigte, dass es ihm offenbar nicht im Sinn stand, seine Freundin sofort ausfindig zu machen und wieder nach Hause zu schleifen. Ich wollte mir die Beziehung zwischen den beiden nicht einmal ausmalen. Konnte es wahrscheinlich auch gar nicht, weil ich allem voran nicht glauben konnte, dass selbst dieses amerikanische Arschloch noch sowas wie Gefühle besitzen sollte. Es war mir ein Rätsel, wo er die bitte versteckte. So oder so würde ich zweifelsohne dem Engländer die volle Schuld dafür zuschieben, sollte Hunter tatsächlich hier auftauchen. Nicht für lang war in meinen Augen leider auch ein viel zu dehnbarer Begriff, der mich flüchtig die Augen nach oben rollen ließ. "Nicht für lang...", wiederholte ich genervt. "Du hättest mich wenigstens vorher fragen können. Ist nicht so, als wäre ich nicht in Reichweite gewesen.", stellte ich mit einem schwachen Kopfschütteln fest und hob dann die rechte Hand an, um mir damit einmal in Zeitlupe von oben nach unten übers Gesicht zu reiben. Wahrscheinlich hatte der Dunkelhaarige einfach vorher schon geahnt, dass ich nicht begeistert davon sein würde die Herberge für kriminelle Streuner zu spielen und hatte es deswegen gleich ohne mich beschlossen. Er war leider nicht dumm und kannte mich wahrscheinlich inzwischen auch schon viel zu gut. Wusste, dass ich Jemanden, der dann tatsächlich vor meiner Tür stand, deutlich weniger wahrscheinlich abweisen würde, als den Vorschlag an sich. Ich war ein guter Mensch und ich half gerne, würde aber eigentlich trotzdem lieber eine Grenze dessen bei Leuten ziehen, die potenziell den Kopf der ganzen Misere nach sich ziehen könnten. Auch vor Sabin hatte ich nach wie vor sehr großen Respekt, auch wenn wir uns inzwischen ganz gut verstanden, aber Hunter war nun mal einfach ein ganz anderes Kaliber. Meiner Meinung nach lieber gleich mit Angst, als nur mit Vorsicht zu genießen. Natürlich war es an und für sich gut, dass Richard sich mit einer einst sehr vertrauten Person wieder versöhnen und aussprechen wollte, aber die Umstände dafür waren in meinen Augen einfach durchweg ungünstig. Zumindest für mich und ich müsste wohl lügen, um zu sagen, dass ich die Rothaarige dem Amerikaner nicht sofort ausliefern würde, wenn er hier auftauchen würde, um ihn einfach nur schnell wieder loszuwerden. Wenn Richard sich da dazwischen stellen wollte - bitte, ich würde ihn nicht aufhalten, mich aber gleichzeitig auch ganz fein aus der Sache raushalten, weil sie mich wirklich so gar nichts anging und ich nur unfreiwillig mit drin steckte. "Dann mach's bitte schnell.", meinte ich noch was das sich was einfallen lassen anging. Je schneller, desto besser. Ich wusste jetzt schon, dass ich heute Nacht kein Auge zukriegen würde. "Versteh' mich nicht falsch... es ist an und für sich ja gut, dass ihr euch endlich mal wiederseht. Aber ich hatte dabei echt nicht an... eine Situation wie diese hier gedacht. Ich bin mittlerweile froh über jeden Tag, an dem ich keine neuen Probleme kriege und ich kann auf einen Hunter-Lockvogel gut verzichten.", faselte ich vor mich hin, während ich mich wieder in Bewegung setzte und langsamen Schrittes ins Wohnzimmer zurück trottete. Ließ mich mit einem Seufzen aufs Sitzpolster des Sofas sinken. Bandit hatte es sich indessen auf der Rückenlehne bequem gemacht und sah aufmerksam in Richtung Flur. Wusste wohl noch nicht, was er von noch mehr Trubel in der Wohnung halten sollte, wo er sich inzwischen doch sicherlich an die Ruhe hier gewöhnt hatte, wo mich Niemand mehr besuchte. Richard gehörte ja quasi schon zum Inventar, zählte nicht mehr zu dieser Kategorie. "Ist Cosma wenigstens ein bisschen weniger bekloppt als er..?", stellte ich zu Richard blickend eine etwas ironische Frage. So einen Schaden wie Hunter zu haben war sicher schwer und wenn sie genauso wäre wie er, wäre sie kaum mal Richards beste Freundin gewesen.
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Es war schon irgendwie seltsam, Samuele so verhältnismäßig schlecht gelaunt zu sehen, wo er doch normalerweise der mit Abstand Letzte war, der seinen Unmut über etwas nach außen trug. Es schien ihn also wirklich massiv zu stören, dass Cosmas Präsenz durchaus auch ihren cholerischen Freund hierher einladen würde und gewissermaßen konnte ich seine Missgunst diesbezüglich auch nachvollziehen. So im Nachhinein betrachtet tat es mir tatsächlich auch ein kleines bisschen leid, weil ich dem Italiener inzwischen ja wirklich nichts Böses mehr wollte. Anfangs hatte das noch anders ausgesehen, aber mittlerweile hatten Sammy und ich unsere Erfahrungen gesammelt und ich mochte ihn. Sehr sogar, weshalb mich seine mahnenden Worte auch schuldbewusst den Blick senken ließen. "Ja, ich weiß... Und es tut mir auch leid, wirklich.", versicherte ich ihm, dass es alles andere als meine Intention gewesen war, ihm mit dieser Aktion zu schaden. Ich war ja selbst froh über jeden Tag, der wieder ansatzweise in geordneten Bahnen verlief. Eine Begegnung mit Hunter zu provozieren war da also auch nicht in meinem Sinn, aber ich war einfach total überrascht gewesen. Ich hätte nicht gedacht, dass Cosma nach etlichen Versuchen endlich ans Telefon gehen würde, anstatt mich einfach weiterhin wegzudrücken, wie sie es die zwei vorherigen Male bereits getan hatte und an dem Punkt hatte ich dann schlichtweg nicht viel weiter, als von der Wand bis zur Tapete gedacht. Wollte einfach die Chance genutzt haben, die sich mir bot und immerhin hatte ich Sammy danach sofort darüber informiert. Klar, war alles andere als optimal gewesen, aber mehr, als es jetzt ansatzweise erträglicher zu machen und für Cosma schnellstmöglich eine andere Bleibe zu finden, konnte ich nun auch nicht. "Ich mache es wieder gut, versprochen.", ergänzte ich meine vorangegangenen Worte noch um ein Versprechen, Samuele angemessen dafür zu entschädigen, dass er heute und vermutlich auch morgen noch auf glühend heißen Kohlen sitzen würde, was Hunters eventuelles Aufkreuzen hier in seiner Wohnung anbelangte. Wie ich das anstellen wollte, wusste ich zwar noch nicht, aber mir würde da sicherlich noch etwas Passendes einfallen. Schließlich waren die Männer damals nicht ohne Grund allesamt freiwillig in mein Bett gehüpft, ich hatte schon etwas dafür getan. So würde ich auch Sammy den Stress, den der Besuch der Rothaarigen bei ihm auslöste, vergessen lassen. Früher oder später, wenn Cosma eben wieder weg war. Fürs Erste ließ sich der junge Mann aber wohl nur mehr schlecht als recht beruhigen, weshalb ich ihm ansonsten wortlos zurück ins Wohnzimmer folgte. Die junge Frau würde sich kaum verlaufen, wenn sie aus dem Bad kam, ich musste also nicht im Flur stehend den Wegweiser spielen. Aus dem Grund ließ ich mich neben Sammy auf die Couch fallen und streckte von dort die Hand nach seinem Nacken aus, um ihm vorsichtig durch die Haare zu streichen. Mit einem schmalen, aber ehrlich entschuldigenden Lächeln sah ich ihn von der Seite an, lauschte seinen Worten und kam nicht drum herum, als erste Antwort auf seine Frage leise aufzulachen. Ob Cosma weniger bekloppt war, als Hunter selbst? "Sie... hat ihre Eigenheiten. Sonst würde sie kaum was an diesem Arschloch finden, aber bei ihr musst du keine Angst haben, dass sie dir die Bude unter dem Hinter wegsprengt. Sie hat auch... einige Verluste erleiden müssen.", gab ich Entwarnung was den Geisteszustand der Rothaarigen anbelangte. Klar, charakterlich unterschieden wir uns wohl alle grundsätzlich, aber die Französin schmiss dann doch mehr nur mit Worten um sich, als direkt zur Waffe oder der Handgranate zu greifen, wie es ihre bessere Hälfte tun würde. Ich erwähnte außerdem, dass auch sie damals in Norwegen Einiges hatte einstecken müssen, auch wenn das meiner Meinung nach nicht alles gleich rechtfertigte. Man konnte seine Vergangenheit nicht für alles Zukünftige verantwortlich machen, das hatte ich inzwischen eingesehen. Nichtsdestotrotz hoffte ich so noch auf ein kleines bisschen mehr Nachsicht des Italieners, wenn er wusste, dass auch sie es nicht immer ganz leicht gehabt hatte. Er war schließlich mit einer der empathischsten Menschen, die ich je kennengelernt hatte.
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Immerhin sah Richard ohne sich zu beschweren ein, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sagte mir auch kurz darauf, dass er das wieder gutmachen wollte. Das war immerhin ein Anfang, auch wenn mir bis dato noch ziemlich schleierhaft war, wie er das anstellen wollte. Andererseits war mir das zu jenem Zeitpunkt der Wiedergutmachung wohl auch einfach erstmal egal, wo ich doch nichts davon hatte, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Er würde schon einen Weg dafür finden und war es mir nach dieser Aussage auch schlichtweg schuldig. Ich mochte leere Versprechen nicht. "Ich nehm' dich beim Wort.", ließ ich ihn mit einem noch leicht skeptischen Seitenblick wissen, dass ich mir seine Worte sehr gut merken und demnach auf besagte Wiedergutmachung warten würde, bis ich sie bekam. Auch wenn ich morgen wahrscheinlich schon weniger nachtragend sein würde, als ich das jetzt gerade war. Ich brauchte mir da selber kaum etwas vorzumachen und wusste, dass ich später, wenn auch nur ein Hauch Gras über die Sache gewachsen war, alles noch einmal hinterfragen und es dann wahrscheinlich auch besser nachvollziehen können würde. Jetzt gerade tunnelte ich ziemlich stark auf die Angst, dass Hunter der rothaarigen jungen Frau womöglich folgen würde. Dass er selbst oder einer seiner nicht weniger gewalttätigen Männer vorbeikommen und sie holen würde. Allein der Gedanke daran ließ einen Schauer an meinem aktuell doch leicht angespannten Rücken hinunterlaufen... wobei das andererseits auch daran liegen könnte, dass Richard fast im selben Moment seine Finger an meinen Nacken legte und mit der streichelnden Berührung ein leichtes Kribbeln an meinem Haaransatz auslöste. Ich drehte meinen Kopf aufgrund dessen automatisch in seine Richtung und suchte mit meinen Augen nach seinen. Es war natürlich ein kleines bisschen manipulativ mit Körperkontakt etwas Besänftigung herbeiführen zu wollen, aber andererseits hatte ich das auch selbst schon oft genug gemacht - wenn auch nicht bei dem Engländer - und zweitens müsste ich auch lügen, um zu sagen, dass mir das nicht gefiel. Gerade bei Stress und negativer Gemütslage konnte ein bisschen Streicheln immens dazu beitragen, die Situation erträglicher zu machen. Ich kappte den Gedanken daran automatisch, als der Dunkelhaarige dazu ansetzte mir zumindest eine kleine Information hinsichtlich Cosma zukommen zu lassen. Ihr Dachschaden war zwar wie erwartet nicht so groß wie Hunters, aber doch in gewissem Grad vorhanden. War vorhersehbar gewesen, weil - wie Richard so schön sagte - eine Beziehung zu dem Choleriker andernfalls noch weniger Sinn ergeben würde, als ohnehin schon. Man wusste wohl in einem von den beiden drinstecken, um zu wissen, was es damit auf sich hatte. "Naheliegend.", sagte ich im ersten Moment nur, atmete etwas tiefer durch. Wahrscheinlich war es auch unvermeidbar für sie gewesen, besagte Verluste zu erleiden, wenn sie in den selben Kreisen verkehrte wie Richard selbst. Seine Narbe erinnerte mich täglich daran, zukünftig lieber immer zweimal über meine Taten und Antworten nachzudenken. Es hatte schließlich seine Gründe, warum ich selbst nie etwas vom kriminellen Metier hatte wissen wollen. Man konnte von Glück reden, wenn man mit 40 noch lebte. Nicht zuletzt auch wegen den dort überall kursierenden Drogen. Wenn man ständig Leute sterben sah, konnte einem das leicht zu Kopf steigen und dann wollte man jenen sicher gern betäuben. "Das bringt ein Leben mit eurem Haufen zwangsweise mit sich, hab ich so das Gefühl.", stellte ich wiederum mit einer Prise Sarkasmus fest, obwohl das durchaus auch etwas Wahrheit in sich trug. Es war eben keine heile Welt, in der wir hier lebten, so von Verbrechern und hohen Geldsummen umgeben. Da machte wahrscheinlich Niemand gerne halbe Sachen und irgendwer litt dann immer drunter. Jetzt gerade war halt mal wieder ich derjenige, der Abstriche machen musste. Was ganz Neues. "Aber gut... solange sie sich benimmt, schmeiß ich sie zumindest nicht wieder raus.", murmelte ich nach wie vor nur semi-zufrieden vor mich hin und ließ mich etwas tiefer ins Polster sinken. Drehte den Kopf dabei wieder geradeaus und sah auf den schwarzen Bildschirm des nicht allzu großen Fernsehers. Ich glaubte nicht erwähnen zu müssen, dass Richard trotz meiner Toleranz der Rothaarigen gegenüber gut daran tat, sich mit der Lösungsfindung für eine neue Bleibe nicht zu viel Zeit lassen sollte. Apropos... "Du hast doch bei dir Zuhause eigentlich Platz." Man hätte in einem Cartoon jetzt die Glühbirne über meinem Schädel aufleuchten sehen können, als ich den Kopf plötzlich wieder zu dem Engländer drehte. Natürlich war Richards Bungalow nach seinen Ausrastern dort noch nicht renoviert worden, aber dann hatte er wenigstens einen guten Grund, damit anzufangen. Wobei er Cosma von mir aus auch vorher schon dorthin bringen und erst im Nachhinein mit dem Wände streichen anfangen könnte.
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Das konnte er auch ruhig, ich würde zu diesem Versprechen stehen. Normalerweise nahm ich es damit ja nicht ganz so ernst, versprach hier und da durchaus auch mal nur leere Worte, aber Sammy konnte sich ruhig auf das Gesagte verlassen. Mir würde schon irgendetwas einfallen, das ihn dazu bewegte, es mir nicht mehr ganz so krumm zu nehmen, dass ich Cosma ungefragt hierher eingeladen hatte. Ein erster Schritt schien die Streicheleinheit zu sein, durch die ich Samuele dazu bewegte, mich direkt anzusehen. Prompt wirkte der junge Mann nicht mehr ganz so angespannt und atmete einmal tief durch, was mein Lächeln nur noch breiter werden ließ. Was er darauffolgend noch zu Cosmas Dachschaden loswurde, ließ mich erneut leise lachen, während ich die Hand parallel dazu wieder an mich nahm. Allerdings verklang das Lachen auch schon recht bald wieder, weil die Thematik ein Stück weit ernster wurde und mir in dem Fall eher nicht nach Lachen zumute war. Schließlich hatte ich selbst schon so einiges in, beziehungsweise gerade wegen des Metiers verloren. Eine funktionierende Gesichtshälfte und meinen Verstand beispielsweise. Also ja, im Grunde hatte Sammy in dem Punkt absolut recht, was mich nachdenklich seufzen ließ. "Da magst du wohl Recht haben.", stimmte ich ihm gemurmelt zu. Meinen Blick wandte ich indessen von dem jungen Mann ab und richtete ihn stattdessen auf den kleinen Couchtisch vor uns, auf der momentan neben einer aktuellen Fernsehzeitung auch die Fernbedienung ihr Dasein fristete. "Aber ich schätze, vieles, das ich jetzt habe, hätte ich nicht, ohne die schwerwiegende Entscheidung getroffen zu haben, kriminell zu werden.", redete ich nachdenklich weiter vor mich hin, ohne dabei den Blick von dem Holz des Tisches abzuwenden. Schließlich wäre ich als Doktor der Kunstgeschichte nicht gerade reich geworden. Außerdem waren legale Berufe immer so anstrengend. Ein netter Ausgleich, wenn man zu vielen Hunters und Sabins begegnet war, ja, aber tagein, tagaus in die Uni zu spazieren und irgendwelchen Idioten immer und immer wieder den gleichen Mist zu erzählen... das war irgendwie nicht das, wonach ich strebte. Was irgendwie ironisch war, denn schließlich mied ich das Risiko für gewöhnlich. Aber gut, darum ging es jetzt ja aber auch gar nicht. Fakt war jedenfalls, dass ich zwar so etwas wie die Narbe nicht hätte und noch immer im schönen Norwegen wohnen würde, wenn ich nicht in Verbindung mit der kriminellen Sippschaft stehen würde. Auch der tiefe Fall in die Drogensucht wäre mir erspart geblieben, aber ich wäre vermutlich auch niemals über mich hinausgewachsen und hätte einen so tollen Mann wie Samuele kennengelernt. Ein trauriger Trost für all das Vergangene, aber ich wollte zumindest nicht alles tiefschwarz sehen. Schließlich sah momentan alles danach aus, dass sich auch mein Leben langsam wieder auf dem aufsteigenden Ast befand. Zumindest, bis Sammy eine zündende Idee hatte, die bei mir so überhaupt gar keinen Anklang fand. Ja, in meinem Bungalow hätte ich sicherlich eine Menge Platz für jeden von uns - schließlich hatte ich eine lange Zeit mit Tauren und Vahagn dort gelebt -, aber ich hatte noch zu große Angst davor, wieder alleine zu leben. Ohne eine mentale Stütze wie Sam, meine ich. Ich wäre in dem Sinne mit Cosma ja nicht gänzlich allein, aber ich bezweifelte, dass sie mich davor bewahren würde, irgendeinen Unfug anzustellen, bei dem mein jetziger Mitbewohner schon längst den Finger erhoben hätte. Also sah ich die Sache recht zwiegespalten. Der Ansatz war jedenfalls nicht verkehrt. "Ja, das... das stimmt schon." Grundsätzlich war es ja so. Die Küche und das Bad waren groß genug, Zimmer gab es auch eine Menge, aber... "Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist. Ich... bin mir nicht sicher, ob ich das schaffe.", gab ich mich nachdenklich, was meinen aktuellen Fortschritt anbelangte. Klar, ich arbeitete inzwischen wieder aktiv mit Drogen und hatte es bis jetzt geschafft, clean zu bleiben, aber wenn ich ehrlich sein sollte, dann lag das nicht nur an meinem eigenen Willen. Ich tat das gewissermaßen auch für Sam und jeden Abend absolut frei von Drogen nach Hause zu kommen, weil sonst die Hölle auf Erden los sein würde, gab mir ein Stück weit die notwendige Sicherheit. Wenn diese plötzlich wegfiel, wollte ich mir nur ungern ausmalen, was dann passierte. Ob mein Leben dann wieder Stück für Stück in seine Einzelteile zerfiel? Keine Ahnung. "Ich weiß nicht, ich... hab mich wirklich an das Leben hier... mit dir... gewöhnt.", fügte ich weiterhin nur gemurmelt noch ein paar Worte hinzu, die mir erstaunlich leicht über die Lippen kamen. Normalerweise war ich schlecht darin, mir so etwas einzugestehen, Gefühle offen zu zeigen, aber ich wusste, dass ich bei Sam damit keinesfalls auf taube Ohren stoßen würde. Ihm war das nicht egal und das war der springende Punkt des Ganzen. "Du bist zwar nicht aus der Welt, aber... irgendwie lebt man sich dann ja doch wieder auseinander. Das... muss das sein? Willst du das?" Natürlich wollte er das mit Sicherheit nicht. Sonst hätte er mir das schon auf andere Art und Weise ziemlich deutlich gemacht und mich keinesfalls so nah an sich herangelassen. Er sagte das jetzt sicher nur, weil es der so ziemlich einfachste Weg war, Cosma ein Dach über dem Kopf zu bieten und Hunter von Sammys Wohnung fernzuhalten. Trotzdem hatte ich irgendwie Angst, dass er mir meinen Fehltritt doch übler nahm, als er den Anschein erweckte und es als gute Gelegenheit sah, mich einfach auszuquartieren.
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Mit ziemlich großer Sicherheit wäre Vieles für Richard anders gelaufen, wenn er niemals den Untergrund voll zwielichtiger Geschäfte betreten hätte, ja. Daran gab es nichts zu rütteln, aber ich verstand um ehrlich zu sein trotzdem nicht, wie er es nach allem, was er schon durchgemacht hatte, nicht eher bereute. Es mochte sein, dass er dadurch auch gute Dinge erlebt hatte, die er nicht missen wollte... aber war das wirklich genug, um so eine Aussage zu rechtfertigen? Wahrscheinlich war das Ansichtssache, aber ich an Richards Stelle hätte wahrscheinlich längst mit dem Leben abgeschlossen. Mir die Kugel gegeben oder irgendeinen anderen Weg dazu gefunden - am wahrscheinlichsten war wohl eine Überdosis -, diese Misere zu beenden. Ich war einfach nicht für so ein Leben geschaffen. Ich war kein Draufgänger und ging Streit grundsätzlich aus dem Weg, beziehungsweise versuchte ihn zu schlichten, wo es nur möglich war. Auseinandersetzungen mit Sabin setzten mir schon genug zu, da wollte ich gar nicht wissen, wie ich reagieren würde, wenn mir wirklich irgendwer anders ernsthaft an den Kragen wollte. Ohne automatisch einsetzendes Adrenalin und Überlebensinstinkt würde ich vermutlich einfach ohnmächtig werden. "Ja, mag sein.", war schlussendlich alles, was ich dazu sagte. Ich hätte Richard lieber gesagt, dass er gut daran getan hätte nicht kriminell zu werden, an seiner Uni zu bleiben und folglich nie hier bei mir auf Kuba zu landen, aber ich wollte ihn dann doch lieber nicht in seinem Anflug von positiver Einstellung bremsen. Das war wichtiger, ließ sich die Vergangenheit doch ohnehin nicht mehr zurückdrehen. Dass er Cosma einfach nehmen und bei sich ins Haus stecken sollte, fand der Engländer wiederum so gar nicht witzig. Ihm war der Unwille dazu quer übers Gesicht geschrieben, als er bejahte, dass ich im Grunde Recht damit hatte, dass bei ihm Zuhause mehr als genug Platz war. Danach ließen seine Zweifel an meinem Vorschlag nicht lange auf sich warten und das wiederum löste ein innerliches Seufzen in mir aus. Ich verstand, dass er sich noch nicht wirklich bereit dazu fühlte wieder komplett auf eigenen Beinen zu stehen. Ich hätte damals nach meiner Selbstfindungsphase gut daran getan auch einen 24/7-Therapeut an meiner Seite zu haben. Es wäre dann auf jeden Fall schneller für mich bergauf gegangen. So sehr ich Richard inzwischen auch mochte, konnte ich aber nicht ewig so weitermachen. Ich unterstützte den Engländer inzwischen wirklich gerne, aber ich konnte nicht für immer sein Not-Aus-Knopf in allen Situationen sein. Irgendwann musste er lernen, auch allein wieder klarzukommen - ohne mich deshalb verlieren zu müssen, da konnte ich ihn beruhigen. Das Kopfschütteln meinerseits ließ nämlich nicht lange auf sich warten, als er mich mehr oder weniger danach fragte, ob ich ihn loswerden wollte. "Natürlich nicht.", war meine entschiedene Antwort darauf. "Ich will dich doch nicht abschieben, Richard. Aber ich will auch nicht noch tiefer in die ganze Scheiße reingezogen werden... am Ende gibt dieser Psycho mir noch die Schuld dafür, dass seine Freundin nicht nach Hause gekommen ist. Ich trau dem echt alles zu und ich häng' bisher noch an meinem Leben.", redete ich etwas planlos vor mich hin, beugte dann seufzend den Oberkörper nach vorne und legte den Kopf in die Hände, um mir übers Gesicht zu reiben. "Ich will nicht, dass du gehst. Aber ich will noch weniger, dass sie länger als nötig hierbleibt. Außerdem bin ich doch trotzdem noch für dich da... du weißt, dass du mich immer anrufen kannst." Die einzige Ausnahme davon bildeten die ein bis zwei Stunden Konferenz unter den Führungskräften der Café-Kette am Mittwoch, ansonsten ging ich ausnahmslos immer ans Telefon. Allerdings war eine Telefonleitung natürlich nicht das Gleiche, wie zusammen zu wohnen. "Und ich kann doch auch einfach zu dir kommen. Ich kann Bandit zwar nicht jede Nacht allein hier lassen, aber ab und zu geht das schon. Normalerweise hat mein Chef auch nichts dagegen, wenn ich mir den Dienstwagen vom Café ausleihe. Dem tut's sowieso gut, wenn er mal mehr gefahren wird.", meinte ich und zuckte schließlich mit den Schultern, als ich mich wieder aufrichtete. Ich brauchte das Auto nur seltener Mal um vom Café zum Anwesen des Inhabers zu fahren, wenn er irgendwelche Treffen dort ansetzte oder noch seltener mal um zwischen Trinidad und Havanna hin und her zu fahren, um irgendwas zu klären. Ansonsten wurde das Teil kaum gefahren und für die paar Fahrten hätte es auch ein Taxi getan, aber gut - ich hatte den Wagen ja nicht bezahlt. Wenn er schonmal da war, konnte er auch genutzt werden und so könnte ich wiederum auf Taxifahrten zu Richard verzichten. "Vielleicht wird es nicht ganz leicht für dich wieder auf eigenen Beinen zu stehen... aber es ist auch für dich selbst wichtig, dass du das wieder lernst, Richard. Ich kann doch nicht für immer deine 24/7-Notbremse sein...", gab ich ihm zu bedenken. Ich half ihm, wie schon gesagt, wirklich gerne und empfand es nicht mehr als große Last - aber wenn er sich mal irgendwann selbst aus der Patsche helfen musste, weil aus welchen Gründen auch immer weder ich, noch Sabin in der Nähe waren, dann musste er das selber geregelt kriegen. Im Idealfall kam er also schon vor dem Ernstfall wieder halbwegs gut allein zurecht.
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Dessen war ich mir durchaus bewusst - dass ich irgendwann lernen musste, wieder vollständig auf eigenen Beinen zu stehen, meine ich. Das änderte nur leider absolut gar nichts daran, dass ich das jetzt ganz einfach noch nicht wollte. Vielleicht war ich ja wider Erwarten tatsächlich bereit dazu, diesen Schritt zu wagen, aber ich wollte das gemachte Nest momentan nur äußerst ungern verlassen. Klar, Fortschritt war schön und gut und ich strebte das wieder unabhängig sein auch weiterhin an, aber war es denn so schlimm, wenn ich für ein paar Wochen noch diese Konstante beibehalten wollte? Einfach um auf Nummer sicher zu gehen - das Risiko, alleine nur wieder Mist zu bauen, zu minimieren? Eigentlich nicht, aber darüber streiten wollte ich mich mit ihm jetzt auch nicht. Nichtsdestotrotz klangen meine folgenden Worte recht schnippisch, weil mir, nachdem Sam seine Idee zum Besten gegeben hatte, schnell klar wurde, dass meine Zeit hier in der Wohngemeinschaft ein jähes Ende nehmen würde. Und wenn man mich fragte, dann war da wieder einmal niemand Geringeres, als Hunter selbst Schuld daran. Auch wenn er mir nicht gerade persönlich die Fresse polierte, schaffte er es doch immer wieder auf Umwegen, mir mein Leben schwer zu machen. Wirklich ein ganz toller Kerl, den sich Cosma da angelacht hatte. Hätte sie es nicht lieber mit Sabin versuchen können..? "Für dich scheint es ja ohnehin schon festzustehen, so überzeugt wie du klingst. Warum reden wir dann überhaupt noch darüber?", fragte ich mit einem Anflug von Genervtheit in der Stimme und rollte passend dazu mit den braunen Augen. Da konnten ihm auch die ganzen Assertionen á la 'Ich will dich doch nicht abschieden' oder 'Ich will nicht, dass du gehst' nichts dran ändern. Ich würde Sam zwar niemals unterstellen, dass er mir auf eine solch dreiste Art und Weise ins Gesicht log, aber ich vermutete, dass seine Angst vor dem Choleriker nicht der ausschlaggebende Punkt dafür war, dass er mein einstiges Eigenheim zur Sprache gebracht hatte. Vielleicht war es in seinen Augen ein super Vorwand, aber dass er derart an seinem Leben hing und ein Besuch des Amerikaners fürchtete, konnte er mir nicht erzählen. Schließlich musste man Hunters eines lassen... in den meisten Fällen handelte er ja fast schon... gerechtfertigt. Überzogen, gar keine Frage, aber ich konnte mich Stand heute nicht daran erinnern, dass er Jemanden zu Unrecht einer Strafe zugeführt hatte. Zumeist hatten sich alle seine Opfer einfach zu viele Rechte herausgenommen und ich wusste in dem Punkt schließlich, wovon ich redete. Da Samuele sich bis dato noch nichts weiter hatte zu Schulden kommen lassen, war mir schleierhaft, wieso Hunter ihn aus heiterem Himmeln plötzlich hängen sehen wollte. Aber gut. Wie auch immer. Fakt war jedenfalls, dass ich vermutlich sagen konnte, was auch immer ich wollte, es würde mir nur bedingt dabei helfen, meinen Willen durchzusetzen und bis die Rothaarige aus der Dusche kam und wir unser Gespräch unterbrechen mussten, wären wir ohnehin auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen. Sammy vertrat seine Ansichten und ich meine eigenen. War auch der Meinung, dass es einfach nicht das Selbe wäre, wenn er mich nur alle paar Tage besuchen kam oder wir lediglich miteinander telefonieren. Wir würden uns so ganz bestimmt mehr und mehr voneinander distanzieren und das war in meinen Augen noch vor allen anderen Bedenken meine größte Sorge. Ich wollte nicht, dass der junge Mann und ich uns entfremdeten, es fing doch gerade erst an, zwischen uns gut zu laufen. So richtig die Grenzen abgesteckt, was das jetzt eigentlich zwischen uns war, hatten wir zwar noch nicht, aber das war mir auch nur recht so. Auf diese Weise verdrängte ich die Verantwortung, die mit einer richtigen Beziehung einhergehen würde, erfolgreich aus meinem Oberstübchen. Mir gefiel einfach dieses ungezwungene, lockere Miteinander und das sollte jetzt schon wieder vorbei sein? Das konnte und wollte ich so nicht akzeptieren. Ein resigniertes Seufzen und das plötzliche Entspannen der tief ins Gesicht gezogenen Augenbrauen sollte das recht deutlich zeigen. "Ich... kann das ja alles verstehen.", lenkte ich nach einer kurzen Schweigeminute nach den schnippischen Worten ein. "Aber es geht mir in dem Punkt nicht um mich und meine Probleme allein. Es geht mir... einfach um uns. Dieses ganze... diese unklare Sache einfach. Ich hab kein Problem damit, wieder in meine eigenen vier Wände zu ziehen, nur würde ich... dich einfach gerne dorthin mitnehmen.", meine Worte wurden, je länger ich redete, immer leiser und ich grummelte irgendwann nur noch unzufrieden vor mich hin. Auch die vor der Brust verschränkten Arme und der abgewandte Blick machten wohl sehr deutlich, wie unangenehm mir das war, jetzt ja doch irgendwie und auch nur gewissermaßen zuzugeben, dass da zwischen uns einfach mehr war, als bloße Freundschaft und ich durchaus Interesse daran hatte, weiter mit ihm an Entwicklungen in diese Richtung zu arbeiten. Das Ausziehen oder Cosmas Besuch jetzt nicht mein primäres Problem waren, sondern vielmehr die Tatsache, dass ich Sam dann eben nicht mehr jeden Abend sehen würde. Niemand mehr da war, zu dem ich mich ins Bett schleichen konnte und mir auch kein klobiger Kater mehr jeden Morgen einen Herzinfarkt bereitete, wenn er sich plötzlich aus irgendeiner Ecke regte, sobald ich in der Küche irgendeine Art von Geräusch von mir gab.
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Das war jetzt aber nicht sein Ernst, oder? Ich konnte das hochgradig genervte Stöhnen, das sich meine Kehle hinaufbahnte, nicht unterdrücken. Ich für meinen Teil konnte manchmal selbst ein wenig dramatisch sein, aber Richard machte hier gerade wirklich aus einer Mücke einen Elefanten. Ich glaubte ihm schon, dass es einfach nur daran lag, dass er nicht hier weg wollte und konnte das auch verstehen. Aber war ihm denn so egal, wie es mir dabei ging? Zwar wusste ich inzwischen wohl mit am besten, dass er nur allzu gerne hier und da in Selbstmitleid versank, aber gerade übertrieb er in meinen Augen allgemein ziemlich maßlos. "Du kannst mir verdammt nochmal nicht vorwerfen, dass ich mich zumindest Zuhause sicher fühlen will!", zischte ich doch hörbar angepisst über den vorherigen Kommentar zu ihm rüber, die Augenbrauen dabei ein bisschen tiefer gezogen. Vielleicht hätte ich die Drogen damals wirklich sein lassen sollen. Nicht nur so ganz allgemein, sondern vor allem wegen meinem dann einsetzenden Hang zu viel Körperkontakt. Ich schüttelte diesen Gedanken zwar innerlich bald schon wieder ab, weil ich eigentlich ja doch ziemlich froh darüber war, wie die Dinge zwischen Richard und mir inzwischen liefen, aber auf eine Szene wie die aktuelle hätte ich bestens verzichten können. Was machte er denn jetzt so ein Drama darum? Ich hatte doch inzwischen schon mehr als einmal gesagt, dass es mir dabei nicht um ihn ging, sondern um sein neues, rothaariges Anhängsel und dessen potenzielle Probleme. Er konnte auch mit seinen noch folgenden Worten im Augenblick nicht wieder grade rücken, was er mit seiner patzigen Antwort zuvor angerichtet hatte. Das wiederum lag vielleicht auch an seinem jetzigen Tonfall, der zwar nicht mehr ganz so genervt, aber noch immer endlos unzufrieden klang. Deshalb schüttelte ich auch den Kopf und stand dabei von der Couch auf. So schwungvoll, dass ich damit Bandit auf der Rückenlehne ins Wackeln brachte und er beinahe nach hinten runter segelte. "Ich weiß wirklich nicht, was ich noch sagen soll. Ich hab dir jetzt schon mehrmals gesagt, dass ich trotzdem bei dir und für dich da bleiben werde. Wenn dir das nicht reicht tut's mir leid, aber dann ist das ganz einfach dein Problem. Mit diesem unnötigen Gezicke wirst du mich eher los, als wenn du ausziehst.", stellte ich nun wiederum absolut plump, wild gestikulierend und mit leisem Schnauben im Anschluss fest, weil er mir ganz einfach schrecklich auf die Nerven ging. Ich sah zwar sein Problem und da er aktuell nur wenige Menschen um sich herum hatte, denen er etwas bedeutete, war es ja bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar... aber sein Problem war nicht wirklich eins. "Das Problem, das du mit der Sache hast, ist nämlich nur eins, weil du eins draus machen willst.", trug ich meine Gedanken für ihn hörbar nach außen und schüttelte verständnislos den Kopf. Es hatte ja zum Beispiel auch noch Niemand hier gesagt, dass ich nicht irgendwann noch nachkommen würde. Zwar müsste der Engländer dann auch mit Bandit leben, weil der wegen eines Umzuges meinerseits natürlich nicht einfach abgeschoben werden würde, aber das brauchte noch Zeit. Wenn wir beide es nicht einmal hinbekamen uns über ein paar Monate mit räumlicher Distanz aneinander festzuhalten, brauchten wir alles andere ohnehin nicht zu versuchen. Cosma würde mit Sicherheit auch nicht ewig bei Richard wohnen. Zwar kannte ich den Amerikaner nicht mehr als für mich notwendig war, aber er schien mir Niemand zu sein, der oft und gerne schnell aufgab. Wobei ich die Umstände des Streits nicht kannte, vielleicht hatte er sie stattdessen selbst rausgeschmissen. Im Grunde war mir das aber auch wirklich scheißegal. Ich hörte die Badezimmertür aufgehen und seufzte deshalb ein weiteres Mal, weil wir mit der Diskussion hier eigentlich noch nicht wirklich fertig waren. Trotzdem wandte ich mich kurz von Richard ab, um in den Flur zu gehen und Cosma eine Frage zu stellen: "Willst du was trinken? Wasser? Tee? Es ist auch noch ein bisschen was vom Abendessen von gestern übrig, falls du Hunger hast…", gab ich trotz der für mich unakzeptablen Umstände den fürsorglichen Gastgeber. Was das anging konnte ich wohl einfach nicht aus meiner Haut.
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Sicherheit? Er wollte sich sicher fühlen? Ohne ihm damit zu nahe treten zu wollen, aber der Zug war inzwischen längst abgefahren. Selbst wenn Cosma hier keine Zuflucht gesucht hätte, war es nur allzu wahrscheinlich, dass Hunter hier nichtsdestotrotz auf der Matte stehen würde. Schlicht und ergreifend aus dem Grund, weil er überall nach ihr suchen würde, wo man sie tendenziell vermuten könnte. Vollkommen unabhängig davon, ob sie denn nun wirklich bei Sabin, mir oder wem auch immer untergekommen war. Selbst wenn ich mich mit meiner besten Freundin in meinem Bungalow verkroch, gab ich Samuele Brief und Siegel darauf, dass der Amerikaner trotzdem hier vorbeischauen würde. Selbst wenn sich der Italiener und die Rothaarige noch nicht kennengelernt hatten, lag es nahe, dass sie eventuell bei mir war und ich wiederum wohnte jetzt schon eine ganze Weile hier... Wohin uns das führte und worauf ich damit ganz allgemein hinaus wollte, musste ich also sicher nicht noch einmal betonen, oder? Ich hätte Sammy in dem Moment also ganz gerne die Hoffnung genommen, sich vor Hunter nicht fürchten zu müssen, weil er so oder so hier auftauchen würde, da sprang der junge Mann auch schon vom Sofa auf, um mir noch ein paar Worte an den Kopf zu knallen, die mich in meinem ohnehin schon nur wenig vorhandenen Stolz kränkten. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass es mich nicht tief in meinem Inneren traf, dass Sam mir unverblümt mitteilte, was ihm so durch den Kopf ging. Bezüglich uns und meinem Problem, welches nur eines war, weil ich es scheinbar so wollte. Ja, na klar. Das war in jedem Fall ein Statement, das mich schwer schlucken ließ und prompt war da wieder dieser Kloß in meinem Hals, der mir die Luft zum atmen nahm. Alleine, dass Sam ansprach, ich könnte ihn verlieren - ob nun durch meinen Auszug oder mein Gezicke war dabei vollkommen irrelevant -, ließ in mir eine leichte Panik aufsteigen. Ich wollte momentan vieles, aber ganz bestimmt nicht den jungen Mann an meiner Seite verlieren. Er war doch im Moment alles, was ich noch irgendwie hatte. Der Einzige, der bis jetzt wusste, was damals in dem Hotel passiert war und mit Abstand der Mensch, den ich momentan am liebsten um mich herum hatte. Der meinem Leben gewissermaßen wieder einen Sinn verliehen hatte und ohne den ich den Kopf wohl längst schon wieder in den Sand gesteckt hätte. Es war also absolut unangenehm, darüber nachzudenken, wie mein Leben laufen würde, wenn Samuele hier und jetzt den Schlussstrich ziehen würde. Schließlich wurde er für seine Verhältnisse auch relativ ungehalten, Grund zur Sorge bestand also allemal. Es spannte mich daher gelinde gesagt ziemlich auf die Folter, dass wir die Diskussion hier und jetzt nicht weiter fortführen konnten, weil Cosma inzwischen mit dem Duschen fertig war und zu uns ins Wohnzimmer aufschließen wollte. Schon auf dem Flur wurde sie allerdings von meinem Mitbewohner abgefangen, der mich damit kurzerhand mit dem Kater alleine im Wohnzimmer zurückließ. Ich sah dem Italiener und meiner Freundin noch kurz nach und stieß dann die angehaltene Luft aus meinen Lungen. Mein Blick senkte sich anschließend auf meine Hände, die ich unruhig auf meinem Schoß ineinander gefaltet hatte, bevor ich die Lider für einen Moment schloss. Nachdenklich biss ich mir auf der Innenseite der Unterlippe herum und schon bald breitete sich der unangenehme Eisengeschmack, den Blut nun mal so mit sich brachte, in meinem Mund aus. Aber auch der hielt mich nicht davon ab, damit weiterzumachen, ließ mich lediglich einmal tief durchatmen. Tja, und nun? Was war denn jetzt Fakt? Konnte Cosma wenigstens heute über Nacht bleiben? Oder sollte ich besser schon anfangen, meine Taschen zu packen? Nahmen wir uns dann ein Taxi? Holte Sabin uns ab und war letzterer überhaupt damit einverstanden, wenn ich wieder in mein Eigenheim zurückkehrte? Für meinen Geschmack waren da noch viel zu viele offene Fragen, über die ich sowohl mit Sam, als auch mit seinem älteren Landsmann gerne gesprochen hätte, aber momentan gestaltete sich das eher schwierig. Am Ende wäre es mir vermutlich ohnehin egal, was der ältere Italiener jetzt davon hielt oder nicht, das dürfte er dann mit Samuele besprechen, wenn ihm da etwas sauer aufstieß. Cosma sollte jetzt erst einmal die nötigen Kräfte sammeln, um mir auf der Straße nicht zusammenzuklappen, dann würde ich meine Taschen packen und noch vor Sonnenuntergang mit ihr verschwinden. In der nächsten Zeit wäre für etwaige Diskussionen mit Sam sowieso keine Zeit und sich nur anzuschweigen, während man aneinander vorbeilebte, war jetzt auch nicht so das Wahre. Vielleicht war diese Meinungsverschiedenheit ja der Arschtritt, den ich für den letzten Sprung zurück ins selbstständige Leben brauchte. Inzwischen wusste der junge Mann wohl einfach, welche Knöpfe er in meinem Hirn drücken musste und dass ich aus Trotz einfach überreagierte und mir Vieles viel zu sehr zu Herzen nahm, war eine gute Möglichkeit, mich erst einmal loszuwerden - was ja im Raum stand, ich aber eigentlich nicht wollte und ich ja trotzdem gehen würde, eben weil Sam es gerne so hätte, bla bla bla... -, nur damit man sich im Endeffekt dann wieder versöhnte und so trotzdem beide ihren Willen bekamen. Ich zog aus und lebte wieder einigermaßen selbstständig und der Italiener wäre trotzdem noch da. Klang ja eigentlich ganz simpel, fast so, als wäre das eine gängige Methode des um Meinungsverschiedenheiten für beide Seiten zufriedenstellend aus dem Weg zu räumen. War es natürlich nicht und es fiel mir auch unglaublich schwer, den Ausgang der Diskussion so zu akzeptieren, aber am Ende blieb mir ja doch nichts anderes übrig. Denn nein, ich wollte ihm eben nicht absprechen, sich in seinem Zuhause nicht sicher fühlen zu dürfen.
Wie war das noch gleich? Man lernte Dinge erst zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hatte? Wenn man mich fragte, dann traf diese Aussage den Nagel sowas von auf den Kopf. In meinem Fall war es die Dusche mit warmen Wasser, die ich wirklich vermisst hatte. Eine ganze Woche förmlich in seinem eigenen Körpergeruch zu ersticken war einfach nicht besonders schön gewesen und wenn der Schweiß erst einmal abgekühlt war - draußen war es zumindest so früh noch kälter, als in dem Raum mit dem Klimagerät -, dann wurde es gleich um ein Vielfaches unangenehm der Gestank. Ich war Samuele, wer auch immer er jetzt für wen auch immer war, dankbar, dass er mir schon recht bald nach meiner Ankunft die Tür zum Badezimmer aufzeigte, in das ich mich für etwas mehr als eine Viertelstunden dann auch verzogen hatte. Es brauchte mich erst einmal eine ganze Weile, bis ich die Klamotten losgeworden war, tat mir durch das Sitzen und der Tatsache, dass das Adrenalin langsam wieder abklang, jeder noch so kleine Muskel und damit auch jede Bewegung nur noch weh. Es war daher wie ein Segen für mein angespanntes Gemüt, bald schon das warme Wasser auf der Haut zu spüren und zum einen schlief ich unter dem Wasserstrahl beinahe ein, während ich zum anderen das Badezimmer nie wieder verlassen wollte. Nachdem ich an die fünf Minuten jedoch ausschließlich regungslos dagestanden hatte, ermahnte ich mich dann doch langsam mal dazu, mich einzuseifen und abzuduschen, um kurze Zeit später in frische Klamotten zu schlüpfen. Ich fühlte mich dadurch schon um einiges besser, wenn auch keinen Deut fitter. Geistig vielleicht, ja, aber gegen die körperliche Müdigkeit half wohl nur eine ordentliche Mahlzeit und eine Mütze Schlaf. Nachdem ich die getragenen Klamotten in eines von Sammys Handtücher eingerollt und in meiner Tasche verstaut hatte - ich wollte einfach nicht, dass der Geruch abfärbte, dem Italiener aber auch nicht meine Klamotten zum Waschen aufs Auge drücken, also musste er wohl damit leben, an mich ein Handtuch verloren zu haben, das ich ihm beizeiten aber sicher zurückgeben würde -, schlurfte ich also aus dem Bad zurück in den Flur und konnte schon von meiner Position an der Badezimmertür aus hören, dass Richard und Samuele sich angeregt zu unterhalten schienen. Allerdings bekam ich nicht viel von jener Unterhaltung mit, als ich meinen Kopf durch den Türrahmen zum Wohnzimmer streckte und dabei fast in den Italiener rannte, der im selben Augenblick die Türschwelle passierte. Mir im gleichen Augenblick eine Frage stellte, die mich ihn erst einmal irritiert anblinzeln ließ. Mein Hirn arbeitete lange nicht auf Hochtouren und es brauchte mich deshalb ein paar Sekunden, ehe ich verdutzt nickte. "Eh... j-ja... Tee und Essen klingen gut, danke.", beantwortete ich schließlich die an mich gerichtete Frage und folgte dem jungen Mann daraufhin in die Küche. Inzwischen dürfte mein Magen sicher schon geschrumpft sein, also würden mich klägliche Reste ganz bestimmt zufriedenstellen und der Tee spendete ausreichend Flüssigkeit, um mich nach den langen Tagen ohne ausreichend Wasser wieder einigermaßen zu hydrieren. Ich wurde also kurzerhand zu Samueles Schatten und folgte ihm eine Tür weiter, wo ich mich kraftlos auf einen der freien Stühle fallen ließ und darauf wartete, von ihm bedient zu werden. Normalerweise kümmerte ich mich da natürlich selbst drum, war ich dem Geld und der damit einhergehenden Dekadenz - wenn man sie denn wollte - noch nicht vollkommen verfallen, aber in fremden Gewässern streckte ich meine Fühler nur ungern weiter aus, als das unbedingt nötig war. Vor allem dann nicht, wenn ich mich körperlich nicht einmal im Ansatz zur Wehr setzen könnte. Sam machte mir jetzt zwar keinen besonders bedrohlichen Eindruck, aber ich musste einen Gefühlsausbruch seinerseits ja nun auch nicht unbedingt provozieren, wo er doch aktuell ohnehin etwas angespannt wirkte. Ich bedankte mich bereits für den Tee mit einem fast schon freundlichen Lächeln und einem dankbaren Nicken, bevor ich vorsichtig anfing, an dem Heißgetränk zu nippen. Es war - wie der Name schon implizierte - ziemlich heiß, weswegen ich die Tasse dann doch noch einmal beiseite stellte. Ich nutzte die Zeit, in der der Italiener mir die Reste vom Vortag warm machte, um eine ganz allgemeine Frage an ihn loszuwerden: "Und... wer bist du jetzt genau? Warum sollte ich hierher kommen?" Berechtigte Frage, wenn es nach mir ging, weil Richard bei sich Zuhause deutlich mehr Platz hatte und ich nicht ganz nachvollziehen konnte, welche Rolle Sam im Leben des Engländers nun eigentlich spielte. Ich hatte schließlich irgendwann aufgehört, zu versuchen, an ihn heranzukommen - deshalb ja auch die lange Funkstille, er wollte ja offensichtlich nichts mehr mit mir zutun haben - und dementsprechend war ich auch über seine aktuellen Lebensumstände nur wenig informiert. Offensichtlich schien er jedoch von den Drogen los zu sein oder war inzwischen am Tiefpunkt der Sucht angekommen, an dem täglicher Konsum zur Normalität geworden war, man ihm nichts mehr davon ansah, aber dafür wirkte mir Richard auf den ersten Blick zu... verändert. Nicht, als könnte ich das jetzt genauer beurteilen, war mein Urteilungsvermögen doch stark eingeschränkt. Aber selbst wenn, würde es noch immer nicht erklären, was Sam mit der ganzen Sache am Hut hatte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte nicht lange, bis Cosma eine Antwort von sich hören ließ. Die war zwar noch ein wenig stockend, aber der Inhalt kam trotzdem bei mir an und so setzte ich mich schwach nickend in Bewegung. Ich hörte, das sie mir folgte, auch wenn sie sich ruhig schonmal zu Richard hätte rübersetzen können. Mir machte ihre Anwesenheit in der Küche dennoch nichts aus und ich stellte in aller Ruhe das Teewasser hin. Versuchte dabei fieberhaft etwas runterzukommen und bewegte mich eben auch deshalb nur sehr gemütlich, damit ich dadurch vielleicht ein bisschen runterkam. Ich war nicht per se wirklich wütend, aber ich war einfach absolut genervt davon, dass gefühlt Niemand jemals meine Meinung oder Entscheidungen respektierte. Ich wusste zwar, dass das bei dem Engländer jetzt nichts mit der gleichen zwanghaften Unterdrückung zu tun hatte, wie das bei Sabin und Hunter der Fall war und dass er wohl wirklich nur so bockig reagierte, weil er nicht gehen wollte, aber es kratzte eben trotzdem an meinen Nerven. Also atmete ich einmal tief durch, als ich den Tee schließlich aufgoss, nachdem ich in der Zwischenzeit schon die Nudeln mit Pesto in die Mikrowelle gestellt hatte. Es war irgendwie dämlich, dass selbst ich als waschechter Italiener nicht selten die Nudelportionen falsch einschätzte und zu viele kochte. Für die Rothaarige war das jetzt natürlich aber gut, weil sie sich dann nicht mit einem Brot begnügen musste. Als ich ihr den Tee vor die Nase gestellt hatte dauerte es nicht lange, bis Cosma mir eine Frage stellte... von der ich zugegeben nicht ganz wusste, wie ich sie beantworten sollte. Mit Humor? Mit bitterer Ernsthaftigkeit, wie es eher meiner Gemüt entsprach? Vielleicht eine Mischung aus beidem. "Also zuerst mal... ist das hier meine Wohnung und Richard hat dich einfach hergebeten, ohne mich überhaupt zu fragen.", setzte ich sie erst einmal was das anging in Kenntnis, weil ich fand, dass das auch für sie keine irrelevante Information war. Ich klang an sich recht ruhig, aber es ließ sich vermutlich nicht ganz vermeiden, dass noch so ein Hauch von genervtem Unterton mitschwang. Nachdem das klargestellt war, kam ich dann zu mir selbst. "Ich bin der Vollidiot, der den Mund nicht halten konnte und deswegen Sydneys Petzerei zum Opfer gefallen ist. Und weil es für deinen... festen Freund oder was auch immer so schön einfach ist, verschiffe ich die blöden Drogen von Sabin und Richard mit dem Kaffee meines eigentlichen Chefs, dem eine ursprünglich mal vollkommen legale Café-Kette gehört. Eigentlich warte ich nur drauf, dass irgendeiner der Hunde am Hafen das Zeug doch mal riecht und ich in den Knast wandere.", redete ich mit der einen oder anderen Prise Ironie und Sarkasmus so vor mich hin. Etwa bei der Hälfte wendete ich mich aber wieder von der Rothaarigen ab, um die inzwischen warmen Nudeln nach dem unverkennbaren Signal aus der Mikrowelle zu nehmen. Im Anschluss nahm ich noch Besteck aus einer der Schubladen und drehte mich damit und mit dem Teller in der anderen Hand zu Cosma um, verpasste der Schublade dabei mit der Hüfte einen kleinen Schubs. Weder mochte ich offene Schubkästen, noch offen stehen gelassene Schranktüren. Ich stellte der jungen Frau auch den Teller mitsamt Besteckt noch vor der Nase ab, bevor ich zum Kernpunkt meiner derzeitigen Existenz kam. "Aber allem voran bin ich wohl Richards Therapeut. Sabin hat ihn vor einer halben Ewigkeit einfach bei mir hier abgeladen, damit ich ihn wieder grade biege so als normaler Mensch und seitdem wohnt er hier. Er kann jetzt wieder Meth kochen ohne dabei am Rad zu drehen, also wird er wohl bald zurück in seine eigenen vier Wände ziehen. Für drei Leute ist hier auch nur bedingt Platz, wenn er wieder einen Tag hat, an dem er aus mir unerklärlichen Gründen doch wieder auf dem Sofa schläft, statt ins Bett zu kommen. Ich weiß ja, dass er viel durchgemacht hat, aber manchmal versteh ich ihn echt nicht.", faselte ich fast ohne Punkt und Komma weiter vor mich hin und schüttelte beim letzten Satz den Kopf, zuckte zeitgleich mit den Schultern. Ich wusste nicht, woher dieser Redeschwall eigentlich kam. Andererseits war es wohl doch ein Stück weit naheliegend, dass ich mir alles Mögliche mal wieder von der Seele reden musste, weil... ja, weil ich irgendwie nicht mehr wirklich Jemanden hatte, dem ich mein Leid klagen konnte. Ich redete ja nur noch kaum bis gar nicht mit meinen eigentlichen Freunden und erst recht redete ich mit denen nicht über alles, was die kriminelle Sippschaft und damit auch Richard einschloss. Warum ich allerdings dachte ausgerechnet Cosma ein Ohr abkauen zu müssen war mir selbst ein Rätsel. Dass dieses Irgendwas zwischen ihrem ehemaligen besten Freund und mir lief konnte sie jedoch ruhig wissen, wo sie das über kurz oder lang doch ohnehin wahrscheinlich von ihm selbst erfahren hätte. Als mir klar wurde, dass ich für die junge Frau gerade wahrscheinlich furchtbar anstrengend war, weil ich sie mit unzähligen Worten überhäufte, seufzte ich hörbar, ließ mich auf den freien Stuhl gegenüber fallen und stützte mich mit den Unterarmen auf dem kleinen Tisch ab, nur um den Kopf ein weiteres Mal in die Hände zu legen. "Sorry... es ist gerade... oder eher seit Monaten alles ein bisschen zu viel für mich. Das solltest wirklich nicht du abkriegen.", entschuldigte ich mich bei Cosma, weil ich mich jetzt im Nachhinein doch nicht ganz wohl damit fühlte, sie so zugetextet zu haben. Deshalb sah ich sie dann entschuldigend aus den hellen Augen heraus an, als ich die Hände wieder hatte sinken lassen. Womöglich sollte ich für heute einfach selber einen Schlafsack unter den Arm nehmen und irgendwo am Strand schlafen. Vielleicht bekam ja die frische Luft meinen Kopf wieder klar.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Okay, okay, ganz ruhig, Brauner, schoss es mir durch den Kopf, als Samuele plötzlich anfing, mir seine Lebensgeschichte aufzutischen. Mir hätte die Information, dass er als Richards Therapeut fungierte und der Englänger deswegen bei ihm wohnte, vollkommen ausgereicht. Stattdessen schüttete er mir förmlich sein Herz aus, was ich in dem Augenblick jedoch mit nicht viel mehr als einem müden, aber sichtlich überforderten Blinzeln quittierte. Es brauchte mich allgemein eine halbe Ewigkeit, die Informationen in mich aufzusaugen, weil die Kapazitäten in meinem Oberstübchen durch die Sache mit Hunter eigentlich vollends ausgelastet waren. Deswegen schwieg ich wohl auch noch eine ganze Weile, nachdem Sam mir den Teller mit den Nudeln vor die Nase geschoben hatte, um davon erst einmal zwei bis drei sehr heiße Gabeln zu mir zu nehmen. Die kohlenhydratreiche Mahlzeit spendete mir daraufhin schon bald wieder etwas Energie, die mich trotz der weiterhin anhaltenden Abgeschlagenheit zumindest etwas wacher aussehen ließ. Auch das Denken fiel mir wieder um einiges leichter, auch wenn ich bei weitem noch nicht wieder vollends auf der Höhe war. Das lag nicht zuletzt sicher aber auch der Tatsache zugrunde, dass ich noch immer nicht wirklich verarbeitet hatte, was mir in der letzten Woche widerfahren war und das würde mich bestimmt auch noch ein paar Tage brauchen. Mich ein bisschen davon abzulenken tat mir jetzt aber sicher erst einmal ganz gut, weshalb ich mich nach der Hälfte des Tellers – mehr, so signalisierte mir mein sich verkrampfender Magen, konnte ich vorerst nicht essen – dann mit dem Gesagten des jungen Mannes mir gegenüber befasste. Vorher schob ich jedoch das Geschirr etwas von mir und murmelte ein „Danke… hat gutgetan.“, in Sams Richtung. Dann versuchte ich der Reihe nach, angemessen auf den für mich relevanten Input zu reagieren. Das hier war also Sams Wohnung – naheliegend, wo ich doch wusste, dass Richie sein eigenes Haus am Rande der Stadt hatte – und der Engländer hatte mich ohne vorherige Absprache mit dem Hausherrn einfach hierhin eingeladen. Perfekt, das warf ja schon mal ein sehr gutes Licht auf mich, wie mir schien. Gut, dass mein erster Eindruck bei meinen Mitmenschen ohnehin nicht wirklich positiv war, es mich aber auch nicht wirklich kümmerte und ich mich demnach auch nicht weiter dazu äußerte. War schließlich ein Kommunikationsproblem zwischen Richard und Sam, welches mich nur bedingt etwas anging. Die im Anschluss folgenden Worte waren dagegen durchaus interessant. Ich hatte am Rande natürlich bereits mitbekommen, dass Hunter den jungen Mann zu geschäftlichen Zwecken eingespannt hatte, weil er bei sensiblen Themen ein bisschen zu neugierig gewesen war, aber wo Sam in der ganzen Drogengeschichte letztlich eingesetzt wurde, wusste ich bis dato nicht. Da der junge Mann während seiner Erzählung nicht allzu begeistert aussah, nahm ich ganz stark an, dass er nicht besonders gern im kriminellen Metier unterwegs war. Seine ironisch angehauchte Aussage bezüglich meines festen Freundes bestätigte mir diese Annahme zusätzlich und zum ersten Mal seit etwas über einer Woche, zuckten meine Mundwinkel belustigt in die Höhe. Ja, dass Hunter ein absolutes Arschloch war, das wussten wir inzwischen wohl alle. Nichtsdestotrotz fand ich es zeitweise lustig mitanzusehen, wie sich ein Großteil seiner Mitmenschen von ihm herumschubsen ließ. Gut, unfreiwilligerweise gehörte ich seit der letzten Woche wohl auch dazu, aber es war ja nicht so, als hätte ich mich wirklich aktiv zur Wehr setzen können. Weder war ich bewaffnet gewesen, noch konnte ich rein körperlich gesehen mit dem Muskelpaket mithalten. „Im Knast müsstest du dich dann wenigstens nicht mehr um Richard kümmern und gute Barista sind da eine Rarität, habe ich gehört.“, stellte ich also erst einmal etwas ironisch angehaucht die Behauptung in den Raum, dass es so schlimm hinter schwedischen Gardinen für den jungen Mann gar nicht sein konnte. Indessen zog ich wieder die Teetasse an mich und nahm einen vorsichtigen Schluck von dessen Inhalt, der inzwischen angenehm temperiert war. Dass ich meine Aussage nicht wirklich ernst meinte, musste ich wohl nicht extra erwähnen, oder? Gerade hier auf Kuba war ich selbst nicht besonders erpicht darauf, in den Bau zu wandern, hörte man von den Gefängnissen hier ab und an doch die reinsten Gruselgeschichten. Allerdings machte ich mir darüber nicht ansatzweise so viele Gedanken wie der Italiener mir gegenüber, weil ich mit dem kriminellen Dasein einfach meinen Frieden geschlossen hatte. War auch besser so, weil ich auf kurz oder lang sicher krank vor Sorge geworden wäre. In letzter Zeit sah ich es mit den Bullen und dem kein Aufsehen erregen im Allgemeinen relativ gelassen und musste mich dringend dazu ermahnen, mich langsam mal wieder etwas mehr am Riemen zu reißen. Nur, weil ich mir in Norwegen einiges hatte rausnehmen können - das Gebiet war entweder nicht auf dem Schirm der Justiz gewesen oder sie hatten es bewusst gemieden -, konnte ich von diesen Rechten hier auf Kuba nicht ausgehen und ungeachtet Hunters überzogener Lektion war es an der Zeit, mich mal wieder etwas diskreter zu verhalten.Aber das war ein anderes Thema, hier ging es schließlich gerade nicht um mich, sondern um Richards weinerlichen Mitbewohner, der scheinbar gerne vollkommen Fremden sein Herz ausschüttete. Da war er bei mir ja an der absolut richtigen Adresse. Ich nahm noch einen weiteren Schluck Tee, bevor ich schließlich fortfuhr: "Man, ich hätte auch gerne so ein interessantes Leben.", murmelte ich und der Anflug von einem sarkastischen Unterton ging in einem erschöpften Gähnen unter. Im Grunde wäre das der Wink mit dem Zaunpfahl für den jungen Mann gewesen, um ihm zu signalisieren, dass mich seine Lebensgeschichte eigentlich gar nicht wirklich interessierte, denn ich war aktuell eher weniger in der Position, ihm das direkt ins Gesicht zu sagen. Andere Optionen, als hier bei Sam die Nacht zu verbringen hatte ich gerade nämlich nicht. Letztlich war es aber nur das milde Lächeln, was darauf hinweisen könnte, dass ich ihn gerade aufziehen wollte, denn der Sarkasmus war gar nicht zur Geltung gekommen und es schien, als meinte ich meine vorangegangene Aussage ernst. Allerdings war ich ja noch gar nicht fertig gewesen, also setzte ich schon bald zu weiteren Worten an. "Aber ich verstehe... du scheinst ja nicht gerade begeistert über deine Beförderung zu sein. Bei einem so umgänglichen Menschen wie Richard hat man doch fast keine Arbeit." Während ich den ersten Satz noch durchaus ernst meinte, triefte der letzte Satz nur so vor - diesmal hörbarer - Ironie. Schließlich wussten wir beide inzwischen zu Genüge, wie anstrengend der Engländer werden konnte, wenn er seine fünf Minuten - oder auch fünf Stunden - hatte. Ich beneidete Sam definitiv nicht um seinen Posten, aber ungeachtet dieser Tatsache, irritierte mich noch etwas ganz anderes an seiner Aussage. "Moment...", murmelte ich, als mir langsam so richtig klar wurde, worauf er mit seinen Worten hinauswollte. Dass das nicht bloß irgendeine Redewendung oder Umschreibung für etwas war, sondern... "Ihr schlaft in einem Bett?", platzte mir die Frage förmlich heraus, noch bevor ich den Gedanken hatte zu Ende denken können. Ich meine, nicht, dass mich das etwas anging oder dass das irgendwie schlimm wäre. Es... warf nur ein paar Fragen auf, für die ich aktuell eigentlich nur wenig Kapazitäten hatte.
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Als Cosma sich für das Essen bedankte zuckten meine Mundwinkel zumindest kurzzeitig nach oben und ich nickte schwach. "Gerne.", unterstrich ich meine Gesten noch mit ein paar Worten, die so auch stimmten. Ich mochte nicht wirklich begeistert davon sein, dass die Rothaarige potenziell den amerikanischen Pitbull anlocken könnte, aber das änderte nichts daran, dass ich gerne half. Auch war ich grundsätzlich gerne der Gastgeber, weil ich es mochte, wenn sich Leute bei mir wohlfühlten - was eigentlich Jeder tat - und ich ihnen hier und da ein paar Kleinigkeiten anbieten konnte. Ich machte das gerne. Dennoch wollte ich die junge Frau eben nur ungern länger als notwendig bei mir haben, wegen dem Hunter-Risiko. Zwar wusste ich, dass ich grundsätzlich auch ohne sie wahrscheinlich absolut nirgends außer im tiefsten Sibirien vor dem Choleriker sicher wäre, wenn er es wirklich drauf anlegte mich zu finden und zur Strecke zu bringen, aber ehrlich gesagt überstand ich meine aktuellen Lebensumstände nicht ohne die eine oder andere kleine Illusion. Sonst kam ich gar nicht mehr runter, war von meinem früheren Leben doch im Grunde nichts mehr übrig - bis auf meine Arbeit, aber selbst die zog ich ja schon in mein zweites Gesicht mit rein. Ob ich jemals wirklich Frieden damit schließen würde so zu leben? Ich wünschte mir in jedem Fall so gut Witze über meine Lage reißen zu können, wie Cosma das tat. War das der Weg, wie man besser mit solchen Dingen zurechtkam? Indem man die Situation einfach nicht mehr ernst nahm und sie stattdessen ins Lächerliche zog? Es konnte in jedem Fall kein schlechterer Ansatz sein als mein diesbezüglich bis jetzt anhaltender Pessimismus. Vielleicht sollte ich auch damit anfangen, die Sache mit ein bisschen Ironie und Sarkasmus zu kaschieren. Irgendwann glaubte ich es mir dann unter Umständen tatsächlich selbst, dass es eigentlich ja gar nicht so schlimm war, solange ich mir nur nichts zu Schulden kommen ließ. So seufzte ich schließlich und winkelte den rechten Arm auf der Tischplatte an, um das Kinn auf meiner lockeren Faust abzustützen. "Und was heißt das genau? Werd' ich deswegen dann mehr oder weniger missbraucht?", stellte ich ihr mit hochgezogener Augenbraue trocken ironische Fragen, auf die ich nicht wirklich eine Antwort brauchte. Wenn ich wirklich irgendwann hinter Gittern landete, dann würde ich da sowieso nicht lange bleiben - vollkommen ungeachtet meiner Stellung als Barista. Gerade in einem kubanischen Knast dürfte es kein Problem sein an genug Drogen zu kommen. Im Notfall könnte mir Richard ja welche vorbeibringen... ha, ha. Auf Cosmas nächste Feststellung hin konnte ich gar nicht anders, als leise zu schnauben. "Tauschen?", antwortete ich auch an dieser Stelle mit einer durchweg sarkastischen Frage. Mal ganz abgesehen davon, dass das nicht ging, würde ich das auch gar nicht wollen, weil... "Ach ne, warte. Hunter will ich nicht, den kannst du behalten.", amüsierte ich mich dann doch mit ein paar sarkastischen Worten auf ihre Kosten. War vielleicht ein klein wenig taktlos angesichts ihrer Lage, aber ich hatte ja nicht um ihre Anwesenheit hier gebeten. Zwar war Cosma mir bis jetzt noch relativ sympathisch, aber ich wartete förmlich darauf, dass ihr besagter Dachschaden noch irgendwie zum Vorschein kam. So wie das bei jedem Menschen der Fall zu sein schien, der Richard irgendwie nahestand. Bei dem Engländer selbst natürlich auch - schon vor den erlittenen Foltereskapaden wohlgemerkt. Ich verdrängte es gerne, aber ich hatte keineswegs vergessen was er mit seinen Eltern angestellt hatte. "Ich weiß, dass es mich eigentlich nichts angeht... aber hat er dich rausgeworfen oder bist du geflüchtet? Ich wüsste ganz gerne, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass er mir heute noch die Tür eintritt.", hakte ich nach, der Tonfall allerdings eher verhalten und nicht drängend. Wie gesagt ging es mich eigentlich nichts an, aber es wäre eben schon wissenswert und mehr Details als dieses eine wollte ich auch gar nicht haben. Wenn ich nicht mal das bekam würde ich das auch hinnehmen, wäre allerdings durchaus ärgerlich. Es hatte eine ganze Weile gedauert, aber schließlich schien die Rothaarige zu merken, dass zwischen Richard und mir was lief. Sie sah überraschter aus, als ich erwartet hatte. Wusste sie nicht, dass der Dunkelhaarige schwul war? Entweder das, oder aber sie hielt es einfach für unrealistisch, dass wir beide etwas miteinander hatten, weil wir in ihren Augen nicht zusammenpassten oder was auch immer. So oder so war sie kurzzeitig sichtlich irritiert von meiner Aussage, also nickte ich ihre Worte noch einmal ab. "Ja. Meistens eben. Er hat Tage, an denen ihm das irgendwie immer noch unangenehm ist, wegen... gewisser Ereignisse in Norwegen." Ich zuckte mit den Schultern. Mehr würde ich Cosma darüber natürlich nicht erzählen, hatte der junge Mann mir das schreckliche Ausmaß seiner Entführung doch im Vertrauen erzählt. "Warum wundert dich das so?", bohrte ich was das anging der Neugier wegen nach, wobei ich aber doch sehr entspannt und neutral klang. Je länger ich mich mit der Rothaarigen unterhielt, desto ruhiger wurde ich tatsächlich. Einfach nur zu reden half wohl selbst in einer Situation wie meiner ganz gut.
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Man könnte fast meinen, Sam und ich kannten uns schon eine halbe Ewigkeit, so ausgelassen, wie wir hier miteinander plauderten. Dabei war ich mir nicht einmal wirklich sicher, was ich von dem jungen Mann denn nun eigentlich halten sollte, aber in Anbetracht der Tatsache, dass sich meine sozialen Interaktionen der letzten Woche ausschließlich auf Hunters Kontrollbesuche im Keller beschränkt hatten, müsste ich lügen, würde ich behaupten, dass ich der netten Unterhaltung abgeneigt war. Samuele war zwar vermutlich niemand, mit dem ich täglich besonders lange quatschen könnte, aber er schien mir auf den ersten Blick ein vernünftiger Kerl zu sein. Passte damit als absolutes Gegenteil zu dem verrückten Engländer, der nach der Diskussion von gerade eben wohl noch schmollend im Wohnzimmer saß. Zumindest war er bis dato nicht zu uns in die Küche gekommen und da er ja eigentlich erpicht darauf war, ein Gespräch mit mir zu führen, gab es sicher einen guten Grund, dass er nicht bereits im Türrahmen stand, um mich aus den Armen des Italieners zu reißen, damit er mir ein Ohr abkauen konnte. Ich nahm mir zwar vor, gleich einmal nach ihm zu sehen - auch wenn ich gerade vielmehr diejenige war, auf die man besser ein Auge hatte -, aber das Gespräch mit Sam abrupt zu unterbrechen stand mir ehrlich gesagt nicht im Sinn. Ich würde die Unterhaltung also noch so lange führen, bis sie sich im Sande verlief oder ich schlichtweg keine Lust mehr hatte. Dann war ich dazu bereit, das angekratzte Ego von Richie zu streicheln. Vorerst konzentrierte ich mich allerdings erst einmal wieder bedingungslos auf meinen Gegenüber, dem nicht so recht einzuleuchten schien, was für Vorteile ihm sein Barista-Dasein im Gefängnis brachte. Dabei war das doch eigentlich offensichtlich, oder? Das Resultat aufgekochter Bohnen war schließlich ein sehr begehrtes Produkt - auch bei Häftlingen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sich richtig guter Kaffee äußerst positiv auf das Launenbarometer auswirkte und das wiederum würde seinen Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen ganz bestimmt erträglicher machen. Andererseits würde es ihn aber auch nicht mehr oder weniger anfällig für gewisse... Übergriffe werden lassen, hatte das eine nur wenig mit dem anderen zutun. Deshalb zuckte ich auch nur ein bisschen ratlos mit den schmalen Schultern, wusste nicht so recht, was ich darauf jetzt am besten erwiderte. Also schwieg ich das Thema lieber tot und widmete mich stattdessen dem nächsten. Das Angebot war ja wirklich verlockend - so für ein paar Tage das Leben zu tauschen war sicher interessant -, aber selbst wenn er nicht kurz darauf schon wieder zurückgerudert wäre, hätte ich es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht angenommen. Schlichtweg aus dem Grund nicht, weil ich mich inzwischen an mein jetziges Leben gewöhnt hatte und mich ein normales Leben sicherlich langweilen würde. Außerdem... ja, müsste ich dann die Beziehung zu einem mir bis dato eigentlich sehr wichtigen Menschen aufgeben und sie an Sam abtreten. Dass ihm dieser Gedanke ganz und gar nicht behagte, machte er mit seinen noch folgenden Worten recht deutlich und auch an der Stelle wusste ich nicht genau, wie ich jetzt am ehesten reagieren sollte. Einerseits war das Verhältnis zwischen mir und dem Amerikaner wirklich zum mit dem Kopf schütteln, andererseits liebte ich ihn und mir gefiel nicht, dass der Italiener unsere Beziehung mit seinem blöden Spruch indirekt ins Lächerliche zog. Weil ich für eine Diskussion oder gar einen Streit jedoch keine Kraftreserven mehr opfern konnte, war ich quasi gezwungen, das Ganze mit Humor zu nehmen, um mich nicht unnötig aufzuregen. "Wenn du immer so eine ängstliche Mimose bist, könnte er mit dir vermutlich auch nicht besonders viel anfangen.", stellte ich mit einem Hauch von Belustigung in der Stimme fest, dass Hunter - mal ganz ungeachtet der Tatsache, dass er nicht schwul war -, mit so einem Würmchen nur bedingt etwas anzufangen wusste. Der Amerikaner war nun mal von stürmischer Natur. Entweder, man kam dagegen an und damit klar oder aber man wurde von dem Choleriker ungespitzt in den Boden gestampft und zwar gnadenlos. In dem Punkt war es wohl also besser, wenn alles so blieb, wie es war, wobei ich ehrlich gesagt noch nicht wusste, inwieweit ich das eigentlich noch wollte. Hunters Fels in der Brandung zu sein, meine ich. Zwar hasste ich mich für den Gedanken schon wenige Sekunden später, weil ich ihm versprochen hatte, ihn nicht so einfach aufzugeben, aber das war nach der Aktion irgendwie... schwierig. Es fiel mir unglaublich schwer, das Ganze aus seiner Sicht zu sehen und damit nachvollziehen zu können. Vielleicht wollte ich das im Augenblick aber ja auch noch gar nicht, sondern erst einmal ein bisschen stinkig auf ihn sein. Hunter damit auch mal zeigen, dass er sich eben nicht alles erlauben konnte und ich durchaus bereit dazu war, zu gehen, um gegebenenfalls notwendige Distanz zu ihm aufzubauen. Ob ihn das letztlich interessierte oder nicht wusste ich zwar nicht, aber es half zumindest mir dabei, mich ein wenig besser zu fühlen. Was die nachfolgende Frage meines Gegenüber anging, schwieg ich erneut einen Augenblick, sah ihn einfach nur wortlos an. Währenddessen wägte ich für mich ab, was es mir bringen würde, Sam darüber zu berichten, denn er hatte Recht, wenn er sagte, dass ihm das eigentlich nichts anging. Ich war fast verleitet, ihm doch einen blöden Spruch an den Kopf zu werfen, der ihm überdeutlich machen sollte, dass mir das für die kurze Zeit, die wir uns kannten, eindeutig zu persönlich war, aber was spielte der Grund, warum ich hergekommen war, eigentlich für eine große Rolle? "Ich... bin geflüchtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass er nach mir suchen wird ist dementsprechend hoch, aber ich denke nicht, dass er in den nächsten Stunden hier aufschlagen wird. Es... ist ein bisschen kompliziert und definitiv nichts, worüber ich mich mit dir unterhalten werde.", beantwortete ich gleich beide Fragen des Italieners mit einer Antwort. Stellte auch sofort klar, dass er viel mehr diesbezüglich nicht aus mir herausbekommen würde. Ich ihm keine Gründe nennen wollte, warum ich abgehauen war oder was Hunter mit mir angestellt hatte. Das hatte ihn einfach nichts anzugehen. Genauso wenig ging es mich vermutlich an, was zwischen den beiden jungen Männern lief, dass sie sich gemeinsam ein Bett teilten, aber auch ich war natürlich ein bisschen neugierig und da ich schon wirklich lange nichts mehr von dem Englänger gehört hatte erst recht. Sammy erläuterte kurz, dass Richard wohl die meisten Nächte neben ihm im Bett verbrachte, bedingt durch die Vorkommnisse in Norwegen - er wusste also, was passiert war? - zog sich der junge Mann mit der auffälligen Narbe im Gesicht aber auch ab und an aufs Sofa zurück und an dem Punkt angekommen verstand ich nur noch Spanisch. Warum mich das so überraschte, wollte er wissen? Na, weil ich bis dato davon nichts wusste! Weder von Richards Vorlieben, noch von... hm, na ja, so ziemlich allem, was in der letzten Zeit so vorgefallen war oder wie er sich entwickelt hatte. Das war sicher ein Grund, warum er mit mir reden wollte - um mich mal wieder auf den neuesten Stand zu bringen. "Ich find's einfach... komisch.", murmelte ich nachdenklich. "Nicht, dass er... also... er ist schwul?", wollte ich eigentlich geraderücken, dass ich nicht seine geschlechtlichen Präferenzen merkwürdig fand, sondern einfach... das Alles im Allgemeinen. Dann aber überschlugen sich meine Gedanken und am Ende war wohl auch dem letzten Idioten auf der Welt klar, dass ich eben nicht wusste, dass mein bester Freund auf Männer stand, weil ich mir die blöde Frage sonst sehr wahrscheinlich gespart hätte. "Er hat's mit keinem Sterbenswort erwähnt. Zumindest kann ich mich nicht dran erinnern." Ob Richie mir bewusst nie etwas gesagt hatte? Oder hatte er es vielleicht getan und ich hatte es überhört, ignoriert oder anderweitig nicht zur Kenntnis genommen? Möglich war das schon, schließlich hatte ich damals in seiner Anwesenheit nicht selten auf Durchzug geschalten, wenn er mir mal wieder zu viel quatschte.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Eine Mimose. Ich war also eine Mimose. Na schönen Dank auch. Ich kam nicht umher die Augen flüchtig nach oben zu rollen und zu seufzen. Wahrscheinlich war ich in ungefähr jedem kriminellen Augenpaar ein absoluter Waschlappen, aber das kümmerte mich nicht. Bis heute war ich immer gerne so gewesen, wie ich nun einmal war. Ich hatte ein gutes Herz und vielleicht war es manchmal auch etwas zu weich. Das war in Ordnung so. Es musste nicht jeder der draufgängerische Schlägertyp sein und es musste weder Cosma, noch Hunter gefallen, wie ich war. Solange ich mit mir selbst im Reinen war - wobei das momentan auch nur bedingt der Fall war -, war ich mit mir zufrieden. "Die Mimose bietet dir bis jetzt noch an, auf dem Sofa zu schlafen. Es hat schon seine Gründe, warum ich kein Teil der italienischen Mafia werden wollte... und auch jetzt nur unfreiwillig Teil einer anderen geworden bin. Ich hätte mir das Auswandern nach Kuba wohl echt sparen können.", stellte ich resigniert fest. Bisher musste ich zwar noch keine allzu schlimmen Dinge für die jetzt in Kuba ansässige Pseudo-Mafia erledigen, aber mir schwante was das anging wirklich schon Böses vor. Ob ich irgendwann Jemanden umbringen müssen würde? Selbst, wenn es nur zu meinem eigenen Schutz wäre, wäre ich danach sicher ein anderer Mensch, der ich eigentlich nicht sein wollte. Ich hätte einfach in Italien bleiben und mich meinem Schicksal fügen sollen. In Europa sahen sie es mit meinem bisexuellen Lebensstil auch weniger streng. Aber gut - es war jetzt, wie es war. Ich war eine Mimose und so oder so nicht für diese ganze Scheiße gemacht. Cosma schien nicht wirklich begeistert darüber zu sein, dass ich sie nach der Ursache für ihr Auftauchen hier gefragt hatte. Dass sie es wirklich für nötig hielt mir zu sagen, dass ich sonst nichts weiter darüber erfahren würde, wunderte mich hingegen schon. War ihr bis jetzt noch nicht aufgefallen, dass ich mit mehr Taktgefühl gesegnet war als... der hier anwesende Rest? Ich löste mich aus der leicht nach vorne gebeugten Haltung und sank mit dem Rücken entspannt zurück an die Lehne des Stuhls. "Ich will sonst auch gar nichts darüber wissen. Ich hätte dich nicht mal das gefragt, wenn ich anders abwägen könnte, womit ich rechnen muss.", meinte ich schulterzuckend, dass ich durchaus zu den Menschen gehörte, die gewisse Grenzen akzeptierten und die es auch nicht störte, mal hier und da im Ungewissen gelassen zu werden. Es interessierte mich ja in diesem Fall auch nicht mal. Allein deswegen schon, weil Hunter involviert war, wollte ich nicht mehr darüber wissen, als nötig war. Einfach weil ich das Gefühl hatte, dass es mir besser damit ging nicht noch mehr über seinen kranken Schädel herauszufinden. Mir reichten schon die gefühlten Millionen an Berichten über seine Taten, die ich durchforstet hatte und bei denen nicht immer ganz eindeutig war, ob wirklich er der Täter war, weil er einfach gut im Vertuschen war, wie mir schien. Ich schüttelte die Gedanken daran mit einem innerlichen Kopfschütteln ab, weil es ganz einfach nicht hilfreich war. Stattdessen widmete ich mich lieber der offenbar anhaltenden Verwirrung seitens der Rothaarigen, die daraus resultierte, dass der Engländer wohl noch nie erwähnt hatte, dass er vom anderen Ufer war. Dass sie es komisch fand ignorierte ich größtenteils und nahm ihr das auch nicht sofort übel - auch ungeachtet dessen, dass sie es wieder zurücknahm. Es wäre ja nicht gerade das erste Mal, dass es Jemand nicht auf Anhieb allzu toll fand, dass ich potenziell sowohl Frauen, als auch Männer in mein Bett ließ. Da war das Wörtchen komisch noch eine der mildesten Umschreibungen, zumal es ja auch gar nicht so gemeint war. Das machte Cosma deutlich genug. "Das ist schon witzig." Ich klang doch ein bisschen amüsiert darüber, dass sie keine Ahnung von Richards Neigungen hatte. Es wäre eigentlich naheliegend gewesen, weil sie ja mal sowas wie beste Freunde gewesen zu sein schienen. Immerhin war das ja nicht gerade ein unwichtiges Detail im Leben des Engländers. Da es nun mal weniger Schwule als Heteros gab, wurde Dating und all das grundsätzlich schwieriger. Man sollte eigentlich meinen er hätte was das anbelangte also schon Redebedarf gehabt. Hatte er dann überhaupt jemals mit Irgendwem darüber geredet? Außer mit Verflossenen, meine ich. Man tauschte sich unter Gleichgesinnten doch öfter mal aus, wenn denn welche greifbar waren. Ich hatte zwar das Glück, dass auch meine Freunde diesbezüglich sehr offen waren und mir immer zugehört hatten, wenn ich mal über etwas hatte reden wollen, aber es war trotzdem nochmal was anderes, wenn man mit Jemandem darüber sprach, der das selbe Problem hatte. Es war natürlich eigentlich keins, wurde von anderen Menschen aber gerne zu einem gemacht, wenn sie nicht gut darauf zu sprechen waren. "Naja, dann... weißt du's wohl jetzt. Und ich weiß nicht, ob ich dir das dann überhaupt hätte sagen dürfen. Ausgezeichnet.", hängte ich noch ein paar teils ironische Worte an. Mir war allerdings schleierhaft, was Richard dagegen haben sollte. Schließlich war das ein Teil von ihm und wer das nicht akzeptierte, der konnte getrost Leine ziehen. Es wäre vielleicht auch mal an der Zeit ihm zu sagen, dass ich gar nicht schwul, sondern bisexuell war. Nicht, dass das für die Beziehung zwischen uns irgendwie relevant war, aber vielleicht war es das für ihn aus irgendwelchen Gründen. In jedem Fall wäre es nicht verkehrt ihm das mal mitzuteilen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Erneut sorgte Samuele mit seinen Aussagen dafür, dass mir die Augenbrauen nur so in die Höhe schossen. Jedoch war weniger der Inhalt der Grund dafür und vielmehr die Tatsache, dass sich so einiges in das Gesagte hineininterpretieren ließ, wenn man denn wollte. Und wenn ich mit meiner Vermutung gerade richtig lag, dann schien Sam mit der italienischen Mafia irgendwie in Verbindung zu stehen oder gestanden zu haben und das... war wohl ein ziemlich großer und zudem unangenehmer Zufall, wenn man mich fragte. Schließlich war nicht jeder italienische Staatsbürger automatisch auch das Mitglied einer Großfamilie und die Wahrscheinlichkeit, gerade hier - mitten im Nichts - auf ein potenzielles Anhängsel zu stoßen, wo wir uns doch vor ihnen versteckten, war eigentlich schwindend gering. Nichtsdestotrotz saß Sam mir jetzt gerade gegenüber und plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich mich überhaupt noch mit ihm unterhalten wollte. Zwar glaubte ich nicht daran, dass er aktuell eine besonders große Gefahr für uns darstellte, weil Hunter sicher seinen Background gecheckt hatte - vielleicht sogar mit Sabin zusammen, der in die Thematik ja deutlich verstrickter gewesen war -, aber es kroch mir trotzdem eine leichte Paranoia den Rücken nach oben. Was wäre denn, wenn unser guter Sammy hier nur ein falsches Spiel spielte und ein extrem guter Schausteller war? Ich schüttelte den Gedanken, kaum hatte ich ihn zu Ende gedacht, schnell wieder ab, wollte mich jetzt hier nicht verrückt machen. Schließlich würde er sich wohl kaum einen Pflegefall wie Richard aufbinden lassen, wenn er die Möglichkeit dazu hatte, Hunter die Stirn mit ausreichend Backup zu bieten. Ich steckte den Gedanken, Samuele könnte eine ernsthafte Bedrohung darstellen, also wieder in eine Kiste und schob diese zurück unter das imaginäre Bett in meinem Oberstübchen. "So schlimm sind wir jetzt ja nun auch wieder nicht.", stellte ich eher beiläufig fest und jetzt war es an mir, mit den Augen zu rollen. Ja, das Leben war vielleicht nicht immer einfach und auch ich hatte nicht selten mal Lust, einfach alles hinzuwerfen, aber es brachte rein gar nichts, sich nicht langsam mit dem Lebensstil abzufinden, weil er sich schlichtweg nicht mehr ändern würde. Sabin war ein gutes Beispiel dafür, schließlich hatte auch er einst vorgehabt, seiner Vergangenheit den Rücken zu kehren und jetzt? Jetzt verdiente er sein Geld ja doch wieder wie Drogen. "Du solltest echt anfangen, dir langsam mal einen dickeren Pelz zuzulegen, nicht alles zu persönlich zu nehmen und aufhören, in der Hinsicht in Selbstmitleid zu baden. Es ist jetzt nun mal so, wie es ist. Versuch' einfach, das Beste draus zu machen.", gab ich ihm einen fast schon gut gemeinten Rat mit auf seinen künftigen Weg, obwohl mir solch ruhige, fast schon vernünftige Worte eigentlich gar nicht ähnlich sahen. Ich vielmehr immer nur genervt aufstöhnte, wenn ich mitbekam, wie jemand sich dagegen sträubte, sein Schicksal zu akzeptieren. Aber ich war dafür gerade wohl schlichtweg zu müde und noch hatte Sam mir ja auch noch nichts getan. Ich hatte also keinen Grund, ihm gegenüber kratzbürstig zu werden. Noch nicht, jedenfalls. Auch, dass er nicht weiter nachzuhaken versuchte, was zwischen Hunter und mir vorgefallen war, brachte ihm ein paar imaginäre Pluspunkte ein und ich nickte seine Aussage vorerst stillschweigend ab. Lediglich ein knappes "Gut, okay.", kam mir gen Ende noch über die Lippen und ich hob die Teetasse für den letzten Schluck an. Über den Rand der Tasse hinweg ruhte mein Blick in dem des Italieners, der mir nun noch mal unmissverständlich bestätigte, dass mein bester Freund jahrelang ein ziemlich großes Geheimnis vor mir gehabt zu haben schien. So im Nachhinein erklärte das zwar Einiges - warum er nie eine Freundin gehabt hatte, beispielsweise -, aber es kam trotzdem ziemlich überraschend für mich. Gerechnet hatte ich damit in keinem Fall und wissen, wie ich damit jetzt umgehen sollte, tat ich auch noch nicht so genau. Im Grunde genommen änderte das ja an der Beziehung zwischen Richard und mir nicht wirklich etwas, aber na ja. Just in dem Moment, als ich ein weiteres Mal nickte und abwinken wollte, dass es sicherlich nicht so schlimm gewesen war, dass er mir das jetzt mitgeteilt hatte, stand allerdings der junge Mann im Türrahmen, über den wir uns gerade unterhalten hatten und bestätigte die Annahme seines Mitbewohners mit einem knappen "Eigentlich nicht, nein." Daraufhin sah ich erst Richard, der alles andere als begeistert aussah, dann Sam und dann wieder Richard an, zuckte im Anschluss nur schwach mit den Schultern. "Weiß ehrlich gesagt nicht, wo das Problem liegt.", ließ ich den Engländer wissen, dass er keine Angst vor einer homophoben Freundin haben musste. Was ging mich denn das Privatleben - und allem voran das Sexleben - anderer an? Schließlich würde ich auch jedem den Vogel zeigen, der wissen wollte, was zwischen Hunter und mir manchmal so abging, wenn die Schlafzimmertür ins Schloss fiel. Richie schien das nur leider überhaupt nicht zu interessieren - dass es mich nicht störte, auf welches Geschlecht er nun abfuhr, meine ich -, denn sein Gesicht glich von der Farbe her einer reifen Tomate. Entweder, weil ihn gerade die Wut auf Sammy packte oder er sich dafür schämte, dass ich nun wusste, was zwischen den beiden Sache war.
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Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich irgendwann mal von Irgendjemandem sowas zu hören bekam, oder? Wahrscheinlich schon. Zwar hatte ich von Sabin ohnehin schon ab und an mal stell dich nicht so an zu hören bekommen, aber das hier war doch nochmal eine deutlich detailliertere Version jener Worte. Es stand ganz außer Frage, dass man einen dicken Pelz brauchte, wenn man es im kriminellen Metier zu was bringen oder zumindest überleben wollte. Nur wollte ich das alles eben gar nicht und ich wollte auch nicht glücklich damit sein. Wollte nicht meine ganze Lebenseinstellung plötzlich für dieses dreckige Pack ändern, nur weil sie allesamt der Meinung waren, die halbe Insel terrorisieren zu müssen. Ich hätte Cosma also wirklich gerne an den Kopf geworfen, dass schlicht und ergreifend nicht jeder so ignorant sein konnte, wie sie das alle waren. Ich konnte weder darauf scheißen, was ich anderen Menschen mit meinen Taten antat - allen voran aktuell meinem Chef, der ein riesiges Problem haben würde, sollte der Stoff in seinen Kaffeebohnen entdeckt werden - noch konnte ich so tun, als wäre das alles schon irgendwie okay. Dafür war ich nicht gemacht und es war einfach nichts, wofür ich stehen wollte. "Nimm's mir nicht übel, aber da unterscheiden sich unsere Meinungen echt massiv und das wird sich vermutlich so schnell nicht ändern.", war am Ende allerdings alles, was ich kopfschüttelnd zu Alledem noch sagte. Ich hielt Hunter und absolut alles, was irgendwie zu ihm gehörte, schlichtweg für schlecht und das würde sich nicht ändern. Nicht mehr in diesem Leben. Ich war ja selbst Sabin gegenüber sehr geteilter Meinung. Er war an sich schon in Ordnung, aber wenn er mir dann plötzlich mal wieder mit seinem absolut herrischen Tonfall ankam, weil ich irgendwas gesagt hatte, was ihm nicht ganz so gut in den Kram passte, dann wendete er das Blatt immer wieder. Ich mochte Richard inzwischen sehr gerne, hatte mich an ihn gewöhnt, aber ich konnte schlecht auch mit dem Rest monatelang mal eben unter einem Dach wohnen, nur um mich an sie zu gewöhnen. Andererseits hätte sicher jedem einzelnen davon die eine oder andere Therapiestunde echt gut getan, hatten sie doch allesamt so ihre ganz eigene Version von einem Sprung in der Schüssel. Zum Glück war das nicht wirklich mein Job. Tja, was die Sache mit Richards sexueller Neigung anging hatte ich mich wohl astrein selbst in die Scheiße geritten. Aber woher hätte ich das auch wissen sollen? Wir hatten ja schon zwei, drei Mal über Cosma gesprochen und es hatte nicht den Eindruck gemacht, als wäre das eine Sache, die ich vor ihr hätte verheimlichen müssen. Dass Richard das gerade offensichtlich ganz anders sah als ich selbst, war allerdings nicht zu übersehen. So hatte ich ihn nun schon eine ganze Weile lang nicht mehr gesehen. Am Anfang seiner Zeit bei mir in der Wohnung war er doch öfter mal etwas ausgetickt oder anderweitig mental hochgefahren, aber das letzte Mal war lange her und deshalb war mir das jetzt wohl auch recht unangenehm. Nicht mal Cosma schien das Problem zu sehen oder gar zu verstehen. Deshalb seufzte ich hörbar, nachdem ich für zwei, drei Sekunden zu Richard gesehen hatte. Richtete den Blick dabei auf die Tischplatte vor mir, weil die mich wenigstens nicht so ansah. "Dann tut's mir leid. Ich hatte keine Ahnung, dass du damit nicht... offen umgegangen bist, wo ihr euch doch schon so lang kennt. Ich dachte das wäre anders.", redete ich nur mehr gemurmelt vor mich hin, ohne den Engländer anzusehen. Gab mich was das anging einfach von vornherein geschlagen, weil ich im Augenblick schlichtweg keine Nerven dafür hatte, mich nun ausgerechnet auch noch darüber mit ihm zu streiten. Mir reichte schon das andere Thema an dicker Luft, also würde ich hierbei einfach freiwillig den Kürzeren ziehen. Mir nicht das Recht rausnehmen ihm zu sagen, dass er für meine Begriffe auch das gerade wieder deutlich problematischer sah, als es eigentlich war. Mir schien als würde er die Unstimmigkeiten heute förmlich suchen und ich war wenig motiviert dazu, mich dem noch ewig lange auszusetzen.
**ZS vong... idk, paar Wochen halt. Bisschen Zeit vergehen lassen schadet nicht, weil Hunter braucht ja auch Zeit um zu Sinnen zu kommen LOL**
Ich hatte wirklich gedacht, dass jetzt alles besser werden würde. Ich war zwar nicht dumm genug, um zu glauben, dass mein Leben nun plötzlich vollkommen ruhige Bahnen einschlagen würde, aber dass es mit der Adrenalin-Kurve wieder so steil bergauf gehen musste, war wirklich der Horror. Iljah als meinen Ausweg von so ziemlich allem sehen zu wollen war nicht nur naiv, sondern nicht weniger als sehr blauäugig gewesen. Als der zynische Amerikaner seine Sachen gepackt und mitsamt Vahagn abgehauen war, war es ein paar Wochen tatsächlich erst einmal sehr ruhig geworden. Ich hätte fast denken können meiner Vergangenheit ein Schnippchen geschlagen zu haben, während der Schwarzhaarige in aller Ruhe seine Wunden auskurieren konnte. Was mich selbst betraf konnte ich mich ein paar Wochen lang nur mehr schlecht als recht bewegen. Man brauchte für fast alles, was man tat, nun mal seine Hände und Arme. Die wiederum hingen an meinem Dekolleté fest und die Einschnitte begannen jedes mal aufs neue wie verrückt zu brennen, wenn ich einen der Arme nur ein bisschen zu weit ausstreckte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich mein Spiegelbild gerade im Anfangsstadium der Heilung kaum ertrug. Es stürzte mich nur in die nächste Krise mit mir selbst, dass Hunter für jeden für immer sichtbar gemacht hatte, dass ich eine Lügnerin war, dass man mir lieber nicht vertrauen sollte. Ich wusste, dass ich eine Strafe verdient hatte... aber das? Gerade Iljah gegenüber war das furchtbar und ich lief wochenlang nur mit bedecktem Oberkörper in seiner Gegenwart herum. Wollte nicht, dass er es sah, obwohl er das früher oder später sowieso tun würde. Es war die reinste Psycho-Tour und es förderte das ohnehin schon gebrochene Vertrauen zwischen dem jungen Mann und mir nicht gerade. Das allein war trotzdem noch irgendwie erträglich gewesen. Inzwischen hatte mein Leben wieder einen Gang hochgeschalten und mich erfolgreich daran erinnert, was ich im Vergangenen verbockt hatte. Es war zwar ohnehin unwahrscheinlich gewesen, dass Hunter wirklich alle der Sorokin-Anhänger umgelegt hatte, aber schmerzlicherweise waren offenbar mehr davon übrig, als ich angenommen hatte. Sie schienen es deutlich mehr auf mich abgesehen zu haben, als auf den Schwarzhaarigen an meiner Seite. Erst wurde ich nur hier und da mal verhältnismäßig unauffällig verfolgt, dann aber spitzte sich die Lage immer weiter zu. Anastasia fing mich mal in der Straßenbahn ab, um mir zu sagen, dass ich zusehen sollte, dass ich wegkam. Sie war zu einer anderen Gang weiter verschleppt worden, wo sich ein paar der übrigen Sorokins angeschlossen hatten. Ksenia hatte schon unter Folter dran glauben müssen, was mir den ersten tiefen Stich im Herzen versetzte. Schließlich war das meine Schuld. Es wunderte mich, dass Anastasia mir absolut gar nichts übel zu nehmen schien. Allerdings musste dazu gesagt werden, dass sie allgemein total abwesend und nicht gerade bei Sinnen wirkte. Drogen wahrscheinlich. Das war der erste große Warnschuss und es dauerte danach tatsächlich nur ein paar Tage, bis ich um mein absolut zerbrechliches Leben rannte, weil irgendein Wahnsinniger mit einem Messer hinter mir her war. Er zerkratzte dem Taxifahrer mit einem Hieb noch das Heck, während ich ihn anbrüllte, dass er verflixt nochmal endlich losfahren sollte. Völlig egal wohin. Wieder ein paar Tage später folgte ein abartig stinkendes Paket mit einem Teil von Sergejs Unterarm an der Haustür. Das Tattoo auf der verwesenden Haut hatte ich zu oft gesehen, um nicht zu wissen, wem es gehörte. Natürlich hing demGeschenk auch eine geschrieben Drohung bei, die kaum unmissverständlicher hätte sein können. Sie wollten mich nicht weniger als mausetot sehen. Offensichtlich war ich absolut nicht sicher in Moskau und das veranlasste Iljah dazu langsam in Erwägung zu ziehen, mich hier wegzubringen. Ich wollte das nicht. Wollte nicht von ihm getrennt werden, wo ich momentan doch sowieso schon das Gefühl hatte, dass unsere Beziehung zueinander noch so zerbrechlich und das Vertrauen noch nicht restlos wieder da war, was sicher ohnehin noch eine ganze Weile dauern würde. Ich konnte ihn dazu überreden mich erst einmal zu meiner Mutter und meinen Geschwistern reisen zu lassen, wo jene doch zwei Stunden von Moskau entfernt und etwas abgelegen wohnten. Leider war das nicht weit genug weg. Selbst dahin schien mir das lästige Pack zu folgen und ich hatte sie damit geradewegs zu meiner Familie geführt. Zwei Männer - einer davon war meiner Erinnerung nach ein entfernter Onkel der toten Brüder - brachen mitten in der Nacht ins Haus ein und es folgten ein paar verstörende Stunden. Meine Schwester wurde immer wieder ekelhaft an Stellen angefasst, wo definitiv keine fremden Hände hingehörten, während sie meine Mutter damit terrorisierten, dass sie mir hier und da mal ein Messer an die Kehle hielten oder mich schlugen. Letzteres allerdings für meine Begriffe verhältnismäßig sanft - ja, die Ohrfeigen taten weh, aber es hinterließ zumindest keine Platzwunden. Da war die Lektion seitens Hunter wirklich die Schlimmere gewesen was körperlichen Schmerz anbelangte. Es war meinem Bruder zu verdanken, dass wir lebend aus der Sache rauskamen, weil er letzten Endes nach Hause kam und absolut todesmutig die Schrotflinte des überwiegend unbeteiligten Wachmanns nahe der Haustür an sich riss, damit beide vorerst vertrieb. Allerdings machte er bei mir damit gleich weiter. Sagte mir, dass ich endlich aus ihren Leben verschwinden sollte, weil ich doch sowieso ewig lange nichts von mir hatte hören lassen und mehr als nur ein paar Probleme mit nach Hause gebracht hatte. Fragte mich danach, ob ich sie alle umbringen wollte. Meine Mutter sagte nichts dazu, weil sie das gar nicht konnte. Sie hörte - genauso wie meine Schwester - stundenlang nicht auf zu weinen. Ich hingegen fühlte mich nur noch tot und vollkommen taub, als das Adrenalin aus meinem Körper verschwunden war und trotzdem wusste ich, dass mein Bruder Recht hatte. Dass ich gehen musste, damit zumindest sie noch fast sowas wie Frieden in ihrem Leben erreichen konnten... und das auch nur, wenn sie umziehen würden, was ich ihnen noch riet, bevor ich ging. Denn ich rief bei Sonnenaufgang ein Taxi, das mich zurück nach Moskau bringen sollte. Hinterließ bei meiner Familie nichts als Zerstörung und weinte auf der Rückfahrt eine kleine Weile lang stumm vor mich hin. Sah durch mit verschleierter, leerer Sicht durch die Fensterscheibe und fragte mich, wo ich jetzt noch hin sollte. Wo der Schwarzhaarige mich hinbringen würde, wenn er gleich von der nur ein paar Stunden zurückliegenden Misere erfuhr. Die Erschöpfung steckte mir tief in den Gliedmaßen, als ich den Fahrer schließlich bezahlte und ausstieg, um die Auffahrt zum Familienhaus der Gniweks entlang zu schlurfen. Die Sonne schien und kitzelte mir die immer noch sehr roten Wangen, konnte meine Stimmung aber kein bisschen anheben. Es war erst 7 Uhr, als ich die Haustür aufsperrte - wenn Iljah länger im Büro war als ich, dann brauchte ich schlichtweg einen - und alles in allem verhielt ich mich dabei doch bemüht leise, obwohl ich ganz genau wusste, dass der Schwarzhaarige längst auf den Beinen war. Im Gegensatz zu mir arbeitete er wieder sehr regelmäßig und war gerade vermutlich mit seiner ersten Tasse Kaffee beschäftigt. Ich wartete nur so darauf, wie er vollkommen irritiert den Kopf aus dem Küchentürrahmen steckte und mich fragte, was zum Teufel ich hier machte, weil ich eigentlich mindestens eine Woche hatte wegbleiben wollen und vorgestern erst abgereist war.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es war wieder einer dieser Tage, an denen ich mich für diesen ganzen Scheiß wirklich eine Spur zu alt fühlte. Trotz einer guten Mütze voll Schlaf war ich absolut unausgeruht, gestresst und wäre deshalb am liebsten einfach liegengeblieben, als mein Wecker gegen sechs Uhr in der Früh losging. Für fünf, vielleicht auch zehn Minuten rollte ich mich tatsächlich noch mal unzufrieden durchs Laken, ehe ich mit einem Seufzen schließlich aufstand und nur wenig motiviert den Weg in Richtung Bad einschlug. Dort in die Dusche stieg, die mich leider auch nicht nennenswert wacher werden ließ. Aber immerhin war da nicht mehr dieser penetrante Schweißgeruch, welcher aus der unruhigen Nacht resultierte. Den inzwischen sicher schon... sechsten oder siebten Tag in Folge, wohlgemerkt. Seit der Psychoterror rund um Irina angefangen hatte, war mein Schlaf nur noch schlechter geworden, als er das ohnehin schon war und richtig erholen tat ich mich definitiv nicht mehr. Glücklicherweise hatte ich meine Wunden inzwischen vollständig auskuriert - von den psychischen Folgen der Folter mal ganz abgesehen -, weil ich ansonsten wohl schon längst mangelnder Kraftreserven das Zeitliche gesegnet hätte. Ich ging auf dem Zahnfleisch und hatte gehofft, Irina bei ihren Eltern vorerst in Sicherheit wissen zu können, damit auch ich mal wieder etwas zur Ruhe kam. Es schlauchte mich von Tag zu Tag mehr, Irina nicht die starke und schützende Schulter bieten zu können, die sie im Augenblick brauchte, aber seit ihrem Verrat ließ Hunter sie keine seiner Zahlen mehr schmieren, also musste ich das kurzerhand übernehmen. Im Umkehrschluss blieb dann neben meiner regulären Arbeit nur noch wenig Zeit für die junge Frau und ich war ehrlich gesagt wirklich froh, dass ihr bis dato noch nichts wirklich Schlimmes zugestoßen war. Von der Narbe über ihrem Dekolleté mal ganz abgesehen war sie körperlich unversehrt, lediglich ihre Psyche litt unter der anhaltenden Tyrannei der Überbleibsel aus dem Sorokin Clan. Es wurde von Tag zu Tag immer schlimmer und ich wusste so langsam wirklich nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Ich war für das Metier eher unüblich verhältnismäßig einfühlsam - wenn ich nicht gerade meine fünf Minuten hatte - und hatte immer ein offenes Ohr für Irina gehabt, wenn sie mir von den Gräueltaten berichtete, aber es gab eine Sache, die nervte mich einfach. Dass sie seit der Sache mit Hunter noch tiefer in Selbstmitleid badete, als ohnehin schon. Angefangen hatte es mit jener Narbe auf der Brust, die sie anfangs vor mir geheim gehalten hatte. Schon zu dem Zeitpunkt war ich mäßig angefressen davon gewesen, wie sie mit der Situation umging, aber ich hatte gehofft, es würde sich besser, wenn ich ihr erst einmal zeigte, dass sie für mich weiterhin mit einer der schönsten Frauen auf diesem Planeten blieb. Klar, der Schriftzug war hässlich und würde definitiv nicht mehr verschwinden, aber wenn sie nackt vor mir stand, dann achtete ich gewiss auf etwas ganz anderes. Trotzdem zierte sich die Schwarzhaarige in den letzten Woche, sich vor mir aus- oder umzuziehen, was ich eingangs nur mit einem Kopfschütteln quittierte, ansonsten aber nichts dazu sagte. Wenn sie Zeit brauchte, das zu verarbeiten, sollte sie sich die ruhig nehmen. Erst, als es Tage später noch immer ein Problem darstellte, fing es an, mich zu ärgern. Dachte Irina denn wirklich, ich würde so ziemlich alles, was ich hatte, in ihr Leben investieren, nur um sie dann wegen dieser blöden Narbe von mir zu stoßen? Sie mochte mich vielleicht nicht besonders gut kennen, aber doch gut genug, um sich die Frage eigentlich selbst beantworten zu können. So gerieten wir also nach einer gewissen Zeit auch deswegen hier und da mal aneinander und ich war zwischenzeitlich tatsächlich froh, förmlich in Arbeit zu ertrinken, weil ich die junge Frau dann nicht um mich herum hatte. Sie mir nicht das Ohr abkauen konnte, wie schlimm und blöd doch alles war. Als wüsste ich das nicht selbst schon. Aber anders als Irina versuchte ich mich damit abzufinden und wünschte mir nicht mehr, als ein bisschen Nähe und Zuneigung von ihrer Seite. Was musste ich denn tun, damit sie ihre Zweifel mir gegenüber ablegte und ich sie wieder nackt - oder zumindest halbnackt - sehen und auch anfassen konnte? Ich überlegte fieberhaft, aber auch nach mehreren Tagen war ich zu keiner brauchbaren Antwort gekommen. Stattdessen spitzte sich lediglich die Lage rund um die junge Frau nur noch mehr zu und so befürwortete ich schließlich, dass sie für ein paar Tage zu ihren Eltern fuhr. Nach einem sorgfältigen Check war ich mir eigentlich sicher, dass sie dort vorerst in Sicherheit wäre, aber diese Annahme sollte sich schon bald als falsch und naiv herausstellen. Ich saß nach der ausgiebigen Dusche gerade noch am Frühstückstisch, das letzte Stück Brot, welches ich mir kurz darauf in den Mund schob, in der einen und der Kaffeebecher in der anderen Hand, sah ich gerade gedankenverloren an die gegenüberliegende Wand. Schlief beinahe im Sitzen ein, auch wenn der Inhalt der Tasse schon längst meine Kehle hinuntergelaufen war. Ein Geräusch aus dem Eingangsbereich weckte schließlich mein Interesse und ich sah müde in Richtung Tür. Es tat sich jedoch nichts und nach einem Blick auf die Uhr, entschloss ich mich dann doch dazu, aufzustehen und nachzusehen. Michail war um diese Uhrzeit nämlich längst noch nicht wach und da mir die kläglichen Reste der Sorokins ein Stück weit zu dreist wurden, indem sie sich meinem Haus immer und immer mehr näherten, war ich ein wenig besorgt, gleich ein fremdes Gesicht zu erblicken, als ich meinen Kopf mit der nötigen Vorsicht durch den Türrahmen steckte. Auf dem Weg hatte ich mir noch eines der Messer aus dem Messerblock gekrallt, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Meine Waffe hatte ich im Gegensatz zu Hunter nicht bereits nach dem Aufstehen am Mann, aber gänzlich unbewaffnet einem möglichen Einbrechen gegenüberstehen wollte ich dann auch nicht. Wider Erwarten war es aber gar kein Fremder, der im Eingangsbereich des Hauses herumlungerte, sondern Irina. Die eigentlich noch eine Weile bei ihren Eltern sein sollte. Ich ahnte schon nichts Gutes, so aufgelöst wie die junge Frau mir gegenüberstand und ohne weiter nachzufragen, seufzte ich. Legte dann das Messer ab und trat wortlos auf die zierliche Gestalt zu, um sie in meine Arme zu schließen. Irgendetwas war sicherlich passiert und ich wollte schon präventiv beruhigend auf Irina wirken. Also legte ich meine Arme um ihren Körper, wie ich es damals am Lagerfeuer getan hatte, als sie zu mir in den Mantel geflüchtet war. "Hey... was machst du hier? Ist was passiert?", flüsterte ich ihr in den Haaransatz. Fragte bewusst nicht, ob alles okay war, denn wenn es so wäre, würde sie sicherlich nicht so aufgelöst hier herumstehen. Die Frage war nur, ob ich überhaupt wissen wollte, was geschehen war, wo ich doch momentan alles andere als die Nerven dafür hatte, mir noch mehr Wege zu überlegen, Irina in Sicherheit zu wissen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wie ich bereits geahnt hatte ließ Iljah nicht lange auf sich warten. Ich hatte gerade erst die Jacke an die Garderobe gehängt und die schwarzen Boots von den Füßen geschoben, als er mit einem Messer bewaffnet der Ursache der morgendlichen Störung auf den Grund ging. Die Klinge legte er allerdings schon bald bei Seite und schloss stattdessen zu mir auf, um mich in seine Arme zu ziehen. Trotz unserer zeitweiligen Differenzen gab es noch immer keinen Ort, wo ich mich sicherer fühlte, als in seinen Armen. Es war ein Segen mal für einen Moment lang die Augen zumachen zu können, während er für mich die Umgebung im Blick hielt. Zwar schienen wir noch recht sicher bei ihm Zuhause zu sein, aber wer wusste schon, was die Überbleibsel des Kartells sich als nächstes ausdachten... also hielt ich einfach nur inne und sog mit einem tiefen, bebenden Atemzug den Geruch des jungen Mannes ein. Er roch nach Zuhause, nach Sicherheit. Es war schon wieder sehr ironisch, wie ich vorher doch immer so unabhängig hatte sein wollen, mich nie auf irgendeinen Mann hatte einlassen oder gar verlassen wollen und nun wusste ich gar nicht mehr, wie ich es ohne die starken Schultern überhaupt noch schaffen sollte. Selbst jetzt, wo er nie wirklich viel Zeit für mich übrig hatte, war es trotzdem gut zu wissen, dass er da war. Auch wenn er mich bis dato nicht wirklich vor den letzten Sorokins hatte schützen können. Wie auch? Das wäre schlichtweg nicht einmal dann möglich, wenn er mehr Zeit hätte. Ich wollte gar nicht, dass er 24/7 an meiner Seite klebte und ich gar nicht mehr allein rausgehen konnte. So, wie es jetzt war, schien es allerdings auch nicht bleiben zu können. Wo meine Alleingänge neuerdings endeten hatte ich in der letzten Nacht und auch schon in den Tagen davor mehr als deutlich gesehen. Also flüchtete ich mich für gut eine halbe Minute lang schweigsam in Iljahs Arme. Ließ ihn mich festhalten, während ich mein Gesicht an seinem Oberkörper vergrub und die Arme an seinen unteren Rücken legte, mich an ihn klammerte. Schließlich lockerte ich meine doch leicht verkrampfte Körperhaltung aber auf, um zu ihm hochzusehen. "Sie sind mir gefolgt... oder haben mich irgendwie gefunden, ich weiß es nicht.", fing ich an zu erzählen, was passiert war. "Sie haben uns bei meiner Mutter Zuhause festgehalten. Zwei von denen... ich glaube der eine war ein Onkel oder sowas, bin mir nicht ganz sicher. Mein Bruder hat sie verjagt, aber ich konnte nicht dableiben.", fasste ich die Sache so knapp wie möglich zusammen. Wollte eigentlich auch nicht mehr ins Detail gehen, waren die paar Ohrfeigen doch eher nicht der Rede wert - so für meine Verhältnisse eben - und das Messer an meiner Kehle hatte auch nur einen so kleinen Schnitt zurückgelassen, dass er kaum noch zu sehen war. Nur ein dünner Kratzer quasi, der längst verschlossen war. Wenn ich in den letzten Jahren was gelernt hatte, dann in solchen Fällen am besten extrem flach zu atmen und mich so wenig wie möglich zu bewegen. Im Notfall auch die Luft anzuhalten, solange es ging. "Was... was machen wir jetzt, Iljah? Ich weiß nicht, wo ich noch hin soll...", fragte ich schließlich und senkte kurz darauf den Blick wieder. Zog gleichzeitig meine rechte Hand von seinem Rücken hervor und legte sie ihm stattdessen an den Nacken. Wollte einfach kurz seinen Haaransatz und seine Haut unter meinen Fingern spüren, als bräuchte ich das um sicher zu sein, dass er wirklich vor mir stand. Ich hasste es, nicht zu wissen, wie ich all das beenden sollte. Wenn ich wüsste wie, würde ich es alleine tun. Den Schwarzhaarigen da rauslassen, soweit es ging. Leider sah ich keinerlei Möglichkeit dazu. Wir - und noch viel weniger ich allein - würden es nicht schaffen jeden Einzelnen davon umzulegen. Außerdem war ich eigentlich kein Freund von Massenmord, wenn er irgendwie umgänglich war. Ich war hier bei Allem das Problem und es sollten nicht noch mehr Menschen wegen mir sterben müssen. Es wäre um diese Arschlöcher zwar echt nicht schade, aber eigentlich taten sie nur, was wohl jeder Anhänger eines beinahe restlos zerstörten Clans tun würde - die Ehre der Familie wieder herstellen, indem sie Rache suchten. Da war wahrscheinlich jedes Mittel recht. Trotzdem konnte ich mich jetzt nicht einfach für den Rest meines Lebens vor ihnen verstecken. Ich wollte endlich mal sowas wie frei mit Iljah sein, damit wir überhaupt mal eine richtige Chance dazu bekamen, uns einander vollends anzunähern. Wieder gänzlich zueinander zu finden, ohne dass uns Jemand dabei störte und uns den Schlaf raubte. Es konnte nicht ewig so weitergehen, also musste wohl oder übel eine andere Lösung her.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Irina ließ lange auf sich warten, bevor sie mir über die Vorfälle bei sich Zuhause zu berichten begann. Nicht, dass mich das grundsätzlich jetzt unbedingt störte, ich hatte nur eigentlich nicht mehr besonders viel Zeit, bevor ich los zur Arbeit musste. Dennoch strich ich der jungen Frau vollkommen ruhig und lediglich mit einem leisen, nichtssagenden Seufzen über den Rücken und durchs Haar. Wartete darauf, dass sie endlich aussprach, was ihr durch den Kopf ging, ohne sie maßgeblich dazu zu drängen. Wenn ich eins gelernt hatte, dann war es, dass Irina in solchen Situationen nur dicht machte, wenn man sie zu drängen versuchte und das war ja nun auch nicht wirklich in meinem Sinn. Ich wollte ihr ja gerne helfen und an allen Ecken und Enden, wo es mir nur möglich war, Trost und Sicherheit spenden, denn auch mich nahm es mit, wie Irina unter dem ganzen Terror litt. Nach außen hin zeigte ich das natürlich nicht so offen, aber der beschissene Schlaf sprach beispielsweise für sich. Das dauernde gestresst und angespannt sein im Übrigen auch. Nachdem die Schwarzhaarige sich für einen Moment lang gesammelt hatte, rückte sie dann aber auch endlich mit der Sprache raus und ihre Worte ließen mich schwer seufzen. Ich hatte schon befürchtet, dass zwei Stunden nicht ausreichend sein würden und trotzdem hatte ich gehofft, mit der Annahme falsch zu liegen. Ich hätte es der jungen Frau gegönnt, zumindest bei ihren Eltern ein bisschen zur Ruhe kommen zu können, aber offenbar schien es der dreckige Rest der Sorokins weiterhin auf Irina abgesehen zu haben. Sie wollten die junge Frau weiterhin tot sehen und es war nun wirklich an der Zeit, dass ich aufhörte, ihr zuliebe Abstriche in Hinsicht auf ihre Sicherheit zu machen. Moskau, ja, vermutlich ganz Russland, war einfach kein Ort mehr für sie und das hatte mir der Vorfall ziemlich deutlich aufgezeigt. Ich würde von nun an also nur noch bedingt Rücksicht darauf nehmen, was Irina wollte und mich mehr auf das rationale Denken verlassen. Es lag nahe, dass - wer auch immer jetzt eigentlich konkret hinter ihr her war - sich nicht davor scheuten, auch mehr, als nur zwei Stunden in Kauf zu nehmen, um die Schwarzhaarige zu fassen. Demnach war es keine Option, sie hier irgendwo in der Nähe unterkommen zu lassen, weil sie auf kurz oder lang sicherlich in die Arme der Männer laufen würde, die nach ihr suchten. Und ich konnte nicht die ganze Zeit über bei ihr sein, bezweifelte zudem, dass irgendwann Gras über die Sache wachsen und sie wieder ohne Bedenken auf die Straße gehen können würde. Nach der Aktion sah für mich alles danach aus, als wäre die einzige Möglichkeit, ein wieder halbwegs normales, sorgenfreies Leben führen zu können, dass sie ihre Zelte hier abbrach und woanders ein neues Leben anfing. Fernab vom kalten Russland, nur wo sollte sie stattdessen hin..? Natürlich dachte ich sofort an Vahagn und dass es sich auf Kuba sicherlich angenehm leben ließ, aber den Gedanken schüttelte ich genauso schnell auch wieder ab, weil es einfach schwachsinnig war, sie vom Regen in die Traufe zu schubsen. Dann war sie hier die Pest von den Fersen los und wurde auf der anderen Erdhalbkugel von meiner Schwester und meinem verrückten Geschäftspartner drangsaliert. Ne ne, das kam gar nicht in die Tüte, erst recht nicht nach der letzten Aktion seitens Vahagn und Hunter. Andererseits würde sich wohl auch jeder normal denkenden Mensch davor hüten, auf Kuba Stress zu machen, wo der Amerikaner laut Erzählungen meiner kleinen Schwester so ziemlich das Ruder an sich gerissen hatte. Grundsätzlich war sie zumindest vor der russischen Pest nirgendswo sonst so sicher, wie auf Kuba, wenn man mich fragte. Außerdem schuldete mir Vahagn nach der Sache sowieso noch einen extra großen Gefallen und könnte sich daher ruhig ein bisschen mit Irina befassen. Ihr ein neues Leben auf der Insel ermöglichen, auch wenn ich mir dafür sicherlich wieder stundenlanges Gezicke anhören durfte. "Ich... hab da vielleicht 'ne Idee.", murmelte ich zu der jungen Frau herunter, die sich inzwischen etwas von mir gelöst hatte, um mich anzusehen. Ich löste einen meiner Arme aus der Umarmung, um stattdessen die Hand an ihre Wange zu führen. Dort vorsichtig mit dem Daumen über ihre Kieferknochen zu streicheln, während ich sie aufbauend anlächelte. Das fiel mir zwar gerade alles andere als leicht, aber nun gut. "Ich hab jetzt nicht viel Zeit, mit dir darüber zu reden, deshalb möchte ich, dass du jetzt noch ein paar deiner Sachen packst und dann nehme ich dich mit, okay? Ich erkläre dir später alles weitere.", stellte ich Irina vor bereits vollendete Tatsachen. Ich wollte ihr nicht jetzt schon sagen, was mir durch den Kopf ging, weil ich einfach weder Zeit, noch die Nerven für eine mögliche Diskussion hatte. Sie würde fliegen, ob sie das nun wollte oder nicht, das hatte ich kurzerhand jetzt einfach so beschlossen. Und wenn es ihr nicht passte, dann - so leid mir das tat -, konnte ich ihr nicht weiterhelfen. Entweder, sie fügte sich meiner Anweisung oder aber schloss mit ihrem Leben endgültig ab - das musste sie jetzt entscheiden. Falls sie mir unnötigerweise noch das finale Go gab, müsste ich auf die schnelle nur noch ein Flugzeug organisieren, welches sie ans ausgemachte Ziel bringen würde. Außerdem musste ich meine Schwester anrufen und davor graute es mir bei dieser Geschichte mit Abstand am meisten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte nicht allzu lange bis Iljah mir verklickerte, dass er womöglich schon eine Idee hatte. Dass er vielleicht einen Weg sah, wie wir weitermachen konnten und was eine Lösung für das gefühlt niemals endende Drama sein konnte. Allerdings folgte dazu absolut keine Erklärung. Nicht mal den Hauch einer Information ließ er mir diesbezüglich zukommen und somit hatte ich keinen Schimmer davon, was er dabei im Sinn hatte. Ich müsste lügen, um zu sagen, dass mir das nicht missfiel. Es wäre schon gut zu wissen, woran er dabei dachte. Zwar würde es sicherlich in jedem Fall etwas damit zu tun haben mich aus dem Gefahrenradius zu bugsieren, aber die Frage war eben schon, wie weit weg das von Moskau sein würde. Vor allem auch, ob er dann dorthin mitkommen oder weiterhin hierbleiben würde, wo nun mal seine Geschäfte waren. Im Gegensatz zu mir konnte der gutaussehende Russe eigentlich nicht plötzlich alles stehen und liegen lassen. Er hatte Dinge zu erledigen, sich darum zu kümmern, dass er weiterhin Geld in der Kasse hatte. Zwar sollte ich eigentlich auch weiterhin im Autohaus arbeiten, aber dass mir dass aktuell schwerfiel, war mir eher nicht zu verdenken. Ich konnte mich bei meinem ständigen auf der Flucht sein kaum auf die Arbeit konzentrieren und das war wohl ein Mitgrund dafür, dass es Iljah nicht gestört hatte, dass ich einfach eine Woche lang von der Arbeit wegblieb. Ich nutzte ihm so eben nicht viel dort. Papierkram bekam ich schon hin, aber fürs Verkaufen hatte ich absolut keinen Kopf und das war vorher eigentlich meine Hauptaufgabe gewesen, hatte ich das doch gut gekonnt. Allerdings graute mir nun doch ein bisschen davor, dass ich mehr als die eine, geplante Woche bei meiner Familie ohne den jungen Mann auskommen müssen würde. Es war nicht so, als könnte ich das nicht nachvollziehen, aber es wäre eben nicht schön. Vorerst blieb mir scheinbar nichts anderes übrig, als meine Sachen zu packen und so seufzte ich leise unter der zärtlichen Berührung auf meiner Haut. Ich schmiegte mich kurzzeitig vermehrt an seine Hand und schloss für zwei, drei Sekunden die Augen, ehe ich den Schwarzhaarigen wieder ansah. Ich wünschte sein Lächeln könnte mich anstecken, aber ich war einfach zu müde dazu. Hatte die Nacht unfreiwillig durchgemacht und da war das Anheben meiner Mundwinkel irgendwie einfach nicht drin. "Okay... ich beeil mich.", willigte ich murmelnd und noch etwas unsicher bezüglich der ganzen Sache ein, bevor ich mich zu ihm hochstreckte und ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen hauchte. Dann löste ich meine Hand aus seinem Nacken und wendete mich der kleinen Reisetasche zu, die ich schon zu meiner Familie mitgenommen hatte. Nachdem ich aber keine Ahnung hatte, wie lange es nun wo für mich hinging, wollte ich doch noch etwas vielseitiger einpacken... und außerdem gerne zu dem etwas größeren Koffer wechseln, den ich damals aus meiner Wohnung mitgenommen hatte. Meine Füße trugen mich ohne Umwege ins Schlafzimmer und ich stiftete erst einmal Chaos, indem ich die Tasche auf dem Bett auskippte. Dann zog ich den Koffer unter dem Bett hervor und legte ihn geöffnet neben den Wäschehaufen, mitsamt Hygieneutensilien und Makeup. Einige der Sachen wanderte auch dieses Mal in den Koffer, wieder andere ließ ich liegen und tigerte im Anschluss zwischen Kommode und dem Kleiderschrank hin und her, wo Iljah mir hier und da einen Platz für meine Sachen freigeräumt hatte. Es wanderte quasi für jede mögliche Wetter-Situation etwas in den Koffer - nur fürs allertiefste Sibirien wäre ich nicht gewappnet, weil ich Iglo-Klamotten schlichtweg nicht besaß - und natürlich auch ausreichend Unterwäsche und Socken. Ich hatte alles in allem trotzdem kaum mehr als zehn Minuten gebraucht, weil ich nicht mehr die Unmengen an Klamotten besaß, die ich früher gehabt hatte. Zwar war ich noch ein weiteres Mal in der Wohnung gewesen - und hatte da auch die Kündigung des Vermieters aus dem Briefkasten gefischt, weil sich wohl Nachbarn darüber beschwert hatten, dass langsam ein unangenehmer Geruch aus der Wohnung kam und offenbar kein Schwein mehr dort war - und hatte noch ein paar mehr Klamotten und Schuhe eingesammelt, aber alles hatte ich nicht mitgenommen. Mein Sammelsurium hatte es sowieso sehr nötig gehabt mal ein bisschen aussortiert zu werden, aber weil der ganze Kram mich doch in Summe recht viel gekostet hatte, wollte ich nicht absolut alles einfach dort liegen lassen. Als ich mit dem Packen fertig war räumte ich die ungetragenen, überflüssigen Klamotten zurück in den Schrank, während die bereits getragenen in die Wäschebox wanderten. Mit dem mittelgroßen Rollkoffer im Schlepptau ging ich dann in den Flur, stellte ihn dort an der Garderobe ab. Da ich aber jeden Moment im Stehen einpennen würde - deshalb auch drauf wetten konnte, beim Packen irgendwas vergessen zu haben - war ich so frei noch einmal kurz in die Küche zu gehen und mir einen Kaffee in einen To-Go-Becher laufen zu lassen. Mit dem Koffein intus kam ich dann vielleicht zumindest zwei, drei Stunden länger klar, ohne sekündlich einzunicken. "Kann losgehen.", ließ ich Iljah dann wissen, dass mich nach dem Einsacken des Kaffees nichts mehr am Gehen hinderte. Zumindest theoretisch nicht. Ganz wohl war mir mit der Unklarheit diesbezüglich immer noch nicht.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Irina setzte sich auf meine Bitte hin schon bald in Bewegung und ich blieb schließlich alleine im Flur nahe der Eingangstür zurück. Ich wartete noch darauf, bis die junge Frau im Schlafzimmer verschwunden war, ehe sich meine leicht angehobenen Mundwinkel blitzschnell absenkten und ich mir angestrengt mit einer Hand über das müde Gesicht rieb. Mit dem Daumen und dem Mittelfinger massierte ich mir nicht zuletzt die schweren Lider in der Hoffnung, dass mir das zumindest einen kleinen Teil des unangenehmen Drucks hinter den Augen nehmen würde. Leider hoffte ich vergebens und das war für mich ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass es momentan einfach nicht gut laufen sollte. Dem Schicksal etwas anderes im Sinn stand, als Irina und mich einfach in Ruhe zueinanderfinden zu lassen. Vielleicht war es aber auch einfach der Wink mit dem Zaunpfahl, das Ganze besser einfach sein zulassen, weil es von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Leider überzeugte mich das Alles aber nicht besonders und so atmete ich schließlich tief durch und setzte mich weiterhin eher müden Schrittes in Bewegung, um in die Küche zurückzukehren, weil ich mein Handy dort auf dem Tisch hatte liegenlassen. Ich schnappte mir das Smartphone kurzerhand um einen Anruf zu tätigen. Mit dem erkundigte ich mich bei meiner rechten Hand nach dem aktuellen Stand der Lage und was heute Besonderes auf dem Plan stand. Fragte ihn außerdem, ob wir in oder um Kuba herum gerade zufälligerweise einen Auftrag bearbeiteten. Den Hintergrund meiner Frage ließ ich dabei natürlich außenvor und Dmytro wusste, dass er besser auch nicht weiter nachfragte. Auch er hatte natürlich mitbekommen, dass ich in der letzten Zeit deutlich gestresster war und mich leichter reizen ließ. Er tat sich also gut daran, gar nicht mehr, als das Nötigste mit mir zu reden, denn dann war die Wahrscheinlichkeit, meine schlechte Laune abzubekommen, deutlich geringer. Seine Antwort auf die Frage ließ mich fast schon erleichtert aufatmen, denn er teilte mir mit, dass heute tatsächlich ein Flieger von Moskau nach Havanna fliegen, dort ein paar Leute absetzen und schließlich neu beladen nach Kanada aufbrechen sollte. Somit musste ich für Irina zumindest nicht extra ein neues, ungeladenes und trotzdem Kerosin fressendes Flugzeug organisieren, sondern konnte sie direkt abgelegen vom Rest in eine der hinteren Reihen setzen, ohne damit groß Verluste zu machen. Das einzige Problem war nur, dass der Flieger schon in zehn Minuten starten sollte und egal, wie sehr sich die Schwarzhaarige beeilte - das würden wir definitiv nicht mehr schaffen. Ich bat meinen Vertrauten deshalb, eine Info an die Piloten weiterzugeben, mit der Abreise noch zu warten, was zu einer kurzzeitigen Funkstille am anderen Ende der Leitung führte. Dann räusperte sich Dmytro und versicherte mir, dass das Flugzeug warten würde. Ich nickte, bis mir einfiel, dass er mich gar nicht sehen konnte und bedankte mich erst dann knapp bei ihm, bevor ich auflegte. Wir würden ja nicht lange bis zum Flugplatz brauchen und ein paar wenige Minuten Verspätung würden die geübten Piloten schnell wieder reinfliegen. Ich sandte einen stummen Dank gen Himmel, dass mich, wer auch immer da oben gerade am Drücker war, mich nicht ausschließlich mit Pech überhäufte, bevor ich das Handy in meine Hosentasche schob und in den Flur zurückging. Während Irina weiterhin mit Packen beschäftigt war, zog ich mir bereits meine Schuhe an und sammelte anschließend Portemonnaie und Schlüssel von der Kommode ein. Als das erledigt war, kam auch die junge Frau in den Flur zurück getrottet, schien aber zumindest noch einen kurzen Abstecher in die Küche machen zu wollen. Ich ging die paar Schritte auf Irina zu, um ihr den Koffer abzunehmen und diesen bereits im Kofferraum meines Wagens zu verstauen. Ich wartete schließlich mit der Hüfte locker ans Auto gelehnt darauf, dass die Schwarzhaarige zu mir aufschloss, ehe ich hinter dem Steuer Platz nahm und den Motor startete. Ich schwieg so lange, bis ich die Luxuskarre schließlich auf die Straße gelenkt hatte und wir uns auf dem Weg zum abgelegenen Flughafen befanden. Damit nahm ich Irina nämlich zumindest schon mal die Option, gleich wieder aus dem Auto zu springen, wenn ich ihr von meinem Plan erzählte. Wirklich begeistert würde sie nämlich ziemlich sicher nicht sein. War ich schließlich auch nicht, aber es erschien mir momentan als der einzig vernünftige Ausweg aus dieser Misere. Auf Kuba wäre die junge Frau vorerst in Sicherheit und was meine Wenigkeit anbelangte... das müsste ich mir wohl noch durch den Kopf gehen lassen, sobald ich eine Sorge weniger hatte, um die es sich zu kümmern galt. Mein Schädel stand kurz vor der Detonation, jetzt über die Zukunft nachzudenken würde vermutlich zu einem kompletten Blackout führen. "Du fliegst nach Kuba.", stellte ich die junge Frau ziemlich abrupt vor vollendete Tatsachen. Dabei sah ich jedoch stur auf die Straße, weil ich mir sicher war, dass Irina mich gleich mit einem entsetzten Gesichtsausdruck ansehen würde. "Und ich diskutiere darüber auch nicht. Russland ist für dich nicht mehr sicher und meine Möglichkeiten, dich zu beschützen, hier schlichtweg erschöpft.", klärte ich sie weiter darüber auf, warum und wieso das Ganze. Alles in allem redete ich dabei recht ruhig, aber dennoch bestimmt, weil ich schlichtweg vermeiden wollte, dass Irina eine Diskussion anfing. Würde sie sehr wahrscheinlich trotzdem, aber man konnte es zumindest mal versuchen, oder?
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