Eigentlich überraschte es mich nicht wirklich, dass Richard über mich gesprochen hatte. Nicht weil ich glaubte, dass er einfach gerne tratschte oder ich eine Person war, die wahnsinnig interessant war, sondern weil wir einfach sehr viel Zeit miteinander verbracht hatten und es theoretisch schlichtweg einiges zu erzählen gäbe. Auf jeden Fall schien er nur Gutes berichtet zu haben, obwohl ich mich nicht immer mit Ruhm bekleckert hatte. Ich bemühte mich darum locker darauf zu reagieren und es schien mir ganz gut zu gelingen. Allerdings würde ich mich wohl davor hüten den beiden hier zu erzählen, dass ich wirklich dumm genug gewesen war, um in Richards Gegenwart Drogen zu nehmen. Allein schon deshalb, weil Cosma sehr viel weniger entspannt wirkte, als das bei der Schwarzhaarigen der Fall war. Während Irina mir hier gut gelaunt entgegenlächelte und Richard beiläufig wissen ließ, dass sie ebenfalls etwas essen wollte, blickte mich dessen beste Freundin doch sehr kritisch an. Gelinde gesagt. Es war auch nicht schwer aus ihrer Stimmlage herauszuhören, dass sie sich noch nicht sicher damit war, was sie von mir halten sollte. Blieb wohl zu hoffen, dass ich das im Laufe des Abends positiv beeinflussen konnte. Andererseits war das auch irgendwie wenig überraschend, oder? Sie war nicht nur seine beste Freundin, sondern auch Hunters Freundin. Da konnte man wahrscheinlich grundsätzlich nur sowas wie Misstrauen erwarten. Irina schien die sich anbahnende Spannung im Raum ebenfalls zu bemerken und schloss sich kurzerhand dem Engländer an, als er sich auf den Weg in die Küche machte, um das Essen und auch den Wein zu holen. Im ersten Moment war ich mir nicht sicher damit, was ich davon halten sollte, dass ich kurzzeitig mit der Rothaarigen alleine im Wohnzimmer war, solange die anderen beiden Geschirr und Besteck zusammensuchten. Es war nicht so, dass ich Angst vor ihr hatte - ich mochte ja nicht grade der härteste Kerl auf Kuba sein, aber bei Frauen war das was anderes. Nicht weil ich sie für ein schwaches Geschlecht hielt, sondern weil sie im Regelfall grundsätzlich weniger zur Gewalt neigten. Selbst wenn, dann tat es auch deutlich weniger weh. Aber wenn Cosma tatsächlich dauerhaft mit dem tollwütigen Massenmörder klarkam und ihn dabei erfolgreich in Schach hielt, dann würde sie mich mindestens mit Worten sicher plattwalzen können, wenn sie es nur darauf anlegte. Ich sah Irina einen Moment lang nach und räusperte mich leise, bevor ich mich ans andere Ende des Sofas fallen ließ. Quasi mit so viel Abstand zu Cosma, wie mir möglich war. "Wie lange kennt ihr beide euch schon? Also Richard und du, meine ich.", versuchte ich weiterhin relativ entspannt klingend ein Gespräch mit der Rothaarigen anzufangen und drehte den Kopf in ihre Richtung, um ihre Mimik im Auge behalten zu können. Innerlich wühlte mich ihre Reaktion durchaus etwas auf, aber man lernte über die Jahre im Verkauf einfach, sich nicht alles sofort anmerken zu lassen. Das funktionierte zwar nicht immer und versagte Hunter gegenüber zum Beispiel von vornherein kläglich, aber der war ja zum Glück nicht da... und ich hoffte doch schwer, dass das auch so bleiben würde.
Doch, der Italiener war mir eigentlich auf Anhieb recht sympathisch. Er hatte keine penetrant zu dominante Art, sondern schien - wie Richard schon einmal gesagt hatte - von recht ruhigem Gemüt zu sein. Zwar wusste ich nicht wie schnell sich das ändern konnte, wenn ein Gespräch eine ungünstige Wendung nahm, aber womöglich würde ich das noch herausfinden müssen. Cosma schien neben mir nämlich deutlich weniger entspannt, was allein aus ihren Worten schon klar herauszuhören war. Ein Blick in ihr Gesicht bestätigte mir diese Annahme, also beschloss ich kurzerhand mich Richard in der Küche anzuschließen. Erstens ging das Ganze so dann vielleicht ein bisschen schneller - ich hatte Hunger, heute noch kaum etwas gegessen und nur so nebenbei hier und da einen Bissen reingeschoben - und zweitens war es vielleicht gar nicht so verkehrt, die anderen beiden einen Moment lang alleine zu lassen, damit die erste Front schon einmal geklärt war. Oder es war der nächste Fehler, den ich beging. Würde in dem Fall weder mein erster, noch mein letzter sein. Ich warf im Gehen noch einen kurzen Blick über meine Schulter zurück ins Wohnzimmer, als Sam sich gerade aufs Sitzpolster sinken ließ, bevor ich mich final abwendete und über den Flur weiter in die Küche ging. Ich warf einen kurzen Blick in den Topf und anschließend suchte ich dann der Speise entsprechend das richtige Besteck aus der Schublade zusammen. "Hast du ihr vorher schonmal einen Freund vorgestellt?", fragte ich den Engländer beiläufig und warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor ich ein weiteres Mal in die Schublade griff. Vielleicht war Cosma einfach grundsätzlich misstrauisch, wenn es um neue Bekanntschaften ihres besten Freundes ging. Das war auch nachvollziehbar, man wollte für einen geliebten Menschen ja schließlich nur das Beste. Oder aber sie reagierte so sensibel darauf, weil das bisher noch nicht so häufig vorgekommen oder gar Neuland war. Womöglich auch beides.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Dass Irina mir folgte, quittierte ich gedanklich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits war es natürlich gut, dass ich Essen, Besteck, Gläser und Wein nicht alleine tragen musste und demnach ein einziger Gang zu zweit vermutlich ausreichte, auf der anderen Seite war sie vermutlich die Einzige, die zwischen Samuele und Cosma deeskalierend einschreiten konnte, wenn sie einander verbal angingen. Letztlich schickte ich sie jedoch nicht zurück ins Wohnzimmer, sondern holte stattdessen lieber die passende Anzahl an Tellern aus einem der Hängeschränke, um gerechte Portionen von dem Essen darauf zu verteilen. Ich hatte gerade den zweiten Teller zur Seite geschoben und einen neuen in die Hand genommen, als Irinas weiche Stimme an mein Ohr drang. Ich lächelte etwas, als ich meinen Kopf zu ihr drehte und schwach mit dem Kopf schüttelte. "Sam ist der Erste... ich hab lange Zeit... nicht viel von Beziehungen gehalten", antwortete ich ehrlich und unterstrich die Aussage auch noch mal mit einem Schulterzucken. "Außerdem wusste sie lange nicht, dass ich schwul bin", ergänzte ich noch ein paar Worte, die ich aber etwas leiser murmelte, damit die Rothaarige aus dem Wohnzimmer nicht mithören konnte. Zwar war das allein schon wegen der Distanz zwischen Küche und dem Wohnbereich relativ unwahrscheinlich, aber sicher war sicher. Als ich mit den Tellern fertig war und zwei von ihnen über den Tresen in Irinas Richtung geschoben hatte, wandte ich mich erneut den Händeschränken zu, um Weingläser herauszuholen. "Willst du auch?", stellte ich der Serbin über die Schulter hinweg eine Frage. Ohne jedoch ihre Antwort abzuwarten, zog ich vier Gläser an der Zahl heraus und stellte sie ebenfalls auf der Theke ab. Der Wein verweilte, wie für den Roten so üblich, in einem trockenen und lichtgeschützten Schrank unter der Spüle und wartete förmlich darauf, endlich aufgemacht zu werden. "Ich hoffe nur, dass der Abend nicht in einer totalen Katastrophe endet. Wenn Cosma ihre fünf Minuten hat, sehe ich wirklich schwarz", murmelte ich, als ich gerade nach dem Flaschenhals griff. Mit einem leisen Seufzer lehnte ich mit der Hüfte an den Tresen und sah die Serbin etwas geknickt an. Ich wollte jetzt nicht jammern und mir schon gar nicht die gute Laune verderben lassen, aber ich müsste lügen, würde ich sagen, dass mir Cosmas Reaktion auf Samuele nicht einen kleinen Dämpfer verpasst hatte. Dabei müsste ich es besser wissen. Mir müsste klar sein, dass sie ihm gegenüber erst einmal misstrauisch war und doch wünschte ich mir, sie würde ihn einfach mögen. Wenn sie es nicht tat, würde ich mich auf kurz oder lang nämlich höchstwahrscheinlich zwischen den beiden entscheiden müssen und das... wollte ich nicht.
Ob es wirklich so gut war, dass die Schwarzhaarige sich Richard anschloss und sie mir Samuele damit förmlich auslieferte? Wirklich sicher war ich mir nicht, aber streng genommen hatte der Italiener eigentlich nichts zu befürchten. Ich wusste schließlich, dass das ein äußerst wichtiger Abend für Richard war und auch wenn ich in vielerlei Hinsicht eine richtige Zicke sein konnte, stand ein Streit nicht auf meiner heutigen Tagesordnung. Was natürlich nicht hieß, dass ich nicht einen anfangen würde, wenn Samuele mir einen guten Grund dafür gab. Fürs Erste schien sich der junge Mann jedoch zurückhaltend zu zeigen und versuchte, mich vorsichtig in eine Art Smalltalk zu verwickeln. Ich überschlug die Beine und lehnte mich mit vor der Brust verschränkten Armen auf dem Sofa zurück, sah Sam abschätzend an, während ich über eine Antwort auf seine Frage nachdachte. Denn um ehrlich zu sein, wusste ich gar nicht so recht, wie lange wir uns denn nun eigentlich schon kannten. "Gute Frage...", gab ich also nach einem Augenblick der Stille von mir, klang noch immer nicht wirklich begeistert. "Ist wohl schon etliche Jahre her, sonst könnte ich mich vermutlich noch dran erinnern", gab ich schließlich schulterzuckend zu verstehen, dass ich auf eine genaue Zahl jetzt ganz einfach nicht kam. Ich wusste, dass wir uns damals in der Bar kennengelernt hatten, er immer öfter gekommen war und letztlich zur Stammkundschaft gezählt hatte, aber wann unsere Beziehung zueinander inniger geworden war und wann ich Richie meine ersten Geheimnisse anvertraut hatte, konnte ich nicht mehr genau sagen. Das war einfach schon viel zu lange her. "Die Gegenfrage spar' ich mir mal. Mich würde eher interessieren, wie es... zu eurer Beziehung kam", fuhr ich fort, um das Gespräch am Laufen zu halten. Immerhin wollte ich von Sam im Gegenzug auch ein paar Informationen haben und weil Richard mir selbstredend erzählt hatte, wie sie einander kennengerlernt hatten, war die Gegenfrage nach einem ungefähren Datum ihrer ersten Begegnung eher wenig zielführend. So ganz freiwillig hatten sie ja auch nicht zueinander gefunden, über die Umstände war ich also bestens informiert. Allerdings hatte mir Richard nicht erzählen wollen, wie es dazu gekommen war, dass sie sich scheinbar ineinander verliebt hatten. Fand ich unfair, schließlich hatte ich ihm haarklein erzählt, wie das zwischen Hunter und mir gelaufen war, in der Hoffnung, diesbezüglich auch ein paar Infos aus ihm herauskitzeln zu können. Aber er hatte es mir nicht erzählen wollen und so erhoffte ich mir von Samuele ein paar brauchbare Aussagen. Wenn er sich ein paar Pluspunkte verdienen wollte, fing er lieber an, ein bisschen zu erzählen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Es dauerte eine kleine Weile, bis Cosma dann schließlich zu einer Antwort ansetzte. Die war dann tatsächlich auch ziemlich wenig informativ. Dass die beiden sich schon länger kannten wusste ich schließlich bereits von Richard und viel mehr enthielt die Aussage der Rothaarigen nicht. Ich würde mich also damit zufrieden geben müssen und nickte auf ihre Worte hin dementsprechend nur schwach lächelnd. Fürchtete schon einen Moment lang, dass das Gespräch zwischen uns durch ihre nach wie vor eher abweisende Art bereits im Keim erstickt worden war, aber dem war nicht so. Denn sie stellte mir im Anschluss ebenfalls eine Frage, von der ich mir im ersten Moment nicht ganz sicher war, wie ich sie am besten beantworten sollte. Schließlich war das ein ziemlich langwieriger Prozess gewesen und ich konnte nicht gerade behaupten, dass es Liebe auf den ersten Blick gewesen war. Man verliebte sich eben nicht unbedingt auf Anhieb in einen Junkie mit fast zur Hälfte vernarbtem Gesicht. Ich hatte eine Weile gebraucht um ihn richtig kennenzulernen, aber auch wenn unser gemeinsamer Weg von einigen Stolpersteinen geprägt war, bereute ich ihn nicht. "Das... ist gar nicht so leicht zu beantworten.", stellte ich nach etwa fünf stillen Sekunden erst einmal fest. Schwieg dann noch ein paar Sekunden mehr und sah dabei nachdenklich auf den Stoffbezug des Sofas, bevor ich erneut zu der jungen Frau aufsah. "Ich nehme mal an du kennst die Umstände, unter denen er bei mir eingezogen ist... und anfangs lief das auch nicht gut. Wir haben uns nicht selten gestritten und konnten uns nicht ausstehen. Aber als das ganze... Zeug langsam aus seinem Körper raus war, ist es aufwärts gegangen. Wir haben uns besser kennengelernt, sind Freunde geworden, haben uns immer mehr anvertraut..." Wobei mir gerade auffiel, dass das etwas einseitig abgelaufen war. Zwar kannte der Engländer inzwischen natürlich auch einige Probleme aus meiner Vergangenheit, aber mit Problemen, die mich in der Gegenwart belasteten, hielt ich mich ja doch schon sehr zurück, was mir so erst in diesem Augenblick richtig bewusst wurde. Ich schien ihn in keinster Weise mental belasten zu wollen. Vor meinen nächsten Worten zuckte ich leicht mit den Schultern. "Ich hab irgendwann den ersten Schritt gemacht und ihn geküsst. Zugegeben unter nicht ganz nüchternen Umständen meinerseits, aber das hab ich wohl einfach gebraucht, um zu merken, dass ich mehr für ihn empfinde als rein platonische Freundschaft. Wie das eben manchmal so ist mit den undefinierten und unausgesprochenen Gefühlen, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.", machte ich gegen Ende hin eine sarkastische Bemerkung und unterstrich sie mit einer flüchtigen Handbewegung. Ich ließ ganz bewusst außen vor, dass es sich da nicht nur um Alkohol gehandelt hatte und würde das auch tunlichst weiterhin verschweigen. Gelangte das irgendwie an Sabins oder Hunters Ohren könnte mich das den Kopf kosten, hatte ich damit doch quasi fast die Lieferkette weiter sabotiert.
Ich hatte nicht unbedingt erwartet, dass Richard seine sexuelle Orientierung vor seiner besten Freundin lange Zeit geheim gehalten hatte. Zumindest diese Info kam recht überraschend, wo er es mir doch mehr oder weniger relativ bald indirekt gesteckt hatte - eben durch die Andeutung, dass es da einen jungen Mann gab, den er sehr gern hatte. Dass die Rothaarige bisher noch keinen neuen, festen Freund von dem Engländer vorgestellt bekommen hatte, war dann ja auch sehr naheliegend. "Oh, achso.", erwiderte ich dementsprechend ein bisschen überrascht, ohne dass es aber in irgendeiner Hinsicht negativ behaftet klang. "In dem Fall würde ich ihn an ihrer Stelle wahrscheinlich auch unter die Lupe nehmen wollen... wenn auch auf etwas weniger offensive Art.", fügte ich schulterzuckend noch ein paar Worte hinzu. Sie wollte bestimmt einfach nur nicht, dass der Engländer an den falschen Mann geriet und verletzt wurde. Das konnte ich schon ganz gut nachvollziehen, auch wenn ich die Sache sicher etwas anders angegangen wäre. "Ja, bitte.", ließ ich Richard lächelnd wissen, dass ich auch nichts gegen ein Gläschen Wein hatte. Ich war zwar eher der Typ für Weißwein, aber ab und zu war ein guter Rotwein auch nicht verkehrt. Was seine Bedenken hinsichtlich eines eskalierenden Abends anging, schüttelte ich aber recht bestimmt den Kopf. "Ach, mach dir da nicht so viele Gedanken.", sagte ich leichthin und winkte beiläufig mit einer Handgeste ab. Natürlich war das leichter gesagt, als getan. "Die zwei sind ja nicht alleine hier, im Notfall kriegen wir das Blatt schon gewendet.", fügte ich deswegen noch ein paar Worte mehr an und warf ein aufbauendes Lächeln in seine Richtung, bevor ich das Besteck jeweils seitlich auf die Teller legte, damit wir es nicht extra tragen mussten. Mit den Weingläsern zusätzlich wurde es wohl ohnehin schwer nur einen einzigen Gang zu Zweit erledigen zu müssen, da könnte potenziell viel zu viel runterfallen und den heute erst gewischten Boden versauen. "Ich bring die schonmal rüber.", erklärte ich überflüssigerweise meine nächste Handlung, als ich mir die vier Weingläser zwischen die zierlichen Finger klemmte und damit kurzzeitig zurück zu den anderen beiden ging. Allerdings verschwand ich nach einem flüchtigen Lächeln auch schon wieder zurück in die Küche. Richard mochte hier zwar offiziell der Gastgeber sein, aber ich musste ihn ja nicht mit allen vier Tellern laufen lassen, sondern konnte ihm getrost gleich noch zwei davon ersparen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Der Aussage konnte ich mich nur anschließen. Ich würde vermutlich auch gerne alles über den Freund oder die Freundin meiner besseren Hälfte wissen wollen - wenn es sich dabei nicht gerade um Hunter handelte, wohlgemerkt -, aber die Art und Weise, wie Cosma versuchte, möglichst brauchbare Informationen aus ihrem Gegenüber heraus zu bekommen war einfach absolut furchtbar. Es war mir mehr als nur unangenehm, den Italiener mit ihr alleine zu lassen, aber so, wie ich Samuele kennengelernt hatte, würde er sie schon charmant in ihre Schranken weisen, sollte sich die Rothaarige zu viele Rechte herausnehmen. Trotzdem war mir einfach ganz und gar nicht wohl dabei, auch wenn ich Irina parallel dazu zustimmend zunickte. "Ich verstehe schon, dass sie sich vielleicht Sorgen macht, aber… das kann man auch weniger aufdringlich zum Ausdruck bringen", meinte ich bloß und grinste ein wenig schief. "Aber ich kenne Cosma nicht anders, sie hatte schon immer irgendwie ihre Eigenarten", fügte ich nachdenklich hinzu, dass es mich nicht wirklich wunderte, wie die Rothaarige sich im Augenblick verhielt. Schließlich kannten wir uns schon eine ganze Weile und ich wusste, dass sie es trotzdem nur gut mit mir meinte - auch wenn das von außen vielleicht manchmal nicht so aussah. Ich klammerte mich jedenfalls an die Worte der Schwarzhaarigen, mit denen sie mir Mut zusprechen wollte und versicherte, dass der Abend auf kurz oder lang einen positiven Verlauf nehmen würde. Wir zur Not nachhelfen würden und Irinas überzeugte Stimmlage riss mich glatt mit. Ich nickte also eifrig und sandte nur noch ein stummes Gebet gen Himmel, damit Gott - oder wer auch immer - ihre Worte erhörte, ehe ich mich zurück in die Gegenwart beamte. Inzwischen hatte Irina sich bereits die Weingläser geschnappt und war mit ihnen in Richtung Wohnzimmer abgedampft. Ich tat es ihr gleich und griff von den vier Tellern schon mal zwei auf, klemmte mir dann noch die Weinflasche unter den Arm, um ihr anschließend zu folgen. Sie war allerdings recht flott und kam mir auf halben Weg schon wieder entgegen, um die anderen zwei präparierten Mahlzeiten aus der Küche zu holen. Ich schenkte ihr im Vorbeigehen ein dankbares Lächeln, wusste ich ihre Hilfe doch wirklich zu schätzen. Zurück im Wohnzimmer räusperte ich mich leise, kurz bevor ich die Teller auf dem Wohnzimmertisch abstellte. Die Flasche behielt ich jedoch noch unter den Arm geklemmt, wanderte ich mit ihr doch noch etwas weiter zu einer kleinen Kommode unweit des Fernsehers, um sie mit einem, in einer Schublade befindlichen, Korkenzieher zu öffnen. Anschließend ließ ich mich hoffnungsvoll lächeln auf den Teppich, welcher unter dem Wohnzimmertisch lag, fallen. Zwar wäre auf der Couch sicherlich noch ausreichend Platz für mindestens eine weitere Person zum sitzen gewesen, aber ich wollte während einer Unterhaltung ganz einfach sowohl Cosma, als auch Samuele ansehen können. Wie in der Küche auch schon, nahm ich mir jedes Glas vor, um es etwa bis zur Hälfte mit dem Rotwein zu füllen, damit sich darum niemand anderes mehr kümmern musste. Im Anschluss daran wartete ich schließlich noch auf Irina, die selbstredend recht zügig mit den restlichen Tellern aufgeschlossen hatte, bevor ich die Rothaarige mitten in ihrem Satz - einer heiklen Frage - unterbrach. "Du musst ihn doch nicht jetzt schon mit etlichen Fragen überhäufen. Können wir vielleicht erst einmal essen, bevor Sam ausgequetscht wird?", fragte ich und die Worte allein zauberten mir schon ein schmales Grinsen auf die Lippen. Cosmas Augenrollen und das leichte Kopfschütteln ließen es nur noch breiter werden.
Na immerhin ließ sich der Italiener nicht jede Information einzeln aus der Nase ziehen und stammelte auch nicht so sehr um den heißen Brei herum, wie der Engländer es ganz gerne tat. Ich nickte zwischendrin immer mal wieder als Zeichen dafür, dass ich ihm nach wie vor zuhörte, auch wenn er wirklich verdammt weit ausholte. Mindestens die Hälfte der Informationen wären jetzt nicht unbedingt notwendig gewesen. Aber das war gar nicht schlimm, denn im Nachhinein war ich in Hinsicht auf die Beziehung der beiden ein Stückchen schlauer. Ja, die Umstände, unter denen die beiden zusammengekommen waren, kannte ich tatsächlich. Zwar hatte ich nie mit Sabin persönlich über seine Entscheidung gesprochen, den Englänger mit seinen Problemen in semi-professionelle Obhut zu geben, aber sowohl Hunter, als auch Richard selbst hatten mir davon erzählt. Ganz zu Anfang dieser... Geschichte waren wohl beide Seiten nicht sonderlich begeistert darüber gewesen, dass sie einen Großteil ihrer Zeit miteinander verbringen mussten, aber wie das nun mal so war, kam unverhofft selten oft und nachdem Richard den kalten Entzug und seine Entwöhnung von Medikamenten hinter sich gebracht hatte - dadurch dann automatisch auch wieder zu einem umgänglichen Typ Mensch geworden war -, schienen sich die beiden immer näher gekommen zu sein. "Mhm", machte ich und fing an, mit dem Fuß des überschlagenen Beines zu wippen und musterte dabei das Gesicht des jungen Mannes am anderen Ende der Couch. "Und Richard? Sieht das genau so? Bist du dir sicher, dass er nicht... na ja, vielleicht einfach das Stockholm-Syndrom entwickelt hat?" Zugegeben, die Frage war ein bisschen fies. Ich wollte den jungen Mann nicht direkt beleidigen und zweifelte außerdem noch nicht einmal an, dass der Engländer aufrichtige Gefühle für ihn entwickelt hatte, aber... die Katze war halt aus dem Sack. Mein Mund war mal wieder schneller als mein Hirn gewesen und mich bei Fremden zu entschuldigen lag mir immer noch nicht besonders. Vielleicht hatte ich ja Glück und er hatte meinen Mundwinkel zucken sehen - falls nicht, dann war ich halt ein weiteres Mal das Arschloch. Wäre jedenfalls nichts Neues für mich. Allerdings gab es da sowieso noch etwas, das mich ein wenig störte. Ich hatte die paar wenigen Sekunden, in denen ich Samuele volle Breitseite gegeben hatte, tatsächlich gebraucht, um darauf zu kommen, was es war, weil es nur eine beiläufige, unterschwellige Information zu sein schien, die mich störte. Aber umso mehr stichelte sie mich zum Nachhaken an. "Moment, noch 'ne Frage...", warnte ich den Italiener vor und richtete mich etwas auf. Außerdem entwirrte ich die Arme und winkelte einen Arm auf dem Knie gestützt an. "Du warst also nicht ganz nüchtern..? Heißt das, dass du...", tja, und weiter kam ich dann auch gar nicht mehr. Eigentlich hatte ich ihn fragen wollen, ob er sich wirklich in Anwesenheit von Richard abgeschossen hatte. Dabei vermutete ich jetzt nicht einmal mehr, dass er sich an härten Drogen als Alkohol bedient hatte, aber auch der war schon vollkommen ausreichend, um mich prüfend die Augenbrauen ins Gesicht ziehen zu lassen. Einen ehemals Abhängigen, der sich auf dem besten Weg der Heilung befand, mental damit zu belasten, dass man sich selbst unzurechnungsfähig getrunken hatte war einfach nichts, was ich sonderlich lustig fand. Allerdings kam ich wie gesagt nicht dazu, die Frage auszusprechen, weil mir Richard gekonnt einen Strich durch die Rechnung machte, indem er mir das Wort abschnitt. Parallel dazu servierte er das Essen und den Wein, was mich nur genervt mit den Augen rollen ließ. Ich ließ es allerdings gut sein, aus dem einfachen Grund, dass es sonst nur Reibereien gegeben hätte. Und außerdem hatte ich selbst wirklich Hunger. Ihm war also verziehen. Ausnahmsweise...
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Augenbrauen nach oben zuckten, als Cosma mich doch ernsthaft fragte, ob der Engländer nicht vielleicht einfach nur an einem psychischen Phänomen litt, das ihm vorgaukelte etwas für mich zu empfinden. Ich schüttelte ziemlich bald den Kopf, weil ich das für nicht möglich hielt. Außerdem waren wir ja jetzt nicht mehr zusammen bei mir eingesperrt, also würde es sich bis jetzt doch in diesem Fall langsam verflüchtigt haben, oder? Ich kannte mich damit nicht aus, hoffte jedoch, dass es so war. Ich mochte den Gedanken daran nicht, dass es nur daran liegen könnte, dass Richard so für mich empfand. Natürlich war es nicht unmöglich, aber... ich war ja auch gar nicht der Böse, der ihn bei sich eingesperrt hatte. Das waren Hunter und Sabin gewesen, ich hatte hingegen immer versucht es ihm möglichst erträglich zu machen, weil ich wusste, wie sehr einem Stoff fehlen konnte. Wie sehr es einen wahnsinnig machen konnte, weil man einfach das Gefühl hatte, man käme nicht mehr ohne klar. "Nein, das glaube ich nicht.", sagte ich schließlich, wobei ich wohl nicht mehr ganz so entschlossen klang, wie noch bei meinen vorherigen Worten. Nicht, weil ich an meinen eigenen Gefühlen für den Kunstfreund zweifelte, sondern weil ich mir plötzlich nicht mehr so sicher damit war, ob er mich vielleicht nur deswegen wollte, weil er glaubte sonst Niemanden haben zu können und weil ich halt da war. Sei es nun wegen der Narbe, seiner Vorgeschichte oder wegen was auch immer. Die Komplexe im menschlichen Gehirn konnten endlos sein. Deswegen war ich ganz froh, dass er die Fragerei der Rothaarigen mit dem Essen unterbrach. Irina setzte sich gekonnt zwischen uns beide und reichte mir den zweiten ihrer beiden Teller, während sie sich gleichzeitig aufs Polster fallen ließ. Ich nickte ihr mit einem dankbaren Lächeln zu, ebenso wie Richard, als er den Wein eingeschenkt hatte. Eines der Gläser wanderte prompt in meine Hand - ich konnte den Wein jetzt noch besser gebrauchen als vorher. "Dann... auf einen schönen Abend und guten Appetit.", sprach ich einen sehr simplen Toast aus und hob das Glas dabei leicht an, bevor ich allen Anwesenden kurzen Blickkontakt und ein leichtes Lächeln schenkte. Danach nahm ich einen kleinen Schluck aus dem Glas und stellte es unweit meines Tellers auf den Tisch, ehe ich das Besteck aufnahm.
Mir schienen Richards Bedenken hinsichtlich seiner besten Freunden doch sehr berechtigt zu sein. Ich konnte die ganze Entzugs- und Drogengeschichte des Engländers überhaupt nicht einschätzen, weil ich ihn zu dieser Zeit noch gar nicht gekannt hatte. Konnte es mir auch irgendwie schwer bei ihm vorstellen, dass er dadurch - laut Erzählungen - sehr aggressiv geworden war. Natürlich sagte man das schwerem Drogenkonsum so nach, aber der Dunkelhaarige wirkte auf mich zur jetzigen Zeit einfach charakterlich nicht so, als könnte er überhaupt dermaßen aus der Haut fahren. Möglich war es leider trotzdem. Alles in allem schienen wir mit dem Servieren des Essens gutes Timing erwischt zu haben, unterbrach Richard die Rothaarige doch ziemlich eindeutig in ihrer Frage. Vielleicht steckte da auch etwas mehr dahinter, als die beiden gerne preisgeben würden - war auch nachvollziehbar, es gab sowas wie Privatsphäre und Grenzen. Auch wenn mich die exakten Umstände bestimmt genauso interessiert hätten wie Cosma, ich hatte mich da eben nur weit besser im Griff. Ich war mit zu viel Neugier einfach schon oft genug auf die Schnauze geflogen. Während wir nach dem sinnbildlichen Anstoßen mit den Weingläsern alle erst einmal ins Essen versanken, entstand eine kurzzeitige Stille, die nur von der Geräuschkulisse durch Besteck ab und an unterbrochen wurde. Als die Teller sich langsam etwas geleert hatten, setzte ich selbst zu einer vermeintlich wenig verhängnisvollen Frage an. "Wie lange bist du schon hier auf Kuba, Sam? Wenn ich mich richtig erinnere, kommst du eigentlich aus Italien.", fragte ich den jungen Mann lächelnd danach, wie lange er nun schon von Italienisch zu Spanisch switchen musste. Er kaute noch eine Weile und antwortete mir selbstverständlich erst als der Mund dann leer war. Manieren schien er schonmal zu haben. "Seit ich 18 bin, also vor ungefähr fünf Jahren... ich wollte Italien aus diversen Gründen hinter mir lassen, also hab ich den ersten Flieger aus dem Land genommen, den ich kriegen konnte. Es hätte mich bestimmt schlechter treffen können, auch wenn die Regenzeit lästig ist.", bestätigte er mir meine Vermutung mit einem Nicken in Richtung des verregneten Fensters, dass er eher der Kategorie Sonnenanbeter zugehörig war. Ich grinste, kaum setzte ich zu meiner Antwort an. "Wenn du den Regen schon nervig findest, solltest du keinen russischen Winter erleben.", witzelte ich. "Ach, warte mal ab... der Oktober ist noch nicht ganz vorbei und Hurrikans sind anders schlimm als Schnee, vielleicht kriegst du Kuba also bald noch von seiner besten Seite zu sehen.", erwiderte er ironisch und ließ dadurch meine Augenbrauen nach oben wandern. Achja - irgendwie hatte ich noch gar nicht bedacht, dass wir hier in der Karibik waren und es da durchaus auch mal schlimmer mit dem Wetter zugehen konnte. Gerade auf Inseln. Stürme und so weiter. Ich fand es hier ja schon schön, aber ob ich hier dauerhaft leben wollte würde ich mir nach dem ersten, wirklich heftigen Sturm mit abgedecktem Dach wohl nochmal sehr gut überlegen...
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Kaum hatte jeder seinen Teller, trat auch schon gefräßiges Schweigen ein und wenn ich ehrlich sein sollte, dann war ich da für den Moment noch nicht einmal böse drum. Denn wenn Cosma und Samuele nicht miteinander redeten, konnte auch keiner von ihnen irgendetwas falsches sagen und somit einen Streit provozieren. Ich war froh, dass es schließlich Irina und niemand anderes war, die nach einer Weile den ersten vorsichtigen Versuch wagte, mit einer simplen, an den Italiener gerichteten, Frage eine Unterhaltung anzuleiern. Solange die Rothaarige zu ihrer Linken noch über ihrem Teller hing und mit Essen beschäftigt war, konnte ich dem Gespräch sogar fast schon entspannt folgen. Mein Teller war längst leer, hatte ich dann doch ziemlichen Hunger gehabt und somit konnte ich nun vollkommen ungestört mein rechtes Bein anwinkeln, meinen Arm darauf stützen und mein Kinn auf dem Unterarm ablegen. Fast schon verträumt hing ich an den Lippen von Sammy, um seinen Worten zu lauschen. Die Information war für mich zwar nicht mehr neu - was die Dauer seines Aufenthalts hier auf der Insel anbelangte zumindest -, aber ich hörte dem Italiener trotzdem wahnsinnig gerne zu. Und aktuell noch mehr, als ohnehin schon, weil ich ihn einfach verhältnismäßig lange nicht mehr so... viel reden gehört hatte. Nicht so entspannt, wie gerade, war er im Café doch grundsätzlich immer etwas gestresster gewesen. Ich hätte wohl stundenlang einfach nur dasitzen und ihn anstarren können, wenn da nicht noch ein ziemlich nerviges Geschöpf gewesen wäre, die mir plötzlich mit der Hand vor dem Gesicht herumfuchtelte. Die Französin hatte wohl aufgegessen. Ich zuckte erschrocken zusammen, als Cosma so forsch nach meiner Aufmerksamkeit verlangte und sah sie deshalb auch einen Augenblick lang etwas irritiert an, kurz bevor ich resigniert seufzte. "Was ist?", fragte ich, weil sich die Rothaarige durch meinen Blick alleine wohl noch nicht dazu aufgefordert fühlte, mit der Sprache herauszurücken. "Bist du noch bei uns? Oder bist du schon im Paradies?", fragte sie schmunzelnd und spielte damit höchstwahrscheinlich darauf an, wie verliebt ich den Italiener angesehen haben musste, als er gerade im Gespräch mit Irina vertieft war. "Ich bin noch da, ja...", murmelte ich und war alles andere als begeistert darüber, dass meine Freundin scheinbar überhaupt nicht ernst zu nehmen schien, wie wichtig mir der heutige Abend eigentlich war. Es handelte sich hier schließlich um meinen ersten, richtigen Freund. Das machte mich einerseits traurig, andererseits aber auch ein wenig zornig. Es war zwar ihr gutes Recht, damit erstmal nicht direkt klarzukommen, war ich doch ebenso aus allen Wolken gefallen, als sie mir gebeichtet hatte, dass sie vergeben war - wobei ich primär eher ein Problem mit ihrem Partner hatte und weniger mit der Tatsache, dass sie sich auf eine Beziehung eingelassen hatte -, aber das hieß trotzdem noch lange nicht, dass ich das so akzeptieren wollte. Es brachte mich nämlich vor allem in die unangenehme Situation, dass ich eigentlich gerne etwas gegen ihre Art gesagt hätte, aber ich wollte weder streiten, noch als Mimose dastehen. Aber würde Sam vielleicht wollen, dass ich etwas sagte? Sollte ich mein Handeln irgendwie rechtfertigen und den Standpunkt klar machen, dass ich ihn einfach gerne ansah oder war das schon vollkommen überzogen? Ich war mir unsicher und sah deshalb für einen Moment wortlos auf den leeren Teller vor mir, ehe ich mich dazu entschloss, sie vorsichtig darauf hinzuweisen, dass sie sich mit ihrer Art gerade keine Freunde machte. "Kannst du dich nicht wenigstens heute mal ein bisschen zusammenreißen?", fragte ich sie deshalb leise, ohne das Gespräch zwischen dem Italiener und der Serbin unterbrechen zu wollen. Cosma sah mich nur verständnislos an, schien überhaupt nicht zu begreifen, wo jetzt eigentlich das Problem lag und das... war mir eigentlich von vorn herein klar gewesen. In ihren Augen gab es nämlich überhaupt kein Problem. "Ich tue mein Bestes, aber ich mache mir um ehrlich zu sein ein bisschen Sorgen. Ich habe keine fünf Sätze mit Samuele gewechselt und hab jetzt schon kein gutes Gefühl", stellte sie nüchtern fest. Zwar bemühte sie sich ebenfalls um einen relativ ruhigen Ton, war aber doch schon etwas lauter, als ich kurz zuvor. Ich ahnte bereits, dass das auf kurz oder lang nur in einem Wortgefecht enden würde und sah - mit Irinas Versprechen im Hinterkopf - in Richtung der Schwarzhaarigen. Ob sie mir vielleicht zur Seite stehen könnte, um die Kuh glimpflich vom Eis zu bekommen?
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Leider schien es nicht lange so angenehm ruhig und entspannt zu bleiben. Ehrlicherweise entzog sich mir selbst der Grund dafür, warum die Rothaarige wirklich so extrem gegen den jungen Italiener zu schießen versuchte. Was hatte er ihr denn bis hierhin getan? Hatte er schon irgendwas Falsches gesagt? Wir waren vorhin noch nicht einmal lange in der Küche gewesen, besonders weit konnten sie in ihrem Gespräch also nicht gekommen sein. Sie verhielt sich in etwa genauso giftig wie Ksenia, als es damals um Iljah gegangen war... allerdings hatte ich da auch schon vorher gewusst, dass ihre Einwände berechtigt waren. Das hatte der Russe mir etwas später auch bestätigt - dennoch hatte er noch eine ganz andere, fürsorgliche Seite an sich, wenn er denn mal die Ruhe und die Zeit dafür fand. Er war eben verkorkst, aber waren wir das nicht alle? Mir schien Samuele in diesem Raum wirklich der mit Abstand normalste Mensch zu sein - und ich genoss diesen Hauch von Normalität wirklich sehr - wobei ich ihn natürlich noch nicht besonders gut kannte. Ich hatte den Wortwechsel zwischen Cosma und Richard nur beiläufig mitbekommen, hatte meine Aufmerksamkeit doch immer noch primär auf dem Italiener neben mir gelegen. Allerdings wurde es quasi unmöglich das Ganze zu ignorieren, als die Rothaarige kundtat, wie wenig sie Samuele über den Weg traute. Meine Augen wanderten kurzzeitig zwischen dem Engländer und ihr hin und her, bis schließlich Richards Augen auf mir zum Erliegen kamen. Jaja, das hatte ich jetzt davon, dass ich vorhin noch gesagt hatte, dass wir die Sache irgendwie geregelt bekamen. Ich hätte es besser wissen müssen. Erstmal räusperte ich mich leise und schob den inzwischen leeren Teller noch ein Stück weiter von der Tischkante weg, bevor ich nach meinem Weinglas griff und mich ganz nach hinten an die Lehne des Sofas schob. Auch zog ich erstmal noch das linke Bein mit aufs Sofa, hielt es anschließend locker mit dem Arm fest. Erstens um noch ein kleines bisschen Zeit zu schinden und zweitens, um es sowohl Cosma, als auch Sam zu ermöglichen, den jeweils anderen in der offensichtlich vorhandenen Konfliktsituation anzusehen. "Und... woran liegt das?", fragte ich vorsichtig, drehte den Kopf zu der Rothaarigen rüber und schwenkte ein bisschen das Weinglas. "Nicht böse gemeint - ich kann wirklich verstehen, dass du nur das Beste für Richard willst, aber willst du Sam nicht erstmal richtig kennenlernen?" Vielleicht waren gut gemeinte Ratschläge an dieser Stelle auch nicht ideal, weil ich ja wusste, wie leicht reizbar Cosma im Allgemeinen war. Aber es war in meinen Augen einfach nicht gerade fair, dass sie Samuele scheinbar nicht einmal den Hauch einer Chance lassen wollte, sie überhaupt erst vom Gegenteil zu überzeugen. Mein Blick wanderte kurz zu besagtem jungen Mann rüber, der sich inzwischen mit seinen Ellenbogen nach vorne auf die Knie gestützt hatte. Er seufzte leise, machte dabei eine an sich aufgeschlossene Geste, indem er seine Hände kurzzeitig ausbreitete und dann wieder ruhig ineinanderlegte. Trotzdem blieb sein Blick nach unten auf seine Finger gerichtet, was für mich nur nachvollziehbar war. Er hatte sich den Abend bestimmt anders erhofft und die Situation musste wahnsinnig unangenehm für ihn sein. Für Richard übrigens auch, was mit einem kurzen Blick in seine Richtung auch nicht schwer zu erkennen war. Es war einfach nicht schön, wenn man seinen Freunden - ich zählte mich da mittlerweile wohl dazu - den neuen Partner vorstellte in der Hoffnung, dass sie ihn mögen würden und dann eben... naja, schon gleich zu Beginn sowas passierte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich hatte es versucht, wirklich. Mir echt Mühe damit gegeben, einfach die Klappe zu halten und den Abend abzuwarten, aber es war förmlich gegen meine Natur, nicht sofort misstrauisch zu werden und auf die Barrikaden zu gehen. Ich müsste lügen, würde ich sagen, dass es mir leidtat, Richard ziemlich direkt ins Gesicht gesagt zu haben, dass ich seinen Freund mit dem Stand von heute einfach nicht akzeptieren wollte. Denn das tat es nicht. Mochte ja sein, dass Samuele vielleicht 'nen Netter war, aber das änderte schlichtweg nichts an der Tatsache, dass sein erster Eindruck auf mich nicht besonders positiv war. Wir kannten uns vielleicht noch nicht lange, weniger als eine Stunde, um ganz genau zu sein, aber ich war bekannt dafür, über Menschen zu urteilen, bevor sie sich überhaupt die Schuhe ausgezogen hatten. Das war wohl auch einer der Charaktereigenschaften, die Hunter und ich gemeinsam hatten und die uns zu einem ziemlich unausstehlichen Duo machten. Eigentlich hätte mir an der Stelle auch klar sein müssen, dass Richard nach seiner Gefangenschaft bei den Italienern nicht dazu in der Lage war, mir persönlich die Stirn zu bieten, sondern sich erst Irina einmischen musste. Ob dieser Mann jemals selbst wieder mit mir streiten würde? Ich wagte es zu bezweifeln. Er konnte zwar inzwischen wieder Sprüche klopfen ohne Ende, aber sobald man ernsthaft auf eine Konfrontation zusteuerte, hisste er die weiße Fahne, dieser Trottel. Aber gut, dann würde ich mich eben mit der Schwarzhaarigen darüber unterhalten, wenn der Engländer nicht mit mir reden wollte. Früher oder später würde er sich ja doch einmischen, weil er auf keinen Fall bemuttert werden wollte, was Irina auf kurz oder lang sicherlich tun würde. Der arme Richard... ein bisschen Rücksicht bitte... bla bla bla. Ich wandte meinen Blick von dem jungen Mann mir gegenüber nur langsam ab, um meinen Kopf stattdessen in Richtung Samuele und Irina zu drehen. "Ich bin nicht gerade bekannt dafür, Menschen näher kennenlernen zu wollen. Und sich, mit was auch immer, abzuschießen, wenn man eigentlich ein Auge auf einen Abhängigen haben sollte... ich weiß nicht, Irina, aber das entzieht sich mir der Definition von einer verantwortungsvollen Aufsichtsperson. Was da alles hätte passieren können! Mehr braucht es für mich in dem Punkt dann überhaupt nicht, mir ein Bild von der Person zu machen, mit der mein Freund vielleicht den Rest seines Lebens verbringen möchte", legte ich also offen dar, was mich innerhalb der wenigen, mit Sam gewechselten, Sätze so an ihm störte. Dabei interessierte mich noch nicht einmal der Umstand besonders oder ob vielleicht sogar Sabin oder weiß Gott wer dabei gewesen war... das gehörte sich einfach nicht, wenn man auf meinen besten Freund aufpassen sollte. Er hätte ihn - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - direkt ins nächste Tief stürzen können und ich war definitiv nicht noch ein weiteres Mal bereit dazu, mich aus dem Leben des Engländers streichen zu lassen, weil er im Vollrausch überhaupt nicht mehr geradeaus denken konnte. Ich wollte ihn einfach nicht nochmal verlieren, wo er mir doch so gefehlt hatte. Ungewöhnlich sentimental für meine Verhältnisse, das wusste ich, aber es war nun mal so. Richard hatte mir durch meine schwerste Zeit geholfen und das war nicht ohne weiteres einfach so an mir vorbei gezogen. Er war gewissermaßen zu so etwas wie meinem großen Bruder geworden, den ich nie hatte und er war immer für mich da gewesen, um schützend die Hand über meinen Kopf zu legen - mal ganz abgesehen von dem Mal, wo er mich ohne mit der Wimper zu zucken an die Italiener verkauft hätte - und jetzt war es an mir, mich um sein Wohl zu sorgen. Dabei schlug ich aufgrund unzähliger psychischer Anomalien nur leider ein bisschen... über die Stränge. Machte ein Fass auf, obwohl das, gemessen an dem Unverständnis, welches mir seitens Samuele und Irina entgegengebracht wurde, überhaupt nicht notwendig war.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das hier war einer dieser altbekannten Momente, in denen mir einen Beamer für die Hosentasche wünschte. Einen Knopf, den ich drücken konnte, wenn ich in einer Situation nicht mehr wirklich weiter wusste oder mich ihr einfach nicht länger weiter aussetzen wollte. In diesem Fall sah ich darin nämlich auch gar keinen Sinn, wenn ich mal ganz ehrlich war. Wenn Cosma vorschnell urteilte, dann durfte ich das auch - sie passte sicherlich bestens mit Hunter zusammen. Zumindest in der Hinsicht, dass sie gerne nur ihre eigene Meinung zuließen und auch gar keine anderen Meinung zu hören brauchten. Die waren schlicht überflüssig. War auch egal, wer dabei dann zu Schaden kam. Während Hunter Leuten gerne das Gesicht verbrannte, verbrannte Cosma einem eben einfach mit Worten im übertragenen Sinne die eigene Zunge. Denn ihre Worte ließen mich leise schlucken. Ja, ich hatte damals einen Fehler gemacht und ich hatte das auch bereut. Der Drogentrip war egoistisch und idiotisch gewesen und dafür gab es keine Entschuldigung. Aber wir machten alle Fehler. Irina schwieg ebenso wie ich selbst einen Moment lang, musste sie das Gesagte wohl ebenfalls erst einmal kurz verdauen. Als sie dann aber zum Reden ansetzte hob ich die ihr zugewandte Hand an und in ihr Sichtfeld, um ihr zu signalisieren, dass sie sich da raushalten konnte. Es war in diesem Raum mit Abstand am allerwenigsten ihr Problem, involvierte sie eigentlich gar nicht. Es war lieb gemeint, aber sie brauchte kein Duell auszutragen, das nicht ihres war. "Schon gut.", seufzte ich noch zu ihr rüber und meine Augen trafen dankbar die ihren, als ich mich langsam aufrichtete. Sie warf mir ein etwas bedrücktes, versucht aufbauendes Lächeln zu, bevor ich an ihr vorbei schließlich zu Cosma sah. Der Blick dabei möglichst neutral, aber das fiel mir angesichts ihrer Vorwürfe doch etwas schwer. "Wenn du mich nicht kennenlernen willst, warum bist du dann noch hier? Ich weiß, dass ich damals einen Fehler gemacht habe. Aber wenn das alles ist, was du in mir sehen willst und keine Lust hast das zu ändern, dann können wir das hier auch sein lassen. Ein Mensch ist nicht seine Fehler.", stellte ich etwas trocken fest. Ich hatte schlichtweg keine Lust dazu hier für den Rest des Abends bei ihr gegen eine Wand zu reden. Dafür war ich nicht hergekommen. Richard hatte mich zwar davor gewarnt, dass die Rothaarige eine schwierige Persönlichkeit hatte, aber das würde ich nicht zu meinem Problem machen. Ich hatte schon genug andere Sorgen. "Offensichtlich geht es Richard jetzt nämlich sehr gut, was übrigens überwiegend mein Verdienst ist. Ich hab mein ganzes Leben monatelang auf den Kopf gestellt, damit er jetzt wieder so hier sitzen kann. Er ist mir wichtig und ich bin so ziemlich der letzte Mensch auf dem Planeten, der ihm etwas Schlechtes will. Also wie wär's, wenn du zumindest versuchen würdest nicht in der Vergangenheit zu leben und dem Ganzen eine Chance zu geben?", ergänzte ich noch einige Worte mehr. Mein Tonfall war dabei nach wie vor relativ ruhig, aber mir war schon anzuhören, dass mich ihre Worte kränkten. Ich verstand auch einfach nicht, warum sie das Leben ihres besten Freundes so gerne sabotieren wollte. Es war riskant und dumm von mir gewesen, aber es war doch alles gut gegangen - es hätte im Endeffekt zumindest seitens Richard gar nicht besser laufen können an dem Abend. Er hatte sämtlichen negativen Einflüssen an diesem Abend stangehalten, obwohl ich nicht mehr als Stütze, sondern als zusätzliches Risiko fungiert hatte. Er war sicher im drogenfreien Leben angekommen, konnte sich sogar täglich neu damit konfrontieren ohne einzuknicken. Wieso also schwelgte Cosma in der Vergangenheit meines einen, blöden Fehlers und gab der Zukunft nur aufgrund dessen so gar keine Chance, obwohl ich Richard offenbar nur das beste wollte? Das tat weh.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Auch wenn Irina sicherlich ihr Bestes gab, die Situation zu entschärfen, machte es für mich nicht unbedingt den Eindruck, als ließen sich die Fronten heute Abend noch glätten. Samuele versuchte zwar, Cosmas Zweifel an seiner Person aus der Welt zu schaffen, indem er ihr aufzeigte, wie gut ich mich in den letzten Monaten seinetwegen zurück ins Leben gekämpft hatte, aber das schien die Rothaarige nur wenig zu beeindrucken. Sie sah ihn genauso genervt an, wie alle anderen auch, die ihre Meinung in Frage stellten und sich dazu entschieden eine Diskussion mit ihr anzufangen. Ich ahnte schon nichts Gutes, als sie ihre Schulter straffte und sich auf dem Sofa etwas mehr aufrichtete. Eine offensichtliche Abwehrhaltung einnahm, die durch die tief ins Gesicht gezogenen Augenbrauen nur noch mehr untermauert wurde. "Na ja, aktuell bleibt mir wohl nicht viel übrig, weil ich nicht möchte, dass Richard sich heute Abend in den Schlaf weint, weil ich einfach abgehauen bin.", setzte die junge Frau zu einer Antwort an und ich wäre aus mehreren Gründen am liebsten im Erdboden versunken. Unter anderem wohl deshalb, weil sie Recht hatte. Gut, vielleicht wäre ich nicht sofort in Tränen ausgebrochen, wenn sie jetzt einfach aufgestanden und gegangen wäre, aber ziemlich traurig sicherlich schon. Ich duckte mich bei dem verbalen Seitenhieb der Rothaarigen unterbewusst ein wenig, so als ob ich der Ohrfeige verzweifelt hatte ausweichen wollen, aber die Worte trafen mich ja doch. Von beiden Seiten, wohlgemerkt. Klar, Sam hatte mir schon mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass das Leben mit mir hier und da ein wenig schwierig gewesen war und es sicherlich auch noch immer ist, aber es noch mal so deutlich zu hören tat irgendwie weh. Dabei meinte er es ganz sicher nicht böse und das wusste ich auch, nur... zwickte es trotzdem ein wenig. Ich war ihm dennoch dankbar dafür, dass er das Treffen wegen der Differenzen zwischen der Französin und ihm nicht gleich einfach wegwarf, so wie das einige - eigentlich nur eine - andere, im Raum befindlichen, Personen taten und er wollte Cosma noch eine Chance geben. Ihr den vielleicht schlechten Tag oder die unglücklich gewählten Worte verzeihen und was machte die Rothaarige draus? Sie... ließ sich zwar irgendwie darauf ein, aber auf ihre eigene, wenig charmante Art. "Keine Sorge, Sammy..." - ich hasste es, wie sie seinen Namen so provokativ betonte - "... wir sind cool miteinander. Ich bin ja gar nicht so.", meinte sie und machte mit den Händen eine ausschweifende Bewegung. Der Ton gefiel mir allerdings genau so wenig, wie die Verniedlichung von Sams Spitznamen. "Ich sitze doch hier, oder? Vielleicht nicht ganz freiwillig, aber du hast trotzdem noch alle Zeit der Welt, mich davon zu überzeugen, dass du eben kein Arschloch bist. Vielleicht ändere ich ja meine Meinung am Ende des Tages, wenn du mir noch mehr Heldengeschichten von dir erzählst." Tja und spätestens da war der Ofen für mich dann auch aus. Ich seufzte resigniert, schrieb den Abend im Geiste ab und erhob mich geknickt vom Boden. Dass ich mich unterbewusst schon etwas aufgerichtet und mich seitlich auf den Händen abgestützt hatte, um zum Aufstehen anzusetzen, hatte ich gar nicht so richtig wahrgenommen. Ich raufte mir das Haar, kaum stand ich auf den Beinen und schüttelte dann nur schwach den Kopf. "So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt", murmelte ich an Cosma gewandt, die mich daraufhin herausfordernd ansah, so als hoffte sie, ich würde meinen Konter zurücknehmen. Tat ich aber nicht, weil es schlicht und ergreifend der Wahrheit entsprach, dass ich sie nicht dazu hatte zwingen wollen, Samuele kennenzulernen. Und ich wollte auch nicht, dass sie jetzt nur hier saß, damit ich am Ende des Tages glücklich war. Der Zug war inzwischen abgefahren. Ich wandte mich auch noch an Samuele, dem ich einen bedauernden Blick zuwarf, aber beide Versuche ein paar Worte an ihn loszuwerden, scheiterten. Ich wusste einfach nicht, was ich zu der Art meiner Freundin noch sagen sollte, außer, dass es mir wahnsinnig leid tat. Dann machte ich auf dem Absatz Kehrt, nahm das Weinglas und den Teller in die Hand und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Wohnzimmer. Wie so oft lief ich einem potenziellen Streit - der sowohl mit Sam, als auch mit Cosma möglich gewesen wäre - lieber davon, als mich auf ihn einzulassen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich fing postwendend an mich zu fragen, wieso ich überhaupt versucht hatte Cosma irgendwie auf die sinnvolle und ruhige Art davon zu überzeugen, dass ich nicht schlecht für Richard war. Ich hielt mich selbst nicht gerade für einen Engel und wusste, dass ich genauso Dreck am Stecken hatte wie so ziemlich jeder andere hier im Raum. Jeder hatte irgendwelche Leichen im Keller, aber ich war mir absolut sicher damit, dass ich nicht schlechter für Richard sein konnte, als Hunter schlecht für Cosma war. Wieso wohnte sie denn überhaupt immer noch hier? Ich müsste lügen, um zu sagen, dass ich mir nicht in diesem Moment wünschte, dass der Amerikaner sie längst wieder zu sich zurück geholt hätte. Dann könnte ich jetzt einfach einen ruhigen Abend mit Richard verbringen... oder mit ihm und Irina, das war mir fast schon egal. Sie schien immerhin nichts gegen mich zu haben, da hätte ich auch kein Problem die Zweisamkeit mit dem Engländer auf später zu verschieben, wo ich das doch jetzt sowieso schon eine ganze Weile missen musste. Ich war wirklich versucht der Rothaarigen irgendetwas in dieser Richtung an den Kopf zu knallen - dass sie erstmal ihre eigene Beziehung auf die Reihe kriegen sollte, bevor sie Richard in seine pfuschte. Dass übrigens auch Richard mit ihrem Partner nicht klarkam und er sich trotz seiner mental noch teilweise wackeligen Verfassung weiterhin damit arrangierte, obwohl er stattdessen genauso widerlich reagieren könnte wie sie. Dank meiner wenig dominanten Art wusste ich es aber besser und verkniff es mir, trotz all ihrer fiesen Worte. "Cool also...", wiederholte ich nur ironisch und rollte nun doch sichtbar genervt die Augen nach oben, bevor ich den Blick abwendete und dabei verständnislos den Kopf schüttelte. Wenn das ihre Form von cool miteinander sein war, dann konnte ich auf die Bekanntschaft ehrlicherweise ganz gut verzichten. Allein der provokante Ton ihrerseits sorgte schon fortwährend dazu, dass sich mir gefühlt die Nackenhaare aufstellten. Allerdings galt meine Aufmerksamkeit schon bald nicht mehr primär dem rothaarigen Teufel, sondern meinem Freund, als jener sich zurück auf die Füße hob. Meine Augen lagen in seinen, als er mir zumindest mit seinem Blick vermittelte, dass es ihm leid tat. Dass er mit der Situation offensichtlich genauso wenig gut klar kam, wie das auf meiner Seite der Fall war. Aber er sagte nichts mehr, sondern ging einfach, was mir doch einen kleinen Stich ins Herz versetzte. Inzwischen kannte ich den Dunkelhaarigen jedoch gut genug, um zu wissen, dass er das nicht absichtlich getan hatte, sondern sich einfach nur mit der Situation überfordert sah. Deswegen suchte er schlussendlich wohl auch das Weite und ich schloss einen kurzen Moment lang die Augen, um etwas durchzuatmen und mich zu beruhigen, bevor ich mich ebenfalls vom Sofa erhob. Ich wollte Richard nicht mit der Befürchtung alleine lassen, dass seine beste Freundin mich erfolgreich vergrault haben könnte. Also folgte ich ihm und schloss demonstrativ mit einem letzte Blick auf Cosma und Irina die Wohnzimmertür hinter mir. Es war nicht schwer den jungen Mann in der Küche ausfindig zu machen, wo er doch mit seinem Geschirr verschwunden war. Ich wusste noch gar nicht genau, was ich eigentlich zu ihm sagen wollte, als er seinen Teller erfolgreich in der Spülmaschine untergebracht hatte, sich wieder aufrichtete und ich langsam zu ihm aufschloss. "Es ist... schon okay, Richard. Ich wusste ja, dass sie ein bisschen... schwierig ist.", murmelte ich ihm zu, als ich mich unweit des jungen Mannes an die Theke lehnte. Zwar war es nicht wirklich okay und ein bisschen schwierig war in etwa die Untertreibung des Jahrhunderts, aber er sollte einfach wissen, dass ich ihm nicht böse war.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ob Cosma sich genau so schlecht gefühlt hatte, nachdem ich mein Unverständnis darüber, dass sie sich ausgerechnet Hunter zum Mann nehmen musste, zum Ausdruck gebracht hatte? Konnte sie das überhaupt? Sich schlecht fühlen, meine ich. Falls dem so war und ich sie mit meinem Verhalten ebenfalls derart verletzt hatte, dann tat mir das leid. Ich war oft auch nicht Herr meiner Emotionen, das wusste ich, aber musste sie wirklich Gleiches mit Gleichem vergelten? Sie hätte doch mit mir reden können, dann hätte mich ich bei ihr entschuldigt, dem Seelenheil wegen. Oder hatte sie das vielleicht schon versucht und ich hatte abgeblockt? Keine Ahnung, verdammt noch mal! Es ging mir ziemlich viel durch den Kopf, als ich wenig später über die Türschwelle in die Küche trat und mir wurde fast schon ein bisschen schwindelig, weil meine Gedanken so rasten. Vielleicht - oder wohl eher ziemlich wahrscheinlich - lag das aber auch an dem Wein, dessen Rest mir auf dem kurzen Weg über den Flur die Kehle hinuntergelaufen war. Seit ich bei Sam ausgezogen war und schon eine kleine Weile davor hatte ich keinen Tropfen Alkohol mehr zu mir genommen. Einfach der Angst wegen, ich könnte von der einen Sucht direkt in die nächste rutschen und da war es natürlich alles andere als vorteilhaft, mal eben so ein halbes Glas Wein abzuziehen. Aber ich hatte das gerade einfach gebraucht, um meine Nerven zu beruhigen... was alles in allem schon mal kein gutes Anzeichen war. Es dauerte nicht lange, bis ich hinter mir Schritte vernahm. Schon alleine der Ruhe wegen ging ich jedoch nicht davon aus, dass plötzlich Cosma hinter mir stand, wenn ich mich jetzt umdrehte, weil sie mir ganz sicher wüst Beschimpfungen gegen den Kopf geschmissen hätte und wenig überraschend sollte ich Recht behalten. Es war nicht die rothaarige Nervensäge, sondern Samuele, der an einer ernsthaften Auseinandersetzung mit meiner Freundin scheinbar nicht interessiert war und stattdessen lieber nach mir sah. Ich hatte schon Angst, er würde mich jetzt für den misslungenen Abend verantwortlichen machen wollen, aber dem war natürlich nicht so. Sammy war kein Arschloch. Manchmal vielleicht, okay, solche Phasen hatte wohl jeder, aber es war wohl mehr als offensichtlich, dass ich absolut nichts für Cosmas absolut ekelige Art konnte. Und obwohl ich es hätte besser wissen müssen, schnürte mir trotzdem ein Klos im Hals beinahe die Luft zum Atmen ab, als der Italiener zum Reden ansetzte. Alleine seine einfühlsame Stimme und die vorsichtigen Worte - ob sie jetzt gelogen waren oder nicht, spielte für den Moment keine Rolle - trieben mir nun doch fast das Wasser in die Augen. "Nein, es ist nicht okay...", widersprach ich ihm ebenfalls gemurmelt, aber bestimmt. "Das war dir gegenüber... einfach nicht fair. Es ist... ich meine, ich war...", stammelte ich ein wenig verloren vor mich her, weil ich gar nicht so recht wusste, welchen Gedanken ich jetzt eigentlich zuerst aussprechen sollte. Ich merkte jedoch schnell, dass ich einmal tief durchatmen musste, um mich zu sortieren und so tat ich das schließlich auch. Noch währenddessen lehnte ich mich ebenfalls mit der Hüfte an die Theke neben dem Geschirrspüler und verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. Den resignierten Blick gen Boden gerichtet, sprach ich schließlich weiter. "Ich hatte mich wirklich auf den Abend gefreut heute. Es tut mir wahnsinnig leid, dass er... in diesem Desaster geendet ist, noch bevor er eigentlich richtig angefangen hat." Ich sprach nun auch die Entschuldigung wörtlich aus, die ich vor wenigen Augenblicken schon hatte aussprechen wollen, aber irgendwie war sie mir im Hals stecken geblieben. "Und ich... es tut mir auch leid, dass ich nichts gesagt habe. Ich hoffe... dass du weißt, wie viel du mir bedeutest und dass ich das, was du für mich getan hast, wirklich zu schätzen weiß." Wusste Sam sicher, aber ich wollte es trotzdem noch einmal gesagt haben. Außerdem wollte ich nicht, dass es jetzt still zwischen uns wurde. Ich hatte Angst, dass der Italiener sich für heute verabschieden würde und wollte ihn, sollte meine Angst begründeter Natur sein, gerne noch ein paar Minuten hier haben. Nach der Aktion könnte ich durchaus verstehen, wenn er jetzt gerne nach Hause gehen wollen würde.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Ich hatte mir den heutigen Abend wohl auch ganz anders vorgestellt, als er jetzt eingetroffen war. Ich hatte durchaus damit gerechnet, dass Cosma an der einen oder anderen Stelle unangenehme Fragen stellen oder einfach plump sein würde. Aber das? Ich hasste es, wie sehr die nur kurze Konversation von uns beiden dem sensiblen Engländer zugesetzt zu haben schien. Kaum wurden seine Augen fast schon weinerlich zog ich die Augenbrauen zusammen und suchte mit besorgten Blick nach seinem. Es war nun wirklich nicht meine Absicht gewesen ihn mit meinem Besuch, welcher auch der erste seit Langem war, zum Weinen zu bringen. Natürlich war ich nicht derjenige, der den Streit gesucht oder provoziert hatte, aber involviert war ich trotzdem. Am schlimmsten war aber, dass Richard ernsthaft Angst darum zu haben schien, dass ich glauben könnte er hätte nichts gesagt, weil ich ihm dafür nicht wichtig genug wäre. Wobei schlimm sehr relativ war - immerhin tat es mir gut zu hören, dass der junge Mann mich trotz ein paar Differenzen in letzter Zeit noch immer gerne bei sich hatte. Ich brauchte die Bestätigung dessen jetzt wohl erst recht, wo Cosma mich doch auf den dummen Gedanken gebracht hatte, dass ihr bester Freund mich nur pseudomäßig lieben würde. Trotzdem war es aber natürlich ein bisschen bedenklich, dass wir uns offensichtlich beide noch nicht wirklich sicher miteinander fühlten und um den anderen bangten. Dieses Gefühl hatte ich bei meinen vorherigen Beziehungen nie gehabt, aber das mit Richard war sowieso irgendwie... grundsätzlich alles ein bisschen anders als normalerweise, was auch vollkommen okay war. Jedenfalls schüttelte ich nach seinem kleinen Schwall an Worten schließlich leicht den Kopf. "Ich weiß, Richard.", beschwichtigte ich ihn ohne zu zögern und stieß mich schwach von der Theke ab, um mich stattdessen langsam vor ihn zu stellen. Nach seinen Händen zu greifen und dadurch sachte seine milde Abwehrhaltung in Luft aufzulösen, weil er die bei mir jetzt nicht brauchte. Meine Mundwinkel hoben sich zu einem sanften Lächeln an und ich suchte den Blick des Engländers, bevor ich erneut zum Reden ansetzte. "Ich habs verkraftet und irgendwann krieg ich Cosma schon noch überzeugt. Und wenns Jahre dauern sollte - ich bin geduldig, wie du weißt.", meinte ich und zuckte mit einem schiefen Grinsen die Schultern. Anschließend strich ich dem Dunkelhaarigen sanft über die Handrücken. Ein paar Sekunden lang musterte ich lächelnd seine Gesichtszüge, bevor ich meinen Blick zurück in seinen legte und langsam seine Finger losließ, um stattdessen meine beiden Hände vorsichtig unter seinen Armen durchzuschieben. Ohne jede Hast kam ich ihm noch einen letzten Schritt entgegen und übte gleichzeitig mit den Händen ein klein wenig Druck auf seinen Rücken aus, um ihn in eine längst überfällige Umarmung zu ziehen. Ihn einfach nur einen Augenblick lang nahe bei mir zu halten und seinen Geruch einzuatmen, während ich meinen Kopf mit einem leisen, zufriedenen Seufzen an seinem Hals vergrub. Unser minimaler Größenunterschied tat dem keinen Abbruch. "Ich hab dich vermisst.", nuschelte ich nach einer kleinen Weile unbewusst lächelnd an seinen Hals und hauchte ihm einen Kuss in die Halsbeuge. Dass mir der Engländer zunehmend mehr gefehlt hatte war auch der ausschlaggebende Grund dafür, dass der Zwist mit der Rothaarigen vorübergehend ziemlich am Arsch vorbeiging. Ich es relativ gut ignorieren konnte, solange sie nicht in meiner unmittelbaren Nähe war. Natürlich hatten Richard und ich uns ab und zu im Cafè gesehen, aber das war allein deswegen schon nicht das Gleiche, weil ich auf der Arbeit vorsichtig mit der Homo- beziehungsweise Bisexualität sein musste. Die Touristen waren in der Regel zwar sehr aufgeschlossen, aber bei den Einheimischen sah es da leider anders aus. Natürlich wurden die jüngeren Kubaner Stück für Stück aufgeschlossener, aber wir hatten auch ältere Stammkunden, die dem Ganzen mit Pech weniger nett gegenüber stünden. Es war besser wir mimten an meinem Arbeitsplatz keine gleichgeschlechtliche Beziehung, sondern tarnten es als Freundschaft. Das war scheiße und es missfiel mir, aber da mein Chef ein ziemlicher Spießer sein konnte, ging ich dabei nur ungern ein Risiko ein. Ich brauchte diesen Job und das nicht zuletzt auch deswegen, weil Hunter mich umbringen würde, wenn ich seinen Schmuggel gegen die Wand fuhr...
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Ich war zwar immer noch nicht wirklich zufrieden mit der Gesamtsituation, aber es erleichterte mich trotzdem ungemein, dass Sam sich trotz Cosmas Fehlverhalten nicht auch automatisch von mir abwendete. Der Rothaarigen sogar noch eine dritte Chance geben würde, wenn sie sich irgendwann bereit dazu sah, diese auch anzunehmen. Vermutlich wäre ich direkt in die nächste Krise gestolpert, hätte sich der Italiener anders entschieden, fühlte ich mich selbst psychisch manchmal noch sehr... labil. Aber Samuele machte keinerlei Anstalten, jetzt schon das Feld zu räumen, sondern kam mir ganz im Gegenteil sogar noch ein ganzes Stück näher. Stand relativ bald direkt vor mir und entwirrte meine Arme, um stattdessen meine Handrücken mit ein paar Streicheleinheiten zu liebkosen. Das allein zauberte mir schon ein schwaches Lächeln auf die Lippen und als ich meinen Blick anhob, um den seinen zu erwidern, festigte sich dieses nur noch mehr. Ja, doch, alleine das Aussehen des jungen Mannes und das schiefe, aber durchweg charmante Grinsen machten mich einfach glücklich. Von seinem fürsorglichen und liebevollen Charakter mal ganz abgesehen. Logischerweise war die miese Laune deswegen nicht wie weggeblasen, aber mit Sam an meiner Seite doch gleich ein bisschen besser zu ertragen. Ich ließ mich deshalb auch nur allzu bereitwillig darauf ein, meine Arme um seinen Hals zu schlingen, als er mich in eine Umarmung zog und es fühlte sich an, als fiel mir gerade ein kleiner Stein vom Herzen. Ich vergrub mein Gesicht automatisch in den dunklen Haares meines Freundes, schloss die Augen und genoss einen Moment lang einfach nur den Duft nach frisch gewaschenen Haaren und Samueles ganz eigenem Geruch. Auch das angenehme Kribbeln an der Stelle auf der Haut, wo er mir einen Kuss in die Halsbeuge gesetzt hatte, kostete ich bis zum letzten Bisschen aus. Gedankenverloren strich ich ihm noch eine Weile durch die leicht lockige Mähne, ehe ich mich ein wenig von ihm distanzierte. Meine Hand seinen Nacken hinabwandern und seitlich an seinem Hals zum erliegen kommen ließ. Unsere Gesichter trennten nur wenige Zentimeter, als ich lächelnd in diese undefinierbar schönen Augen sah. "Ich habe dich auch vermisst. Sehr sogar", antwortete ich murmelnd und der Streit zwischen ihm und Cosma war für den Moment wie weggeblasen. Hatte quasi gar nicht stattgefunden, weil ich viel zu beschäftigt damit war, dem Italiener nach der verhältnismäßig langen Zeit mal wieder so nah zu sein. Der Moment war kurz davor, perfekt zu sein, als ich plötzlich eine Tür zuknallen hörte und aufsah. Den Blick seitlich an Samuele vorbei in den Flur richtete, wo ich für den Bruchteil einer Sekunde nur noch rote Strähnen erblickte. Es klimperte und klirrte nahe der Haustür, bis auch diese ziemlich unsanft in ihre Angeln fiel und damit war Cosma mit einem ziemlichen Paukenschlag wohl außer Haus. Ich sah erst noch ein bisschen verwirrt in den leeren Teil des Flurs, den man von meinem Standpunkt aus einsehen konnte, dann richtete ich mich aber nach einem schwachen Kopfschütteln bald schon wieder an meinen Liebsten. Ich bezweifelte stark, dass die Rothaarige heute noch einmal zurückkehren würde, was mich dazu animierte, einen vorsichtigen Versuch zu wagen, den Abend doch noch irgendwie ein bisschen nett zu gestalten. "Hm", machte ich erst einmal nachdenklich, inzwischen aber schon nicht mehr hörbar traurig. "Scheint, als sei uns doch noch ein bisschen Ruhe vergönnt. Würde... es dir etwas ausmachen, heute Nacht hierzubleiben?", murmelte ich ihm also meine Frage entgegen, ohne mich nennenswert von seinem Gesicht zu entfernen. Für ein oder zwei Stunden bleiben würde er bestimmt noch, da war ich mir nach seinen Worten vor wenigen Minuten inzwischen absolut sicher, aber es konnte ja durchaus sein, dass sich das mit der Arbeit am morgigen Tag irgendwie überschnitt. Ich wollte trotzdem gefragt haben. Vielleicht hatte ich ja Glück und er musste er später - vielleicht sogar gar nicht - ins Café.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Das erste Mal seit Wochen schlich sich das aufrichtig warme Kribbeln zurück in meine Brust, während Richard mir endlich wieder die lang ersehnten, kleinen Zärtlichkeiten zuteil werden ließ, an die ich mich vor seinem Auszug wohl einfach schon viel zu sehr gewöhnt hatte. Ich mochte ja meine durchweg unabhängigen Phasen im Leben gehabt haben und ich würde wohl immer ab und zu ein bisschen Freiraum brauchen, aber dennoch war ich zweifelsohne ein Mensch, der sich nach Zuneigung sehnte. Ich brauchte nicht vierundzwanzig Stunden am Tag Zuwendung und Aufmerksamkeit, aber es war einfach ein wahnsinnig schönes Gefühl, wenn man geschätzt und geliebt wurde. Zwar war das Ganze bei dem Engländer und mir noch nicht hundertprozentig vertraut, aber gerade war einer der Momente, in denen ich fest daran glaubte, dass wir an diesen Punkt sicherlich noch kommen würden. Auf jeden Fall hatte er mich genauso vermisst wie ich ihn und das war schonmal keine allzu schlechte Voraussetzung. Ich strich kurz nach Richards Worten noch ein bisschen an seiner Wirbelsäule entlang und das Lächeln auf meinen Lippen wurde bei seinen Worten noch etwas breiter, während ich den Blickkontakt ungehemmt aufrecht hielt. Meine innere Ruhe war weit schneller zurückgekehrt, als ich es mir erhofft hatte und ich wollte gerade noch etwas auf die Worte des Dunkelhaarigen erwidern, als ein wirbelnder Tornado kurzzeitig nach unserer Aufmerksamkeit verlangte. Oder mehr nach Richards, ich stand mit dem Rücken in Richtung Tür und hoffte im ersten Moment einfach nur still und heimlich, dass Cosma das Weite suchen und nicht uns auf die Nerven gehen würde. Dass es Irina war hielt ich angesichts des Gepolters für sehr unwahrscheinlich, was sich spätestens mit dem Zuknallen der Haustür dann wohl auch bestätigte. Ich sah aus Sicht der Serbin keinen Grund darin jetzt so einen Abgang zu machen, es konnte nur der Rotschopf sein - wie Richard mir mehr oder weniger auch bestätigte. Meine Aufmerksamkeit verlor sich aber schnell wieder in die Augen des jungen Mannes direkt vor meiner Nase, hatte ich ihn doch ohnehin gar nicht erst wirklich aus den Augen gelassen. Bei seiner Frage hoben sich meine Mundwinkel dann auch bald zu einem milden Grinsen an und ich kam seinen Lippen noch ein Stück näher, bevor ich ihm eine Antwort gab. "Ich hatte gehofft, dass du das fragst.", hauchte ich ihm ein paar Worte an die Lippen und sah ihm nur noch einen kurzen Moment lang in die Augen. Dann überbrückte ich auch das letzte bisschen Distanz und verschloss meine Lippen mit seinen, um mir einen liebevollen, zärtlichen Kuss abzuholen. Mir war schon nach ein paar Sekunden eher nach deutlich energischeren Küssen, aber was das anging überließ ich für gewöhnlich dem Engländer das Ruder. Passte mich einfach seinem Gemüt an, weil ich sonst Gefahr laufen könnte ihn zu sehr zu drängen. Also löste ich mich nach dem etwas längeren, aber nur sanften Kuss langsam wieder ein kleines bisschen von ihm, um ihn ansehen zu können. "Ich hab extra ein bisschen vorgearbeitet, dann reicht es wenn ich morgen Mittag anfange. Ich muss zwar ein bisschen früher los, um den Kater zu füttern... achja, der vermisst dich übrigens.", brach ich den Ursprung meines zweiten Satzes ab und ließ Richard lieber eine relevantere Info zukommen. Nämlich dass Bandit nicht sonderlich begeistert von seinem plötzlichen Verschwinden war, in etwa ebenso wenig wie ich selbst.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Realistisch gesehen war die Antwort des jungen Mannes wohl nur zu erwarten gewesen. Vielleicht jetzt nicht wortgenau, aber sinngemäß auf jeden Fall - zumindest, wenn er mich zuvor nicht angelogen hatte. Denn niemand, der einen wirklich vermisste, würde freiwillig wieder gehen, wenn er die Zeit hatte und die Möglichkeit bestand, noch ein bisschen Zweisamkeit mit seinem Liebsten zu genießen. Gut, jetzt waren wir zwar noch nicht allein, weil Irina ganz sicher noch im Wohnzimmer auf uns wartete - es war schließlich noch nicht mitten in der Nacht -, aber mit der Serbin allein ließ sich der Abend zu dritt sicher noch gut ausklingen und in ein paar Stunden würden wir dann einfach die Schlafzimmertür hinter uns zumachen. Noch bevor ich zum Ausdruck bringen konnte, dass ich mich sehr über seine Zusage der Übernachtung freute, spürte ich die Lippen des Italieners auf den meinen. Ohne lange darüber nachdenken, schloss ich daraufhin die Augen und erwiderte den Kuss, der mir viel zu lange verwehrt gewesen war. Am liebsten hätte ich mich gar nicht mehr von seinen Lippen distanziert, aber zwecks Sauerstoffaufnahme war das auf kurz oder lang dann leider doch notwendig. Allerdings war der Abend noch jung und wenn Samuele über Nacht blieb, dann hatte ich alle Zeit der Welt, mir noch die ein oder andere Liebkosung abzuholen. Ich würde mich allerdings noch ein wenig in Geduld üben müssen, bis wir später alleine waren, weil ich sicherlich nicht vor Irinas Augen mit ihm Rumknutschen würde. Grundsätzlich fand ich es nicht schlimm, wenn Pärchen in meiner Nähe ihre Lieber füreinander zum Ausdruck brachten, wenn sie sich den Kopf tätschelten, hier und da mal küssten oder Hand in Hand neben mir her spazierten. Wo es bei mir allerdings aufhörte war, wenn sie sich gegenseitig die Zunge bis in den Hals schoben und nur noch die Klamotten den Unterschied zwischen wildem Geknutsche und einem Porno machten. Die logische Konsequenz war also, dass ich mich selbst ein wenig am Riemen reißen würde, solange wir uns noch in der Nähe der Serbin befanden. Das war unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Irina ihren Freund leider nicht mal eben so hierher einladen oder sich anderweitig mit ihm treffen konnte, auch nur fair. Sie vermisste Iljah bestimmt auch. "Ich... hab auch noch die ein oder andere Flasche Wein da. Mir steigt das eine Glas zwar schon ein bisschen zu Kopf, aber...", murmelte ich schief grinsend und signalisierte mit einem Blick und einem leichten Nicken in Richtung dem Spülbeckenunterschrank, wo besagter Alkohol zu finden war, falls Samuele noch ein, zwei oder drei Gläser trinken wollte. Ich sollte mich damit jedoch ein wenig zurückhalten, wobei der Schwindel schon längst wieder verflogen war. Ein weiteres Mal anstoßen wäre somit sicherlich drin, so auf einen ruhigen und gediegenen Abend, aber viel mehr würde mir wahrscheinlich aufs Gemüt schlagen. So sehr ich die Nähe des jungen Mannes auch genoss, löste ich mich langsam wieder ein bisschen mehr von ihm, wobei meine Hand behutsam über seinen Oberkörper wanderte, als ich sie wieder zu mir nahm. Mein Blick folgte den unsichtbaren Linien, die ich damit zog und zum ersten Mal, seit einer sehr, sehr langen Zeit, verspürte ich das Bedürfnis, Samuele noch näher kommen zu wollen. Es übermannte mich jetzt nicht und übers Knie brechen wollte ich das heute auch auf gar keinen Fall, aber es war doch ein gutes Zeichen, dass ich mich nach all den schlimmen Dingen, die mir im Hotel widerfahren waren, doch noch mal wieder nach Sex, beziehungsweise Befriedigung im Allgemeinen sehnte. Es wäre gar nicht mal überraschend gewesen, wenn ich in der Hinsicht bis zum Ende meines Lebens verstört geblieben wäre und das wusste ich. Opfer sexueller Übergriffe fanden oft keine positive Verbindung mehr zu dieser Art zwischenmenschlicher Beziehung und ich war froh, offenbar zum geringen Rest zu gehören, der zumindest schon mal Gedankengut diesbezüglich zulassen konnte, ohne direkt einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Schließlich war Sex für viele Paare ein elementarer Bestandteil der Beziehung und noch kannte ich Samuele in der Hinsicht nicht gut genug, um einschätzen zu können, wie wichtig dieser Aspekt für ihn war. Ebenso wenig konnte ich einschätzen, inwieweit ich den eigentlich Akt überhaupt zulassen konnte. Gedanken und die Realität lagen bekanntlich noch recht weit auseinander. Aber darum sorgen wollte ich mich für den Moment lieber nicht - was kam, würde kommen und zum gegebenen Zeitpunkt konnte ich mir dann immer noch den Kopf zerbrechen. Statt jetzt also Trübsal zu blasen, ging ich viel lieber aufs Sammys letzten Kommentar bezüglich Bandit ein. Ich mochte Katzen ja nach wie vor nicht, müsste aber lügen, würde ich behaupten, dass mir der dicke, krüpplige Kater nicht auch fehlte. Ganz zu Anfang meiner Therapie hatte ich das Vieh logischerweise mit Nichtachtung gestraft, aber je klarer meine Gedanken wurden und je mehr von dem Gift aus meinem Körper herausgespült worden war, umso mehr hatte ich erkannt, dass Bandit und ich ein ähnliches Schicksal teilten. Mit seinem kaputten Bein und meinem kaputten Gesicht entsprachen wir beide nicht mehr der Norm, machten aber trotzdem das Beste draus. Außerdem hatte er neben Sam ein bisschen Routine zurück in mein Leben gebracht. Ihn füttern, beschäftigen, das Katzenklo säubern... all das hatte mir ein kleines bisschen dabei geholfen, wieder auf die Beine zu kommen, also ja, ich vermisste ihn ebenfalls. "Oh, er fehlt mir auch. Du fütterst ihn hoffentlich auch gut?", stellte ich nach einem Augenblick des Schweigens auch für Samuele hörbar fest, dass das Fellknäuel mir fehlte und ergänzte gleich noch eine neckische Frage. Es hätte dem Vierbeiner nämlich definitiv keinen Abbruch in Hinsicht auf sein Gewicht getan, wenn er für ein oder zwei Tage mal ein bisschen weniger zu Fressen bekam, etwa wenn Sam im Stress war. Aber ich wusste ja, dass das Tier dem Italiener heilig war, ich ging also nicht davon aus, dass sich die Speckrollen am Bauch des Katers dezimiert hatten.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Bei Richards Worten hinsichtlich des Weins wanderten mir unweigerlich beide Augenbrauen nach oben. Nicht, weil ich ihn gar tadelnd ansehen wollte, sondern weil mich diese Aussage ein bisschen amüsierte. Ich sah in Alkohol ehrlicherweise bisher nämlich keine große Bedrohung für ihn, weil er dem bei mir Zuhause ja nun auch nicht in Übermengen nachgegeben hatte. Natürlich hatte er ab und an mal mit mir angestoßen, wenn ich selbst ein Gläschen am Abend getrunken hatte, aber dabei war es eben auch immer geblieben. Wenn er seitdem nun ohnehin fast nichts mehr getrunken zu haben schien, dann brauchten wir die zweite Flasche nur unwahrscheinlich. Es sei denn natürlich Irina trank das Gebräu gerne in Massen, aber bei zierlichen Frauen brauchte es des Öfteren nicht viel Alkohol um eine Wirkung zu erzielen. Aber gut - falls die zweite Flasche doch gebraucht wurde, dann war sie auf jeden Fall da. "Ich glaub nicht, dass wir noch mehr brauchen sollten... aber falls doch, dann kenn ich jetzt auf jeden Fall die Quelle.", stellte ich grinsend fest. Wenig später lösten wir uns dann doch langsam mal voneinander, auch wenn es sicher noch einiges an Zweisamkeit nachzuholen gab. Wenn wir uns jetzt ein bisschen häufiger sahen - und das bevorzugt erstmal überwiegend dann, wenn Cosma nicht hier war, um unsere Beziehung wieder zu festigen - würden wir uns sicherlich insgesamt wieder deutlich näher kommen und ich konnte es kaum erwarten. Richard schien meinen Kater tatsächlich auch zu vermissen, was mich versonnen lächeln ließ. Auch wenn ich seine Futterrationen ehrlicherweise langsam zu reduzieren versuchte. Er hatte schon vor dem Einzug des Engländers ein bisschen zu viel auf den Rippen gehabt und es war nicht unbedingt besser dadurch geworden, dass er theoretisch fast rund um die Uhr nach Futter miauen konnte. Man gab ihm dann in der Regel nämlich früher oder später nach, weil das kleine Kerlchen seine Bitte sehr charmant zu verpacken wusste. Bandit mochte ein schräger Kauz sein, wenn er mal seine fünf mauligen Minuten hatte, aber er konnte der liebste Kater der Welt sein, wenn es um das Erbetteln von Nahrung ging. Da wurde hier mal um die Beine geschlichen, da mal die Hand auf der Sofalehne mit der Nase angestupst - er wusste sich da zu helfen. "Um ehrlich zu sein bin ich ganz froh, dass er jetzt wieder Zwangspausen beim Fressen hat... er hat ja doch noch ein bisschen mehr zugelegt in deiner Anwesenheit und ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut für die kaputte Sehne ist.", stellte ich ironisch fest, wobei mein gut gelaunter Tonfall erhalten blieb. Das war auch kein Vorwurf an Richard, sondern nur eine Feststellung. Ich war selbst ja auch nicht immer unbedingt konsequent damit ihm weniger zu fressen zu geben, aber bisher schien es ihn nicht umgebracht zu haben. Schmerzen hatte er auch keine, man sollte es jedoch auch besser nicht zu lange provozieren. Aber genug des Katers - wir sollten Irina wohl nicht noch länger alleine lassen, sonst kam bei ihr noch das Gefühl auf wir hätten auf ihre Anwesenheit auch keine Lust. "Gehen wir zurück ins Wohnzimmer... nicht, dass Irina denkt ich hätte schon die Nase voll.", meinte ich schließlich mit einem leichten Schulterzucken, ohne das Lächeln auf den Lippen zu verlieren. Ich setzte zum Gehen an und nahm Richard an der Hand mit, jedoch nur mit einer ganz flüchtigen Bewegung und so trennten sich unsere Hände schon im Flur wieder, noch bevor ich die Wohnzimmertür aufgeschoben hatte.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Gut, mehr als anbieten konnte ich es nicht und wenn Sam der Meinung war, die zweite Flasche war vorerst nicht von Nöten, dann würde ich das so akzeptieren. Ich selbst hatte jetzt auch nicht unbedingt vor, mich heute Abend noch zu betrinken, weil ich gern all die Eindrücke unseres ersten Treffens seit geraumer Zeit nüchtern erleben wollte, um mich im Nachhinein auch dran erinnern zu können. Ich nickte die Worte des jungen Mannes also schweigend ab, ohne mein mittlerweile fast schon unbeschwertes Lächeln einzustellen. Nur wenig später entlockte mir Samuele allerdings ein leises, aber ehrlich amüsiertes Lachen, als er mir beichtete, die Mengen an Futter für den Kater aktuell ein wenig zu reduzieren. Offensichtlich hatte ich es hier und da nämlich ein bisschen zu gut mit Bandit gemeint und war dadurch nicht zuletzt ein Stück weit mit Schuld daran, dass der Vierbeiner ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hatte. Als jemand, der noch nie wirklich ein Haustier gehalten hatte, war es aber auch verdammt schwer, die richtige Menge an Futter abzuschätzen und es war so herrlich leicht, etwas von seinem Aufschnitt zu teilen, wenn man mit einer Schnurreinlage oder Kuscheleinheit belohnt wurde. Gen Ende meines Aufenthalts bei Samuele hatte ich mich jedoch ein bisschen mehr mit dem Thema beschäftigt, welche Mengen Futter für Haustiere angemessen war und schon da angefangen, zumindest die Gabe von Leckerlies ein bisschen zu reduzieren. Auf kurz oder lang reichte das - genauso wenig wie bei Menschen - aber nicht aus, nur die Snacks wegzulassen. Man musste auch seine allgemeine Ernährung ein bisschen umstellen. Das schien der Italiener mittlerweile in Angriff genommen zu haben und sollte ich das nächste Mal eine Schicht als Dosenöffner einlegen müssen, würde ich auch auf die bisher erzielten Fortschritte Rücksicht nehmen, da konnte sich Sammy sicher sein. Ich quittierte seine Aufforderung, zurück ins Wohnzimmer zu gehen, um Irina keinen falschen Eindruck von seiner Person zu vermitteln, nur mit einem schiefen Grinsen, denn ich glaubte nicht, dass er der Serbin irgendein Signal gesendet hatte, welches zum Ausdruck brachte, dass er sie ebenfalls nicht ausstehen konnte. Aber ich konnte seinen Gedankengang nachvollziehen und ewig in der Küche am Tresen gelehnt zu stehen war nun auch nicht unbedingt bequem. Ich stieß mich also bereitwillig mit der Hüfte von der Küchengarnitur ab, um mich die wenigen Meter hinter ihm herziehen zu lassen. Im Flur ließ er meine Hand jedoch schon wieder los und ich schob fast schon automatisch die Hände in die Hosentaschen meiner Hose, kurz bevor wir gemeinsam das Wohnzimmer betraten. Das Bild hatte sich im Vergleich zu vorhin nicht wirklich verändert - es standen noch ein paar Teller und Gläser auf dem Tisch, auf der Couch hockte eine nachdenklich aussehende Irina. Ich seufzte leise, weil ich nun doch wieder einen Gedanken Cosma verschwendete, als ich zu den nachfolgenden Worten ansetzte. "Was ist mit Cosma? Warum ist sie verschwunden?", richtete ich eine Frage an die Schwarzhaarige. Ich würde die Rothaarige jetzt weder anrufen, noch mich auf die Suche nach ihr begeben. Vermutlich war sie in die Bar oder zu Hunter geflüchtet und doch interessierte es mich, warum sie so plötzlich aufgesprungen zu sein schien, um zu verschwinden. Schließlich hatte sie im Gespräch mit Samuele noch gemeint, dass sie bleiben würde, um meinem Freund die Chance zu geben, sich zu beweisen. Es musste also irgendetwas vorgefallen sein, während wir uns in der Küche unterhalten hatten und ich wüsste gerne, was konkret passiert war. Nur so konnte ich einschätzen, ob Cosma nicht vielleicht doch nur um den Block lief, um einmal tief Luft zu holen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #
Tja, da saß ich nun. Allein im Wohnzimmer zurückgelassen, während das Paar sich vermutlich aussprach und Cosma das Weite gesucht hatte. Vielleicht hätte ich einfach nichts mehr zu der ganzen Angelegenheit sagen sollen, aber das war mir scheinbar zu schwer gefallen. Ich fand es einfach nicht richtig, wie die Rothaarige den Italiener angegangen hatte und mein gesunder Menschenverstand - den ich nur zeitweise mal mit Löffeln fraß - sagte mir eindeutig, dass ich mit dieser Einstellung auch nicht die einzige war. Man konnte ja so seine Bedenken zu einer neuen Bekanntschaft haben, aber man musste sich nicht derart fies verhalten. Ich kannte Samuele selbst noch nicht besonders gut, aber bisher hatte ich an seinem Auftreten noch genau gar keinen Grund dafür gefunden ihm gegenüber dermaßen misstrauisch zu sein. Natürlich war es nicht gut gewesen, dass er den Engländer offenbar einem großen Risiko ausgesetzt hatte, aber das machte doch nicht automatisch alles andere an ihm schlecht. Er war nett und ihm schien wirklich etwas an Richard zu liegen, sonst wäre er nach dieser Aktion des Rotschopfes wohl kaum noch hier. Ich begnügte mich nach Cosmas Verschwinden einfach mit meinem Weinglas und nippte immer wieder nachdenklich daran, schwenkte es langsam in meiner Hand. Fragte mich, ob ich irgendwas an diesem verheerenden Ausgang hätte ändern können, aber am Ende des Tages war es mir dann doch ganz recht, dass Cosma erst einmal gegangen war. Ich mochte sie und es tat ab und zu wirklich gut in ihr eine halbwegs Gleichgesinnte zu haben, aber gerade schieden sich unsere Geister. Es war sicher gut, wenn sie sich erst einmal beruhigte. Sam und Richard kamen schließlich auch zu mir zurück und ich drehte den Kopf automatisch zur Tür, als sie das Wohnzimmer betraten. Ich bemühte mich um ein Lächeln, aber nach Cosmas harschem Abgang fiel mir das noch ein bisschen schwer. Außerdem ließ sich auch ein leises Seufzen nicht vermeiden, als der Engländer mich nach seiner besten Freundin fragte und meine Mundwinkel rutschten dabei automatisch zurück nach unten. "Wahrscheinlich hat es ihr nicht gepasst, dass ich ihr im übertragenen Sinn gesagt habe, dass ihre Reaktion ziemlich überzogen und fies war.", sagte ich schulterzuckend und sah dann ins fast leere Weinglas, bevor ich es schließlich leermachte. Zwar hatte ich meine Worte etwas vorsichtiger und nicht so direkt gewählt, aber Cosma war ja nicht blöd. Ich hatte den letzten Tropfen in ihr sowieso schon fast übergelaufenes Fass gekippt und das war dann wohl der ausschlaggebende Grund dafür gewesen, dass sie sich verzogen hatte. In meinen Augen hatte ich jedoch nichts Falsches getan, also war mir das für den Moment ganz recht. Die eingekehrte Ruhe war nach diesem unschönen Zwischenfall sehr willkommen.
+ .Don't wait for the dust to settle. Don't wait til you've had enough. +
Es dauerte nicht lange, bis ich schließlich eine Antwort von der jungen Frau bekam und mit ziemlicher Sicherheit sagen konnte, dass Cosma heute ganz bestimmt nicht mehr zurückkommen würde. Sie war ja ohnehin schon wenig kritikfähig und wenn man sie dann auch noch darauf hinwies, dass sie ganz offensichtlich einen Fehler gemacht hatte, dann dauerte das erst einmal eine ganze Weile, bis die junge Frau sich wieder beruhigt hatte. "Die kommt heute dann auch nicht mehr wieder...", sprach ich für alle Anwesenden hörbar meine Gedanken aus und wechselte von der nachdenklichen Miene zurück zum schwachen Lächeln. Ich trat einen Schritt vor, um mich neben Irina aufs Sofa fallen zu lassen, wo ich mich schließlich nach hinten lehnte, um meinen Kopf auf der Rückenlehne abzulegen. Dann schloss ich für einen Moment die Augen, bevor ich an die weiße Decke starrte. "Das heißt, wir haben heute tatsächlich noch ein bisschen Ruhe", ergänzte ich die Bemerkung von gerade eben noch um eine Feststellung, die mich sogar ein wenig zum grinsen brachte. "Vielleicht möchte uns Sam ja jetzt noch ein bisschen was von sich erzählen..?", versuchte ich das Gespräch in eine Richtung zu lenken, von der auch ich etwas hatte. In der Zeit, wo ich bei dem Italiener gewohnt hatte, war es in Gesprächen nämlich primär um mich und um meine Vergangenheit gegangen. Bis auf ein paar wenige Infos wusste ich allerdings nicht besonders viel von dem jungen Mann und würde das, sofern möglich, gerne ändern. Ich hörte ihm sowieso schon unglaublich gerne beim Reden zu und wenn dann auch noch etwas Informatives für mich dabei raussprang, war das gleich doppelt zu gut. Ich drehte meinen Kopf also auf der Lehne also ein wenig in Sammys Richtung und sah abwartend zu ihm rauf, weil er noch vor uns stand. Wenn er da keine Lust drauf hatte, dann konnten wir natürlich auch noch umdisponieren. Möglichkeiten gab es viele. Wir konnten Fernsehen, Brettspiele spielen oder wenn uns danach war, auch noch in eine gemütliche Kneipe im Stadtzentrum fahren. Unter Leute kommen oder so, ich war da für vieles offen. Nur schlechte Laune konnte ich heute nicht mehr gebrauchen, die hatte ich heute schon genug gehabt und abbekommen. Das letzte Wort war in dem Fall auch definitiv noch nicht gesprochen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass Cosma das einfach so auf sich sitzen lassen würde. Zwar hatte sie in der Vergangenheit schon einmal einen plötzlichen Sinneswandel gehabt, nachdem sie Zeit mit Hunter verbracht hatte, aber hoch pokern, dass das noch ein weiteres Mal so sein könnte, würde ich wohl eher nicht. Ich meine, vielleicht hatten wir ja Glück und die Rothaarige einfach Sehnsucht nach ihrem Freund. War nach einem Treffen mit ihm gleich ganz anders drauf, aber wissen konnte ich das nicht, bevor wir uns das nächste mal sahen. Für den heutigen Abend schrieb ich meine beste Freundin gedanklich jedoch komplett ab, weil mir ihre Aktion einfach gehörig auf den Keks gegangen war und ich in der Hinsicht definitiv auf Irinas Seite stand. Vermutlich wusste die Französin das auch und war nur deshalb derart sauer geworden... weil ich eher hinter einer anderen Frau stand, als hinter ihr.
~ le sprung von diese zeit, aber nur eine kleine ~
Es fühlte sich so an, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich Kuba den Rücken gekehrt hatte und zurück nach Russland geflogen war. Tatsächlich war es aber schon ein paar Tage - fast einen Monat - her und für mich trotzdem eigentlich noch viel zu früh, die karibische Insel gleich ein weiteres Mal anzufliegen. Und doch war ich heute Nacht in den Flieger gestiegen, um nach mehreren Stunden Flug erneut in der Sonne zu verbrennen. Es war mir nach wie vor einfach viel zu warm hier und sollte ich mich tatsächlich entscheiden, mein altes Leben im kalten Osten hinter mir zu lassen, dann würde es mich höchstwahrscheinlich eine halbe Ewigkeit brauchen, bis ich nicht innerhalb von zehn Minuten einen Sonnenbrand bekam und mich an die heißen Temperaturen hier gewöhnt hatte. Bis es soweit war, würde ich jedoch den Schatten bevorzugen und die Zeit, welche ich vor der Tür meines Hotelzimmers verbrachte, auf ein Minimum begrenzen. Aber für den Moment führte kein Weg dran vorbei, in die Mittagssonne zu treten, weil ich schon verhältnismäßig spät dran. Ich hatte für heute einen Termin mit Sabin vereinbart und musste vorher dringend noch ein paar Kisten loswerden, sowie mich von Irina anschnauzen lassen, was ich denn schon wieder ohne eine Info an sie auf Kuba machte. Schließlich hatte ich für die junge Frau am Rande der Innenstadt eine Wohnung ausfindig machen können und diese richtete sich nun mal nicht mit Luft und Liebe ein. Ich hatte daher ein paar meiner Jungs für einen Tag abbestellt, die ehemalige Wohngemeinschaft meiner Freundin auszukundschaften, um zu erfahren, was aktueller Stand der Dinge war. Inzwischen war immerhin ein neuer Monat angebrochen und ich würde vermuten, dass die Miete seitens des schwindend geringengen Rest der Sorokins definitiv nicht geflossen war, wo doch keiner mehr in der Wohnung wohnte. Gut möglich also, dass der Vermieter bereits Wege eingeleitet hatte, sein Eigentum räumen zu lassen. Vielleicht hoffte aber auch der eben benannte Rest des verfeindeten Clan, dass Irina oder ich dort irgendwann noch einmal auftauchen würden. Laut meinen Handlangern, die ein paar Tage die Gegend im Blick gehabt hatten, schien aber alles soweit ruhig und die Wohnung noch in genau dem gleichen Zustand zu sein, wie noch vor einigen Wochen. Ich wies sie daraufhin an, sich Zutritt zu verschaffen und ein paar brauchbare Einrichtungsgegenstände einzusacken. Wasserkocher, ein bisschen Geschirr... all das, was man zum alltäglichen Leben nun mal so brauchte. Zwar ging es finanziell bei mir langsam wieder etwas bergauf, was nicht zuletzt auch daran lag, dass Vahagn mit ihrem kleinen Geschäft inzwischen wieder ein bisschen Kohle beisteuerte, aber auch ich sparte ab und an gerne mal ein paar Euro. Vor allem, wenn es um solchen Kleinkram ging, der sich in der Regel ein paar Jahre hielt, nachdem man ihn angeschafft hatte. Letzten Endes waren so zwei große Umzugskartons mit allerlei Haushaltsgeräten zusammengekommen, die ich mit nach Kuba genommen und vorerst in meinem Hotelzimmer deponiert hatte. Ich war nach dem langen Flug noch schnell unter die Dusche gesprungen und in einem nahegelegenen Supermarkt ein paar Lebensmittel einkaufen gewesen, bevor ich mich mit dem Taxi auf den Weg zu Irinas - und vielleicht bald auch meiner - neuen Wohnung machte. Ich sah die junge Frau schon aus wenigen Metern Entfernung vor der Tür ihres neuen Eigenheims herumwerkeln und weil ich mich selbstredend nicht vorher angekündigt hatte, zierte schon jetzt ein belustigtes Grinsen meine Lippen, hatte sie das letzte mal doch schon durchweg amüsant reagiert. Ich gab dem Fahrer gerade noch das Trinkgeld in die Hand, bevor ich ausstieg und die Einkäufe, sowie die beiden Kartons aus dem Kofferraum holte. Zwar war ich nicht gerade schmächtig, aber alles auf ein Mal zu tragen kam für mich trotzdem nicht in Frage und so schulterte ich erst einmal die Tragetasche mit den Lebensmitteln und hob dann den ersten Karton an, um mich in Richtung der kleinen schwarzhaarigen Serbin in Bewegung zu setzen. Auf halben Weg kam Richard aus der Tür des kleinen Bungalows und grinste bei meinem Anblick bis über beide Ohren. Gegenüber Irina, die aktuell noch mit dem Rücken zu mir stand, versuchte er sich jedoch zusammenzureißen und so kam ich schließlich hinter der jungen Frau zum Stehen. Ich räusperte mich leise, um zu ein paar Worten anzusetzen, die ich ganz bewusst aber in russischer Sprache verpackte. Es war nun mal nicht alles unbedingt für andere Ohren bestimmt und soweit ich informiert war, sprach der Engländer lediglich seine Muttersprache und Norwegisch. Inzwischen vielleicht auch ein bisschen Spanisch, aber bestimmt kein Russisch. "Hallo, schöne Frau. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie übers Knie lege? Einfach so, ohne Grund, weil ich gerade Lust drauf habe..?", begrüßte ich meine Freundin grinsend, während ich den Karton zu meinen Füßen abstellte. Bevor ich zu der Verabredung mit Sabin aufbrach, die aller Voraussicht nach kein leichtes Pflaster werden würde, konnte ich ein bisschen ausgelassene und unbeschwerte Stimmung definitiv gebrauchen.
# Is it all a tragedy? Are we flashes in a rut going in and out of luck? Maybe. #