Es war absolut nachvollziehbar, dass Vahagn durch und durch unzufrieden und auch unglücklich mit der jetzigen Situation war. Allein deswegen schon, weil sie auch absolut nichts daran ändern konnte, wenn sie sich nicht restlos mit ihrem Bruder verkrachen wollte. Es war eine Pattsituation, die sie lediglich so hinnehmen oder verschlimmern konnte, indem sie einen Schritt ging, der außer ihren Rachegelüsten Niemandem etwas brachte. Hunter würde schließlich weiter auf sein Geld bestehen, selbst wenn die Serbin tot war. Egal, wie man es also drehte und wendete - wirklich besser werden tat es nie, es blieb beschissen. Trotzdem ließ mich die Brünette mit ihren verbitterten Worten ein weiteres Mal aus allen Wolken fallen und ich schüttelte postwendend sehr bestimmt den Kopf. Schließlich hätte es gravierende Folgen gehabt, wenn sie schlussendlich einfach nur die Füße stillgehalten hätte. Sie hätte damit nicht nur Iljahs Todesurteil unterschrieben, sondern sich im Nachhinein sicher ewig die Schuld daran gegeben und wäre dann auch nicht weniger unglücklich, als sie es jetzt ohnehin schon war. "Sowas darfst du nicht sagen.", meinte ich etwas leiser, leicht gemurmelt. Nicht tadelnd, aber es war wirklich nicht gut, wenn man sich solchen Gedankengängen hingab und sie am Ende sogar auch noch aussprach. Das schien die Russin glücklicherweise auch selbst schon sehr bald zu merken, schüttelte sie doch auch ein wenig den Kopf. Zwar mochten Iljah und ich weit davon entfernt sein sowas wie beste Freunde zu sein oder noch zu werden, aber sein Tod wäre nun wirklich nicht die beste Lösung gewesen. Höchstens eine übertriebene Strafe für ihn. Dafür, dass er Gefühle für einen anderen Menschen entwickelt hatte - mal dahingestellt, ob das schlau gewesen war oder nicht. Es war von mir schließlich auch nicht unbedingt intelligent, mir eine Geschäftspartnerin von Hunter anzulachen. Dass das Probleme machte, war schließlich vorhersehbar gewesen und auch schon eingetreten. Theoretisch hätte ich sicher irgendwo die Notbremse ziehen können, aber ich hatte es schlichtweg nicht gewollt. Ich wusste nicht, was genau es war, was mich an Vahagn letztendlich so fasziniert hatte, dass ich sie unbedingt an meiner Seite hatte haben wollen. Vielleicht war es auch ein Zusammenspiel aus vielen einzelnen Eigenschaften, die sie für mich am Ende so unperfekt perfekt machten. Ganz gleich, was es nun war, fesselte es mich und ich wollte es nicht mehr missen. Ich konnte nur mutmaßen, ob es bei Iljah und Irina ein bisschen ähnlich war, aber irgendwas musste an der Liebe ja dran sein. Anders war schlichtweg nicht zu erklären, warum der Russe sich ihr freiwillig weiterhin auslieferte. Also hatte er wohl auch einfach nicht mehr die Notbremse ziehen wollen, wider besseren Wissens. So war das halt mit der Liebe. "Ich meine, Iljah und ich werden sicher nicht zeitnah beste Freunde...", das war einfach eine unumstrittene Tatsache nach der Auseinandersetzung. "...aber damit hättest du dich am Ende auch nicht besser gefühlt. Und vielleicht..." Ich brach lieber erstmal ab, weil ich mir fast sicher war, dass ich mit diesem Satz auf taube Ohren stoßen würde. Also versuchte ich ihn doch noch anders aufzubauen. "Vielleicht will sie's ja wirklich wieder gutmachen... auch, wenn das nach einem Mordversuch dezent schwierig ist. Versteh mich nicht falsch - sie hat definitiv eine Schraube locker und kann nicht ganz dicht sein, ist also mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Aber wenn ihr persönlich was daran liegen würde, deinen Bruder umzulegen, hätte sie's sicher spätestens nach eurer Abreise getan. Also vielleicht muss einfach erstmal Gras über die Sache wachsen, damit wir... das Ganze ein bisschen rationaler betrachten können.", redete ich doch wieder eher intuitiv vor mich hin, als einen bestimmten Plan zu verfolgen. Damit wollte ich Vahagn jetzt auch weiß Gott nicht sagen, dass sie nicht sauer wegen Alledem sein und sie Irina nicht hassen durfte. Sie hatte jedes Recht dazu. Dennoch war es früher oder später sicher wichtig, vermehrt das große Ganze zu betrachten und vielleicht bei irgendeiner ihrer nächsten Russlandreisen mal etwas mehr zu hinterfragen, was dieser Spuk nun sollte. Vielleicht kam das gewöhnungsbedürftige Paar ja auch irgendwann mal nach Kuba und es war keine Heimreise der Brünetten nötig. Das würde wie so oft nur die Zukunft zeigen und bis dahin galt es wohl, sich diesbezüglich stückweise abzureagieren und die Geschichte irgendwann ruhen zu lassen, soweit es möglich war. Der finanzielle Aspekt war bei dieser Angelegenheit leider kein irrelevanter. Hunter schoss mit diesem Deal wirklich den Vogel ab und so als Involvierter konnte ich zumindest vorab mal grob im Kopf überschlagen, wie unfassbar fein raus er mal wieder aus der Sache war, wenn man vom Restrisiko seitens Irina mal absah. Aber nachdem die ganze Sorokin-Sippschaft jetzt ausgemerzt war, wäre sie wirklich außerordentlich blöd, sich irgendein anderes Kartell zu suchen. Schließlich hatte sie Iljah offensichtlich im Rücken und letzterer stand wiederum bis zu einem gewissen Grad in Hunters Schutz, also eigentlich... hatte sie das aus rein geschäftlicher Sicht nicht dumm gemacht, aber die ganzen Vertrauensbrüche auf menschlicher Ebene waren natürlich absolut unterirdisch. "Du kommst deswegen jetzt aber nicht in die Bredouille, oder..?", hakte ich schließlich leise nach, was die Geldsache anging. Immerhin war der ganze Transport nicht billig. Ich hob dann meine Hand, die an ihrer Schulter lag, um sie stattdessen an ihren Kopf zu legen und ihn behutsam an meine Brust zu betten. Sie damit zu animieren, sich mir noch etwas mehr zuzuwenden und sich einfach regelrecht an meiner Brust zu verkriechen. Ich hauchte Vahagn einen sanften Kuss an den Haaransatz, strich ihr dann auch vorsichtig etwas durchs Haar. Zwar badete ich selbst noch nicht unbedingt endlos in Geld, aber mit dem Mehrverdienst, den ich jetzt hatte, könnte ich der Russin vielleicht zumindest ein bisschen helfen, falls sie das brauchte... und sofern sie mich ließ, was ich beim zweiten Mal drüber nachdenken doch stark bezweifelte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Das brauchte er mir nicht sagen, schließlich wusste ich das ja selbst - dass ich so etwas nicht sagen sollte, meine ich. Iljahs Tod würde mir sehr wahrscheinlich das letzte bisschen Boden unter den Füßen rauben, den ich brauchte, um weiterhin so fleißig auf der Kante zum Abgrund balancieren zu können. Wäre mein Bruder nicht mehr da und mich traf eine Teilschuld daran - wie es das in diesem Fall definitiv getan hätte -, dann hätte ich mir das niemals verzeihen können und ja, vermutlich wäre ich wirklich tief gefallen. Vollkommen unabhängig ob mit oder ohne Tauren an meiner Seite, weil der junge Mann Iljah bei aller Liebe leider nicht ersetzen können würde. Und weil ich ohnehin ziemlich anfällig dafür war, mich in die Scheiße zu reiten, wo es nur ging - meist war das aber wissentlich und absolut gewollt -, vermochte ich mir gar nicht auszumalen, wie sehr in abrutschen würde. Sicher war, dass ich mit Richard zu seiner Blütezeit in Sachen Drogen bestimmt mithalten würde. Aber an der Stelle zog ich gedanklich dann jetzt doch besser einen Cut. Ich wollte mir darüber nicht allzu viele Gedanken machen, denn wie mein Freund bereits erwähnte, sollte ich sowas weder denken, noch aussprechen. Also murrte ich nur noch ein über meine Gedankengänge unzufriedenes "Ich weiß...", in seine Richtung, um das Thema abzuhaken. Was aber Taurens noch folgende Worte betraf, konnte ich nur ungläubig schnauben. Ich war der festen Überzeugung, dass ich mich niemals damit arrangieren können würde, dass mein Bruder dieses Miststück irgendwie zu lieben schien und letztere so etwas wie einen guten Einfluss auf Iljah hatte. Ihre Missetaten wieder gutzumachen versuchte und selbst wenn sie es vielleicht doch vorhatte... konnte sie das meiner Meinung nach schlichtweg nicht. Es gab in meinen Augen nun mal wirklich nichts Schlimmeres, als Verrat und weder konnte, noch wollte ich ihr den verzeihen, auch wenn er mich nicht direkt betroffen hatte. Wie es da um den älteren Russen stand konnte ich natürlich nicht sagen, aber scheinbar schien es ihm ja spielend leicht zu fallen. Ich wusste zwar nicht, ob die beiden nicht vor der ganzen Scheiße bereits gesprochen hatten und Iljah tatsächlich gewusst hatte, was auf ihn zukam - konnte ja durchaus sein -, aber es interessierte mich ehrlich gesagt auch nicht. Bei mir hatte die Serbin vermutlich auf Lebzeiten verschissen und tat sich deshalb gut daran, mir aus dem Weg zu gehen. Wenn ich das ein oder andere Mal wegen dem Heimweh dann mal in Russland war und sie mir dort zwangsläufig unter die Augen trat, dann würde ich das wohl stillschweigend akzeptieren müssen, aber mein Bruder brauchte nicht von mir erwarten, dass ich mich mehr und ausgiebiger als nötig mit der Schwarzhaarigen unterhielt oder meine Zeit mit ihr verbrachte. Blöde Sprüche würde ich mir höchstwahrscheinlich auch nicht immer verkneifen können, aber unsere kleine, tapfere Irina würde das bestimmt überleben. Der Tätowierte würde mich dafür sicher ebenfalls stattlich bezahlen. Es war der gedankliche Würgereiz, der mich letztlich aus dem Gedankenstrudel riss und zurück ins Hier und Jetzt katapultierte, wo ich bestimmt mit dem Kopf schüttelte. "Lieber würde ich mir selbst ins Knie schießen, als die Scheiße zu verstehen, Tauren. Egal, wie viel Zeit seit dem Scheiß vergangen ist.", stellte ich mit dem für mich gewohnten schnippischen Unterton fest, wenn ich mal wieder eine meiner trotzigen Phasen hatte. Im Grunde konnte ich doch überhaupt nicht wissen, wie ich mich künftig diesbezüglich verhalten würde - ich hatte schließlich keine Glaskugel, mit der ich in die Zukunft schauen konnte. Trotzdem schien es mir äußerst wichtig zu sein, dass jetzt schon einmal klarzustellen... warum auch immer. Vermutlich einfach nur, um den Schein meines trotzigen Ichs zu wahren oder so. Was die noch folgenden Worte meines Freundes anging, hatte ich eingangs etwas geistesabwesend in die Leere gestarrt und es brauchte ein wenig, bis seine Frage so richtig bei mir angekommen war. Dann aber riss ich mich von dem imaginären Fleck an der gegenüberliegenden Wand los, um ihm wieder direkt ins Gesicht zu sehen. Mir lagen bereits ein paar böse Worte auf der Zunge, die ich mir beim Antlitz des jungen Mannes allerdings schnell verkniff. Er meint es nicht böse, Vahagn. Beherrsch dich. Tauren hat keine fiesen Hintergedanken, er möchte dir nicht dein Versagen unter die Nase reiben oder dich anderweitig schlecht dastehen lassen, ermahnte ich mich gedanklich und zum ersten Mal seit ziemlich, ziemlich langer Zeit, hielt ich doch tatsächlich mal meine vorlaute Klappe und schenkte mir unnötig stichelnde Kommentare. Schüttelte nur mit dem Kopf und antwortete wahrheitsgemäß: "Nein, passt schon. In Russland läuft es schon etwas besser und... ja. Ist alles okay.", redete ich nachdenklich vor mich hin. Das Geld fiel mir zwar leider noch immer nicht wieder aus den Taschen, aber am Hungertuch nagen würde ich wegen der Sache mit Hunter nicht. Schließlich disponierte ich inzwischen wieder recht aktiv Flüge in Russland und bekam in der letzten Zeit auch wieder vermehrt Anfragen aus anderen Ländern, es nervte mir nur einfach. Nicht des Geldes, sondern meines Stolzes wegen. Hunter zu Kreuze zu kriechen und indirekt sogar noch damit in Verbindung gebracht zu werden, Irinas Leben mitzufinanzieren, stieß mir einfach unglaublich sauer auf. Aber für den Moment wollte ich auch darüber nicht weiter nachdenken, sondern genoss einfach die zärtlichen Streicheleinheiten des jungen Mannes neben mir. Ließ mich nur allzu gerne mit einem müden Seufzen dazu animieren, meinen Kopf an seiner Brust zu betten und schloss für einen Moment die Augen. Versuchte einfach all die negativen Gedanken für den Augenblick auf Seite zu schieben, damit meine Laune nicht noch weiter litt.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Wahrscheinlich hätte ich mir schon denken können, dass Vahagn in etwa so reagieren würde. Wenn sie sauer war oder sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es im Grunde gar keine effektiven Mittel dafür, sie wieder in einen bodenständigeren oder weniger voreingenommenen Modus zurückzuholen. Natürlich würde ich selbst zukünftig gegenüber Irina wohl auch etwas Vorsicht walten lassen, aber ich hatte wohl einfach weniger Gründe als die Russin neben mir dafür, die Schwarzhaarige zu hassen. War eben nicht mein Bruder, den sie zu erstechen versucht hatte und war auch nicht mein Geld, mit dem sie sich ihr Lebensrecht bezahlen ließ. Außerdem war ich auch grundsätzlich ein deutlich weniger hitzköpfiger Mensch als meine Freundin - außer natürlich es ging um Männer, die Spaß daran hatten, ihr ungefragt auf die Pelle zu rücken. Da legte sich der Schalter von grün offensichtlich sehr schnell auf rot um. So oder so war zu erwarten gewesen, dass sie erst einmal noch den Teufel an die Wand malen würde und das musste ich wohl so akzeptieren. Deswegen kam von mir auch nicht mehr als noch ein leises Seufzen, das bei diesem Thema wohl einfach die Geschlagenheit symbolisierte. Es würde eben auch einfach absolut nichts bringen, weiter auf die junge Frau einreden zu wollen. Da redete man doch sehr ähnlich wie bei Hunter gegen eine Wand, nur mit dem Unterschied, dass sie mir keine Faust ins Gesicht schlug, wenn ich frech wurde... oder zumindest war es sehr viel unwahrscheinlicher und dank ihrer Weiblichkeit auch etwas weniger schmerzhaft. Ich wäre trotzdem froh darum es nicht erleben zu müssen, also ließ ich das Thema ruhen. Offenbar kam sie nämlich finanziell deswegen jetzt nicht in Schwierigkeiten und das beruhigte mich doch ein wenig. Zwar war das Loch, das der Choleriker ihr mit dieser Aktion in die Tasche bohrte, natürlich trotzdem sehr ärgerlich, aber etwas weniger drastisch. Ohne penetrante Geldsorgen lebte es sich besser. Da ging es wohl jedem Menschen gleich und ich wusste das mit am besten, wo ich früher doch selbst in Armut gelebt hatte. Auch nach dem Verlassen meines Vaters finanziell noch wie ein Schluck Wasser in der Kurve gehangen hatte, bis Hunter mich schließlich aufgelesen hatte. Ich dachte nicht selten schlecht über ihn, weil er einfach ziemlich krank im Kopf war, aber ohne ihn wäre ich wohl eher nicht mehr am Leben, also war ich ihm trotzdem dankbar dafür. Deswegen kam es ja auch nicht in Frage ihn umzulegen, um endlich frei zu sein. So war ich eben nicht. "Gut, das beruhigt mich.", stellte ich schwach lächelnd fest, dass ich mit nicht vorhandener Geldsorge ihrerseits zumindest ein Problem weniger hatte. Wobei die entstandenen Probleme ja sowieso nicht primär meine waren. Jedoch war alles, was Vahagns Problem oder Sorge war, ganz automatisch auch meine. Ich war eben ein sehr empathischer Mensch, da passierte das auch ohne, dass ich es wollte. Mir kroch ein leises Gähnen über die Lippen, auch wenn ich bestimmt noch nicht damit fertig war all das zu verarbeiten, was die Brünette mir gerade erzählt hatte. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich immer tiefer am Kopfende runter gerutscht war. Das passierte immer so schleichend nebenbei und inzwischen war es deutlich mehr eine Kombination aus Sitzen und Liegen - mit stärkerer Tendenz zu letzterem -, als aufrechtes Sitzen. "Wir können uns ja später nochmal drüber unterhalten, bevor ich zur Arbeit muss...", redete ich weiter und zuckte kaum merklich mit den Schultern. "...jetzt muss ich wohl erstmal schlafen, sonst nick ich hier beim Reden weg.", kommentierte ich mein vorheriges Gähnen etwas sarkastisch. Dann hob ich meine freie Hand, um Vahagns Kinn für einen sanften Kuss anzuheben. Dabei strich ich ihr mit dem Daumen zärtlich über den Kiefer, ehe ich meine Lippen schwach lächelnd wieder von ihren löste. Ihr dann noch ein leises "Schlaf gut." zumurmelte, bevor ich mich schließlich endgültig in eine liegende Position rutschen ließ. Ein paar Stunden Schlaf brauchte ich wohl oder übel vor der Arbeit noch.
- ZS vong 2 Tage her -
Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr es mich erleichterte, dass Richard endgültig den Absprung geschafft zu haben schien. Allerdings war der Engländer den letzten Schritt nun nicht ganz freiwillig gegangen, sondern war ziemlich plötzlich und ohne, dass ich selbst davon gewusst hatte, von Hunter in vollendete Tatsachen geschubst worden. Allein deswegen schon hatte ich doch noch weiterhin im Hinterkopf, dass die Sache möglicherweise nach wie vor noch nach hinten losgehen konnte, aber eigentlich war ich guter Dinge. Der Dunkelhaarige hatte nun seit der Analyse die ersten zwei Nächte voll Arbeit hinter sich und es hatte nicht wirklich nennenswerte Komplikationen gegeben. Zwar hatte er sich hier und da schon zwischendurch mal unwohl gefühlt, aber es war nichts weiter schiefgegangen. Ich räumte ihm von mir selbst aus hin und wieder kurze Pausen ein, um ihm den ganzen Prozess etwas zu erleichtern. Natürlich erlaubte die Herstellung der Kristalle nicht immer, dass ich gleichzeitig mit raus ging, aber sofern möglich begleitete ich ihn immer gerne dabei. Baute auch während der Arbeit ab und an ganz bewusst das eine oder andere Gespräch ein, damit er sich zwischendurch vermehrt auf etwas anderes als die Drogen konzentrieren musste. Wirklich aus den Augen lassen tat ich ihn sicherheitshalber aber nie. Es war nicht so als würde ich ihm unterstellen wollen, dass er darauf aus war einen Teil des Meths zu klauen, aber ich konnte das Risiko nicht eingehen... und er noch weniger. Ich wollte nicht dabei zusehen müssen, wie der Amerikaner ihn in unzählige Einzelteile zerwürfelte, wenn sich seine Therapie als nutzlos herausstellte und er sich nicht im Griff hatte. Inzwischen würde ich selbst wahnsinnig gerne so schnell wie möglich damit aufhören ihn ständig im Blick halten zu müssen, weil ich mir doch auch zeitweise echt dumm dabei vorkam, aber solange er noch nicht wieder so vollkommen routiniert und ruhig wie einst war, lag das schlichtweg nicht im Bereich des Möglichen. Das Risiko war es nicht wert. Sobald ich aber das Gefühl hatte, dass er seine Sicherheit im Drogenalltag wieder zurück hatte, würde ich damit aufhören. Hoffentlich befreite mich das auch von meiner eigenen Paranoia diesbezüglich. Es war nicht so, als würde ich mir bewusst einreden wollen, dass früher oder später noch etwas schiefgehen würde. Wahrscheinlich war es einfach nur die leise Angst davor, dass das eintreten könnte. Weder wollte ich einen guten Freund an den Amerikaner ausliefern müssen, noch wollte ich einen von Hunters Volldeppen mit im Labor haben. Zwar waren nicht alle der Jungs als Kinder auf den Kopf gefallen, aber es konnte schlichtweg keiner so gut im Kochen werden, wie Richard das längst war. Und ich wollte diese ganze Scheiße vielleicht auch einfach nicht ohne ihn weitermachen müssen. Es arbeitete sich mit einem Freund leichter Schulden ab als ohne. Es war an und für sich wirklich schön, dass ich jetzt nicht mehr im Labor alleine war. Es gestaltete die Nacht weniger eintönig, wenn man hin und wieder ein paar Worte wechseln oder gar zwischendurch lachen konnte. Allerdings half das nicht gegen die Länge der Nacht und milderte auch die mental etwas anstrengende Arbeit nicht ausreichend ab, als dass ich plötzlich weniger Schlaf bauchen würde. Deswegen lag ich wie nicht selten wesentlich länger als Sydney im Bett und wachte ohne sie im Laken auf. Allein schon deshalb, weil sie manchmal auch vormittags Schichten im Café übernahm, war das nicht ungewöhnlich. Heute hatte sie aber frei und so kam ich nach einem kurzen Moment des Wachwerdens doch gleich etwas leichter von der Matratze hoch. Obwohl mein Geburtstag noch gar nicht so lange her war, könnte ich glatt drauf wetten schon 30 oder gar 40 zu sein. Wahrscheinlich war ich einfach nicht mehr so darauf ausgelegt jede Nacht aufs Neue fast ganz durchzumachen, aber ich würde die Stunden sicher irgendwann kürzen können, jetzt wo Richard wieder da war - wenn Hunter mitspielen wollte, natürlich. Mein erster Gang nach dem Aufstehen führte mich wie immer ins Badezimmer und unter die Dusche, weil ich ohne dieses morgendliche Ritual einfach nicht richtig in die Gänge kam. Danach führten mich meine Füße mit dem Handtuch um die Hüften noch einmal zurück ins Schlafzimmer, wo ich mich in frische Klamotten warf. Ein einfarbig weißes Shirt und schlichte, schwarze Jeansshorts sollte es für heute tun und so angelte ich nur noch nach meinem Handy auf dem Nachttisch, bevor ich mich in gemütlichem Tempo wegen dem Handtuch nochmal am Bad vorbei auf den Weg nach unten machte. Ich warf unten im Vorbeigehen einen Blick durch den Türrahmen zum Wohn- und Gemeinschaftsbereich, aber da war Sydney nicht. Meine Beine führten mich also weiter in die Küche, wo ich mir wie gewohnt erstmal eine Tasse für meinen morgendlichen Kaffee - gegen 12 Uhr - an den Automaten stellte. Solange das koffeinhaltige Getränk noch durchlief kümmerte ich mich um ein belegtes Brot, ein paar kleine Cocktailtomaten und Gurkenscheiben auf meinem Frühstücksteller. Danach schnappte ich mir den und die Tasse, bevor ich weiter zum Tisch in dem halboffenen Essbereich ging. Da sah ich dann auch Syd endlich, die mit dem Laptop vor der Nase an ihrem mehr oder weniger angestammten Platz saß. Meine Mundwinkel hoben sich automatisch zu einem schwachen Lächeln, als ich mein Geschirr am Platz neben ihr auf dem Tisch abstellte und mich dann auf den Stuhl davor setzte. Bevor ich mich aber dem Frühstück widmete, beugte ich mich mit einem "Hey." zu ihr rüber und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Danach setzte ich mich zurecht, ehe ich den ersten Bissen vom Brot nahm und anschließend mit jenem in der Hand eher beiläufig einen Blick auf den Desktop des Laptops warf. So ganz ließ sich für mich auf den ersten Blick aber nicht erkennen, was Sydney da tat. "Was machst du?", fragte ich also einfach mal nach, als ich den ersten Happen runtergeschluckt hatte. Der zweite Bissen ließ daraufhin nicht lange auf sich warten.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie froh ich darüber war, dass mein Leben zunehmend wieder in geordneten Bahnen verlief. Ich hatte jetzt zwar irgendwie die Seiten gewechselt und gehörte plötzlich zu den bösen Kriminellen, die ich einst so verabscheut hatte, aber das war mir mittlerweile relativ egal. Ich hatte mich damit abgefunden, dass es für mich keinen Weg zurück in eine normale Welt gab, auch wenn ich hier und da noch an meinen alten Werten festzuhalten versuchte. Die Zeit beim FBI schien ich noch immer nicht ganz loslassen zu können und erwischte mich deshalb immer mal wieder dabei, wie ich den Jungs in der Gemeinschaftsunterkunft entgegentrat, als hätte ich noch eine Waffe und die Dienstmarke an mir. Glücklicherweise war das nicht oft der Fall, da ein solches Aufeinandertreffen nicht selten in einem lautstarken Streit ausartete und hätte ich auf kurz oder lang Sabin nicht an meiner Seite gehabt, wäre ich nach einer solchen Konfrontation sehr wahrscheinlich im Schlaf abgestochen oder verdroschen worden. Seit ich allerdings in Samueles Café - es gehörte zwar nicht wirklich ihm, aber für mich mimte er einfach den perfekten Besitzer einer solchen Lokalität - arbeitete, ging ich Streit und Stress ganz automatisch aus dem Weg, denn ich war kaum noch Zuhause. In der Anfangszeit bemühte ich mich noch um einen pünktlichen Feierabend, weil ich Sam einfach nicht länger als nötig mit meiner Anwesenheit nerven wollte, wo unser Verhältnis zueinander doch ohnehin nicht so gut war, aber mit der Zeit brachte ich mich zunehmend mehr in den reibungslosen Ablauf des Caféalltags ein. Als Sabin seinem jüngeren Landsmann schließlich unser Sorgenkinds aufs Auge drückte, der mich daheim bald den letzten Nerv gekostet hatte, versuchte ich dem Italiener bestmöglich zu unterstützen, um ihn dadurch zumindest auf der Arbeit ein wenig zu entlasten. Ich wusste schließlich aus erster Hand, wie anstrengend Richard sein konnte und beneidete wirklich niemanden darum, den Engländer bespaßen zu müssen. Inzwischen schien es dem jungen Mann aber auch besser zu gehen und das freute mich. So konnte jeder langsam aber sicher wieder etwas entspannen und es kam Routine in unser aller Tagesabläufe. Routine, die ich persönlich in jedem Fall brauchte, um mich nicht in Gedanken an meine Vergangenheit zu verlieren, die mir jedes Mal aufs Neue einen Stich ins Herz versetzten. Es ging mir dabei weniger um meine Arbeit oder meine Heimat, die ich wirklich liebgewonnen hatte. Auch nicht um meinen damaligen Mann oder die paar wenigen Freunde, die ich neben dem Job noch gehabt hatte. Nein, es ging einzig und allein um meinen kleinen Sohn, der mir von Zeit zu Zeit unglaublich fehlte und den weder vergessen wollte, noch konnte. Was den Rest anging... Amerika war eigentlich gar nicht so schön, wie alle immer behaupteten und Kilian wollte sowieso nichts mehr mit mir zutun haben. Es konnte mir also egal sein, dass die Staaten mich nicht mehr aufnehmen würden, ohne, dass ich postwendend in den Knast wanderte, aber der Gedanke, Noah nie wieder sehen zu können, zerbrach mir zeitweise wirklich das Herz, wenn ich zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. So beispielsweise auch heute. Ich hatte frei und in der Regel nutzte ich die Zeit dazu, die Bude ein bisschen auf Vordermann zu bringen. Bei so vielen Mitbewohnern bekam ich in der Küche und auch im Bad nicht selten einen Anfall, weil die Jungs es mit dem Aufräumen nun mal einfach nicht wirklich hatten und so musste die einzige Frau hier in diesem Haushalt zumindest ein bisschen Ordnung reinbringen, weil wir alle ansonsten im reinsten Chaos versinken würden. Aber der Tag war schon von Anfang an irgendwie nicht meiner. Schon kurz nach dem Aufwachen hatte ich unglaublich schlechte Laune und ich war wirklich froh, dass mir auf dem Weg in die Küche niemand blöd kam, weil ansonsten heute wieder einer dieser Tage gewesen wäre, wo ich mit einem von Hunters Männern aneinander gerasselt wäre. Da konnte auch die kurze Kuscheleinlagen mit Sabin nichts dran ändern, der noch eine ganze Weile im Bett schlummern würde, nachdem ich mich erhoben und aus dem Zimmer gestohlen hatte. Nachdem ich mir in der Küche einen Tee gemacht hatte und mein Blick über die sich stapelnden Teller geglitten war, entschied ich mich kurzerhand dazu, diese in den Geschirrspüler zu verräumen und dann duschen zu gehen. Zu mehr sollte ich in Hinsicht auf den Haushalt aber heute keine Lust mehr haben und trollte ich mich nach dem Ausflug ins Bad recht schnell ins Wohnzimmer, um mir mit ein bisschen Fernseher die Zeit zu vertreiben. Irgendwie schienen die blöden Cartoons meine schlechte Laune nicht besser zu können und weil ich noch nichts gefrühstückt hatte, knurrte mir bald der Magen. Mit einem hörbar unzufriedenen Seufzen schaltete ich die Flimmerkiste also bereits eine Stunde später wieder aus, ging zurück in die Küche und verfluchte mich dort kurzzeitig dafür, nicht besser als meine Mitbewohner gewesen zu sein, als mir die noch halbvolle Teetasse ins Auge sprang, die ich während des Einräumens der Geschirrspülmaschine auf der Anrichte hatte stehenlassen. Da der restliche Inhalt inzwischen kalt war, schüttete ich diesen kurzerhand weg und ließ die Tasse zum Rest des dreckigen Geschirrs wandern, ehe ich mich daran machte, mir etwas zu Essen zuzubereiten. Ich hatte Lust auf Spiegelei, zu dem ich mir eine Scheibe Brot nahm und Gemüse in Streifen schnitt. Während das Ei in der Pfanne vor sich hin backte, lehnte ich mit der Hüfte nachdenklich an der Theke und so langsam wurde mir bewusst, woher die schlechte Laune herrührte. Ich war mir gar nicht mehr wirklich darüber im Klaren gewesen, dass diese Woche Noahs alljährlicher Schulausflug angestanden hatte, auf den er sich immer tierisch freute, aber das menschliche Unterbewusstsein vergaß so schnell nichts Wichtiges. Um diese Zeit hatte ich mir damals immer Urlaub genommen, um tatsächlich mal so etwas wie ein paar freie Tage mit Kilian genießen zu können, während unser Sohn einen Bundesstaat weiter mit seiner Schulklasse im Badesee tollte und Schiffe aus Schilf bastelte. Dass das dieses Jahr nichts werden würde, verursachte wohl meine innere Unruhe und die allgemein recht schlechte Laune. Denn urplötzlich tauchte das Bild von Noah vor meinen Augen auf, wir er meinen ehemaligen Mann und mich in die Arme schloss, um sich kurz vor der langen Busfahrt von uns zu verabschieden. Dann winkte er immer noch eine Weile aus dem Fenster, bis der Bus dann außer Sichtweite war und Kilian und ich den Heimweg antraten. Derart in Gedanken versunken, brannte mir das Essen beinahe an, wäre nicht einer der Jungs in die Küche gekommen und hätte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich grüßte nur beiläufig, eher leise, während ich mich das Ei auf den Teller lud, wo auch der Rest meines Frühstücks bereits parat lag. Ich angelte mir noch Messer und Gabel aus einer der Schubladen und schlurfte dann rüber in den Essbereich, wo der aufgeklappte Laptop scheinbar ein Zeichen dafür sein sollte, mich mit ihm zu befassen. Er befand sich im Ruhemodus und ich musste erst einmal einige bedenkliche Seiten schließen, die derjenige vor mir noch offen gelassen hatte, bevor ich selbst den Cursor in die Suchleiste des Browsers manövrierte. Allerdings brauchte ich sicher an die fünf Minuten, in denen ich mir ein Karottenstück in den Mund schob und von meinem Brot abbiss, bis ich eigentlich wusste, nach was genau ich eigentlich suchen wollte. Erst gab ich nur Noahs Namen ein, in der Hoffnung, ein Bild von ihm zu finden, aber als Jemand, der wusste, was das Internet so alles mit einem anstellen konnte, hatte ich natürlich tunlichst darauf geachtet, dass kein Bild meines Sohnes auf irgendwelchen Social Media Plattformen zu finden war. Im Nachhinein ärgerte mich das natürlich, denn alle Bilder von ihm waren auf meinem alten Handy gespeichert gewesen. Ergo, hatte ich aktuell nichts, außer der Erinnerung an meinen kleinen Zwerg. Dann aber kam mir eine Idee, wo ich doch gerade noch über den Schulausflug nachgedacht hatte und nach zwei weiteren Bissen fand ich mich daher auf der Website der Grundschule meines Sohnes wieder, auf dessen Hauptseite einem schon die Botschaft UNTERWEGS IM TIERREICH in riesigen Lettern erschlug. Hinter dem Link versteckte sich dann die Erklärung, dass Noahs Klasse in einen Wald abseits unserer damaligen Stadt campieren würde, um dort mehr über die Flora und Fauna zu lernen. Ich überflog den Text eigentlich nur flüchtig, bis mir das Wort Blog ins Auge sprang. Ich zögerte kurz, klickte dann allerdings auch auf diesen Link und ich wusste nicht, ob ich Kilian dafür lieben oder hassen sollte, dass er seine Einwilligung gegeben hatte, dass Bilder von unserem Sohn auf einer öffentlich zugänglichen Internetseite hochgeladen werden dürfen. Ich persönlich war davon nämlich kein Freund, denn ich hatte in meiner Zeit beim FBI auch viele schäbige Pädophile gesehen und auch wenn ich nie viel mit ihnen zutun gehabt hatte, reichte mir das Wissen über ihre Existenz vollkommen aus, um Angst um meinen Sohn zu haben, aber das breite Lächeln auf Noahs Lippen ließ mich das für den Augenblick vergessen. Ich sah es zwar nur auf den Bildern, die im Normalfall gar nicht richtig authentisch waren, aber in dem Fall reichte mir das fürs Erste vollkommen aus, um ebenfalls schwach zu lächeln. Ich stöberte noch ein bisschen durch die Galerie und las mir zu den verschiedenen Unternehmungen auch die Texte der Betreuer durch, bis schließlich meine bessere - ha ha - Hälfte den Essbereich betrat und sich neben mir an den Tisch setzte. Sabin schien endlich aus den Federn gefallen zu sein und ein Blick auf die Uhr ließ mich ein überraschtes "Oh.", murmeln. Ich saß schon eine ganze Weile hier, das Essen war längst vom Teller verschwunden, aber ich hatte mich scheinbar noch nicht wirklich an den Bildern sattsehen können. Wie auch? Schließlich fehlte mir Noah schrecklich doll und ein paar Momentaufnahmen konnten daran rein gar nichts ändern. Mein Blick wanderte jedoch bald schon in Richtung des hochgewachsenen Italieners, der sich neben mir ebenfalls einem ausgewogenen Frühstück widmete, als er sein Wort an mich richtete. Was ich hier machte? Gute Frage eigentlich. Eigentlich starrte ich die ganze Zeit über nur ein paar Bilder an, was irgendwie schon ein bisschen gruselig war. "Ehm... ich...", stammelte ich nachdenklich, dann aber seufzte ich. Was sollte ich mir hier eine Geschichte aus den Rippen leiern, wenn Sabin die Wahrheit doch sicher verstehen würde? "Ich vermisse Noah. Und ich hab mich daran erinnert, dass er jetzt mit seiner Schulklasse im Camp ist. Wie jedes Jahr. Da dachte ich... ich schau einfach mal, ob es auf der Seite Bilder von ihm gibt. Ich... hab ja nichts mehr von ihm.", erklärte ich also immer leiser werdend, warum ich so früh morgens durch das Internet surfte. Dabei sah ich Sabin entsprechend geknickt an, weil mir das Ganze nach wie vor unglaublich nahe ging. Es auch immer gehen würde, weil Noah nun mal mein Fleisch und Blut war und er mir fehlte. Ich mir unglaublich viele Vorwürfe machte und... ach, ich konnte es gar nicht in Worte fassen. Ich hatte einfach viel zu viel falsch gemacht.
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Im ersten Moment schien Syd nicht so recht zu wissen, was sie denn nun auf meine Frage antworten sollte und druckste ein kleines bisschen herum. Da ich es aber keinesfalls eilig hatte war es vollkommen unnötig deswegen nochmal zusätzlich nachzubohren. Ich gab ihr einfach die Zeit, die sie zum Finden der korrekten Wortwahl zu brauchen schien und dann schilderte die junge Frau mir gut verständlich, was sie gerade am Notebook machte - sie vermisste ihren Sohne und durchforstete deshalb die Website seiner Schule nach ihm ab, weil sie keine andere Möglichkeit dazu hatte, ihn zu sehen, Natürlich war ich mir nicht ganz sicher, ob sich das Vermissen für die Brünette wirklich ganz genauso anfühlte, wie es das bei mir auch tat. Schließlich hatte ich selbst Frau und Kind verloren und wusste, wie es war, wenn man dann plötzlich ganz ohne sie auskommen musste. Vielleicht war es trotzdem nochmal etwas anderes, wenn das vermisste Kind noch lebte. Für mich war der Abschied damals absolut endgültig gewesen und ich würde in meinem Lebens niemals mehr eine Chance dazu haben, die beiden wiederzusehen. Daran gab es nichts zu rütteln und inzwischen hatte ich so weit damit abgeschlossen, wie das möglich war. Ich würde meine Tochter immer vermissen und mich wahrscheinlich auch immer fragen, ob sie zu einem genauso wundervollen Menschen herangewachsen wäre, wie ihre Mutter. Meine einstige Ehefrau fehlte mir inzwischen deutlich weniger. Natürlich war auch sie nicht ersetzbar, aber ich hatte in Sydney eine andere, wirklich tolle Frau gefunden. Sie hatte meine mentale und körperliche Einsamkeit aufgefangen und ich fühlte mich bei ihr wirklich wohl, mehr als nur gut aufgehoben und ich liebte sie. Ich wollte sie nicht mehr missen müssen. Trotzdem würde der Schmerz, der beim Gedanken an meine Tochter aufkam, vermutlich für immer bleiben. Allein deswegen schon, weil es meine Schuld war. Aber womöglich war es eben nochmal eine ganz andere Sache, wenn man wusste, dass die Person, die man vermisste, theoretisch durchaus greifbar wäre. Dass sie eben nicht für immer weg war, sondern es vielleicht schon Wege dafür gäbe, sie wiederzusehen - dabei war wahrscheinlich auch nicht wirklich relevant, wie dumm das theoretisch wäre, wenn man mit dem alten Leben eigentlich komplett abschließen sollte, um sich selbst zu schützen. Mich würden sehr sicher keine zehn Pferde dazu kriegen können, mein Kind irgendwo zurückzulassen. Natürlich war Sydneys Sohn nicht allein und er hatte nach wie vor seinen Vater bei sich, also war es eher unwahrscheinlich, dass es ihm schlecht ging. Trotzdem ginge es ihm womöglich besser, wenn seine Mutter wieder bei ihm wäre und wie ursprünglich geplant aus Oslo weg und zurück in die Staaten zu ihm geflogen wäre. Ich an Syds Stelle würde mir mit Sicherheit Vorwürfe machen, daran hatte ich keine Zweifel. Und selbst dann, wenn sie sich die nicht machte, weil sie eben wusste, dass ihr Kind dennoch gut aufgehoben war, dann würde sie ihn trotzdem noch vermissen. Da war es naheliegend, dass sie nach irgendeiner Möglichkeit dafür suchte, ihn ein bisschen sehen zu können. Von Angesicht zu Angesicht war leider nicht möglich, da hatte sie sich am Laptop eben eine andere Möglichkeit dafür gesucht, weil sie sonst nichts mehr von ihm hatte. Absolut nachvollziehbar für mich als ehemaligen Vater. Ihr Gesichtsausdruck tat fast schon weh, als sie mich ansah, obwohl ich selber damit gar nichts zu tun hatte. Oder... doch, eigentlich schon irgendwie ein bisschen. Immerhin war die Brünette wegen mir ins Ausland geflogen, um ihrem Job gewissenhaft nachzukommen und irgendwie hatte ich sie dann nach und nach auf die schiefe Bahn gebracht, auch wenn das gar nicht meine Absicht gewesen war. Es war vielleicht nicht explizit meine Schuld, weil ich ja nicht auf Sydney als meine Betreuerin bestanden und sie bis dahin auch gar nicht gekannt hatte, aber wäre ich nicht gewesen, dann wäre sie sicherlich trotzdem längst wieder bei ihrem Sohn. Ich schüttelte innerlich den Kopf über diese Gedanken, waren sie doch kein bisschen hilfreich und die Zeit zurückdrehen konnten wir beide sowieso nicht. Zumal ich das auch gar nicht wollte, weil das hieß, dass ich Syd gehen lassen und wieder allein sein müsste. "Kann ich gut verstehen...", ließ ich die junge Frau leicht gemurmelt wissen, dass ich bestens verstehen konnte, wie sie sich im Moment fühlen musste. Danach biss ich ein weiteres Mal in mein Frühstück und dachte einen Moment lang weiter über all das nach, während meine Augen ebenfalls ein bisschen über den Bildschirm wanderten. Es waren eigentlich alles Bilder mit mehreren Schulkindern, also ließ sich für mich nicht wirklich ausmachen, welcher von den Jungs nun Noah war. Die Namen waren wahrscheinlich ganz bewusst nirgends vermerkt. "Welcher ist Noah?", zeigte ich mich mit einem aufbauenden Lächeln weiterhin interessiert an Sydneys Problem. Außerdem interessierte es mich wirklich, ob man die Gesichtszüge seiner Mutter hier und da vielleicht sehen konnte, wenn man genauer hinsah. Außerdem war die Frau an meiner Seite sicherlich froh darüber, wenn sie einfach noch ein bisschen über ihn reden konnte, wenn sie ihn so sehr vermisste. Mein Frühstück konnte ich schließlich so nebenher weiter in mich reinschieben. Dass ich mal eine Mahlzeit wirklich ausgiebig genoss war in den letzten Monaten hier auf Kuba ohnehin sehr selten geworden, weil ich kaum Zeit dazu hatte. Also lehnte ich mich mit dem Brot in der Hand ein wenig mehr zu ihr rüber und stützte mich mit dem ihr zugewandten, angewinkelten Unterarm auf ihrer Stuhllehne ab, um einen geraderen Blick auf den Bildschirm haben zu können. Wenn man schräg drauf guckte waren die Bilder dank des nicht mehr wirklich aktuellen Display leider nicht besonders gut anzusehen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es gab wenige Menschen, denen ich es abkaufen würde, dass sie nachvollziehen konnten, wie ich mich im Augenblick fühlte. Sabin war einer davon, weil ich seine Akte beinahe auswendig gelernt hatte, als wir in unserer Anfangszeit auf dem Weg nach Norwegen im Flieger und letztlich im Auto saßen. Daher wusste ich, dass auch er zwei seiner bis dahin wohl wichtigsten Menschen verloren hatte. Damals hatte sich mein Mitgefühl für ihn zwar stark in Grenzen gehalten, aber mittlerweile tat es mir für ihn wirklich wahnsinnig leid. Ich hatte an ihm eine Seite kennengelernt, die einfach absolut liebeswert war und ich bezweifelte, dass er sich seiner Frau und seiner Tochter gegenüber anders gezeigt hatte. Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit war er mit ihnen genauso liebevoll umgegangen, wie mit mir auch und demnach hatte er es meiner Meinung nach wirklich nicht verdient, dass sie ihm auf diese brutale Art und Weise entrissen worden waren. Aber gut, daran ließe sich nichts mehr ändern und meine Laune würde nur noch tiefer in den Keller abrutschen, wenn ich jetzt weiter darüber nachdenken würde, wie schlecht es Sabin gegangen sein muss, als er vom Tod der beiden erfahren hatte. Ich seufzte also leise, schüttelte dabei den Kopf und richtete meinen Blick wieder auf den Bildschirm. Zu sehen war dort gerade ein Klassenfoto, auf dem jeder Schüler ein Tierpräparat in den Händen hielt. Allesamt strahlten förmlich in die Kamera, nur ein Lächeln war für mich von ganz besonderer Bedeutung. Meine Mundwinkel zuckten leicht, als ich Noah auf dem Bild erblickte und just in diesem Moment lehnte sich der hochgewachsene Italiener zu mir rüber und fragte mich, wer von den insgesamt fünfzehn Schülern jetzt eigentlich mein Sohn war. Eine Antwort meinerseits ließ gar nicht lange auf sich warten, zeigte ich doch prompt auf einen der eher mittig positionierten Kinder mit kurzen, braunen Haaren und hellblauen Augen. "Das... ist Noah.", unterstrich ich meine Geste noch unnötigerweise mit ein paar wenigen Worten, lächelte dabei ein wenig. Die Haare hatte er definitiv von seinem Papa, so dicht und in einem so kräftigen braun, dass es schon fast Schwarz wirkte. Die Augen hingegen hatte ich ihm vermacht. "Es überrascht mich ehrlich gesagt, dass er so glücklich ist... er mag die Natur eigentlich nicht besonders.", fügte ich murmelnd hinzu, wobei sich das keinesfalls darauf bezog, dass mein Sohn ungerne einen Fuß vor die Tür setzte. Glücklicherweise verbrachte er gerne Zeit draußen und es machte ihm auch überhaupt nichts aus, durch Pfützen oder in den Dreck zu springen, aber es gab da eine Sache, die gefiel ihm ganz und gar nicht. "Insekten, jegliche Art von Krabbeltieren... damit kannst du Noah eigentlich jagen.", lieferte ich Sabin noch die Erklärung darüber, warum es mich so wunderte, dass mein Sprössling so unglaublich fröhlich aussah. In Anbetracht der Tatsache, dass er mich ziemlich sicher vermissen dürfte, wunderte es mich sogar gleich doppelt so sehr, aber Kinder verarbeiteten ihr Empfinden nicht selten ganz anders, als es ein Erwachsener tun würde. Vielleicht weinte Noah ja in der Nacht oder stellte das Lächeln ein, wenn er alleine war, was wusste ich schon. Außerdem war er es gewissermaßen gewohnt, wenn ich nicht da war. Vielleicht ging es ihm also gar nicht so schlecht. Ob Kilian ihm erzählt hatte, dass ich nicht mehr wiederkommen würde? Wenn nicht, dann hätte es Noah sicher auf kurz oder lang über die Nachrichten erfahren. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass dieser Vorfall einfach unter den Teppich gekehrt wurde, wobei es natürlich ein absolut beschissenes Licht auf das FBI warf, wenn öffentlich publiziert wurde, dass eine ehemalige Angestellte mit einem Kriminellen durchgebrannt ist. Vielleicht hatte das Management der Einheit also auch alles daran gesetzt, dass bloß nichts darüber berichtet wurde. Auch in dem Fall konnte ich nur spekulieren, aber im Grunde genommen war es auch egal, ob Noah nun wusste, dass ich nicht mehr wieder kam oder eben nicht. Irgendwann würde er sich sicher fragen, wo ich abgeblieben war und warum ich mich nicht bei ihm meldete. Kilian würde daher irgendwann in Bedrängnis kommen und ihm entweder die Wahrheit erzählen oder ihm irgendeine Geschichte auftischen müssen und das... tat einfach unglaublich weh. Ich war weder tot, noch hatte ich meinen Sohn von mir stoßen wollen. Ich war auch nicht freiwillig gegangen und wäre gerne wieder nach Amerika zurückgekehrt, aber würde mein Ex-Mann ihn das auch wissen lassen? Ich wagte es irgendwie stark zu bezweifeln. Also seufzte ich erneut, dieses Mal deutlich resignierter und meine Hand sank zurück auf den Tisch. "Er fehlt mir, Sabin. Mehr als alles andere.", ließ ich den gutsaussehenden jungen Mann neben mir wissen, dass über mich aktuell die Trauer über diesen mehr oder weniger Verlust meines Kindes hereinbrach. Es war einfach schwer, etwas zu verarbeiten, etwas zu vergessen, das noch da war. Nicht, dass ich mir jetzt wünschen würde, Noah gänzlich und für immer zu verlieren, aber... es würde mir dann sehr wahrscheinlich leichter fallen, seinen Tod zu verarbeiten, als mich damit abfinden zu müssen, ihn nicht mehr aufwachsen sehen zu können.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Sydney deutete kurzum auf ihren Sohn und ich folgte ihrem Finger schwach vor mich hin lächelnd mit den Augen. Während sie noch ein paar Worte dazu loswurde begann ich schon damit, den Jungen ein bisschen zu mustern. Hier und da hatte er durchaus ein kleines bisschen Ähnlichkeit mit seiner Mutter, wobei das wohl am deutlichsten an seinen hellen Augen zu sehen war. Ich warf nochmal einen flüchtigen Seitenblick zu Syd rüber, um mich was das anging abschließend zu vergewissern, kurz bevor sie auch schon weiterredete. Ich hörte ihr aufmerksam dabei zu, wie sie mir ein vermeintlich kleines Detail über ihren Sohn erzählte. Es war scheinbar eher ungewöhnlich für den Kleinen, dass er sich gerne mit dem auch für viele andere Menschen unangenehmen Krabbelzeug befasste. Was das anging waren Noah und ich wohl einer Meinung. Zwar ekelte ich mich nicht wirklich vor Insekten und anderem kleinen Viehzeug - was auch komisch wäre angesichts der Tatsache, dass ich in der Vergangenheit durchaus schon zwangsweise den einen oder anderen Menschen zerstückelt hatte -, aber ich musste die Dinger nun auch nicht unbedingt in meiner Nähe haben. Gerade die summenden Kandidaten waren langfristig in den eigenen vier Wänden absolut nervtötend und sowas gehörte für mich ausschließlich nach draußen. Zwar ließ es sich nicht immer vermeiden, dass eine Fliege oder gar eine Wespe im Sommer ihren Weg ins Wohnzimmer fand, aber soweit wie möglich galt es die Dinger zu eliminieren. Jedenfalls war es für Sydneys Sohn scheinbar eher ungewöhnlich, dass er an den Insekten Gefallen fand. Es schien mir aber gar nicht so verkehrt, wenn er sich dann trotzdem damit auseinandersetzte und am Ende sogar doch ein bisschen Spaß daran hatte. Er steckte ja ohnehin noch mitten in der Entwicklungsphase, vielleicht hatte er sich bei genauerer Betrachtung also einfach ein bisschen umentschieden. Womöglich war ihm genau dieses eine Insekt ja aus unerfindlichen Gründen sympathisch und das nächste fand er dann wieder blöd. Solange er da keine krankhafte Phobie hatte - was ja offenbar nicht der Fall war, weil ihm sonst kaum nach Lachen zu Mute wäre -, war sicherlich alles im grünen Bereich. Ich zuckte leicht mit den breiten Schultern, ohne dass das Lächeln erlosch. "Vielleicht hat's ihm ein Lehrer schön geredet... oder er hat dem Ding einfach einen Namen gegeben, den er mag. Kinder sind was das angeht ja nicht immer ganz nachvollziehbar.", stellte ich zwei mögliche Theorien meinerseits in den Raum. Warum genau er am Ende so glücklich auf dem Bild aussah, war vielleicht auch gar nicht so relevant. Die Hauptsache war, dass es ihm zumindest in diesem Augenblick gutzugehen schien und er nicht durchweg in Trauer versank, weil seine Mutter nicht mehr da war. Zwar vermisste er sie bestimmt trotzdem, aber es war wichtig, dass er dann zumindest hier und da auch wirklich positive Momente durchlebte. Es wäre schlimm, wenn er schon so früh kaputt gehen müsste. Daran wollte ich nicht mal denken, also vertrieb ich diesen Gedanken schnell wieder und widmete mich lieber Sydneys restlichen Worten... auch, wenn sie ungefähr genauso bedrückend waren. Meine Augenbrauen zogen sich mitfühlend zusammen und ich legte das bisher nur halb aufgegessene Brot wieder zurück auf den Teller, um stattdessen nach ihrer Hand auf dem Tisch zu greifen und meine Finger mit den ihren zu verschränken. Erstmal murmelte ich nur ein leises "Ich weiß, Syd...", dann hob ich auch die bis jetzt auf der Rückenlehne ruhende Hand noch an und strich der Brünetten sanft übers Haar. Musterte ihr Gesicht gewissermaßen besorgt, weil ich ihr was das anging einfach nicht helfen konnte. Oder zumindest wäre es nicht unbedingt sinnvoll, das zu versuchen. Mit der temperamentvollen Russin hatten wir hier auf der Insel Jemanden, der es theoretisch durchaus hinbekommen könnte, uns in die USA zu schleusen. Zwar waren die Staaten sicher schwerer auszutricksen als beispielsweise Kuba und wir müssten doppelt vorsichtig sein, weil Syd genau dort ja weiterhin aktiv gesucht wurde... aber unmöglich wäre es nicht, sie noch einmal mit Noah zu vereinen. Mehrere Besuche hielt ich dann schon für deutlich schwieriger, weil es eben schon möglich wäre, dass sie beim ersten Versuch mal irgendwo von einer Kamera eingefangen werden würde. Aber zumindest könnte sie sich dann richtig von ihm verabschieden und ihm all das mal erklären - so, wie es eben wirklich war und nicht irgendeine andere Geschichte, die ihn schonen sollte. Die Wahrheit könnte er früher oder später sowieso auch selbst finden und da käme es dann auch seinem Vater nicht zu Gute, dass er gelogen hatte. Falls er gelogen hatte, wissen konnte ich das nicht und einen mir unbekannten Menschen einschätzen zu wollen wäre blankes Mutmaßen. "Wenn du ihn wiedersehen könntest... würdest du's wollen?", stellte ich Sydney nach einigen schweigsamen Sekunden schließlich eine Frage, den Blick auf ihr Gesicht geheftet. Natürlich war es eigentlich nicht wirklich klug, auch nur über eine Reise in die Staaten nachzudenken, weil keiner von uns beiden da drüben sicher war. Aber da kam wohl einfach der Vater in mir durch und deswegen war mein Mund deutlich schneller als mein Kopf gewesen, während ich der jungen Frau mit dem Daumen zärtlich über ihren streichelte. Es tat eben einfach weh, sie so zu sehen.
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Ich wünschte mir wirklich, Sabins sanfte Berührungen könnten einen Teil der Schmerzen, die ich wegen Noah empfand, aufwiegen, aber das taten sie leider nicht. Es half mir zwar dabei, nicht gleich Rotz und Wasser zu heulen, je länger ich das Bild meines Sohnes ansah, glasig wurden meine Augen aber trotzdem. Und bevor sich doch noch eine Träne über meine Wange verwirrte, wandte ich den Blick schließlich vom Bildschirm ab und sah stattdessen rüber zu dem jungen Mann neben mir, für den ich mich um ein mehr oder weniger verzweifeltes Lächeln bemühte. An dem Punkt mochte man schon wieder gar nicht glauben, dass dieser Mensch etliche andere Menschenleben auf dem Gewissen hatte und sein Geld nicht zuletzt mit weniger legalen Mitteln verdiente. Sabin war für seine Strafakte ein eigentlich viel zu liebeswerter und gutmütiger Mann, der nicht nur für die Frau, die er offensichtlich liebte, sondern auch für gute Freunde - siehe Richard - einstand. Natürlich konnte der Italiener auch mal ziemlich anstrengend sein und im Fall der Fälle eben auch zu deutlich härteren, gar überzogenen Maßnahmen greifen, wenn Jemand nicht spurte, aber alles in allem... wunderte es mich schon lange nicht mehr, dass ich mein Herz an ihn verloren hatte. Auch, wenn Sabin überhaupt erst der Grund dafür war, dass mein Leben inzwischen einer Achterbahnfahrt der Gefühle glich. Trotzdem war ich froh, dass ich ihn jetzt an meiner Seite wissen konnte, weil ich alleine ziemlich sicher einfach untergangen wäre. So ohne Perspektive, ohne Mann und ohne meinen Sohn hätte ich nicht gewusst, wohin mit mir und auf kurz oder lang wäre ich den Bullen vermutlich freiwillig in die Arme gelaufen oder auf der Straße umgekommen. Mir darüber jetzt allerdings zu der ohnehin schon schlechten Laune Gedanken zu machen, war nur alles andere als förderlich für das angeschlagene Gemüt und so ließ ich es kurzerhand einfach sein. Konzentrierte mich stattdessen auf das Hier und Jetzt und vor allem auf die Worte meines Freundes, die mich ihn für einen Augenblick lang nachdenklich ansehen ließen. Allerdings nur für vielleicht drei oder vier Sekunden, weil ich für eine Antwort auf seine Frage nicht länger brauchte. "Natürlich.", platzte es aus mir heraus und ich ergänzte kurz darauf noch ein "Jederzeit.", weil das für mich einfach selbstverständlich war. Was war das denn für eine Frage? Anders als Sabin war ich mir aber nicht im Klaren darüber, dass das mit Vahagn kein Ding der Unmöglichkeit darstellte, weil ich sonst bestimmt längst selbst die Initiative ergriffen hätte, zumindest zu versuchen, Noah noch einmal wiederzusehen. In dem Punkt dachte ich wohl einfach noch zu sehr wie eine gute, gesetzestreue Bürgerin, die ihr Schicksal, das sie ihren Sohn nicht mehr sehen darf, nachdem sie des Verrats beschuldigt und damit zu einer gesuchten Verbrecherin geworden war, stillschweigend akzeptiert hatte. Denn nicht einmal jetzt, wo mehr als offensichtlich war, dass Sabin scheinbar eine Idee hatte, wie sich ein Treffen mit meinem Sohn arrangieren ließ, dachte ich auch nur im Entferntesten daran, dass es da tatsächlich die ein oder andere Möglichkeit gab. Nicht ganz legal, aber das verstand sich inzwischen ja irgendwie von selbst. Inzwischen war es wohl auch schon ganz egal, ob wir auf kurz oder lang noch geschnappt werden würden, weil für jeden einzelnen von uns mit Sicherheit Knast im mindestens zweistelligen Bereich auf dem Plan stand - ein Delikt mehr oder weniger würde den Kohl also nicht mehr wirklich fett machen. Ich seufzte, schüttelte noch währenddessen ratlos mit dem Kopf und klappte den Laptop beiläufig zu, sodass ich nur noch auf den Tisch vor mir sah, als ich meinen Kopf wieder nach vorne drehte. Ihn dann auf der Hand meines angewinkelten Arms ablegte, um mir seitlich über die Schläfen zu reiben. "Ich hab einfach Angst, dass Noah ein falsches Bild von mir kriegt. Meinem Ex-Mann traue ich zu, dass er ihm die wildesten Geschichten erzählt, damit er in ein paar Jahren, wenn er alt genug ist, all das zu verstehen, gar nicht erst auf die Idee kommt, mich zu suchen.", murmelte ich mit unzufriedener Stimmlage vor mich hin. Kilian und ich hatten bis zuletzt zwar ein sehr gutes Verhältnis, aber in Hinsicht auf meinen damaligen Job schon immer unsere Differenzen. Dass ausgerechnet dieser jetzt der Grund dafür war, dass ich überhaupt nicht mehr nach Hause kommen konnte und die Erziehung nun vollends bei ihm lag, machte das Ganze nicht wirklich besser. Es bestätigte ihn quasi nur in all den Sorgen, die er in den ganzen letzten Jahren bezüglich meiner Art und den möglichen Konsequenzen gehabt hatte und das nervte mich. Ich hatte es schließlich nie böse mit ihm oder Noah gemeint, wollte die Allgemeinheit - also weit mehr, als nur zwei Menschen in meinem näheren Umfeld - davor schützen, nachts in irgendeiner abgelegenen Gasse abgestochen oder erschossen zu werden. Dass ich dafür Abstriche machen musste, war uns allen klar gewesen und doch schien der Amerikaner das nie so wirklich verstanden zu haben. Aber gut, das war ja jetzt überhaupt kein Thema mehr. Dafür hatte ich jetzt andere, weitaus größere Sorgen...
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Die Brünette hatte ziemlich schnell eine Antwort für mich parat, was eher nicht überraschend war. Wenn sie ihren Sohn vermisste, würde sie ihn zweifelsfrei gerne noch einmal in ihre Arme schließen wollen. Nur gab es da eigentlich eben auch ein paar Risiken und Nebeneffekte zu bedenken. Klar - als besorgter Elternteil ignorierte man das schnell und gerne, würde ich schließlich auch nicht anders machen. Aber es barg eben trotzdem den einen oder anderen Haken, dem kleinen Jungen einen Besuch abzustatten. Zum einen wäre es sicher nicht allzu leicht nicht aufzufallen, wenn man ihn irgendwo abfing. Einfach an der Haustür von Sydneys Verflossenem zu klingeln kam schließlich nicht in Frage, war ich mir doch ziemlich sicher, dass der prompt die Cops rufen und es tunlichst vermeiden wollen würde, dass die Mutter seines Sohnes wieder Kontakt aufnahm. Schließlich hatte es sicher eine ganze Weile gedauert, bis etwas Gras über den Verlust gewachsen war, den Noah hatte hinnehmen müssen. Es würde mit Pech sehr viel wieder aufwühlen und vielleicht fiel es dem Jungen dann noch schwerer, sich an ein Leben ohne seine Mutter zu gewöhnen. Außerdem würde es womöglich auch Sydney selbst danach noch schwerer fallen, sich ein Leben ohne Noah weiterhin vorzustellen. Gerade auch deswegen, weil sie offensichtlich schon jetzt sehr unglücklich damit war. Unter Umständen war es danach dann nur noch unerträglicher. Zwar könnte es auch besser werden, wenn sie wusste, dass ihr Sohn zumindest die Wahrheit kannte und nicht mehr an irgendeine aufgetischte Lüge ihres Ex-Manns glauben musste, aber es blieb an sich schon sehr verzwickt. Man bräuchte schon eine magische Glaskugel, um wirklich vorhersehen zu können, was genau es auslösen würde, wenn die ehemalige Polizistin wieder auf ihren Sohn traf. Ich ließ meine Hand von ihrem Haar rutschen, als sie den Kopf auf ihren Arm stützte und legte meine Finger stattdessen auf ihrer besser erreichbaren Schulter ab. Zwar konnte meine Nähe kaum ihren Verlust ausbügeln, aber schaden konnte das eine oder andere Streicheln ganz bestimmt nicht. Das, was Sydney dann noch weiter von sich gab, konnte ich ebenso gut nachvollziehen. Es war einfach bis zu einem gewissen Grad relativ wahrscheinlich, dass Noahs Vater nicht wollte, dass sein Sohn zukünftig irgendwann nach seiner Mutter suchen würde. Es im Keim ersticken wollte, bevor er überhaupt erst auf die Idee kommen konnte. Das ließe sich schlichtweg am einfachsten bewerkstelligen, indem er dem Kleinen von Anfang an etwas eintrichterte, dass ihm deutlich machen sollte, dass die Suche es nicht wert war. Dass er gar nichts mehr mit Syd zu tun haben wollen konnte, weil sie Irgendwas Schreckliches getan hatte... oder gar angeblich tot war. Bei zweckmäßigen Lügen war die menschliche Fantasie leider blühend und der Egoismus nicht rar gesät. "Das wäre nicht grade fair von ihm.", stellte ich etwas nachdenklich fest. Stellte wegen der Denkerei dann auch die Streicheleinheiten an ihrem Handrücken ein, zog die Hand langsam zu mir zurück. Die andere blieb aber auf ihrer Schulter liegen, als ich nach der Kaffeetasse griff und ein paar Schlucke nahm. Wahrscheinlich war es nicht schlau und auch nicht gut, der schönen Brünetten jetzt unter die Nase zu reiben, dass sie theoretisch eine Möglichkeit zur Bereinigung der Dinge hatte. Jetzt, wo ich das Thema schon angeschnitten hatte, wollte ich was das anging aber auch keine Rückzieher mehr machen. Meine Augen musterten einen Moment lang die schwarze Flüssigkeit mit schon abgeebbter Schaumkrone in dem Becher, bevor ich meinen Blick wieder anhob und Sydney ansah. "Es... gäbe da vielleicht schon eine Möglichkeit, das Alles in Ordnung zu bringen, Sydney.", fing ich leicht gemurmelt an, meinen vorherigen Gedanken nach außen zu tragen. "Ich kann dir zwar nicht sagen, wie gefährlich eine vorübergehende Einreise in die Staaten ist, weil ich was das angeht leider nicht vom Fach bin... aber Vahagn kennt sich damit aus und hat auch die Mittel. Also... theoretisch eben.", offenbarte ich einen noch eher vagen Vorschlag, zuckte abschließend leicht mit den Schultern. Dann nahm ich den nächsten Schluck vom Kaffee, ohne dabei die Augen über den Rand hinweg von Syd abzuwenden.
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Natürlich wäre das nicht fair, aber ich musste gestehen, dass ich es vermutlich nicht anders gemacht hätte. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil ich nicht wollte, dass Noah sich auf die Suche nach seinem kriminellen Elternteil machte und dabei am Ende vielleicht selbst auf die schiefe Bahn geriet. Gut, das nun ausgerechnet ich diejenige war, vor der ich Noah eigentlich schützen müsste, könnte ironischer eigentlich kaum sein. Logischerweise glaubte ich jetzt nicht daran, dass ich meinen eigenen Sohn für kriminelle Machenschaften bekehren wollte - nur spielte das nicht einmal ansatzweise irgendeine Rolle. Denn sobald man einmal mit Hunter in Kontakt gekommen war, steckte man grundsätzlich mächtig in der scheiße, vollkommen unabhängig davon, wie alt man war. Außerdem hatte der Amerikaner mich sowieso auf dem Kieker, nachdem ich mir das ein oder andere Mal etwas zu viel herausgenommen hatte. Grundsätzlich schien er sich zwar die Stirn von Sabin bieten zu lassen, aber mich immer und immer wieder hinter meinem Freund zu verstecken, nur weil ich selbst Mist gebaut hatte, war jetzt auch nicht so das Wahre. Aber ich schweifte ab. Jedenfalls empfand ich es ebenso unfair von Kilian, wenn er unserem Sohn Lügengeschichte über meinen Verbleib auftischen würde, wie es in Sabin Augen der Fall war, aber ich sagte dazu trotzdem nichts weiter. Eben weil ich diesen Schritt bis zu einem gewissen Grad hätte nachvollziehen können. Was die darauffolgenden Worte des Italieners anging, mussten mir für einen Moment lang wohl sämtliche Gesichtszüge entglitten sein, denn ich starrte mit leicht geöffnetem Mund und leeren Augen vor mir auf das zugeklappte Laptop und weckte damit den Anschein, als würde ich gerade meine Existenz in ihren Grundfesten ergründen wollen. Als ich mich dann auf dieser kurzzeitigen Starrte lösen konnte, schwang mein Kopf förmlich in Sabins Richtung und ich richtete mich sofort etwas gerader auf dem Stuhl auf. Natürlich! Wieso war ich da nicht selbst drauf gekommen? Schließlich war es doch Vahagn gewesen, die uns mit einer neuen Identität zu Kubanern gemacht hatte, warum also sollte sie es nicht auch irgendwie gedeichselt kriegen, mich Noah sehen können zu lassen? Im ersten Augenblick war ich von dem Vorschlag also hellauf begeistert, aber je länger ich darüber nachdachte, desto schneller sanken meine Mundwinkel dann auch schon wieder ab. Erstmal konnte ich mir nicht erklären, wie sie mich bitte in die Staaten schleusen könnte, wo mein Gesicht doch keines derer war, die man am Flughafen auf Überwachungskameras entdecken wollte und zum anderen... selbst wenn sie es irgendwie hinbekommen würde - ich traute der Russin einiges zu -, dann war es bestimmt nicht leicht, sich unauffällig durch die Straßen zu mogeln, ohne dabei von örtlichen Zivilstreifen aufgelesen zu werden und wenn ich eines wusste, dann war es, dass in meiner damaligen Wohngegend eine Menge Polizei präsent war. "An sich wäre ich sofort dabei...", murmelte ich nachdenklich und meine kurzzeitige Euphorie war wieder wie weggeblasen. "Aber... ich wüsste nicht, wie Vahagn das anstellen soll. Ich bin des Landesverrats angeklagt, Sabin. Wenn die mein Gesicht auf irgendeiner Kamera entdecken, bin ich geliefert. Und selbst wenn ich es bis nach Hause schaffe, würde Kilian mit großer Wahrscheinlichkeit sofort die Polizei rufen, sobald ich die Einfahrt entlangmarschiere.", äußerte ich offenkundig meine Bedenken zu der ganzen Geschichte. Dann wandte ich meinen Blick wieder von dem jungen Mann ab, sah auf meine Hände und überlegte. Aber egal, wie ich es auch drehte und wendete, ich kam mit dem Vorhaben auf keine grünen Zweig. Vermutlich lag das aber auch an dem offensichtlichen Brett vor dem Kopf, überschlugen sich meine Gedanken förmlich.
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Offenbar hatte die Brünette bisher noch nicht mal im Entferntesten daran gedacht, dass sie ihren Sohn dank eines Mitglieds in unserer Crew theoretisch noch einmal sehen können würde. Dass es durchaus einen Weg geben könnte, sich zumindest richtig von ihm zu verabschieden und die lange Funkstille mehr oder weniger etwas zu bereinigen. Sydneys Gesichtsausdruck machte sehr deutlich, dass sie bisher noch keinen einzigen Gedanken an einen Vorschlag wie meinen verschwendet hatte und als sie mich schließlich ansah, war das kurzzeitige Erstaunen auch noch nicht wieder vollends aus ihren Gesichtszügen gewichen. Allerdings dauerte es trotzdem nicht lange, bis sie mit den ersten Worten herausrückte und die drückten deutlich aus, dass die Amerikanerin doch große Lust dazu hätte, ihren Sohn noch einmal wiederzusehen - wenig überraschend. Nur ihr Tonfall dabei ließ schon die Zweifel an dieser Geschichte verlauten, die sie gleich im Anschluss kundtat. Natürlich war es nachvollziehbar, dass sie die Option hinterfragte - was sie eigentlich auch mit dem Besuch an sich tun sollte, aber sei's drum -, aber ich glaubte zu wissen, dass das nicht wirklich notwendig war. Sehr wahrscheinlich würden zwar auch Vahagns Dienste in Form von unentdeckten Reisen für unwillkommene Passagiere irgendwo ihre Grenzen haben, aber ich glaubte nicht, dass es daran scheitern würde. Zwar waren die Staaten bestimmt nicht so leicht austricksen, aber wenn sie jahrelange Erfahrung diesbezüglich hatte, dann bekam sie das bestimmt hin. Noch dazu war der Flug - oder die Schiffsreise - nicht besonders lang, es würde also hoffentlich auch keinen finanziellen Rahmen sprengen. Die sture Brünette würde uns beide kaum aus reiner Herzensgüte für umsonst rüber kutschieren, aber die Vereinigten Staaten waren nicht weit weg, quasi gleich um die Ecke. Es blieb also einfach zu hoffen, dass es uns beide nicht vollkommen in den Ruin treiben würde, wo meine Schulden bei Hunter doch noch immer nicht ganz abgesessen waren. Allerdings sollte Geld für mich wie so oft das letzte Problem sein. Solange ich weiter fähig sein würde die Raten an den Choleriker abzudrücken, war das schon irgendwie im Rahmen des Möglichen. Zumal sowas auch ganz bestimmt eine kleine Weile Planung seitens Vahagn brauchte und jetzt, wo Richard erfolgreich wieder mit ins Labor eingestiegen war, würde das schon irgendwie gehen. Musste es eben. Ich wollte Syd keine Hoffnungen machen, nur damit jene dann am finanziellen Aspekt scheiterten. Ein schwaches Schulterzucken und das aufbauende Lächeln, das wieder in meine Gesichtszüge einkehrte, sollten signalisieren, dass ich die Geschichte vorerst mal deutlich weniger eng sah, als meine Freundin. "Ich glaub nicht, dass das wirklich ein Problem ist. Müsste Hunter überall durch den Zoll, wo sie ihn hinfliegt, oder gar quer durch öffentliche Flughäfen, säße er sehr sicher schon längst wieder hinter Gittern.", zeigte ich mich was das anging ziemlich bedenkenlos. Vielleicht wurde der Amerikaner nicht spezifisch in Russland oder hier auf Kuba gesucht, dafür aber in zahlreichen anderen Ländern - eine internationale Fahndung nach ihm war sicherlich gegeben, so als Serienmörder - und sein Erscheinungsbild war nicht grade unauffällig. Es dürfte also ungefähr nie vorkommen, dass Vahagn ihn irgendwo ablieferte, wo er dann erstmal Papiere vorzeigen und an zwanzig Kameras vorbei musste. "Und ich dachte eigentlich auch nicht unbedingt an einen Besuch direkt bei deinem Ex...", schnitt ich kurz darauf das andere Thema an. Ich hätte zwar absolut kein Problem damit, diesem Flitzpiepen entgegenzutreten und mir unter Umständen irgendwas wenig Nettes von ihm anzuhören, weil ich Sydney jetzt ja endgültig verdorben hatte oder was auch immer, aber wie die Brünette schon sagte - das Risiko, direkt bei ihm Zuhause aufzukreuzen, war definitiv zu groß und demnach ganz und gar nicht in meinem Sinn. Mein Leben fing gerade erst an mal wieder bergauf zu gehen, da wollte ich jetzt ganz bestimmt nicht aus Unvorsichtigkeit endgültig im Knast einsitzen. "Es ist natürlich nicht die feine, englische Art Noah auf dem Heimweg von der Schule oder von irgendeinem Verein aufzulesen... aber es ist auch nicht wirklich sowas wie Entführung, wenn du seine Mutter bist, finde ich.", offenbarte ich Sydney mit einem schiefen Grinsen meine Gedankengänge, ohne den Blick aus ihren Augen abzuwenden. Natürlich sah das Gesetz das wieder anders, wo die junge Frau inzwischen doch bestimmt auch kein Sorgerecht mehr hatte, aber wen kümmerte das schon? Also außer die Justiz und ihren Ex-Mann natürlich. Dass mich diese beiden Aspekte jedoch nicht nennenswert beirrten, dürfte sicher Niemanden wundern. Natürlich konnten wir dann trotzdem nicht ewig mit ihm wegbleiben, weil vermisste Kindern ziemlich kritisch gesehen wurden, aber ein paar Stunden wäre besser als gar nichts, oder? Vielleicht kam uns bis dahin ja auch noch eine brauchbare Idee dafür, wie sich mehr Zeit herausholen ließ. Was das anging hatten wir im Fall der Fälle ja noch ein bisschen Zeit.
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Da hatte Sabin wohl Recht. Müsste Hunter tatsächlich über öffentliches Flugplatzgelände laufen, säße er schneller wieder im Knast ein, als ihm das vielleicht lieb wäre. Ich stand zwar wegen deutlich weniger, dafür aber wegen einer umso schwerwiegenderen Straftat inzwischen recht weit oben auf der Liste der meistgesuchten Kriminellen Amerikas, aber dem Choleriker würde deshalb trotzdem Niemand so schnell das Wasser reichen können. Im Nachhinein wunderte es mich deshalb, dass ich in meiner Zeit als FBI Agentin nie wirklich mitbekommen hatte, wie sich die Strafakte meines ehemaligen Klassenkameraden zunehmend mit mehr und mehr abscheulichen Morden und anderen Straftaten füllte. Klar, mein Einsatzbereich war damals ein ganz anderer gewesen, aber es war nicht so, als hätte ich nicht die ein oder anderen Kontakte in den übrigen Einheiten gehabt. Man erzählte sich in der Mittagspause ja doch ab und an mal, wie ein Fall so lief und wenn ich meine müden Gehirnzellen etwas mehr anstrengen würde, dann würde mir auch wie Schuppen von den Augen fallen, dass ich mich mit Bekannten tatsächlich schon einmal über Hunter unterhalten hatte. Natürlich nicht über ihn konkret, es war immer nur die Rede von dem Kriminellen, dem Gesuchten oder dem Mörder gewesen, aber sämtliche Beschreibungen, sämtliche Tatmuster sprachen für Hunters missratene Persönlichkeit. Nur war das im Grunde jetzt gar nicht weiter von Belangen, weshalb ich den kurzzeitig abschweifenden Gedanken in diese Richtung mit einem imaginären Wischen vor meinem inneren Auge entfernte. Stattdessen fokussierte ich mich wieder auf Sabin, der vorschlug, Noah einfach auf dem Weg zur Schule, zum Sport oder auf dessen Heimweg abzufangen. Im Grunde genommen würde wohl niemand - also weder die Lehrkräfte, noch Vereinsmitglieder - hinterfragen, wenn ich plötzlich am Zaun stand, um meinen Sohn abzuholen, aber unter der Prämisse, dass mein Gesicht durch die Nachrichten gegangen war wie ein Lauffeuer, erschien es mir etwas zu riskant, es auf dem direkten Weg zu versuchen. Allerdings wusste ich, dass Noah mit dem Bus überall hinfuhr und die entsprechende Haltestellen immer wenige Querstraßen von der Schule oder dem Sportplatz entfernt lagen. Er würde also durchaus ein paar Gassen passieren, in denen man ihn wunderbar auflesen können würde, ohne, dass Jemand Verdacht schöpfte. Ich gab ein leises "Hmm...", von mir, während ich diese Überlegung weiter verfolgte. In meinem Kopf abspielte, um abzuwägen, wie groß das Risiko war, dabei erwischt zu werden und was potenziell alles schiefgehen könnte. Da letzteres mich aber nur unruhig werden ließ, stellte ich das schon bald ein und zuckte lediglich nachdenklich mit den Schultern. Ich würde es riskieren. Komme was wolle. "Ich schätze, einen Versuch ist es wert.", gab ich schließlich leise von mir, während ich mir mit einer Hand durch die Haare strich. Viel mehr als diesen einen Versuch würden wir wohl auch kaum haben, denn wenn tatsächlich etwas schiefgehen sollte - was ich jetzt einfach mal nicht hoffte, setzte ich doch gerade gewissermaßen mein ganzes Vertrauen in die russische Brünette und meinen Freund -, dann hatte sich das Ganze sowieso erledigt. Wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei würde es nämlich nicht geben und rechtzeitig in den Flieger zurück nach Kuba zu gelangen, bevor besagten Bullen einen festsetzten, war ein Ding der Unmöglichkeit. Etwas, das laut etlichen Filmen zwar durchaus vielversprechend aussah, sich in Wirklichkeit aber nur bedingt umsetzen ließ. Wenn man Glück hatte und im Eifer des Gefechts irgendwie temporär von der Bildfläche verschwinden konnte... ja, dann mochte das vielleicht funktionieren, aber sicher nicht, wenn man durch Abermillionen Kameraaufnahmen stolperte und jeder Schritt, den man ging, nachvollzogen werden konnte. "Ich weiß zwar nicht so recht, was ich davon halten soll, aber... vielleicht ist das auch besser so. Wenn ich nicht zu viel darüber nachdenke, meine ich.", hängte ich noch ein paar nachdenkliche Worte hintendran, die noch einmal recht deutlich machen dürften, wie hin- und hergerissen ich bezüglich dieser Geschichte eigentlich war. Einerseits sagte mir die Stimme der Vernunft - die damals auch für das FBI gearbeitet hatte -, dass das absolut keine gute Idee war. In keinerlei Hinsicht, während ich mir andererseits einredete, dass eigentlich nicht schiefgehen konnte. Schließlich lebten wir nun auch schon recht lange hier auf Kuba und waren bis jetzt nicht geschnappt worden. So schlecht konnte Vahagn ihren Job also gar nicht machen und wenn Sabin und ich uns in Amerika nicht aufführten, wie die Axt im Walde, dann konnte im Prinzip nichts schiefgehen.
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Meine Augen ruhten weiterhin auf der Brünetten, während sie über all das nochmal einen Moment lang nachzudenken begann, was ganz sicher nicht verkehrt war. Allerdings scheinbar nicht so lange, dass sie endgültig wusste, ob es nun wirklich eine gute oder schlechte Idee war, ihren Sohn zu besuchen. Ich hatte in der Zwischenzeit mit meiner freien Hand wieder nach dem Brot gegriffen und begann mein Frühstück fortzusetzen. Dementsprechend kaute ich gerade auf auf einem Bissen herum, als Sydney mir sagte, dass es vielleicht besser wäre, wenn sie sich darüber nicht zu viele Gedanken machte... und da wiederum war ich mir nicht so sicher. Wahrscheinlich war ich mittlerweile einfach aus dem Alter raus, ständig Dinge zu tun, die nicht gut überlegt waren. Machen wir uns da nichts vor - auch, wenn ich ein Krimineller war, der momentan fast jeden Tag damit zubrachte, mehrere Stunden in einer Drogenküche abzuhängen, war ich ansonsten doch ziemlich erwachsen und wägte relativ sorgfältig ab, was nun im Bereich des Guten war und was besser umgangen werden sollte. Wahrscheinlich würden es absolut normale Leute zwar eher nicht als besonders reif ansehen, dass ich insbesondere meinen Mitbewohnern gegenüber doch des Öfteren mal lauter wurde, aber in unseren Kreisen hier herrschte nun mal schlicht und ergreifend ein anderer Umgang. Außerdem half bei Hunters Männern auch einfach nichts anderes wirklich effektiv, wenn man nicht der Chef selbst war. Es würde mein Leben einfacher machen, wenn sie bei mir auch mit einem Fingerschnippen spuren würden, aber nun gut. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn Syd sich wirklich eingehend Gedanken darüber machen würde, ob es wirklich eine gute Idee war ihren Sohn zu besuchen, aber ich war wohl trotzdem so ziemlich der letzte Mensch auf diesem Planeten, der ihr da reinreden würde. Wäre es mein eigener Sohn, dann würde ich das Ganze nämlich absolut nicht rational sehen und mir ganz sicher nicht von Irgendjemandem sagen lassen, dass es keine gute Idee wäre, ihn wiederzusehen. Noch dazu hatte ich die kleine Reise in die Staaten hier vor wenigen Minuten erst selbst vorgeschlagen, da würde ich jetzt ganz bestimmt nicht mit erhobenem Zeigefinger meine Bedenken aussprechen. Das war ihre Sache und ich im Grunde nur Beifahrer, weil ich sie nicht alleine gehen lassen würde. Nicht, als würde ich mir das Hirngespinst ausmalen, dass ich im schlimmsten Ernstfall wirklich etwas gegen ein großes Polizeiaufgebot machen könnte, aber dann hätte ich es wenigstens versucht. Sydney war zweifelsohne eine starke Frau, aber ich wollte nicht tatenlos dabei zusehen müssen, wie sie in den Knast wanderte und da drin langsam verrottete. Außerdem war ich vielleicht auch einfach ein bisschen neugierig darauf, wie Noah so war und wie Syd sich als Mutter verhielt. Zwar war ich weit davon entfernt gerade eine Familie gründen zu wollen, aber was vormachen brauchte ich mir in dieser Hinsicht auch nicht - mir fehlte was im Leben, seit ich nicht mehr meiner Rolle als Vater nachkommen musste und vielleicht... ganz vielleicht - wenn Hunter am besten nicht mehr in unmittelbarer Nähe war oder mir zumindest nichts mehr zu sagen hatte - war es irgendwann ja doch nochmal so weit. "Ja, vielleicht.", war am Ende also alles, was ich dazu sagte. Alles Andere wäre zu viel des Guten. "Hast du ein bisschen was gespart? Ich weiß, im Café verdienst du sowieso nicht übermäßig viel, aber... allzu billig wird's wahrscheinlich nicht." Ich zuckte ein klein wenig mit den Schultern und ließ dann den Rest des Brots in meinen Rachen wandern, kurz bevor ich die Hand nach der Kaffeetasse ausstreckte. Ich wäre zwar gerne so wie früher in der Position mit Geld um mich zu werfen, wann immer mir der Sinn danach stand, aber so weit war ich hier auf Kuba leider noch nicht gekommen. Demnach müssten wir wahrscheinlich erstmal ein Angebot von der Russin einholen, um zu wissen, ob und wann der Überflug überhaupt im Rahmen des Möglichen war. Mich eine Rate aussetzen zu lassen war leider nicht im Sinn des Amerikaners, also würde auf das Ersparte zurückgegriffen werden müssen und das war bis jetzt auch noch keine Unsumme. Zumal Einiges davon ja eigentlich auch dafür gedacht war, aus dieser Bude hier auszuziehen und endlich in eigenen vier Wänden mit Syd meine Ruhe zu haben.
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Ob ich noch ein bisschen was gespart hatte? Im ersten Moment wusste ich nicht so recht, worauf Sabin mit dieser Frage hinauswollte, sah ihn dementsprechend fragend an. Schnell wurde mir dann aber klar, dass Vahagn natürlich dafür bezahlt werden wollen würde, sollte sie tatsächlich einen sicheren Weg finden, uns unauffällig in die Staaten schmuggeln zu können. Und dass das nicht billig werden würde, war mir im Grunde genommen auch klar. Wusste ich ja noch von der Reise hier nach Kuba, für die ich mir ebenso wie Sabin das Geld von Hunter hatte vorstrecken lassen müssen. War schließlich nicht so gewesen, das ich in Norwegen Zugriff auch all mein Erspartes aus den Staaten hatte, ich war förmlich mittellos gewesen und deshalb ganz froh, dass Sabin ein gutes Wort bei dem Amerikaner für mich eingelegt hatte. Inzwischen wurden die Schulden bei meinem ehemaligen Klassenkameraden zwar immer weniger, aber ganz abgestottert hatte ich sie noch nicht. Quittierte die Erkenntnis, dass ein Ausflug ins Heimatland wegen der ganzen Risiken sehr wahrscheinlich noch eine ganze Ecke teurer werden würde, also nur mit einem hörbar unzufriedenen Seufzen. Aber ja, tatsächlich hatte auch ich immer mal ein bisschen Kohle zur Seite gelegt. Für den Notfall eben. Zwar ließe sich damit inzwischen bestimmt auch der Rest, den ich Hunter noch schuldete, begleichen, aber ich hatte zumindest gerne ein paar hundert Euro auf der hohen Kante, um nicht noch einmal mit so absolut gar nichts in den Händen dazustehen, falls etwas passieren sollte. Schließlich bezahlte mich Samuele jetzt auch nicht überdurchschnittlich gut, weil es zum einen nun mal immer noch nicht sein Laden war und ich selbst wenn er mir aus Angst vor seinem Landsmann oder dem Amerikaner ein Aufschlag von wie viel Prozent auch immer zusichern würde, abgelehnt hätte. Ich wollte nämlich wegen meinen Verbindungen weder bevorzugt behandelt, noch benachteiligt werden. Ich wollte einfach gerne wieder ein normales Leben führen, normal arbeiten gehen, Sorgen haben, die jeder andere Mensch ab und an nun mal hatte. Ich wollte sparen, dann Geld ausgeben und mich über kontinuierliche, aber verdammt nochmal normale Gehaltserhöhungen freuen - so wie es in den Staaten damals auch der Fall gewesen war. Man arbeitete gut, lang und hart und wurde dafür eben belohnt. Ich würde mich nicht gut damit fühlen, wenn mir das Geld einfach zugesagt werden würde, aus Angst, alsbald die Radieschen von unten ansehen zu müssen. Das war einfach nicht ich und würde ich wohl auch nie sein. Und ich war dankbar dafür, dass Sam und ich uns mittlerweile ganz gut verstanden, das Zusammenarbeiten gut funktionierte, aber ich schweifte schon wieder ab. "Ja, ich denke schon. Es... eilt ja auch nicht. Ich habe Noah jetzt schon so lange nicht mehr gesehen. Einen Monat mehr oder weniger macht da jetzt dann auch keinen großen Unterschied.", stellte ich nüchtern fest und mit einem schwachen Schulterzucken fest. Natürlich wäre es mir am liebsten, meinen Sohn gleich heute noch in die Arme zu schließen, aber das war schlichtweg unrealistisch und absolutes Wunschdenken. Sowas brauchte Zeit, um geplant zu werden und die würde ich Vahagn zweifelsfrei einräumen. Es half ja Niemanden etwas, wenn sie uns in die Staaten einfliegen konnte, wir aber nicht wieder zurückkamen, weil wir von der Polizei aufgelesen worden waren oder sonst etwas außerplanmäßiges passierte. Auch wenn ich mir darüber nur wenig bis eigentlich keine Gedanken machen wollte, würde ich es früher oder später ja doch tun, weil es einfach sein musste. Bis es jedoch soweit war, würde das nächste Monatsgehalt sicher schon auf dem Konto eingegangen sein. "Es geht mir in jedem Fall schon ein bisschen besser. Jetzt, wo ich weiß, dass ich ihn sehr wahrscheinlich noch einmal sehen werde. Der Gedanke daran hilft mir, die Zeit bis zum Wiedersehen zu ertragen.", äußerte ich wenig später noch mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen ein paar Worte, die einer indirekten Danksagung dem Italiener gegenüber gleichkamen. Er hatte schließlich die Idee gehabt und mir dadurch das Warten etwas angenehmer gestaltet. Denn Noah fehlte mir schon wahnsinnig doll und die nächsten Tage hätte man mich von der Laune her bestimmt mit Cosma vergleichen können, weil ich den Verlust einfach noch nicht so richtig akzeptiert hatte. Wo ich nun aber wusste, dass ich meinen Sohn bald schon wiedersehen können würde - ich zweifelte daran jetzt einfach mal nicht -, ging es mir direkt ein bisschen besser.
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Während Sydney einen Moment lang nachdachte, nippte ich seelenruhig weiter an meinem Kaffee, der ausnahmslos jeden Morgen für mich notwendig war, um in die Gänge zu kommen. Zwar war es sicher nicht unbedingt gesund, seinen Tag in den Start grundsätzlich von Koffein abhängig zu machen, aber anders war mein müder, schon leicht in die Jahre gekommener Schädel nur schwer auf Hochtouren zu kriegen. Früher hatte ich mich hin und wieder auch mal mit einer Nase Koks kurzzeitig auf volle Leistung - und mehr - hochgefahren, aber das hatte sofort aufgehört, als festgestanden hatte, dass ich Vater werden würde. Drogen machten das Leben als Krimineller eben schon deutlich erträglicher, aber gutheißen sollte man das Zeug nicht und ich war froh darüber, längst von dem Scheiß runter zu sein. Jedenfalls schien die Brünette neben mir zumindest ein bisschen was Erspartes zu haben, wobei sie im gleichen Atemzug erwähnte, dass es auf ein paar Tage hin oder her dann nun auch nicht mehr ankam. Ich nickte im direkten Anschluss an ihre Worte, während ich gerade den Kaffee runterschluckte und sah sie dann wieder direkt an. So oder so brauchte die Russin sicher ein paar Tage oder gar Wochen, um uns einen wirklich reibungslosen und verhältnismäßig ungefährlichen Überflug garantieren zu können und je nachdem, mit wie vielen potenziellen Problemen sie sich und ihre Crew konfrontiert sah, schwankte der Preis vielleicht auch nochmal ein bisschen. Es war also besser für alle Beteiligten, wenn noch ein klein wenig mehr Zeit ins Land zog und wir dafür nicht hinter Gittern landen oder gar vom Himmel geschossen werden würden. Ich hielt als ehemaliger Mafioso zwar wirklich viel aus, aber ein Flugzeugabsturz killte wohl jeden ziemlich gnadenlos, wenn keine Notlandung mehr glückte. "Vahagn braucht sicher ohnehin ein bisschen Zeit, um den besten Weg und Zeitpunkt da rüber zu finden... wird nicht so einfach sein, denke ich.", meinte ich schulterzuckend und etwas nachdenklich. Wirklich damit auskennen tat ich mich wie gesagt nicht, also vielleicht lag ich da auch falsch und sie hatte ganz einfach sowas wie feste sichere Routen in so ziemlich jedes Land, das ansatzweise von Nutzen sein könnte. Hielt ich aber für eher unwahrscheinlich. Meine Freundin schien sich jedoch auch jetzt schon besser zu fühlen, allein durch den Gedanken an den zukünftigen Besuch ihres Sohnes. Ihr Lächeln steckte mich automatisch an und meine Mundwinkel bogen sich zu einem sanften Lächeln nach oben. Wahrscheinlich sollte sie sich noch nicht zu früh freuen - war theoretisch möglich, dass die Russin gar keine Lust dazu hätte oder es ihr zu riskant war -, aber es freute mich dennoch, dass meine spontane Idee Früchte zu tragen schien. Schließlich hatte ich es in der Hoffnung vorgeschlagen, dass Sydney sich vielleicht besser fühlen würde, wenn sie Noah zumindest noch einmal sehen und sich richtig verabschieden konnte. Mission erfüllt - mehr oder weniger zumindest. Was nun am Ende dabei rauskam, das musste die Zukunft noch zeigen. Ich stellte die Tasse beiläufig wieder auf dem Tisch neben meinem Teller ab und beugte mich für einen kurzen, aber zärtlichen Kuss zu Sydney rüber. Noch bevor sich unsere Lippen trafen murmelte ich ihr aber die Worte "Das freut mich." zu. Dann folgte der liebevolle Kuss, nach dem ich sie noch einen Moment lang lächelnd ansah. Ich hob schließlich auch die Hand von ihrer Schulter, um ihr mit dem Daumen einmal sanft über die Wange zu streichen. Danach lehnte ich mich wieder ein bisschen zurück, musterte ihre Gesichtszüge. "Soll ich Vahagn fragen? Oder willst du das selber machen?", stellte ich Sydney eine an sich simple Frage. Einfacher wäre es vielleicht schon, wenn ich das einfach übernahm. Zwar hatte ich auch keinen allzu engen Draht zu der temperamentvollen, jungen Frau, aber doch mehr als Syd. Andererseits war es aber ihr Sohn und nicht meiner, also wollte ich ihr das nicht vorweg nehmen, falls sie das Ganze lieber selbst in die Hand nehmen wollte. Die Frage an sich kostete ja erstmal nichts und dafür dürfte nicht wirklich sowas wie kriminelles Fachwissen von Nöten sein. Frühestens dann, wenn es um die Details oder gar um eventuelle Preisverhandlungen ging, wobei ich ohnehin nicht glaubte, dass Vahagn was das anbelangte viel Spielraum geben würde. Eben gerade deswegen, weil der Auftrag, uns beide in die Staaten rüberzufliegen, nicht unbedingt ein Klacks sein dürfte. Mir kam dann auch just in diesem Moment der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht so schlau wäre, Richard dann in diesem Zeitraum mit den Drogen im Labor allein zu lassen. Aber gut, vielleicht war er bis dahin schon deutlich stabiler und wenn nicht, dann würde ich schon irgendeine Lösung finden. Tat ich immer.
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Genau der gleichen Ansicht war ich auch. Ich hatte zwar nur ein relativ begrenztes Verständnis für Vahagns Arbeit, weil ich mich damit schlichtweg noch nicht wirklich auseinandergesetzt hatte, aber alleine das letzte bisschen menschlicher Verstand sagte mir schon, dass es alles andere als einfach werden würde, unbeobachtet in ein Land einzureisen, das mehr oder weniger all seine Augen auf einem hatte. Dafür musste ich weder studiert sein, noch mich näher mit dem Thema befasst haben - das war einfach selbstredend. Dementsprechend war es nur logisch, dass die junge Russin Zeit brauchen würde, sich unseren Auftrag anzusehen und zu evaluieren, gegen welchen Preis es sich für sie lohnen würde, das Risiko einzugehen, eventuell eine Maschine mitsamt ihrer Besatzung und gegebenenfalls einigen wichtigen Informationen an die Amerikaner zu verlieren. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie loyal Vahagns Männern waren und ob sie bei einem eventuellen Verhör wirklich gegen sie auspacken würden, aber möglich war es und ich an ihrer Stelle würde mir das auch immer vor Augen halten. Wäre nämlich ganz schön blöd, wenn sie sich an Kubas Stränden gerade durch den Sand rollte und plötzlich von den kubanischen Behörden eingesackt wurde, weil die Staaten, Italien oder wo auch immer sie sonst noch Menschen hin verschifft hatte Informationen von einem ihrer gefangen genommenen Männer bekommen hatte. Um auf Nummer sicher zu gehen ließ man sich also besser gar nicht erst erwischen und das konnte ich verstehen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich ja aus erster Hand wusste, wie vor allem das FBI Leute auf der Abschussliste suchte. In dem Punkt könnte ich der Brünetten vermutlich sogar ein bisschen unter die Arme greifen, falls sie Fragen zu den Grenzüberwachungen oder Ähnliches hatte. Würde man ja sehen, ob sie mit den Infos etwas anfangen konnte, einen ganz anderen Plan hatte oder gar nicht erst versuchen wollen würde, Sabin und mir zu helfen. Nicht auszuschließen, dass ihr die Sache etwas zu heiß war und sie sich gar nicht erst die Mühe machen würde, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Hing bei der jungen Frau sicher auch stark von ihrer aktuellen Laune ab, wie viel sie riskieren würde und wie aufwendig die Arbeit sein durfte. Blieb also zu hoffen, dass wer auch immer sie darauf ansprach, es zum richtigen Zeitpunkt tun würde. Als Sabin sich zu mir rüber beugte und mich mit diesem unglaublich ansteckenden Lächeln ansah, konnte ich nicht anders, als ihm ein kleines bisschen entgegenzukommen. Ich ließ mich nur allzu gerne auf den kurzen, aber liebevollen Kuss ein und empfand es als schade, dass sich unsere Lippen bald darauf auch schon wieder voneinander trennten. Seit die Sache zwischen uns ernster geworden war, genoss ich die Nähe zu dem jungen Mann wirklich und könnte manche Tage ausschließlich mit ihm auf der Coach verbringen. Leider war das aktuell aber nur bedingt möglich, waren wir beide doch sehr beschäftigt und wenn wir zwischendrin mal ein bisschen Luft hatten, saßen uns Hunters Männer an der Seite. Schließlich hatten wir in dem Haus hier nicht in jedem Zimmer einen eigenen Fernseher und abends würde dann halt öfter mal was zusammen geschaut. Einen ruhigen Abend zu zweit vor der Flimmerkiste war da also eher nicht drin. Ich hoffte ja darauf, dass sich das bald schon ändern würde, aber wenn jetzt erst einmal der Besuch von Noah anstand, dann würde eine eigene kleine Wohnung vorerst weiter warten müssen. Schade, aber sei's drum - mein Sohn war mir in dem Fall doch einen Ticken wichtiger. Sabin erkundigte sich kurz nach dem Kuss, den ich selbstredend mit geschlossenen Augen vollkommen genoss und erwiderte, ob nun er lieber das Gespräch zu Vahagn suchen sollte oder ich mein Glück versuchen sollte und ehrlich gesagt... war ich mir unsicher. Einerseits hatte der Italiener allein schon wegen seiner kriminellen Vergangenheit einen besseren Draht zu ihr - wer machte schon gerne Geschäfte mit einer Ex-FBI-Agentin? -, aber in gewisser Hinsicht war das ja auch irgendwie etwas ganz Persönliches, oder? Wieder schwieg ich einen Moment und senkte den Blick erneut auf den geschlossenen Laptop vor mir. Dann zuckte ich nachdenklich mit den schmalen Schultern und sah wieder auf. "Vielleicht können wir das ja zusammen machen? Du hast bestimmt einen besseren Draht zu ihr, aber ich glaube, ich hätte noch ein paar Infos, die ihr vielleicht helfen könnten, wenn sie sich dazu bereit erklärt, den Auftrag anzunehmen.", schlug ich also einfach vor, dass wir beide unseren Teil dazu beitrugen, Vahagn zu fragen, ob sie an einem Auftrag interessiert war. Dass sie sich jetzt nicht auf einen Kaffee zu uns an den Tisch setzten würde, war mir dabei fast klar und im Grunde würde Sabin bereits beim ersten Ansprechen auf den Punkt kommen müssen, aber er konnte ihr ja ausrichten, dass ich sie mit meinem Fachwissen unterstützen würde, wo es nur ging... aber ich glaubte nicht, dass das Auswirkungen auf den Preis haben würde.
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Während Sydney noch darüber nachdachte, wie wir die Sache gegenüber Vahagn am besten angehen sollten, strich ich ihr beiläufig eine Haarsträhne hinters Ohr und im Anschluss lehnte ich mich dann zurück an den Stuhl. Musterte sie abwartend von der Seite, bis sie sich schließlich zu meiner Frage äußerte. Wirklich lange darüber nachdenken, was ich nun von ihrem Vorschlag hielt, musste ich nicht. Es war nichts verkehrt daran, wenn wir einfach zusammen zu der Russin gingen. Zumindest fiel mir jetzt im ersten Moment nichts Negatives daran auf. Im Grunde hatte es auf den ersten Blick sogar nur Positives an sich. Schließlich war Sydney die Person, deren Anliegen die ganze Reise war und ich im Grunde nur das Anhängsel, das sie nicht allein aufbrechen lassen wollte. Quasi nur der schützende Schatten, der die ganze Aktion zur Sicherheit begleiten würde. Dennoch kannte ich Vahagn ein bisschen besser, beziehungsweise eben das gesamte Netzwerk, auf dem unsere kubanische Organisation - um unsere eigene, kleine Mafia hier mal nett zu betiteln - aufgebaut war. Ganz allgemein kannte ich mich mit der geschäftlichen Abwicklung unter Kriminellen bestens aus und ließ mich nicht beirren. Wurde weder nervös, noch ließ ich mich über den Tisch ziehen. Sydney hingegen war zweifelsfrei bewanderter auf dem Gebiet der amerikanischen Gesetzeshüter und jenem System, wie sie indirekt selbst sagte. Letzteres konnte nur von Vorteil sein, um Vahagn vielleicht noch den einen oder anderen Tipp für die Planung mit auf den Weg zu geben, falls sie nicht allzu regelmäßig Irgendjemanden in die Vereinigten Staaten verschiffte. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, konnte man sagen. Deshalb nickte ich auch bereits nach zwei, drei Sekunden gut sichtbar. "Klar, wieso nicht. Ist bestimmt nicht verkehrt, wenn wir beide dabei sind.", willigte ich zur Verdeutlichung meiner vorherigen Geste auch noch wörtlich ein. Das Lächeln hielt noch immer Einzug auf meinen Lippen, als ich mich für die letzten beiden Schlucke aus der Kaffeetasse noch einmal kurz von der jungen Frau abwendete. Danach stellte ich die Tasse auf dem leeren Teller ab und warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr an der Wand unweit des Esstisches. Es war heute genauso wie an jedem anderen Tag, an dem ich mal etwas mehr Zeit für uns beide übrig hatte, ungewohnt keinen Zeitdruck zu haben. Ich sah von ganz allein ständig auf die Zeiger, die sich für meinen Geschmack meistens zu schnell drehten. Auch an Tagen, wo ich es ausnahmsweise gar nicht tun musste, weil es einfach schon zu sowas wie Reflex geworden war. Wie genau ich den Erstkontakt zu der Russin suchen würde, war mir in diesem Moment aber noch nicht ganz klar. Schließlich hatten wir beide normalerweise nicht wirklich was miteinander zu tun, ich müsste sie also vermutlich entweder anrufen, oder Tauren einige Worte mit auf den Weg geben, wenn er in den nächsten Tagen mal am Labor vorbeikam. Schneller ginge aber natürlich ersteres, also sollte ich wohl einfach keine Umwege wählen. Zwar fühlte sich Syd schon besser in dem Wissen, dass sie ihren Sohn noch einmal sehen können würde, aber falls die Russin sich aus welchen Gründen auch immer gleich von vornherein gänzlich dagegen entschied, dann sollte sich die Brünette an meiner Seite nicht länger Hoffnungen machen, als nötig war. Ich konnte Vahagn nicht so gut einschätzen, was das anging. Uns beide als Paar ins Nachbarland zu transportieren war jetzt schließlich nicht sowas wie ein Großauftrag, der immens viel Profit abwerfen würde. Es wäre für Sydney und mich finanziell sicher auch wesentlich billiger, wenn Hunter irgendwelche Geschäfte in den USA tätigen würde, damit man beides verbinden könnte, aber meines Wissens nach tat er das bisher nicht. Würde er vielleicht auch nie, obwohl sich das auf der kurzen Strecke anbot, einfach weil es ihm mit seiner Vorgeschichte dort wahrscheinlich zu riskant war. Ich würde mich schließlich auch davor hüten mehr Kontakt nach Italien aufzubauen, als nötig war. Die Gefahr, dass irgendeiner meiner ehemaligen Mitspieler die Spur zurückverfolgte, war mir viel zu groß. Ich wollte mich nicht noch ein weiteres Mal tagelang verkriechen müssen. Zumal Hunter mir sicher auch nicht noch ein zweites Mal dermaßen damit unter die Arme greifen würde, solange ich noch nicht einmal den ersten Berg Schulden zurückgezahlt hatte. Es war also für Alle das Beste, keine Brotkrumen hierher zu streuen - deswegen würden Sydney und ich in den Staaten auch wirklich vorsichtig sein müssen. "Schätze, dann werde ich sie wohl heute noch irgendwann mal anrufen und das Thema aber nur grob dabei anschneiden. Reicht ja, bis wir uns mit ihr treffen.", meinte ich etwas nachdenklich. Schließlich wollten wir nicht, dass sie gleich von vornherein ablehnte, weil es um die Staaten ging und ihr das grundlegend zu riskant war. Also würde ich Vahagn einfach nur sagen, dass wir beide potenziell einen Auftrag für sie hatten und wir uns deswegen gerne mal mit ihr zusammensetzen würden. Mehr brauchte sie vorher nicht zu wissen und uns zuzuhören kostete sie ohnehin nichts, außer Zeit.
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Gut, dann wäre das ja geklärt. Wir würden die Russin also einfach gemeinsam darauf ansprechen, in die Vereinigten Staaten einreisen zu wollen. Ich sah Vahagn in dem Moment bereits vor meinem inneren Auge, wie sie uns den Vogel zeigte, nur um uns kurz darauf mitzuteilen, dass wir sie nicht mehr alle hatten. Es vollkommen hirnrissig war, sich freiwillig den amerikanischen Behörden auf dem Silbertablett zu servieren, aber das wäre mir aller Wahrscheinlichkeit nach ziemlich egal. Ich war bedingt durch meinen einstigen Beruf schließlich geübt darin, einfach auf Durchzug zu schalten, solange mein Gegenüber nichts von sich gab, das für mich in irgendeiner Weise interessant war. Die temperamentvolle Brünette durfte also gerne all ihre Bedenken loswerden, die sie bezüglich dieser Aktion hatte, solange sie anschließend Sabins und meinen Arsch nach Amerika kutschierte. Sabin schien auch gleich heute noch versuchen zu wollen, Vahagn diesbezüglich zu erreichen, damit wir uns zeitnah mit der jungen Frau über das Vorhaben austauschen könnten, was ich schwach lächelnd mit einem Nicken absegnete. "Okay, klingt gut.", ließ ich den Italiener wissen, dass es für mich absolut in Ordnung ging, wenn wir das Ganze schnellstmöglich in Angriff nahmen. Schließlich würde ich gerne wissen, ob ich mir weiterhin Hoffnungen machen und darüber nachdenken konnte, was ich Noah alles sagen würde, wenn ich ihn in meinen Armen hielt oder ob es nicht vielleicht doch das Beste war, zu versuchen, den Kleinen einfach zu vergessen, weil ich ihn ja doch nie wieder sehen würde. Abgesehen von Vahagn kannte ich persönlich nämlich niemanden, der Sabin und mich unauffällig über den Ozean schleusen konnte und nach dem Verrat an meinem Land brauchte ich auf die Hilfe ehemaliger Kollegen auch nicht zu zählen. In dem Sinne war die Russin also meine einzige Hoffnung und es wäre einfach gut zu wissen, ob und was für Chancen ich mir für ein Wiedersehen meines Sohnes ausmalen konnte. Mir war es daher nur Recht, wenn mein Freud sich bald schon bei der Brünetten erkundigte, ob sie die kommenden Tage irgendwann mal Zeit für uns finden würde. Für den Fall der Fälle, dass die Russin ein Treffen nur sehr kurzfristig einrichten konnte, müsste Sam dann leider einen Tag ohne mich auf der Arbeit auskommen. Aber das würde er sicher verstehen, oder? Und selbst wenn nicht... auch das war mir für den Moment dann erst einmal egal, wobei er sich sicher sein konnte, dass ich mich trotzdem dafür entschuldigen würde, sobald ich ihn das nächste Mal dann wieder sah. Aber das alles war gerade nichts weiter als reine Spekulation und ich hasste das. Ich wollte wissen, was Sache war. Brauchte klare Strukturen und war allgemein scheinbar furchtbar unflexibel, was in Anbetracht meiner damaligen Arbeit ziemlich ironisch war. Aber irgendwie... schien mir das auch etwas anderes gewesen zu sein. In dem Fall hier ging es um mein Privatleben, welches ich schon einmal achtlos in den Dreck geworfen hatte. Damals hatte es einen kompletten Lebenswandel zur Folge gehabt und seitdem war ich dahingehend einfach vorsichtig. Beim FBI war Flexibilität natürlich das A und O, weil sich einige Situationen ausschließlich spontan ergaben - da war das dann auch nie ein Problem gewesen, mich dem anzupassen. Seit ich hier auf Kuba mit Sabin Fuß gefasst hatte, wollte ich aber nicht schon wieder alle Zelte abbrechen und flüchten müssen. Deshalb waren mir Termine, klare Strukturen und gute Planbarkeit wichtig. Dass das in diesem Fall nur leider absolut nicht möglich war, störte mich. Anmerken ließ ich mir davon jedoch nichts, weil ich gerne daran festhalten wollte, dass Sabin die Russin schon irgendwie dazu bewegen würde, uns den Gefallen zu tun, auch wenn sie im Grunde nicht sehr viel davon hatte. Klar, sie würde zwar Geld von uns kriegen, verglichen mit ihren sonstigen Kunden ließ sich aus uns nur leider nicht ganz so viel herausholen. "Hast du heute noch etwas vor?", fragte ich nach einem Augenblick des Schweigens, als der junge Mann gerade seine Kaffeetasse leerte und sie anschließend auf seinem Teller abstellte. Dabei sah ich ihn weiterhin schwach lächelnd an und drehte mich ihm etwas entgegen, worauf ich mich als logische Schlussfolgerung von dem Laptop abwendete. Ich zog eines meiner Beine an und schob es unter meinen Oberschenkel, drehte mich anschließend so, dass ein Arm auf der Stuhllehne lag und der andere auf dem Tisch. Aus dieser Position heraus schenkte ich dem jungen Mann, der heute wieder ganz besonders gut aussah, ein aufrichtiges Lächeln. Wenn Sabin heute nichts mehr weiter vorhatte, ließ er sich doch sicherlich zu einem Ausflug an den Strand überreden, oder? Nach der stressigen Woche konnte ich es gut gebrauchen, die Seele im Sand mit dem Meeresrauschen im Hintergrund baumeln zu lassen.
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Sydney segnete mir mit ein paar wenigen Worten meinen indirekten Vorschlag - der mehr schon nach einer Feststellung geklungen haben musste - ab und damit war das Ganze wohl endgültig beschlossene Sache. Natürlich konnte die Amerikanerin es sich noch jederzeit anders überlegen, solange wir noch keine feste, an Kosten gebundene Vereinbarung mit Vahagn hatten, aber eigentlich glaubte ich nicht, dass sie ihre Meinung diesbezüglich wirklich noch einmal ändern würde. Gerade im Moment wirkte Syd nicht so, als würden die Bedenken unseres mit etwas Glück erfolgenden Aufenthalts in den USA die Freude darauf auch nur ansatzweise überwiegen. Vielleicht kamen die sorgenvollen Gedanken dann später, wenn wir schon auf dem Weg waren. Es war nicht selten so, dass man sich auf den letzten Metern zum Ziel dann doch noch Sorgen darum machte, dass es schiefgehen oder falsch sein konnte. Ganz gleich, was die Umstände waren, neigten wohl einfach viele Menschen dazu, ihre Entscheidungen noch einmal in Frage zu stellen, wenn sie bereits in die Vollen gingen - es wurde einem ja mehr oder weniger schon als Kind so eingetrichtert. Dass man lieber doppelt und dreifach über alles nachdenken sollte, damit man auch bloß nichts Falsches tat. So als wäre es wirklich vermeidbar, dass man nicht irgendwann so oder so mal eine eher ungute Entscheidung fällte. Sich zu irren und Fehler zu machen war menschlich, da kam Niemand drum rum. Natürlich sollte man immer bis zu einem gewissen Grad über mögliche Konsequenzen des eigenen Handels nachdenken, aber man musste es damit jetzt auch nicht übertreiben. Gab schließlich mehr als genug anderer Leute, die auch Nichts darauf gaben, was Andere von ihren Taten hatten. So als Verbrecher war man sich ohnehin nicht selten selbst der Nächste, ich hatte also irgendwann im Laufe meiner missratenen Karriere damit aufgehört, über sämtliche Konsequenzen nachzudenken, weil ich sonst absolut gar nichts mehr zu lachen gehabt hätte. Man hatte als Krimineller gar keine andere Wahl, als hier und da einfach mal auf Durchzug zu schalten und die Bedenken und Schuldgefühle irgendwo ganz tief zu vergraben. Zwar führte Sydney im Gegensatz zu mir hier ein ziemlich legales Leben - mal so ganz abgesehen von den ganzen gefälschten Papieren, um hier überhaupt leben zu können, ohne dabei Aufsehen zu erregen -, aber das ging dem amerikanischen Staat am Allerwertesten vorbei. Wenn es nach mir ginge, dann sollten wir beide uns um nicht mehr Dinge sorgen, als nötig war, was unsere Reise in die Vereinigten Staaten anbelangte. Würde schon schiefgehen, ich war was das alles anging erst einmal recht optimistisch. Die Brünette fragte mich schon wenig später danach, ob ich am heutigen Tag noch irgendwas geplant hatte. Darauf konnte ich ohne wirklich darüber nachdenken zu müssen verneinend den Kopf schütteln und meine Mundwinkel bogen sich bei Sydneys Lächeln von ganz allein wieder nach oben. "Nein... hab mir den einen freien Tag auf heute gelegt. Wusste ja, dass du nicht ins Café musst.", ließ ich sie wissen, wendete dabei keine Sekunde lang meinen Blick von dem ihren ab. Ich fand es jeden Tag aufs Neue schön, in welchem Kontrast ihre hellen Augen zu ihren im Verhältnis deutlich dunkleren Haaren standen. Ganz allgemein sah ich die junge Frau absolut immer gerne an, weil es mir häufig ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Da gute Laune bei all dem Stress im Labor bei mir leider deutlich seltener geworden war, ließ ich mich immer gern von Sydneys anstecken. Mehr als einen komplett freien Tag pro Woche vergönnte Hunter mir nicht durch den Arbeitsausfall von Richard, weswegen ich den einen Tag wenn möglich immer gemeinsam mit meiner Freundin verbringen wollte, mich dementsprechend für gewöhnlich nach ihrem Dienstplan richtete. Dabei war es auch egal, was wir beide letztendlich taten. Ob wir nun faul irgendwo rumlagen oder einen richtigen Ausflug wagten - ganz egal, Hauptsache nur ich konnte die freien Stunden mit ihr genießen. "Willst du was unternehmen?", hakte ich nach, drehte mich dann ebenfalls etwas seitlicher auf dem Stuhl und griff nach Sydneys Fingern, um sachte über ihren Handrücken zu streicheln. Falls sie selber noch keine spezifische Vorstellung von unserem gemeinsamen Tag hatte, konnten wir uns das ja noch zusammen überlegen. Bei Wünschen richtete ich mich aber immer gerne nach der hübschen Brünetten, sofern es nichts war, worauf ich absolut keine Lust hatte. Das kam allerdings nur ziemlich selten mal vor.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Dass Sabin heute noch nichts weiter geplant hatte, war wie Musik in meinen Ohren. Zwar war es in der Regel recht selten, dass wir mal an unterschiedlichen Tagen frei hatten - wir verbrachten einfach gerne Zeit miteinander, also stimmten wir das meist ab - aber wenn wir nicht vorab bereits etwas Konkretes besprochen hatten, stellte ich ja doch immer wieder die selbe Frage - ob er schon etwas vorhatte. Schließlich war er ja trotz der Beziehung zu mir noch ein freier Mann und hatte sicherlich noch andere Interessen, als ständig nur mit mir auf der Couch herum zu lümmeln oder einen Spaziergang durch die Ortschaft zu machen. Konnte also durchaus sein, dass er ab und an gerne auch mal alleine unterwegs sein wollte, aber dem schien der darauffolgenden Frage seitens Sabin nach zu urteilen heute nicht der Fall zu sein. Jedenfalls würde es keinen Sinn machen, wenn er mich danach fragte, ob ich etwas unternehmen wollen würde, nur um dann alleine etwas anderes zu machen. Einen Moment lang sah ich ihn noch stumm lächelnd an, dann wanderte mein Blick auf seine Hand, mit dessen Fingern er die meine hielt. "Ich hatte gedacht, dass wir vielleicht an den Strand gehen könnten. Die Woche war ziemlich stressig und ich hab da irgendwie Lust drauf. Ein bisschen schwimmen, die Sonne genießen.", schlug ich also vor, worüber ich gerade eben noch nachgedacht hatte. Allerdings war das für mich nichts, was jetzt absolut in Stein gemeißelt war. Es gab auch noch etliche andere Unternehmungen, zu denen ich mir überreden lassen würde, wenn er keine Lust hat. Es musste nicht zwangsläufig etwas mit dem Strand zutun haben. "Wenn du aber eine andere Idee hast, passe ich mich dir auch gerne an.", ergänzte ich also noch ein paar Worte - zu denen ich im übrigen auch den Blick wieder anhob -, um Sabin wissen zu lassen, dass er selbst auch gerne Vorschläge für eine mögliche Freizeitgestaltung mit einbringen durfte. Wir beide waren da glücklicherweise ziemlich schmerzfrei, konnten uns gut auf den jeweils anderen einstellen, was ich eingangs - als ich noch Sabins Aufpasserin spielen musste - niemals gedacht hätte. Ein Krimineller wollte doch schließlich immer seinen Willen durchsetzen und ließ da auch absolut nicht mit sich reden, oder? Das hatte ich zumindest immer gedacht und in den meisten Fällen traf das wohl auch ziemlich genau den Nagel auf den Kopf. Hunter, Cosma und Vahagn waren gute Beispiele für dieses Verhaltensmuster, machten sie einem doch nicht selten unmissverständlich klar, wie wenig sie sich um die Meinung anderer scherten, wer dabei verletzt wurde oder welche möglichen Konsequenzen ihr Handeln hatte. Sabin war da allerdings ganz anders, zumindest mir gegenüber. Er war mittlerweile ein durchweg angenehmer Zeitgenosse und von dem anfänglichen Ekelpaket - welches er mir gegenüber damals in Norwegen definitiv gewesen war - schien nichts mehr übrig zu sein. Klar, gegenüber anderen Leuten aus dem Metier wurde er dann doch auch ab und an mal etwas schroffer, wie beispielsweise, wenn sich einer der Jungs hier im Hause mal wieder etwas zu viel für ihre jeweilige Position in Hunters Reihen herausnahmen, aber ansonsten genoss ich den gebildeten und gesitteten Umgang mit dem älteren Italieners. Es war deshalb schon lange keine Schwierigkeit mehr für mich, mich meinem Freund in vielerlei Hinsicht einfach anzupassen, weil ich wusste, dass er es an anderer Stelle genauso für mich tun würde. Alles in allem würde ich schätzen, dass wir von den ganzen Pärchen, die sich seltsamerweise über die Zeit zwischen den Mitgliedern der inzwischen kubanischen kleinen Mafia gefunden hatten, mit Abstand das Pärchen waren, die einer normalen, gesunden Beziehung am nächsten kamen. Lag wohl sicher am Alter und der Tatsache, dass wir beide Kinder hatten, durch die man über die Jahre ganz einfach reifer würde. So wirklich im Kopf, wie alt Sabins Tochter damals gewesen war, kurz bevor sie ermordet wurde, hatte ich jetzt zwar nicht mehr, aber ein paar Jahre dürften es sicher gewesen sein. Irgendwann legte man die Streitlust jedenfalls ab, weil mit einem Kleinkind zu diskutieren bisher noch nie einen Sinn gemacht hatte.
~ ich mach mal le sprung von so drai Tagen ~
Es brauchte mich nur wenige Stunden mit Tauren und ich war nach dem kurzzeitigen Krankenhausaufenthalt wieder gänzlich auf Kuba angekommen. Vermisste das kalte Russland keinen Meter mehr, obgleich ich mir weiterhin Sorgen um meinen Bruder machte. Zwar überzeugte ich mich täglich mit einem Telefonat davon, dass Irina den Mordversuch an Iljah nicht doch noch vollendet hatte, aber trotzdem war ich ganz froh, endlich wieder bei meinem Freund sein zu können. Ohnehin gingen die Gespräche nie wirklich lang und bezogen sich zumeist auf Geschäftliches, weil der Russe noch immer einen ziemlichen Hals auf Hunter und mich wegen der Sache mit Irina zu haben schien, aber das war meiner Meinung nach vorerst auch absolut ausreichend. Hauptsache ich konnte ihn hören, mich absichern, dass er noch lebte und irgendwann würde er sich schon wieder einkriegen. Bis dahin sollte er ruhig gemeinsam mit dem Miststück schmollen, ich hatte genug um die Ohren, um mir darüber nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Nach dem Krankenhausaufenthalt war ich nämlich noch immer reichlich kaputt und weil die Arbeit darauf leider keine Rücksicht nahm, brummte mir inzwischen der vierte Tag am Stück ziemlich penetrant und auf unangenehmste Art und Weise der Schädel. Ich war also froh, wenn ich mir nicht noch irgendwelche belanglose Scheiße von Iljah anhören musste und wenigstens noch ein paar Stunden meine Ruhe mit Tauren hatte, bevor ich den nächsten organisatorischen Hürdenlauf in Angriff nahm. In der letzten Zeit schienen sich ausschließlich richtige Problemfälle mit ihren Anliegen bei meinem Bruder und mir zu melden und ich vermisste die Zeit, in der es ausschließlich darum ging, irgendwelche bulgarische Prostituierte nach Europa einzufliegen. Menschen, die niemand vermisste und die nirgends gesucht wurden eben. Aber gut, wir waren seit Iljahs neusten Versprechungen Hunter gegenüber noch sehr viel weiter weg davon, uns Aufträge aussuchen zu können, als zu der Zeit nach dem Anschlag auf unsere italienische Niederlassung. Dementsprechend lud ich also auch Sabin zu mir ein, der mit einem mysteriösen Anliegen wenige Tage nach meiner Entlassung als Name auf meinem Handydisplay erschien. Ich ahnte schon nichts Gutes, weil ich mir nicht erklären konnte, aus welchem Ärmel er sich plötzlich einen Auftrag schütteln wollte, aber wie ich bereits erwähnt hatte, war ich nicht in der Position, lange darüber nachzudenken. Kurzerhand tat ich also etwas für meine Verhältnisse recht ungewöhnliches - ich lud den jungen Mann zu mir nach Hause ein. Logischerweise tat ich das nicht mit jedem Kunden, traf mich in der Regel stattdessen in irgendeinem Kaffee oder an einem anderen Ort, wo man ungestört reden konnte und wo ich keine Angst haben musste, dass ich nachts plötzlich überfallen wurde, aber wir kannten uns inzwischen lange genug, als dass ich Sabin dahingehend einigermaßen über den Weg trauen konnte. Und es war für mich einfach angenehmer, wenn ich mich nicht erst in eine Jeans zwängen und dann auch noch durch die Gegend gurken musste. So konnte ich fast schon entspannt in einem Oversize-Jogginganzug auf meiner Couch darauf warten, dass es an der Tür klingelte und bis dahin noch etwas Kraft tanken. Es war um die Mittagszeit rum und ich war gerade dabei, mich von Tauren zu verabschieden, den ich seit meiner Rückreise eigentlich täglich in meiner Nähe hatte, als mich besagter schriller Ton schon genervt die Augenbrauen ins Gesicht ziehen ließ. Ich war nicht wirklich begeistert darüber, mich jetzt noch mit Sabin auseinandersetzen zu müssen, löste mich ja aber doch aus der eher kurzen Umarmung des Norwegers, um mich stattdessen müden Schrittes in Richtung Flur zu begeben, wo ich die Tür für einen von Hunters etlichen Geschäftspartnern öffnete. Ich sparte mir eine verbale Begrüßung und nickte Sabin stattdessen nur leicht zu, bevor ich wenig später schon einen Schritt zur Seite machte, um ihm Einlass in meine Wohnung zu gewähren. Soweit ich mich erinnern konnte, war es das erste Mal, dass er mich in privaten Räumlichkeiten besuchte, oder? Vielleicht ließen mich die unsagbaren Kopfschmerzen und die daraus resultierende eher nicht so gute Laune aber auch einfach Dinge vergessen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #