Ich wusste, dass ich irgendwo was übersehen haben musste. Schon die ganze Zeit über. Es war einfach zu leicht gewesen, hatte an und für sich insgesamt schon zu unkompliziert geklungen, als dass ich nicht irgendwo einen Aspekt vergessen haben musste. Es dauerte zwar eine ganze Weile, bis Richard dann diesen einen, aber doch sehr gravierenden Haken an der Sache gefunden hatte und zur Sprache brachte, aber dann fiel es mir quasi wie Schuppen von den Augen. Es dürfte fast unmöglich sein die ziemlich skrupellosen Mexikaner davon abzuhalten sich nicht irgendwo noch eine schicke Halskette für ihre Frau oder eine großkotzige Uhr für ihr eigenes Handgelenk mitgehen zu lassen, wenn Niemand vor Ohr war, um die ganze Übergabe zu überwachen. Zwar kannte ich den Abnehmer der kubanischen Hehler nicht in Person und er war mit Sicherheit so als Mexikaner - die Kriminalität da drüben war ja der reinste Irrsinn, die Bullen hatten den Kampf dort längst verloren - besser gewappnet als die Diebe auf der Insel selbst, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass derjenige mit einem Kartell mithalten konnte, das in wirklich großer Menge Drogen verkaufte. Wo mehr Geld im Spiel war, da waren auch die Mittel zur Verteidigung besser. Das war eine ziemlich einfache Regel in diesem Metier. Ich hob die freie Hand an, um mir damit begleitet von einem Seufzen mit ordentlich Druck von oben nach unten übers Gesicht zu streichen. "Siehst du... genau deswegen beziehe ich gerne deine Meinung ein.", stellte ich fest, auch wenn da etwas Ironie mit einfloss. Primär war es mir ja eher um Richards Einverständnis gegangen und weniger um seine Bedenken diesbezüglich, aber ja, er hatte eindeutig Recht mit dem, was er sagte. Deswegen rieb ich mir daraufhin auch eine Weile lang mit kritisch ins Gesicht gezogenen Augenbrauen den Bart. Sah dabei auf den stümperhaft mit Schotter befestigten Weg, der vom Haus zur Straße führte, als würde er mir den Pfad zur Erleuchtung aufzeigen. Allerdings dauerte es sicherlich an die drei Minuten, bis ich den Mund nach einem weiteren Zug an der Zigarre schließlich erneut aufmachte. "Das ist definitiv ein sehr blöder Haken an der Sache. Es bräuchte wahrscheinlich wirklich ein paar Leute zur Begleitung, die das Ganze überwachen, damit da nichts schiefgeht... und ich wüsste nicht, wen ich dafür losschicken soll.", redete ich eher konfus klingend vor mich hin, schüttelte dabei unterbewusst ein klein wenig den Kopf. "Es ist die Sache ziemlich sicher wert, da hab ich keine Zweifel. Ich kann aber nicht selber gehen... Hunter wüsste sofort, dass da irgendwas nicht stimmt.", dachte ich weiterhin eher laut nach, als wirklich direkt mit dem Engländer zu sprechen. Ich wollte nur ungern akzeptieren, dass die ganze Geschichte jetzt daran scheitern sollte. Wenn der Rest so verhältnismäßig leicht zu knacken war, dann wollte ich ganz einfach nicht, dass mir die Goldgrube jetzt nur wegen diesem einen blöden Umstand komplett durch die Lappen ging. Ich hatte die Witterung auf wiedergewonnene Freiheit schon aufgenommen und war nicht gewillt, sie jetzt einfach wieder aufzugeben. "Ich würde ja einfach den Typen darum bitten, ein paar seiner Leute mit rüberzuschicken... aber ich glaub ehrlich gesagt nicht, dass die es mit einem mexikanischen Kartell aufnehmen können, wenn's wirklich zu Unstimmigkeiten oder richtigen Problemen kommt. Die haben da drüben ja wirklich nochmal einen deutlich größeren Sprung in der Schüssel, als meine italienischen Verwandten.", baute ich auch an dieser Stelle einen kleinen, trockenen Witz mit ein. Nein, das kam definitiv nicht in Frage. Damit würde ich mir die Grube noch selbst wieder zuschaufeln, ohne auch nur einen Krümel Gold in den Fingern gehabt zu haben. Dem Amerikaner ein paar seiner Leute abzuschwatzen war logischerweise aber auch nicht sowas wie eine Option. Nachdem Vahagn gerade nicht unbedingt gut auf mich zu sprechen war und ohnehin auch recht sicher nochmal wegen Noah unschön mit Hunter kollidiert war, würde ich bei ihr sehr sicher auf Granit beißen. Wahrscheinlich würde sie mich auslachen und mir sagen, dass ich das jetzt davon hatte, sie mehr oder weniger über den Tisch gezogen zu haben. Was auch immer, jedenfalls kam das genauso wenig in Frage und ansonsten war hier auf Kuba die Kriminalität leider rar gesät. Ich würde kaum irgendwo zufällig noch ein paar Söldner finden, ich hatte schon mit der Diebesbande ziemliches Glück gehabt. "Das kann's jetzt aber nicht sein. Es muss da eine Lösung geben... muss es einfach.", grummelte ich immer unzufriedener werdend vor mich hin, zog die Augenbrauen noch tiefer ins Gesicht und stieß mich geistesabwesend von der Wand ab, um fokussiert nachdenkend ein paar Schritte vor der Hauswand auf und ab zu gehen. Manchmal half Bewegung und ich hoffte einfach mal darauf, dass mir gleich noch der Geistesblitz schlechthin kommen würde.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Wenn ich ehrlich sein sollte, dann wusste ich nicht so recht, ob ich ihm das wirklich glauben sollte. In der Regel interessierte sich sonst nämlich kaum einer für meine Meinung. Wenn überhaupt, dann auch nur in einem sehr geringen Maß und zumeist nur dann, wenn ich die Ansichten meines jeweiligen Gegenübers vertrat. Ansonsten war es dem Großteil schlichtweg egal, was ich zu sagen hatte und trotzdem ließ mich Sabins sarkastische Aussage grinsend mit dem Kopf schütteln. Ich sah ihn dabei allerdings noch immer nicht an und das leise Schnauben war deshalb wohl alles, was bei dem jungen Mann unweit von mir ankam. Allerdings schien ich mit meinen Bedenken einen Punkt angesprochen zu haben, über den Sabin bis dato noch nicht nachgedacht hatte und obwohl meine Paranoia direkt wieder das Ruder an sich reißen wollte, blieb ich standhaft und versuchte, einfach darüber hinwegzusehen. Jeder noch so durchdachte Plan hatte hier und da eben noch so seine Tücken, weshalb man eine Bank beispielsweise auch nicht von heute auf morgen überfiel. In der Regel einen Partner hatte, der einen, wie ich es bei Sabin getan hatte, eventuell auf etwas aufmerksam machte, dass der jeweils andere aus welch Gründen auch immer übersehen hatte. Im Kopf hörte sich ziemlich viel immer so kinderleicht an, aber in seiner Euphorie, bald eventuell im Geld schwimmen zu können, vergaß man manchmal eben auch das ein oder andere und das war vollkommen normal. Kein Grund für meine Psyche also, direkt wieder verrückt zu spielen. Tatsächlich klappte das mit dem ruhig bleiben auch ganz gut, was nicht zuletzt wohl daran lag, dass Sabin umgehend damit anfing, über den von mir genannten, sehr blöden Haken nachzudenken, während er nebenher weiterhin immer mal wieder an der Zigarre zog. Der Qualm jener stieg mir, wenn die milde Brise gerade ungünstig in meine Richtung wehte, in die Nase, was mich angeekelt das Gesicht verziehen ließ. Seit dem Entzug hatte ich hier und da mal eine einfache Zigarette geraucht, weil ich gehofft hatte, sie würde mir dabei helfen, dem Drang nach Härterem zu widerstehen, aber letztlich hatte sich auch das irgendwie im Sande verlaufen. Ich hatte wohl nicht gleich in die nächste Abhängigkeit schlittern wollen und seitdem wurde mir von kaltem Rauch immer irgendwie schlecht. Der Höflichkeit halber blieb ich jedoch trotzdem an der Hauswand gelehnt stehen und hielt für den Moment einfach kurz die Luft an. Als meine Lunge sich über den angehaltenen Atmen beschwerte, war der Dunst längst verflogen und Sabin hatte angefangen, vor der Hauswand auf und ab zu tigern. Etwas, in dem ich auch sehr gut war, wenn ich über angespannt über etwas nachdachte, aber auch das schien sich in den letzten Monaten gelegt zu haben. Allgemein wirkte ich im Verhältnis zu damals deutlich verhaltener und etwas ruhiger. Für manche in meinem Umfeld der reinste Segen, ich war damit aber irgendwie weniger zufrieden. Aber gut. Jedenfalls galt mein Gehör weiterhin den Worten des Italieners, der es scheinbar nicht einsehen wollte, dass der Traum vom großen Geld damit plötzlich geplatzt war. Zugegeben hatte auch ich parallel dazu angefangen, über eine mögliche Lösung des Problems nachzudenken, aber viel mehr, als die aktuell gegebenen Mittel - was im Klartext bedeuten sollte, Hunter in die Sache mit einzubeziehen - wollten mir dazu spontan auch nicht einfallen. Erst, als der junge Mann darauf zu sprechen kam, dass die Kubaner es wohl kaum mit dem mexikanischen Kartell aufnehmen können würden, weil diese wohl einen ziemlichen Sprung in der Schüssel hatten, kam mir plötzlich eine Idee. Sie war keinesfalls ausgereift, noch war ich wirklich überzeugt davon, dass sie eventuell Abhilfe schaffen können würde, aber... "Kubaner nehmen sie vielleicht nicht ernst... aber was ist mit Russen?", platzte plötzlich eine Frage aus mir heraus, noch bevor ich den Gedanken an eine mögliche Lösung überhaupt zu Ende gedacht hatte. So viel dann zum Thema Spontanität und durchdachtes Handeln, aber ich versuchte wie gesagt einfach, einen Teil meiner alten Manier abzulegen, um es mir im Leben ein bisschen leichter zu machen. Also fragte ich Sabin einfach mal, was er als ehemaliges Mafia Mitglied eigentlich so von seinen russischen Kameraden hielt. Je nach dem, ob sie tatsächlich mindestens genauso skrupellos und fragwürdig agierten, wie die Mexikaner laut seiner Aussage, würde ich beiläufig einfach mal bei Irina nachhaken, ob sie eventuell noch... Kontakte hatte. Vielleicht nicht unbedingt zu den Leuten, vor denen sie auf der Flucht war logischerweise, aber eventuell kannte sie ja noch ein paar Männer, die sich gegen eine geringe Entlohnung für den Anfang in Mexiko einnisten und die Abwicklung am Hafen im Auge behalten würden. Ich wusste zwar noch nicht, wie genau ich meine Frage an die junge Frau dann verpacken würde und inwieweit ich mit der Sprache herausrücken musste, sollte sie potenzielle, schießwütige Kumpanen haben, aber darüber würde ich mir auch später noch Gedanken machen können. Es galt überhaupt erst einmal zu klären, ob mein spontaner Geistesblitz, der alles andere als wohlüberlegt war, überhaupt etwas taugte. Dann konnte ich überlegen, wie ich die Serbin am ehesten damit konfrontierten würde oder ob ohnehin ein vollkommen anderer Plan hermusste. Wenn ich jedoch ehrlich sein sollte, dann wüsste ich ehrlich gesagt auch nicht so recht, wie man anders an Hunter vorbei an Männer kommen sollte, die sich der Sache annahmen... Es war irgendwie alles noch reichlich unorganisiert und unüberlegt und das gefiel mir nicht.
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Es dauerte eine weitere, kleine Weile voll unruhiger, zielloser Schritte meinerseits, bis der Engländer sich schließlich ein weiteres Mal bezüglich dem aufgekommenen Problem äußerte. Allerdings nicht mit einer super All-In-One-Lösung für diese Problematik, sondern lediglich mit einem Denkansatz, der meinem vorherigen nicht wirklich unähnlich war. Ich hatte ja auch schon an Russen gedacht - hinsichtlich Vahagn eben, aber da würde ich nicht weit kommen. "An und für sich wäre das sicher eine brauchbare Lösung, ich hab auch schon dran gedacht.", redete ich nachdenklich vor mich hin und musterte den Kies vor meinen Füßen, während ich weitere Schritte machte. So aus dem Stegreif waren ein paar eigensinnige Russen wahrscheinlich nicht verkehrt, um die Schmuggelware zu überwachen. Zwar konnte jener Eigensinn einem womöglich auch zum Problem werden, aber gleichzeitig ging der eben auch mit dem gewissen sturen Willen einher - und der war zweifelsohne gut, wenn ein paar tollwütige Mexikaner versuchen wollten, einem Beine zu machen. Da musste man schon die Ruhe bewahren oder sich anständig wehren können. Wörtlich und im Ernstfall dann eben auch darüber hinaus. Russen waren für gewöhnlich eher nicht auf den Mund gefallen und Vahagn selbst war was das anging ein absolute Paradebeispiel. Nur... "Vahagn wäre jetzt meine erster Lösungsansatz dafür gewesen, nur ist unser kleines Temperamentsbündel seit meiner Rückreise aus den Staaten nicht grade gut auf mich zu sprechen. Es gab leider ein paar Unstimmigkeiten, da hab ich wohl keine Chance.", seufzte ich und blieb letztendlich zwei, drei Meter von Richard entfernt stehen. Hob dann die Hand erneut an meinen Bart, als würde er mir irgendwie dabei helfen können eine Lösung für all das zu finden. Was das anging waren die paar Stoppeln in etwa genauso ineffektiv wie die Zigarre, aber letztere war wenigstens gut für meine gerade leicht angestachelten Nerven. Ich fuhr innerlich doch einen Gang hoch, weil es schlichtweg unabdingbar war für dieses von mir nicht bemerkte Problem eine Lösung zu finden. Alles stand oder fiel wohl damit, wenn ich Hunter nicht involvieren wollte, was von vornherein eigentlich absolut nicht in Frage kam, weil er ohnehin nicht damit einverstanden sein würde. Wenn es nach ihm ginge, dann wäre ich vermutlich für den Rest meines Lebens irgendwie von ihm abhängig, was ich so logischerweise aber ganz und gar nicht im Sinn hatte. Mein Geduldsfaden war zwar sehr lang, aber früher oder später würde ich wohl doch noch versuchen ihm seine selbstgefällige, überhebliche Art einfach aus dem Gesicht zu schießen, wenn ich noch ewig weiter auf ihn hören müsste. Er mochte vielleicht einen recht guten Sinn für Geschäfte haben, aber auf menschlicher Ebene würden wir beide niemals zusammenfinden und das war der ausschlaggebende Punkt dafür, dass ich mich restlos von ihm abkapseln wollte. Sicher, man konnte bei Bedarf wahrscheinlich trotzdem noch das eine oder andere Geschäft miteinander machen, aber das würde dann auf einer ganz anderen Ebene ablaufen. Auf Augenhöhe und nicht mit im übertragenen Sinne eingezogenen Kopf meinerseits, weil er mich an der Leine hatte. Versteht mich nicht falsch - ich war ihm immer noch sehr dankbar dafür, dass er wahnsinnig viel dafür geopfert hatte meinen Kopf damals in Norwegen aus der Schlinge zu ziehen. Es waren einige seiner Männer dafür gestorben und das allein war schon ein Opfer, dass ich so nicht hatte einfordern wollen. Es war nur leider unumgänglich gewesen, bei all den Schießereien. Jedenfalls war ich dem Amerikaner an und für sich noch immer dankbar für seine Dienste, aber unsere Werte waren abgesehen von gewünschter Ehrlichkeit und Loyalität einfach sehr verschieden. Langfristig konnte das also kein gutes Ende nehmen und es war vermeintlich für alle das beste, wenn ich mir vollkommen unabhängig von ihm etwas aufbaute, das mein Ticket aus dieser lästigen Schuldenfalle mitsamt Arschkriecherei war. Ich hatte ihm so einiges an Honig ums Maul schmieren müssen, damit er Richard noch eine weitere Chance gab was die Drogen anbelangte. Sowas würde dann auch nicht mehr vorkommen, ganz gleich in welcher Hinsicht.
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Einen Augenblick lang sah ich Sabin nur aus fragenden Augen heraus an, weil ich mir nicht zusammenreimen konnte, woher er plötzlich Irina zu kennen schien. Es brauchte mich eine kleine Weile - um nicht zu sagen die nachfolgenden Worte meines Freundes -, um zu realisieren, dass er im Bezug auf Russen gar nicht an Irina, sondern vielmehr an Vahagn dachte, was natürlich deutlich mehr Sinn ergab. An die aufmüpfige Brünette hatte ich wiederum nicht gedacht und so schüttelte ich letztlich etwas verwirrt den Kopf, als Sabin mir mitteilte, dass die junge Frau aktuell scheinbar nicht besonders gut auf ihn zu sprechen war. Aus Gründen eben, die ich besser nicht hinterfragte. "Oh, an die habe ich gar nicht gedacht.", gab ich zu, mit meinen Gedanken ein ganz anderes Ziel verfolgt zu haben. "Eigentlich hatte ich vor... bei Irina mal nachzufragen. Du weißt schon, das Mädel, was ich bei mir aufgenommen habe. Ich weiß zwar noch nicht so genau, was ich sagen soll... aber es wäre, denke ich, einen Versuch wert. Sie ist irgendwie mit Vahagns... Bruder zusammen oder so und nach dem, was sie mir erzählt hat, scheint er ein paar Leute hinter sich stehen zu haben, vielleicht lässt er ja mit sich reden?", gab ich nachdenklich und nur stockend ein paar weitere Worte von mir, mit denen ich Sabin über mein Vorhaben aufklärte. Ich müsste mir, der Zustimmung des Italieners vorausgesetzt, zwar noch überlegen, wie ich auf das Thema zu sprechen kam und wie ich die Frage entsprechend so verpackte, dass Irina nicht allzu viele Fragen stellte, aber grundsätzlich hatten wir doch eigentlich nichts zu verlieren, oder? Mehr als Nein sagen konnte die Schwarzhaarige schließlich nicht und im besten Fall war das aktuelle Problem, keine Männer für die Überwachung zu haben, dann keines mehr. Natürlich lag das nicht nur an der jungen Frau selbst, sollte sie sich kooperativ zeigen, sondern bedurfte auch der Zustimmung von Vahagns Bruder, aber wir wären immerhin schon mal einen Schritt weiter, als wir das in diesem Augenblick waren. Ich kannte den ebenfalls Schwarzhaarigen nicht, hatte ihn nur kurz gesehen, als er seiner Freundin einen Besuch abgestattet hatte, aber wenn ich ehrlich sein sollte, dann hatte mir dieses kurze Aufeinandertreffen schon ausgereicht, um sagen zu können, dass ich es mir nur ungerne mit ihm verscherzen wollte. Rein optisch schien der Kerl keinerlei Widerrede zuzulassen, wenn man nicht spontan die Fresse poliert kriegen wollte. Zwar konnte man den ersten Eindruck nicht immer für bare Münze nehmen, weil er ja offensichtlich auch ganz anders konnte, aber sollte seine Gefolgschaft ihm optisch ähneln, dann wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Mexikaner gar nicht erst versuchten, eine Konfrontation zu provozieren. Soweit zumindest die Theorie. Ich sah für eine mögliche Zusammenarbeit allerdings schwarz, wenn er genauso störrisch wie seine jüngere Schwester war, aber auch das galt es erst einmal herauszufinden. "Also ich meine... ich hab das jetzt natürlich noch nicht so richtig durchdacht...", setzte ich nach einer kurzen Unterbrechung zu weiteren Worten an, mit denen ich mich glatt Sabins spontanem Brainstorming anschloss. Stieß mich schließlich ebenfalls von der Wand ab, kratzte mich im Nacken und zuckte dann mit den nach wie vor immer noch recht schmalen Schultern. "Aber es liegt doch eigentlich nahe, dass Vahagns ominöser Bruder mehr oder weniger im gleichen Geschäft tätig ist, wie seine Schwester, oder?" Alles andere würde für mich nur bedingt Sinn machen, weil ich am Rande bereits mitbekommen hatte, dass besagte Russin hin und wieder mal in die Heimat telefoniert hatte. Sicherlich nicht nur um zu fragen, wie es ihrer anderen Hälfte ging. Und wenn ich mich recht entsinnen konnte, dann hatte sie auch damals, als sie schwerverletzt mit Tauren hier auf meiner Couch genächtigt hatte, ein paar Mal von Zuhause erzählt. Aber genau erinnern tat ich mich wegen dem damals sehr exzessiven Drogenkonsum leider nicht mehr. Irgendwas war da jedenfalls gewesen und ich war eigentlich der festen Überzeugung, dass sich die beiden irgendwie gemeinsam um die illegalen Im- und Exporte kümmerten. "Das heißt, er hat bestimmt auch den ein oder anderen Mann, den er am Hafen in Mexiko abstellen könnte, der sich unter Umständen sogar mit dem Umschlag von... na ja, nicht legalen Waren gut auskennt. Ich meine... ich würde da in der Anfangszeit sicherlich trotzdem noch ein Auge draufwerfen, aber im Grunde genommen müssten wir Vahagn nicht behelligen und Hunter dürfte im besten Fall auch nichts mitbekommen. Zwar kostet das auch immer noch ein bisschen Kohle, aber wenn sich das Geschäft wirklich derart lohnt...", führte ich meine Überlegung weiter aus, während ich inzwischen wieder den Boden vor meinen Füßen anstarrte. So richtig optimal war das natürlich nicht und es tat sich außerdem die Frage auf, wer in der Anfangszeit ein Auge auf den Ablauf haben würde, aber schlecht klang der Plan trotzdem nicht, oder? Notfalls... würde ich das eben übernehmen. War ja nicht für immer, sondern nur für eine gewisse, absehbare Zeit, also wäre das durchaus machbar. Aber gab es in dem Fall vielleicht seitens Sabin Einwände? Irgendetwas, dass nun ich eventuell nicht bedacht hatte?
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Mir schien als hätten sich unsere Gedankengänge doch ein wenig voneinander unterschieden. Die Wurzeln schienen zwar die gleichen zu bleiben, aber Richard hatte an eine andere Ansprechperson für die russische Verstärkung gedacht. Jetzt wo er Irina erwähnte, erinnerte ich mich auch wieder daran, dass ich den Engländer eigentlich mal Zuhause hatte besuchen wollen. Einfach nur um mir ein Bild davon machen zu können, ob besagte junge Frau für meine Begriffe in Ordnung war oder ob ich die Sache lieber genauer im Auge behalten sollte. Ich wusste zwar selbst, dass ich dem Dunkelhaarigen nicht in seinen eigenen vier Wänden vorschreiben können würde, wen er bei sich hausen ließ und wen nicht, aber was sowas anging konnte ich ja doch noch nicht ganz aus meiner Haut. Dass Cosma ihm nie wirklich was Schlechtes wollte, das wusste ich ja. Das löschte die Chance auf Drogenkonsum zwar nicht grade aus, hatte die Rothaarige früher in ihrer Bar - ich schwelgte fast gern in dieser verhältnismäßig ruhigen Erinnerung, hatte ich doch selbst ab und an ganz entspannt in der Bar ein Gläschen runter gekippt und abgeschaltet - doch selbst öfter mal an einem Joint gezogen. Ich hatte keine Ahnung, ob sie das immer noch gerne tat, aber es wäre in Richards Beisein eben nicht ratsam. Gras war im Vergleich mit Meth zwar eine wirklich milde Droge, aber auch das konnte theoretisch wieder eine Abhängigkeit nach sich ziehen, die weiß Gott vermieden werden sollte. Wie es mit Irina in dieser Hinsicht aussah konnte ich hingegen weniger als gar nicht beurteilen, genauso wenig wie sie menschlich tickte. Zwar versuchte ich, wenn ich mich ohnehin ab und an mal mit Tauren unterhielt, weil er manchmal am Labor vorbeikam - oder er die Schlüssel für seine Wohnung zurückwollte -, mir ein bisschen Klatsch und Tratsch zu erschleichen, aber ich wusste kaum etwas über die Dinge, die in Russland passierten. Dass Hunter da Geschäfte mit Vahagns Bruder machte war mir nicht neu, die Geldwäsche lief über ihn. Trotzdem hatte ich bisher weniger als gar nicht daran gedacht, statt bei der Eiskönigin einfach bei ihrer Verwandtschaft nachzufragen. Lag vermutlich daran, dass ich Iljah bisher noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Dennoch lag es nahe, dass der werte Herr ebenfalls ein paar nette Soldaten hinter sich stehen hatte, weil ich mir sehr sicher damit war, dass Hunter andernfalls kaum sein gedrucktes Falschgeld in seine Hände geben würde. Der Amerikaner war zwar hitzköpfig, was sein Geschäft anging aber im Regelfall äußerst bedacht auf schmales Risiko. Augenscheinlich war er mit dieser Methode bisher ja auch sehr erfolgreich gefahren. "Daran hab ich wiederum so gar nicht gedacht.", stellte ich doch etwas belustigt fest und die sich leicht anhebende Laune war absolut der Tatsache zuzuschreiben, dass jetzt eine mögliche Lösung für das leidige Problem auf dem Tisch lag. Natürlich war noch nichts in Stein gemeißelt und der Russe müsste dem Ganzen so oder so erstmal zugetan sein, aber an sich war das keine schlechte Idee. Allerdings würde ich bei einem Gespräch mit Iljah wohl doch unterschwellig herausfinden wollen, wie genau er zu Hunter stand. Wenn das Risiko bestand, dass er petzen ging, konnte ich diese Option nämlich auch getrost über den Haufen schmeißen. "Ein bisschen Absicherung muss er ja haben, sonst würde Hunter kaum Geschäfte mit ihm machen.", stellte ich allem voran erstmal fest, dass es schon sehr wahrscheinlich war, dass er mindestens theoretisch die nötige Ressource für mich besaß und zog gedanklich ein paar rote Fäden über mein imaginäres Planungsbrett an der Wand. Der einzige Haken war natürlich mal wieder das liebe Geld, aber da konnte man sich bestimmt einig werden. Es war ja nicht so als hätte ich gar nichts angespart, aber ich wollte ungern alles auf einmal loswerden. Nur für den Fall, dass eben doch irgendwas Unvorhersehbares kam oder bei dem abgeschlossenen Geschäft an sich etwas schief ging. Ich war gerne so weit abgesichert, wie das in meiner Lage möglich war. Das mit dem in der Anfangszeit ein Auge drauf werfen war für meine Begriffe allerdings recht schwierig. Ich konnte hier wie gesagt nicht schon wieder für ein paar Tage verduften und zog auf den Engländer nicht dafür in Betracht, gab es dafür doch auch mehr als genug gute Gründe. "Wie genau das im Detail aussehen würde, müsste man dann sowieso mit Iljah besprechen... natürlich muss schon eine grobe Vorstellung bis zur ersten Besprechung her, solltest du das über Irina deichseln können, aber...", ich zuckte nachdenklich mit den Schultern und ging noch ein paar Schritte auf und ab, nur um dann am fast identischen Punkt wie vorher erneut stehen zu bleiben. Es war sehr schwer irgendwas zu planen, wenn man um die genauen Umstände noch nicht wusste. Es wäre sowieso noch ein mehrfaches hin und her, weil ich zuerst wissen musste ob das klar ging, bevor ich ein festes Datum für die Überfahrt mit dem Diebespack vereinbaren konnte und so weiter und so fort... war alles ein bisschen kompliziert, aber dennoch machbar in meinen Augen. "Wie das mit der eigenen Überwachung aussehen soll ist mir aber schleierhaft. Kann ja von uns keiner mit rüber und sonst vertrau ich Niemandem, der dafür in Frage kommen könnte.", redete ich weiter vor mich hin. Außer Richard vertraute ich hier auf geschäftlicher Ebene wohl besser Niemandem zu einhundert Prozent, weil ungefähr jeder, den ich kannte, irgendwie an Hunter festhing. Auf Vahagn hätte ich auch nur deswegen zurückgegriffen, weil ich wusste, dass sie auf den Hitzkopf nicht wirklich immer gut zu sprechen war und sie mich kaum in eine Falle locken würde. Zumindest eben dann nicht, wenn sie nicht sowieso schon sauer auf mich war. "Aber alles in allem würde ich dich schon gerne darum bitten, es mal zu versuchen... natürlich ohne ihr irgendwelchen signifikanten Informationen zu geben. Wenn Irina dann gleich verneint, hat sich's ja ohnehin erledigt.", bat ich den Engländer abschließend darum, den Versuch zu wagen. Formulierte die Worte mit einem nun recht unbeschwerten Lächeln und leicht schief gelegtem Kopf. Es konnte nicht schaden es zumindest zu probieren. Wenn nichts daraus wurde, dann war das eben so, aber bis zum jetzigen Zeitpunkt gab es ohnehin noch keine andere gute Option.
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Offensichtlich nicht, nein. Sonst wäre es ja auch gar nicht erst zu diesem Missverständnis gekommen, was meines Erachtens nach aber nicht weiter tragisch war. Manchmal redete man nun mal ganz einfach aneinander vorbei, wenn die Gedanken gerade ganz woanders waren oder beide Parteien nicht über die gleichen Informationen verfügten. Ich tat Sabins Aussage diesbezüglich also ebenfalls nur mit einem schwachen Grinsen ab und nickte anschließend auf seine darauffolgenden Worte. Ich ging ebenfalls davon aus, dass Iljah etwas hatte, mit dem er Hunter in Hinsicht auf die gemeinsamen Geschäfte dienen konnte, wenn es um den Punkt Sicherheit ging. Man konnte von dem Amerikaner halten was man wollte, aber es war bei ihm einfach ziemlich unwahrscheinlich, dass er all seinen Geschäftspartnern blind vertraute. Sonst würden ihm eine ganze Menge Menschen höchstwahrscheinlich auf der Nase herumtanzen und ob er überhaupt noch am Leben wäre war auch noch so eine Frage. Also ja, der Russe bot Hunter sicher mehr als nur sein bloßes Wort und das könnte sich Sabin in eventuell zu Nutzen machen. Vorausgesetzt, es klappte natürlich alles so, wie wir uns das hier gerade ausmalten und vorstellten. "Gehe ich von aus.", bestätigte ich den Italiener unnötigerweise noch einmal wörtlich in seiner Annahme, dass es an personellen und auch anderen Ressourcen seitens Vahagns Bruder eher nicht mangeln konnte, wenn der Choleriker sich auf ihn einließ, dann setzte auch ich mich in Bewegung, um ein paar Schritte auf und ab zu gehen. Weiter nachzudenken und schließlich unentschlossen mit den schmalen Schultern zu zucken. "Ich werde mal versuchen, ob sich über Irina da irgendwie der Kontakt herstellen lässt und wer eventuell ein Auge in der Anfangszeit auf den ganzen Scheiß haben könnte. Mir wäre einfach nicht wohl dabei, Fremde aus der Ferne anzuweisen und nicht kontrollieren zu können, wie es läuft.", murmelte ich so vor mich hin und nickte somit Sabins Bitte verbal ab. Ich würde versuche, über die Schwarzhaarige den Kontakt zu ihrem Geliebten herzustellen und parallel dazu eben überlegen, wer dann mit nach Mexiko gehen würde, um den Ablauf im Auge zu behalten. Spontan wollte mir da zwar niemand einfallen, weil ich hier auf Kuba schlichtweg auch noch nicht viele Menschen kannte, aber bisher hatten wir für eigentlich alles immer eine brauchbare Lösung gefunden. Nur ad hoc wollte mir einfach keine einfallen und so ließ ich es nach zwei fruchtlosen Versuchen dann bleiben und vertagte das Ganze gedanklich auf einen späteren Zeitpunkt. Wenn ich mehr Ruhe hatte und nicht jeden Moment wieder ins Labor zurück musste, weil die Pause vorbei war. Logischerweise war das Arbeiten mit Sabin anders, als wenn man unter den Fuchteln eines regulären Arbeitgebers stand, aber in unserem Fall hatte das wenig damit zu tun, wie viel frische Luft mir der Italiener einräumen wollte, sondern wie die Vorgänge im Inneren des Drogenlabors das eben zuließen. "Ich nehme mal an, es hat Eile und ich sollte mir besser nicht zu viel Zeit damit lassen, Irina anzusprechen, oder?", hängte ich murmelnd noch eine fast schon rhetorische Frage hintenan. Ich ging nämlich stark davon aus, dass Sabin das Ganze am liebsten schon gestern über die Bühne gebracht hätte und es ihm somit nicht schnell genug gehen konnte. Demnach musste ich wohl eine gute Situation schaffen, in der sich die Serbin in eine zwanglose Unterhaltung verwickeln ließ, damit ich irgendwie auf das Thema zu sprechen kommen könnte. Wie genau ich das bewerkstelligen würde, wusste ich allerdings noch nicht so genau. Vielleicht bei einem gemeinsamen Filmeabend? Einem Ausflug in die Stadt? Möglichkeiten gab es rein theoretisch relativ viele, es galt die beste auszunutzen. Bis ich Irina das nächste Mal sehen würde, dauerte es allerdings noch ein paar Stunden, in denen ich hoffentlich genug Zeit dafür übrig hatte, mir tiefergehende Gedanken darüber zu machen. Ansonsten... würde ich wohl irgendwie spontan handeln müssen, was ich ehrlich gesagt gerne vermeiden wollen würde. Ich war nun mal leider absolut kein spontaner Mensch und neigte in entsprechend spontanen Situationen eher zu Fehlern und Ausrutschern, was mich damals in meinem Apartment den Lebenswillen gekostet hatte, als mich in Agnolos Beisein alle guten Geister verlassen hatten. Ich war einfach überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen, dass die Rothaarige und Hunter zueinander gefunden hatten und so schnell, wie ich mich verplappert hatte, konnte ich gar nicht gucken. In dem Fall ging es jetzt zwar primär nicht um mein Leben oder um das von Sabin - hoffte ich zumindest -, aber ich wollte trotzdem keinen Fehler machen. Dem Italiener zuliebe, der mir wirklich leid tat. Er war ein guter Mensch und verdiente es einfach nicht, unter Hunters Pantoffeln zu stehen. Ich würde ihm gerne helfen, aus den Schulden rauszukommen, damit er endlich wieder ein freier Mann war. Deswegen musste das Gespräch mit Irina auch annähernd perfekt werden, damit sie mir auf jeden Fall den Kontakt zu Iljah herstellen würde. Dann mussten wir nur noch darauf hoffen, dass sich die vielleicht etwas freundlicheren und umgänglichen Gene der Eltern bei dem Russen wiederfanden, die bei Vahagn irgendwie auf der Strecke geblieben waren.
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Es erleichterte mich ein bisschen, dass der Engländer schon bald noch einmal wörtlich bestätigte, dass er versuchen würde mir über seine neue Mitbewohnerin den Kontakt zu Iljah zu erschleichen. Wobei erschleichen da vielleicht gar nicht ganz das richtige Wort war - er brauchte ihr ja nichts vorzugaukeln, eine sehr abgespeckte Version der Wahrheit war durchaus möglich. Zwar konnte ich den Russen kaum mit einer riesigen Summe Geld anlocken, so wie es Hunter beispielsweise möglich war, aber ich würde ihn natürlich ausreichend für seine Mühen belohnen, falls es tatsächlich dazu kommen würde. Auch konnte man sich meinem Rückhalt grundsätzlich sicher sein, wenn man ihm würdig war. So wie Iljah in diesem Fall mit etwas aushelfen würde, würde ich das im Bereich meiner Möglichkeiten dann ebenso tun. Eine auf gut fundiertem Vertrauen beruhende Geschäftsbeziehung war die einzig wirklich funktionierende und viele meiner früheren Geschäftspartner in Italien waren irgendwann auch zu guten Freunden geworden. Eben vor dem riesigen Desaster, inzwischen wollten die mich sicherlich genauso tot sehen wie der Rest auch. Um es auf den Punkt zu bringen - wie du mir, so ich dir. Hunter mochte an sich ein loyaler Mensch sein, aber die Mittel und Wege, die er zeitweise ergriff, stießen mir ganz einfach extrem sauer auf. Von meiner Unterdrückung mal ganz abgesehen. Ich würde versuchen mich mit dem Choleriker weiterhin gut zu stellen, auch wenn ich dann irgendwann mal unabhängig von ihm war. Einfach deswegen, weil Streit mit ihm potenziell tödlich enden könnte und ich bestens darauf verzichten konnte im Schlaf abgestochen zu werden. Weil auch Sydney und der kleine Noah da nun mit drin hingen. Dennoch würden der Hitzkopf und ich wohl nie sowas wie Freunde werden, weil er für meinen Geschmack viel zu ignorant und eingebildet war. Ich sah wo es sinnvoll war gerne das Gute im Menschen, aber bei dem Amerikaner schien mir zum jetzigen Zeitpunkt einfach Hopfen und Malz verloren zu sein. Deshalb blieb zu hoffen, dass Vahagns Bruder einer anderen Sorte Mensch angehörte und nicht einen ähnlichen Knacks in der Birne hatte wie Hunter. Damit wäre mir ganz und gar nicht wohl und ich bräuchte dann definitiv eine andere Lösung. "Ja, mach das... danke, Richard.", sprach ich dem Dunkelhaarigen mit einem kaum sichtbaren Nicken meinen aufrichtigen Dank aus. Zwar wusste ich wirklich nicht, wen er sich als Oberhaupt für die Überfahrt aus dem Hut zaubern wollte, weil es in meinen Augen da auf den ersten Blick schlichtweg Niemanden gab, aber vielleicht war ich was das anging auch gerade einfach nur blind. Womöglich fand er auch für diesen Haken eine Lösung, er war ja nicht umsonst einer der schlaueren Köpfe im Bunde. Manchmal ein bisschen zu penibel oder kritisch, aber das war eben nicht immer schlecht. Auch in diesem Fall war das viel mehr eine Hilfe, als eine Last. "Ja. Wäre gut, wenn du das möglichst zeitnah hinter dich bringen könntest... der Kerl ist wohl die Ausnahme in der kubanischen 'alles entspannt - Regel'.", bestätigte ich den jungen Mann in seiner Annahme. Ich hetzte andere ungern, aber es war leider nicht so als hätte ich viel Zeit. Wenn ich nicht bald mit einem brauchbaren Plan wieder bei dem Macheten-Typen antanzte, dann konnte ich mir die ganze Sache in die Haare schmieren und müsste mich erneut nach einer Möglichkeit dazu umsehen unabhängig von Hunter Geld zu verdienen. Normalerweise waren Kubaner eigentlich sehr entspannt und lebten so von einem Tag auf den anderen, aber bei Kriminellen zog diese Regel scheinbar nicht. Zumindest nicht, wenn es um das Oberhaupt einer Diebesbande ging. Ich wollte es mir ungern von vornherein mit dem Kerl verscherzen. Ich ging schließlich zu der stellenweise bröckelnden Hauswand und drückte die Zigarre vorsichtig aus. Um den ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogenen Putz war's nicht schade und mein darauffolgender Blick auf die Armbanduhr an meinem rechten Handgelenk verriet mir, dass wir uns ohnehin gleich wieder nach drinnen begeben mussten, wenn wir die Drogen nicht in den Sand setzen und nochmal von vorne anfangen wollten. Deshalb seufzte ich leise und ließ die Hand wieder sinken, bevor ich kaum sichtbar in Richtung der Tür nickte und mich in Bewegung setzte.
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"Kein Problem.", ließ ich den befreundeten Italiener wissen, dass es mir nichts ausmachte, ein paar wenige Minuten meiner kostbaren Zeit in einen Gefallen seinerseits zu investieren. Ob besagte Zeit letztlich vollkommen in den Sand gesetzt war oder ob daraus über kurz oder lang tatsächlich eine Stange Geld resultieren würde, entschied sich nur leider zu einem späteren Zeitpunkt. Es brach mir jedenfalls keinen Zacken aus der Krone, wenn ich mich beiläufig bei Irina nach ihrem Freund und dessen Kontaktdaten erkundigte und deshalb tat ich das gerne. Sabin helfen, meine ich. Das war wohl das Mindeste, was ich ihm schuldig war, nachdem er in der Vergangenheit nicht nur viel Geld, sondern auch Vertrauen und Nerven in mich gesteckt hatte. Zwar würde ich ihm auf rein menschlicher Ebene nur schwer zurückgeben können, was er mir gegeben hatte, als ich so ziemlich am Tiefpunkt meines Lebens angekommen war, aber ich konnte es immerhin versuchen. Und wenn es nur durch einen noch so kleinen Gefallen war - scheißegal. Ich kannte Sabin inzwischen gut genug, um mit ziemlicher Sicherheit sagen zu können, dass er kein Mensch war, der bei Freunden alles auf die Goldwaage legte. Egal wie man ihm half - das man es tat, war, was zählte. Aber genug davon, nicht, dass ich gleich noch weiter in Gedanken versank und das Ganze hier eine ungute Richtung einschlug. Es kam mir daher nur gelegen, dass der junge Mann schon kurze Zeit später seine Danksagung um eine Antwort auf meine Frage ergänzte und wenn ich ehrlich sein sollte, dann hatte ich nichts anderes erwartet. Es war nur naheliegend, dass es schnell gehen musste und so nickte ich schließlich nur noch leicht, um mein Verständnis seiner Worte auszudrücken, ehe ich Sabin auf sein vielsagendes Nicken hin nach drinnen folgte. Nur langsam schlurfte ich ihm hinterher, weil sich meine Motivation heute irgendwie in Grenzen hielt. Aber es waren nur noch wenige Stunden, in denen wir noch eine weitere kleine Pause einlegten, bis es für uns schließlich nach Hause ging. Das Tagewerk war vollbracht und ich gelinde gesagt ganz schön im Eimer. Dabei hatte ich mich am Tag zuvor noch recht wach und fit gefühlt, konnte mir also nicht ganz erklären, warum ich just in diesem Moment förmlich im Stehen einschlief. Auf der Heimfahrt hätte ich deshalb auch fast einen Unfall gebaut und das, obwohl die Straßen mitten in der Nacht – oder besser gesagt früh am Tag – wie leergefegt waren. Trotzdem schaffte ich es, einem der wenigen Verkehrsteilnehmer, die Vorfahrt zu nehmen, weil ich die Verkehrsregeln nachts und zudem hundemüde einfach unglaublich gerne hintenan stellte. Nicht für wichtig genug hielt und hier auf Kuba, wo doch eh alle fuhren, wie sie wollten, ohnehin nicht. Glücklicherweise war aber nichts passiert und das durch den Schreck ausgestoßene Adrenalin hielt mich bis vor meinen Bungalow kurzzeitig hellwach. Als ich den Wagen in der Auffahrt abgestellt und den Motor ausgeschalten hatte, legte ich für einen Moment, nur ein paar Minuten, den Kopf auf dem oberen Teil des Lenkrads ab. Dachte über Gott und die Welt nach, ehe ich schließlich die Füße erschöpft in den Kies senkte, um auszusteigen. Das milde gedimmte Licht im Inneren des Hauses verriet mir, dass Irina offensichtlich noch - oder schon wieder - wach war und das ließ mich, kaum hatte ich die Haustür erreicht, leise seufzen. Ich hatte gehofft, ein eventuelles Gespräch vor dem Hintergrund, dass die junge Frau schon schlief, auf einen späteren Zeitpunkt des bereits angebrochenen Tages verschieben zu können, aber mein Gewissen machte mir alleine bei dem Gedanken daran, jetzt einfach schlafen zu gehen glatt einen Strich durch die Rechnung. Es einfach trotzdem später erst zu versuchen, obwohl die junge Frau vermutlich noch auf war, bereitete mir Bauchschmerzen und so rief ich die über die Nacht in meinem Oberstübchen gesammelten, eventuellen Abläufe eines möglichen Gesprächs ab, als ich den Schlüssel im Schloss herumdrehte und die Tür in den Flur stieß. Ich verhielt mich trotzdem leise, weil es durchaus sein konnte, dass die Schwarzhaarige mit eingeschalteter Wohnzimmerlampe eingeschlafen war, wirkte das schwache Licht doch unglaublich einschläfernd, aber aus Richtung des Wohnzimmers vernahm ich bereits ein leises Rascheln. Meine Schuhe schob ich mir deshalb schon etwas weniger leise von den Füßen und sowohl der Schlüssel, als auch mein Portemonnaie und mein Handy wanderten hörbar auf die neben der Haustür befindlichen Kommode. "Irina?", erkundigte ich mich ruhig, nicht zu laut. "Bist du noch wach?", schob ich eine Frage nach, die ich mir hätte sparen können, wenn ich direkt den Weg ins Wohnzimmer eingeschlagen hätte. Stattdessen trugen mich meine Füße zuerst in die Küche, um aus dem Kühlschrank eine Wasserflasche zu angeln. Ich nahm bereits einen Schluck, wartete noch immer auf eine Antwort, als ich in den Flur zurückging. Cosma war logischerweise noch immer nicht da, war sicher noch in der Bar... oder bei Hunter, wo sie sich doch inzwischen wieder ach so gut verstanden. Davon war ich jedenfalls überzeugt, rechnete also gar nicht erst mit der Anwesenheit der jungen Frau, als ich schließlich über die Türschwelle zum Wohnzimmer schritt, wo mich zuallererst der eingeschaltete Fernseher empfing.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Am liebsten wäre ich Iljah einfach auf den Rücken gesprungen und hätte mich so lange an seinem Hals festgeklammert, bis er sich geschlagen gab und mich mit nach Russland nahm. Allerdings kannte ich den Dunkelhaarigen inzwischen gut genug um zu wissen, dass er eine solche Aktion wahrscheinlich nicht mal halb so lustig gefunden hätte wie ich selbst. Trotzdem war er viel zu schnell wieder zurück nach Moskau verschwunden. Es hatte sich so angefühlt als wäre er nur fünf Minuten da gewesen, da machte er sich schon wieder auf den Weg zum Flieger. Natürlich war ich meinem Freund wirklich dankbar dafür, dass er überhaupt Geld für mich in Hand nahm - was er im Grunde ständig tat, so ganz nüchtern betrachtet - und zu mir kam, aber die Zeit war förmlich vor uns beiden geflüchtet. Mich nach all den einsamen Wochen erneut von ihm verabschieden zu müssen fiel mir einfach wahnsinnig schwer und ich hatte mich nach dem Abschiedskuss nur widerwillig von ihm gelöst. Es war inzwischen drei Wochen her und ich fühlte mich nach Iljahs Abreise anfangs noch einsamer als vor seinem Besuch. Ich hatte viel zu viel Zeit darüber nachzudenken wie sehr ich seine starken Arme und den Klang seiner Stimme vermisste - die klang am Telefon nämlich nicht ansatzweise genauso schön. Nachdem wir auch endlich mal unbefangenen Sex hatten, wusste ich was das anging inzwischen auch bestens, worauf ich da eigentlich verzichten musste. Egal wie ich mir all das schön zu reden versuchte, es brachte nichts. Ich konnte mir noch so oft einreden, dass es nicht für immer war und ich mich in nicht allzu ferner Zukunft das nächste Mal an seine Brust kuscheln konnte - es war trotzdem scheiße, dass er nicht da war. Das wurde mir allein schon dadurch bewusst, dass Hunter hier regelmäßig auftauchte, um Cosma zu besuchen. Zwar ging ich ihm nach wie vor so weit aus dem Weg wie mir möglich war, aber es ging deswegen trotzdem nicht an mir vorbei was die beiden miteinander hatten. Dass es der Rothaarigen ganz allgemein eine Spur besser zu gehen schien, seit die beiden sich versöhnt hatten. Wollte ich wissen, warum genau sie sich gestritten hatten? Vermutlich eher nicht. Ich hatte auch mit meiner eigenen Beziehung eigentlich schon genug Stoff für Alpträume. Obwohl ich nicht wusste, was genau die beiden miteinander verband, war ich darauf ein bisschen neidisch. Cosma konnte ihren Hitzkopf liebend gerne behalten, aber ich hätte einfach auch gerne eine engere Bindung zu Iljah. Nicht nur was physische Distanz anging, sondern viel mehr auf gefühlsmäßiger und mentaler Ebene. Er war für mich weiterhin ein Buch, das nach ein paar Seiten voller Text plötzlich in sehr vielen schriftlosen Blättern endete. Ich kannte ihn noch immer kaum und konnte an allen Ecken und Enden nur mutmaßen, warum er so handelte, wie er es nun einmal tat. Konnte nicht dahinter blicken, seine Intentionen nur selten auf Anhieb verstehen. Ob wir mehr Zeit dafür haben würden uns mal so richtig miteinander zu befassen, wenn er hier auf Kuba blieb, oder wo auch immer sonst es uns am Ende hin verschlug..? Ich hoffte es jedenfalls. Lange Rede, kurzer Sinn - Iljah war weg und mein Leben hier auf Kuba damit genauso inhaltlos wie vorher. Um dem Trott zu entgehen hatte ich vor ein paar Tagen damit angefangen Stück für Stück früh aufzustehen. Jeden Tag ein bisschen früher und dann wurde auch gar nicht erst herumgetrödelt, sondern die Decke vom Sofa gezogen und auf den Boden gelegt. Eine Trainingsmatte besaß ich hier nicht, also musste ich es aushalten den Boden hier und da durch die gefaltete Decke zu spüren, während ich ein paar Dehnübungen und ein leichtes Workout absolvierte. Dabei lief der Fernseher meistens aus dem ganz simplen Grund, dass ich die Übungen noch nicht genug verinnerlicht hatte, um sie aus dem Kopf heraus alle einwandfrei hinzukriegen. Zwar empfand ich die Motivationsreden der Trainerin auf dem Bildschirm als ziemlich nervig, aber ansonsten machte sie da einen guten Job, um meinen faulen Hintern wieder fit zu kriegen. Heute war ich allerdings selbst für meine Verhältnisse wirklich früh wach geworden. Der Wecker hätte erst in einer Stunde geklingelt und dennoch konnte ich nach dem Blick auf die Uhrzeit nicht mehr in den Schlaf finden, war hellwach. Also setzte ich mich auf, ging nach einem kurzen Gähnen nur flüchtig ins Badezimmer und warf mich dort noch in akzeptable Sportklamotten, bevor ich zurück ins Wohnzimmer ging. Ich hatte das Auto schon in die Auffahrt rollen hören, als ich das Bad verließ. Allerdings dauerte es daraufhin noch eine kleine Weile, bis der Engländer tatsächlich nach drinnen kam. In der Zwischenzeit hatte ich mich schon einigermaßen aufgewärmt und machte zum Abschluss dessen gerade noch ein paar auflockernde Dehnübungen, als Richard gut hörbar nach mir fragte. Allerdings meldete ich mich nicht sofort zu Wort, weil das in der gestreckten Haltung meines Oberkörpers einfach nicht angenehm gewesen wäre. "Eher schon wieder wach.", korrigierte ich ihn mit einem milden Lächeln auf den Lippen und drehte meinen Kopf in seine Richtung, als er im Türrahmen auftauchte. "Die Nacht gut überstanden?", stellte ich Richard eine Gegenfrage, pausierte den Fernseher mit der Fernbedienung und drehte mich ihm zu, bevor ich den rechten Arm hob und mir die Schulter dehnte.
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Irina schien also bereits geschlafen zu haben und war - Gott weiß wieso - einfach nur schon wieder auf den Beinen. Ich selbst war ja auch eher jemand, der als früher Vogel die Würmer fing, aber anders als die zierliche Schwarzhaarige verbrachte ich die Morgenstunden mit Sicherheit nicht sporttreibend vor dem Fernseher. Dementsprechend sah ich die junge Frau auch erst einmal einen Augenblick lang mit hochgezogener Augenbraue an und beobachtete sie bei ihrem Workout, ehe ich leicht kopfschüttelnd zu grinsen anfing. "Du weißt schon, dass du es absolut nicht nötig hast, zu solchen Unzeiten etwas für deinen Körper zu tun, oder?", stellte ich Irina schmunzelnd eine Frage, kurz bevor ich erneut zu einem Schluck aus der Wasserflasche ansetzte. Auch wenn mein Interesse eher dem männlichen Körper galt, fand ich den Körper der Serbin trotzdem schön und wohl proportioniert. Meiner Meinung nach gab es nichts, was sie an irgendeiner Stelle hätte verbessern müssen, aber das sah Irina ganz bestimmt anders. Und wenn sie sich einfach nur fitter fühlen wollte, ohne Muskeln aufzubauen oder gezielt abzunehmen, dann war das ja auch ihr gutes Recht. Ich würde sie keinesfalls vom Sporttreiben abhalten wollen, aber hier und da ein Kompliment oder Zuspruch konnte sicher nicht schaden. Schließlich wusste ich selbst, wie wichtig moralische Unterstützung war, wenn man mit sich selbst nicht einhundert Prozent im Reinen war. Außerdem würde ein bisschen Honig um den Mund schmieren sicher auch den Verlauf des Gesprächs begünstigen, wenn ich mich jetzt nicht komplett blöd anstellte. Als die Schwarzhaarige eine Frage an mich richtete, zuckte ich zuallererst etwas nachdenklich mit den noch immer relativ schmalen Schultern. Inzwischen hatte ich zwar wieder einigermaßen Gewicht auf den Rippen und nagte optisch zumindest nicht mehr am Hungertuch, aber von meiner alten Statur war ich trotzdem noch weit weg. Zu sehr hatte der gehemmte Appetit als Folge des Drogenkonsums an meinen Reserven gezehrt. "Ich bin ziemlich müde, muss ich gestehen... aber ja, ich denke, wir haben heute gut was geschafft.", gab ich nach einem Moment des Schweigens eine noch durchweg ehrliche Antwort. Dann stieß ich mich vom Türrahmen ab und umrundete Irina mit einem Seitenblick auf die pausierte Motivationstrainieren, um mich kurze Zeit später aufs Sofa sacken zu lassen. Dort schraubte ich die Flasche Wasser langsam wieder zu, um sie gefahrenlos zwischen der Sofalehne und meinem Bein einklemmen zu können. "Und du? Warum bist du schon auf?", stellte ich eine knappe Gegenfrage an meine Mitbewohnerin, um das Gespräch so fortzuführen. Schließlich hatte sie hier auf der Insel noch nicht so etwas wie ernsthafte Verpflichtungen. Sich am Haushalt zu beteiligen oder ab und an mal mit einkaufen zu gehen konnte man nämlich auch bedenkenlos um zehn oder elf Uhr rum machen, wenn man ausgeschlafen hatte. Das musste nicht um acht Uhr in der Früh oder noch eher sein. Und auch wenn ich selbst für teilweise ziemlichen Unsinn recht zeitig aus den Federn sprang, würde Sport ja wohl nicht der ausschlaggebende Grund dafür sein, warum die Schwarzhaarige schon auf den Beinen war... oder? Im Grunde genommen konnte mir das natürlich vollkommen egal sein, sofern sie weder mir, noch der Rothaarigen damit morgens irgendwie auf die Nerven ging, aber ich war nun mal weiterhin von recht neugieriger Natur und wollte halt ganz einfach wissen, ob nicht vielleicht etwas vorgefallen war, woraus resultierend Irina das Haus jetzt schon unsicher machte. Alles in allem sah ich die junge Frau durchweg ruhig an, was nicht zuletzt wohl auch daran lag, dass ich schlichtweg ziemlich müde war und es mich kaum mehr als fünf Minuten gebraucht hätte, hier auf dem Sofa binnen weniger Minuten im Sitzen einzuschlafen. Aber ich besann mich eines besseren und fokussierte mich anstatt auf den Gedanken, wie warm, weich und kuschelig mein Bett eigentlich war, lieber wieder auf meine Mitbewohnerin, als ich sie abwartend ansah.
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Es war jetzt nicht unbedingt so als hätte ich in Russland selten Komplimente bekommen, aber ich wusste sie doch jedes Mal aufs Neue wieder zu schätzen - zumindest solange es sich dabei nicht um unterschwellige, plumpe Anmachsprüche handelte. Der Engländer zauberte mir mit seinen Worten umgehend ein geschmeicheltes Lächeln auf die Lippen. "Danke... darum geht es mir dabei aber auch eher nicht.", ließ ich ihm meinen aufrichtigen Dank zukommen und hängte noch eine halbe Erklärung dran. Ich war an und für sich sehr zufrieden mit meiner Statur, auch wenn in den letzten faulen Wochen vielleicht ein winziger Ansatz am Bauch entstanden war. Der fiel wahrscheinlich nicht mal Jemandem außer mir selbst auf. Ich war eine selbstkritische Person - in vielen Fällen zumindest - und es gab auch Tage, an denen mir mein Körper gar nicht gefiel. Das war aber selten. Allein deswegen schon, weil mir öfter mal ein Lächeln auf der Straße zugeworfen wurde und Iljah ja nun auch nicht gerade der erste Mann war, der an mir Gefallen fand. Also nein, ich hatte es vermutlich wirklich nicht unbedingt nötig zu so früher Stunde schon Sport zu machen. Was Richards Nacht anging hatte sie im Gegensatz zu meiner nichts mit Schlaf zu tun. Dennoch schien die Arbeit im Drogenlabor soweit gut gelaufen zu sein und viel mehr konnte man da ohnehin nicht erwarten, die Müdigkeit war bei dieser Form von Nachtschicht bestimmt grundsätzlich vorprogrammiert. Es musste schlichtweg kein Alkohol bei einer langen Nacht im Spiel sein, damit sie einen ordentlich räderte. Die Zeit schaffte das ganz allein. Ich folgte dem jungen Mann mit meinem Blick und drehte mich ihm und dem Sofa zu, kaum hatte er sich aufs Sitzpolster sinken lassen. Er sah nicht so aus als würde er innerhalb der nächsten zwei Minuten wieder aufstehen wollen, also beschloss ich das Training um die paar wenigen Minuten zu verschieben und setzte mich mit ein bisschen Abstand zu ihm ebenfalls auf die Couch. Allerdings seitlich, zog ich dabei doch auch das Bein mit aufs Sofa und legte den Arm auf der Rückenlehne ab, um meinen Kopf bequem an meiner Hand abstützen zu können. "Viel mehr kann man von so einer langen Nacht wohl auch nicht erwarten.", meinte ich und zuckte kaum sichtbar mit den Schultern, behielt unterbewusst aber ein recht unbeschwertes Lächeln bei. Warum ich hingegen schon wieder wach war, statt immer noch wach zu sein, ließ sich sehr simpel erklären. "Ich bin ein bisschen früher ins Bett als sonst... bin vor ein paar Minuten aufgewacht und war hellwach, da hab ich nichts vom Liegenbleiben.", schilderte ich ihm meine Situation. "Außerdem hab ich mir das ewig lange Rumliegen morgens viel zu sehr angewöhnt. Ich brauch langsam mal wieder sowas wie einen Tagesablauf mit Rhythmus, deswegen auch der Sport morgens... außerdem hilft mir das so ganz allgemein mal den Arsch hochzukriegen, ich will dir ja nicht für immer tagtäglich auf die Nerven gehen.", ergänzte ich kurz darauf noch einige Worte und grinste ihn danach schief an, fast schon entschuldigend. Zwar war es nicht so als würde ich dafür nicht ausnahmslos immer im Haushalt mithelfen, wenn das gewünscht oder erforderlich war, aber trotzdem wurde es mir langsam unangenehm hier zu wohnen. Es wäre etwas anderes, wenn wir uns schon ewig lang kennen würden. Oder wenn Cosma nicht hier wäre und ich zumindest ein eigenes Zimmer hätte, auch wenn mir hier Niemand was wegguckte. Ich wollte nicht nur Richard nicht mehr zur Last fallen, sondern auch einfach gerne wieder Privatsphäre haben. Iljah war zwar sicherlich ohnehin bald erfolgreich mit der Wohnungssuche, aber ich wollte langfristig genauso wenig, dass er mir hier meinen Urlaub finanzierte, wie Ballast für den Engländer zu sein. Ich würde mich später nach Dusche und Frühstück mal ein bisschen in der Stadt umsehen, vielleicht bot sich ja irgendwo ein Job an, vielleicht fiel mir irgendwas ins Auge. Selbst wenn es sich dabei erstmal nur um keine Vollzeitstelle handeln würde, wäre alles im ersten Moment besser als gar nicht zur Arbeit zu gehen. Verkaufstalent hatte ich ja, vielleicht konnte ich das auch bei einem neuen Job wieder gut einbringen. Zwar war mein letzter Lebenslauf gefaket, aber welcher Kubaner würde schon meine bisherige Karriere in Russland überprüfen...
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Das war wohl wahr. Einen Marathon laufen oder bei den Olympischen Spielen nach Medaillen streben würde in meiner Situation wohl niemand mehr, aber ich wünschte mir manchmal trotzdem, nach der Arbeit nicht ganz so im Arsch zu sein. Es war zwar nicht so, als hätte ich jetzt noch groß etwas vorgehabt - es ging hier vielmehr darum, dass dieses Gefühl von Müdigkeit ganz einfach wahnsinnig unangenehm war. Nicht mal auf die schönen Dinge des Lebens hatte man dann noch Lust, auf ein Gespräch wie das bevorstehende also noch viel weniger. Aber wie dem auch sein. Ich hatte es Sabin versprochen und würde jetzt nicht einfach aufstehen und verschwinden, auch wenn mir absolut danach wäre. Es dauerte nicht lange, bis sich die Schwarzhaarige zu mir auf die Couch setzte und ich meinen Kopf damit zwangsläufig in ihre Richtung drehen musste. Weil das aber schon nach wenigen Augenblicken unglaublich nervte und es mir auf Dauer vermutlich Kopfschmerzen bereitet hätte, sie von der Seite anzuschielen, tat ich es ihr mit der Position kurzerhand gleich. Das Wasser wanderte deshalb dann auch recht kurz nach der Entscheidung gen Boden, weil es auf kurz oder lang ohnehin dort gelandet wäre. Einen Moment lang schwieg ich, ließ mir die Worte der jungen Frau durch den Kopf gehen, um schließlich verständnisvoll zu nicken. „Kann ich verstehen. Ich kann dann auch nicht mehr liegen bleiben…“, stimmte ich ihr zu und erwiderte das unbeschwerte Lächeln stets bemüht. Was die Sache mit der Routine anging und dass sie mir nicht mehr allzu lange auf die Nerven gehen wollte, winkte ich gelassen ab, auch wenn ich gewissermaßen verstehen konnte, was diesbezüglich in ihr vorging. „Mach’ dich nicht verrückt. Ich meine, ich kann verstehen, dass du deine Ruhe und vor allem mal wieder etwas Privatsphäre haben willst, aber…“, murmelte ich und stutzte, weil ich nicht so recht wusste, worauf ich mit dem aber jetzt eigentlich konkret hinaus wollte. Dann fuhr ich nach einer kurzen Pause fort: „… ich will nur, dass du weißt, dass du keine Angst haben musst, in den nächsten Tagen von mir vor die Tür gesetzt zu werden.“, beendete ich den Satz schließlich schulterzuckend. Ich hatte Gesellschaft nach meiner Zwangsunterbringung bei Samuele irgendwie zu schätzen gelernt und genoss es inzwischen, Menschen um mich herum zu haben. Außerdem wollte ich mir nicht ausmalen, was Vahagn oder ihr Bruder mit mir anstellen würde, wenn ich mich gegen sie wandte. Alleine der Gedanke daran jagte mir einen leichten Schauer über den Rücken. Ich schüttelte ihn deshalb schnell wieder ab und beschloss, einen ersten Versuch zu unternehmen, das Gespräch auf Iljah zu lenken. Während ich also zu den ersten Worten in diese Richtung ansetzte, kam mir eine – in meinen Augen wirklich brauchbare – Idee, wie sich ein gewollter Kontakt am besten inszenieren ließ. „Was das angeht…“, griff ich meinen vorangegangenen Satz noch einmal indirekt auf. „Ich wollte gerne mal mit Iljah sprechen. Denkst du, er kommt noch mal vorbei? Oder kann ich ihn vielleicht irgendwie anders erreichen?“, fiel ich einfach mit der Tür ins Haus, sah sie beim Reden durchweg neutral und weiterhin ziemlich müde an. Meiner Meinung nach war es nichts ungewöhnliches, nach ihm zu fragen, wo er doch für ihren Aufenthalt hier gewissermaßen verantwortlich war und es erschien mir deutlich unauffälliger so, als wenn ich ihr durch die Blumen irgendwelche Geschichten erzählte, wo ich mich in meinem jetzigen Zustand womöglich nur verplappert hätte. Und in der Tat hätte ich die ein oder andere Frage an den Russen, auch wenn sich diese nicht direkt auf Irina selbst bezogen, was ja aber aktuell vollkommen irrelevant war. Blieb nur zu hoffen, dass die junge Frau nicht weiter bohrte und wissen wollte, warum und wieso das Ganze. Dann müsste ich vermutlich nämlich doch wieder in die Lügenkiste greifen, eine andere Wahl blieb mir da eher nicht.
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Scheinbar ging es Richard auch nicht anders damit, morgens nicht stumm liegenbleiben zu können. Das ging nämlich sehr viel einfacher, wenn man nicht alleine im Bett lag. Wenn es um eine Kuscheleinheit am Morgen ging, dann sah die Sache schnell ganz anders aus. Man merkte erst, was einem fehlte, wenn es nicht mehr da war - wo wir dann wieder bei Iljah wären. Wir beide hatten noch nicht wirklich viel miteinander erlebt, das man als alltägliches Leben hätte bezeichnen können. Offensichtlich hatte ich aber auch schlichtweg einen Hang zu allem, was nicht ganz normal war - könnte ja sonst langweilig werden. "Allein liegt sich's eben nicht so gut.", stellte ich mit einem leisen Seufzen fest und begann unbewusst damit, eine lose Haarsträhne um meinen Zeigefinger zu wickeln. Dass ich mit meinen Worten vielleicht einen wunden Punkt traf, darauf kam ich erst im Nachhinein. Zwar hatte Richard schon ein paar Mal von Samuele gesprochen, aber zu Gesicht bekommen hatte ich den jungen Mann immer noch nicht, obwohl wir darüber schon vor einer ganzen Weile gesprochen hatten. Allerdings musste das keine Krise bei den beiden bedeuten, wo es doch meine eigene, heikle Vergangenheit gewesen war, die hier für Unruhen gesorgt hatte. Es war so oder so besser gewesen, das Treffen mit ihm aufzuschieben, bis Cosma sich wieder beruhigt hatte und auch der Engländer mich nicht mehr schief ansah. Ohne ihnen was das anging Vorwürfe machen zu wollen, es war schließlich berechtigt. Würde ich mir selbst über den Weg laufen, würde ich mir wahrscheinlich keinen Meter über den Weg trauen. Es war gut zu hören, dass Richard mich nicht unbedingt am liebsten sofort loswerden wollte. Es änderte zwar nichts an der bestehenden Problematik, dass es sich in einem Wohnzimmer dauerhaft nicht so gut leben ließ - zumindest wenn andere es mitbenutzten - aber es nahm mir zumindest die Sorge, dass der Engländer mich vielleicht ganz gerne wieder von der Backe haben würde. Deshalb hoben sich meine Mundwinkel auch zu einem aufrichtigen Lächeln, kaum hatte er den Satz beendet. "Danke, Richard. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich hier aufgenommen hast.", bedankte ich mich zum inzwischen bestimmt schon einhundertsten Mal bei ihm dafür, dass er mich in seinen vier Wänden toleriert. Auch wenn er was das anging wahrscheinlich gar nicht wirklich eine Wahl gehabt hatte, so ganz nüchtern betrachtet. Dass ich keine allzu große Last zu sein schien, war in jedem Fall eine Erleichterung. Was der Dunkelhaarige dann als nächstes sagte, kam jedoch unerwartet. Er wollte mit Iljah sprechen? Zwar war es irgendwie zumindest ansatzweise logisch, dass der Engländer vielleicht mal bei ihm nachhaken wollte, wie es denn so aussah mit meinem Auszug oder eben irgendwas anderes in diesem Zusammenhang... aber andererseits passte das nicht ganz zu seiner vorherigen Aussage, dass ich mich nicht zu hetzen brauchte, weshalb meine Augenbrauen kaum merklich nach oben zuckten. Ich hatte schlichtweg nicht damit gerechnet, dass er den Russen gerne kennenlernen würde, wo ich doch nicht gerade den Eindruck hatte, dass Richard sich gut mit Vahagn verstand. Natürlich mussten Geschwister nicht zwangsweise gleich ticken, aber wenn man aus dem selben Elternhaus kam, dann war es doch recht oft so, dass man ähnliche Macken hatte. Ich konnte jedenfalls bestätigen, dass sie beide Sturköpfe waren. "Hmm, ja... also nein, ich denke nicht, dass er in naher Zukunft wieder herkommt. Er hat in Russland sehr viel um die Ohren, nicht zuletzt wegen mir... ich hab keine Ahnung, wann er wieder herkommt.", erklärte ich erst einmal etwas wirr, dass Iljah vermutlich eher nicht zeitnah noch einmal nach Kuba kommen würde. Da musste ich mich sicher noch eine ganze Weile gedulden. "Aber ich kann ihm schon ausrichten, dass er sich mal bei dir melden soll, wenn er Zeit findet. Deine Nummer hab ich ja.", bot ich Richard mit einem schwachen Schulterzucken an. Ich glaubte nicht, dass der Russe wollte, dass ich seine Nummer an Irgendwen herausgab, ohne ihn vorher zu fragen. Selbst wenn das im Fall des Engländers nicht so sein sollte - weil er nunmal derjenige war, bei dem ich gerade wohnte - ging ich was das anging besser auf Nummer sicher. Iljah und ich fanden auch ohne Hilfe von außen genug Gründe für Streit.
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"Das kannst du wohl laut sagen", stimmte ich Irina gemurmelt zu. Zwar war ich während meines Aufenthalts bei Sam und auch jetzt im Nachhinein noch relativ scheu, wenn es um körperliche Nähe ging, aber an guten Tagen hatte ich die Kuscheleinheiten wirklich sehr genossen. Und ja... irgendwie fehlten sie mir aktuell. Es war ja nun auch schon eine ganze Weile her, seitdem wir uns das letzte Mal ein Bett geteilt hatten und wenn es nach mir ging, dann wurde es langsam mal wieder an der Zeit. Sammy fehlte mir ganz grundsätzlich, auch wenn wir uns hin und wieder mal trafen. Da war er aber in aller Regel im Café und hatte eigentlich gar nicht so wirklich Zeit für mich oder traf sich mit seinen Freunden. Ich gönnte es ihm ja, gar keine Frage, aber es war nun mal auch nichts Neues, dass ich in mancher Hinsicht einfach ein kleines Sensibelchen war. Das war schon immer so gewesen, hatte sich bis jetzt nicht geändert und würde es in der Zukunft wohl auch nicht mehr. Im Grunde war das jetzt aber auch total egal. Ich wollte nämlich gar nicht so sehr abschweifen, mit den Gedanken lieber im Hier und Jetzt bleiben, weil es mich vermutlich todunglücklich gemacht hätte, weiter über den Italiener nachzudenken und mir nicht zuletzt auch schlichtweg die Energie dafür fehlte. Das letzte Bisschen, was mich gerade noch so wachhielt, würde ich nämlich für die folgenden paar Minuten brauchen, um Irina möglichst plausibel zu erklären, warum und wieso ich gerne mit ihrem Bruder sprechen würde. Anhand ihrer Stimmlage und ihrer Reaktion im Allgemeinen konnte sie das offensichtlich nicht so recht nachvollziehen und wenn ich ehrlich sein sollte, konnte ich ihr das nicht einmal übel nehmen. Ich hatte ja nicht einmal versucht, irgendwie unauffällig und möglichst beiläufig auf ein Gespräch über Iljah hinzuarbeiten und war direkt mit der Tür ins Haus gefallen. Natürlich hätte ich das jetzt so stehenlassen können, weil ich meine Antwort im Prinzip bekommen hatte, aber das Misstrauen stand Irina nach den paar wenigen Worten ihrerseits quasi quer über das Gesicht geschrieben. Erst einmal nickte ich jedoch schwach, um ihr mein Einverständnis zu signalisieren. Zwar wäre mir Iljahs Nummer oder besser noch seine bevorstehende Präsenz eindeutig lieber gewesen, aber ich musste heute wohl nehmen, was ich kriegen konnte. "Das hört sich gut an, ja. Danke", untermauerte ich die Geste auch noch mit wenigen Worten und schenkte der Serbin ein schmales, aber aufrichtiges Lächeln. "Keine Sorge, ich möchte dich weder in die Pfanne hauen, noch hinterrücks doch irgendwie schnell loswerden, aber ich hab... ehm, Freunde in Russland, aus Unizeiten noch, die in Moskau... hm, eine Kunstgalerie haben und ich wollte mir mal das ein oder andere gute Stück einfliegen lassen. Sind halt leider keine Gemälde, die du mal eben auf dem regulären Weg importieren kannst", versuchte ich mittelmäßig krampfhaft eine halbwegs plausible Erklärung dafür zu geben, warum ich mich gerne mit dem Russen in Verbindung setzen wollte. Dass das erstunken und erlogen war musste ich ja nicht noch einmal zusätzlich erwähnen. Allerdings wollte ich mich jetzt auch nicht noch weiter in das Lügengestrick verwickeln und entschloss kurzerhand, mich vom Sofa zu erheben. Ich kratzte mich verlegen, nachdenklich am Hinterkopf, als ich zu der jungen Frau runter sah, dann angelte ich mir die Wasserflasche vom Boden. "Du kannst ihm sagen, ich zahle gut und es wäre toll, wenn er sich bald meldet. Begrenztes Angebot und so...", beendete ich das Gespräch und nickte signalisierte Irina mit einem eindeutigen Handzeichen, dass ich in Richtung Schlafzimmer abziehen würde. Egal, wie sehr ich es versuchte, ich würde Irina nur mehr und mehr stutzig machen, je länger ich versuchte, an der Wahrheit vorbei eine Kontaktaufnahme zu Vahagns Bruder zu rechtfertigen und da erschien es mir der bessere Weg, das Gespräch nun doch lieber abzukürzen.
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Richard schien vorerst damit zufrieden zu sein, dass ich Iljah seine Nummer weitergab. Zwar hätte er so oder so kaum etwas anderes von mir bekommen, weil ich mich nicht vermeintlich grundlos auf das zeitweise recht dünne Eis zwischen dem Russen und mir stellen wollten, aber auf diese Weise blieb mir in jedem Fall die Diskussion darüber erspart. Auch wenn der Engländer das eigentlich hätte verstehen müssen, wo er doch ebenso wie ich ein nicht unbedingt lammfrommes Umfeld besaß. Hunter würde auch seine Mittel und Techniken haben, um nichts unnötig an die Oberfläche gelangen zu lassen, das für nicht autorisierte fremde Ohren ganz einfach nicht bestimmt - und sowas wie eine Telefonnummer war eben doch etwas sehr Privates in der heutigen Zeit, das man tunlichst hüten sollte. Allerdings war ich mir sehr sicher, dass seine noch folgenden Worte nicht der Wahrheit entsprachen, oder zumindest nicht gänzlich. Dafür wirkte der Satzbau zu abgehakt und zu improvisiert, seine Stimmlage unterstrich die Vermutung einer Lüge nur zusätzlich. Ich kontrollierte meine Gesichtszüge ganz bewusst, um ihn nicht noch misstrauischer anzusehen, als ich das schon seit seiner Frage nach Iljah tat. Ich glaubte ihm schon, dass er mich nicht wider seiner Worte loswerden wollte. Dafür verhielt er sich in meinen Augen deutlich zu nett mir gegenüber. Der Rest hingegen... zu vage, zu gestottert und zu wenig zielstrebig. Es schien als wolle er sich irgendwas Plausibles aus dem Ärmel ziehen, nur scheiterte er dabei allein schon durch seine Körpersprache. Im Gegensatz zu mir schien er wohl kein guter Lügner zu sein. Da Richard sich aber schon kurz darauf vom Sofa erhob und offensichtlich nicht weiter darüber sprechen wollte, beließ ich es dabei. Ich mochte ja gerne oft falsche Entscheidungen treffen, aber meistens wusste ich, wann man besser nicht weiter nachhakte. "Okay, ich richt's ihm aus.", war also alles, was ich noch dazu sagte. Versuchte mich dabei auch noch an einem möglichst unbeschwerten Lächeln, bevor ich mich selbst langsam wieder in Bewegung setzte. Es gab noch ein Workout abzuschließen, also rutschte ich zurück an die vordere Sofakante. "Dann schlaf gut, Richard.", wünschte ich ihm noch erholsamen Schlaf, ehe ich ebenfalls zurück auf die Beine kam. Ich sah ihm noch etwas verunsichert lächelnd nach und blickte anschließend runter auf die Decke am Boden, kaum war er außer Sichtweite. Ich schüttelte den Kopf und griff nach meinem Handy, das noch auf dem Couchtisch lag. Im ersten Moment wusste ich gar nicht so recht, was ich Iljah jetzt eigentlich genau ausrichten sollte, beziehungsweise wollte. Deswegen tippte ich mehrfach irgendwas ein und löschte es dann wieder, bis ich ihm letzten Endes einfach ziemlich direkt die Wahrheit sagte. Dass Richard mit ihm sprechen wollte, sich dafür recht wahrscheinlich eine erlogene Begründung - die ich dem Russen ebenfalls grob schriftlich wiedergab - herbeigezogen hatte und er ihn aber gut bezahlen wollte, für was auch immer. Der Bildertransport konnte es eher nicht sein, da war ich mir sehr sicher. Ich hängte noch an, dass es wohl am besten zeitnah zum Gespräch kommen sollte, dann schickte ich die Message ab. Falls er noch mehr Details haben wollte, zum Verhalten des Engländers, seiner genauen Wortwahl oder was auch immer, konnte er mich ja anrufen. Ich schickte ihm noch Richards Nummer, las mir dann die Nachricht zuvor erneut durch und legte das Handy im Anschluss bei Seite. Trotz der folgenden körperlichen Betätigung wurde ich meine Neugier darauf, was da denn nun eigentlich wirklich im Busch war, kein bisschen los. Ich versuchte wirklich den Hang dazu, weiter darüber nachzudenken, zu unterdrücken, aber ich kam kaum dagegen an. War auch egal, was ich mir da einzureden versuchte - meine Neugier würde wohl immer eine meiner Macken bleiben. Wissen war jedoch Macht und davon konnte man in diesen Kreisen kaum genug haben.
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Wenn ich ehrlich sein sollte, dann war das Gespräch überhaupt nicht so verlaufen, wie ich es mir vor ein paar Stunden in geistiger Umnachtung vorgestellt hatte. Zwar stieg Irina gar nicht weiter auf mein Gestammel ein und ließ mich einfach wissen, dass sie Iljah darum bitten würde, sich bei mir zu melden, aber wirklich zufrieden mit dem Ausgang des Gesprächs war ich ja doch nicht, als ich mich aus dem Wohnzimmer zurückzog und das Badezimmer ansteuerte. Auch wenn ich ziemlich erledigt war vom Tag, durfte die abendliche - oder in dem Fall morgendliche - Routine vor dem Schlafengehen keinesfalls fehlen. Erst nachdem ich den Toilettengang erledigt, die Zähne geputzt und mir ein bisschen Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, schlurfte ich müden Schrittes ins Schlafzimmer, welches ich in den letzten Tagen an ein paar Stellen umdekoriert hatte. Zwar erdrückte mich der Raum trotz allem immer noch mit seiner Leere und den Wutausbrüchen, die man hier und da noch an den Wänden sah, aber auf dem neuen Bett - schließlich war das alte vollkommen demoliert gewesen - ließ sich wunderbar abschalten. So dauerte es auch überhaupt nicht lange, bis ich die stressige Nacht und meine Sehnsucht nach Samuele erfolgreich aus meinem Kopf verdrängt hatte und in einen tiefen, traumlosen und sehr erholsamen Schlaf schlitterte. Ein paar Tage später - es war, wie für den Monat üblich, recht regnerisch - stand etwas absolut spannendes auf dem Tagesplan. Nicht nur, dass ich heute meinen frei hatte und sowohl den Tag, als auch die Nacht vollkommen entspannen konnte, nein. Es kündigte sich auch noch recht kurzfristig ein nur allzu willkommener Gast für einen Besuch an. Ich hatte der Serbin und vor allem Cosma ja bereits versprochen, dass sie beide Samuele irgendwann einmal kennenlernen würden, hatte mich aber nicht auf einen bestimmten Tag festnageln lassen. Es lag schließlich nicht nur in meinem Ermessen, wann der richtige Zeitpunkt dafür war. Ich hatte das ganz alleine Sammy entscheiden lassen, nachdem ich bei einem unserer Treffen beiläufig angemerkt hatte, dass sowohl meine beste Freundin, als auch meine andere temporäre Mitbewohnerin - Irina - ihn sehr gerne einmal kennenlernen würde... und ich ihn, wenn ich ehrlich sein sollte, auch wirklich vermisste. Die Worte kamen mir nicht leicht über die Lippen und so war es vermutlich nur von Vorteil gewesen, dass das Gespräch mal wieder auf der Arbeit des Italieners stattgefunden hatte, wo er sich immer mal wieder für ein paar Minuten entschuldigte, um die Kundschaft zu bedienen. Ich hatte entsprechend mehr Zeit, über meine Worte nachzudenken und letztlich kamen wir auf kurz oder lang dann zu dem Ergebnis, dass der junge Mann für einen gemütlichen Abend zu mir nach Hause kam, um die beiden Damen des Hauses kennenzulernen. Ich freute mich wirklich sehr auf seinen Besuch und war an jenem Tag schon relativ früh auf den Beinen - so als würde Sam dadurch schneller hier aufkreuzen. Ich verbrachte einen Großteil des Tages damit, gemeinsam mit Irina das Haus aufzuräumen und einkaufen zu gehen, damit der Kühlschrank für die nächsten Tage gefüllt war. Als das alles erledigt war, ließ ich die Serbin alleine im Haus zurück und stattete der Rothaarigen einen Besuch in ihrer Bar ab. Sie war ebenfalls früh aus dem Haus gewesen, weil sie etliche Lieferanten zu empfangen hatte, die die Kühlschränke der Bar ebenfalls wieder auffüllen sollten. Ich setzte mich zu Cosma an die Theke - quasi wie in guten alten Zeiten - und beobachtete sie an meinem Glas Rum nippen dabei, wie sie auf dem, an einem Klemmbrett befestigten, Lieferschein ein paar Häkchen setzte. Abgelenkt wurde ich dabei lediglich durch einen eingehenden Anruf, der meine Augenbrauen überrascht nach oben zucken ließ. Die Vorwahl des Anrufers war mir gänzlich unbekannt, aber nachdem ich Kuba und Schweden ausschließen konnte, hatte ich bereits eine Vermutung, wer mich am anderen Ende der Leitung begrüßen würde. Ich entschuldigte mich bei meiner Freundin, stand auf und ging zügigen Schrittes in Richtung Ausgang, um vor der Tür das Telefonat anzunehmen. Glücklicherweise war ein Teil des Eingangsbereiches der Bar überdacht und so wurde ich nicht komplett durchnässt, als mir ein schwer mit russischem Akzent belegtes Englisch ins Ohr drang. Die ersten Worte des jungen Mannes jagten mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken, als er mich dazu aufforderte, ihn jetzt besser nicht so anzulügen, wie ich es bei Irina getan hatte. Ich schluckte, nickte und stimmte Iljah, nachdem mir klargeworden war, dass er mich überhaupt nicht sehen konnte, schließlich auch wörtlich zu, dass er nichts zu befürchten hatte. Ich atmete tief durch und rief mir vor Augen, dass ich den Russen tatsächlich nicht anlügen musste, jetzt, wo ich ihn schon einmal an der Strippe hatte. Somit hatte ich eigentlich nichts zu befürchten. Er sollte Sabin und mir schließlich helfen und auch wenn ich ihm nicht gleich unseren Plan offenbaren würde, blieb ich in unserem Gespräch ehrlich ihm gegenüber. Wollte einfach wissen, ob er überhaupt erst einmal Interesse daran hätte, einen Deal mit Sabin und mir einzugehen und die Details würden wir gerne persönlich klären, sofern möglich. In jedem Fall sollte mein italienischer Freund selbst mit dem Russen sprechen, ich wollte es nicht verkacken. Am Ende verlief das Gespräch auch relativ erfolgsversprechend und somit hatte schon mal eine Sorge weniger, um die ich mich kümmern musste. Zwar sagte mir Iljah nicht direkt zu, aber er würde darüber nachdenken und sich noch einmal melden. Das gab ich auf dem Weg zurück ins Innere auch per Nachricht an Sabin weiter und ließ das Handy schließlich wieder in die Hosentasche wandern. An der Bar angekommen leerte ich mein Glas in zwei weiteren Zügen und verabschiedete mich bei der Rothaarigen bis zum Abend, bevor ich den Heimweg antrat. Ich hatte genug Zeit hier verbracht und wollte nicht provozieren, auf Hunter zu treffen, falls er hier vorbeischauen würde. Also war es an der Zeit für mich, zu gehen.
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Es war zu gleichen Teilen angenehm, wie auch unangenehm, dass ich wieder alleine wohnte. Ehrlicherweise war es in den ersten Tagen schon schön, meine eigenen vier Wände mal wieder nur für mich allein zu haben - von Bandit natürlich abgesehen, der hinkte immer noch tagein und tagaus durch meine Wohnung. Er schien jedoch in den ersten Tagen fast ein bisschen irritiert darüber, dass jetzt Jemand im Wohnzimmer fehlte. Dass es nur noch meine beiden Hände gab, die ihn kraulen konnten und ich dafür - nicht zuletzt wegen Hunters zusätzlichen Aufgaben bezüglich der Arbeit - leider weniger Zeit hatte als der Engländer. Es hatte gut für das schwarze Fellknäuel gepasst, dass Richard oft den ganzen Tag da gewesen war und selbst gegen Ende war er meistens nur nachts weg gewesen, wo ich dann wiederum Zuhause war. Der Kater war selten allein in der Wohnung und musste das jetzt wieder deutlich öfter ertragen, was allein schon dadurch spürbar war, dass der kleine Kater sobald ich nach Hause kam sofort zur Haustür tigerte. Natürlich blieb er auch nicht der einzige, der Richard vermisste, auch wenn ich ein klein wenig länger dafür brauchte. Seine Ruhe zu haben konnte schön sein und es war kurzfristig eine Erleichterung, aber langfristig gesehen wollte ich den jungen Mann eben doch ganz gerne wieder bei mir haben - oder eben bei ihm sein. Die Umstände, unter denen wir uns kennen gelernt hatten, mochten nicht ideal gewesen sein und wir hatten so unsere schrägen bis sehr aufwühlenden Momente miteinander, aber er fehlte hier. Fehlte mir. Deshalb begannen wir uns auch sporadisch immer mal wieder im Café zu unterhalten, so als langsame, erneute Annäherung. Wir waren bei seinem Auszug auf eher unschöne Weise auseinander gegangen und es sollte auch eine kleine Weile dauern, bis wir wieder normaler miteinander reden konnten und das Ganze nicht mehr so unbeholfen wirkte. Inzwischen war dieser Punkt aber passiert und ich würde mich gerne wieder mit ihm treffen, auch wenn ich nicht wusste, wohin das Ganze letztendlich führen würde. Weil es leider ein sehr sensibles Thema für den Engländer war, hatte ich noch immer keine Ahnung davon, ob er sich überhaupt dazu bereit sah in zumindest nicht zu weit entfernter Zukunft mal auf Tuchfühlung zu gehen. Wie sollte man so ein Gespräch aber auch einleiten? Er hatte sich ja bis zuletzt sogar ab und an vor meiner Nähe gefürchtet, obwohl er inzwischen wissen sollte, dass er vor mir nun wirklich keine Angst zu haben brauchte und ich ihm niemals etwas zuleide tun würde. Und dann im Gegenzug mit ihm darüber reden, ob er überhaupt irgendwann mit mir schlafen würde? Das klang mir momentan noch viel zu sehr nach einem ausartenden Streit, den ich nicht riskieren wollte - ganz gleich wie scheiße es war, so in der Luft zu hängen. Ich fand es ganz gut, dass der Engländer Zuhause bei sich nicht allein wohnen musste. Auch, wenn ich Cosma nicht bei mir hatte haben wollen - das lag nicht an ihr als Person, sondern mehr an ihrem Freund. Und daran, dass einfach auch nicht wirklich viel mehr Platz in meiner Bude war als für maximal zwei Leute und einen Kater. Auch blieb die Rothaarige nicht die einzige Frau im Hause des Engländers, gesellte sich laut seiner Erzählung doch bald eine Russin dazu. Sie schien ein eher ruhiges Gemüt zu besitzen und nett zu sein, was ich bis hierhin nicht beurteilen konnte. Das sollte sich heute aber ändern, weil ich dem Bungalow einen Besuch abstatten würde. Allerdings erst zum Abend hin, arbeitete ich zuvor doch wie gewohnt einige Stunden. Freinehmen konnte ich mir morgen nicht, aber es reichte aus, wenn ich irgendwann um den Mittag herum im Café aufschlug - ich war da ja zum Glück mehr oder weniger mein eigener Chef und hatte heute einfach ein bisschen vorgearbeitet. Zur Not blieb ich morgen am Abend eben etwas länger, sollte mehr Papierkram anfallen als geplant. Nach der Arbeit fuhr ich noch einmal kurz nach Hause. Zuerst füllte ich den Napf des Katers, danach sprang ich unter die Dusche und zog mich um. Brachte die wirren Strähnen auf meinem Kopf ein zweites Mal am heutigen Tag wieder in Ordnung und gab Bandit noch eine kurze Streicheleinheit. Verabschiedete mich danach erneut von ihm, um mich mit dem Dienstwagen auf den Weg zu Richard zu machen. Zugegeben war ich schon ein wenig nervös, weil ich die beiden Frauen nicht kannte, den Verlauf des Abends dadurch absolut nicht einschätzen konnte und ich auch dem Engländer das erste Mal seit seinem abrupten Auszug wieder auf absolut privatem Terrain begegnete. Ich redete mir also mehrfach ein, dass schon alles gutgehen würde, bis ich den Wagen schließlich in der Auffahrt parkte und mich abschnallte. Noch einmal tief durchatmend griff ich nach dem Regenschirm im Beifahrer-Fußraum und stieg aus, ließ mir damit aber nicht mehr Zeit als nötig. Ging nach dem Abschließen des Wagens auch mehr oder weniger zielstrebig unter dem Schirm bis zur Haustür, um dort auf die Klingel zu drücken. Dann nochmal durchzuatmen und anschließend ein Lächeln aufzusetzen. Unabhängig davon, wer mir die Tür aufmachte, konnte das kaum schaden.
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Ich stand gerade am Herd, den ich kurz zuvor ausgeschaltet hatte und nahm das vorbereitete Abendessen vom Kochfeld, als es an der Tür klingelte. "Ich geh' schon", rief ich über meine Schulter in den Flur, um den Mädels, die inzwischen allesamt Zuhause waren und sich im Wohnzimmer versammelt hatten, zu signalisieren, dass ich gleich an die Tür gehen würde und sich keiner der beiden zu regen brauchte. Ich stellte den Topf noch schnell auf einem Untersetzer ab, warf einen wenig zufriedenen Blick auf den Inhalt und stürmte dann förmlich in den Flur und Richtung Haustür. Ich atmete noch einmal tief durch, fuhr mir mit der Hand durch die Haare, so als würde es irgendwas an den völlig wirren Strähnen ändern, bevor ich die Hand schließlich auf die Klinke legte und die Tür öffnete. Mir wurde sofort warm ums Herz, als ich Samueles Gesicht erblickte und dass, obwohl es in Kuba trotz Regen immer noch angenehme Temperaturen hatte. Es war einfach schön, den Italiener zu sehen. Er war schön - alles an ihm. Gut, bis auf die ein oder andere Kleinigkeit an seinem Charakter vielleicht, aber ansonsten war er ziemlich perfekt und dem war ich mir inzwischen bewusst. "Hey", begrüßte ich den jungen Mann mit einem zurückhaltenden Lächeln. "Es ist... schön, dich zu sehen. Komm rein", hängte ich anschließend noch an und trat dann einen Schritt zur Seite um dem jungen Mann Einlass zu gewähren. Auch wenn wir uns in den letzten Tagen wieder verhältnismäßig normal miteinander unterhalten hatte, war es doch noch mal etwas anderes, ihn wieder so... privat zu sehen und zu erleben. Auf der Arbeit verhielt sich Sam ja meistens doch ein bisschen anders, weil er mehr im Kontakt zu den Kunden stand und nicht zu mir. Ich war also etwas nervös, wie der Abend verlaufen würde und weil ich noch nie jemand gewesen war, der seine Nervosität gänzlich verstecken konnte, sah man mir das jetzt wohl auch ein Stück weit an. "Es sind auch schon alle da und ich hab... ehm... gekocht. Also wenn du was essen oder... trinken möchtest...", stammelte ich vor mich hin, den Blick abwechselnd auf den Boden und auf Sam gerichtet. Mit einer sehr eindeutigen Geste bat ich den jungen Mann schließlich in Richtung Wohnzimmer zu gehen, die Schuhe konnte er ruhig anlassen und den von ihm mitgebrachten Schirm nahm ich ihm kurzerhand ab, um ihn neben der Haustür in einen extra für Regenschirme vorgesehenen Teil der Garderobe zu platzieren, wo er in Ruhe abtropfen konnte. Anschließend folgte ich dem jungen Mann mit einem gewissen Sicherheitsabstand und in den Hosentaschen verstauten Händen ins Wohnzimmer. Allgemein wirkte ich ein wenig verunsichert, auch wenn ich weder Cosmas, noch Irinas Toleranz an unserer Beziehung anzweifelte. Ich war trotzdem besorgt, was sie zu Sam zu sagen hatten, auch wenn es mich im Grunde eigentlich nicht interessieren sollte. Schließlich war ausschlaggebend, dass ich mich wohlfühlte, wenn ich in der Nähe des Italieners war und niemand anderes sonst. Aber ich konnte nur wiederholen, wie unsicher ich seit dem Vorfall damals im Hotel geworden bin. Ich hatte mich ganz einfach ziemlich verändert und das nicht unbedingt zum positiven. Ich war inzwischen jedoch wieder stets bemüht, das Leben auf mich zukommen zu lassen. Unter anderem eben wegen der Beziehung zu Sam und ich klammerte mich deshalb vermutlich ein wenig zu sehr an den jungen Mann. Hoffentlich nahm er mir das nicht übel, wo er mir doch bereits mehr als einmal schon ziemlich deutlich gemacht hatte, dass ich ein absolut anstrengendes Arschloch sein konnte. Es war ja nicht so, als versuchte ich nicht, das in den Griff zu kriegen, es war nur... einfach ziemlich schwer. Aber um ehrlich zu sein, wollte ich darüber jetzt auch erst einmal nicht weiter nachdenken. Ich freute mich unglaublich, dass er hier war und verschob die negativ angehauchten Gedankengänge auf einen späteren Zeitpunkt, setzte ein schwaches Lächeln auf, als ich mich in den Türrahmen des Wohnzimmers lehnte, wo Cosma sich gerade von Irina abwandte, um ihre Aufmerksamkeit auf Samuele zu richten.
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Es war ein bisschen erleichternd, nicht gleich an der Haustür schon in ein fremdes Gesicht blicken zu müssen, sondern zuallererst Richard zu sehen. Deswegen wurde mein Lächeln auch gleich ein bisschen ungezwungener und breiter, kurz bevor ich ihn mit einem knappen "Hi." begrüßte und eintrat. Den Regenschirm klappte ich schon kurz vorher zu und versuchte ihn dabei möglichst noch vor der Haustür zu lassen. Ihn auch auszuschütteln, aber das war bei dem strömenden Regen fast schon überflüssig, weil er gleich wieder nass wurde. Aber gut, ich hatte es zumindest versucht, als ich ihn mit nach drinnen nahm und ihn kurz darauf vom Engländer abgenommen bekam. Er hätte nicht unbedingt etwas kochen müssen. Zumindest nicht, sofern nicht sowieso auch noch andere Beteiligte Hunger verspürten. Zwar konnte ich nicht leugnen ebenfalls hungrig zu sein, weil ich seit der Mittagspause nichts mehr gegessen hatte und die nun einige Stunden zurücklag, aber ein paar Chips hätten es auch getan. War sicherlich ungesünder, aber wie auch immer - ich wollte mich weiß Gott nicht über gekochtes Essen beschweren.. "Ich freu mich auch, hier zu sein... und ich nehm' gern was zu essen. Vielleicht auch einen Rotwein, falls du einen da hast..?", meinte ich und warf ihm ein flüchtiges, schiefes Grinsen zu. Drogen hatte ich seit dem einen, dezent eskalierten Abend keine mehr angefasst, das hatte ich versprochen. Aber an meiner Vorliebe für Wein hatte sich nichts geändert, ab und zu mal ein Gläschen zu genießen tat einfach gut bei dem eher stressigen Alltag. Außerdem war leichter Alkohol meistens nicht so verkehrt in einer Kennenlern-Runde, die meisten Leute tauten dadurch etwas aus. Solange es nicht die Überhand gewann zumindest, das war wiederum eher gefährlich. Ich setzte mich wie von Richard gewünscht in Richtung Wohnzimmer in Bewegung und ließ es mir aber nicht nehmen, dabei im Vorbeigehen beiläufig über seinen Unterarm zu streicheln, noch bevor ich ins Sichtfeld der beiden jungen Frauen trat. Es dauerte kaum den Bruchteil einer Sekunde, bis sich beide Köpfe in meine Richtung drehten. Aber gut, Blicke war ich gewohnt - denen war man in der Kundenbedienung eines Cafés ständig ausgesetzt. Also ging ich lächelnd auf die beiden zu und überlegte mir noch währenddessen, wie ich sie denn jetzt am besten begrüßen sollte. Ich war ein sehr herzlicher Mensch, ein stumpfer Händedruck war mir meistens zu förmlich und in Italien oder bei einer Kubanerin wäre ich mir eigentlich auch nicht zu schade für einen Kuss auf die Hand gewesen. Allerdings wusste ich, dass hinter Cosma das amerikanische Monster stand und wusste im Gegenzug nicht, ob Irinas Freund weniger gestört war, weil ich den nicht kannte... also reichte ich nach einem gespielt förmlichen "Guten Abend, die Damen." und einer minimalen Verbeugung zuerst der Schwarzhaarigen meine Hand - einfach weil sie näher saß - und danach auch der Rothaarigen.
Ich freute mich schon seit heute Morgen auf den Abend. Wie schon die letzten Tage war ich eher früh aufgestanden, aber dieses Mal blieb ich damit nicht lange allein. Nach dem Frühstück galt es nämlich aufzuräumen und zu putzen, wobei ich dem Hauseigentümer selbstverständlich gerne half. Außerdem ging es zu zweit auch gleich viel schneller als allein, machte außerdem auch mehr Spaß. Ein bisschen Musik dazu und die Sache war im Handumdrehen erledigt. Dem anschließenden Einkaufstrip schloss ich mich ebenfalls gerne an, hatte ich doch sonst ohnehin nicht wirklich etwas besseres zu tun - außer meine bisher sehr frustrierende Jobsuche vielleicht, aber dafür hatte ich dann am Nachmittag vor Samueles Besuch noch einige Minuten übrig. Ich war schon gespannt darauf, wie der Italiener so tickte, weil mir ehrlicherweise nur wenig darunter vorstellen konnte, wie ein Liebhaber für Richard im Idealfall aussah oder wie er charakterlich ticken musste. Ich kannte ja noch nicht einmal den Engländer besonders lange, auch wenn wir uns stückweise immer besser kennenlernten. Ein Teil seines Lebens schien Sam zu sein und ihn in einer netten, kleinen Runde am Abend zu treffen erschien mir ein sehr guter Weg zu sein, um über beide etwas mehr herauszufinden. Ich unterhielt mich noch ein bisschen mit Cosma im Wohnzimmer, während wir es uns auf dem Sofa bequem gemacht hatten. Aus dem gemütlichen Abend auf der Terrasse wurde ja leider nichts, da machte uns das momentan fast durchweg verregnete Wetter einen Strich durch die Rechnung. Als wir die Klingel an der Haustür gehört hatten dauerte es nicht mehr lange, bis der offensichtlich schon länger auf Kuba lebende Sam ins Wohnzimmer kam und wir beide in seine Richtung sahen. Seinem etwas dunkleren Teint nach zu urteilen scheute er die Sonne ganz und gar nicht und so allgemein hatte ich irgendwie... was anderes erwartet. Auch wenn ich nicht wusste, was das genau sein sollte. Die Halskette, die von seinem Hals baumelte, während er uns beiden leicht gebückt jeweils die Hand gab, ließ ebenso wie der Rest seiner Optik darauf schließen, dass er doch sehr auf sein Äußeres achtete und sich für Details dabei nicht zu schade war. "Schön dich kennenzulernen, Sam. Richard hat schon von dir erzählt...", begrüßte ich ihn leicht grinsend, während er mir die Hand schüttelte. "Nicht nur die Sünden, hoffe ich?", entgegnete er sarkastisch, was mich gleich noch breiter grinsen ließ. "Nein, aber das können wir gerne nachholen." Für Klatsch und Tratsch war ich doch immer zu haben - Hallo, Neugier.
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Auch wenn ich nicht einmal mehr der Meinung gewesen war, dass es mir in letzter Zeit besonders schlecht ergangen war, fühlte ich mich in der Gegenwart des Italieners doch gleich ein bisschen besser. Unter anderem lag das wohl auch an der beiläufigen Berührung meines Unterarms, die mir irgendwie signalisierte, dass alles in Ordnung war. Ich mich nicht sorgen musste, dass er trotz meiner gelegentlich stark schwankenden Launen einfach abhauen würde. Er war da und würde bleiben - zumindest für den Moment. Zwar interpretierte ich in diese winzige Geste vermutlich schon wieder viel zu viel rein, aber das war jetzt gerade mal okay so. Ich machte mir darüber keinerlei Gedanken mehr. "Wein?", fragte ich stattdessen und zog die rechte Augenbraue schmunzelnd nach oben. "Klar, bringe ich dir, kein Problem...", hängte ich anschließend noch an. Ich hatte zwar selbst noch nicht viel Zeit in das Kennenlernen von Kubas Nachtleben und den ortsansässigen Restaurant investiert, aber Cosma hatte zwischendurch die ein oder andere Flasche aus der Bar mitgehen lassen. Demnach ließ sich die Bitte tatsächlich ohne weiteres erfüllen, aber erst einmal beobachtete ich stillschweigend das Aufeinandertreffen der Gäste. Sobald sie einander begrüßt hatten, würde ich dann in die Runde fragen, ob noch jemand Hunger hatte und etwas zu Essen haben wollen würde. Das Wohnzimmer war zwar nicht besonders groß, geschweige denn gab es so richtig die Möglichkeit, sich gemeinsam an den Tisch zu setzen - dafür gab es schließlich die Küche - aber man konnte trotzdem relativ bequem am Couchtisch zusammenkommen. Nachdem mir der Appetit wegen der Vorfreude auf Sam den Tag über vergangen war, kam er jetzt langsam wieder zurück und ich würde mich definitiv ebenfalls auf einen Teller stürzen. Jetzt analysierte ich aber erst einmal die Reaktionen von beiden Seiten nach Sammys Begrüßung... und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ich konnte nicht leugnen, dass es mir überaus unangenehm war, wie Irina davon erzählte, dass ich bereits mit den beiden über Sam gesprochen hab und dass, obwohl daran ja jetzt eigentlich nichts auszusetzen war. Der Italiener nahm diese Information auch äußerst gelassen auf, was mich lediglich dazu veranlasste, peinlich berührt vor mich hin grinsend die Hand vors Gesicht zu heben. Mir stieg auch die rote Farbe in die Wangen und ich schüttelte leise lachend den Kopf. "Quatsch, ich hab natürlich nur Gutes erzählt", klinkte ich mich in das Gespräch ein und antwortete damit ebenfalls mehr oder weniger auf die an Irina gerichtete Frage, weil ich jetzt keinesfalls die beleidigte Leberwurst spielen wollte. Es sollte schließlich ein schöner Abend werden und ich wollte ihn nicht wegen so einer Kleinigkeit gegen die Wand fahren. "Ich würde... eben das Essen holen, wer möchte denn etwas?", fragte ich an die beiden Damen gerichtet, wen ich neben Samuele noch bedienen durfte. Cosma meldete sich relativ schnell zu Wort, nachdem sie ihren kritischen Blick von meinem Freund abgewendet hatte. Ich konnte es mir auch einbilden, aber es fühlte sich an, als würde sie mir mit ihren Blicken kleine Blitze zuwerfen, als sie mich darum bat, ihr ebenfalls etwas mitzubringen. Gedanklich knirschte ich deswegen ein bisschen unruhig mit den Zähnen, nickte aber trotzdem mit einem Lächeln auf den Lippen. Still und heimlich hoffte ich darauf, dass Cosma die Füße stillhalten würde. Einfach nur Zeit brauchte, sich ein bisschen auf Sam einzustellen und nicht sofort mit ihrer manchmal sehr ekelhaften Art über ihn herfiel.
Wenn ich mal ehrlich zu mir selbst war, dann wusste ich nicht so recht, was ich von Richards Freund auf den ersten Blick nun eigentlich halten sollte. Irgendwie war Sam nicht wirklich der Typ Mann, den ich mir an Richards Seite vorgestellt hatte, aber ich müsste auch lügen, würde ich behaupten, dass ich mir irgendeinen anderen Mann hätte vorstellen können. Ich war tolerant, das war absolut kein Thema, aber irgendwie fiel es mir noch immer schwer, zu begreifen, dass der Engländer homosexuell war. Eben nicht an Frauen interessiert war, sondern lieber... na ja, mit Samuele etwas anfing. Es war mir deshalb nicht möglich, sofort ein nettes und freundliches Lächeln aufzusetzen, als besagter Italiener zu uns ins Wohnzimmer kam, um sich vorzustellen. Ich erwiderte den Händedruck jedoch ohne weiteres und lauschte auch der kurzen Unterhaltung zwischen ihm und der Serbin, aus der ich mich gänzlich raushielt. Stattdessen wandte ich mich lieber an den geschundenen Engländer, der sich mit einer Frage unter anderem auch an mich wendete. Nachdem ich den ganzen Tag in der Bar verbracht hatte und auch heute morgen nur auf die Schnelle ein Brot gegessen hatte, verspürte ich in der Tat ein leichtes... Hüngerchen. Ich hatte zwar nur am Rande mitbekommen, was Richard gekocht hatte, aber in der Hinsicht war ich Gott sei Dank relativ offen und nur wenigen Gerichten gegenüber abgeneigt. Nachdem der junge Mann sich also aus dem Wohnzimmer zurückgezogen hatte, um die Küche anzusteuern, wandte ich mich wieder Samuele zu, der sich auf Anhieb blendend mit Irina zu verstehen schien. Mich hatte er aber binnen der wenigen Minuten noch nicht um den Finger wickeln können und so verschränkte ich die Arme nach der Begrüßung mit misstrauischem Blick vor der Brust. "Mhm, ich freu mich auch, dich kennenzulernen", schloss ich mich den Worten meiner Mitbewohnerin an, aber ich klang definitiv weniger überzeugend. Sicher war ich froh, nun endlich mal denjenigen kennenzulernen, der Richards kaputte Welt allmählich gerade rückte, aber es war wohl absolut nichts Neues, dass ich mir unbekannten Personen grundsätzlich sehr kritisch gegenüber stand. Das konnte sich im Laufe des Abends natürlich ändern, aber fürs Erste würde der italienische Schönling wohl erstmal meine kalte Schulter und die abschätzenden Blicke ertragen müssen. Ich musste schließlich erstmal sicher gehen, dass sich der Engländer niemanden ausgesucht hatte, der leicht einknickte. Er selbst war schon labil genug, da brauchte er nicht auch noch jemanden, der ihn nach einem schlechten Tag noch weiter runterzog. Außerdem... war ich grundsätzlich kein besonders kommunikativer Mensch. Das war ich weder damals in Norwegen und zu heute hatte sich das wohl auch nicht geändert.
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